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In "Clementine" behandelt sie eindrücklich und emotional die Problematik "arrangierte Heiraten".
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Seitenzahl: 177
Veröffentlichungsjahr: 2016
Fanny Lewald
Clementine
Impressum
Cover: "Worüber soll das Gedicht sein?" von Hermann Fenner Behmer
Covergestaltung: nexx verlag gmbh, 2015
ISBN/EAN: 9783958705630
Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam angepasst.
www.nexx-verlag.de
Also weil der Herr Geheimrat mich gestern geistreich gefunden, soll und muss ich ihn heiraten? fragte Clementine und sah dabei lachend ihre jüngere Schwester, die Professor Reich, an, die ganz erhitzt auf dem Sofa ihres Wohnzimmers saß.
Darum allein nicht, entgegnete diese, aber Du darfst diese Verbindung nicht ausschlagen, wie alle andern, die sich Dir boten. Der Geheimrat von Meining ist ein sehr geachteter, fein gebildeter und reicher Mann; er ist freilich 50 Jahre, Du bist aber schon 27, was kann denn passender sein? Du hast mir selbst gesagt, dass Du an Dein früheres Verhältnis zu Robert Thalberg mit vollkommener Ruhe dächtest; warum also wieder ein Glück, ein wahrhaftes Glück von Dir weisen, das sich Dir vielleicht nie wieder bietet? Mein Mann wünscht diese Verbindung, die Tante, Deine letzte Instanz, dringt darauf, Meining erwartet das Glück seines Lebens davon und Du selbst hältst Meining nicht nur für einen liebenswürdigen, sondern auch für einen ehrenwerten Mann; was willst Du denn eigentlich, Clementine?
Ich will nicht lügen, Marie! Ich will, ich kann es nicht, und je achtenswerter mir der Geheimrat erscheint, umso weniger möchte ich ihn täuschen; ich kann nicht heiraten, quäle mich nicht.
Beide Damen gingen fast erzürnt voneinander; die kleine, rosige Professorin in die Arbeitsstube ihres Mannes, um ihm das vermutliche Misslingen ihres Planes mitzuteilen; die ernste, schlanke Clementine auf ihr Zimmer, um den Sturm, den diese Unterhaltung in ihr erregt hatte, ruhig austoben zu lassen.
Clementine und Marie Frei waren die Töchter eines hochgestellten preußischen Beamten. Sie hatten früh ihre Mutter verloren und eine Tante, Frau von Alven, eine kluge, feinfühlende Frau, die Witwe und deren einziges Kind früh gestorben war, hatte die Erziehung der beiden Mädchen im Frei'schen Haus übernommen. Nichts konnte aber verschiedener sein, als der Charakter dieser beiden Schwestern: Clementine, heftig, geistreich und zu tiefem Fühlen geneigt, wurde schnell von plötzlichen Eindrücken gefesselt, die sich dauernd ihrer Seele einprägten; was sie einmal ergriffen hatte, was ihr lieb geworden war, das konnte keine Macht ihr entreißen, das hielt sie fest fürs Leben. Aus diesem Gefühl entsprang die treue Anhänglichkeit für Frau von Alven, die innige Liebe für ihren Vater und die fast mütterliche Zärtlichkeit für die um sechs Jahre jüngere Marie; aber zugleich auch eine leidenschaftliche, unwandelbare Liebe für Robert Thalberg, einen jungen Mann, mit dem sie in ihrer ersten Jugend in allen befreundeten Familien zusammen getroffen war.
Thalberg hatte in tausend Dingen die auffallendste Charakterähnlichkeit mit Clementinen. Auch auf ihn wirkten in seiner Jugend die Eindrücke des Moments, und obgleich mit dem schärfsten Verstande und ungewöhnlichem Geiste begabt, hatte sein leidenschaftliches Herz ihn häufig fortgerissen und er sich oft dadurch in eigentümlich verwickelte Verhältnisse gebracht, die bald störend, bald fördernd auf ihn gewirkt.
Ein ungebändigter Freiheitssinn, ein an Tollkühnheit grenzender Mut, eigensinniges Beharren auf seinem Willen und doch eine fast kindliche Weichheit gegen die Personen, die er liebte, machten ihn für die Frauen unwiderstehlich; besonders da ein imposantes, männlich schönes Äußere gleich anfangs für ihn einnahm. Thalberg hatte der lebhaften, interessanten Clementine, wie alle jungen Leute ihres Kreises, seine Huldigungen dargebracht, weil sie hübsch und in der Mode war; bei näherer Bekanntschaft entdeckten Beide aber eine solche Ähnlichkeit in ihren Neigungen und Gesinnungen, sie begegneten sich so oft in ihrem Enthusiasmus für das Schöne, dass das gewöhnliche Wohlgefallen sich in eine wirkliche, ernste Neigung verwandelte und sie sich gegenseitig, ohne durch bestimmtes Versprechen an einander gebunden zu sein, als zu einander gehörend betrachteten. Clementines Verwandte sahen ein Verhältnis, das für die Zukunft so viel Glück zu versprechen schien, ruhig wachsen, und als Thalberg Berlin verließ, nahm man allgemein an, dass das junge Paar längst einig und verlobt sei. Clementine selbst lebte jetzt nur in der Erinnerung an Robert; Alles, was ihr begegnete, was sie tat, wurde im Geiste Robert's Urteil unterworfen, der, um mehrere Jahre älter als sie, einen wesentlichen Einfluss auch auf ihre geistige Richtung ausgeübt hatte. Sie liebte Alles, was seinem Willen angemessen schien, verwarf Alles, was gegen seine Ansichten sein konnte, und lebte getrennt von ihm, mitten in der Gesellschaft, doch ganz allein mit dem fernen Geliebten; wie jene Nonnen, die, sich beständig unter den Augen ihres himmlischen Bräutigams wähnend, nur seinem Willen leben und kein anderes Gesetz kennen als das seine. Die Liebe zu dem Abwesenden war ein religiöser Kultus in ihrer Brust, und selbst der Gedanke, es könne ihr jemals möglich sein, den dringenden Bewerbungen anderer Männer die geringste Aufmerksamkeit zu gönnen, fiel ihr nie ein. Sie liebte die Ihrigen, half der Tante treulich die schöne Marie erziehen und bildete rastlos an sich fort, damit Robert, wenn er einst wiederkäme, sie nicht unter seinen Erwartungen fände.
So waren ein paar Jahre vergangen, die kleine Marie war zu einem reizenden Mädchen herangewachsen und das harmloseste, unbefangenste Kind geblieben. Ihre Familie, ihre Toilette, die Bälle, ihre kleinen Abenteuer von gestern – das war die Welt, die sie kannte; man liebte sie allgemein und was konnte sie noch wünschen? Sie war das verzogene Kind des Hauses. Bald nach ihrem 16. Geburtstage hatte Professor Reich um ihre Hand geworben, hatte die Zustimmung des Vaters erhalten und die kleine Braut war mit der Myrthenkrone und dem weißen Schleier zum Altare mit demselben Gefühle gegangen, mit dem sie ein Jahr vorher, am Tage ihrer Konfirmation, die Kirche betreten hatte. Sie hatte das Bewusstsein eines wichtigen Schrittes, ohne sich die Folgen desselben klar zu machen; und nachdem der schwere Abschied von Vater, Schwester und Tante vorüber war, folgte sie ihrem Manne, froh und sorglos wie ein Kind, nach Heidelberg, wo er angestellt war.
Clementine blieb nun allein zurück. Sie war stiller und ernster geworden, von Robert hatte sie nur selten gehört, die Zeit seiner Rückkehr wurde von den Seinen immer weiter hinausgeschoben und sie konnte es sich nicht verhehlen, dass Robert's Wunsch, sie wiederzusehen, lange nicht mehr so lebhaft sein müsse, als in jener Stunde, wo sie unter den heißesten Tränen mit dem ersten glühenden Kusse voneinander Abschied genommen hatten. In dieser Zeit erkrankte der Geheimrat Frei und nach wenig Wochen standen die Tante und Clementine an seinem Sarge; ihr ganzes Leben war nur ein Schrei des Schmerzes, der Robert herbeirief, um alles Leid an seinem Herzen auszuweinen, um alle Liebe, die der teure Vater besessen hatte, auf den geliebten Freund zu vererben – aber Robert, obgleich ihm der Todesfall angezeigt worden, kam nicht; und seine Mutter äußerte gegen Frau von Alven, dass ihr Sohn wohl sobald nicht zurückkehren würde, da Berufsverhältnisse und, wie sie glaube, auch eine kleine Neigung ihn an seinen jetzigen Aufenthalt fesselten. Frau von Alven erschrak, hielt es aber für ihre Pflicht, endlich einmal mit Clementinen offen über deren Zukunft zu sprechen. Sie war durch den Tod ihres Vaters unumschränkte Herrin ihrer Handlungen geworden; die Tante sehnte sich in ihre Vaterstadt zurück, und so trat sie eines Tages ganz plötzlich vor Clementine mit der Frage hin, welche Plane sie nun für die nächste Zeit gemacht habe? Sie teilte ihrer Nichte ihren Wunsch mit, Berlin zu verlassen, verschwieg ihr nicht, was Madame Thalberg ihr gesagt, und war nicht wenig überrascht, Clementine bei der Nachricht, die für sie ein Todesstoß sein musste, anscheinend ganz ruhig zu finden.
»Ich weiß es längst, gute Tante! sagte sie, dass Robert mich nicht liebt, sehr lange schon; und dass er jetzt für mich kein Wort des Trostes, der Teilnahme hat, keinen Gruß durch die Seinen, das nimmt mir mit dem letzten Zweifel die letzte Hoffnung; aber es ändert in meinen Gefühlen für ihn Nichts. Wir waren Beide durch keinen Eid an einander gebunden, Robert liebt mich nicht mehr, hat mich vielleicht nie geliebt, und ich habe sein Wohlwollen für Liebe gehalten – so glaubt er sich frei und ist es auch; denn nicht der Eid, sondern die Liebe bindet. Ich aber liebe ihn mehr als je, er ist Alles, Alles, was ich liebe, und darum bin ich sein, auch wenn wir uns nie wieder sehen sollten. Entgegne mir darauf Nichts, fuhr sie fort, als ihre Tante eine Einwendung machen wollte, ich weiß, wie gut Du es mit mir meinst; darum lass mich mir selbst. Dich aber länger von den Freunden und der Heimat zu trennen, wohin es Dich zieht, dazu habe ich kein Recht; Marie verlangt nach mir, ich werde nach Heidelberg gehen, werde ihr nützlich sein und in dem Kreise ihres Hauses meine Zukunft finden. Versprich mir aber, dass Du mir nie fehlen wirst, wenn ich Dein bedarf.«
Frau von Alven weinte still; Clementine kniete vor ihr nieder, küsste ihre Hände und bat: »und nun noch Eins! Ich habe seit Jahren mehr gelitten, als ich zu leiden für möglich hielt; ich fürchte jede Berührung meiner tiefen Wunde mehr als den Tod; versprich mir, dass Robert's Name nicht mehr zwischen uns genannt wird und dass wir uns trennen ohne Abschied; wir bleiben ja doch ewig beisammen.«
Die Tante gelobte Alles und wenig Wochen darauf rollte der Postwagen, welcher Frau von Alven in ihre Heimat führte, an Clementines Wohnung vorüber, in der sie mit ihrem Schwager am Fenster stand, der gekommen war, sie nach Heidelberg abzuholen.
Nach den schmerzlichen Aufregungen der letzten Zeit, dem wehmütigen Gefühl, von den Räumen zu scheiden, die so lange stille Zeugen ihres Lebens waren, tat die Ruhe im Haus der Professorin Clementinen anfänglich sehr wohl. Sie hatte die junge Frau fast unverändert gefunden; Marie liebte ihren Reich von Herzen, betete ihre beiden Kinder an, sorgte treulich für ihr Haus und war eine Frau, wie die Mehrzahl der Männer sie wünscht. Der Professor hielt regelmäßig seine Vorlesungen, arbeitete den Rest der Zeit emsig in seiner Studierstube und ließ sich während der Mahlzeiten mit der größten Teilnahme Alles erzählen, was in der Zwischenzeit von der Frau, den Kindern und den Dienstboten irgend zu erzählen war. Beide Eheleute waren durchaus zufrieden mit einander und wünschten nichts Besseres, als dass es immer so bliebe: ohne bestimmten Blick in die Zukunft, ohne lebhaftes Gedenken einer Vergangenheit, ging ein Tag nach dem andern hin und alle Abwechslung in Mariens Leben machte der Besuch gleichgestimmter Frauen und ein Spaziergang in der nächsten Umgebung. – Es dauerte auch nicht lange, bis Clementine sich äußerlich in diese Lebensart gefunden hatte, und bald war sie Allen unentbehrlich geworden; ihr ewig beweglicher Geist hatte tausend neue Spiele für die Kinder, manche Erleichterung für Marie, manche Bequemlichkeit für den Professor hervorgerufen; es machte ihr Vergnügen, die Ihrigen zu erfreuen – aber sie selbst fühlte sich einsamer als vorher. Getrennt von ihren gewohnten Umgebungen, von der Tante, der ihr ganzes Herz offen lag, in der gleichförmigen Lebensart im Reich'schen Haus, fühlte sie eine solche geistige Leere, dass nur die wunderbar schöne Natur Heidelbergs sie aus ihrer Apathie zu reißen vermochte. Um sich zu zerstreuen, suchte sie eifrig längst vernachlässigte Studien wieder hervor, sie schmückte ihr kleines Stübchen, das nach dem Neckar sah, auf das freundlichste; aber vergebens. Stundenlang saß sie mit dem Buche in der Hand, sah den schönen Strom vorüberfließen, blickte ernsthaft die kleinen Häuser von Weinheim an und sah doch Nichts, als Robert's Bild, wie er zuletzt vor ihr gestanden; dachte Nichts, als die tiefe Demütigung, verschmäht zu sein.
In einem kleinen Ort wie Heidelberg konnte eine Erscheinung, wie Clementine, nicht unbemerkt bleiben; ihre ganze Persönlichkeit flößte lebhaftes Interesse ein, während ihr nach Außen abgeschlossenes Wesen für Kälte und Stolz galt. Man hatte sie bei ihrer Ankunft in alle Zirkel eingeführt, und überall hatte sie einen neuen Reiz in die Gesellschaft gebracht; besonders waren es die jüngeren Mädchen und die älteren Männer, die sich ihr anschlossen. Die Mädchen, weil sie von ihr keine Beeinträchtigung zu fürchten hatten, da sie jede Annäherung und eben so fein als bestimmt zurückwies; die älteren Männer, weil in ihrer Unterhaltung so viel Belebendes und Anregendes lag, dass sie sich die glücklichen Bemerkungen, die Clementine sie machen ließ, unbedingt als ihr eigenes Eigentum zuschrieben.
Unter diesen Männern war unstreitig der Geheimrat von Meining der Bedeutendste. Er galt für einen der ersten Ärzte Deutschlands, war ein stattlicher Mann von 50 Jahren und so gut konserviert, dass er den Ansprüchen, auch durch sein Äußeres zu gefallen, nicht ganz entsagt hatte. Man sah, dass er in der Jugend ein schöner Mann gewesen sein musste, und mit einer bei älteren Männern nicht seltenen Eitelkeit ließ er bisweilen erraten, dass ihm das Glück bei den Frauen hold gewesen sei. Auch stand er noch jetzt in großer Gunst bei den Damen und wurde gern gesehen in jeder Gesellschaft. Manche Mutter hätte ihn, der ihr selbst früher den Hof gemacht, recht gern zum Schwiegersohne angenommen, und allerdings war er, vermöge seiner Stellung, Das, was man gewöhnlich eine gute Partie zu nennen pflegt. In seiner Jugend hatte er die Frauen zu sehr geliebt, um sich an Eine dauernd binden zu mögen; dann hatte diese Leidenschaft ernsten Studien Platz gemacht, er hatte Reichtum, Ehre und einen großen Ruf erworben, und der Gedanke, sich zu verheiraten, war allmählich ganz in den Hintergrund getreten, je mehr Reiz die materiellen Genüsse des Daseins für ihn gewannen und je mehr sich der eigentümliche Egoismus aller Hagestolzen in ihm ausgebildet hatte. Doch war sein Gefühl für das Schöne und Gute niemals erloschen; er war in einzelnen Momenten einer Lebhaftigkeit und Hingebung fähig, die einem jüngeren Manne anzugehören schienen, und in dieser Stimmung konnte er die bedeutendsten Opfer bringen; dann fühlte er die Möglichkeit und den Wunsch, Andere an seinem Glück Teil nehmen zu lassen, und hätte vielleicht daran gedacht, eine Frau zu nehmen, wenn es ihm nicht unbequem gewesen wäre, danach zu suchen. Doch ließ er sich die Neckereien über diesen Punkt recht gern gefallen und lächelte wohlgefällig, wenn man behauptete, an einem schönen Morgen werde er einst ganz plötzlich mit einer Braut angefahren kommen, die ein Phönix an Schönheit und Liebenswürdigkeit sein und ihm wie ein Ideal erscheinen werde; sowie sein Haus ihr das schönste, sein Rock der beste und überhaupt Alles, was sein eigen, ihr wie das Vollkommenste vorkomme.
Als Freund des Professor Reich und als Arzt der Familie hatte er Clementine in ihrer Häuslichkeit kennen und schätzen gelernt. Er hatte durch Marien, noch vor Clementines Ankunft, erfahren, dass diese dem Grame über eine unglückliche Liebe fast erlegen sei, und nun sah er sie selbst; noch schön, obgleich lange über die erste Jugend hinaus, und liebenswürdiger und geistreicher, als irgend eine Frau, die er kannte. Er sah das Mädchen, das der Mittelpunkt der Gesellschaft geworden, ebenso liebenswürdig im Haus; sie hatte Rath für den Bedrängten und die zärtlichste Sorgfalt für den Leidenden; unermüdlich besorgt für Andere, schien sie zufrieden, ohne gerade froh zu sein, und ihre Ruhe wurde durch jene kleinen Veranlassungen, welche die meisten Frauen außer Fassung bringen, niemals erschüttert. Ihre äußeren Vorzüge zogen ihn an, und wenn er manchmal auf ihrem ausdrucksvollen Gesicht die Spuren eines tiefen Leidens, oder gar ihre Augen noch trübe von vergossenen Tränen sah, flößte sie ihm das lebhafteste Interesse ein. Er hatte einmal mit Reich über Clementine gesprochen, und dieser hatte geäußert, seine Schwägerin sei allerdings ein vortreffliches Mädchen, nur leider zu überspannt, und er wünsche Nichts sehnlicher, als dass sie bald einen vernünftigen Mann bekäme, den sie liebe; denn sonst würde sie sich aufreiben durch ihren selbst genährten Gram. Ob Reich diese Bemerkung absichtlich gemacht, ob eine Absicht indes Geheimrats Frage gelegen, lassen wir dahingestellt sein; nur das steht fest, dass von jenem Tag an in Meining der Gedanke an eine Verbindung mit Clementinen erwachte. Dieses Mädchen in seinem Haus walten zu sehen, von ihrem Geiste seine Mußestunden verschönen zu lassen, ihrer milden Pflege in kranken Tagen zu genießen und sie, der er von Herzen zugetan war, ihren Kummer vergessen zu machen, war bald sein Lieblingswunsch geworden; er hielt sich für den Mann, der sie über den verlorenen Geliebten zu trösten vermöchte, und je mehr und je länger er seine Bewerbungen um sie fortsetzte, je mehr verliebt wurde er in sie, je gewisser, dass er ihr nicht gleichgültig bleiben könne: so trat er denn, nachdem sie einen Abend vorher sich freundlich in Gesellschaft begegnet waren, am nächsten Morgen mit seiner Werbung um Clementines Hand vor den Professor.
Reich war sehr erfreut, Marie entzückt über das Glück, das sich ihrer Schwester bot; Clementine allein sprach ihr gewöhnliches: »ich kann und werde nicht heiraten.« Man schrieb der Tante, diese bestürmte die Arme mit den dringendsten Vorstellungen, Meining wollte ihr Zeit lassen, sich zu entschließen, und unterdessen nahmen die Ermahnungen und das Zureden des Professors und Mariens kein Ende; die Unterhaltungen, mochten sie mit Abdel Kadher oder mit den Kindern beginnen, endeten zu Clementines Qual doch immer wieder mit dem Geheimrat von Meining.
Bei einer solchen Szene fanden wir die Damen am Anfang unserer Erzählung, und es war nötig so weit zurückzugehen, um den Leser mit den handelnden Personen bekannt zu machen, wobei wir uns zugleich das Recht vorbehalten, den Faden der Ereignisse, so oft es uns geeignet scheint, in den eigenhändigen Papieren und Briefen derselben zu verfolgen.
Sinnend stand Clementine am Fenster, als sie in ihr Stübchen getreten war; Gedanken zogen, wie Bilder eines Schattenspieles, schnell an ihrer Seele vorüber; sie wollte dem Zureden ein Ende machen und mit der Tante dabei beginnen: so setzte sie sich nieder und schrieb:
Clementine an Frau von Alven:
Dein Brief hat mir wehgetan, Tante! Traust Du mir bei meinen Handlungen keine anderen Motive, als Überspannung oder Eigensinn zu? Hältst Du mich denn für ein Kind, das die Verhältnisse des Lebens verkennt? So gut als Ihr Alle weiß ich, dass nach den Begriffen der Welt die Stellung einer verheirateten Frau ehrenvoller ist, als die eines Mädchens. Glaubt mir aber, dass es eine tiefe Notwendigkeit ist, die mich abhält, den Schritt zu tun, zu dem Ihr Alle mich überreden möchtet.
Ich hasse die Ehe nicht; im Gegenteil, ich halte sie so hoch, dass ich sie und zugleich mich zu erniedrigen fürchte, wenn ich dies heilige Band knüpfte, ohne dass mein Gefühl Teil daran hätte. Was kann es Beglückenderes geben, als mit einem geliebten Manne sein Leben zu verbringen? Für ihn zu sorgen, seine Freuden und Leiden zu teilen, zu wissen: Alles, was mein Herz bewegt, Alles, was mich berührt, teilt und fühlt mein bester Freund mit mir? Beide leben dann ein doppeltes Leben. Oh! ich habe mir das oft himmlisch schön gedacht, ich habe es heiß gewünscht, und ichhalte heute noch die Ehe für den einzigen Weg, der den Menschen zu der größten Vollkommenheit führt, die seiner Individualität möglich ist. Darum aber kann ich den Gedanken an eine gleichgültige Ehe nicht ertragen, weil sie für mich eine unglückliche wäre; und ich habe es nie begreifen können, wie in der Ehe irgend Etwas die Menschen an einander kettet, als ihr Herz. Die Ehe ist in ihrer Reinheit die keuscheste, heiligste Verbindung, die gedacht werden kann; rein, wie ein Engel des Lichts, geht das Weib aus den Armen ihres geliebten Gatten hervor, und wenn man mir, nach dem katholischen Ritus, die Madonna die reine Mutter Gottes nannte, hat für mich ein rührend tiefer Sinn darin gelegen, ein ganz anderer Gedanke, als die Kirche ihn will. Ja! die Ehe ist rein! und aus der Umarmung liebender Gatten kann ein göttlicher Mensch, ein Retter der Welt entstehen.
Aber was hat man aus der Ehe gemacht? – ein Ding, bei dessen Nennung wohlerzogene Mädchen die Augen niederschlagen, über das Männer witzeln und Frauen sich heimlich lächelnd ansehen. Die Ehen, die ich täglich vor meinen Augen schließen sehe, sind schlimmer als Prostitution. Erschrick nicht vor dem Worte, da Du mich zu der Tat überreden möchtest, Tante! Ist es nicht gleich, ob ein leichtfertiges, sittlich verwahrlostes Mädchen sich für eitlen Putz dem Manne hingibt, oder ob Eltern ihr Kind für Millionen opfern? Der Kaufpreis ändert die Sache nicht; und ich gestehe Dir, ich würde das Weib, das augenblickliche Leidenschaft und heißer Sinnentaumel hinreißt, groß finden, gegen diejenige, die das Bild eines geliebten Mannes im Herzen, sich dem Ungeliebten ergibt, für den Preis seines Ranges und Namens. – Könnte ich glauben, der priesterliche Segen hätte Kraft zu binden und zu lösen, könnte das »Ja«, das ich spräche, eine ganze Vergangenheit aus meiner Seele tilgen, wer weiß, was ich täte. So aber! – ich liebe Robert, der mich verschmäht, dem meine ganze, ungeteilte, anbetende Liebe kein Glück zu bieten vermochte, als ich jung und blühend war; und ich sollte einen Ehrenmann, der von mir die Freude seines Lebens erwartet, mit einem heiligen Eide betrügen? Ich sollte ihm ein Weib werden, das die Achtung vor sich selbst verloren hat? Das könnt Ihr nicht meinen, das kannst Du nicht wollen. Ich denke mit Ruhe an Robert, so lange ich mir selbst lebe, tritt aber der Gedanke, einem anderen gehören zu sollen, vor mein Auge, dann sehe ich, dass ich nur in Robert lebe und dass mir der Traum der Vergangenheit mehr ist, als irgendeine Zukunft mir bieten könnte. Lass mir die Ruhe meines Bewusstseins.
Clementine
Der Geheimrat v. Meining an Clementine Frei: