Combatives - Stefan Reinisch - E-Book

Combatives E-Book

Stefan Reinisch

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Beschreibung

2. überarbeitete Auflage (Erstausgabe 2016) »Combatives« ist eine auf Anwendbarkeit ausgerichtete Methode der Selbstbehauptung und Selbstverteidigung in einem sehr umfassenden Sinn, die auch unter Stress funktioniert. Hier geht es nicht um Rituale oder Philosophien, sondern sie ist einzig dem Ziel »optimaler Selbstschutz binnen kürzester Zeit« verpflichtet. Viele Prinzipien der Combatives gelten nicht nur für den Zivilbereich, sondern sind auch Bestandteil der Vorgehensweisen vieler Spezialeinheiten. Mitautor Patrick Türl als ehemaliger Angehöriger einer polizeilichen Sondereinheit zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ziviler und behördlicher Anwendung auf und greift dabei auf persönliche Erfahrungen zurück.

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Seitenzahl: 197

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur zweiten Auflage

Vorwort zur ersten Auflage

Was sind »Combatives«? Versuch einer Definition

3.1. Die Zeit des 2. Weltkriegs

3.2. Bis Heute

Die Merkmale der Combatives heute

4.1. »Gameplan«

4.1.1 Vermeidung

4.1.2 Verbale Bereinigung

Option: verbale Deeskalation

Option: verbale Konfrontation bis zur Abschreckung

4.1.3 Distanz ist unser Freund

4.1.4 Präventivaktion

Combative Mindset

Combatives sind eine einseitige Sache

Reduktion auf das Wesentliche

Grobmotorik vor Feinmotorik

4.1.5 Nachkampfphase

4.2. Integration instinktiver Schutzreflexe

4.3. Unterscheidung zwischen Taktik – Technik – Szenario – Simulation

4.3.1 Taktiken

4.3.2 Techniken

4.3.3 Szenario

4.3.4 Simulation

4.4. Übungen zur Erhöhung der Stressresilienz und zur Entwicklung von »attitude«

1. Vorwort zur zweiten Auflage

Die vorliegende zweite Auflage hat sich im Vergleich zur ersten verändert. Grund dafür ist, dass der ursprüngliche Verlag den Druck eingestellt hat. Zwar gibt es gebrauchte Exemplare, aber ich wurde immer auch mit der Frage nach einer Neuauflage konfrontiert, weshalb ich mich entschlossen habe, das Buch über »Books on Demand« neu – somit auch mit anderem Layout – zu veröffentlichen.

Das gibt mir zugleich die Gelegenheit, ein paar Dinge zu ergänzen und zu korrigieren, da ja auch in den vergangenen fünf Jahren der Lernprozess weitergegangen ist. Die drei wichtigsten Punkte dabei sind:

Zum Ersten kann dieses Buch mittlerweile als der erste Band einer Trilogie zu den Combatives angesehen werden. Behandelt werden hier in erster Linie die Hintergründe und die Grundlagen der Combatives.

Der zweite Band »Combatives Drills« beinhaltet über 100 Übungsabläufe zu den verschiedenen Trainingsschwerpunkten.1

Der dritte Band »Combatives Training« beschäftigt sich mit Trainingsmethoden und mit der Relevanz der »Aliveness«, behandelt also das Training mit einem widerständigen und unkooperativen Partner.2

Alle drei Bände decken ein weites Spektrum der Combatives ab, aber eine Entwicklung kann niemals abgeschlossen sein, wenn man besser werden möchte.

Um das zu erreichen, haben sich mittlerweile die drei Trainingsgruppen »Combative Academic Amateurs« von Stefan Reinisch3, »TPS« von Jörg Sagmeister4 sowie »SD8« von Sinisa Maletic5 zur Trainingsgemeinschaft »Combatives Austria«6 zusammengefunden und auch ihre Erfahrungen durch Seminare mit Richard Dimitri7, Mick Coup8 (»Core Combatives«) und Nick Drossos9 weiter ausgebaut. Tobias Brodala sowie die Leute von SC Int´l sind sowieso schon Stammgäste in Wien.

Zum Zweiten kam bald der Kritikpunkt der vielen original englischen Zitate auf. Dieser Kritik habe ich entsprochen und die jeweilige deutsche Übersetzung als Fußnote eingefügt.

Und zum Dritten habe ich ab dem Kapitel »Simulation« diejenigen Drills entfernt, die sich auch im Buch »Combatives Drills« finden.

1 Reinisch, Stefan/Haager, Willi/Marek, Harald; Combatives Drills – Übungen für konsequente Selbstverteidigung, D 2017

2 Reinisch, Stefan/Sagmeister, Jörg/Maletic, Sinisa/Haager, Willi; Combatives Training – Methoden für konsequente Selbstverteidigung, D 2020

3https://www.facebook.com/Combative-Academic-Amateurs-1486427901641052/?ref=bookmarkshttp://www.shobukai-austria.at/index.php?id=29

4https://www.facebook.com/tpstrainingneu/

https://www.youtube.com/user/TPSPitten

http://www.tpstraining.at/

5https://sd8selfdefense.wixsite.com/sd8sv

https://www.facebook.com/SD8SS/

6https://www.facebook.com/groups/140432326683499/

7https://studyofviolence.com

8www.corecombatives.com

9https://www.nickdrossos.com

2. Vorwort zur ersten Auflage

Eines vorweg: mein erster Kontakt mit dem Begriff »Combatives« muss um das Jahr 2010 herum gewesen sein, ich stehe also auf diesem Gebiet noch weitgehend am Anfang. Allerdings war ich auch während meines JuJitsu-Trainings (mein ursprünglicher Hintergrund) immer bemüht, das Hauptaugenmerk auf die Effektivität und Umsetzbarkeit zu legen, die Unterordnung unter eine bestimmte »Schule« zwecks Traditionspflege ohne die Möglichkeit zur Reflexion war nie meines.

Genauso habe ich mich durch meine hauptberufliche Tätigkeit (ich halte seit vielen Jahren Selbstverteidigungs- besser: Selbstschutzkurse an Schulen und anderen Institutionen) ohne es zu wissen den Prinzipien der Combatives angenähert, da ich gezwungen war, Jugendlichen in kurzer Zeit ein sinnvolles System – mit dem sie auch gegen körperlich überlegene Gegner Chancen haben – näher zu bringen, Szenarientraining in Schutzausrüstung und der Vorgabe an die TeilnehmerInnen »alles ist erlaubt« inklusive. Ich fand mich also in der Rolle des überlegenen Angreifers wieder und stellte bald fest, womit mir auch körperlich Schwächere Probleme bereiten konnten. »Kampfsport« oder gar »Kampfkunst« hatte da keinen Platz.

Sobald aber die ersten Kontakte (dem www sei Dank) hergestellt waren, war ich auch schon fasziniert von der Realitätsnähe dieser Spielart des Selbstschutzes, der alle Phasen einer Auseinandersetzung abdeckt und von den klaren Konzepten ihrer diversen Vertreter. Das war es, was ich immer gesucht, aber bei den Vertretern der anderen Kampfsportarten und Kampfkünste bei all derer technischen Perfektion in dieser Ausprägung nie gefunden habe.

Zwar kann man sich aus Büchern und Videos einiges an Anregungen holen, und auch das Ausprobieren mit Trainingskollegen bringt viele nützliche Erfahrungen, meiner Ansicht nach unerlässlich ist jedoch der direkte Kontakt mit kompetenten Personen. Also haben meine Kollegen und ich im Rahmen unserer (leider begrenzten) zeitlichen und finanziellen Möglichkeiten verschiedenste Seminare und Lehrgänge besucht bzw. organisiert und vieles davon mitgenommen, z.B. Lee Morrison10 mit »Urban Combatives«, Tobias Brodala11 als vormaligem Vertreter von Tony Blauers12 »SPEAR System«, die Leute von »Street Combatives«13 mit »Unarmed Combatives«, »Empty Hands Knife Defense« und »ISR Matrix« sowie Craig Douglas14 alias »Southnarc«.

Ganz selbstverständlich haben all die genannten Personen aufgrund ihrer Biographie und ihrem Background individuelle Schwerpunkte und auch nicht alles muss man 1:1 von ihnen übernehmen.

Dies alles führte schließlich im Jahr 2013 zur Gründung der

»Combative Academic Amateurs«15 als eigener Sektion im Verein des »Shobukai Austria«16.

Wieso »Academic Amateurs«? Zum einen, weil der Großteil unserer Mitglieder über das Universitäts-Sportinstitut Wien zu uns stößt, zum anderen, um dadurch zum Ausdruck zu bringen, dass die meisten von uns bedingt durch unsere Biografien, Lebensumstände und beruflichen Hintergründe es sich nicht anmaßen, auf diesem Gebiet mit Personen mit »Real-life-background« in Konkurrenz treten zu können, wir wollen uns nicht mit fremden Federn schmücken. Wir wollen aber von deren Erfahrungen lernen, ohne uns aber durch Anschluss an eine bestimmte Ausrichtung der Combatives oder an eine bestimmte Person zu binden. 17

Lernen konnten wir in unserem regelmäßigen Training unter anderem auch von unserem Kollegen Patrick Türl, vormaliger Angehöriger der WEGA18, der auf eine Vielzahl von berufsbedingten, gewalttätigen Situationen zurückblicken kann und auch mir immer wieder Denkanstöße lieferte (wobei ich hoffe, dass das auf Gegenseitigkeit beruhte). Das führte auch zur Zusammenarbeit für das vorliegende Buch.

Selbstverständlich ist uns bewusst, dass die Zielsetzungen von Zivilpersonen und von Angehörigen polizeilicher Sondereinheiten unterschiedliche sind (darauf werden wir im speziellen auch noch eingehen), dennoch gibt es Gemeinsamkeiten, wie sich zeigen wird.

Abschließend: wieso habe ich mir die Mühe dieser umfangreichen Einleitung gemacht? Weil gerade auf dem Gebiet der Combatives, wo es um den Umgang mit realer Gewalt geht, die Glaubwürdigkeit, die Reputation, das wichtigste Kapital darstellt. Und nichts ist für diese Glaubwürdigkeit schlimmer (oder peinlicher) als das Vortäuschen falscher Tatsachen oder das Verschweigen relevanter Informationen. Die Mythenbildung um die eigene Person ist ein beliebtes Spiel, um den Marktwert zu erhöhen. Gerade »Anfänger« in einem System haben aber ein Anrecht darauf, über den fachlichen und persönlichen Hintergrund des Trainers Bescheid zu wissen. Blender haben in der Regel eine kurze Halbwertszeit.

Patrick Türl:

Wie die meisten erlebte ich die eine oder andere unangenehme Situation in meiner Jugend - nichts übertrieben Dramatisches: ein paar Mal angestänkert werden, einmal wurde mir mit vorgehaltenem Messer mitten in einem Fastfood-Lokal meine Uhr abgenommen, ich bekam in einer U-Bahnstation grundlos eine Ohrfeige von einem Halbstarken, während seine drei Freunde lachten… und das, was man halt noch so um sich bzw. im Freundeskreis mitbekommt, wenn man in einer Großstadt aufwächst. Da ich das Privileg einer guten und gewaltfreien Erziehung genoss, somit behütet aufwuchs, waren diese Erlebnisse ausreichend, um mich in Unruhe zu versetzen.

In mir wuchs der Wunsch, mich wehren zu können bzw. zu wissen, was in solchen Momenten zu tun ist. Wie man das halt als Teenager so macht, warf ich die Suchmaschine an und versuchte mich über verschiedene Arten der legalen Bewaffnung bzw. über Techniken zu informieren die mich schon in naher Zukunft unbesiegbar machen sollten. Ich kam jedoch recht schnell darauf, dass wohl kein Weg an einem Training unter Anleitung vorbeiführen würde.

Da ich zu dieser Zeit ungefähr 20kg Übergewicht hatte und jede Party für mich interessanter war als ernsthaftes Training, verwarf ich diesen Gedanken recht schnell wieder. Was mir jedoch in meinen damaligen Recherchen in die Hände fiel, waren Artikel und Bücher zum Thema Vermeidung von Gewaltsituationen, erhöhte Aufmerksamkeit im Alltag und Täter-Opfer Verhalten. Ich verschlang sie alle und konnte nach erfolgreicher Anwendung der darin beschriebenen Verhaltensweisen und durch Beobachtungen im Alltag feststellen, dass sich die meisten »unguten« Situationen tatsächlich vermeiden ließen, wenn man nur ein wenig auf sich und seine Umgebung achtet.

Ungefähr zwei Jahre später wurde ich zum Bundesheer einberufen. Ich entdeckte dort gezwungenermaßen den Spaß an der Bewegung, nahm fleißig ab und bevor wir zu einem sechswöchigen Grenzeinsatz entsandt wurden, hatten wir einige Tage lang einen Kurs über die verschiedensten Tätigkeiten, die uns dort erwarten würden. Neben Lehreinheiten über die Durchführung von Fahrzeuganhaltungen und Personendurchsuchungen hatten wir auch einen vierstündigen Nahkampfkurs mit einem unserer Ausbilder, einem ehemaligen Militärpolizisten mit jahrelanger Erfahrung im Kampfsport und militärischem Nahkampf.

Ich war schwer beeindruckt von den Techniken und der Schlagkraft dieses Mannes und wusste: in diese Richtung will ich gehen, so etwas möchte ich auch einmal draufhaben! Ich setzte mir fest in den Kopf, dass ich einmal Polizist bei einer Sondereinheit werden wollte, um genau solche Dinge zu erlernen.

In den darauffolgenden Monaten absolvierte ich einige Schnuppertrainings in verschiedenen Kampfstilen und Kampfsportarten und entschied mich schließlich für Krav Maga, das habe ich dann auch ungefähr ein Jahr lang gemacht und war eigentlich recht happy damit. Eine Operation nach einem Kreuzbandriss und die darauffolgende sechsmonatige Regenerationsphase beendeten allerdings meine Krav-Maga-Karriere so schnell wie sie begann, aber zumindest hatte ich mir einmal einige Basics angeeignet.

Kurz darauf begann ich dann meine angestrebte Polizeikarriere:

Seit 2007 war ich Angehöriger der Wiener Polizei und bis 2016 habe ich meinen Dienst bei der Sondereinheit WEGA versehen.

In der Grundausbildung zum Polizisten sind viele Stunden Einsatztraining und interaktives Szenarientraining enthalten, somit konnte ich wieder viel Neues lernen, vor allem auch im Bereich der Körpersprache und der taktischen Seite von dynamischen Situationen mit einem unfreundlichen Gegenüber. Außerdem gab es tolle Trainingsmöglichkeiten mit nachgestellten Amtshandlungen, einem Gegenüber im Vollschutzanzug und Szenarien, die einem durchaus hin und wieder das Adrenalin in die Adern pumpten, nicht weil sie so unheimlich komplex waren – nein, es war der Realismus, der mich ansprach.

Während meiner zwei Jahre als Polizist im Streifendienst hatte ich dann wenig Zeit, um privat Selbstverteidigung zu trainieren, da ich in meiner Freizeit hauptsächlich an meiner körperlichen Fitness arbeitete, um mich für das WEGA Auswahlverfahren vorzubereiten. Ich fühlte mich jedoch beim Einschreiten immer sehr sicher, beherrschte die wichtigsten Basics und war eigentlich immer schon sehr gut in verbaler Deeskalation. Außerdem verschlang ich so gut wie jedes Buch über realitätsnahe Selbstverteidigung und durchstöberte nebenbei noch viele deutsch- und englischsprachige Foren zu dem Thema, um mein Wissen zu erweitern.

Eines Tages war es dann soweit, ich hatte das Auswahlverfahren bestanden und kam in den Genuss des sechsmonatigen Ausbildungslehrganges der WEGA. Wie man sich vorstellen kann, lernte ich hier sehr viele Dinge, absolvierte unzählige Szenarientrainings und hatte nun die Möglichkeit, mit gleichgesinnten, topfitten Leuten zu trainieren bzw. von und mit ihnen zu lernen.

Jedoch bemerkte ich auch recht schnell, dass das Einschreiten im Rahmen einer Sondereinheit und der private Selbstschutz zwei verschiedene Paar Schuhe sind und war somit wieder auf der Suche nach einer Möglichkeit, mich auf diesem Sektor weiterzuentwickeln. Nachdem mir einige Kollegen, deren Meinung ich sehr schätzte und respektierte, dazu rieten, mal bei »richtigem« Kampfsport reinzuschnuppern, besuchte ich dann zum ersten Mal ein MMA-Gym. Was ich dort sah und lernte gefiel bzw. gefällt mir sehr, allerdings fehlte mir dort der realitätsbezogene Teil: das Training mit bzw. gegen Waffen, gegen mehrere Angreifer oder auch mal Training in beengten Räumlichkeiten oder mit sonstigen Handicaps. Natürlich werden diese Bereiche in meinem Beruf und der dazugehörigen Aus- und Fortbildung abgedeckt – aber ich wollte noch mehr davon, und das nicht nur aus der Position eines Polizisten, sondern auch aus der von Privatpersonen.

So kam es, dass ich wieder mal das Internet bemühte, um eine Trainingsmöglichkeit für realitätsnahen Selbstschutz in Wien zu finden und dabei stieß ich auf ein Seminar mit Lee Morrison, das in Wien von Stefan Reinisch und seiner Trainingsgruppe veranstaltet wurde. Ich meldete mich sofort dafür an, da ich bereits ein Buch von Lee gelesen und ein wenig Videomaterial von ihm auf YouTube gesehen hatte, welches mich sehr begeisterte.

Da bis zum Seminar jedoch noch ein wenig Zeit war, beschloss ich, mir auch einmal Stefans Trainingsgruppe näher anzusehen und habe es nicht bereut.

Ich lernte Stefan als ambitionierten Trainer kennen, der schon mit einigen namhaften Personen der Combatives-Szene trainierte und somit über viel Fachwissen verfügt, von dem auch ich profitieren konnte. Außerdem waren wir sofort auf einer Wellenlänge und bei den meisten Dingen in Sachen Selbstschutz einer Meinung.

Stefan verfügt über langjährige Erfahrung als Trainer und legt großen Wert darauf, alle Phasen einer Konfrontation zu trainieren – ein sehr wichtiger Punkt, wie ich finde. Allerdings hat er durch seine friedliche Art und seinen Beruf bzw. Lebensstil nicht viel Erfahrung mit realen Gewaltsituationen – wo will man die denn als friedliebender Bürger auch sammeln? Ich jedenfalls würde auch nicht mit jemandem trainieren wollen, der immer wieder absichtlich und grundlos Konfrontationen sucht, nur um zu testen, ob seine Techniken auch funktionieren.

Daher hat er mich gefragt ob ich Lust hätte, bei diesem Buchprojekt mitzumachen, um meine Erfahrungen einzubringen. Dazu möchte ich ausdrücklich sagen, dass auch ich nicht über jahrelange Erfahrung im »Straßenkampf« verfüge und hier Geschichten von 1001 besiegten Gegnern preisgeben kann, worüber ich eigentlich auch sehr froh bin. Allerdings bin ich beruflich schon in so einigen gewalttätigen Situationen gewesen bzw. wurde angegriffen und habe noch viel mehr gesehen oder gehört. Damit meine ich zum Beispiel bei Einvernahmen von Tätern oder Opfern oder zahlreichen Amtshandlungen, bei denen ein Gewaltdelikt im Mittelpunkt stand, denn hier lässt sich sehr viel über reale Gewalt erlernen. Außerdem hat man als Polizist auch die Möglichkeit, mit zahlreichen Kollegen Erfahrungen auszutauschen, hiervon kann man ebenfalls nur profitieren. All das bringt mich dazu, zu behaupten, dass ich doch recht gut weiß, was in Sachen Selbstschutz funktioniert und was nicht, wie schnell es gehen kann und wie brutal die Realität manchmal ist.

10https://urbancombatives.com

11https://www.brodala-gruppe.de

12https://blauerspear.com

13https://www.combatives.biz

14https://shivworks.com

15https://www.facebook.com/Combative-Academic-Amateurs-1486427901641052/?ref=bookmarks

16http://www.shobukai.at/; https://www.facebook.com/groups/shobukai/

17 Es stellt sich nämlich die Frage: kann jemand ohne persönliche Gewalterfahrung (bzw. Erfahrungen im Rahmen eines Durchschnittsbürgers) überhaupt glaubhaft Selbstschutz lehren bzw. sich dazu äußern? Marc MacYoung sagt dazu: Das hängt davon ab, ob diese Person über die richtigen Informationen verfügt und diese auch weitergeben kann. Umgekehrt nützen auch die extremsten persönlichen Erfahrungen nichts, wenn daraus nicht die richtigen Schlüsse gezogen und an andere weitergegeben werden können. Mehr dazu unter http://macyoungsmusings.blogspot.co.at/2012/08/can-you-teach-self-defense-if-you.html

18 Die Einsatzeinheit WEGA (vom früheren Namen Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung) ist eine Sondereinheit der österreichischen Polizei in der Bundeshauptstadt Wien. Sie wird in erster Linie bei Einsätzen mit erhöhtem Gefährdungsgrad angefordert.

3. Was sind »Combatives«? Versuch einer Definition

Wieso Versuch? Weil es keine offizielle, für alle Zeiten gültige Definition gibt.

»Combatives« bedeutet für mich der Einsatz aller mir zur Verfügung stehenden Optionen, Möglichkeiten und Ressourcen, um eine drohende zwischenmenschliche Auseinandersetzung frühzeitig zu erkennen, diese im frühestmöglichen Stadium abzuwenden oder – wenn dies nicht möglich ist – den Gegner als Gefahrenquelle durch Einsatz physischer Prinzipien und grobmotorischer Techniken schnellstmöglich zu entschärfen. Beim Einsatz der Mittel wird auch Bedacht au f die Phase nach der physischen Auseinandersetzung gelegt.

Combatives sind von Menschen für Menschen gemacht, unterliegen also zeitlich und örtlich bedingten Veränderungen. Zum Beispiel lag zur Zeit des 2. Weltkriegs das Hauptaugenmerk auf der physischen Vernichtung des Gegners, »Combat« bedeutet ja schlichtweg Kampf.

Durch die Veränderung der Anforderungen hat sich die Bedeutung der Combatives aber zu einem »ganzheitlicheren« Ansatz hin entwickelt, der die volle Komplexität einer Auseinandersetzung abdeckt.

Findet sich eine große Zahl der genannten Combatives-Kriterien in einem Kampfsport, einer Kampfkunst oder einem Kampfsystem, so kann unabhängig von ihrer konkreten Bezeichnung von »Combatives« gesprochen werden – so meine persönliche Definition.

Merkmale der heutigen

Combatives:

Merkmale des

Kampfsports

bzw. der

Kampfkünste:

Analyse von realistisch auftretenden Bedrohungslagen in allen Phasen.

Es interessiert einzig die Kampfphase.

Analyse von Täterverhalten.

Entwicklung von Problembewusstsein (»Awareness«).

Entwicklung eines Plans zur Begegnung derartiger Bedrohungslagen (Strategie).

Vermeidung von Bedrohungslagen steht an erster Stelle (Selbstschutz).

Training in Konflikt-Kommunikation.

Das Training beginnt erst mit dem physischen Angriff des Gegners (Selbstverteidigung).

Betonung der Wichtigkeit der geistigen Einstellung und des Kampfgeistes (»attitude«, »combative mindset«).

Kampfgeist ist nur im Wettkampfsport von Bedeutung.

90% Psyche – 10% körperliche Fähigkeiten.

90% körperliche Fähigkeiten – 10% Psyche.

Präventivaktionen (Aktion schlägt Reaktion), »Self-Offence«.

Auf einen Angriff wird reagiert (oft aus ethischen Gründen), »Self-Defence«.

Vorrang von Prinzipien vor Techniken.

Vorrang von Techniken vor Prinzipien.

Reduktion von Techniken auf ein Minimum, Hauptaugenmerk liegt auf Schlagtechniken.

Vielzahl an Techniken (Schläge, Tritte, Hebel, Würfe, Würgegriffe, Druckpunkte).

Alle Techniken haben sich in realen Kämpfen bewährt.

Viele Techniken sind für einen realen Kampf nicht geeignet oder werden nicht getestet mit dem Argument »zu gefährlich«.

Betonung der Grobmotorik.

Perfektion in der Ausführung feinmotorischer Techniken.

Das Ziel ist es, eine akzeptable Leistung unter Hochstress zu erbringen.

Das Ziel ist es, Höchstleistungen unter geringem Stress zu erbringen.

Steile Lernkurve durch Betonung von Prinzipien und Grobmotorik.

Flache Lernkurve bedingt durch die Komplexität der Techniken (= hoher Lernaufwand).

Integration instinktiver Reaktionsmuster.

Simulations- und Szenarientraining, dynamisches Training (»aliveness«).

Techniktraining, Wettkampf, »Katas« (genau definierte Bewegungsabfolgen), genau vorgeschriebene Angriffsarten.

Keine Prüfungen zur Erlangung eines höheren »Rangs«.

Gürtelprüfungen.

Kleidung nach Möglichkeit wie im Alltag oder beim Sport.

Rangabzeichen (Gürtelfarben) als Maßstab des technischen Könnens, Einheitliche Kleidung.

Anpassung der Verteidigungshandlung an die Art des Angriffs.

Manchmal Anpassung des Angriffs an die Art der Verteidigungstechnik.

Keine Rituale.

Rituale (besondere Formen der Begrüßung u.ä.).

Flache Hierarchien.

Meister-Schüler-System.

Offen für Veränderungen.

Traditionspflege (»Stil«).

Behandlung der Nachkampfphase.

Philosophische Unterfütterung.

Patrick Türl:

Anhand der obigen Auflistung wird klar: Combatives und Kampfsport/Kampfkunst haben größtenteils verschiedene Zielsetzungen und wollen auch gar nicht dasselbe Publikum bedienen. Es gibt für beinahe jede Form des Kämpfens eine Daseinsberechtigung, manche Leute wollen hartes Training und mögen es, sich in einem fairen Zweikampf zu messen. Andere betreiben Kampfkunst aus historischem Interesse, als Hobby oder um sich zu entspannen bzw. abzureagieren. Aber auch kompliziertere und übungsintensivere Hebel- und Fixiertechniken haben einen sehr großen reellen Nutzen für viele Anwendungsbereiche, wo es gilt, das Gegenüber so schonend wie möglich in Verwahrung zu bringen oder festzuhalten, wie zum Beispiel bei der Polizei, ich spreche hier aus Erfahrung. Jedoch lässt sich polizeiliches Einschreiten meiner Meinung nach nicht mit Selbstschutz für Zivilpersonen vergleichen, warum das so ist, erkläre ich später ausführlicher.

Bei meiner obigen Auflistung bleibt aber eine große Gruppe übrig: Personen, die kein Interesse und auch gar nicht die Zeit haben, jede Woche stundenlang übungsintensive und teils komplizierte Bewegungsabläufe zu studieren, körperlich schwächere oder ältere Personen, Personen mit Handicaps – kurz gesagt: einfach Leute, die ihr Sicherheitsgefühl erhöhen und dabei schnell Fortschritte machen wollen. Aber auch Personen, die auf Grund ihres Berufs regelmäßig mit bewaffneten oder mehreren Gegnern konfrontiert sind, können von gezieltem Training für solche Situationen profitieren.

Hier sind meiner Meinung nach die Prinzipien und Techniken der Combatives-Welt unschlagbar, denn wenn Sie noch einmal die aufgelistete Gegenüberstellung begutachten, werden Sie sehen, dass all die hier genannten Kriterien erfüllt werden. Einige der Techniken, die man dabei findet, wirken sehr hart und vielleicht auch extrem brutal. Vergessen Sie jedoch nicht, dass es bei den Combatives das Ziel ist, das komplette Spektrum an Gewalt abzudecken – von der verbalen Deeskalation bei einer Begegnung mit einem lästigen Betrunkenen bis hin zur plötzlichen Konfrontation mit einem zugedröhnten Psychopathen, der Ihnen grundlos mit einer abgebrochenen Glasflasche das Gesicht verunstalten will.

Klarerweise muss der Einsatz von Gewalt immer gerechtfertigt und verhältnismäßig sein. Jedoch variiert diese Verhältnismäßigkeit sehr stark:

Erstens ist es situationsabhängig, zweitens variiert die Verhältnismäßigkeit auch von Person zu Person. Es leuchtet wohl ein, dass es einen Unterschied macht, ob ein 1,90m großer, durchtrainierter Kampfsportler oder eine 1,60m große 50kg schwere Sekretärin, mit Armen so dünn wie Besenstielen, ein und dieselbe Technik ausführen. Gerade Frauen müssen sich in meinen Augen in gewissen Situationen, wie zum Beispiel einer versuchten Vergewaltigung, schnell und entschlossen mit teils sehr heftigen Techniken wehren, um eine Chance zu haben. In solchen Extrembeispielen ist allerdings auch die Verhältnismäßigkeit so gut wie immer gegeben.

Wir wollen mit diesem Buch einen Überblick über die Geschichte und Prinzipien der Combatives sowie über einige Techniken und Trainingsmöglichkeiten schaffen, um Neulingen einen Überblick zu realistischem Selbstschutz zu ermöglichen. Aber auch erfahrene Leute haben die Möglichkeit, hier Trainingsinputs zu finden bzw. ihr eigenes Training einem kleinen Reality-Check zu unterziehen.

Wenn jemand also binnen kürzester Zeit so verteidigungsfähig wie möglich werden möchte, bzw. als Zielsetzung hat, in kompakten Trainingseinheiten so viel Realismus wie möglich zu verpacken, gibt es meiner Meinung nach nichts Besseres als Combatives. Sollte man jedoch die Zeit und die Möglichkeiten haben und beschließen, einen Teil seines Lebens dem regelmäßigen Selbstschutztraining zu widmen, kann ein Blick über den Tellerrand keinesfalls schaden.

Gutes, realistisches Selbstschutztraining ist rar gesät. Es bleibt also manchen nur die Möglichkeit, auf Seminarbasis einige Wochenenden im Jahr ihr Wissen zu erweitern. Hier kann es durchaus sinnvoll sein, das restliche Jahr zum Beispiel ein solides Boxgym zu besuchen, zumindest sinnvoller, als nur zuhause auf den Sandsack einzudreschen, Techniken auf Video anzusehen oder vor dem Spiegel zu üben… Kampfsport mit Vollkontakt hat auch in den Combatives seine Daseinsberechtigung, vor allem die Disziplinen des MMA (Ringen, Brazilian JiuJitsu, Boxen, Thaiboxen), da MMA einem Kampf über alle Distanzen noch am nächsten kommt. Natürlich stimmt es, dass hier viele Arten des Angriffes verboten sind, wie z.B: Angriffe zu den Augen, Genitalien, Kehlkopf, das Beißen und vieles mehr.

Dennoch hat man im Rahmen dieser Sportarten die Möglichkeit, sich in sicherem Rahmen mit großteils durchtrainierten Gegnern, die einen sportlichen, unter Umständen schmerzhaften Zweikampf nicht scheuen, zu messen.

Manche Leute, die den Weg zu Combatives finden, suchen eine Lösung, bei der man zum unbesiegbaren Kämpfer wird, ohne schmerzhafte Erfahrungen machen zu müssen. Natürlich kann ich einen komplett unerfahrenen Menschen mit gewissen Taktiken ausstatten, seine Schlaghärte im Pratzentraining verbessern und ihm ein Gefühl der Selbstsicherheit geben. Wird dieser sich dann im Ernstfall besser verteidigen können? Sogar ganz bestimmt! Was ich sagen möchte, ist allerdings, dass man mit dieser Art des Trainings in der Realität auch sehr schnell seine Grenzen aufgezeigt bekommt, da es doch etwas anderes ist, wenn man ein ebenfalls wehrhaftes Gegenüber hat, das einem noch dazu körperlich überlegen ist. Und jeder, der schon Boxtraining betrieben hat, weiß, dass man sich schnell wie die nächste Hoffnung auf den Titel vorkommt, wenn einen der Trainer beim Pratzen- und Sandsacktraining anfeuert und man selbst merkt, wie man immer besser wird.

Steht dann allerdings das erste Sparring ins Haus kommt das böse Erwachen: die Sandsäcke und Pratzen haben nie zurückgeschlagen. Wie sagte Mike Tyson schon?

»Everybody has a plan until they get punched in the face«19

Es ist auch ganz natürlich, dass man sich anfangs sehr aus dem Konzept bringen lässt, wenn man angegriffen wird. Die Fähigkeit, hier einen kühlen Kopf zu bewahren und trotzdem zu handeln, muss erst antrainiert werden.

Und hier kommt meiner Meinung nach der positive Aspekt von Kampfsport zur Geltung: ständiges Training mit einem aktiven Gegenüber.20