Collision - Bevor ich dich traf - Carrie Leighton - E-Book

Collision - Bevor ich dich traf E-Book

Carrie Leighton

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Beschreibung

Ihre Anziehung ist stärker als jede Naturgewalt …

Im zweiten Jahr am College könnte Vanessa Clark kaum glücklicher sein. Sie hat Freundschaften, die ihr Halt geben, ein Studium, das sie liebt. Doch dann taucht Thomas Collins in einer ihrer Uni-Veranstaltungen auf und stellt ihr wohlgeordnetes Leben auf den Kopf. Mit seinen Tattoos und den grünen Augen, in denen man sich nur allzu leicht verlieren kann, ist er eine explosive Mischung aus Charme und Arroganz. Vom ersten Moment an ist die Anziehung zu ihm wie eine Naturgewalt. Doch jeder romantischen Begegnung und jedem leidenschaftlichen Moment folgen heftige Streitereien. Eigentlich träumt Vanessa von der wahren, romantischen Liebe. Die Art von Liebe, von der die Romane erzählen, die sie liest. Thomas hingegen scheut jede Bindung und kämpft gegen seine eigenen Dämonen. Und doch … so schwierig es ist, den anderen zu verstehen, so unmöglich scheint es, einander loszulassen.

Für alle Fans der After-Reihe! Die explosive Liebesgeschichte von Vanessa und Thomas wird dich nicht mehr loslassen – emotional aufwühlend und unvergesslich.

Diese Liebe macht süchtig! Die Better-Trilogie ist perfekt alle, die:

•nie über Hardin Scott hinweggekommen sind
•Anna Todd und die After-Reihe lieben
•nicht genug von unwiderstehlichen und fesselnden Romanen bekommen
•komplexe emotionale Geschichten suchen

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 615

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Carrie Leighton gehört in Italien zu den erfolgreichsten Autor*innen im Bereich New Adult. Ihre Better-Trilogie schrieb sie zunächst auf der Plattform Wattpad, wo sie innerhalb kürzester Zeit große Popularität erlangte. Allein in Italien verkaufte sich ihre Serie über 350.000 Mal und eroberte die Bestsellerlisten. Mit Band 2 und Band 3 schaffte sie es sogar bis an die Spitze.

www.penguin-verlag.de

CARRIE LEIGHTON

Bevor ich dich traf

Roman

Aus dem Italienischen

von Ingrid Ickler

Die Originalausgabe erschien 2022

unter dem Titel Collisione

bei Adriano Salani Editore s.u.r.l., Gruppo editoriale Mauri Spagnol.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Copyright © 2022 Adriano Salani Editore s.u.r.l. Gruppo editoriale Mauri Spagnol

Copyright © 2025 der deutschsprachigen Ausgabe by Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)

Redaktion: Kristina Lake-Zapp

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de unter Verwendung eines Motivs von Arcangel Images / Miguel Sobreira

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN 978-3-641-33301-0V002

www.penguin-verlag.de

Liebe Leser*innen,

es könnte sein, dass einige Passagen des Buches euch persönlich nahegehen, wenn ihr ähnliche Erfahrungen macht oder gemacht habt. Aus diesem Grund findet ihr auf der hinteren Seite eine Triggerwarnung, die aufzeigt, um welche Inhalte es sich hierbei handelt.

Carrie Leighton und der Penguin Verlag

Ich schreibe über eine Liebe, die falsch ist. Über einen Schmerz, der nicht vergeht. Der dich für immer verändert. Ich schreibe über eine Liebe, die dich erfüllt und dir alles nimmt. Eine Liebe, die dir trotz aller Widrigkeiten zeigt, was du verdienst. Jeder von uns hat mit den Wunden seiner Seele zu kämpfen. Ich habe meine Seele heilen können, indem ich über sie geschrieben habe. Meine lieben Leser*innen, unsere Reise beginnt hier …

Prolog

Ich bin in einer ganz normalen Familie aufgewachsen. Mein Vater war ein ehrlicher Arbeiter, meine Mutter eine unzufriedene Hausfrau. Und ich … ehrlich gesagt, ich habe nie gewusst, wie es mir eigentlich ging.

Meist hatte ich das Gefühl, als ziehe das Leben an mir vorbei, ich war zu sehr damit beschäftigt, es zu beobachten, statt es zu leben.

Ich floh in bedruckte Seiten und träumte mit offenen Augen von der Liebe.

Banal, ich weiß, aber »banal« ist mein zweiter Vorname.

Ich verbrachte meine Tage mit Lesen und fragte mich, wann mein Moment kommen und wie er wohl sein würde.

Ich stellte mir die Liebe so harmonisch vor wie eine Sinfonie.

Leicht wie der Flügelschlag eines Schmetterlings.

Sanft wie eine Feder im Wind.

Rein, unbeschwert, romantisch.

Denn im Grunde sollte die Liebe genau so sein.

Aber ich hatte mich geirrt.

Für mich war die Liebe nichts von alldem.

Von dem Moment an, in dem er mich zum ersten Mal berührte, war sie die kreischende Melodie einer E-Gitarre. Die Wucht eines Orkans. Das Schicksal einer Seele, besiegelt durch den Zusammenprall mit einer anderen.

Darauf konnte mich kein Buch vorbereiten.

Du weißt nie, was passiert, wenn du jemandem das erste Mal begegnest …

Du weißt nicht, wie sich dein Leben verändern wird.

Du weißt nicht, welche Macht er über dich haben wird.

Du weißt nicht, dass sich alles in dir verändern wird und du nie mehr dieselbe sein wirst.

Teil Eins

Kapitel 1

Corvallis im Herbst hatte eine besondere Faszination. Der Ort bestand aus kleinen Häusern, die von Parks und dichten Wäldern umgeben waren, und erinnerte an die märchenhafte Landschaft in einer der Schneekugeln, die ich als kleines Kind gesammelt hatte. Mit den ersten Regenfällen wurde der Zauber noch größer. Genau wie in diesem Moment, als ich die auf den Boden prasselnden Tropfen hörte, das Rauschen der Blätter im Wind und den Geruch nach feuchtem Asphalt wahrnahm, der mir in die Nase stieg. Besser konnte man gar nicht aufwachen.

Doch der Frieden währte nur kurz, denn das Klingeln des Weckers erinnerte mich daran, dass heute mein zweites Jahr an der Oregon State University begann. Natürlich hätte ich mich gern noch ein wenig unter der Decke verkrochen, aber nach dem dritten ignorierten Klingeln ertönte »Breed« von Nirwana in solch ohrenbetäubender Lautstärke, dass ich fast einen Herzinfarkt bekommen hätte. Ich streckte den Arm in Richtung Nachttisch aus und tastete nach meinem Handy, während Kurt Cobains Stimme durchs Zimmer schallte. Als ich es endlich zwischen die Finger bekam, stellte ich den Wecker aus, zog mir die Frosch-Schlafmaske vom Gesicht und zwang mich, die Augen zu öffnen.

Anschließend gab ich dem Impuls nach, zu überprüfen, ob Nachrichten oder Anrufe von Travis eingegangen waren. Nichts. Ich sollte mich inzwischen daran gewöhnt haben, war aber trotzdem enttäuscht. Mit ihm war es immer dasselbe: Nach jedem Streit verschwand er einige Tage vom Radar, um mir zu zeigen, wie wenig ihm an unserer inzwischen in Scherben liegenden Beziehung lag.

Konnte man eigentlich schon erschöpft sein, bevor der Tag überhaupt begonnen hatte?

Widerwillig stand ich auf und schlüpfte in meine flauschigen Einhorn-Hausschuhe und band die Haare zu einem losen Knoten zusammen. Anschließend zog ich den frisch gewaschenen Fleece-Bademantel über und trat ans Fenster vor dem Bett. Ich schob die Vorhänge beiseite, presste die Stirn gegen die kalte Scheibe und blickte auf den regenfeuchten Gartenweg.

Travis ging davon aus, dass ich den ersten Schritt machen würde, um das Schweigen zu brechen. Aber nach dem, was er sich geleistet hatte, wollte ich dieses Mal nicht nachgeben. Den eigenen Freund in einer Instagram-Story sturzbesoffen mit zwei unbekannten Mädchen in mehr als eindeutigen Posen auf dem Tresen tanzen zu sehen, während ich alleine mit einer Grippe zu Hause im Bett lag, war ein Schmerz, den ich niemandem wünsche. Als ich ihn wütend angerufen und eine Erklärung verlangt hatte, hatte er mich mit dem üblichen »Vanessa, jetzt übertreibst du aber« abgespeist, aufgelegt und nichts mehr von sich hören lassen. Ich verbrachte das Wochenende deprimiert zu Hause und ordnete für den ersten Tag des neuen Collegejahres meine Bücher und Hefte. Nicht mal die FaceTime-Gespräche mit Tiffany, meiner besten Freundin, und Alex, meinem besten Freund, konnten mich von diesem Video und der Demütigung ablenken. Travis hatte sich mir gegenüber wieder einmal respektlos verhalten. Die Situation war so anstrengend geworden, dass ich nicht mal mehr weinen konnte, was seltsam war, denn bisher hatte ich immer geflennt, wenn ich von meinen Gefühlen überwältigt worden war. Frustriert warf ich das Handy aufs Bett, fuhr mir mit den Händen übers Gesicht und zwang mich, an etwas anderes zu denken, sonst würde ich Kopfweh bekommen. Ich sollte mich besser fertig machen, der Tag würde lang werden.

Nach einer schnellen Dusche ging ich in mein Zimmer zurück, zog mich an und schaute erneut aufs Handy, obwohl ich wusste, dass das keine gute Idee war. Nichts. Keine Anrufe, keine Nachrichten. Ein ungesunder Wunsch danach, ihn anzurufen und zu beschimpfen, stieg in mir auf.

»Nessy, bist du wach?«, riss mich Moms schrille Stimme aus meinen Gedanken. Der Duft nach frischem Kaffee wehte durchs Haus. Es war fast so, als befände ich mich zwischen Himmel und Hölle.

»Ja, ich bin wach!«, rief ich leise und hielt mir den schmerzenden Hals. Die kürzlich überstandene Grippe machte sich immer noch bemerkbar.

»Komm runter, das Frühstück ist fertig!«

Seufzend ging ich nach unten, mit nassen Haaren und im Bademantel, in der Hoffnung, meine schlechte Laune verbergen zu können. Das Letzte, was ich jetzt brauchen konnte, war eine von Moms unendlich langen Predigten, mir bloß meinen Freund warmzuhalten, weil er aus einer guten Familie stammte. Seine Fehler und mein Leid zählten für sie nicht: Die Liebe, die meine Mutter für das Vermögen von Travis’ Familie hegte, war größer als die für ihre Tochter. Als sie vor zwei Jahren erfahren hatte, dass ich in einer Beziehung mit dem Erstgeborenen eines reichen Ölmagnaten war, kam das für sie einem Lottogewinn gleich.

Ich betrat die Küche und sah sie an der Anrichte stehen, bereit, den Tag in Angriff zu nehmen: in weißer eleganter Marlene-Hose und blauer Bluse, die blonden Haare zu einem perfekten Knoten geschlungen. Ihr Make-up war dezent: Die Mascara betonte ihre blauen Augen, auf ihren schmalen Lippen lag ein Hauch Lippenstift. Mit ihrer angeborenen Eleganz schaffte sie es immer wieder, mein ohnehin geringes Selbstbewusstsein noch weiter schrumpfen zu lassen.

Ich kam nicht mal dazu, ihr einen guten Morgen zu wünschen, als ich auch schon von einer Flut von Informationen überrollt wurde.

»Auf der Kommode im Flur liegen ein paar Rechnungen und Geld. Es wäre wunderbar, wenn du dich heute darum kümmern könntest.« Sie eilte zur Kaffeemaschine, füllte zwei Tassen und klärte mich dabei über die weiteren Aufgaben auf, die ich im Laufe des Tages zu erledigen hatte. »Du musst die Sachen aus der Reinigung holen und fürs Abendessen einkaufen. Ach ja, bevor ich es vergesse …«, sie reichte mir eine der beiden Tassen. Ich trank einen großen Schluck, hoffte auf die belebende Wirkung des Kaffees und hörte weiter ihrem Geplapper zu. »Mrs. Williams hat mich gebeten, mich um ihren Chihuahua zu kümmern, weil sie heute nicht in der Stadt ist. Ich habe ihr gesagt, du würdest das sehr gern übernehmen.«

All diese Anweisungen am frühen Morgen machten mich noch nervöser, als ich ohnehin schon war.

»Soll ich sonst noch was tun? Keine Ahnung – den Rasen mähen, mich erkundigen, wer von den Nachbarn sonst noch Hilfe gebrauchen könnte, oder lieber gleich ein Treffen des Hauseigentümerverbands organisieren?« Ich verdrehte die Augen und warf ihr einen Seitenblick zu, dann legte ich das Handy auf die Anrichte und setzte mich an den Tisch.

»Du weißt, dass Mrs. Williams sonst niemanden hat, den sie fragen kann. Da kann ich nicht Nein sagen. Wie würde das aussehen?« Sie führte ihre Tasse zum Mund, nahm einen Schluck und fuhr dann fort: »Außerdem dachte ich, du freust dich darüber. Du liebst doch Tiere!«

»Ja, das heißt aber nicht, dass ich die Zeit und den Wunsch habe, mich um sie zu kümmern.«

»Ich auch nicht«, erwiderte sie. »Als ich den Job als Sekretärin in der Anwaltskanzlei angenommen habe, war mir nicht bewusst, dass es so anstrengend sein würde. Aber irgendjemand muss schließlich das Geld nach Hause bringen.«

Ich sah sie an, und plötzlich schämte ich mich. Ich wusste sehr wohl, dass sie sich um alles allein kümmern musste, nachdem uns mein Vater vor drei Jahren verlassen hatte. Ich bewunderte sie sehr dafür, aber sie vergaß oft, dass auch ich ein Leben hatte und mich ihrem nicht komplett unterordnen konnte.

»Du hast recht, entschuldige.« Ich stand auf, nahm eine Packung Granola aus dem Küchenschrank und füllte etwas davon in eine Schüssel. »Auf den Hund von Mrs. Williams aufzupassen, dürfte kein Problem sein. Ich drehe vor und nach der Uni eine Runde mit ihm. Den Rest erledige ich auch, mach dir keine Sorgen«, versicherte ich ihr, um sie zu beruhigen.

»Danke. Das wollte ich hören.« Sie legte mir eine Hand auf die Schulter und zupfte mit ihren gepflegten, perfekt lackierten roten Fingernägeln an meinen Locken. »Und zieh bitte wenigstens am ersten Tag etwas Nettes an.«

Nach einem letzten Schluck Kaffee verabschiedete sie sich und versprach, zum Abendessen zurück zu sein. Ich goss Milch in die Schüssel und setzte mich zurück an den Tisch. Kurz darauf leuchtete mein Handy auf: Eine neue Nachricht war eingegangen. Ich ließ den Löffel in die Milch fallen, sprang auf und stürmte zur Anrichte, wobei ich über den Teppich stolperte und beinahe mit dem Gesicht auf den Boden geknallt wäre. Vielleicht hätte mir der Aufprall sogar ganz gutgetan, doch ich stürzte wie gesagt nur beinahe.

Als mir klar wurde, dass die Nachricht von meiner besten Freundin Tiffany kam, der Zwillingsschwester meines Freundes, war die Enttäuschung groß. Ich hatte wirklich gehofft, Travis’ Namen auf dem Display zu sehen, aber offensichtlich war es wahrscheinlicher, dass die Welt unterging, als dass dies passierte.

»Guten Morgen, du alte Streberin, ab heute hat dein Leben wieder einen Sinn.«

»Ich konnte heute Nacht vor lauter Euphorie nicht schlafen«, schrieb ich voller Ironie zurück.

»Daran habe ich keinen Zweifel. Heute Abend beginnt das Training, wollen wir zusammen hingehen?«

Ich runzelte die Stirn und las die Nachricht mehrere Male. Bestimmt hatte ich sie falsch verstanden. Tiffany interessierte sich für Sport? Sonst zählten für sie fast ausschließlich die neuesten Mode- und Make-up-Trends, ihr Termin bei der Kosmetikerin jeden Dienstag und ihre geliebten True-Crime-Podcasts. Sie würde niemals ihre kostbare Zeit verschwenden, um bei einem langweiligen Basketballtraining zuzusehen.

Ich brauchte ein bisschen, bis ich begriff, dass nicht Tiffany, sondern Travis das wissen wollte. Der Feigling holte doch tatsächlich über seine Schwester Informationen über mich ein! Zuerst verschwand er für zwei Tage von der Bildfläche und überließ mich meinem Selbstmitleid, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, sich irgendeine dämliche, halbwegs glaubwürdige Ausrede einfallen zu lassen, und dann schob er auch noch meine beste Freundin vor.

Genervt schrieb ich zurück: »Sag deinem Bruder, dass er sich schon selbst bemühen muss, wenn er etwas von mir wissen will.«

Die Antwort kam prompt: »Er hat mich gezwungen, ich kann nichts dafür. Du weißt, dass ich auf deiner Seite stehe. Ich hole dich ab, lass uns zusammen zur Uni fahren. Steh um acht draußen. Hab dich lieb!«

Ich hatte also recht gehabt. Das Ganze war so nervend! Gereizt knallte ich das Handy auf den Tisch, der Appetit war mir vergangen, und zwar gründlich. Grummelnd spülte ich die Tasse und die Schüssel ab und ging hinauf in mein Zimmer. Dort stellte ich mich vor den Kleiderschrank und überlegte kurz, ob ich dem Wunsch meiner Mutter nachkommen und zur Abwechslung mal etwas anderes als Jeans und einfarbige Kapuzenshirts anziehen sollte. Schließlich entschied ich mich für eine weit ausgeschnittene weiße Bluse mit Spitzensaum. Hübsch, aber als ich mich im Spiegel betrachtete, fand ich, dass sie meine vollen Brüste zu sehr betonte. Wenn ich die trug, würden mich alle anstarren, und genau das wollte ich vermeiden. Ich faltete die Bluse zusammen und legte sie in den Schrank zurück, dann entschied ich mich für meinen üblichen unauffälligen Look, der gar nicht so schlecht war. Schmal geschnittene Jeans, weißes Sweatshirt, das bis über den Hintern reichte – viel besser. Nachdem ich mir die krausen Haare glatt geföhnt und zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, griff ich nach meiner Tasche und steckte Verstand und Gefühl von Jane Austen ein, eines meiner Lieblingsbücher. Es half mir zwischen den Vorlesungen, mich abzulenken.

Bevor ich das Haus verließ, betrachtete ich mich noch einmal im Spiegel – und bereute es sofort. Das, was ich sah, gefiel mir gar nicht: Ich war blass, hatte dunkle, fast lila Augenringe unter den grauen, noch etwas geröteten Augen, die schwarzen Haare sahen erbärmlich aus. Ich löste den Zopf und fuhr mit den Händen durch die Locken, doch es wurde nicht besser. Schließlich gab ich auf, griff nach dem Schirm und verließ das Haus, bevor ich mich noch mehr aufregte.

Kapitel 2

Um Punkt acht stand Tiffany in ihrem leuchtend roten Ford Mustang vor der Tür. Ich gab ihr zu verstehen, dass sie fünf Minuten warten sollte, bis ich Charlie, den Hund der Nachbarin, zurückgebracht hatte.

Als ich ins Auto stieg, schlug mir der Duft nach frischen Blumen entgegen, das Parfüm meiner besten Freundin. Sie musterte mich durchdringend, und ich kam wieder einmal nicht umhin, zu bemerken, wie schön sie war mit ihren haselnussbraunen Augen, umrahmt von langen, dick getuschten Wimpern, und dem sanft gewellten kupferfarbenen Bob.

»Und?«, fragte sie und trommelte mit den Fingerspitzen aufs Lenkrad. »Wie geht’s? Hast du die Grippe überstanden?« Ich wusste, dass sie vorsichtig das Terrain auslotete, denn sie wusste, dass ich sauer war, weil sie sich von Travis hatte einspannen lassen. Aber das musste sie gar nicht. Sie war schließlich seine Schwester, ich hätte an ihrer Stelle genau das Gleiche getan.

»Könnte besser gehen«, gab ich zu, während ich den Gurt anlegte. »Ich habe mich noch immer nicht von der Grippe erholt und außerdem schreckliches Kopfweh.«

»Willst du eine Schmerztablette? Ich habe eine in der Handtasche.«

»Keine Sorge, das vergeht schon«, antwortete ich und massierte mir die Schläfen, in der Hoffnung, dass es dann besser würde.

»Stimmt, das hatte ich ganz vergessen. Deine Mutter hat dich ja mit ihrer Angst vor Schmerzmitteln infiziert. Solltest du’s dir anders überlegen: Die Tabletten sind hier drin.« Sie deutete auf die Tasche auf dem Rücksitz, startete den Motor und fuhr los. Erst als wir meine kleine Straße hinter uns gelassen hatten, kam sie auf den Punkt. »Entschuldige bitte wegen heute Morgen, ich wollte mich nicht einmischen. Nach dem, was er sich geleistet hat, war das voll blöd von mir, aber Travis hat mich so bedrängt, dass ich am Ende nachgegeben habe!«

»Du musst dich nicht entschuldigen, Tiff, du hast nichts falsch gemacht. Der Idiot ist er.« Ich schaltete das Radio ein.

»Das ist er, so viel steht fest.« Sie drehte die Musik lauter. Schweigend fuhren wir zum Campus, vorbei an Einfamilienhäusern mit sorgfältig gepflegten Gärten, umhüllt vom grauen Septembernebel. Hin und wieder warf sie mir einen Blick zu. Ich tat so, als würde ich es nicht bemerken.

Als wir ankamen, hatte der Regen aufgehört. Sie parkte den Wagen auf dem Studentenparkplatz, doch bevor ich die Tür öffnen konnte, hakte Tiffany noch einmal nach. »Hör mal, ich weiß, ich sollte mich da raushalten, aber als Freundin muss ich dich das fragen: Bist du dir sicher, dass das so weitergehen soll? Immerhin benimmt sich Travis dir gegenüber schon seit Längerem wie ein Arsch. Er weiß, dass er sich das leisten kann, weil du immer für ihn da bist. Ich hab keinen blassen Schimmer, warum du das mit dir machen lässt!«

»Ich weiß, Tiff.« Ich blickte auf meine im Schoß gefalteten Hände und sackte in mich zusammen. »Mir ist klar, dass ich das Ganze am besten beenden sollte. Aber wie soll ich das anstellen? Ich schaffe es einfach nicht … noch nicht.« Ich schaute sie an und schämte mich.

Tiffany schüttelte resigniert den Kopf, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und starrte ins Leere. »Du bist zu gut für meinen Bruder, das wissen alle außer dir.«

»Weißt du was?« Ich schlug mit den Handflächen auf meine Oberschenkel, entschlossen, die angespannte Atmosphäre zu durchbrechen und das Thema so schnell wie möglich abzuhaken. »Heute beginnt unser zweites Jahr, heute kann ich endlich wieder meine geliebten Vorlesungen besuchen, und ich habe nicht vor, mir den Tag von Travis versauen zu lassen. Also Schluss mit diesen negativen Gedanken.« Ich sprang aus dem Auto, ohne ihre Antwort abzuwarten.

»Dem Problem auszuweichen, bringt dich nicht weiter!«, rief sie, stieg ebenfalls aus und schloss zu mir auf.

»Du hast es doch selbst gesagt, oder? Früher oder später …« Ich hängte mir die Tasche über die Schulter.

Tiffany warf mir einen finsteren Blick zu, sagte aber nichts, wofür ich ihr im Stillen dankbar war. Seite an Seite gingen wir auf die großen, von Büschen und Bäumen umgebenen Backsteingebäude zu. Die Blätter färbten sich bereits rot, orange und gelb.

»Ich muss los, Süße!«, rief sie, nachdem sie einen Blick auf die schmale Uhr an ihrem Handgelenk geworfen hatte. »Ich habe in zehn Minuten einen Beratungstermin wegen meiner Kursbelegung. Wir sehen uns später, okay?«

»Klar, bis später.« Wir umarmten uns, und ich sah, wie sie in Richtung der Soziologischen Fakultät verschwand.

Sobald sie weg war, gönnte ich mir einen Moment, um den Anblick, der sich mir bot, in mich aufzunehmen, der vermutlich jedes Jahr derselbe war: Eltern, die mit weit mehr Enthusiasmus als ihre Kinder Taschen und Koffer in die Wohnheime schleppten, Studentinnen und Studenten der höheren Semester, die sich schicksalsergeben dem Chaos fügten, das jeden Herbst über die Uni hereinbrach.

Vor gar nicht langer Zeit hatte auch ich zu den Studienanfängerinnen gehört. Ich erinnerte mich an meine Mutter am Tag meiner Immatrikulation: Sie hatte ununterbrochen geweint und Fotos gemacht, um sie stolz sämtlichen Freunden und Verwandten zu schicken. Dieses Jahr konnten wir uns einen Platz im Studentenwohnheim nicht mehr leisten, aber das war nicht weiter schlimm, so weit entfernt wohnten wir ja nicht. Und auch wenn meine Mutter unser Auto brauchte, fand ich doch immer jemanden, der mich mitnehmen konnte.

Ich schaute mich um, leicht nervös. In Menschenmengen wie diesen hatte ich immer das Gefühl, von allen angestarrt zu werden, auch wenn ich wusste, dass das nicht stimmte.

Ich erinnerte mich noch gut an das Trauma in der weiterführenden Schule, als wir am ersten Schultag aufstehen, uns vorstellen und von uns erzählen mussten. Je näher meine Vorstellung rückte, desto größer wurde meine Panik. Wie ein Mantra wiederholte ich in Gedanken die Sätze, die ich gleich sagen wollte: »Hallo, ich heiße Vanessa Clark. Ich lebe bei meinen Eltern, hasse Rosinen in Keksen und Gurken im Big Mac.«

Obwohl ich tief im Innern noch immer ziemlich unsicher war, hatte ich meine Schüchternheit im Laufe meiner Jugend nach außen hin größtenteils überwinden können. Das lag an meinem Selbsterhaltungstrieb, aber auch an meinem Freund Alex.

Wir kannten uns seit der Grundschule. Am ersten Schultag setzte ich mich ganz nach hinten an die Wand und starrte aus dem Fenster neben mir, damit ich nicht mit den anderen Kindern sprechen musste.

Meine Taktik schien zu funktionieren, bis ein kleiner Junge mit großen Augen und braunen Locken den Mut hatte, sich neben mich zu setzen und so lange zu warten, bis ich mich vorsichtig zu ihm umdrehte. Er bot mir ein Bonbon an, und ich lächelte ihm zu und griff danach, ohne ein Wort zu sagen. Dieser Junge war Alexander Smith, und mit großer Geduld ertrug er dreizehn Jahre lang meine Obsessionen, meine Paranoia und meine Unsicherheit. Er war in den wichtigsten Momenten meines Lebens an meiner Seite. Er war bei mir, als ich mit neun eine Zahnspange bekam und mich weigerte, zu sprechen, zu lachen oder auch nur zu lächeln. Er war bei mir, als ich mit dreizehn beschloss, mir als Ausdruck meiner Rebellion die Haare grün zu färben, was ich sofort bereute. Er war bei mir, als ich mich in der Zehnten in Easton Hill verliebte.

Oh, Easton … Easton war der Wahnsinn, leider stellte sich am Ende heraus, dass er nur Amanda Jones, auf die sämtliche Jungs der Schule standen, hatte eifersüchtig machen wollen – ein harter Schlag für mich, doch Alex richtete mich wieder auf. Er kam zu mir nach Hause, wir bestellten uns bergeweise chinesisches Essen und zogen uns an zwei Tagen die komplette erste Staffel von Vampire Diaries rein. Am dritten Tag fühlte ich mich wie geläutert und hatte Easton und Amanda hinter mir gelassen.

Alex war bei mir, als mein Vater uns verließ, und er hatte schnell begriffen, dass er sich am besten nicht dazu äußerte.

Er war bei mir, als Travis Baker in mein Leben trat und mir die Unbeschwertheit zurückbrachte, die mein Vater mir genommen hatte. Sie hatten sich nie gut verstanden, Alex und Travis, aber am Anfang unserer Beziehung hatte er ihn zumindest geduldet. Bis mich Alex darauf aufmerksam machte, dass Travis sich mir gegenüber immer respektloser verhielt.

Als hätte er gespürt, dass ich an ihn dachte, vibrierte das Handy in meiner Tasche, und tatsächlich: Es war Alex. Er informierte mich, dass er im Stau stand und unser üblicher Kaffee um halb neun verschoben werden musste. Ich sagte ihm, er solle sich keine Gedanken machen, und ging mit strahlendem Lächeln auf die Memorial Union zu, in der sich neben verschiedenen Veranstaltungsräumen auch ein Aufenthaltsbereich und eine Cafeteria befanden, atmete den Duft des feuchten Grases ein und war glücklich, wieder an meinem absoluten Lieblingsort zu sein. Als ich den Aufenthaltsraum betrat, setzte ich mich auf eine braune Ledercouch und zog Verstand und Gefühl aus der Tasche, um die Zeit bis zur ersten Vorlesung des Tages zu überbrücken. Ich kam gerne zu früh und genoss es, die Atmosphäre des Neuanfangs ganz für mich allein zu genießen.

Noch bevor ich eine Seite gelesen hatte, hob ich den Blick und sah Travis vor der Cafeteria stehen: mit perfekt gegelten kastanienbraunen Haaren, offener Jeansjacke und olivgrüner Umhängetasche. Ich war überrascht: Normalerweise hielt er sich nicht in diesem Bereich des Campus auf. Wir besuchten zwar die gleiche Uni, aber unterschiedliche Fakultäten. Er verbrachte die meiste Zeit im Gebäude für Wirtschaftswissenschaften oder in der Sporthalle. Ich dagegen war bei den Geisteswissenschaften zu finden oder verkroch mich in der Bibliothek. Wir trafen uns nur in der Mittagspause und manchmal nach den Vorlesungen.

Mein Magen zog sich zusammen. In meinem Kopf tauchten wieder die Bilder von ihm und den beiden Mädchen auf, wie er sich an ihnen rieb, während sie ihm ihre Ärsche entgegenstreckten, die Scham und der Schmerz, den ich gefühlt hatte. Wütend klappte ich das Buch zu, sprang auf, und ohne mir darüber klar zu sein, was ich da eigentlich tat, ging ich zu ihm und baute mich mit vor der Brust verschränkten Armen vor ihm auf. Der neugierige Blick des Typen hinter der Kaffeebar war mir völlig gleich: Schluss mit der unterwürfigen Vanessa, ich würde ihm klar und deutlich zu verstehen geben, was ich davon hielt. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, immerhin befanden wir uns in der Öffentlichkeit, und warf ihm einen wütenden Blick zu. In seinen haselnussbraunen Augen spiegelte sich eine Mischung aus Überraschung und schlechtem Gewissen.

»Und? Willst du mir wenigstens irgendeine Erklärung für dein Scheißverhalten geben?«, fragte ich lauter als beabsichtigt.

Unangenehm berührt, schaute Travis sich um. »Nicht hier, bitte.«

»Du lässt zwei Tage nichts von dir hören, und dann fragst du mich, ob ich zum Training komme, als wäre nichts passiert! Ach nein, du hast mich ja gar nicht gefragt, das hast du deiner Schwester überlassen! Verdammt, Travis, was sollte das?«, stieß ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor, von mir selbst überrascht.

Travis fasste meinen Arm und zog mich in eine Ecke, weg von den neugierigen Blicken der anderen.

»Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe, ich war betrunken …«

»Das ist doch keine Entschuldigung!«, unterbrach ich ihn zornig und riss mich von ihm los.

»Mehr als das, was du gesehen hast, ist nicht passiert«, verteidigte er sich.

»Und das soll mich beruhigen? Hast du auch nur den Hauch einer Vorstellung, wie ich mich gefühlt habe? Du warst respektlos, hast mich vor deinen Freunden lächerlich gemacht, ich bin dir völlig egal!«, schrie ich und spürte, wie meine Augen anfingen zu brennen.

»Jetzt übertreib mal nicht. Wir haben uns nur ein bisschen amüsiert. Zugegeben, die Sache ist etwas aus dem Ruder gelaufen, aber mehr auch nicht. So etwas würde ich dir nie antun, das weißt du doch.«

Er streckte die Hand nach mir aus, doch ich schlug sie zurück, entschlossen, nicht klein beizugeben. Ich hatte es satt. Ich hatte genug von seinem Verhalten, seiner Gedankenlosigkeit und der Gleichgültigkeit gegenüber dem Schmerz, den er mir zufügte.

»Du hast dich zwei Tage lang nicht gemeldet«, beharrte ich enttäuscht. »Zwei Tage, an denen du nicht einmal gefragt hast, wie es mir geht.«

Sein Gesicht verdüsterte sich. »Ich bin abgetaucht, weil ich dachte, es wäre besser, damit du dich wieder beruhigst, aber wie es aussieht, hat das nicht geklappt. Es tut mir leid, dass du das Video gesehen hast, und es tut mir leid, dass ich dich damit verletzt habe.«

Er wirkte aufrichtig, aber ein Teil von mir wusste, dass es nur eine von vielen Rechtfertigungen war, mit denen er mich gnädig stimmen wollte. Ich sah ihm direkt in die Augen, in der verzweifelten Hoffnung, dort eine Lösung zu finden – vergeblich. Also senkte ich den Blick und atmete tief durch. »Ich habe deine Fehltritte schon zu oft entschuldigt«, sagte ich rasch, bevor der Mut mich verließ. »Vielleicht war das mein Fehler. Verzeihen, verzeihen und noch mal verzeihen. Aber warum bleiben wir überhaupt zusammen, wenn du schon nach einem Glas mit anderen Frauen rummachst?«

Seinem alarmierten Blick nach zu urteilen, hatte ich eine Schwachstelle getroffen.

»Hör mal«, sagte er beschwichtigend, »wir machen eine schwierige Phase durch, aber die können wir überwinden.« Er trat einen Schritt auf mich zu und nahm mein Gesicht in die Hände.

»Und wenn ich das nicht will?« Mein Herz pochte wie wild, meine Kehle schnürte sich zusammen. »Wenn ich diese ›schwierige Phase‹ nicht überwinden will?«

Seine Verwirrung war offensichtlich, und einen Moment lang bedauerte ich das, was ich gerade gesagt hatte. Travis schüttelte den Kopf. »Sei nicht so voreilig. Du weißt selbst, dass das ein Fehler wäre, den du bedauern würdest. Den wir beide bedauern würden«, korrigierte er sich. »Du bist mir wichtig, diese Beziehung ist mir wichtig, und ich bin bereit, mich mehr anzustrengen, um es dir zu beweisen.«

»Manchmal denke ich, du sagst das nur, weil du dich selbst davon überzeugen willst – im Grunde willst du es doch gar nicht!«

Ich fragte mich, ob es nicht genau das war, was uns zusammenhielt: das Bewusstsein, dass wir uns ohne einander verloren fühlen würden. Waren wir nur zusammen, weil wir so große Angst vor dem Alleinsein hatten? Der Einsamkeit? Mein Gott, wie traurig!

Travis lehnte die Stirn gegen meine. Unsere Nasen berührten sich. »Gib mir die Chance, dir zu zeigen, dass du dich irrst«, bat er mich, und mir wurde klar, dass seine Worte schon jetzt meine Entschlossenheit erschütterten. Er musste es ebenfalls bemerkt haben, denn er drückte seine Lippen auf meine und wartete auf meine Reaktion. Ich zögerte, aber aus irgendeinem Grund ließ ich mich am Ende doch auf einen Kuss ein.

So endete es immer zwischen uns. Aber dieses Mal hatte sich etwas in mir verändert, auch wenn ich noch nicht bereit war, es laut auszusprechen.

»Ich weiß, dass du mir nicht glaubst, aber du hast mir in diesen zwei Tagen gefehlt«, flüsterte er. Ich lachte bitter. Wenn es wirklich so gewesen wäre, hätte er sich bei mir gemeldet.

»Du hast recht, ich glaube dir nicht«, erwiderte ich knapp.

»Ich meine es ernst, und ich habe eine Überraschung für dich, damit du mir verzeihst.«

»Was für eine Überraschung?«, fragte ich skeptisch.

»Rate mal, wer dir zwei Karten für das Harry-Styles-Konzert nächsten Sonntag in Albany schenkt?«

Mein Gesicht leuchtete auf, und ich musste mir alle Mühe geben, meine Begeisterung nicht allzu offen kundzutun. So leicht wollte ich ihn nicht davonkommen lassen.

»Eine wirklich schöne Geste, aber zwei Konzertkarten reichen nicht, um dich zu entschuldigen.«

»Ich weiß«, sagte er und strich mir eine Locke hinters Ohr. »Aber ich wollte dir zeigen, dass ich an dich gedacht habe. Wollen wir das Gespräch nicht beenden und den Tag genießen? Davon sollten wir uns die Laune nicht verderben lassen.«

»Am Ende kommst du immer davon«, sagte ich und seufzte resigniert. Travis schenkte mir ein unschuldiges Lächeln, das so gar nicht zu ihm passte, und legte den Arm um meine Schultern. Wir gingen zur Theke und bestellten zwei Kaffee. Die Barista warf uns einen merkwürdigen Blick zu, aber ich ignorierte sie. Hatte sie etwa alles gehört? Wie peinlich war das denn?

»Also, kommst du?« Travis führte den Pappbecher zum Mund.

»Wohin?«

»Zum Training, du weißt doch, wie wichtig es mir ist, dass du dabei bist.«

Das Training langweilte mich zu Tode. Lieber würde ich mit einem Haufen Backsteine auf dem Rücken den Mount Everest besteigen, als dabei zu sein, wenn er Basketball spielte, aber ich konnte nicht Nein sagen, selbst wenn er es verdient hatte.

»Okay«, antwortete ich und schaute auf mein Handy. »In zehn Minuten beginnt die erste Vorlesung. Wenn du nicht zu spät kommen willst, solltest du dich langsam auf den Weg machen.«

Er lächelte, küsste mich und drückte mich an sich. »Um fünf vor der Sporthalle, ja?«

Ich nickte ohne jede Begeisterung, dann trennten wir uns, um in unsere jeweiligen Vorlesungen zu gehen.

Kapitel 3

Seit ich denken kann, betrat ich immer als eine der Ersten das Unterrichtszimmer, und heute war das nicht anders. Ich ließ den Blick durch die leeren Reihen gleiten und wählte die erste ganz vorne. Ich mochte als Streberin gelten, aber ich hörte mir Vorlesungen gerne ungestört an. Während sich der Hörsaal binnen weniger Minuten mit Studentinnen und Studenten füllte, kam ein junger Mann auf mich zu, und zwar nicht irgendeiner, sondern Thomas Collins. Ich kannte ihn zwar nicht gut, wusste aber, dass er im letzten Sommer nach Corvallis gekommen war. Wie ich war er im zweiten Jahr und spielte im gleichen Basketballteam wie Travis. Ich hatte ihn schon öfter beim Training und bei den Spielen gesehen. Er war wirklich talentiert, und genau aus dem Grund stolzierte er durch die Gänge der Uni, als würde sie ihm gehören. Die anderen Studenten respektierten ihn, niemand wagte es, ihn offen zu kritisieren. Er suchte sich gerne ein Opfer unter den Studentinnen aus, war er sich seines Charmes doch durchaus bewusst.

Travis und er mochten sich nicht, mein Freund hielt ihn für einen arroganten Schnösel, was aus seinem Mund paradox klang. Mehr als einmal hatte er mich im vergangenen Studienjahr vor Thomas’ Ruf als Frauenheld gewarnt, auch wenn mir seine guten Ratschläge gestohlen bleiben konnten. Auf dem Campus blieb ich die brave Studentin und hielt mich gerne im Hintergrund. Außerdem war ich mit dem Captain der Basketballmannschaft zusammen, da belästigte mich sowieso niemand. Noch einen arroganten und selbstgefälligen Typen konnte ich in meinem Leben nicht gebrauchen, deshalb hielt ich mich von Thomas fern.

Aber heute schienen die Dinge anders zu liegen. Unter all den freien Plätzen wählte Thomas ausgerechnet den Platz neben mir. Seltsam: Im letzten Jahr hatte er mich nicht einmal gegrüßt, und eigentlich war er auch nicht der Typ für die erste Reihe.

Einen Moment lang überlegte ich, mich umzusetzen, doch ich wollte meinen Platz auf gar keinen Fall aufgeben, vor allem nicht wegen Thomas Collins.

Mit der für ihn typischen Nonchalance ließ Thomas einen Collegeblock und einen Stift auf den Tisch fallen und setzte sich, besser gesagt, fläzte sich auf den Sitz. Mehrere Studentinnen gingen kichernd an ihm vorbei und zwinkerten ihm zu. Er schaute ihnen nach und starrte einer von ihnen nahezu unverhohlen auf den Hintern. Wow, ein echter Gentleman … Trotzdem kam ich nicht gegen meine Neugier an und nutzte den Moment, um ihn genauer zu betrachten. Die schwarzen, zerzausten Locken fielen ihm in die Stirn, an den Seiten und am Hinterkopf trug er sie raspelkurz. Die gerade Nase und das markante Kinn verliehen seinem Gesicht etwas Hartes, Kraftvolles, genau wie die muskulösen Arme und die breiten Schultern unter der Lederjacke, das Zungenpiercing und die Tattoos, die Hände, Hals und Nacken bedeckten. Beim Training hatte ich noch weitere entdeckt: Er war von Kopf bis Fuß tätowiert. Einige behaupteten, dass ihn das, zusammen mit den smaragdgrünen Augen, in denen feine bernsteinfarbene Linien leuchteten, unwiderstehlich machte. Ich war definitiv nicht dieser Meinung.

Bevor er meinen Blick bemerkte, schaute ich zur Seite, sah aber noch, wie er sein Handy aus der Jeans zog und sich Kopfhörer ins Ohr steckte. Meine Augenbrauen wanderten in die Höhe. Was sollte das denn werden? Wollte er etwa während der Vorlesung Musik hören? Es gab nichts Nervigeres als Sportler, die sich auf ihren Lorbeeren ausruhten, weil ihre akademische Karriere auf ihren sportlichen Leistungen beruhte.

Als hätte er meine Gedanken gelesen, drehte er sich zu mir um und musterte mich unverhohlen. Während er die Augen dreist über meinen Körper wandern ließ, kaute er mit offenem Mund langsam einen Kaugummi. Instinktiv warf ich ihm einen finsteren Blick zu, um ihm klarzumachen, dass seine erbärmliche Badboy-Strategie bei mir nicht funktionierte. In der Hoffnung, seine Arroganz wenigstens ein bisschen anzukratzen, fragte ich unfreundlich: »Hat dir noch niemand gesagt, dass man nicht mit offenem Mund kaut? Und während der Vorlesung auch keine Musik hört? Das ist unhöflich.«

Thomas zog überheblich eine Augenbraue in die Höhe. »Dass ich unhöflich bin, höre ich nicht das erste Mal«, antwortete er gleichgültig. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich zum ersten Mal seine Stimme hörte. Sie war tief und rauchig, genau das, was viele Frauen sexy fanden. »Der Punkt ist nur …«, fügte er hinzu, »es geht mir sonst wo vorbei.«

Travis hatte recht: Er war ein Arschloch.

»Du bist der typische aufgeblasene Sportler: Muskelmasse und riesiges Ego, aber nichts im Hirn«, entfuhr es mir. Ich konnte meine Wut einfach nicht im Zaum halten, doch wenn ich gehofft hatte, ihn damit zum Schweigen zu bringen, hatte ich mich getäuscht. Auf seinem Gesicht breitete sich Genugtuung aus.

»Riesig ist bei mir etwas anderes.« Er schaute auf seinen Schritt. »Du kannst dich gerne davon überzeugen, wenn du willst.«

Mir blieb der Mund offen stehen, meine Wangen färbten sich feuerrot. Er biss sich auf die Lippe, um ein Lachen zu unterdrücken, und mir war klar, dass er genau das bezweckt hatte: Er wollte mich in Verlegenheit bringen.

Ich starrte ihn einen kurzen Moment angewidert an. »Du bist geschmacklos.«

»Auch das höre ich öfter«, entgegnete er mit einem selbstzufriedenen Grinsen.

Ich war kurz davor, noch etwas zu erwidern, aber dann wurde mir klar, dass es zwecklos war. Es war besser, ich würde nicht auf seine Spielchen eingehen, deshalb wandte ich den Blick ab und ignorierte ihn. Für heute reichte es mir, außerdem sollte ich mich besser auf die wichtigen Dinge konzentrieren.

Ich nahm meine Arbeitsutensilien für die Vorlesung aus der Tasche und legte mir alles sorgsam zurecht, anschließend klappte ich den Laptop auf, positionierte einen neuen Notizblock daneben und darauf einen schwarzen Stift. An den linken Pultrand kamen meine Taschentücher, rechts daneben eine Flasche Wasser. Mir war bewusst, dass meine Ordnung etwas Zwanghaftes hatte, eine der Manien, die ich von meiner Mutter geerbt hatte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Thomas den Stift sinken ließ, mit dem er irgendetwas auf seinen Block gekritzelt hatte, und mich stirnrunzelnd beobachtete. Und obwohl ich versuchte, mich zurückzuhalten, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen, konnte ich einfach nicht die Klappe halten.

»Was gibt’s da zu glotzen?«, fragte ich schroff, die Augen auf die sorgfältig geordneten Utensilien vor mir auf der Tischplatte geheftet.

»Du weißt schon, dass es an der Uni eine psychologische Betreuung gibt?«

Innerhalb von zwei Minuten verschlug es mir ein weiteres Mal die Sprache.

»Wie bitte?«, fragte ich in der Hoffnung, mich verhört zu haben.

Er deutete auf das Arrangement auf meinem Pult, und ich ahnte, dass ich mich nicht verhört hatte.

»Ich bin nur ordentlich, dagegen ist nichts einzuwenden«, blaffte ich, bemüht, ruhig zu bleiben.

»Du bist nicht ordentlich, du bist krank, aber hey«, Thomas hob die Hände, »ich verurteile dich nicht. Der erste Schritt ist, das Problem zu erkennen, danach ist es ein Kinderspiel. Glaub mir, ich kenne mich damit aus.«

Jetzt reichte es. Was für ein Problem dieser Kerl auch immer mit mir haben mochte, es musste aufhören, und zwar sofort.

»Hörst du dir eigentlich zu? Du bist unmöglich! Ach, was sage ich, unmöglich ist viel zu wenig, du bist …« Ich versuchte, ein Wort zu finden, das all die Beleidigungen beinhaltete, die ich ihm am liebsten an den Kopf geworfen hätte, aber mir fiel keins ein.

»Ich bin was?«, fragte er, während einer seiner Mundwinkel provozierend in die Höhe wanderte.

»Ein aufgeblasener Schnösel!«, stieß ich hervor und ärgerte mich, dass mir nichts Fieseres eingefallen war.

Thomas konnte sich das Lachen kaum noch verkneifen. Der Tag wurde zu einem echten Albtraum.

»Ich habe schon Schlimmeres gehört.« Amüsiert schüttelte er den Kopf.

Das konnte ich mir vorstellen.

»Lass dir eines sagen: Ich kenne dich nicht, ich habe keine Ahnung, was für ein Problem du hast, und ich weiß nicht, warum du dich ausgerechnet neben mich gesetzt hast, aber offensichtlich hast du dir zum Ziel gesetzt, mich zu nerven. Jetzt fängt meine Lieblingsvorlesung an, auf die ich mich den ganzen Sommer über gefreut habe, und solltest du es wagen …«

»Stopp, stopp, stopp«, unterbrach er mich und sah mich mit aufgerissenen Augen an. »Was hast du da gesagt?«

Ich schaute ihn an und fragte mich, ob er mir überhaupt zugehört hatte.

»Dass meine Lieblingsvorlesung jetzt anfängt.«

»Nein, danach.«

»Ich sagte: Solltest du es wagen …«

»Nein, davor.«

»Dass ich mich den ganzen Sommer über darauf gefreut habe?« Da war er wieder, der ungläubige Blick.

»Ist das dein Ernst? Du hast dich den ganzen Sommer gefreut …«, er schaute sich um, »… auf das hier?«

Ich hob stolz den Kopf. Ich würde nicht zulassen, dass mir dieser arrogante Idiot das Gefühl gab, etwas falsch zu machen, nur weil ich mein Studium mehr liebte als alles andere. »Denk, was du willst, es ist mir egal. Ich möchte nur in Ruhe meine Vorlesung hören.«

Endlich betrat der Philosophieprofessor den Saal. Er bemerkte Thomas sofort und verdrehte die Augen.

Ich verstehe Sie, Herr Professor, dachte ich. Ich verstehe Sie.

»Mr. Collins, was für eine unangenehme Überraschung!«, begrüßte ihn Professor Scott ironisch. »Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Was führt Sie ausgerechnet hierher?«

»Nichts Besonderes! Wenn ich meinen Platz in der Mannschaft behalten will, muss ich ein paar Vorlesungen besuchen, das ist alles«, antwortete Thomas gelassen und tippte mit dem Stift auf das Pult. »Obwohl ich sagen muss, dass die Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts in diesem Kurs ziemlich motivierend sind.«

Empört wirbelte ich zu ihm herum und stellte fest, dass er mich dabei ansah. Meine Wangen fingen an zu brennen. Er wollte mich vor den anderen demütigen, so viel stand fest, und das allgemeine Gekicher zeigte deutlich, dass es ihm gelang. Warum um alles auf der Welt hatte er sich gerade mich als Opfer ausgesucht? Ich hatte ihm nichts getan.

Professor Scott schien nicht verärgert, ganz im Gegenteil, er wirkte eher resigniert. »Dann suchen Sie sich eine Beschäftigung, Collins, und stören Sie die anderen nicht«, sagte er nur.

Als wäre nichts geschehen, richtete Thomas sich auf und beugte sich zu mir, wobei er mir eindeutig zu nahe kam. Der frische, holzige Duft seines Eau de Toilette hüllte mich ein, Vétiver, wenn ich mich nicht täuschte, außerdem meinte ich, Zigarettengeruch zu bemerken. »Vorsicht«, sagte er, »du errötest etwas zu oft. Man könnte fast meinen, du findest mich unwiderstehlich.«

Ich schaute ihn ungläubig an, fassungslos über die Dreistigkeit. »Das Einzige, was an dir unwiderstehlich ist, ist deine Fähigkeit, unverfroren zu zeigen, was du bist.«

»Lass hören, was bin ich denn?«, wollte er voller Neugier wissen.

»Ein Arschloch«, antwortete ich trocken.

Meine Beleidigung schien ihn zu überraschen, denn normalerweise sprach ich nicht so mit anderen Leuten. Erneut zuckte einer seiner Mundwinkel in die Höhe, doch er erwiderte nichts.

Der Professor räusperte sich, um uns zum Schweigen zu bringen.

»Im letzten Jahr ist es Ihnen durch irgendeine göttliche Fügung gelungen, die Prüfungen zu bestehen. Dieses Jahr allerdings werden Sie hart dafür arbeiten müssen, Mr. Collins.«

Thomas antwortete nicht, stattdessen nickte er kaum merklich.

»Ich freue mich, all denjenigen, die die Vorlesungen ernst nehmen und ihren intellektuellen Horizont erweitern möchten, zu verkünden, dass wir heute mit Kant beginnen werden«, fuhr Professor Scott fort.

Schon als er den Namen eines meiner Lieblingsphilosophen aussprach, fingen meine Augen an zu leuchten. Ich lächelte glücklich, während Thomas sich mit der Hand übers Gesicht fuhr und murmelte, wie sehr ihm dieser Kurs auf den Sack gehe.

Zwanzig Minuten später hörte der tätowierte Angeber neben mir Musik, als wäre das völlig normal. Ich hätte seine Unverschämtheit gerne ignoriert, aber der monotone Summton aus seinen Kopfhörern lenkte mich von der Vorlesung ab.

Nach reiflicher Überlegung tippte ich ihm auf die Schulter. »Würdest du das bitte ausstellen?« Ich blickte auf das Handy auf seinem Oberschenkel.

Er schaute mich an, als hätte ich ihm gerade gesagt, wir säßen nicht in einem Hörsaal, sondern in einem Raumschiff Richtung Mars, zog seinen linken Earbud heraus und fragte: »Warum?«

»Weil ich mir gerne die Vorlesung anhören würde und du mich daran hinderst«, antwortete ich verärgert, während ich gleichzeitig versuchte, gelassen zu bleiben. Ich wollte meiner Lieblingsvorlesung in Ruhe folgen und mich nicht noch mal mit ihm streiten. War das zu viel verlangt?

Thomas steckte den Earbud wieder ins Ohr und drehte die Musik noch lauter. Als ob das nicht genug wäre, kaute er weiter Kaugummi, der bei jeder Bewegung zwischen seinen weißen Zähnen quietschte. Ich musste meine ganze Selbstkontrolle aufbieten, um ihm den Kaugummi nicht aus dem Mund zu reißen und in seinen Haaren zu verteilen.

Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu. So sah ich für gewöhnlich nur meine Mutter an, wenn sie die Kekse aufgegessen und mir nicht Bescheid gesagt hatte. Oder Travis, wenn er mir, wie so oft, nur halb zugehört hatte.

»Was ist denn jetzt schon wieder das Problem?«, fragte er genervt.

»Was das Problem ist? Ist das dein Ernst? Ich versuche, der Vorlesung zu folgen, seitdem du deinen Hintern auf diesen verdammten Stuhl gesetzt hast!«

»Dann tu das doch, was hält dich davon ab?«

»Du!«

»Deshalb?« Er deutete auf die Kopfhörer. »Du übertreibst echt.«

»Vergiss es.«

Ich schaute wieder auf die Slides und hielt bis zum Ende der Vorlesung durch. Ich konnte es kaum erwarten, ihn endlich loszuwerden.

»Gut, das war’s für heute. Wir sehen uns am Freitag wieder!«, erklärte der Professor zwanzig Minuten später.

Ich war noch nie so glücklich, ihn diesen Satz sagen zu hören, wie jetzt. Und das nur wegen eines Blödmanns, der neben mir saß, um mich zu nerven. Thomas packte Earbuds und Handy ein und versenkte beides in einer seiner Jeanstaschen, dann griff er nach Stift und Block, auf dem er die ganze Zeit herumgekritzelt hatte, und verließ den Hörsaal.

Ich brauchte jetzt unbedingt einen Kaffee, um meine Nerven zu beruhigen. Heute war ein grauenvoller Tag. Ich ging in die Cafeteria, stellte mich an und schaute nach draußen. Es regnete jetzt noch stärker.

Gerade als ich in der Schlange vorrückte, kam jemand von hinten und legte mir einen Arm um die Schultern. Es war Alex.

Ich umarmte ihn ebenfalls und vergrub das Gesicht in seinem nach Orange duftenden Hoodie.

In diesem Sommer hatte er mir so sehr gefehlt, die Tage ohne ihn waren sterbenslangweilig gewesen. Außer Travis, der immer nur an sich dachte und keine Probleme damit hatte, mich allein zu Hause sitzen zu lassen, gab es nur Tiffany. Aber sie hatte ihr eigenes aufregendes Leben. Sie hockte nicht wie ich immer nur zu Hause, lernte, las oder zog sich irgendwelche Serien rein.

»Tut mir leid, es ging nicht schneller. Wie geht es dir?« Er fuhr mir durch die Haare und zog sich das Band von der Canon über den Kopf, die er immer um den Hals hängen hatte, um selbst die kleinsten Dinge festzuhalten und ihnen dadurch etwas Einzigartiges zu verleihen.

»Nächste Frage, bitte.«

Er verzog das Gesicht. »Was hat sich Travis schon wieder geleistet?«

Dieses Mal ging es nicht nur um Travis. Die Liste war lang: erst die tausend Anweisungen meiner Mutter, dann der Streit heute Morgen, Thomas’ Arroganz, die ich das ganze Semester lang ertragen müsste … Vielleicht hatte ich Glück, und er würde den Kurs wechseln oder rausgeschmissen, und ich würde ihn nie wiedersehen.

»Nichts Besonderes, einer dieser Tage, an denen alles schiefgeht«, sagte ich nur, weil ich ihn mit meinen Dramen verschonen wollte. Offenbar wusste er nichts von dem Video auf Instagram und damit auch nichts von meinem Streit mit Travis, und das war auch besser so, denn es wäre nur der x-te Beweis dafür, dass seine Befürchtungen berechtigt waren.

»Und du? Wie läuft der erste Tag?«, fragte ich neugierig. »Es ist so schade, dass wir die Philosophie-Vorlesung nicht zusammen besuchen können.« Das wäre gerade heute ein echter Trost gewesen.

»Das tut mir auch leid, aber ich möchte mich mehr auf die Kunst fokussieren. Stell dir vor, ich habe mich im Fotoclub eingeschrieben«, erzählte er begeistert. Er hatte mich den ganzen Sommer über mit Aufnahmen aus Santa Barbara zugeschüttet, wo er und seine Familie jedes Jahr die Ferien verbrachten. Strandbars, Bootsfahrten, Lagerfeuer am Meer. Und während er jede Menge Spaß hatte, verschlang ich jede Menge Bücher und bingte eine Serie nach der anderen. Ihm von Travis’ unfassbar langweiligem Basketballtraining und den ermüdenden Auseinandersetzungen mit meiner Mutter zu erzählen, der ich beizubringen versuchte, dass ich kein Kind mehr war, das sie mit ihren absurden Regeln kontrollieren konnte, war die Mühe nicht wert.

»Sehr gut, Alex!«, antwortete ich und kehrte in die Gegenwart zurück.

»Ich glaube, ich habe meinen Weg gefunden, weißt du?«, fügte er hinzu. In der Zwischenzeit waren wir an der Theke angekommen. Ich bestellte einen Kaffee ohne Zucker und einen Double Cappuccino für ihn.

»Davon bin ich überzeugt, deine Bilder sind wirklich erstaunlich. Ich beneide dich um dein künstlerisches Talent.« Ich bezahlte und griff nach den Tassen, doch noch bevor ich das Wechselgeld an mich nehmen konnte, machte er ein Foto. Der Blitz blendete mich, und einen Moment lang konnte ich nichts mehr sehen.

»Alex! Hör auf damit, du weißt, dass ich das hasse!«

Ich blinzelte ein paar Mal und drückte ihm den Kaffee in die Hand.

»Entschuldige, ich konnte nicht widerstehen. Du bist wirklich fotogen«, bemerkte er und betrachtete zufrieden das Foto auf dem Display seiner teuren Kamera.

Ungeschminkt, leichenblass und mit den tiefen, dunklen Augenringen wies ich eine frappierende Ähnlichkeit mit Onkel Fester von der Addams Family auf. Was daran fotogen sein sollte, war mir nicht ganz klar.

»Möchtest du es sehen?«, fragte er breit grinsend und starrte weiter aufs Display.

»Besser nicht, danke.« Wir tranken unseren Kaffee und schlenderten langsam in Richtung Aula. »Wir läuft es mit Stella?«

Alex hatte Stella in diesem Sommer in Santa Barbara kennengelernt und mir viel von ihr erzählt. Ich hatte sie über FaceTime kennengelernt und fand sie sehr nett mit ihrem süßen, freundlichen Gesicht, perfekt für ihn. Leider lebte sie in Vancouver, und sie mussten mit den Problemen klarkommen, die eine Fernbeziehung mit sich brachte.

»Es ist für uns beide neu, wir müssen erst mal sehen, wie das klappt, aber sie hat vor, am Wochenende zu kommen.«

Ich nickte abwesend, weil meine Aufmerksamkeit von einem Pärchen am Ende des Flurs geweckt wurde. Ich erkannte die muskulöse Silhouette von Thomas, der neben Shana Kennest stand: schlank, atemberaubende Oberweite, feuerrote Haare und türkisblaue Augen. Neben ihr fühlte sich jedes Mädchen wie ein hässliches Entlein, und sie tat alles, um es ihnen unter die Nase zu reiben. Die Spieler der Basketballmannschaft kannten sie gut, zu gut, und darauf schien sie besonders stolz zu sein. Aber es war offensichtlich, dass ihr Interesse an Thomas größer war als an allen anderen. Gerüchten zufolge ging es Thomas ebenso, auch wenn er nicht fest mit ihr zusammen war. Mit den anderen amüsierte er sich nur, um sie dann rücksichtslos fallen zu lassen, sobald er seinen Spaß mit ihnen gehabt hatte.

Thomas hatte Shana an die Wand gedrückt, und ich blickte auf seine tätowierten Hände. Obwohl Shana ziemlich groß war, überragte Thomas sie, sodass er den Kopf neigen musste, um ihr in die Augen zu sehen. Er beugte sich so weit nach vorn, dass ihre Lippen sich fast berührten, während sie miteinander sprachen. Man konnte meinen, sie wären ganz allein auf diesem Flur. Wenn ich daran dachte, wie er sich mir gegenüber in der Vorlesung benommen hatte, überraschte es mich, ihn so freundlich zu sehen. Als er Alex und mich bemerkte, machte er einen Schritt zurück und sah zu uns herüber. Für den Bruchteil einer Sekunde begegneten sich unsere Blicke. Ich zuckte zusammen, er hingegen lächelte mich dreist an und zwinkerte mir zu.

»Hörst du mir eigentlich zu? Wen starrst du da an?«, fragte Alex.

Sofort riss ich den Blick von dem arroganten He-Man und der Rothaarigen los und schaute zu meinem besten Freund.

»Niemanden, entschuldige. Was hast du gesagt?« Ich biss auf den Rand des Kaffeebechers.

Alex sah sich um, aber zum Glück waren die zwei bereits verschwunden.

»Stella kommt am Wochenende, ich dachte, wir könnten zusammen essen gehen. Ist das okay?«

»Klar.« Ich lächelte. »Ich warte schon den ganzen Sommer darauf, sie endlich persönlich kennenzulernen.«

»Perfekt, sie wird sich freuen.«

Wir gingen ins Auditorium, in dem die Film-Vorlesung stattfand, die wir gemeinsam besuchten, während ich das unangenehme Gefühl abzuschütteln versuchte, das Thomas’ selbstzufriedenes Grinsen in mir ausgelöst hatte.

Kapitel 4

Die Zeit mit Alex hatte meine Laune gehoben, er war schon immer das personifizierte Serotonin.

Ich drängte mich gerade durch die vollen Gänge in den Saal, in dem die nächste Vorlesung stattfand, als ich die Stimme meiner besten Freundin hinter mir vernahm. »Carol organisiert am Freitagabend nach dem Spiel bei sich zu Hause eine Party zum Semesterbeginn. Da müssen wir hin, das wird mega!«, verkündete sie aufgeregt.

»Müssen wir?«, fragte ich skeptisch, während ich versuchte, mich an Carol zu erinnern.

»Unbedingt.« Tiffany deutete auf sich und mich. »Wir müssen.« Mein Blick hatte genügt, um ihr zu verstehen zu geben, dass ich nicht interessiert war, und genau deshalb baute sie sich vor mir auf und warf mir einen mahnenden Blick zu: »Nessy, auch du musst dich mal amüsieren.«

Ich schnaubte. »Was das Wort ›amüsieren‹ angeht, haben wir ziemlich unterschiedliche Vorstellungen. Außerdem habe ich keine Ahnung, wer diese Carol überhaupt ist.«

Tiffany runzelte die Stirn und verschränkte die Arme vor der Brust. »Erinnerst du dich nicht? Sie studiert mit mir Kriminologie, im letzten Jahr war sie immer bei den Festen von Matthews Clique dabei. Groß, blond, exzentrisch gekleidet!«

Carol. Groß, blond, exzentrisch … Nein, ich konnte mich nicht erinnern, aber ich ging ja auch nicht oft zu Partys. »Ich glaube nicht, dass ich sie kenne, Tiff.«

Wir betraten den Vorlesungssaal in der Soziologischen Fakultät. Diese Vorlesung war eine der wenigen, die Tiff und ich gemeinsam besuchten. Wir stiegen zwischen den anderen Studenten, die kamen und gingen, die Stufen hoch.

»Dann solltest du sie kennenlernen!«, beharrte Tiff.

»Ich kann mich doch nicht einfach bei einer Fremden einladen!«, widersprach ich und verdrehte die Augen.

Wir entdeckten zwei freie Plätze in der dritten Reihe und setzten uns. Tiffany strich sich die Haare nach hinten.

»Erstens: Du lädst dich nirgendwo ein, du kommst mit mir. Zweitens: Das ist doch völlig egal! Meinst du, ich kenne alle Leute, auf deren Partys ich gehe?«

Ich malte mit der Fingerspitze kleine Kreise auf das Pult vor mir. »Ich weiß nicht, Tiff, das Semester hat gerade begonnen, ich möchte den Anschluss nicht verlieren.«

»Das Semester hat heute begonnen, Vanessa. Wir haben noch nicht einmal genug Stoff, um den Anschluss zu verlieren.«

»Bis Freitag schon. Und am Samstag treffe ich mich das erste Mal mit meinem Lesekreis, das möchte ich wirklich nicht verpassen.«

»Ich bin mir sicher, dass du den Stoff bis Freitag vorgearbeitet hast, und zum Lesekreis gehst du trotzdem, die Party dauert ja nicht bis zum Morgengrauen. Komm schon, das wird lustig!« Sie verschränkte die Finger, blickte mich flehend an und rutschte auf ihrem Sitz herum. Ich zögerte noch einen Moment, doch dann gab ich nach. Das war es doch, was junge Frauen meines Alters machten, oder? Sie gingen auf Partys und amüsierten sich, statt sich in ihrem Zimmer zu vergraben, um zu lesen oder mit dem besten Freund Netflix-Filme zu schauen.

»Okay, ich komme mit«, antwortete ich und schnitt eine Grimasse, als hätte ich in etwas Ungenießbares gebissen.

»Ja!«, rief sie und klatschte in die Hände. So machte man Tiffany Baker glücklich: Man gab ihr einfach nach.

Der Rest des Tages verging rasch. Ich besuchte eine Anglistik-Vorlesung, anschließend hatte ich ein Seminar in Creative Writing, gefolgt von Französischer Literatur. Die Mittagspause verbrachte ich lesend im Aufenthaltsraum, allein. Ich hatte keine Lust, mich mit Travis zu treffen, es reichte, wenn ich ihn nachher beim Training sah.

Nach dem letzten Seminar verließ ich das Gebäude und warf einen Blick auf die Uhr. Zwanzig vor vier. Ich überlegte, was ich mit der verbleibenden Stunde anfangen sollte. In zehn Minuten wäre ich zu Fuß bei Book Bin, der kleinen Buchhandlung für neue und gebrauchte Bücher. Ich schrieb Tiffany und Alex, ob sie Lust hätten, mitzukommen. Mein bester Freund hatte noch seinen Fotografie-Kurs, aber Tiffany und ich trafen uns vor der Tür der Buchhandlung. Sie verschwand sofort in der Krimiabteilung, während ich mich von meinem Instinkt leiten ließ.

Langsam schlenderte ich durch die Reihen, ließ den Blick über die alten Holzregale schweifen und strich mit den Fingerspitzen über einige Buchrücken, als versuchte ich zu spüren, ob der Funke übersprang. Ich habe Buchhandlungen schon immer geliebt, die Stille dort, die Ruhe. Ein Paradies auf Erden.

Plötzlich verspürte ich Lust auf ein wenig Abwechslung und griff nach ein paar Fantasyromanen. Einer interessierte mich besonders. Es ging um ein hässliches Mädchen, das durch Spiegel gehen konnte und mit einem Edelmann von einem fernen Planeten verheiratet wurde.

Nicht schlecht! Wäre ich nicht so knapp bei Kasse gewesen, hätte ich das Buch gekauft. Was mich daran erinnerte, dass ich dringend einen Nebenjob brauchte. Ich beschloss, meinen Lebenslauf auszudrucken und auszuhängen, vielleicht könnte ich sogar auf dem Campus etwas finden.

Nach dem Ausflug in die Buchhandlung gingen wir ins Dixon Recreation Center, in dem es von Studenten in Basketball- und Football-Outfits nur so wimmelte. Wir setzten uns zuerst ins Café, Tiffany aß ein Joghurt-Eis, ich wählte Pistazie mit Sahne und Schokosauce, meine Lieblingssorte. Beim Essen plauderten wir ein wenig, ich erzählte, welchen Spaß es Thomas gemacht hatte, mir die erste Vorlesung des Jahres zu verderben. Tiffany schien wenig überrascht, sie kannte seinen Ruf. Als ich auf die Uhr sah, war es fast fünf. Ich seufzte tief. Noch während wir über den Campus zur Sporthalle schlenderten, hoffte ich, dass Tiffany mich begleiten würde, doch wie erwartet sagte sie Nein.

»Wenn ich noch einen einzigen Basketball sehe, raste ich aus«, sagte sie. Es reichte ihr, dass sie zu Hause Travis’ ständiges Körbewerfen ertragen musste. Erst als wir uns vor der Tür der Sporthalle verabschiedeten, brachte ich den Mut auf, ihr von unserem Gespräch und dem Waffenstillstand zwischen mir und Travis zu erzählen. Ihre Enttäuschung war offensichtlich. »Ich verstehe nicht, wie du ihm so einfach vergeben kannst.«

»Es ist … kompliziert«, entgegnete ich nur. Ein kleiner Teil in mir, verborgen unter schichtenweise Desillusion und Resignation, hoffte immer noch, dass Travis seinen Fehler einsehen und wieder der werden würde, der er am Anfang unserer Beziehung gewesen war.

»Du weißt, wie ich darüber denke«, sagte Tiffany. »Er ist mein Bruder, aber das heißt nicht, dass ich Scheuklappen trage. Du musst ihm beibringen, dass du Respekt verdienst und er dich nicht als Selbstverständlichkeit betrachten darf.«

»Ich schwöre dir, das ist die letzte Chance, die ich ihm gebe.« Ich wusste, dass sie mir nicht glaubte, weil ich das schon so oft gesagt hatte, aber ich spürte, dass es dieses Mal wirklich so war. Ich hatte keineswegs vor, mich wie einen Fußabtreter behandeln zu lassen. Sogar den Pokalen in seinem Regal zollte er mehr Respekt als mir!

»Versprochen?« Sie hielt mir den kleinen Finger der linken Hand hin, um das Versprechen zu besiegeln, und ich hakte meinen kleinen Finger darin ein.

»Versprochen.«

»Gut, bevor ich es vergesse …« Sie wühlte in ihrer Tasche. »Ich habe ein Geschenk für dich.«

Ich glaubte es nicht: das Buch, in dem ich in der Buchhandlung geblättert hatte!

»Ich habe gesehen, wie du es angeschaut hast, und du hast es verdient, ein bisschen verwöhnt zu werden«, sagte sie lächelnd.

»Danke, Tiff, aber das ist nicht nötig.« Ihre aufmerksame Geste berührte mich. Auch wenn es mir ein bisschen peinlich war, dass sie mir etwas gekauft hatte, was ich mir nicht leisten konnte.

»Ach was, das ist doch nichts Besonderes«, meinte sie achselzuckend. »Ich gehe jetzt. Wir sehen uns morgen, Süße.« Sie zog mich in eine Umarmung, und ich drückte sie ein wenig fester als sonst. Ich weiß, dass sie das nicht mochte, aber es amüsierte mich, sie einen Moment lang in Verlegenheit zu bringen.

Die Sporthalle war noch leer, aber in einer Ecke gegenüber dem Eingang sah ich eine junge Frau, die mit dem Rücken an der Wand lehnte. Sie schrieb etwas in ein Büchlein, das auf ihren Knien lag.

Ich ging auf sie zu und setzte mich neben sie. Vielleicht konnten wir uns ein bisschen unterhalten, sonst schaute ich immer allein beim Training zu.

Als sie mich sah, blickte sie auf und begrüßte mich schüchtern.

»Meinst du, wir bekommen am Ende des Jahres eine Medaille für unsere Anwesenheit? Verdient hätten wir’s«, bemerkte ich ironisch.

»Ich fürchte, nein.« Sie kratzte sich mit dem Stift im Nacken.

»Schade!«, rief ich mit gespielter Enttäuschung. »Ich hatte so sehr darauf gehofft.«

Sie lachte und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. An ihren Fingern steckten in unterschiedlicher Höhe zahlreiche schmale Edelstahlringe. Ihr Lachen war sanft und angenehm. Die schwarzen Haare reichten ihr bis fast auf die Schultern, ihr tiefroter Lippenstift betonte die vollen Lippen, an ihren Ohren baumelten große Rhomben. Am meisten jedoch faszinierten mich ihre Augen: grün und anziehend wie Magnete. Ich konnte schwören, sie schon einmal gesehen zu haben.