Fortune - Heide-Renate Döringer - E-Book

Fortune E-Book

Heide-Renate Döringer

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Beschreibung

Fortune: Die Geschichte der Familie Blanc, Gründer der Spielcasinos in Bad Homburger und Monaco

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Vorwort

Das Jahr 2020 ist eine Zäsur. Das Coronavirus und die daraus folgende Pandemie haben das Leben verändert. Hundertausende Menschen in aller Welt sind infiziert, unzählige tot. Wir im eigenen Land fühlen wir uns eingeschlossen, eingeschränkt, einsam, und dennoch geht es uns im Vergleich mit anderen gut, und es ergeben sich neue Perspektiven. Meine Lebensfreude war REISEN – Tage, Wochen, Monate lang, grenzenlos weit. Nun werde ich nicht mehr nach Hongkong und China kommen, durch die Vereinigten Staaten reisen, Menschen treffen, die ich liebe, Orte besuchen, an denen ich lebte, lernte, lehrte und über die ich schrieb.

In diesen neuen Zeiten der Stille erinnere ich mich plötzlich eines Buches, das ich vor vielen Jahren las. Es trug den Titel Ich schenk dir Monte Carlo und handelte von einer Schusterstochter aus Friedrichsdorf, die zum Ende ihres Lebens Millionärin war und die Spielbank in Monte Carlo leitete. Damals besuchten mein Mann und ich gerne Spielcasinos, nicht um zu spielen, sondern um die elegante Atmosphäre zu genießen und die Menschen dort zu studieren. Auf kurzem Weg kamen wir nach Wiesbaden, dann bestaunten wir den Prunk in Baden-Baden, folgten Sissis Spuren auf Korfu, sprachen französisch in Luxemburg, belächelten das ländliche Flair in Bad Dürkheim und besichtigten Monte Carlo. Später erkundeten wir das erste und einzige Spielcasino in Macao (1978), fühlten uns überwältigt in Las Vegas und Reno, sahen Farbige im Casino an den Victoria Fällen, hassten die Spielautomaten in Windhoek und speisten des Öfteren in unserem heimischen Spielcasino in Bad Homburg. Ich erinnere mich an einen Abend mit Freunden aus Frankfurt.

Während Hauptgang und Dessert verschwand H.G. und kam schon nach kurzer Zeit mit 300 DM zurück, die wir anschließend in der Tennisbar verprassten.

Allmählich formt sich ein Gedanke: Warum nicht zurückkehren ins 19. Jahrhundert, den Spuren des Mädchens aus Friedrichsdorf folgen, mit ihr ins Homburg der Landgrafen kommen und herausfinden, wie sich ihr Lebensweg als Madame Blanc weiter gestaltet?

Schon mache ich mich auf die Suche; sie beginnt mit einem Sonntagsspaziergang im Kurpark, zum Brunnensälchen mit der Büste von Marie Blanc und der Gedenktafel für François Blanc. Das sind erste Bausteine für ein neues Vorhaben. Als nächstes entdecke und studiere ich Literatur zu diesem Thema, stöbere in Archiven, solange diese noch geöffnet sind, und freue mich auf Besuche in Friedrichsdorf und im Bad Homburger Schloss der Landgrafen – all das ist möglich, auch in Zeiten von Corona. Hier liegt für mich das Gute ganz nah.

Inhalt

Teil 1: Die Brüder Blanc

Zwei unternehmungslustige Franzosen

Die Zwillinge Francois und Louis

Erfolgreich in Bordeaux

Paris – Wir kommen

Das Palais Royal

Bénazet – der Vorausschauende..

Zwischenstation Luxemburg

Besuch aus Frankfurt.

Treffen zweier ungleicher Herren

Neubeginn in Hessen-Homburg

Die Grundsteinlegung am 23. Mai 1841

Die Eröffnung des neuen Kurhauses

Illustre Gäste – Gräfin Sophie Kisseleff (1801-1875)

Gräfin Kisseleff spielt nur einmal

Prinz Charles Lucien Bonaparte sprengt die Bank.

Ein tollkühner Spieler namens Garcia

Homburg wird Kurort

Die Entdeckung der Heilquellen

Bahnverbindung Homburg-Frankfurt

Und alle spielen

Fjodor Michailowitsch Dostojewski

Kurfürst Wilhelm II. von Hessen und andere

Teil 2: Marie Hensel

.

Die Hugenotten in Hessen-Homburg

Die Glaubensflüchtlinge in Friedrichsdorf

Das Leben in der französischen Siedlung

Friedrichsdorfer Französisch

Familie Schuster Hensel

Wohnrecht in Friedrichsdorf

Schicksalsschläge

Die Tracht der Hugenotten

Eine neue Frau im Haus

Ein Kramladen im Jahre 1837

Bürgerliche Freiheit und Amüsement

Der große Brand von 1842

Der Ausflug nach Homburg

Friedrichsdorfer Zwieback

Teil 3: François und Marie Blanc

Der Magier und das Mädchen

Als Haushaltshilfe in Homburg

Zur Ausbildung in Frankreich

Die Nationalversammlung in der Paulskirche zu Frankfurt

Eine Reise nach Italien

Monaco und Monte Carlo

Ein Leben zwischen Homburg und Paris

Trauung in Frankreich

Madame Blanc – die Wohltäterin

Das Landgrafen-Denkmal

Abschied von Bad Homburg

Monaco und Monte Carlo

Der Zauberer und sein Werk

Wassernot im Fürstentum

Die Bäder locken

Marie und die Soldaten

Der Spanier kommt nach Monte Carlo

Fürstin Suworow – eine junge Russin

Im Luxuszug von Paris nach Monaco

Der deutsch-französische Krieg

Taubenschießen – ein exklusiver Sport

Marie Blanc und die Weltausstellung in Wien 1873

Familie Blanc

Die erwachsenen Kinder

Tod des Magiers

Witwe Madame Blanc

Das Opernhaus in Monte Carlo

Die Mäzenatin

Eine Bombe

Frühes Ende eines erstaunlichen Lebens

Das Erbe

Erinnerung und Wertschätzung

Nachwort

Anmerkungen

Zeitlinie

Über die Autorin

«Das ganze Leben bis zum Grab hat Kartenspielmanieren, das Schicksal hebt die Karten ab, der Zufall muss melieren. Dem Glücklichen jed‘ Spiel gerät, wer Unglück hat, ist immer bête.»

Moritz Gottlieb Saphir (1795-1835)

Teil 1

Die Brüder Blanc Faites vos jeux!

Zwei unternehmungslustige Franzosen

Die Zwillinge Francois und Louis

Die eineiigen Zwillinge François und Louis Blanc werden am 12.12.1806 als Söhne des Steuereintreibers Claude Agricol Blanc und seiner Ehefrau Marie Thérèse Janin im südfranzösischen Courthézon, in der Nähe von Avignon, geboren. Man erzählt, die Knaben sähen sich so ähnlich, dass nur ein einziges Portrait für beide benötigt werde. Diese Ähnlichkeit machen sich die beiden pfiffigen Jungen später zuweilen zunutze. Die Freunde des Vaters, ein Strumpfwirker und ein Schuster, werden die Taufpaten. Das Leben im Haus des Steuereintreibers ist einfach, denn der Vater ist ein allzu gutherziger Mann, der, wenn möglich, den Säumigen mit eigenem Geld aushilft. Die Mutter tut alles, um trotz ihrer beschränkten Mittel den aufgeweckten und tatendurstigen Jungen eine gute Erziehung zukommen zu lassen. Nach der offiziellen Schulzeit muss sie die Söhne sich selbst überlassen und gibt ihnen ihr Erspartes als Starthilfe mit auf den Weg.

Eines Tages macht ein Wanderzirkus in dem kleinen Städtchen Courthézon Station, und die Brüder kaufen sich eine Eintrittskarte.

François und Louis sind von den Tricks des Kartenspielers so fasziniert, dass sie ihren Heimatort verlassen und dem Zirkus folgen.

Mit der Zeit werden sie Assistenten des Kartenzauberers und lernen seine Tricks kennen, sodass sie bald darauf in den Straßen Südfrankreichs Glücksspiele vorführen können. Nach einigen Jahren auf der Straße beschließen François und Louis sesshaft zu werden.

Sie haben inzwischen etwas Geld zurückgelegt und machen sich auf die Suche nach einem geeigneten Ort.

Erfolgreich in Bordeaux

Im Jahre 1834 lassen sich François und Louis in Bordeaux nieder, wo sie sich selbstständig machen. Hier betreiben sie ein kleines Bankgeschäft und beschäftigen sich mit dem Auf und Ab der Börsenwerte. Ihr besonderes Interesse gilt der Entwicklung von Staatseinlagen in Paris, dem Stand der französischen Rente und der Überlieferung der Ergebnisse nach Bordeaux. Nachdem die jungen Männer eine Zeit lang das Bankgeschäft beobachtet haben, beschließen sie, reich zu werden, und befassen sich von nun an mit Börsengeschäften. Dazu brauchen sie Insiderwissen: Gibt es eine Hausse oder eine Baisse?1 Damals, um das Jahr 1834, benutzt der staatliche Nachrichtendienst ausschließlich den Télégraph Chappe, eine von Claude Chappe 1794 erfundene Technik der optischen telegrafischen Übermittlung von Daten. Es ist ein Signalsystem, bei dem an mehreren Zwischenpunkten Beobachter und Fernrohre aufgestellt sind, welche die Signale aufnehmen und weitergeben. Da Privatleute die staatlichen Linien nicht nutzen dürfen, denken die Brüder Blanc: Il faut corriger la fortune! Für entsprechenden Lohn finden sie Helfer, welche die Nachrichten mit von François erfundenen Irrungszeichen so manipulieren, dass die Brüder den aktuellen Wert von Aktien eine halbe Stunde früher als ihre Konkurrenten in Erfahrung bringen. So können sie schnell handeln und entsprechend erfolgreich kaufen beziehungsweise verkaufen, bevor andere Börsenmakler an der Börse in Bordeaux die Wertdifferenzen der Aktien angleichen können. Zwei Jahre lang geht alles gut, und die Brüder Blanc häufen ein Vermögen von mehreren 100.000 Franc an, Geld, das der Grundstein für sämtliche weiteren Unternehmungen wird. Doch im Jahre 1836 plagt einen der bestochenen Telegraphenbeamten das schlechte Gewissen, und auf seinem Sterbebett gesteht er sein Fehlverhalten und den Schwindel der Brüder. Die Manipulationen werden entdeckt, und es kommt am 17. März 1837 zum Prozess. Im Volk erzählt man sich lachend, wie die Brüder mit Hilfe ihres Aussehens die Richter verwirrten.

Ähnlich wie ein Ei dem anderen stehen die Brüder auf der Anklagebank. Beide in schwarzen Anzügen. Beide mit den gleichen Handbewegungen, mit denen sie Bekannten und Freunden im Zuschauerraum zuwinken. Zu unterscheiden sind sie nur durch ihre Brillen. François trägt eine Brille mit hellen Gläsern, Louis mit blaugetönten. Gerichtspräsident Beyne, weißhaarig, würdevoll, kurz vor der Pensionierung, eröffnet die Verhandlung. Gleich in den ersten Minuten haben die Brüder Blanc die Lacher auf ihrer Seite, und Präsident Beyne tupft sich vor Verlegenheit mit seinem seidenen Taschentuch die Stirn. «Möge der Angeklagte Louis Blanc sich erheben» Beide Blancs stehen auf. Einige Damen im Zuschauerraum, die sich wohl auch schon einmal unsicher waren, wer von beiden ihr Liebhaber war, kichern. «Wer von Ihnen ist Louis Blanc?», ruft der Gerichtsvorsitzende.

«Ich», sagen beide wie aus einem Munde. Die Zuschauer schlagen sich vor Spaß auf die Schenkel. Am Hals des Gerichtspräsidenten zeigen sich nervöse rote Flecken. «Wollen Sie sich lustig machen über das Gericht?» Die Gesichter der Brüder nehmen in der gleichen Sekunde den Ausdruck unsäglichen Bedauerns an. Die beiden Verteidiger, Julien Robin und Maximilian Chaix-d’Est-Ange, melden sich zu Wort. «Halten zu Gnaden. In der Tat sind meine beiden Mandanten auf den Namen Louis getauft worden. Erlauben Sie, dass ich Ihnen die Taufscheine vom Pfarramt Courthézon im Departement Vaucluse vorlege.» Der Präsident streckt ungeduldig die Hand aus. Doch anstatt die Dokumente zu überreichen – Chaix d’Est-Ange ist nicht der Anwalt, der sich einen Effekt entgehen lässt, trägt er selbst mit feierlicher Stimme die umständlichen Formulierungen auf den Taufscheinen vor.

«Wurden im Jahr des Heils 1806 dem Steuereinnehmer Claude Blanc und seiner angetrauten Gattin Marie-Thérèse, geborene Janin, am 12. Dezember zwei Söhne geboren, von welchen der eine auf den Namen Louis Joseph getauft wurde und der andere auf den Namen Louis François.» Erst jetzt, während im Zuschauerraum von neuem Gelächter anhebt, überreicht der Anwalt die Taufscheine.2

Die Gerichtsverhandlung nimmt ihren Lauf, und die Brüder Blanc gestehen, durch den Einsatz von Irrungszeichen den ursprünglichen Inhalt der Nachrichten verfälscht zu haben. Neunundsiebzig Zeugen werden gehört und unzählige Dokumente gesichtet.

Schließlich muss man feststellen, dass Zweifel an der Möglichkeit einer Verurteilung besteht, da es für diesen Vorgang noch kein Gesetz gibt. François und Louis werden freigesprochen, müssen aber die Gerichtskosten bezahlen. Selbstverständlich übernehmen sie auch alle Unkosten der Mitangeklagten und Zeugen, schließlich hat ihnen der Aufenthalt in Bordeaux eine Viertelmillion Franc eingebracht.

Paris – Wir kommen

Das Palais Royal

François und Louis kennen ihr Ziel in Paris. Nach vier langen Tagen Fahrt halten ihre schwer beladenen Wagen vor dem hell erleuchteten Palais Royal. Das Palais Royal wurde vom Architekten Jacques Le Mercier für den ersten Minister Ludwigs XIII.,

Kardinal Richelieu, gebaut (1627-1629). Nach dessen Tod ging es in den Besitz der Krone über, zu diesem Zeitpunkt das Haus Orléans.

Die Kutscher aus Bordeaux trauen ihren Augen nicht. Dieser Palast übertrifft alles, was sie bisher gesehen haben, dabei dürfen sie noch nicht einmal hinein, sondern müssen bei den Pferden Wache halten.

Das Innere des Palais bildet mit seinen über hundert Räumen ein einziges großes Geschäftsviertel. Händler und Handwerker, Wechsler und Wucherer, Cafés und Restaurants, Gaukler und Musiker, alles hat hier seinen festen Platz und man sagt, dass jeder Pariser einmal pro Woche das Palais Royal aufsucht. François und Louis wissen, wohin sie wollen. Sie begeben sich geradewegs zu den Spielclubs mit den größten und elegantesten Salons, in denen die Besitzer ihre Cercles1abhalten. In den konzessionierten Spielbanken kreist das Roulette, und nebenher wird auch das Trente et quarante betrieben. Dieses Spiel beruht darauf, dass von zwei Reihen Karten jene gewinnt, die sich der Zahl einunddreißig am meisten nähert, ohne die vierzig zu überschreiten.2

Bénazet – der Vorausschauende

François und Louis erkundigen sich, wo sie Bénazet, einen alten Bekannten aus Bordeaux, finden können, und sie werden gleich zu dessen Salon geführt. Bénazet, ein ehemaliger Offizier der Nationalgarde, ausgezeichnet mit dem Ehrenkreuz, hatte in Bordeaux einen Cercle unterhalten, war aber dann nach Paris übergesiedelt. Hier im Palais Royal ist er momentan einer der drei Aufseher des Glückspiels und Mitpächter von zehn Spielbanken, darunter der luxuriösen Frascati und des Cercle des étrangers. Er empfängt die Brüder Blanc mit offenen Armen und ruft seinen Gästen zu: «Die Helden von Bordeaux. Seht sie euch an. Das sind die Herren, die mit dem Regierungstelegraphen die Börse von Bordeaux gesprengt haben. Champagner! Gläser!

Ein Willkommenstrunk!3

Bénazet ist der Mann, der über alles Bescheid weiß, und während Louis sich um eine Wohnung bemüht, erfährt François, wie die augenblickliche Geschäftslage in Paris ist – nicht sehr gut! Noch rollen die Kugeln, aber der durch die Julirevolution 1830 emporgekommene König Louis Philippe von Orléans hat schon ein Gesetz beschlossen, wonach mit der Neujahrsnacht 1837/1838 alle öffentlichen Spielbanken schließen müssen. Nun sind es nur noch wenige Monate bis zur gefürchteten Silvesternacht. Der vorausschauende Bénazet hat schon seine Fühler nach Deutschland ausgestreckt und verhandelt längst mit dem Großherzog von Baden-Baden. Dort plant er ein riesiges Kurhaus mit einem Casino zu bauen, womit er die wohlhabenden Spieler aus Frankreich anlocken will. Er rät François, sich ebenfalls im Nachbarland umzuschauen.

Zunächst aber bleiben die Brüder in Paris und richten in ihrer neuen Wohnung am Boulevard des Italiens einen privaten Spielsalon ein. Im Stillen beginnen sie jedoch ein intensives Studium der finanziellen Verhältnisse der deutschen Staaten. Sie beauftragen Reisende, überall Erkundigungen einzuholen, und François engagiert sogar einen ehemaligen bayrischen Leutnant, der mit Napoleon in Russland gekämpft hat und mit der geschlagenen Armee nach Paris gekommen ist, als Sprachlehrer. In seinem Büro hat der Franzose eine große Deutschlandkarte an die Wand geheftet, auf der die vielen kleinen souveränen Staaten, Fürstentümer, Herzogtümer und Grafschaften eingezeichnet sind – ein bunter Fleckenteppich. Die meisten der Besitztümer sind tief verschuldet, und eigentlich müsste es ein Leichtes sein, einem armen Souverän die Einrichtung eines Spielhauses einzureden. Eine Entscheidung haben die Brüder aber noch nicht gefällt. Am letzten Pariser Spieltag, dem 31. Dezember 1837, herrscht ein solcher Zulauf zu den Tischen, dass die Polizei sich am Abend genötigt sieht, weiteren Zutritt zu verbieten. Und dann heißt es:

Rien ne va plus!

Alle Spielbankpächter verabschieden sich von Paris. Genau wie François und Louis Blanc sind nun Hunderte von Glücksrittern auf dem Weg in die Fremde. Einige wenige haben beschlossen, Europa zu verlassen, und wandern in die Südstaaten von Amerika aus, dorthin, wo man Französisch spricht und Glücksspiele erlaubt sind. New Orleans soll das neue Paris werden. Der vorausschauende Bénazet macht sich schnellstens auf den Weg nach Baden-Baden, Chabert, ein weiterer Spielbankleiter, besitzt schon ein Casino in Wiesbaden und eins in Ems, andere reisen nach Pyrmont und Aachen.

Zwischenstation Luxemburg

Die Brüder Blanc beladen ihre Kutschen und fahren bei Eis und Schnee gen Osten in das Großherzogtum Luxemburg, das zu diesem Zeitpunkt in drei Teile zerrissen ist. Ein Teil gehört zu Preussen, der andere zu den Niederlanden und der dritte zu Belgien. Die Burg in der Hauptstadt Luxemburg ist eine Festung des Deutschen Bundes, und hier weilt des Öfteren als Generalgouverneur für Preussen ein Landgraf von Homburg-Hessen. Dieser Landgraf Ludwig ist zwar ein verdienter Soldat, ein Sieger von Jena und Austerlitz, aber auch der sehr verarmte Landesfürst eines souveränen Staates in Deutschland. François Blanc sieht darin eine mögliche Chance, Luxemburg zu verlassen. Zwar floriert hier sein kleiner Cercle, aber die Stadt ist zu weit entfernt von den großen Metropolen, und das Klientel besteht nur aus reichen Bauern, Weinhändlern, gelangweilten Soldaten und ein paar durchreisenden Franzosen, die zu Hause nicht mehr spielen dürfen.

Besuch aus Frankfurt

Der kluge und vorsichtige François Blanc hat deshalb den Frankfurter Börsenmakler Gottfried Wormser1, den er noch aus Bordeaux kennt, damit beauftragt, Erkundigungen in Homburg einzuholen.

Nun erwartet er seinen Bericht.

Es ist ein kalter, nasser Winterabend, als die Kutsche mit Gottfried Wormser endlich vorfährt. Der Gast ist von Kopf bis Fuß mit Lehm beschmiert, und sein Anzug ist vollkommen durchnässt. Er berichtet, dass unterwegs an der Mosel ein Rad gebrochen ist, und der Kutscher und er es notdürftig zusammengehämmert haben.

Blanc lässt frische Kleidung bringen und heißen Wein zubereiten, und sobald Wormser sich erholt hat, berichtet er und legt seine gesammelten Dokumente auf den Tisch. Schnell kann er belegen, dass der Landgraf so verschuldet ist, dass selbst die wohlhabenden Bürger ihm nichts mehr leihen. Wormser liest genüsslich einen Brief vor von einem gewissen Christian Rind, einem der vermögendsten Bürger Homburgs. Dieses Dokument ist zwar schon sechzig Jahre alt, aber an der Situation hat sich nichts geändert:

Euer Hochwohlgeboren fragen um 572 Gulden auf sechs Wochen für Serenissimus zu leihen? Darauf die Antwort: Für künftigen Montag hatte ich mir vorgenommen, meinen Bedienten in die fürstliche Rentkammer zu schicken, um wieder wegen der Abzahlung derer 1320 Gulden anzufragen, welche den 2. Mai dieses Jahres durch Herrn Rentmeister, um die Ehre von Serenissimus zu retten, bey mir in Empfang genommen worden. Auf diese Art sehe ich aber, daß solcher die Mühe sparen kann. Überdies stehen noch 7 Monath Waren-Lieferungen offen, welche circa 565 Gulden betragen. Die Wiederbezahlung wird nirgends schlechter als hier beobachtet, und dadurch werden diejenigen außer Stand gesetzt, im Nothfall wieder helfen zu können, so wie es mir jetzo auch geht. Aus 2 bis 3 Wochen sind nun schon fast 4 Monath geworden, und wer sorgt dafür, daß ich die Gelder, so schon hergegeben, wieder bekomme? Auf diese Weise schöpft man einen Brunnen leer. Kurz, dermalen kann ich nicht dienen, so gern ich wollte...

Wormser fährt fort: «Zu Beginn unseres Jahrhunderts hat Landgraf Friedrich kurz vor seinem Tode beim Bankhaus Amschel Rothschild in Frankfurt noch einen Kredit über 250.000 Gulden in Anleihe genommen und hinterlässt damit seinen sechs Söhnen nur einen Schuldenhaufen. Die Homburger fragen im Scherz: «Was ist der höchste Punkt in der ganzen Landgrafschaft? Der Schuldenberg seiner Durchlaucht – nur leider ist die Aussicht ganz miserabel!» Alle Söhne der Landgrafen verdingen sich nach traditioneller Homburger Prinzen-Manier an fremde Kriegsherren, um so wenigstens an persönliche Einkünfte zu kommen. Joseph, der Erbprinz, hat Glück, denn im Jahre 1814 trifft er bei einem Fest in London die englische Prinzessin Elizabeth2, die mit 44 Jahren noch Jungfrau ist und sich Hals über Kopf in den jungen Deutschen in seiner schicken bunten ungarischen Husaren-Uniform verliebt. Es dauert vier Jahre, bis die Hochzeit stattfindet, aber die Homburger jubeln, denn die Engländerin bringt als Brautgeschenk 40.000 Taler mit und eine jährliche Apanage von 13.000 englischen Pfund. Der Staatsbankrott ist abgewendet, denn die neue Landgräfin verpfändet gleich nach der Hochzeit ihren reichen Schmuck und sorgt dafür, dass die jährliche Apanage sofort an das Bankhaus Rothschild überwiesen wird. Weitsichtig hat sie auch veranlasst, dass nach ihrem Tod die Apanage weiter nach Homburg überwiesen wird, doch ihre Schwestern fechten das an und gewinnen. Dennoch ist Elizabeth für die Homburger eine gütige und verehrte Landesmutter. Als ihr Ehemann 1829 stirbt, wird sein Bruder Ludwig regierender Landgraf und Generalgouverneur in Luxemburg.3

Dann kommt Wormser zum Schluss und erklärt, dass die Schuldsumme des gegenwärtigen Landgrafen fast 1.750.000 Gulden beträgt und niemand weiß, wie das zurückgezahlt werden soll.

Nun ist François Blanc überzeugt, unter diesen Umständen mit dem Landgrafen Ludwig über eine Konzession für ein Spielcasino verhandeln zu können. Zuvor erkundigt er sich jedoch, woher wohlhabende Spieler kommen könnten, da es sowohl in Wiesbaden als auch in Ems schon Casinos gibt. Wormser kann ihn beruhigen, denn das nahegelegene Frankfurt ist eine der reichsten Städte Deutschlands, und der Magistrat hat, um den Erwerbssinn der Bürger anzufeuern, ein neues Gesetz beschlossen: Alle Einkommen über 15.000

Gulden sind steuerfrei.

Treffen zweier ungleicher Herren

Nachdem sich François Blanc für Homburg entschieden hat, versucht er nun ein Treffen mit dem Landgrafen, der sich wieder einmal in Luxemburg aufhält, zu arrangieren. Das ist nicht so einfach, wie er es sich vorgestellt hat, denn Landgraf Ludwig spielt nicht und scheint als preußischer General eine gewisse Abneigung gegen Franzosen zu haben. Da kommen Blanc seine umfassenden Informationen zugute. Aus seinem Dossier weiß Monsieur Blanc, dass Prinz Ludwig in einem Haus in der Theresienstraße Quartier bezogen hat und dass dieses Gebäude einem Herrn Ney gehört.

Nun will es der Zufall, dass die Nichte des Hausbesitzers, eine gewisse Helene Vianden, dem Glücksspiel verfallen ist und schon ihren Schmuck eingesetzt hat. Blanc verspricht ihr, den Pfandleiher Differdinger zur Herausgabe des Geschmeides zu veranlassen, wenn es ihr gelingt, eine unverfängliche Begegnung zwischen ihm und dem Generalgouverneur zu arrangieren.

Es dauert nicht lange und François Blanc erhält eine Einladung zu einem Wohltätigkeitskonzert im Salon des alten Patrizierhauses in der Theresienstraße. Der Abend steht unter der Schirmherrschaft des Gouverneurs, und die Spenden sind den Opfern des Napoleonischen Krieges gewidmet. Blanc spendet großzügig und findet nach den Darbietungen Gelegenheit, mit dem Gastgeber zu sprechen. Der Gouverneur weiß genau, mit wem er es zu tun hat, und erzählt Blanc im Laufe der Unterhaltung folgende Geschichte:

Sie wissen, Monsieur Blanc, die Landgrafen von Homburg haben sich immer als Soldaten verdingt und es zuweilen zu hohen Ehren gebracht. Da wurde mir neulich aus Petersburg ein Kistchen mit kostbarem Inhalt übersandt – es handelte sich um einen reich mit Brillanten besetzten russischen Orden, den Katharinenorden. Dieses wertvolle Schmuckstück kam im richtigen Moment. Da in Homburg Mineralquellen entdeckt wurden und meine guten Bürger nun eine Kuranlage haben wollten, verkaufte ich den Familienschmuck bei einem Juwelier. Der Orden brachte mir 35.000 Gulden, das ist mehr, als der preußische Staat mir in zwei Jahren an Sold auszahlt; von dem Erlös konnte ich das Brunnensälchen bauen.

Und nun kommen Sie, Monsieur Blanc, und spenden 3500 Gulden für wohltätige Zwecke und erklären dazu noch, dass Sie diese Summe an zwei oder drei Abenden in ihrem Casino verdienen. Wenn ich mir ausrechne, was das in einem Monat ausmacht, kann ich nur sagen: Wir müssen uns unterhalten! Was für einen Großherzog von Baden gut ist, ist auch für einen Landgrafen von Hessen-Homburg gut.

Besuchen Sie mich auf der Festung.4

Nach diesem Gespräch sind die Würfel gefallen, und das nächste Ziel der Franzosen wird in Preußen sein.

Neubeginn in Hessen-Homburg

L