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Fanny Lewald war eine deutsche Schriftstellerin und Vorkämpferin der Frauenemanzipation: Sie forderte das uneingeschränkte Recht der Frauen auf Bildung und auf gewerbliche Arbeit ebenso, wie sie sich gegen die Zwangsverheiratung junger Frauen einsetzte. Dieser Band enthält ihre beiden Novellen "Clementine" und "Diogena".
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Seitenzahl: 334
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Clementine/ Diogena
Fanny Lewald
Inhalt:
Fanny Lewald – Biografie und Bibliografie
Clementine
Erstes Capitel
Zweites Capitel
Drittes Capitel
Viertes Capitel
Fünftes Capitel
Sechstes Capitel
Siebentes Capitel
Achtes Capitel
Neuntes Capitel
Zehntes Capitel
Elftes Capitel
Zwölftes Capitel
Dreizehntes Capitel
Vierzehntes Capitel
Fünfzehntes Capitel
Diogena
Erstes Buch
Zweites Buch
Drittes Buch
Clementine/Diogena, F. Lewald
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849630546
www.jazzybee-verlag.de
www.facebook.com/jazzybeeverlag
admin@jazzybee-verlag.de
Schriftstellerin, geb. 24. März 1811 zu Königsberg i. Pr. von israelitischen Eltern, gest. 5. Aug. 1889 in Dresden, trat in ihrem 17. Jahre zur evangelischen Kirche über, begleitete 1831 ihren Vater auf einer Reise durch Deutschland und Frankreich und lebte sodann längere Zeit in Breslau und Berlin. Nachdem sie schon 1834 zur Unterhaltung einer kranken Schwester Märchen geschrieben hatte, betrat sie 1841 die schriftstellerische Laufbahn mit der Novelle »Der Stellvertreter« (in der »Europa«). Es folgten ohne ihren Namen: »Klementine« (Leipz. 1842); »Jenny« (das. 1843); »Eine Lebensfrage« (das. 1845); »Das arme Mädchen« (in der »Urania«). Im Frühjahr 1845 bereiste sie Italien und nahm sodann ihren Aufenthalt in Berlin, wo sie sich 1854 mit Adolf Stahr (s. d.) verheiratete, mit dem sie in der Folge eine Reihe von Reisen unternahm. Ihre literarische Produktivität steigerte sich, ohne an innerm Wert zu verlieren. Nacheinander erschienen: »Italienisches Bilderbuch« (Berl. 1847); »Diogena, Roman von Iduna Gräfin H.-H.«, eine anonym erschienene Persiflage der Gräfin Hahn-Hahn (2. Aufl., Leipz. 1847); »Prinz Louis Ferdinand« (Bresl. 1849, 3 Bde.; 2. Aufl., Berl. 1859); » Erinnerungen aus dem Jahre 1848« (Braunschw. 1850, 2 Bde.); »Liebesbriefe« (das. 1850, schon 1845 entstanden); »Dünen- und Berggeschichten« (das. 1851, 2 Bde.); »England und Schottland«, Reisetagebuch (das. 1852, 2 Bde.); »Wandlungen«, ein Roman (das. 1853, 4 Bde.), »Deutsche Lebensbilder« (das. 1856); »Die Reisegefährten« (Berl. 1858); »Das Mädchen von Hela« (das. 1860); »Meine Lebensgeschichte« (das. 1861–63, 6 Bde.); »Bunte Bilder« (das. 1862, 2 Bde.); »Von Geschlecht zu Geschlecht«, Roman (das. 1863–65, 8 Bde.); »Osterbriefe für die Frauen« (das. 1863); »Erzählungen« (das. 1866–1868, 3 Bde.); »Villa Riunione« (das. 1863, 2 Bde.); »Sommer und Winter am Genfer See«, ein Tagebuch (das. 1869); »Für und wider die Frauen«, Briefe (das. 1870, 2. Aufl. 1875); »Nella, eine Weihnachtsgeschichte« (das. 1870); »Die Erlöserin«, Roman (das. 1873, 3 Bde.); »Benedikt« (das. 1874, 2 Bde.); »Benvenuto«, Roman aus der Künstlerwelt (das. 1875, 2 Bde.); »Neue Novellen« (das. 1877); »Reisebriefe aus Italien, Deutschland und Frankreich« (das. 1880); »Helmar«, Roman (das. 1880); »Zu Weihnachten«, drei Erzählungen (das. 1880); »Vater und Sohn«, Novelle (das. 1881); »Vom Sund zum Posilipp«, Reisebriefe (das. 1883); »Stella«, Roman (das. 1884, 3 Bde.); »Die Familie Darner«, Roman (das. 1887); »Zwölf Bilder nach dem Leben« (das. 1888) u.a. Von ihren Schriften erschien eine Auswahl u. d. T.: »Gesammelte Werke« (Berl. 1871–74, 12 Bde.); aus ihrem Nachlaß veröffentlichte L. Geiger »Gedachtes und Gefühltes, 1838–1888« (Mind. 1900). F. Lewalds Romane sind durch eine außerordentlich scharfe Beobachtung, durch energische Plastik der Gestaltung und klare Durchbildung des Stils ausgezeichnet. Die Grundlage ihrer Anschauung aber ist ein herber und harter Realismus, der im rechnenden Verstand und in der leidenschaftslosen Nüchternheit eine Art Ideal erblickt, von ihr die Lösung aller Rätsel des Daseins erwartet und begreiflicherweise nur in einzelnen Fällen eine poetische Wirkung hervorzurufen vermag. Vgl. K. Frenzel, Erinnerungen und Strömungen (Leipz. 1890).
Also weil der Herr Geheimrath mich gestern geistreich gefunden hat, soll und muß ich ihn heirathen? fragte Clementine und sah dabei lachend ihre jüngere Schwester, die Frau des Professors Reich, an, die ganz erhitzt auf dem Sopha ihres Wohnzimmers saß.
Darum allein nicht, entgegnete diese, aber Du darfst diese Verbindung nicht ausschlagen, wie alle andern, die sich Dir boten. Der Geheimrath von Meining ist ein sehr geachteter, gebildeter und reicher Mann; er ist freilich fünfzig Jahre alt, Du bist aber schon siebenundzwanzig, was kann denn passender sein? Du hast mir selbst gesagt, daß Du an Dein früheres Verhältniß zu Robert Thalberg mit vollkommener Ruhe dächtest; warum also wieder ein Glück, ein wahrhaftes Glück von Dir weisen, das sich Dir vielleicht nie wieder bietet? Mein Mann wünscht diese Verbindung, die Tante, Deine letzte Instanz, dringt darauf, Meining erwartet das Glück seines Lebens davon und Du selbst hältst Meining nicht nur für einen liebenswürdigen, sondern auch für einen ehrenwerthen Mann; was willst Du denn eigentlich, Clementine?
Ich will nicht lügen, Marie! Ich will, ich kann es nicht, und je achtungswerther mir der Geheimrath erscheint, um so weniger möchte ich ihn täuschen; ich kann nicht heirathen, quäle mich nicht.
Beide Damen gingen fast erzürnt von einander; die kleine, rosige Professorin in die Arbeitsstube ihres Mannes, um ihm das vermuthliche Mislingen ihres Planes mitzutheilen; die ernste, schlanke Clementine auf ihr Zimmer, um den Sturm, den diese Unterhaltung in ihr erregt hatte, ruhig austoben zu lassen.
Clementine und Marie Frei waren die Töchter eines hochgestellten preußischen Beamten. Sie hatten früh ihre Mutter verloren und eine Tante, Frau von Alven, eine kluge, feinfühlende Frau, die Witwe, und deren einziges Kind früh gestorben war, hatte die Erziehung der beiden Mädchen im Frei'schen Hause übernommen. Nichts konnte aber verschiedener sein, als der Charakter dieser beiden Schwestern: Clementine, heftig, geistreich und zu tiefem Fühlen geneigt, wurde schnell von plötzlichen Eindrücken gefesselt, die sich dauernd ihrer Seele einprägten; was sie einmal ergriffen hatte, was ihr lieb geworden war, das konnte keine Macht ihr entreißen, das hielt sie fest für's Leben. Aus diesem Gefühl entsprangen die treue Anhänglichkeit für Frau von Alven, die innige Liebe für ihren Vater und die fast mütterliche Zärtlichkeit für die um sechs Jahre jüngere Marie; aber zugleich auch eine leidenschaftliche, unwandelbare Liebe für Robert Thalberg, einen jungen Mann, mit dem sie in ihrer ersten Jugend in allen befreundeten Familien zusammengetroffen war.
Thalberg hatte in tausend Dingen die auffallendste Charakterähnlichkeit mit Clementinen. Auch auf ihn wirkten in seiner Jugend die Eindrücke des Moments, und obgleich mit dem schärfsten Verstande und ungewöhnlichem Geiste begabt, hatte sein leidenschaftliches Herz ihn häufig fortgerissen und er sich oft dadurch in eigenthümlich verwickelte Verhältnisse gebracht, die bald störend, bald fördernd auf ihn gewirkt. Ein ungebändigter Freiheitssinn, ein an Tollkühnheit grenzender Muth, eigensinniges Beharren auf seinem Willen und doch eine fast kindliche Weichheit gegen die Personen, die er liebte, machten ihn für die Frauen unwiderstehlich; besonders da ein gebietendes, männlich schönes Aeußere gleich anfangs für ihn einnahm. Thalberg hatte Clementinen, wie alle jungen Leute ihres Kreises, seine Huldigungen dargebracht, weil sie hübsch und in der Mode war; bei näherer Bekanntschaft entdeckten Beide aber eine solche Aehnlichkeit in ihren Neigungen und Gesinnungen, sie begegneten sich so oft in ihrem Enthusiasmus für das Schöne, daß das gewöhnliche Wohlgefallen sich in eine wirkliche, ernste Neigung verwandelte und sie sich gegenseitig, ohne durch bestimmtes Versprechen an einander gebunden zu sein, als zu einander gehörend betrachteten. Clementinens Verwandte sahen ein Verhältniß, das für die Zukunft so viel Glück zu versprechen schien, ruhig wachsen, und als Thalberg den Ort verließ, nahm man allgemein an, daß das junge Paar längst einig und verlobt sei.
Clementine selbst lebte von da ab nur in der Erinnerung an Robert; Alles, was ihr begegnete, was sie that, wurde im Geiste Robert's Urtheil unterworfen, der, um mehrere Jahre älter als sie, einen wesentlichen Einfluß auch auf ihre geistige Richtung ausgeübt hatte. Sie liebte Alles, was seinem Willen angemessen schien, verwarf Alles, was gegen seine Ansichten sein konnte, und lebte getrennt von ihm, mitten in der Gesellschaft, doch ganz allein mit dem fernen Geliebten; wie jene Nonnen, die, sich beständig unter den Augen ihres himmlischen Bräutigams wähnend, nur seinem Willen leben und kein anderes Gesetz kennen als das seine. Die Liebe zu dem Abwesenden war ein religiöser Cultus in ihrer Brust, und selbst der Gedanke, es könne ihr jemals möglich sein, den dringenden Bewerbungen anderer Männer die geringste Aufmerksamkeit zu gönnen, fiel ihr nie ein. Sie war den Ihrigen ergeben, half der Tante treulich die schöne Marie erziehen und bildete rastlos an sich fort, damit Robert, wenn er einst wiederkäme, sie nicht unter seinen Erwartungen fände.
So waren ein paar Jahre vergangen, die kleine Marie war zu einem reizenden Mädchen herangewachsen und das harmloseste, unbefangenste Kind geblieben. Ihre Familie, ihre Toilette, die Bälle, ihre kleinen Abenteuer von gestern, das war die Welt, die sie kannte; man liebte sie allgemein und was konnte sie noch wünschen? Sie war das verzogene Kind des Hauses. Bald nach ihrem sechszehnten Geburtstage hatte Professor Reich um ihre Hand geworben, hatte die Zustimmung des Vaters erhalten und die kleine Braut war mit der Myrthenkrone und dem weißen Schleier zum Altare mit demselben Gefühle gegangen, mit dem sie ein Jahr vorher, am Tage ihrer Confirmation, die Kirche betreten hatte. Sie hatte das Bewußtsein eines wichtigen Schrittes, ohne sich die Folgen desselben klar zu machen; und nachdem der schwere Abschied von Vater, Schwester und Tante vorüber war, folgte sie ihrem Manne, froh und sorglos wie ein Kind, nach Heidelberg, wo er angestellt war.
Clementine blieb nun allein zurück. Sie war stiller und ernster geworden, von Robert hatte sie nur selten gehört, die Zeit seiner Rückkehr wurde von den Seinen immer weiter hinausgeschoben und sie konnte es sich nicht verhehlen, daß Robert's Wunsch, sie wiederzusehen, lange nicht mehr so lebhaft sein müsse, als in jener Stunde, wo sie unter den heißesten Thränen mit dem ersten Kusse von einander Abschied genommen hatten.
In dieser Zeit erkrankte Clementinens Vater und nach wenig Wochen standen sie und die Tante an seinem Sarge. Ihr ganzes Leben war nur ein Schrei des Schmerzes, der Robert herbeirief, um alles Leid an seinem Herzen auszuweinen, um alle Liebe, die der theure Vater besessen hatte, auf den geliebten Freund zu vererben – aber Robert, obgleich ihm der Todesfall angezeigt worden, kam nicht zurück; und seine Mutter äußerte gegen Frau von Alven, daß ihr Sohn wol so bald nicht heimkehren würde, da Berufsverhältnisse und, wie sie glaube, auch eine Herzens-Neigung ihn an seinen jetzigen Aufenthalt fesselten. Frau von Alven erschrak, hielt es aber für ihre Pflicht, endlich einmal mit Clementinen offen über deren Zukunft zu sprechen. Sie war durch den Tod ihres Vaters unumschränkte Herrin ihrer Handlungen geworden; die Tante sehnte sich in ihre Vaterstadt zurück, und so trat sie eines Tages ganz plötzlich mit der Frage vor die Nichte hin, welche Plane sie nun für die nächste Zeit gemacht habe? Sie verhehlte ihr dabei nicht, daß sie Berlin zu verlassen wünsche, verschwieg ihr nicht, was Roberts Mutter ihr gesagt hatte, und war nicht wenig überrascht, Clementine bei der Nachricht, die für sie ein Todesstoß sein mußte, anscheinend ruhig zu finden.
»Ich weiß es längst, gute Tante!« sagte sie, »daß Robert mich nicht liebt, sehr lange schon; und daß er jetzt für mich kein Wort des Trostes, der Theilnahme hat, keinen Gruß durch die Seinen, das nimmt mir mit dem letzten Zweifel die letzte Hoffnung; aber es ändert in meinen Gefühlen für ihn Nichts. Wir waren Beide durch keinen Eid an einander gebunden, Robert liebt mich nicht mehr, hat mich vielleicht nie geliebt, und ich habe sein Wohlwollen für Liebe gehalten – so glaubt er sich frei und ist es auch; denn nicht der Eid, sondern die Liebe bindet. Ich aber liebe ihn mehr als je, er ist Alles, Alles, was ich liebe, und darum bin ich sein, auch wenn wir uns nie wieder sehen sollten. Entgegne mir darauf Nichts,« fuhr sie fort, als ihre Tante eine Einwendung machen wollte, »ich weiß, wie gut Du es mit mir meinst; darum laß mich mir selbst. Dich aber länger von den Freunden und der Heimat zu trennen, wohin es Dich zieht, dazu habe ich kein Recht. Marie verlangt nach mir, ich werde nach Heidelberg gehen, werde ihr nützlich sein und in dem Kreise ihres Hauses meine Zukunft finden. Versprich mir aber, daß Du mir nie fehlen wirst, wenn ich Dein bedarf.«
Frau von Alven weinte still; Clementine kniete vor ihr nieder, küßte ihre Hände und bat: »und nun noch Eins! Ich habe seit Jahren mehr gelitten, als ich zu leiden für möglich hielt; ich fürchte jede Berührung meiner tiefen Wunde mehr als den Tod; versprich mir, daß Robert's Name nicht mehr zwischen uns genannt wird und daß wir uns trennen ohne Abschied; wir bleiben ja doch im Innern stets beisammen.«
Die Tante gelobte Alles und wenig Wochen darauf rollte der Postwagen, welcher Frau von Alven in ihre Heimat führte, an Clementinens Wohnung vorüber, in der sie mit ihrem Schwager am Fenster stand, der gekommen war, sie nach Heidelberg abzuholen.
Nach den schmerzlichen Aufregungen der letzten Zeit, dem wehmüthigen Gefühl, von den Räumen zu scheiden, die so lange die stillen Zeugen ihres Lebens waren, that die Ruhe im Hause ihrer Schwester Clementinen anfänglich sehr wohl. Sie hatte die junge Frau fast unverändert gefunden. Marie liebte ihren Reich von Herzen, betete ihre beiden Kinder an, sorgte treulich für ihr Haus und war eine Frau, wie die Mehrzahl der Männer sie wünscht. Der Professor hielt regelmäßig seine Vorlesungen, arbeitete den Rest der Zeit emsig in seiner Studirstube und ließ sich während der Mahlzeiten mit der größten Theilnahme Alles erzählen, was in der Zwischenzeit von der Frau, den Kindern und den Dienstboten irgend zu erzählen war. Beide Eheleute waren durchaus zufrieden mit einander und wünschten nichts Besseres, als daß es immer so bliebe. Ohne bestimmten Blick in die Zukunft, ohne lebhaftes Gedenken einer Vergangenheit, ging ein Tag nach dem andern hin, und alle Abwechselung in Marien's Leben machte der Besuch gleichgestimmter Frauen und ein Spaziergang in der nächsten Umgebung. – Es dauerte auch nicht lange, bis Clementine sich äußerlich in diese Lebensart gefunden hatte, und bald war sie Allen unentbehrlich geworden. Ihr beweglicher Geist hatte tausend neue Spiele für die Kinder, manche Erleichterung für Marie, manche Bequemlichkeit für den Professor hervorgerufen; es machte ihr Vergnügen, die Ihrigen zu erfreuen – aber sie selbst fühlte sich einsamer als vorher. Getrennt von ihren gewohnten Umgebungen, von der Tante, der ihr ganzes Herz offen lag, in der gleichförmigen Lebensart im Reichschen Hause, fühlte sie eine solche geistige Leere, daß nur die schöne Natur Heidelbergs sie aus ihrer Apathie zu reißen vermochte. Um sich zu zerstreuen, suchte sie eifrig längst vernachlässigte Studien wieder hervor, sie schmückte ihr kleines Stübchen, das nach dem Neckar sah, auf das freundlichste; aber vergebens. Stundenlang saß sie mit dem Buche in der Hand, sah den schönen Strom vorüberfließen, blickte ernsthaft die kleinen Häuser von Weinheim an und sah doch Nichts, als Robert's Bild, wie er zuletzt vor ihr gestanden, dachte Nichts, als die tiefe Demüthigung, verschmäht zu sein.
In einem kleinen Orte wie Heidelberg konnte eine Erscheinung wie Clementine, nicht unbemerkt bleiben; ihre ganze Persönlichkeit flößte lebhaftes Interesse ein, während ihr nach Außen abgeschlossenes Wesen für Kälte und Stolz galt. Man hatte sie bei ihrer Ankunft in alle Zirkel eingeführt, und überall hatte sie einen neuen Reiz in die Gesellschaft gebracht; besonders waren es die jüngeren Mädchen und die älteren Männer, die sich ihr anschlossen. Die Mädchen, weil sie von ihr keine Beeinträchtigung zu fürchten hatten, da sie jede Annäherung und Bewerbung eben so fein als bestimmt zurückwies; die älteren Männer, weil in ihrer Unterhaltung so viel Belebendes und Anregendes lag, daß sie sich die glücklichen Bemerkungen, die Clementine sie machen ließ, unbedingt als ihr eigenstes Eigenthum zuschrieben.
Unter diesen Männern war unstreitig der Geheimrath von Meining der bedeutendste. Er galt für einen der ersten Aerzte Deutschlands, war ein stattlicher Mann von fünfzig Jahren und so wohl erhalten, daß er den Ansprüchen, auch durch sein Aeußeres zu gefallen, nicht ganz entsagt hatte. Man sah, daß er in der Jugend ein schöner Mann gewesen sein mußte, und mit einer bei älteren Männern nicht seltenen Eitelkeit ließ er bisweilen errathen, daß ihm das Glück bei den Frauen hold gewesen sei. Auch stand er noch jetzt in großer Gunst bei den Damen und wurde gern gesehen in jeder Gesellschaft. Manche Mutter hätte ihn, der ihr selbst früher den Hof gemacht, recht gern zum Schwiegersohne angenommen, und allerdings war er, vermöge seiner Stellung, Das, was man gewöhnlich eine gute Partie zu nennen pflegt. In seiner Jugend hatte er die Frauen zu sehr geliebt, um sich an Eine dauernd binden zu mögen; dann hatte diese Leidenschaft ernsten Studien Platz gemacht. Er hatte Reichthum, Ehre und einen großen Ruf erworben, und der Gedanke, sich zu verheirathen, war allmälig ganz in den Hintergrund getreten, je mehr Reiz die materiellen Genüsse des Daseins für ihn gewannen und je mehr sich die eigenthümliche Selbstsucht aller Hagestolzen in ihm ausgebildet hatte. Doch war sein Gefühl für das Schöne und Gute niemals erloschen; er war in einzelnen Momenten einer Lebhaftigkeit und Hingebung fähig, die einem jüngeren Manne anzugehören schienen, und in dieser Stimmung konnte er die bedeutendsten Opfer bringen; dann fühlte er die Möglichkeit und den Wunsch, Andere an seinem Glücke Theil nehmen zu lassen, und hätte vielleicht daran gedacht, eine Frau zu nehmen, wenn es ihm nicht unbequem gewesen wäre, danach zu suchen. Doch ließ er sich die Neckereien über diesen Punkt recht gern gefallen und lächelte wohlgefällig, wenn man behauptete, an einem schönen Morgen werde er einst ganz plötzlich mit einer Braut angefahren kommen, die ein Phönix an Schönheit und Liebenswürdigkeit sein und ihm wie ein Ideal erscheinen werde; sowie sein Haus ihm das schönste, sein Rock der beste und überhaupt Alles, was sein eigen, ihm als das Vollkommenste vorkomme.
Als Freund des Professors Reich und als Arzt der Familie hatte er Clementine in deren Häuslichkeit kennen und schätzen gelernt. Er hatte durch Marien, noch vor Clementinens Ankunft, erfahren, daß diese dem Grame über eine unglückliche Liebe fast erlegen sei, und nun sah er sie selbst: noch schön, obgleich lange über die erste Jugend hinaus, und liebenswürdiger und geistreicher als irgend eine Frau, die er kannte. Er sah das Mädchen, das der Mittelpunkt der Gesellschaft geworden, eben so liebenswürdig im Hause; sie hatte Rath für den Bedrängten und die zärtlichste Sorgfalt für den Leidenden; unermüdlich besorgt für Andere, schien sie zufrieden, ohne gerade froh zu sein, und ihre Ruhe wurde durch jene kleinen Veranlassungen, welche die meisten Frauen außer Fassung bringen, niemals erschüttert. Ihre äußeren Vorzüge zogen ihn an, und wenn er manchmal auf ihrem ausdrucksvollen Gesicht die Spuren eines tiefen Leidens, oder gar ihre Augen noch trübe von vergossenen Thränen sah, flößte sie ihm eine lebhafte Theilnahme ein. Er hatte einmal mit Reich über Clementine gesprochen, und diese hatte geäußert, seine Schwägerin sei allerdings ein vortreffliches Mädchen, nur leider zu überspannt, und er wünsche nichts sehnlicher, als daß sie bald einen vernünftigen Mann bekäme, den sie liebe; denn sonst würde sie zu Grunde gehen durch ihren selbstgenährten Gram.
Ob Reich diese Bemerkung absichtlich gemacht, ob eine Absicht in des Geheimraths Frage gelegen, lassen wir dahingestellt sein; nur das steht fest, daß von jenem Tage an in Meining der Gedanke an eine Verbindung mit Clementinen erwachte. Dieses Mädchen in seinem Hause walten zu sehen, von ihrem Geiste seine Mußestunden verschönen zu lassen, ihrer milden Pflege in kranken Tagen zu genießen und sie, der er von Herzen zugethan war, ihren Kummer vergessen zu machen, war bald sein Lieblingswunsch geworden. Er hielt sich für den Mann, der sie über den verlorenen Geliebten zu trösten vermöchte, und je mehr und je länger er seine Bewerbungen um sie fortsetzte, je werther wurde sie ihm, je gewisser, daß er ihr nicht gleichgültig bleiben könne. So trat er denn, nachdem sie einen Abend vorher sich freundlich in Gesellschaft begegnet waren, am nächsten Morgen mit seiner Werbung um Clementinens Hand vor den Professor hin.
Reich war sehr erfreut, Marie entzückt über das Glück, das sich ihrer Schwester bot; Clementine allein sagte, wie so oft schon: »ich kann und werde nicht heirathen.«
Man schrieb der Tante, Frau von Alven bestürmte die Arme mit den dringendsten Vorstellungen, Meining wollte ihr Zeit lassen, sich zu entschließen, und unterdessen nahmen die Ermahnungen und das Zureden des Professors und Mariens kein Ende; die Unterhaltungen, mochten sie mit dem Fernliegendsten beginnen, endeten zu Clementinens Qual doch immer wieder mit dem Geheimrath von Meining.
Bei einer solchen Scene fanden wir die Schwestern, am Anfang unserer Erzählung, und es war nöthig so weit zurückzugehen, um den Leser mit den handelnden Personen bekannt zu machen, wobei wir uns zugleich das Recht vorbehalten, den Faden der Ereignisse, so oft es uns geeignet scheint, in den eigenhändigen Papieren und Briefen derselben zu verfolgen.
Sinnend stand Clementine am Fenster, als sie in ihr Zimmer getreten war; die Gedanken zogen, wie Bilder eines Schattenspieles, schnell an ihrer Seele vorüber; sie wollte dem Zureden ein Ende machen und mit der Tante dabei beginnen. So setzte sie sich denn nieder und schrieb:
Dein Brief hat mir wehe gethan, liebe Tante! Traust Du mir bei meinen Handlungen keine anderen Beweggründe, als Ueberspannung oder Eigensinn zu? Hältst Du mich denn für ein Kind, das die Verhältnisse des Lebens verkennt? So gut als Ihr Alle weiß ich, daß nach den Begriffen der Welt die Stellung einer verheiratheten Frau der eines Mädchens vorzuziehen ist. Glaubt mir aber, daß es eine tiefe Nothwendigkeit ist, die mich abhält, den Schritt zu thun, zu dem Ihr Alle mich überreden möchtet.
Ich hasse die Ehe nicht; im Gegentheil, ich halte sie so hoch, daß ich sie und zugleich mich zu erniedrigen fürchte, wenn ich dies heilige Band knüpfte, ohne daß mein Gefühl Theil daran hätte. Was kann es Beglückenderes geben, als mit einem geliebten Manne sein Leben hinzubringen? Für ihn zu sorgen, seine Freuden und Leiden zu theilen; zu wissen: Alles, was mein Herz bewegt, Alles, was mich berührt, theilt und fühlt mein bester Freund mit mir? Beide leben dann ein doppeltes Leben. O! ich habe mir das oft sehr schön gedacht, ich habe es heiß gewünscht, und ich halte heute noch die Ehe für den einzigen Weg, der den Menschen zu der größten Vollkommenheit führt, die seiner Individualität möglich ist. Darum aber kann ich den Gedanken an eine gleichgültige Ehe nicht ertragen, weil sie für mich eine unglückliche wäre; und ich habe es nie begreifen können, wie in der Ehe irgend Etwas die Menschen an einander kettet, als ihr Herz. Die Ehe ist in ihrer Reinheit die keuscheste, heiligste Verbindung, die gedacht werden kann; rein, wie ein Engel des Lichts, geht das Weib aus den Armen ihres geliebten Gatten hervor, und wenn man mir, nach dem katholischen Ritus, die Madonna, die reine Mutter Gottes nannte, hat für mich ein rührend tiefer Sinn darin gelegen, ein ganz anderer Gedanke, als die Kirche ihn will. Ja! die Ehe ist rein! und aus der Umarmung liebender Gatten kann ein göttlicher Mensch, ein Retter der Welt entstehen.
Aber was hat man aus der Ehe gemacht? Ein Ding, bei dessen Nennung wohlerzogene Mädchen die Augen niederschlagen, über das Männer witzeln und Frauen sich heimlich lächelnd ansehen. Die Ehen, die ich täglich vor meinen Augen schließen sehe, sind schlimmer als Prostitution. Erschrick nicht vor dem Worte, da Du mich zu der That überreden möchtest. Ist es nicht gleich, ob ein leichtfertiges, sittlich verwahrlostes Mädchen sich für eitlen Putz dem Manne hingibt, oder ob Eltern ihr Kind für Millionen opfern? Der Kaufpreis ändert die Sache nicht; und ich gestehe Dir, ich würde das Weib, das augenblickliche Leidenschaft und heißer Sinnentaumel hinreißt, groß finden, gegen Diejenige, die das Bild eines geliebten Mannes im Herzen sich dem Ungeliebten ergibt, für den Preis seines Ranges und Namens. – Könnte ich glauben, der priesterliche Segen hätte Kraft zu binden und zu lösen, könnte das »Ja«, das ich spräche, eine ganze Vergangenheit aus meiner Seele tilgen, wer weiß, was ich thäte. So aber! – Ich liebe nun einmal einen Mann, der mich verschmäht, dem meine ganze, ungetheilte, anbetende Liebe kein Glück zu bieten vermochte, als ich jung und schön war; und ich sollte einen Ehrenmann, der von mir die Freude seines Lebens erwartet, mit einem heiligen Eide betrügen? Ich sollte ihm ein Weib werden, das die Achtung vor sich selbst verloren hat? Das könnt Ihr nicht meinen, das kannst Du nicht wollen. Ich denke mit Ruhe an Robert, so lange ich mir selbst lebe; tritt aber der Gedanke, einem Anderen gehören zu sollen, vor mein Auge, dann sehe ich, daß ich nur in Robert lebe und daß mir der Traum der Vergangenheit mehr ist, als irgend eine Zukunft mir bieten könnte. Laß mir die Ruhe meines Bewußtseins.
Clementine.
Der Geheimrath v. Meining an Clementine Frei.
Mein theures Fräulein! Seit längerer Zeit erwarte ich Ihre Antwort auf eine Frage, die über meine Zukunft entscheiden soll. Sie wissen, wie werth Sie mir sind, lassen Sie mich offen sagen, wie warm und innig ich Sie liebe, wenn gleich es einem Manne reiferen Alters nicht anstehen mag, eine Leidenschaft zu bekennen, die der Jugend angehört. Ich habe in meinem Berufe Frauen in allen Verhältnissen kennen lernen, und ich achte das Weib; ich achte und liebe in Ihnen das Weib, das klar über sich selbst und das Leben, zu dem Gefühl seiner Würde gekommen ist. Ich bin nicht jung genug, Theuerste! Ihnen schwärmerische Schwüre zu leisten, aber ich biete Ihnen meine Hand mit offenem Herzen. Was ein besorgter Gatte, ein zärtlicher Freund Ihnen sein könnte, das schwöre ich, das sollen Sie in mir finden, und dadurch allein will ich Sie gewinnen; nur aus freier Neigung sollen Sie die Meine werden.
Ich verlasse Heidelberg auf kurze Zeit: Sie sollen Ruhe haben, einen Entschluß zu fassen. Möge er zu meinen Gunsten sein! Der Ihrige.
v. Meining.
Frau v. Alven an Clementine.
Ich ehre Dein Gefühl, mein Kind! wenn gleich ich es nicht unbedingt richtig heißen kann, und es liegt mehr Selbstsucht darin, als Du zu glauben scheinst. Du gefällst Dir darin, Dich als die Leidende, die Reine zu betrachten, und Du bist Beides. Ich weiß, was Du geduldet hast, kenne ganz Dein reines Herz; Du bist unglücklich geworden durch Deine Liebe und durch Robert's Wankelmuth, bist gegen Deinen Willen sein Opfer geworden: das entbindet Dich nicht von der Pflicht, Dich mit Bewußtsein, aus freier Wahl für das Wohl Anderer zu opfern. Das Weib ist geschaffen, sich liebend hinzugeben und zu beglücken; thust Du das? Du glaubst Dich mit Deiner Pflicht abgefunden, wenn Du Marien Dein Leben widmest, ihr den Haushalt erleichterst, obgleich sie dessen nicht bedarf. Du nimmst Dich der Kinder an, wenn Du Neigung dazu hast, glaubst sie zu erziehen, und der Menschheit, die an jeden von uns Rechte hat, damit Deine Schuld zu zahlen.
Belüge Dich nicht selbst, mein Kind! Du, vor Vielen dazu berufen, einem Manne das Leben zu verschönen, mit dem unerschöpflichen Reichthum an Liebe und Nachsicht, Du willst das nicht, weil es Dir zu schwer scheint, ernst gegen eine Neigung anzukämpfen, deren Gegenstand diese Liebe gewiß nicht einmal wünscht und Deiner nicht mehr denkt. Und wenn Mariens Kinder, die Du so sehr liebst, heranwachsen, wenn Marie und die Kinder Deiner nicht mehr bedürfen werden, was wird dann die unvermeidliche Leere Deines Herzens ausfüllen? –
Ich habe das Glück, Mutter zu sein, nur wenige Tage gekannt, und doch wirft das Andenken daran ein verschönendes Licht über mein ganzes Leben; magst Du noch so scharf und richtig denken, noch so lebhaft fühlen, das Glück kannst Du nicht begreifen, nicht ermessen, bis Du es gekannt hast. Ich selbst habe Alven ohne alle Neigung geheirathet, komme ich Dir deshalb wie eine Verworfene vor? Das aber schwöre ich Dir, so lieb mir Dein Glück ist, ich habe den Vater meines Kindes von Grund der Seele geliebt; wir haben uns in guten und bösen Stunden treu zur Seite gestanden, und ich habe nach seinem Tode mich nie entschließen können, zu einer zweiten Ehe zu schreiten, obgleich ich sehr jung war und es mir, wie Du weißt, an Bewerbern nicht fehlte.
Ich mag Dir hart scheinen, aber ich bekenne es, ich werde irre an Dir. Du hältst so viel darauf, die Achtung vor Dir selbst nicht zu verlieren, weil Dir das leichter wird, als die unsere zu verdienen. Du achtest Dich, wenn Du Deiner Liebe treu bleibst, das ist bequem und leicht – wir aber würden Dich achten, wenn Du dem Glücke eines Anderen, eines braven Mannes, Deine Neigungen zu opfern im Stande wärest. Zwingen kann man Dich nicht, Du bist reich und unabhängig in jeder Beziehung; aber ich wende mich an Dein richtiges Urtheil, an Deine Wahrheitsliebe und an Dein Herz. Täusche Dich nicht selbst; täusche nicht die Erwartungen Deiner mütterlichen Freundin.
Clementine an den Geheimrath v. Meining.
Der Mann, der mir mit so ehrendem Vertrauen entgegenkommt, der mir seine Zukunft weihen will, muß wissen, an wen er sich gewandt hat; und wahr, wie gegen mich selbst, will ich gegen Sie sein.
Eine tiefe, leidenschaftliche Liebe hat seit meiner frühesten Jugend mein Herz erfüllt; diese Liebe ist nur flüchtig erwidert worden, sie hat mein Herz gebrochen. Einsam, mit meinem Schmerz nach innen gewiesen, sind mir Jahre des Leidens vergangen; ich habe mich gewöhnt allein zu stehen, ich habe es versucht, die Erinnerung an meine Liebe zu bekämpfen – es ist mir nicht gelungen; und so konnte es mir nie einfallen, den Bewerbungen, mit denen man mich ehrte, Folge zu leisten, besonders da die Mehrzahl jener Bewerber mir vollkommen gleichgültig, und ich ihnen fast ganz fremd war.
Sie kennen mich lange und gut, und ich gestehe Ihnen gern, daß Ihre Freundschaft mir werth, daß mir an Ihrer Achtung gelegen ist; aber niemals die Ihre zu werden, war noch vor wenig Tagen mein fester Entschluß. Ich wollte mich nicht verheirathen. Nicht das Zureden meiner Schwester macht mich in meiner Gesinnung schwanken, sondern die ernsten Vorstellungen meiner Tante, die mich sehr ergriffen haben. Ich habe schwer mit mir gekämpft, und ich will die Ihre werden, wenn ich Ihnen nach diesen Geständnissen genüge. Ich erkenne vollkommen und freudig Ihren Werth an, darum aber zweifle ich, daß ein gebrochenes Herz Ihrer würdig sei.
Glauben Sie dennoch, daß ich zu Ihrem Glücke beitragen könne, so thue ich es von Herzen, und will streng über mich wachen, das Glück zu verdienen, das einer Frau an Ihrer Seite werden kann. Mit innigster Achtung.
Clementine.
Der Geheimrath v. Meining an Clementine.
Haben Sie Dank! wir werden glücklich sein. Theure, holde Geliebte! Ist es denn nicht die Pflicht des Arztes, zu heilen und zu lindern? Wie gern will ich Dich schonen, meine Clementine! wie sorgsam werde ich die wunde Seele meines kranken Weibes hüten und heilen! Wirf die Vergangenheit von Dir, insofern sie Dich schmerzt, bewahre jedes Andenken, das Dir werth ist; nur Eines versprich mir und nimm es als Beweis meines vollen Vertrauens – nenne mir nie den Namen des Mannes, der Dich leiden machte, niemals, Geliebte! Ich kenne Dich und traue Dir unbedingt. In drei Tagen kehre ich zurück; möge die Hoffnung auf dies Wiedersehen, meine holde, meine theure Braut! Dich so beglücken, als mich. Auf Wiedersehen denn, Geliebte! Der Deine.
Meining.
Die Tage bis zur Rückkehr des Geheimraths vergingen Clementinen in der heftigsten Aufregung. Der Brief ihrer Tante, die Bitten und Vorstellungen Reich's und ihrer Schwester, hatten sie zu einem Entschlusse gebracht, dessen sie sich nie fähig gehalten hätte. Meining war ihr mit so edlem Vertrauen entgegengekommen; es hob sie in ihren eigenen Augen, daß sie, deren Herz seine Jugend eingebüßt hatte, noch einen so bedeutenden Mann, als Meining, fesseln und beglücken könne; sie wollte ein neues Leben beginnen, weil sie es nun einmal gelobt, ihre Vergangenheit zu opfern; und bei all' diesen Entwürfen zitterte sie vor dem Gedanken an Meining's Ankunft.
Während der letzten Nacht, die sie schlaflos verbrachte, fiel ihr plötzlich ein, sie müsse eigentlich noch einmal an Robert schreiben, ihm ihre Verlobung anzeigen und ihm befehlen, sie ganz wie eine Fremde zu betrachten, wenn sie jemals sich begegnen sollten. Aber Robert schreiben? durfte das Meining's Braut! – ihm befehlen, sie zu meiden, hieße ja, ihm bekennen, daß er ihr theuer und gefährlich sei, und befehlen? – ihm befehlen, dessen Auge ihr Leitstern, dessen leisester Wunsch ihr unumstößlichstes Gesetz gewesen war? – Alle ihre alten Qualen, alle ihre Gewissensbisse bestürmten sie aufs Neue, sie wollte für Meining leben und dachte nur an Robert. In wirren Fieberträumen verging der letzte Theil der Nacht, der Morgen sah hell und klar in ihr Fenster, als sie die schweren, müden Augenlider aufschlug. Sie war vollkommen ermattet, ließ sich theilnahmlos ankleiden und sah kalt wie eine Fremde den Anstalten zu, die Marie mit unruhiger Freude für die Ankunft des Geheimraths traf.
Endlich erschien er. Clementine, die in entscheidenden Momenten eine große Gewalt über sich besaß, ging ihm bis zur Thüre entgegen und bot ihm ihre Hand zum Willkomm; er schloß sie herzlich in seine Arme, küßte ihre Stirne und der Bund war geschlossen.
Es liegt im Charakter der Frauen, sich in unabwendbare Verhältnisse leichter zu fügen, als man es nach der Unruhe, die sie vor der Entscheidung peinigt, für möglich halten sollte. So war denn auch die neue Braut plötzlich zu einer Ruhe und Klarheit gekommen, die Meining entzückte, und ihrer Familie die Ueberzeugung gab, daß sie Recht gethan hätte, auf diese Verbindung zu dringen. Es war im Beginne des Frühjahres, und schon im Juni sollte die Hochzeit gefeiert werden. Clementine traf selbst die nöthigen Anstalten für den neuen Haushalt, hatte eine Menge Meldungsbriefe an entfernte Freunde zu schreiben, Glückwünsche zu beantworten und blieb dadurch in einer fortwährenden Thätigkeit, die ihr wenig Zeit zum Nachdenken übrig ließ. Ihr Bräutigam brachte jeden Abend und jede Stunde, die sein Beruf ihm frei ließ, in ihrer Gesellschaft zu und hatte, aufgeregt durch die neuen Verhältnisse, eine Jugendlichkeit wieder gewonnen, die er längst verloren, und deren er sich nicht mehr fähig geglaubt hatte. So war sie ihm von Herzen gut geworden, da sie mit jedem Tage seinen gebildeten, klaren Geist und seinen liebenswürdigen Charakter mehr kennen lernte, der sich freilich grade jetzt in seinem günstigsten Lichte zeigte, und darum Clementine die Hoffnung auf eine beglückende Zukunft gab.
Indessen rückte endlich der Hochzeitstag heran, dessen Vorabend in einer befreundeten Familie, nach alter, deutscher Art, mit Poltern zugebracht werden sollte. Dem Brautpaare selbst war das nichts weniger als angenehm; man konnte sich aber dem wohlgemeinten Anerbieten der Freunde nicht füglich entziehen, und Meining äußerte lachend, am Ende sei auch eine ganze glückliche Zukunft mit ein paar lästigen Stunden nicht zu schwer erkauft. Sie fuhren zum Polterabende hin und Clementine fühlte sich auf das Unangenehmste berührt von dem widrigen Wechsel possenhafter Scherze und ganz ernsthafter Gedanken, weil sie selbst so ernst, so feierlich gestimmt war, daß jeder Scherz sie verletzen mußte. Meining hingegen nannte das Ganze nur eine langweilige Einrichtung, die man aber leicht aushalten könne, und mußte über manchen Einfall von Herzen lachen, obgleich er eben so froh war als seine Braut, als die Gesellschaft sich endlich trennte, da die Mitternacht lange vorüber war. Nachdem er Clementine vor ihrem Hause aus dem Wagen gehoben hatte, und sie, einen Augenblick vor der Thür weilend, sich nach dem Schlosse wendete, fielen die letzten matten Strahlen des Mondes zitternd darüber hin, und es schien ihr unmöglich, sich jetzt, mit dem übervollen Herzen, in die engen Räume eines Zimmers zu sperren.
Lieber Freund! bat sie, wenn Sie nicht zu müde sind, geben Sie heute noch einem, vielleicht überspannten Einfalle nach; ich will dafür auch von morgen ab eine grundvernünftige Frau werden. Lassen Sie uns hinauf gehen auf's Schloß, es ist kaum eine Stunde bis Sonnenaufgang; wir wollen heute, an dem Tage, an dem uns Beiden ein neues Leben beginnt, auch den Tag beginnen sehen.
Der Geheimrath war es gern zufrieden; die Nacht war schön und mild. Schweigend stiegen sie den Weg hinan, der von der Hirschgasse aufwärts führt. Eine Reihe wechselnder Gedanken zogen durch Clementinens Brust, sie sah Meining an, und auch vor seinem geistigen Auge schien sein früheres Leben, schien ihre Zukunft vorüberzugehen. Es war ein feierlicher Gottesdienst in ihrem Herzen. Oben auf der Höhe angelangt, sah man nichts, als einen dichten, weißen Nebel, der die ganze Gegend verdeckte; die Luft wehte kühl und Meining zog besorgt die wärmende Hülle um die schlanke Gestalt seiner Braut. Gedankenvoll ließen sie sich auf der Bank vor dem Weingärtchen nieder. Da plötzlich schmettert ein tausendstimmiger Lerchenchor gen Himmel, der Nebel zerreißt vor dem ersten Lichtblick der Sonne, und wie von unsichtbaren Geisterhänden fortgezogen, schwindet der dichte, weiße Schleier und das Neckarthal liegt vor den trunkenen Augen der Entzückten. Drüben das kleine Weinheim mit seinen in Laub versteckten, weißen Häusern; vor ihnen der lachende, jugendmuthige Strom mit Kähnen, die von Neckargemünd daherzogen, um sie her die Wipfel der Bäume, die am Fuße des Berges wurzeln, mit dem berauschenden Dufte der ganzen reichen Vegetation, und zu ihren Füßen das kleine schlummernde Heidelberg. Clementine war sehr ergriffen von der Herrlichkeit des Augenblicks. Das reinste, heiligste Gefühl zog ihr Herz zu den Menschen, die Gott einer solchen Welt werth gehalten, und mit Thränen der Begeisterung warf sie sich an Meining's Brust und sprach: Ach, laß uns schön sein, wie diese Welt, wahr und rein, wie dies Licht. Jetzt, jetzt bin ich Dein und mehr als irgend ein Eid morgen am Altare, bindet mich diese Stunde an Dich. Ja, wir wollen glücklich, wir wollen dieser Welt werth sein! Sieh, Guter! ich habe jetzt nichts, nichts mehr auf der Welt als Dich. Sei Du meine Welt, stehe mir bei, wenn ich wanke, und verlasse mich nie!
Sie war während des Sonnenaufgangs plötzlich aufgestanden, in heftiger Bewegung vor Meining auf die Kniee hingesunken und badete seine Hände in Thränen. Er zog sie, gerührt und erschreckt durch ihre Leidenschaftlichkeit, empor, preßte sie fest an seine Brust, und der innige Druck seiner Hand, der Ton seiner Stimme hatten noch mehr Beruhigendes, als die Worte: Mein theures, theures Weib! ich werde Dir nie fehlen, Du bist mein und nichts soll uns jemals trennen. – Eine Weile hielt er sie noch schweigend in den Armen, dann trieb er zum Aufbruch, denn Clementine schauerte in der leichten Kleidung; und um sie allmälig zu beruhigen, sagte er scherzend: komm, komm, mein Herz! daß uns die guten Heidelberger nicht zurückkehren sehen; was würden die von ihrem Arzte denken, wenn sie wüßten, daß er seine Braut dem ungesunden Morgennebel preis gibt. – So, unter freundlichen Gesprächen, führte er die leidenschaftlich Bewegte den Berg hinab zu ihrem Hause.
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