Coaching und Systemische Supervision mit Herz, Hand und Verstand (Leben Lernen, Bd. 225) - Klaus Theuretzbacher - E-Book

Coaching und Systemische Supervision mit Herz, Hand und Verstand (Leben Lernen, Bd. 225) E-Book

Klaus Theuretzbacher

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Beschreibung

Coaching und Supervision kann auch anders als gewohnt ablaufen: weniger reden, mehr tun. In Bewegung kommen, an Time-Lines eine konstruktive innere Haltung entwickeln, in großräumigen Systemlandschaften das ganze Umfeld erleben. Die Autoren stellen neue Wege vor, um Einzelklienten oder Teams dabei zu unterstützen, Krisensituationen und andere Herausforderungen zu meistern und nachhaltige Lösungen effektiv und zeitsparend zu erarbeiten. Komplexe Systeme können mit erstaunlich einfachen Mitteln übersichtlich und transparent werden: Mit bunten Seilen werden Time-Lines gelegt, mit Podesten Hierarchien veranschaulicht, mit großen Figuren als Personen und Symbole wird das Umfeld eines einzelnen Klienten oder eines Teams in der Krise aufgebaut. Aus der Zusammenschau des Ganzen tauchen aus dem Unbewussten Lösungsmöglichlichkeiten und Zukunftsperspektiven auf. Die erfolgreiche systemische Arbeit der Autoren, die sich auf Supervision und Coaching erstreckt, wird hier sinnlich vermittelt. 50 Farb-Abbildungen und Graphiken geben einen lebendigen und die eigene Beratungsarbeit anregenden Eindruck »aus der Werkstatt«. Ziele können z. B. sein: - Ein Team in Bewegung bringen, - Sich neu positionieren, - Konflikte lösungsorientiert angehen. Ein Buch, das die Beratungsarbeit »dreidimensional« macht und die Klienten aktiviert: für alle Praktiker im Psychosozialen Bereich, im Wirtschafts- und Dienstleistungsspektrum.

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Seitenzahl: 418

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Klaus TheuretzbacherPeter Nemetschek

Coaching undSystemische Supervisionmit Herz, Hand und Verstand

Handlungsorientiert arbeiten,Systeme aufbauen

Impressum

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2013 by J. G. Cotta'sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Cover: Hemm & Mader, Stuttgart

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-89084-6

E-Book: ISBN 978-3-608-10395-3

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20021-8

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Inhalt

Die Autoren

Die Faszination, die Idee, das Buch

I Was heißt »mit Herz, Hand und Verstand«?

Peter Nemetschek

1. Inwiefern ist ein analoger Arbeitsansatz hilfreich?

Die Uhr

Die Landkarte

Der Lebensraum

Modelle

Links-rechts-hemisphärisch

Ganzheitlich

Gleichzeitigkeit

Einprägsam

Unbewusst Lösungen finden

Das Setting

2. Verbale Analogien

3. Stimmungsumschwung und Perspektivwechsel

Eine neue Haltung einnehmen

Lösungen erster und höherer Ordnung

Zeitverschiebung

Stimmungsumschwung und Perspektivwechsel

Externalisieren

Metasicht

Humor

4. Time-Line-Arbeit, zwei Experimente

Eine Übung

Schlussfolgerungen und ein Zwischenkommentar

Eine weiterführende Übung angedeutet

II Coaching – An Lösungen mit allen Sinnen arbeiten

Klaus Theuretzbacher

1. Impulse für den Führungsalltag – ein exemplarischer Coaching-Fall

2. Mit Time-Lines arbeiten

Vorbemerkungen

Orientierung in Zeit und Raum

Die Time-Line

Warum in der fernen Zukunft starten? Der Stimmungsumschwung bei »Futur 2«

Wege zur Lösung – den Stimmungsumschwung für das Anliegen nutzen

Zusammenfassung

Time-Line-Arbeit mit Teams

Time-Line-Arbeit in Seminaren

Der Lebensfluss – eine reichhaltige Metapher

3. Systeme aufbauen

Vorbemerkungen

Vorgehensweise

Material zum Aufbauen von Systemlandschaften

Geliebt und gefürchtet

Eine komplexe Systemlandschaft aufbauen: ein Beispiel

Entwicklungsphasen einer Organisation

Wenn wir schon von Systemlandschaften sprechen

4. Ressourcen-Arbeit

Was wir hier unter »Ressourcen« verstehen

Wie der ressourcenorientierte Ansatz zum Erfolg führen kann

Methodische Vorgehensweisen im Einzelcoaching

Ressourcenarbeit mit Teams

Resümee

5. Der nächste und der bedeutendste Schritt

Eine Anleitung für das Einzelcoaching

Anwendung im Rahmen eines Orientierungsund Bewerbungscoachings

Varianten mit Teams

6. Mit dem Kräftefeld eines Systems arbeiten

Ein Anschauungsbeispiel

Wann sich diese Methode gut anwenden lässt

Was, wenn nichts weitergeht, weil die anderen blockieren?

Was, wenn beim Klienten selbst nichts weitergeht?

7. Vor einer Weggabelung – Coaching als Unterstützung bei Entscheidungen

Die Weisheit des Unbewussten nutzen

Ambivalenz

Methodische Vorgehensweise

Weitere methodische Ansätze

8. Coaching bei beruflicher Veränderung und Jobwechsel

Berufliche Neuorientierung

Bewerbungscoaching

Eine neue Position beziehen

9. Als Führungskraft im Team Flagge zeigen

Ein Beispiel zur Veranschaulichung

Besonderheiten dieser Methodik

Weshalb es dafür hilfreich ist, das System aufzubauen

Weitere Möglichkeiten mit dieser Methode

Zusammenfassung

III Systemische Supervision mit analogen Mitteln

Peter Nemetschek

1. Bausteine für Teamsupervision

Der Beginn einer Supervisionssitzung

Nonverbale Signale und Kommunikation

Emotionale Überlebensstrategien

2. Überlastung, ein exemplarischer Fall

Ein Vorstellungsbesuch

Die erste Teamsupervision

3. Ein gut gemeinter Beinahe-Bankrott

Eine lange Vorgeschichte

Die Vorbereitung

Das erste Treffen

Die große Gruppenarbeit

4. Spezifische Teamkrisen und Lösungswege

Der nicht anwesende Chef in Teamsupervision

Erste Interventionen

Hintenrum, unterschwellige Krisen

Offene Kämpfe

Ressourcen zur Regeneration nutzen

5. Leiterlose Teams

6. Spannungsfeld Beruf – Familie

7. Männerwelt – Frauenwelt

Sexuelle Spannungen im Team

8. Einige oft verschwiegene Themen

Alkohol und Sucht

Psychische Krankheiten und Auswirkungen auf die Arbeit

Einige ethische Aspekte

9. Systemische Fallsupervision

Ein schlankes Modell

Wer blickt da noch durch?

10. Drei spezifische Formen von Fallsupervision

Live-Supervision

Kollegiale Supervision

Video-Supervision1

Dank

Bildnachweis

Literatur

Die Faszination, die Idee, das Buch

Klaus Theuretzbacher

Als Coach und Berater war ich stets auf der Suche nach lösungs- und kurzzeitorientierten Herangehensweisen. Jahrelang verstand ich mich als jemand, der sich von jedem Ansatz das Beste herausholt. Ich pickte mir die Rosinen heraus, wie wir in Österreich das nennen.

Den Ansatz und die Methoden, die in diesem Buch beschrieben werden, lernte ich im Rahmen einer Weiterbildung mit Peter Nemetschek kennen. Er hatte zu Beginn der 90er-Jahre das »Lebensfluss-Modell« für Systemische Familientherapie entwickelt (Nemetschek, 2006). Es hat im deutschen Sprachraum mittlerweile einen hohen Bekanntheitsgrad. Aus diesen familientherapeutischen Modellen entstanden dann bald eine spezifische Time-Line-Arbeit und das Aufbauen von komplexen Systemlandschaften für Coaching und Systemische Supervision.

Dieser neuartige Zugang faszinierte mich von Anfang an. Die Anwendung in zahlreichen Coachings, Workshops, Beratungen und Seminaren bestärkte mein positives Gefühl: Es handelt sich hierbei um äußerst effektive Möglichkeiten, die Klient/innen in beachtlich kurzer Zeit zu nachhaltigen Lösungen zu führen. Nebenbei bereiten das handlungsorientierte Vorgehen, das Einbeziehen aller Sinne, das Veranschaulichen von Situationen und möglichen Wegen sowie der Einsatz von Bewegung, Humor, Metaphern und lösungsorientierten Geschichten viel Spaß und Vergnügen – für die Klient/innen genauso wie für die Berater/innen.

Aus diesen Erfahrungen entstand bei mir das Anliegen, diesen Ansatz und das methodische Vorgehen in Buchform zu veröffentlichen. Peter Nemetschek schlug eine Zusammenarbeit vor.

Das Buch wendet sich in erster Linie an Praktiker/innen, also an Coaches, Supervisor/innen und Berater/innen. Wir verstehen es als Handbuch aus der Praxis für die Praxis. In den zahlreichen Fallbeispielen erschien es uns besonders wichtig, den Coaching- und Supervisionsprozess möglichst nachvollziehbar wiederzugeben. Strukturen werden mit Grafiken verdeutlicht. Fotos bieten Einblicke, in welcher Atmosphäre gearbeitet wird. Sprachliche Sequenzen geben modellhaft Anregungen, wie man Prozesse verbal konstruktiv begleiten kann.

Im ersten Teil»Was heißt ›Mit Herz, Hand und Verstand‹?« werden der Ansatz und die wesentlichen Grundlagen des Vorgehens entwickelt. Peter Nemetschek legt dar, inwiefern metaphorisches, darstellendes, also analoges Arbeiten von Vorteil ist. Dazu schildert er, wie Milton H. Erickson unbewusste Prozesse nutzte, um unerwartete Lösungswege zu finden. Es gilt zunächst, festgefahrene Vorstellungen und Konstrukte der Klient/innen aufzulösen und ihre Haltung zum sogenannten »Problem« zu ändern. Dies gelingt durch einen Stimmungsumschwung, von verkrampft zu schmunzelnd. Entlang der Time-Line können neue Perspektiven eingenommen werden. Die aktuelle Krise kann – in Alltagstrance – sogar aus der Zukunft betrachtet werden. Die Klient/innen können in aufgebauten Systemlandschaften unterschiedliche Metaperspektiven einnehmen. In solchen Arbeitsprozessen können dann Lösungen höherer Ordnung entstehen, an die man bewusst nicht gedacht hat.

Im zweiten Abschnitt»Coaching – An Lösungen mit allen Sinnen arbeiten« beschreibe ich die wesentlichen Methoden, die wir in Coaching und Supervision mit Einzelpersonen und Teams einsetzen: etwa das Arbeiten mit Time-Lines, das Aufbauen von Systemlandschaften, die Ressourcenarbeit. Diese sind entlang von exemplarischen Fällen veranschaulicht. Es folgen Beispiele aus der Praxis und methodische Anregungen für typische Coaching-Aufträge: Stärkung für einen herausfordernden Führungsalltag, Entlastung in Stress-Situationen, Bewegung für festgefahrene Veränderungsprozesse, neue Impulse für knifflige Entscheidungssituationen.

Im dritten Teil»Systemische Supervision mit analogen Mitteln« eröffnet Peter Nemetschek neue Wege und lösungsorientierte Methoden. Er zeigt, wie man Supervisand/innen im psychosozialen Bereich hilfreiche Anstöße geben kann und wie sie ihre Handlungsfähigkeit erweitern können. Vorgehensweisen und Methodik von Fall-, Team-, Live- und kollegialer Supervision werden herausgearbeitet und mit Fallbeispielen illustriert. Einige Kapitel sind gleichermaßen für Supervision und Coaching relevant: nämlich das Spannungsfeld Beruf und Familie, die Dynamik zwischen den Geschlechtern im Arbeitsprozess und Störungen, die durch Sucht oder psychische Krankheiten entstehen können.

Wir haben auf geschlechtsneutrale Formulierungen im Sinne einer besseren Lesbarkeit teilweise verzichtet. Dann und wann ist nur von der Klientin, dem Klienten oder den Kunden die Rede.

Alle Fallschilderungen wurden so weit verfremdet, dass die Anonymität unserer Klient/innen und die Vertraulichkeit gewahrt bleiben und dabei das Wesentliche am Coaching- bzw. Supervisionsprozess dennoch gut zur Geltung kommt. Für die Fotos sprangen zahlreiche Kolleginnen und Kollegen als Klient/innen ein, um Szenen zu simulieren.

I Was heißt»mit Herz, Hand und Verstand«?

Peter Nemetschek

1. Inwiefern ist ein analoger Arbeitsansatz hilfreich?

Beschäftigen wir uns zunächst mit der Frage, worin wesentliche Unterschiede zwischen analoger und digitaler Repräsentation bestehen. Grundlegend interessiert uns in diesem Buch vor allem, welche äußeren Darstellungsweisen von Zeit, Raum und Perspektiven hilfreich sind, um innerpsychische Lösungsprozesse zu fördern. Im technischen und wirtschaftlichen Bereich kann man logische Berechnungen anstellen, vernünftige Pläne entwerfen, Dinge und Sachverhalte mehr oder weniger sinnvoll konstruieren. Dies funktioniert, solange die Faktoren überschaubar sind.

Sobald jedoch menschliches Verhalten eine wesentliche Rolle spielt, kommt bewusstes Denken früher oder später an seine Grenzen. Unbewusste und halbbewusste Lösungsprozesse laufen auf der Grundlage von Erfahrungen ab. Hier wird nicht nach der Problemlösung gesucht, sondern intuitiv werden oft unerwartete Lösungswege entdeckt und häufig auch erstaunliche Abkürzungen gefunden. Dies werden wir in Coaching und systemischer Supervision nutzen. Also sehen wir uns einige Darstellungsweisen modellhaft an:

Die Uhr

Nehmen wir als grundlegendes, scheinbar einfaches Beispiel das Zeitverständnis mittels einer analogen versus einer digitalen Uhr.

Digitale Zeitmessung übertrifft die analoge Messung und Darstellung bei Weitem an Präzision. Auf einem Display können theoretisch beliebig viele Stellen hinter dem »Komma« mit äußerster Genauigkeit angezeigt werden. In Sportarten, bei denen es um Schnelligkeit geht, sind heute bereits tausendstel Sekunden entscheidend. Die Geschwindigkeit eines Fußballes kann in Stundenkilometern gemessen werden. In Wissenschaft und Hochtechnologie wird im Nanobereich gearbeitet.

Weltweit können wir in Echtzeit Daten kommunizieren. Kosmische Entfernungen werden in Lichtjahren gemessen, was selbstverständlich nur mit digitalen Methoden möglich ist. Und Berechnungen, die beispielsweise auf der Relativitätstheorie fußen, lassen sich nur mathematisch, also digital, meistern. Die analoge Vorstellungskraft versagt dabei kläglich.

Im Alltag und im Berufsleben können wir den Zeitpunkt auf dem Display einer Armbanduhr oder auf den Abflugszeiten eines Terminals exakt ablesen.

Wie ist hingegen die analoge Uhr mit ihren klassischen »eins, zwei, drei« Zeigern von Vorteil? Wir können auf einen Blick nicht nur den jetzigen Zeitpunkt ablesen, sondern auch die vergangene, »verflossene« Zeit und meist noch wichtiger: den vor uns liegenden Zeitraum! So kann ich wahrnehmen, wie lange ich z. B. schon gearbeitet habe und wie viel Zeit mir noch zur Verfügung steht. Ist es möglich, eine Pause einzulegen, wie lange oder wie kurz? Welche Termine liegen noch vor mir, wie kann ich die Zeit am günstigsten »einteilen«? Wie lange ist es noch bis Feierabend? Und wann ist dann der verabredete Besuch von Freunden, oder was steht sonst an?

Bemerkenswert ist, dass ich dies bewusst wahrnehmen, taxieren kann, viel läuft aber gleichzeitig in unbewussten Prozessen ab. Es entsteht ein vages, intuitives Zeitgefühl, ein Zeitraum. Sozusagen sind also Kopf und Bauch beteiligt.

Seltsamerweise, oder selbstverständlich, benutzen wir dabei das archaische bewährte Zwölfer- und nicht das Zehnersystem, oder die binäre Null oder Eins einer digitalen Zeitrechnung. 12 Stunden werden sozusagen zur Tag- beziehungsweise zur Nachtzeit. 12 Uhr ist immer noch die »Mittagszeit«, selbst wenn wir »später« zu Mittag essen oder wenn wir »Zeit haben«. 12  Uhr bleibt eine wichtige Zeitmarkierung.

Vorteilhaft ist, dass man 12 halbieren, vierteln, dritteln kann. 12 mal 5 gibt 60 Minuten also 1 Stunde. Das ist sehr anschaulich und erleichtert die Kommunikation bezüglich Zeitabsprachen und Planungen im zwischenmenschlichen Bereich beachtlich, etwa in Teams. Die analoge Uhr benutzt das Prinzip »so ähnlich wie«. Das Vorrücken des Zeigers entspricht dem »Ablauf« der Zeit.

Ähnlich analoge Mittel werden wir in der Time-Line-Arbeit nutzen. Wir können uns Zukunft als Zeitlinien vorstellen. Wenn wir vor dem inneren Auge genauer hinschauen und hinspüren, sind es eher Zeiträume, die vor uns liegen, mit vagen Bildern, was in der Zukunft sein kann.

Milton H. Erickson konnte beim Arbeiten jederzeit auf die hier abgebildete Uhr schauen, ohne dass es auffiel. Sie ist eingebettet in eine Landschaft. Ein fahler Mond steht am Himmel, eine Szene aus dem Film »die Möwe Jonathan«. Und die Uhr hängt zwischen metaphorischen, analogen Dingen. Erickson sagte schmunzelnd: »Wenn du diesen Fisch anschaust, gib acht, dass er in Trance nicht zu Dracula wird.«

Auch das Jahr ist in zwölf Monate eingeteilt. Die Indianer kannten keine Uhrzeit. Erickson schickte mich ins Völkerkundliche Museum, um den indianischen Jahresablauf zu studieren. Hier hat jeder Mond seine Schutzgeister und bedrohende Mächte. Wir nutzen in westlichen Kulturen ein Zeitraster als Kalender. Aber auch bei den Katholiken hat ja jeder Tag seine/n Schutzheilige/n ..... Das sind andere Welten als unsere, in der wir nahezu Sklaven von Zeitmessern sind.

Die Landkarte

Auch hier stehen uns heute zwei Systeme zur Orientierung zur Verfügung: Digital können wir via Satellit den Standort auf den Meter genau bestimmen. Und zur Navigation können die digitalen Informationen in eine analoge Landkarte übersetzt werden, ja sogar in eine stark vereinfachte perspektivische Ansicht der Landschaft, die vor uns liegt. Mir fehlen z. Zt. charakteristische Anhaltspunkte wie Kirchtürme oder Bergrücken etc., die wir normalerweise zur analogen Orientierung nutzen.

Schon die Pioniere des systemischen Ansatzes haben betont: Die Landkarte ist nicht die Landschaft. Die Karte ist eine Konstruktion, die hilft, komplexe Zusammenhänge rudimentär zu begreifen. Jeder, der eine Landkarte nutzt, schafft sich jedoch in seiner Innenwelt einzigartige Szenen. Wieder ist das Prinzip so ähnlich wie oder so tun, als ob es Realität wäre. Sie ist zusammengefügt etwa aus Erinnerungen an andere Perspektiven und Orte dieser Landschaft, die natürlich auch emotional besetzt sind, dazu Straßen- und Ortsnamen und so fort. ..... Wir leben dabei meist im Wahn, dass wir alle das Gleiche wahrnehmen würden. Wir negieren, dass jede Innenwelt einzigartig ist. Daraus können Missverständnisse entstehen, die zu Konflikten führen können. Damit werden wir uns an anderer Stelle noch eingehend befassen.

Wie tückisch es sein kann, wenn man keine Landkarte zur Verfügung hat, kann ich an einem Erlebnis illustrieren: Auf dem Weg zu Milton Erickson nehme ich vom Flughafen ein Taxi. Ein Blick auf einen Stadtplan hätte genügt, um zu begreifen, dass Phoenix in einem strengen rechtwinkligen Raster organisiert ist. Naiverweise beantwortete ich die Frage des Taxidrivers, ob ich das erste Mal in Phoenix sei, mit »ja«. Und schon geht es im Zickzack durch die Stadt. Umständlich links, rechts, rechts, links, an möglichst vielen Warte-Ampeln vorbei ..... Mit Landkarte hätte ich mit einem Blick gewusst: So und so viele Blocks geradeaus, von Süden nach Norden, dann links abbiegen, in die in der Adresse angegebene Avenue. Alle Ost-West-Straßen heißen Ave! Gott sei Dank hat mir dann mein analoges Gedächtnis geholfen: Als der Taxifahrer beschleunigt, um an der angegebenen Hausnummer vorbeizuflitzen, kann ich im richtigen Moment »Stop« rufen. Denn da sind im Garten 10 Agaven in 5 Reihen à 4 Stück gepflanzt. Eine von Ericksons Lieblings-Denksportaufgaben, um digital das Bewusste zu beschäftigen und auszuschalten, während er analog mit Storytelling mit dem Unbewussten arbeitete .....

Der Lebensraum

Evolutionär ist die Fähigkeit angeboren, uns im Raum, im Revier sowie in der Gruppendynamik orientieren zu können. Denn bereits für unsere Primaten-Vorfahren war es überlebensnotwendig zu wissen: Wo ist die Stelle, an der wir im letzten Frühling Nahrung gefunden haben? Wo ist ein Versteck, in dem ein Raubtier lauern könnte? ..... Und wo sind meine Verbündeten? Wie »hoch« oder »niedrig« stehe ich in der Rangordnung? Wem habe ich Vortritt zu lassen und wer wird mit mir/uns teilen? Bin ich dem »Oberen« nahe, sodass er mich kritisch beobachten, oder so weit entfernt, dass ich ihn beschummeln kann, um die Früchte, die ich eigentlich abgeben müsste, schnell heimlich zu mampfen? .....

Wenn wir diese komplexen Zusammenhänge vernünftig digital berechnen würden, wäre das so zeitaufwendig, dass uns die Selektion schon lange aussortiert hätte. So aber haben wir die Fähigkeit geerbt, uns von einer Außenperspektive im Raum zu sehen. Auch können wir vor dem inneren Auge Szenen durchspielen, wie sich die Gruppendynamik in nächster Zeit entwickeln wird. Wir können aus der Metasicht – sozusagen von oben – zusehen, wie wir uns in der nahen Zukunft verhalten werden. Dabei berücksichtigen wir sogar Gruppenmitglieder, die aktuell gar nicht anwesend sind. Dies alles, inklusive emotionale, positiv oder negativ eingefärbte Erinnerungen sowie anfeuernde oder warnende Ein- oder Drei-Wort-Sätze, die damit verknüpft sein können; etwa: Vorsicht oder jetzt geht’s los .....

Wir leben also in einem 4-dimensionalen, analogen Raum: Richtung, Fläche, Höhe und Bewegung in der Zeit. In diesem halluzinierten Raum können wir Probehandeln, Lösungswege durchspielen, wählen oder verwerfen, planen. In solchen Räumen finden systemische Beratung, Familientherapie, Coaching statt. Im Wort »Supervision« spiegelt sich sogar die Metasicht: von oben zusehen.

Modelle

Damit wir nicht ständig aufs Neue aktuelle Situationen durchspielen und Lösungen finden müssen, nutzen wir bewusst, halbbewusst und unbewusst innerpsychische Modelle, die wiederum nach dem Prinzip funktionieren so ähnlich wie. Je flexibler und kreativer es uns gelingt, solche Modelle zu ergänzen, umzubauen, oder bekannte Elemente zu »Neuem« zusammenzufügen, desto erfolgreicher kommen wir voran. In Beratung fördern wir solche integrativen Prozesse bei den Klienten.

Im Buch werden vorwiegend analoge Modelle vorgestellt. In konstruktiven Lösungsrichtungen können Wege gefunden oder erfunden werden, bzw. Strategien und hilfreiche Strukturen. Dabei werden vor allem das unbewusste Potenzial und die kreativen, intuitiven, innovativen Fähigkeiten genutzt, die in unserer menschlichen Natur angelegt sind. Erickson: Das Bewusste ist klug, das Unbewusste ist weise..... Natürlich kann auch bewusst, logisch geplant werden. Die Ratsuchenden, die zu uns kommen, scheitern jedoch oft bei logisch erdachten Plänen, denn die teils unbewusst ablaufende Gruppendynamik macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Bei Bertolt Brecht in der »Dreigroschenoper« nachzulesen: »Ja, mach nur einen Plan ..... Und mach dann noch ’nen zweiten Plan ..... Gehen tun sie beide nicht.« ....

Links-rechts-hemisphärisch

Im Laufe der Evolution haben sich unsere beiden Gehirnhälften tendenziell spezialisiert. Sie kooperieren in einer Arbeitsteilung, um die komplexen Herausforderungen besser zu meistern, uns konstruktiv in unserem Umfeld verhalten zu können, im privaten und professionellen Bereich in Gruppen und Organisationen .....

Da sich die Nervenstränge von den Gehirn-Hemisphären zum Körper hin überkreuzen, ist die rechte Körperseite mit der – sagen wir mal – »handelnden Hand« spiegelverkehrt links repräsentiert. Und die linke mit der »Herzhand« rechts. Dies gilt jedoch nur für Rechtshänder. Das ist etwas verwirrend.

Vereinfacht gesagt ist die linke Hemisphäre überwiegend zuständig für räumliche Orientierung, sie ist analytisch, sinnsuchend und -gebend organisiert. Ursache und Wirkung zu erforschen, Grammatik und ein Großteil von Sprache, Mathematik, schlussfolgernd: wenn – dann; sie argumentiert dialektisch, logische Prozesse finden hier statt. Das heißt, sie ist also eher digital organisiert .....

Die rechte Hemisphäre ist zuständig für Wahrnehmen, sie ist kreativ, emotional, musisch, darstellend in Bildern, innerpsychischen Szenen, Musik, also eher analog .....

Vieles aus der diesbezüglichen Hirnforschung stammt aus Split-brain-Untersuchungen. Beispielsweise geht bei einem linksseitigen Schlaganfall die Sprachfähigkeit ganz oder teils verloren. Jedoch kann die rechte Hemisphäre die verlorene Fähigkeit des Sprechens nach und nach wieder erlernen. Rechtsseitiger Schlaganfall kann emotional aggressives Verhalten verstärken.

Die linke Hemisphäre ist bei kognitiven, auf Logik basierenden Problemlösungen ziemlich dominant. Diese Seite arbeitet ständig daran, die Bedeutung von Ereignissen herauszufinden, sie sucht nach einer Ordnung, nach Regelmäßigkeiten, Mustern.

Das Fatale daran ist, dass sie bemüht ist, auch Sinn herzustellen, wenn dergleichen gar nicht vorhanden ist. Ist es nicht verwunderlich, dass wir in einem zufälligen Haufen von Sternen, die in der Tiefe des Raumes kreisen, dieses oder jenes Tierzeichen sehen sollen? Beispielsweise den Großen oder Kleinen Wagen? Na ja, einige Sternkonstellationen ähneln entfernt einem Wagen. Aber wieso sehen dann die Amerikaner einen großen und kleinen Schöpflöffel?

Weiterhin neigt die linke Hemisphäre dazu, übermäßig zu generalisieren: immer, nie, alle, niemand, total ..... Das kann zu gefährlichen Verzerrungen führen. Wir finden dramatische Beispiele bei Menschen, die absolut überzeugt sind, auf dem »richtigen« Weg zu sein. Und dies kann sich auch auf eine Gruppe übertragen. Von dieser Überzeugung weichen manche Menschen möglicherweise auch dann nicht ab, wenn eine Katastrophe droht oder schon längst da ist. Auch dann nehmen sie keinen Abstand von dieser scheinbar logischen risikoreichen Richtung. Das kann bei Ärzten zu Fehldiagnosen, bei Bankern zu maßlosen Überschätzungen und in der Wirtschaft zur Insolvenz führen, ganz zu schweigen von komplexen Situationen und Entscheidungen bei Politikern. Solche dramatischen Prozesse erleben wir ja gerade in der Weltwirtschaftskrise .....

Die rechte Hemisphäre nimmt einfach wahr. Sie zeichnet Erinnerungen, Ereignisse einfach auf. Erickson vermittelte: »Das Unbewusste ist ein gigantischer Speicher.«Diese Analogie meint einen Kornspeicher, in dem aus jedem Samenkorn etwas wachsen kann. Das macht einen großen Unterschied zu einem digitalen Chip-Speicher. Erickson meinte also, ein riesiger Speicher von konkreten Erlebnissen, Szenen, Erfahrungen, die du jederzeit nutzen kannst. Später können Erlebnisse umkonstruiert werden. Beispielsweise kann man im Laufe der Zeit schmerzliche Erfahrungen von außen betrachten, wie beim Fernsehen, ohne die damaligen Schmerzen fühlen zu müssen. Sie bleiben jedoch als Schutzerfahrungen erhalten und können bei der Lösungsfindung hilfreich sein.

Die linke Hemisphäre hingegen kann auch die Vergangenheit so verallgemeinern, z.B.: alles war besser, so etwas hat es früher nicht gegeben. Daraus können auch falsche Schlüsse für die Zukunft gezogen werden.

Logisches, digitales Denken kann nur einige »Schienen« gleichzeitig verfolgen. Beispiele: Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über Alterspyramide und Pillenknick waren schon in den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts wohl bekannt. Unbegreiflich, dass das Rentensystem nicht frühzeitig angepasst wurde! Noch in den 90ern hieß es, das Rentensystem ist sicher. Und dann? ..... Ähnliches, nur noch bedrohlicher, lief und läuft im Umweltschutz bzw. der Umweltzerstörung ab .....

Ganzheitlich

Das Zusammenspiel zahlreicher Faktoren kann so komplex sein, dass Nebeneffekte und Spätfolgen nicht beobachtet werden. Da können in der Politik beispielsweise Projekte, die die Wählergunst erhöhen, in den Vordergrund rücken. Einflussreiche Persönlichkeiten können die Meinungsbildung stark beeinflussen. Dazu werden dann schlimmstenfalls passende Statistiken zugezogen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt konkurrieren wichtige Projekte und Investitionen und verstellen den Blick auf die scheinbar so ferne Zukunft.

Analoges Begreifen ist wesentlich ganzheitlicher. Das systemische Zusammenspiel von unterschiedlichen Wirkkräften, Richtungen und Visionen kann – wenn auch relativ vage – in mehrdimensionalen Gesamt-Bildern bzw. Szenen erfasst werden.

Ein dramatisches Beispiel, welche visionären Fähigkeiten der Mensch entwickeln kann: Indianer konnten schon vor über 150 Jahren »sehen«, in eindrücklichen Bildern darstellen und formulieren, wohin es führen wird, wenn wir westlichen »zivilisierten« Menschen mit der Umwelt so umgehen, wie wir es offensichtlich weiter und weiter tun: Erst wenn der letzte Wald gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werden die Menschen feststellen, dass sie Geld nicht essen können. Es ist also sehr hilfreich, analoges Darstellen und Verarbeiten in unsere beraterische Lösungsarbeit zukunftsorientiert zu integrieren.

Gleichzeitigkeit

Wir sind fähig, eine sichtbare Szene, ein Bild, ein detailreiches Foto etc. mit einem Blick zu erfassen. Ebenso eine Landschaft, einen Innenraum mit vielen Gegenständen oder eine Gruppe von Menschen ..... Diese Fähigkeit, Szenen sozusagen ganzheitlich wahrzunehmen, ist enorm hilfreich, um komplexe Zusammenhänge zu »begreifen«. Wir können uns einen Gesamtüberblick verschaffen und nach und nach Details wahrnehmen. Oder umgekehrt Einzelheiten zu einem Gesamtbild, zu Szenen, Landschaften zusammenfügen. Alltagstrance auslösen heißt, die Aufmerksamkeit fesseln, in eine Szene eintauchen.

Beim Sehen, Schauen, Betrachten von Bildern und Szenen laufen andere Prozesse ab, als z. B. beim Lesen eines Romans. Auch da entstehen vor dem inneren Auge Bildsequenzen. Das »Ganze« erschließt sich jedoch erst nach und nach Zeile für Zeile, Seite für Seite. Bei einem Krimi vielleicht erst am Schluss .....

Wir können als eindrucksvolles Beispiel die Alexanderschlacht von Albrecht Altdorfer in der Alten Pinakothek, München, nutzen, gemalt um 1500. Da wirkt zunächst der Gesamteindruck: dramatischer Himmel, eine zerklüftete Landschaft, Schlachtengetümmel, zwei Parteien im Kampf ..... das löst Betroffenheit und Neugier aus. Da tauchen nach und nach nahezu unzählige Details auf: Armeen, Streitwagen, Heerführer, Ritter, Söldner, Lanzen, Fahnen ..... und sie kommen in Bewegung. Im Unterschied zum festgelegten Ablauf beim Lesen eines Buches bleibt es jedem überlassen, wie er seinen Blick schweifen lässt und das Bild »liest«.

Ähnliches begegnet uns in unterschiedlichen Beratungsmodellen: intellektuelle sprachliche Erörterung, Analysieren von Problemen, verbales Formulieren von Zielen und das übermäßig bewusste Suchen nach Lösungen ..... versus: Alltagstrance, sich versenken in den Prozess. Und Finden von Lösungswegen beim Sehen, Schauen, Wahrnehmen von analog aufgebauten Systemen inklusive Time-Lines, entlang denen man halluzinieren kann.

Einprägsam

Eine Untersuchung besagt, dass 20 Jahre nach einer Psychotherapie Klienten sich lediglich an die Person des Therapeuten und an den Raum erinnern, kaum aber an die Inhalte. Evolutionär ist es häufig überlebenswichtig, dass einschneidende Erlebnisse, bedeutungsvolle Orte sofort tief im Gedächtnis aufgezeichnet werden. Das Gesicht, die Gestalt, das Verhalten, der Rang etc. von wichtigen Personen prägen sich so stark ein, dass sie nach Jahrzehnten noch erinnert werden. Obwohl dieser Mensch doch gealtert ist, können wir vertraute Personen nach längerer Zeit sogar von hinten an der Haltung, am Gang erkennen .....

Hier eine Episode, die gut illustriert, wie überlebensnotwendig die Erinnerung an einen existenziell wichtigen Ort ist: Die Wasserstellen, die seit eh und je einer Paviangruppe bekannt sind, trocknen in einem besonders heißen Sommer aus. Das älteste weibliche Tier setzt sich an die Spitze der Gruppe und führt sie sicher zu einer weit, weit entfernten Wasserstelle, die sie in der Kindheit bei einer ähnlichen Dürre kennengelernt hatte. Was in Bewegung und emotional erfahren wird, wird unmittelbar unvergesslich im Gedächtnis gespeichert– sowohl hilfreiche als auch bedrohliche Szenerien.

Uns stehen jedoch nicht nur die eigenen Erfahrungen und die der Gruppe zur Verfügung. Menschliche Erfahrungen und Gruppenerfahrungen werden ja von Generation zu Generation überliefert, oft auf analoge Weise in Geschichten, Mythen, Gleichnissen. Wir können dieses kulturelle Erbe zum Finden heutiger Lösungen nutzen. Bei einem Internationalen Aids-Kongress sagte Clinton: Wir können diese Herausforderung nicht wie St. Georg meistern, der in glitzernder Rüstung den Drachen tötete, sondern dazu sind viele, viele Soldaten nötig .....

Für manch einen lässt sich tiefes ganzheitliches Schauen beim Betrachten von großen Meisterwerken bildender Kunst besonders eindringlich emotional erleben. Etwa beim Spätwerk Rembrandts: Ein unaufhörlicher Strom von Besuchern wird in der Eremitage von St. Petersburg von der Heimkehr des verlorenen Sohnes fast magisch angezogen. Es ist schwer, fast unmöglich, den Eindruck in Worte zu fassen: Die Szene einerseits menschliches Scheitern und andererseits sich trotz allem aussöhnen zu können, dies berührt und bewegt. Die Tiefe des Farbraums löst seelische Tiefe aus. Wahrnehmen von Gestalt/en und emotionale Betroffenheit verschmelzen zu einem ganzheitlichen Erleben. Das Unbewusste fühlt sich zu Hause ..... Ich meine, solche Prozesse müssen wir in bestimmten Situationen auch in Beratung nutzen.

Unbewusst Lösungen finden

Ein großer Vorteil von solch einer bildlich analogen Darstellung ist, dass hier seelische Prozesse weitgehend nonverbal ablaufen. Wenn dann im Museumsbetrieb wortreiche Kunstführungen an den Bildern vorbeiziehen, wird man aus der Versenkung schlagartig herausgerissen.

Es handelt sich um ein ähnliches Dilemma, vor dem wir in der sprachlich orientierten psychotherapeutischen und Supervisionsarbeit immer wieder stehen. In Live-Supervision kann ich häufig erleben, wie Berater versuchen, mit Fragen an die Betroffenen den seelischen Prozess zu vertiefen. Oft mit dem Klassiker »Wie fühlst du dich?« Der Switch vom Erleben zum Sprechen kann das Gegenteil bewirken, nämlich die Klienten aus ihrer Alltagstrance aufwecken. Viele Menschen schalten dann hoch auf eine eher logisch organisierte Sprachebene.

Besonders in Familientherapie und Gruppenarbeit kann das kontraproduktiv sein. Die Gefahr ist groß, dass tiefe seelische Prozesse kippen und zu intellektuellen Diskussionen in eine Ja-aber-Dialektik führen. Eine eher unbewusste Lösungsfindung wird dadurch gestört.

Erickson hat dieses Dilemma gelöst, indem er durch Geschichtenerzählen meist in Trance dem Unbewussten sozusagen Nahrung gab. Entweder sind die metaphorischen Anregungen hilfreich, im Sinne: das ist »so ähnlich wie«. Oder man hört scheinbar weg, erinnert eigene hilfreiche Erfahrungen, kofabuliert und begibt sich so in einen unbewussten Such- und Findungsprozess Richtung Lösung. Es ist wichtig, unsere Klienten nicht zu drängen, dass sich: Ahh! Jetzt hab ich’s! sofort einstellt. Der unbewusste Prozess läuft ja auch nach der Sitzung noch weiter. Viele kennen das: Man wacht morgens auf und Hej! Die Lösung ist da! Ein unerwarteter Lösungsweg tut sich auf. Ähnliches kann sich auch beim Jogging ereignen, wenn unser Hirn bestens mit Sauerstoff versorgt ist. So auch beim Quatschmachen – bei Primaten nennt man dies das »Spielgesicht«. Man lässt entspannt, mit Humor und Neugier die Seele baumeln und dem Unbewussten freien Lauf .....

Das Setting

Ein Film wird nicht irgendwo, irgendwie abgedreht. Dem »Set« kommt eine herausragende Bedeutung zu. In der Vorbereitungsphase zum Dreh wird große Sorgfalt darauf verwandt, den richtigen Ort zu finden. Besonders aufwendig etwa im Fantasy-Genre. Eine Szenenfrequenz kann in wild zerklüfteten Gebirgslandschaften Neuseelands spielen und unmittelbar in eine andere in London übergehen ..... Welches ist die eindruckvollste Jahres- und Tageszeit? Aus welcher Perspektive wird gedreht? Wo stehen die Windmaschinen, die Scheinwerfer? Und stets muss im Auge behalten werden, wie die gefilmten Szenen mit den Studioaufnahmen zusammenpassen. Hier ist der Aufwand noch größer, riesige Schloss-Säle, Turnierplätze werden gebaut und ausgestattet. Schließlich überprüfen Regisseur und Kameramann: Wird das Environment später im fertigen Film beeindrucken? Werden hier die Schauspieler die nötige Atmosphäre vorfinden, um ihren Part einfühlsam zu spielen? Erst jetzt, wenn das Setting wirklich passt, sind die Schauspieler gefordert, eine Szene hingebungsvoll oder hinreißend lebendig werden zu lassen, für Sekunden, Minuten .....

Das eigentliche Schauspiel jedoch wird sich erst im Zuschauer abspielen. Wird er beeindruckt sein, wird er mitgehen? Wird in ihm tragische oder humoreske Betroffenheit ausgelöst werden?

Ich glaube, dies ist eine gute Illustration, wie wichtig es ist, für unsere Klienten einen geeigneten Rahmen, einen eindrucksvollen analogen Raum bereitzustellen, in dem sich seelische Prozesse entfalten können. In Beratung schenkt man dem meist viel zu wenig Aufmerksamkeit. Es ist eine spannende Aufgabe, für unsere Klienten Settings herzustellen, in denen sie optimal an ihren Themen und ihrer Lösungsfindung arbeiten können.

Es heißt, wir wären dem magischen Zeitalter weitgehend entwachsen. Aber bei genauerem Hinsehen scheint das nicht mehr so sicher zu sein. Offensichtlich erliegen wir nur allzu gerne irrationalen Fantasien und der Faszination von unsichtbaren Werten à la Aktienfonds ..... der sichtbaren Verführung durch Statussymbole, à la Luxus-Illusionen oder dem Touristik-Rausch hin zu indonesischen Tempeln.

Wenn heute eine BMW-Limousine der Luxusklasse im neu errichteten postmodernen Rundbau ausgeliefert wird, fährt, besser schwebt der Wagen mit Sphärenmusik in einer grandiosen bogenförmigen Rampe dem stolzen Kunden entgegen .....

Da wir Menschen nun mal so gebaut sind, dass uns solche Zeremonien tief beeindrucken, sollten wir professionellen Berater hie und da alte Traditionen studieren. Wir können dies ja aus einer aufgeklärten Perspektive tun. Wobei uns hier vor allem die analogen Mittel und Methoden interessieren, wie unbewusste Kräfte aktiviert werden können.

Schaman/innen, Priester, Heiler, Magier wussten um die Wirksamkeit von Ritualen, Zeremonien, heiligen und heilenden Handlungen. Sie nutzten Symbole, inspirierende, heilige Räume, Tempel und Kirchen, Orte der Kraft. Sie schufen analoge Kosmen, suchten Wege zur Erlösung. Mahatma Gandhi fand Lösungen – d. h. außergewöhnliche Aktionen gewaltfreien Widerstands in Meditation!

Heute ist uns klar, es gibt kein allumfassendes Weltbild mehr. Unsere Aufgabe als Berater/innen ist im Vergleich zu den alten Riten ziemlich profan, jedoch ebenso verantwortungsvoll: Unseren Klienten zu helfen, Herausforderungen zu meistern, Krisen zu bewältigen, Lösungswege zu finden, vielleicht machbaren Utopien näher zu kommen. Und nicht vergessen: Leid zu lindern. In diesem Buch vermitteln wir Möglichkeiten, wie wir analoge menschliche Fähigkeiten besser nutzen können.

2. Verbale Analogien

Auch sprachliche Analogien funktionieren nach dem Prinzip »das ist so ähnlich wie«. Meist lösen Metaphern innere Bilder aus. Wenn ein Gleichnis »passt«, sind wir irgendwie ergriffen und emotional bewegt. Bei Geschichten kommen Bilder ins Laufen und gehen in mehr oder weniger vage Szenen und Filme über. Wie bereits gesagt, kofabulieren wir dabei, d. h., wir machen unsere eigenen Geschichten daraus, die uns einleuchten, die uns neue Perspektiven eröffnen und den Lösungs-Prozess befruchten.

»Metaphorisch« heißt vom Wortsinn her: die Gestalt, den Zustand wandeln. Dies entspricht dem in diesem Buch zugrunde liegenden Ansatz: zuallererst die Stimmung, die innere Einstellung, die Haltung, die Perspektive ändern. Eine gut zur jeweiligen Situation passende Analogie löst Staunen aus, Neugier: Aahh, so habe ich das noch nicht gesehen. Wenn die Kinnlade herunterfällt, ist dies ein gutes Zeichen von Alltagstrance. In diesen Momenten zerbröckelt unser altes, offenbar nicht sehr hilfreiches Konstrukt, das wir zur Problemlösung aufgebaut haben. Es beginnen neue Prozesse, Visionen, Ahnungen von alternativen Lösungswegen. Es erweitert unseren Blickwinkel, bezieht bisher Unbeachtetes mit ein. Ähnlich wie beim sichtbaren, handfesten Aufbauen eines Systems mit Figuren und Gegenständen externalisieren wir die Krisensituation. Aus einer Metasicht bekommen wir einen größeren Überblick und tiefere Einsicht in das Ganze. Die angestrengte Lösungssuche geht über in Entspannung mit Spannkraft.

Dabei können die Analogien von den logischen, eng am Problem klebenden Lösungsmustern scheinbar weit entfernt sein. Wir können dabei uralte Traditionen von indirekten Wegweisungen nutzen. So finden wir beispielsweise bei Laotse im Tao Te King hilfreiche Belehrungen, wie man mit drängenden Krisen umgehen kann.

Wer kann ruhig abwarten, bis der Schlamm sich setzt?

Wer kann in Ruhe verweilen bis zum Augenblick der Handlung?

Und in einem anderen Kapitel erneut eine ganzheitliche Sichtweise:

Dreißig Speichen teilen die Nabe;

Das Loch in der Mitte macht es brauchbar.

Forme Lehm zu einem Gefäß;

Der innere Raum macht es brauchbar.

Brich Türen und Fenster in ein Zimmer;

Die Öffnungen machen es brauchbar.

Man zieht Gewinn aus dem, was da ist;

Man zieht Nutzen aus dem, was nicht da ist.

Das sind 2500 Jahre alte systemische Kostbarkeiten. Oder cool ausgedrückt: Lösungen höherer Ordnung.

Unser globales Finanz- und Wirtschaftssystem hat wohl solche Weisheiten und Wegweisungen mehr als nötig.

Im Zen taucht aus der gelassenen Versenkung – etwa ins alltägliche Tun – unversehens Neues, oft Paradoxes, auf. Als Antwort auf die Frage eines Schülers, ob man ein solches Vorgehen nicht auch missbrauchen könnte, malt der Meister mit zwei Pinselstrichen einen Löffel: Damit kann man Medizin geben – oder Gift.

Analogien können problemorientiert gegeben werden: »Ein Durcheinander wie in einem Ameisenhaufen«, oder lösungsorientiert: »Hoch komplex organisiert, wie in einem Ameisenvolk«.

Für uns sehr spannend sind metaphorische Antworten auf gruppendynamische Fragen, reichlich zu finden in dem seit zweitausend Jahren genutzten Buch der Bücher. Immer wenn die Jünger unsicher sind und den Herrn fragen, kommt als Antwort ein Gleichnis: Haben neue Gemeindemitglieder – also Nichtjuden – das gleiche Gewicht, den gleichen Rang wie die Alteingesessenen?

Ein Gutsherr holt des Morgens Arbeiter in seinen Weinberg. Als es mehr Arbeit ist als vorausgesehen, holt er erneut einige zur Mittagszeit und später noch welche gegen Abend. Die Arbeiter, die vom Morgen an im Weinberg gearbeitet haben, murren. Denn die später gekommenen Arbeiter bekommen den gleichen Lohn .....

Solche Gleichnisse können zu hilfreichen Projektionsräumen werden und bewähren sich über lange Zeiträume, weil sie eine enorm große Projektions- und Interpretationsbreite haben. Allerdings werden manche Metaphern in unserer postmodernen Zeit zunehmend unverständlicher. Werden die nächsten Generationen noch verstehen, was »das Licht unter den Scheffel stellen« bedeuten kann?

Profunde Metaphern, Parabeln, Volksweisheiten, Sprichwörter, Witz geben allgemein gültige menschliche Erfahrungen in konzentrierter Form weiter. Wichtig für unseren beraterischen Kontext ist: Wenn solche Analogien betroffen machen, werden sie tief im Gedächtnis gespeichert. Sie stehen uns dann unbewusst in der gegebenen Situation zur Verfügung. Dieser Effekt stellt sich beim »Reden über« eher selten ein. Es ist also hilfreich für uns und für die Klienten, solche Wegweisungen zu nutzen. Man muss ja das Rad nicht immer neu erfinden!

Gruppendynamische Metaphern finden sich auch reichlich bei Khalil Gibran, Der Prophet:

Und steht zusammen, doch nicht zu nah:

Denn die Säulen des Tempels stehen für sich,

Und die Eiche und die Zypresse wachsen nicht im Schatten der anderen.

Moderne Analogien werden häufig den Naturwissenschaften und der Technik entnommen. Während die Alten noch sagten, das Himmelreich sei wie eine goldene Stadt, singt Laurie Anderson in Strange Angels: Der Himmel ist wie Television aus purem Licht gemacht und niemanden kümmert es, ob jemand zusieht oder nicht. Mein gruppendynamisches Lieblingsbuch ist von Frans de Waal: Wilde Diplomaten; Versöhnung und Entspannungspolitik bei Affen und Menschen. Man schaut in den Spiegel unserer nächsten Verwandten und sieht glasklar die Strukturen angeborener Verhaltensweisen unserer Spezies. Ich werde darauf an anderer Stelle immer wieder mal eingehen.

Nun zu analogen Medien und Vorgehensweisen in der Psychotherapie. Früh schon entdeckte man Mythen, Sagen und Märchen als Projektionsräume in der Analyse.

Milton H. Erickson nutzte »Geschichten erzählen«, »storytelling«, um in der Sprache des Unbewussten zu kommunizieren. Alle seine Lehrgeschichten sind spannend, oft humorvoll und entwickeln außergewöhnliche Lösungen: »Das Unerwartete hilft immer«. So stößt er Such- und Findungsprozesse an. Unser festgefahrenes Weltbild kommt ins Wanken, es wird »dekonstruiert«, und es entsteht Raum, um flexiblere Lösungen zu finden.

Hier eine typische Geschichte mit der Struktur »das ist so ähnlich wie«. Erickson wendet sich direkt an mich: Peter, Psychotherapie ist: Als ich jung war, kam ein fremdes Pferd auf unsere Farm. Niemand wusste, wem das Pferd gehörte. Ich schwang mich auf das Pferd, drückte leicht die Fersen in seine Flanken und es setzte sich in Bewegung. Es nahm einen Weg in eine bestimmte Richtung. Wenn es rechts in den Klee zum Fressen wollte, zog ich am Zügel leicht nach links, und wenn es links ins Weizenfeld wollte, zog ich nach rechts. Wir kamen an eine Weggabelung und das Pferd stellte seine Ohren nach rechts. Also zog ich nach rechts. Das Pferd wurde schneller, und in der Ferne tauchte das Dach einer Farm auf. Die Farmersleute fragten mich: Milton, wie hast du gewusst, dass dies unser Pferd ist? Ich sagte, ich hab’s nicht gewusst, das Pferd hat’s gewusst.

Sprachlich mit Metaphern analog zu arbeiten ergibt ein ideales Zusammenspiel von verbalen und nonverbalen Mitteln im Systemischen Coaching und Supervision. Wir können so komplexe Zusammenhänge sehr anschaulich machen und unseren Klienten neue Möglichkeiten eröffnen, intensiv und zeitsparend Lösungen voranzubringen.

3. Stimmungsumschwung und Perspektivwechsel

Das Bewusste ist klug, das Unbewusste weise.

Milton H. Erickson

Eine neue Haltung einnehmen

Ansatz, Arbeitsweise und Methoden, die wir in diesem Buch vermitteln, sind großteils aus der Tradition von Milton H. Erickson hervorgegangen. Insofern nutze ich einige seiner Geschichten, um Grundlagen darzustellen.

Der Trainer eines Scharfschützen-Teams der US-Armee fragte Erickson, ob er seine Männer trainieren würde, denn regelmäßig landete seine Mannschaft bei Wettkämpfen hinter den Russen auf Platz zwei. Erickson sagte, er könne lediglich die beiden Enden eines Gewehres unterscheiden. Mehr wüsste er nicht vom Schießen und das wäre auch nicht nötig. Denn die Schützen besitzen das ganze Wissen über Gewehre und Schießen. Er als Mediziner weiß jedoch alles Notwendige über Körper und Geist. Der Kommandant der Truppe reagierte wütend, als er erfuhr, dass ein Psychiater seine Mannschaft trainieren sollte.

Erickson war klar, dass er als Erstes die Einstellung der Schützen ändern müsse. Aus deren Sicht bestand kein Zweifel daran, dass hartes Training die einzige Möglichkeit sei, um ihre Leistung zu verbessern.

Erickson wusste, dass die Schützen viel mehr Erfolg hätten, wenn sie ihre Körperhaltung ändern würden: von ehrgeiziger Anspannung in Richtung Entspannung mit Spannkraft. Und, dass das Bewusste es nie und nimmer schaffen kann, gleichzeitig das Ziel präzise zu fixieren und haargenau im richtigen Moment abzudrücken – reflexartig wie ein Wimpernschlag. Es würde viel zu lange dauern zu überlegen: Treffe ich oder nicht? Und bei jedem Treffer wird dann die Unsicherheit ein wenig größer. Der Zweifel, ob man alle Ziele schafft, steigt und steigt.

Das Unbewusste hat die Fähigkeit, unabhängig vom Bewussten automatisch zu handeln.

Moderne aufgeklärte Menschen glauben dies in der Regel nicht. Solche Zweifel können jedoch neue, oft unerwartete Lösungswege blockieren.

Wenn Erickson solche Zweifel registrierte, pflegte er zu fragen: »Soll ich es dir beweisen?« Und schon kam eine absolut verblüffende Demonstration, wozu das Unbewusste fähig ist. Ich habe einige solcher Interventionen live miterlebt.

Dann fällt dir die Kinnlade runter, der Mund bleibt offen stehen »ups«! Das siebengescheite Bewusste wird förmlich weggepustet. Alte eingefleischte Konstrukte zerbröseln, der Weg wird frei für Neues ... »Wow«! .....

Erickson wusste, der erste Schuss trifft immer ins Schwarze. Also ist es hilfreich, diesen Schuss zu vergessen und überzeugt zu sein, der zweite ist der erste, der dritte ist der erste ..... der siebte, der achte ..... der achtunddreißigste, neununddreißigste ist der erste und schließlich der vierzigste Schuss: geschafft!

Nun zu der verblüffenden Demonstration. Erickson erzählt: »Dann holte ich eine gute Hypnose-Versuchsperson, einen Mann. Ich sagte ihm: Wenn du aufwachst, wird man dir eine Zigarette anbieten. du willst sie rauchen und du nimmst sie gerne an. du wirst sie in den Mund stecken und ganz geistesabwesend fallen lassen ..... und eine zweite Zigarette nehmen – dabei erinnerst du dich nicht daran, dass du die erste Zigarette genommen hast.« Das Resultat? Er nahm 169 Zigaretten an!

Da wussten die Schützen, dass sie auch vergessen konnten. Wenn dieser Mensch 168 Zigaretten vergessen konnte, dann konnten sie jeden einzelnen der vierzig Schüsse vergessen.

Anschließend arbeitete Erickson an der Veränderung ihrer Körperhaltung: Stellt die Fußsohlen bequem auf den Boden und achtet darauf, dass die Fußknöchel bequem sind, die Waden, die Knie, das Hüftgelenk, der Körper, der linke Arm ..... Der Finger am Abzug, der Gewehrschaft an der Schulter ..... Seht zu, einfach das richtige Gefühl zu bekommen ..... Und im richtigen Augenblick drückt ihr den Abzug!

Das Team schlug die Russen zum ersten Mal, in Moskau! Und das zu einer Zeit, als man Hinweise hatte, dass die Russen in Elite-Einheiten der Armee auf hohem Niveau mit Hypnose arbeiteten.

Wer die ganze Geschichte nachlesen möchte findet sie in Sidney Rosen: Die Lehrgeschichten von Milton H. Erickson. Ein Buch, das für Kolleg/innen, die mit Metaphern und Erzählen von Lösungsgeschichten arbeiten, sehr wertvoll sein kann.

Lösungen erster und höherer Ordnung

Sehr früh haben Pioniere systemischen Arbeitens erkannt, dass man nicht sofort versuchen sollte, das Problem zu lösen. Dabei ist der Merksatz »Die Lösung ist das Problem« von großer Bedeutung. Vorrangig ist, die Beziehung, die Einstellung, die Haltung zum Problem zu ändern.

Vielen Leser/innen ist das hinlänglich bekannt. Aber auch Bekanntes gerät im Trott des Alltags leicht in Vergessenheit. Im Eifer einer dringlichen Beratungssituation erscheint es logisch und vernünftig zu sein, nach einer Problemanalyse die Problemlösung direkt anzugehen.

Im Gegensatz dazu werden wir in diesem Buch einen Ansatz und Methoden vermitteln, bei denen unsere ersten beraterischen Ziele sind: einen Stimmungsumschwung, eine Haltungsänderung und einen Perspektivwechsel einzuleiten. Unsere Klienten kommen in der Regel gestresst zu uns und haben nicht den vollen Zugang zu ihren Kräften und Fähigkeiten. Disstress erschwert den Prozess, Lösungen zu finden. Hingegen beflügelt eine gelöste, durchaus auch humorvolle Atmosphäre den Beratungsprozess.

Ich möchte zunächst darstellen, welche Falle es sein kann, sofort mit »Lösungen erster Ordnung« zu arbeiten. Dazu ein klassisches Beispiel einer Beziehungskrise: In einer Arbeitsgemeinschaft gibt jemand seinem Gegenüber einen gut gemeinten Ratschlag. Er ist überzeugt, dies würde das Problem lösen. Der andere jedoch ist gegenteiliger Meinung. Dann wird Ersterer seine Vorstellung von Problemlösung mit noch mehr Nachdruck vertreten. Bei erneuter Widerrede wird der Ratschlag des Ersten zu einem »Du musst aber .....!« Dies wird gekontert mit: »Nein, sieh doch ein, du sollst .....!« Diese Dynamik kann sich stark aufschaukeln. Schlimmstenfalls kommt es zu einem verbissenen Kampf über die unterschiedlichen Vorstellungen von Problemlösung. Wenn sich diese Muster von Pro und Kontra ständig wiederholen, kann es zum Zerwürfnis, ja zum Abbruch der Beziehung kommen: »Ich bin nicht mehr bereit, mit so einem Spinner zusammenzuarbeiten!« Damit wird also die Lösung selbst zum Problem.

Erickson bei der Arbeit schmunzelnd

Nehmen wir an, die Kontrahenten nehmen eine Beratung in Anspruch. Dann wird jeder der beiden versuchen, eine Koalition mit dem Coach bzw. Supervisor einzugehen in der Hoffnung, dass seine Sichtweise unterstützt wird. Der Berater wird versuchen, aus dieser Klemme herauszukommen. Der Rat: 0 scheint vernünftig zu sein. Er funktioniert auch manchmal. Ist jedoch der Konflikt emotional stark aufgeladen, besteht die Gefahr, dass er unter der Decke weiterschwelt. Der Konkurrenzkampf kann sich subtil auf andere Felder verlagern.

Lösungen höherer Ordnung können sein: Der Krise mit einer konstruktiven Haltung begegnen, z. B. gelassen und doch mit neuer Energie ..... Die Stimmung, die Atmosphäre im Zwischenmenschlichen positiv verändern ..... Oder eine neue Perspektive einnehmen, z. B. Richtung Zukunft ..... Eine starke Vision als Wegweiser entwickeln ..... Einen erfolgversprechenden dritten Weg erarbeiten, bei dem jeder aufatmet ..... Oder in Alltagstrance taucht ein völlig unerwarteter Lösungsweg auf. Milton H. Erickson: »Lass dich überraschen!«

Zeitverschiebung

In vielen Ansätzen und Methoden von Trancearbeit findet man das Prinzip der Zeitverschiebung. Milton H. Erickson hat hier bahnbrechende kurzzeitorientierte Vorgehensweisen entwickelt.

In der crystal-ball-techniquelässt er einen Klienten in tiefer Trance eine Kristallkugel halluzinieren. In dieser kann der Klient deutlich sehen, wie er in der Zukunft das schon kann, was ihm heute noch unmöglich ist. Diesen Punkt in der Zukunft nennen wir hier im Buch »geschafft«.

Und jetzt kommt etwas genial Neues: Erickson fordert den Klienten auf, dahinter noch eine zweite Kristallkugel zu halluzinieren. Dort sieht er sich zu dem Zeitpunkt, als er bereits vergessen hat, das heutige Problem gehabt zu haben. Das heißt, er ist entspannt, gelöst, in Kontakt mit seinen Fähigkeiten und kann bereits über seine Vergangenheit schmunzeln. Insofern nennen wir diesen Punkt bei unseren Methoden »Schon schmunzeln können«.

Dies ist ganz normal und gehört zur menschlichen Natur: Wir können schwierige, bedrohliche Erfahrungen vergessen. Das ist sehr hilfreich, um Schmerzen zu lindern und für Neues offen zu sein. Dies konterkariert das Konzept, bei dem verdrängte traumatische Erlebnisse zur Bearbeitung wieder ins Bewusstsein gebracht werden sollen. Erickson sagt: »Man kann sehr dankbar sein, dass das Unbewusste uns schützt und uns nur das mitteilt, was hilfreich ist. Und auch das nur zum richtigen Zeitpunkt.«

An dieser Stelle möchte ich eine scheinbar ähnliche Lösungsgeschichte aus dem vorher empfohlenen Buch zitieren. Sidney Rosen hat dazu einen sehr hilfreichen Kommentar geschrieben.

Ein Golfspieler sucht Erickson auf: Er möchte ein professioneller Spieler werden, bleibt aber bei den Wettkämpfen unter seinem Niveau. Erickson erzählt:

Ich ließ ihn in Trance gehen und sagte: »Du wirst nur das erste Loch spielen. Nur daran wirst du dich erinnern. Und du wirst ganz allein auf dem Golfplatz sein.«

Er beteiligte sich am nächsten Landes-Wettkampf. Nach dem 18. Loch ging er auf ein weiteres zu, und jemand hielt ihn an und sagte: »Sie haben das 18. Loch schon hinter sich«. Und er sagte: »Nein, ich habe gerade das erste Loch gespielt.« Und dann sagte er: »Woher kommen all diese Leute?«

Dazu der Kommentar von Sidney Rosen: Jedes Problem hat eine Vergangenheit und eine Zukunft. Erickson erkennt, dass du zwei Drittel des Problems verändert hast, wenn du die Vergangenheit auslöscht und die (starre Vorstellung von) Zukunft veränderst. Wenn du dir also jedes Loch als das erste vorstellst, gibt es keine Furcht vor der Vergangenheit ...

Die Zukunft wird zu einer positiven Erwartung.

Nun sind nicht alle Leser/innen in Hypnotherapie ausgebildet. Auch kann man bei einem Team, wenn es um Beziehungsarbeit geht, nicht sagen: »Schließt die Augen«. Insofern werden wir weitgehend Methoden vermitteln, in denen in Alltagstrance und mit offenen Augen gearbeitet wird.

Eine Ausnahme im Buch: Wenn man beispielsweise die Eingangsentspannung im Kapitel Teamsupervision erweitert, kann man durchaus tiefere Trancezustände erreichen.

Meist leben wir in der Vorstellung, im Hier und Jetzt zu sein. Wenn wir jedoch den inneren Prozess sorgfältiger wahrnehmen, registrieren wir, dass wir häufig die Zukunft vorwegnehmen: demnächst muss ich noch ..... oder nächstes Jahr ..... ja sogar: irgendwann werde ich .....

Halb- oder unbewusst gehen wir in die Vergangenheit, um frühere Erfahrungen zu aktualisieren und zu nutzen. Ein Beispiel: Während ich dies schreibe, erinnere ich mich, wie ich vor drei Jahren am Buch über Familientherapie in Naxos geschrieben habe ..... da habe ich doch ..... Ich war kurz in der Vergangenheit und auch an einem anderen Ort und Zustand. Dabei habe ich ausgeblendet, dass ich gerade in meinem Raum in München sitze ..... Dieses Ausblenden heißt fachchinesisch auch negative Halluzination. Im Gegensatz dazu werden die Vorstellungen positive Halluzination genannt. Diese Fähigkeiten gehören zur gesunden menschlichen Natur. Das Unbewusste kennt keine Uhrzeit. Es kann gleichzeitig Erfahrungen, Ressourcen aus der Vergangenheit nutzen, im Jetzt sein und in die Zukunft schauen .....

Stimmungsumschwung und Perspektivwechsel

Wir beginnen die meisten Methoden paradoxerweise nicht – wie traditionell üblich – im »Jetzt« der Krisensituation oder fangen mit der Vorgeschichte in der Vergangenheit an.

Wir werden, nachdem die Time-Line mit einer Krisenkurve gelegt ist, sofort in die ferne Zukunft gehen zu »Futur zwei«: »Schon schmunzeln können«. Was vom heutigen Standpunkt noch Zukunft ist, wird dann schon Vergangenheit sein. Damit beginnt ein Lösungsprozess höherer Ordnung.

In Organisationen wird im Coaching auch mit Visionen in ferner Zukunft gearbeitet. Es wird ein kräftiges Leitbild als Orientierung entwickelt: In welche Richtung soll es gehen? Beim Erarbeiten einer solchen Vision laufen kreative Prozesse ab, man schöpft aus dem Potenzial des Unbewussten. Bei der Planung und Überprüfung, ob diese Vorstellungen konkret verwirklicht werden können, nutzt man auch logische bewusste Prozesse. »Vision« in diesem Sinn ist also eine Integration von Bewusstem und Unbewusstem.

Die Arbeit am Schmunzelpunkt unterscheidet sich davon deutlich. Wie arbeiten wir in »Alltagstrance«? Wir sagen in etwa: Mach die Augen zu, du stehst jetzt hier in der fernen Zukunft, du hast die Anstrengung, den Stress der Krise schon längst vergessen. Diese Zukunft ist Jetzt! Nimm dir etwas Zeit ..... nimm wahr, welche Bilder, vielleicht kleine Szenen vor dem inneren Auge auftauchen, ..... vielleicht zunächst verschiedene ..... und dann »Plop!« ist eine kleine Szene da ..... und du kannst schon schmunzeln. Tauch jetzt tief ein mit allen Sinnen: sehen, vielleicht Körpergefühle ..... vielleicht etwas hören, etwa einige hilfreiche Worte, ein Satz oder was auch immer .....

Es ist wichtig, den Klienten so viel Zeit zu lassen, dass man das Schmunzeln in den Mundwinkeln und im Strahlen des Gesichts sieht. Wenn die Person tief in diese Szene eintaucht, wird aus der Vorstellung eine lebendige energetische Erfahrung, eine Wirkkraft. Diese Szene, dieser Zustand braucht sich nicht direkt auf die Arbeit am Lösungsprozess in der aktuellen Krise beziehen. Es ist hilfreich, dass vor allem Hoffnung entsteht, Zuversicht, ja, die Sicherheit: Eines fernen Tages werde ich diese Krise hinter mir haben, kein Zweifel!

Dieser positive Stimmungsumschwung, dieser Perspektivwechsel – vom Starren auf das Problem hin zur Weite und den Möglichkeiten in der Zukunft – bringt die Person wieder in Kontakt mit den eigenen Lösungskräften. Wenn es gelingt, diese Stimmung, diesen konstruktiven Zustand ins »Jetzt« mitzunehmen, stehen uns wichtige Fähigkeiten, Ressourcen wieder zur Verfügung.

Man könnte meinen, wir würden einen Umweg machen. Wir sind jedoch unterwegs auf einem Lösungsweg höherer Ordnung. Das Ergebnis wird sein, dass wir später in erstaunlich kurzer Zeit Lösungen finden können, auch ungewöhnliche, unerwartete Abkürzungen ..... Wie schon erwähnt, gelegentlich beim Aufwachen hat man eine kleine Erleuchtung »Hej, ja so kann’s gehen! Wieso bin ich da nicht früher drauf gekommen?« So arbeitet das Unbewusste. Alltagstrance bringt uns wieder in Kontakt mit unseren tieferen Schichten und Kräften.

Externalisieren

Naiverweise nehmen wir an, wir könnten uns durch Sprache verständlich machen und dass wir andere verstehen könnten. Das ist besonders in Krisensituationen weitgehend eine Illusion. Denn jede Innenwelt ist einzigartig, einmalig im gesamten Kosmos. Und in gruppendynamischen Prozessen treffen viele einzigartige Innenwelten aufeinander! Inklusive die des Beraters! Ein wichtiger Erickson-Satz: Wir können die Innenwelt eines anderen Menschen nicht betreten.

Andererseits funktionieren wir aufgrund unserer »menschlichen Natur« irgendwie ähnlich. Die Evolution gab uns durch Vererbung und Kultur nur Verhalten weiter, die sich bisher als überwiegend erfolgreich bewährt haben. Jedoch passt nicht alles in unsere postmoderne Welt.

Menschen und Organisationen versuchen immer wieder, kollektive Weltbilder, allgemeingültige Ideologien etc. zu schaffen, um Zusammenleben und Arbeitseffektivität zu optimieren. Aber komplexe Systeme sind störanfällig, denn es können nicht alle Bedürfnisse erfüllt werden und schmerzliche Missverständnisse sind vorprogrammiert. Klein- und Großgruppen kommen daher notwendigerweise immer wieder in Krisen, die vom Scheitern bedroht sind. Als Berater stehen wir vor der Herausforderung, Klienten, Gruppen und Organisationen hilfreich zur Seite zu stehen, schwierige Krisen zu bewältigen und zu meistern. Dabei erscheint es uns im Eifer des Gefechts logisch zu sein, dass man in das babylonische Sprachgewirr einer Krise am besten mit verbaler Kommunikation eingreifen könne.

Das war nicht immer so. Wenn man Heilung oder Antwort auf eine Frage suchte, bei der es z. B. um Leben oder Tod ging, hat man früher oft lange Zeit still meditiert, gefastet, sich Reinigungsritualen unterzogen, ist an einen Ort der Erleuchtung gepilgert oder es wurde rituell getanzt, bis man in Trance fiel ..... Heute hingegen setzt man überwiegend auf möglichst logische verbale Kommunikation, um Veränderungsprozesse herbeizuführen.

Seelische Vorgänge sind jedoch von hormonellen, emotionalen und Neurotransmitter-Prozessen dominiert. Sie laufen nonverbal und überwiegend unbewusst ab. Bei uns Menschen sind sie rückgekoppelt mit verbalen Prozessen, diese sind evolutionär jedoch ziemlich jung. Häufig steht beim Nachdenken Sprache nur scheinbar im Vordergrund. Beispielsweise beim inneren Dialog: »Wenn ich das sage, wird der andere jenes antworten«