Corporate Social Responsibility - Oliver M. Herchen - E-Book

Corporate Social Responsibility E-Book

Oliver M. Herchen

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Beschreibung

Das von der Betriebswirtschaftslehre gemeinhin proklamierte Ziel der Gewinnmaximierung, das durch das Schlagwort "Shareholder Value" - die Wertsteigerung für den Anteilseigner - ausgedrückt wird, erfährt seit einiger Zeit zunehmend Kritik. In Zeiten, in denen trotz hoher Gewinne Unternehmen Mitarbeiter entlassen, in denen die Automobilbranche durch immer neue Skandale erschüttert wird, die Banken trotz illegaler Machenschaften und Gewinneinbrüchen weiterhin hohe Boni zahlen, die Energieunternehmen vor dem größten Umbruch ihrer Geschichte stehen, in denen der Klimawandel zu einem Problem wird, dem die Politik alleine nicht gewachsen ist, in diesen Zeiten wird die Forderung an die Wirtschaft lauter, mehr Verantwortung für die Umwelt und die Gesellschaft zu übernehmen. "Corporate Social Responsibility" und "Nachhaltigkeit" sind dabei die Vokabeln der Stunde. Dieses Buch soll der Frage auf den Grund gehen, was es mit der unternehmerischen Verantwortung auf sich hat, welche internationalen Initiativen und Regeln zu dem Thema existieren und wie die Konzerne ganz konkret mit der Materie umgehen. Dazu hat der Autor die dreißig größten deutschen Unternehmen unter die Lupe genommen, wobei zum Teil Vorurteile bestätigt werden, teilweise aber auch überraschende Erkenntnisse zu Tage treten. Die deutlich erweiterte Neuauflage zeichnet zudem die Entwicklung innerhalb der letzten zehn Jahre nach und benennt die aktuellen Trends beim Umgang der Konzerne mit ihrer ethischen Verantwortung. Illustriert wird das Buch von über 60 Abbildungen und Tabellen.

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Das Buch

Dieses Buch befasst sich mit der unternehmerischen Verantwortung der 30 im Deutschen Aktienindex (DAX) gelisteten Unternehmen. Es geht der Frage auf den Grund, was es mit dem Schlagwort »Corporate Social Responsibility« auf sich hat, welche internationalen Initiativen und Regeln zu dem Thema existieren und wie die Konzerne ganz konkret mit der Materie umgehen.

Dazu hat der Autor die Nachhaltigkeitsberichterstattung der Gesellschaften unter die Lupe genommen, wobei zum Teil Vorurteile bestätigt werden, teilweise aber auch überraschende Erkenntnisse zu Tage treten.

Das Buch entstand ursprünglich – in leicht veränderter Form – aus einer Diplomarbeit im Fach Wirtschaftsingenieurwesen am Fernstudienzentrum der Fachhochschule Gießen-Friedberg (heute: Technische Hochschule Mittelhessen). Der Titel lautete »Corporate Social Responsibility bei den DAX®-Unternehmen – Ethische Verantwortung als unternehmerische Aufgabe: Grundlagen, Regeln, Umsetzung«. Betreuer war Herr Prof. Dr. Wolfgang Arnold, dem auf diesem Wege noch einmal herzlich gedankt sei.

Für die hier vorliegende 2. Auflage wurde das Buch grundlegend überarbeitet, aktualisiert und erweitert. Zudem zeichnet die Neuauflage nun die Entwicklung innerhalb der letzten zehn Jahre nach und benennt aktuelle Trends beim Umgang der Konzerne mit ihrer ethischen Verantwortung.

Der Autor

Oliver Herchen, Jahrgang 1974, studierte zunächst Bauingenieurwesen in seiner Heimatstadt Wiesbaden. Später absolvierte er berufsbegleitend ein Studium zum Wirtschaftsingenieur. Aus der zugehörigen Diplomarbeit entstand sein erstes Buch »Corporate Social Responsibility - Wie Unternehmen mit ihrer ethischen Verantwortung umgehen« (2007, Neuauflage 2018).

Seither hat er sich immer wieder mit der Frage beschäftigt, warum wirtschaftliche Prosperität oft als wichtiger erachtet wird als die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlage, warum Unternehmensinteressen und Wirtschaftswachstum offenbar wichtiger zu sein scheinen als Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz. Vorläufiges Ergebnis seiner Recherchen ist sein neues Buch »Des Menschen Erde - Inferno Anthropozän« (2017).

Hauptberuflich ist Herchen als Projektleiter für Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen tätig, bei denen Themen wie Umweltverträglichkeit, Lärm-, Arten- und Umweltschutz heute eine immer größere Rolle spielen. Der passionierte Rennradler lebt mit seiner Familie in der Nähe von Darmstadt.

Tue Gutes und rede darüber!

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Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Grundlagen – Corporate Social Responsibility (CSR) als unternehmerische Aufgabe

1.1 Einleitung

1.2 Ethik und Verantwortung von Unternehmen

1.2.1 Ethik und Wirtschaftsethik

1.2.2 Unternehmensethik: Ansätze und Theorien

1.2.3 Verantwortung

1.3 Corporate Social Responsibility (CSR)

1.3.1 Ursprung und Entwicklung

1.3.2 Einordnung und Begriffsbestimmungen

1.3.3 Teilaspekte der CSR

1.3.3.1 Stakeholder-Dialog

1.3.3.2 Das Drei-Säulen-Modell (Triple Bottom Line)

1.3.3.3 Freiwilligkeit und Altruismus vs. Shareholder Value

Regeln – Standardisierung von CSR

2.1 Initiativen und Leitsätze

2.1.1 Überblick

2.1.2 UN Global Compact

2.1.3 Instrumente d. Intern. Arbeitsorganisation (ILO)

2.1.4 OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen

2.1.5 Weitere Initiativen

2.2 Normen, Auditing und Zertifizierung

2.3 Verhaltenskodizes, Umwelt- & Sozialgütesiegel

2.4 Standards für die Berichterstattung

2.5 Bewertung: Indizes und Ratings

Umsetzung – CSR in der Praxis

3.1 CSR-Aktivitäten und Berichterstattung bei ausgewählten DAX-Unternehmen

3.1.1 Überblick

3.1.2 Beispiel BASF (Chemieindustrie)

3.1.3 Beispiel Deutsche Bank (Finanzbranche)

3.1.4 Beispiel E.ON (Energiedienstleister)

3.1.5 Beispiel Deutsche Post (Transport u. Logistik)

3.1.6 Beispiel Volkswagen (Automobilindustrie)

3.2 Vergleichende Analyse zu CSR bei allen 30 DAX-Unternehmen

3.2.1 Berichterstattung

3.2.2 Aktivitäten und Engagement

3.2.2.1 Ökonomie

3.2.2.2 Ökologie

3.2.2.3 Soziales/Gesellschaft

Schlussbemerkungen

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

AA

Auswärtiges Amt

AA1000

AccountAbility 1000

AG

Aktiengesellschaft

ASPI

Advanced Sustainable Performance Index (Nachhaltigkeitsindex)

AktG

Aktiengesetz

BASF

Badische Anilin- und Soda-Fabrik

BDA

Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände

BDI

Bundesverband der deutschen Industrie

BMZ

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

bspw.

beispielsweise

bzw.

beziehungsweise

CC

Corporate Citizenship

CERES

Coalition for Environmentally Responsible Economies

CG

Corporate Governance

CSP

Corporate Social Performance

CSR

Corporate Social Responsibility

DAX

Deutscher Aktienindex

DIN

Deutsches Institut für Normung e.V., Berlin

DJSI

Dow Jones Sustainability Index

e.V.

Eingetragener Verein

EMAS

Eco-Management and Audit Scheme (Europäisches Öko-Audit)

EMS-Forum

European Multi-Shakeholder-Forum on CSR

et al.

et alii (lateinisch), und andere

etc.

et cetera

EU

Europäische Union

f.

folgende (Seite)

ff.

folgende (Seiten)

FTSE

Financial Times Stock Exchange

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GRI

Global Reporting Initiative

GTZ

Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit

Hrsg.

Herausgeber

IAA

Internationales Arbeitsamt

IAO

siehe ILO

ICC

International Chamber of Commerce (Internationale Handelskammer)

ILO

International Labour Organization (Internationale Arbeitsorganisation)

ISO

International Standardization Organization

KGaA

Kommanditgesellschaft auf Aktien

NGO

Non-Govermental Organization (Nichtregierungsorganisation/nichtstaatliche Organisation)

NPO

Non-Profit-Organization

OCHA

Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten)

OECD

Organization of Economic Co-operation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung)

PR

Public Relations

PPP

Public Private Partnership

S.

Seite

SA 8000

Social Accountability 8000

SAI

Social Accountability International

SE

Societas Europaea (Neue Rechtsform: Europäische Gesellschaft)

UAG

Umweltauditgesetz

UN

United Nations (Vereinte Nationen)

UNDP

United Nations Development Programme (Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen)

UNEP

United Nations Environment Programme (Umweltprogramm der Vereinten Nationen)

UNICEF

United Nations Children’s Fund (Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen)

USA

United States of Amerika (Vereinigte Staaten von Amerika)

vgl.

vergleiche

VW

Volkswagen AG

z. B.

zumBeispiel

Kapitel 1

Grundlagen

Corporate Social Responsibility als unternehmerische Aufgabe

1 Grundlagen – Corporate Social Responsibility (CSR) als unternehmerische Aufgabe

1.1 Einleitung

Am Freitag, den 18. September 2015, einen Tag nach Eröffnung der 66. Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt am Main, titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung: »Verstoß gegen Umweltauflagen: Volkswagen muss fast 500.000 Autos zurückrufen«. Der Konzern habe gegen Abgasvorgaben der US-Umweltbehörde EPA verstoßen, indem er »eine spezielle Software eingesetzt [habe], um die Messung des Schadstoffausstoßes absichtlich zu manipulieren«. Das könne »eine Strafe von bis zu 18 Milliarden Dollar nach sich ziehen«.1 Und der Spiegel ergänzte einen Tag später: »Durch das Programm soll es möglich sein, das Abgas-Kontrollsystem nur bei offiziellen Emissionstests zu aktivieren. Das würde bedeuten, dass die Luftverpestung in Wirklichkeit viel höher wäre.«2

Damit war einer der größten Skandale der deutschen Wirtschaftsgeschichte an die Öffentlichkeit gelangt. Er beschäftigt seitdem nicht nur die internationale Presse und den Wolfsburger Automobilkonzern selbst, sondern auch diverse Verbraucherund Umweltschutzverbände, die Politik und schließlich die Gerichte bis in die Zukunft hinein. Die unter dem Namen Abgas- oder Dieselskandal bekannt gewordenen Vorfälle waren schnell zu dem Symbol geworden für verantwortungslose Unternehmensführung, zum Symbol für den Betrug am Kunden und für den rücksichtslosen Umgang der Konzernlenker mit der Umwelt und den Interessen der Allgemeinheit. Aber sie waren auch zum Symbol geworden für ein zu lasches Durchgreifen der Politik, für ein Unter-einer-Decke-Stecken der gewählten Volksvertreter mit »der Wirtschaft«, für Klüngelei und Lobbyismus und für die fehlende Ethik und Moral in unserem Wirtschaftssystem. Wir werden darauf später noch zurückkommen.

Fast genau ein Jahr später, am 16. September 2016, berichtete die Süddeutsche Zeitung unter der Schlagzeile »US-Regierung fordert Rekordbuße von der Deutschen Bank« davon, dass Washington das Finanzinstitut »wegen Tricksereien auf dem amerikanischen Immobilienmarkt« zu einer Strafzahlung von sage und schreibe 14 Milliarden US-Dollar verklagen wolle. Der Bank würden »windige Geschäfte am Markt für mit Hypotheken besicherte Wertpapiere vorgeworfen, die zum Kollaps des US-Häusermarktes im Jahr 2008« beigetragen hätten. Über Jahre hinweg hätte das Geldhaus, wie mehrere andere Großbanken auch, hohe Gewinne erzielt, indem sie Immobilienkredite an eigentlich mittellose Familien vergeben und die Risiken aus diesen Geschäften anschließend in Form von hochkomplexen Derivaten an Investoren weitergereicht hätten. Als der Markt im Sommer 2007 schließlich zusammenbrach, hätten sich diese Bonds als wertlos erwiesen. Damit habe die Deutsche Bank entscheidend zur globalen Banken- und Finanzkrise beigetragen, in deren Verlauf Großbanken wie Lehman Brothers Insolvenz anmelden mussten und Milliarden an Staatsgeldern auf der ganzen Welt in die Hand genommen werden mussten, um die Branche zu stützen und die Weltwirtschaft nicht vollends in den Abgrund zu reißen.3

In der Folge wurden immer neue Skandale der Finanzbranche bekannt – und die Deutsche Bank war stets mittendrin. Der Ruf litt erheblich. Die Banken galten fortan als Inbegriff des Raubtierkapitalismus. Es wurden Forderungen laut, die »Casinos« endgültig zu schließen und den ruchlosen Investmentbankern das Handwerk zu legen. Die Banken sollten verstaatlicht werden und wurden es teilweise auch; die Öffentlichkeit rief danach, strengere Regularien für den Finanzmarkt einzuführen, was aber bis heute kaum geschah. Insbesondere die hohen Boni, die die Banken ihren führenden Mitarbeitern weiterhin gewährten, während sie ihre Kunden ausnahmen und ins Verderben stürzten, riefen laute Kritik hervor. Als im Januar 2018 bekannt wurde, dass die Deutsche Bank trotz Verlusten Boni von über eine Milliarde Euro ausschütten wolle, ließ der Tadel an dieser »Boni-Orgie«, wie es das Manager-Magazin nannte4, nicht lange auf sich warten. Der hessische SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel etwa sagte: »Millionen-Boni trotz Verlusten widersprechen jeglichem Gerechtigkeitsempfinden. Einerseits Arbeitsplatzabbau, andererseits goldene Nasen in der Führungsetage – das kann man niemandem erklären.« Und SPD-Chef Martin Schulz ergänzte: »Überall schließen Bankfilialen, Kunden verlieren ihre Berater, Berater ihre Jobs. Wenn in dieser Situation Boni in Höhe von einer Milliarde Euro ausgeschüttet werden, dann verliert ein Unternehmen nicht nur an Ansehen. Das schadet insgesamt unserer Solidargemeinschaft.«5 Tatsächlich unmoralisches Handeln oder lediglich business as usual? Auch auf die Geschäftstätigkeit der Deutschen Bank werden wir noch zurückkommen.

Am 23. Mai 2016 schrieb die Wochenzeitung Die Zeit, dass der Leverkusener Chemie- und Pharmakonzern Bayer den umstrittenen US-Saatguthersteller Monsanto für 62 Milliarden Dollar übernehmen wolle.6 Das Unternehmen wolle »durch die Übernahme von Monsanto ein weltweit führendes Unternehmen der Agrarwirtschaft werden«, wie es in der entsprechenden Pressemitteilung hieß. Demnach biete die Übernahme »eine überzeugende Gelegenheit für Bayer, ein weltweit führendes Unternehmen für Saatgut, Pflanzeneigenschaften und Pflanzenschutz zu schaffen«. Gleichzeitig würde Bayer »als Life-Science-Unternehmen mit einer gefestigten Position in einer langfristigen Wachstumsbranche gestärkt«.7

Aus unternehmerischer Sicht mag die Übernahme, die bis Anfang 2018 noch immer nicht endgültig vollzogen war, möglicherweise sinnvoll erscheinen. Aus moralischer Sicht haben allerdings viele ein Problem damit. Denn Monsanto gilt insbesondere unter Umweltschützern als der Inbegriff des skrupellosen Unternehmens. Der Konzern aus St. Louis, Missouri, ist nicht nur der größte Hersteller des äußerst umstrittenen, unter Krebsverdacht stehenden und in großen Mengen eingesetzten Breitbandherbizids Glyphosat, das er unter dem Markennamen »Roundup« vertreibt. Das Unternehmen besitze seinen Kritikern zur Folge darüber hinaus auch eine Fast-Monopolstellung bei genverändertem Saatgut. In Kombination mit Roundup, gegen das dieses Saatgut immun ist, würden sich viele Bauern abhängig machen von den Produkten der Firma. Vor allem in Entwicklungsländern treibe das viele Kleinbauern in den Ruin. Auch das übrige Geschäftsgebaren wird kritisiert, die massive Lobbyarbeit etwa, die politische Einflussnahme und Verstrickung in die Politik, vor allem in Dritte-Welt-Ländern, oder auch die Patente auf Saatgut, die laut Greenpeace dazu führen könnten, dass Bauern Lizenzgebühren an Monsanto zahlen müssten. Die Umweltschutzorganisation nennt die Firmengeschichte »eine Skandalchronik, atemberaubend lang«.8

Die Welt scheint im Hass auf Monsanto zusammenzustehen. Im Mai 2016 protestierten Menschen in 400 Städten auf dem gesamten Globus gegen den Konzern. Auf Plakaten war unter anderem zu lesen Mon$anto is making us $ick (»Monsanto macht uns krank«), wobei das S im Firmennamen durch ein Dollar-Zeichen ersetzt war. Die Spitznamen des Unternehmens lauten »Mon-Satan« oder schlimmer.9

Der Naturschutzbund (NABU) verlieh, nachdem die Übernahmepläne bekannt geworden waren, Bayer-Chef Werner Baumann den Negativ-Umweltpreis Dinosaurier des Jahres 2016. In der Begründung hieß es:

Diese Strategie des »alles aus einer Hand« mit aufeinander abgestimmten Saatgut und Pestiziden treibt aber nicht nur die Bäuerinnen und Bauern zunehmend in die Abhängigkeit, sie forciert eine Intensiv-Landwirtschaft, die als Hauptverursacher des globalen Verlustes von Biodiversität gilt. »Der massive Einsatz von Pestiziden führt weltweit zu einem Rückgang von Insekten, darunter auch nützliche Bestäuber wie Wildbienen oder Schmetterlinge, entzieht Vögeln der Agrarlandschaft die Lebensgrundlage und vergiftet aquatisch gebundene Lebewesen«, so [NABU-Präsident] Tschimpke. Damit würden mit der Fusion auch die von den Vereinten Nationen beschlossenen Nachhaltigkeitsziele torpediert, die einen Bezug zur Biodiversität aufweisen.10

Ist die Öffentlichkeit also berechtigt, Kritik zu üben, Kritik an einem wohlgemerkt privaten Unternehmen, nur weil diese Öffentlichkeit das Handeln des Unternehmens für moralisch verwerflich hält? Ist die Übernahme von Monsanto durch Bayer verantwortungslos? Oder kommt der Konzern nicht vielmehr gerade seiner Verantwortung nach, wenn er lediglich seine ureigenen Interessen nach Wirtschaftlichkeit und Profitmaximierung verfolgt, um damit im Sinne von shareholder value die Bedürfnisse seiner Anteilseigner zu befriedigen?

Ein letztes Beispiel: Im November 2017 kündigte der Münchner Technologie-Konzern Siemens an, in den nächsten Jahren bis zu 7.000 Stellen abbauen zu wollen, davon die Hälfte in Deutschland. Die Streichung betreffe vor allem die Kraftwerksparte. Die Turbinenwerke in Leipzig und Görlitz sollten komplett geschlossen werden, auch der Standort Offenbach stehe zur Disposition. Grund sei, dass der Konzern von seinen großen Gasturbinen immer weniger verkaufe; der Preisverfall habe in diesem Geschäftsfeld zu erheblichen Überkapazitäten geführt, weshalb man sich zu diesem Schritt gezwungen sehe.11

Der zu erwartende Aufschrei ließ nicht lange auf sich warten. Die Gewerkschaften protestierten lautstark. In Görlitz, wo in einer als strukturschwach geltenden Region 900 Stellen wegfallen sollen und wo Siemens als einer der größten Arbeitgeber gilt, war das Entsetzen besonders groß: An einer Großdemonstration nahmen mehr als 7.000 Menschen teil, selbst der Bischof meldete sich an Weihnachten zu Wort und forderte die »Eindämmung rein kapitalistischen Denkens«.12

Der Focus stellte darüber hinaus die provokante und vorwurfsvolle Frage: »Stellenabbau trotz Subventionen?« und verwies darauf, dass Siemens in den vergangenen zehn Jahren Subventionen aus dem Bundeshaushalt in Höhe von über 300 Millionen Euro erhalten habe, 35 Millionen davon seien direkt in die nun von der Schließung betroffenen Werke geflossen.13

Was die Kritiker vor allem ärgerte war, dass es Siemens keineswegs schlecht ging. Der Konzerngewinn nach Steuern im abgelaufenen Geschäftsjahr 2017 lag bei 6,179 Milliarden Euro, eine nochmalige deutliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr, in dem der Gewinn bei 5,584 Milliarden Euro gelegen hatte.

Wie konnten sich die Münchner angesichts eines solchen Jahresergebnisses also erdreisten, Stellen abzubauen? Wo war die Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern, wo war die Verantwortung gegenüber den Regionen, in denen die Menschen nun schon bald auf der Straße stehen sollten? Oder zeigte der Konzern nicht sogar gerade deswegen Verantwortung, weil er den künftigen Erfolg im Auge behielt und die weniger profitablen Geschäftsfelder nach und nach abzubauen gedachte? Sollte der Konzernvorstand nicht am besten wissen, was für das Unternehmen am vorteilhaftesten ist?

Nun, diese vier Fälle – Volkswagen, Deutsche Bank, Bayer und Siemens – zeigen sehr gut, auf welche Art und Weise deutsche Großkonzerne in den vergangenen Jahren in Skandale verstrickt waren, welcher Kritik sie sich ausgesetzt sehen mussten und inwiefern sie möglicherweise ihren Verpflichtungen in Bezug auf ihre Mitarbeiter, auf die Umwelt und auf die Gesellschaft nicht oder nur ungenügend nachgekommen sind. Im Übrigen ist die Liste keineswegs abschließend; sie ließe sich mehr oder weniger beliebig fortsetzen.

Die Frage aber, die angesichts all dieser Vorfälle in den Blickpunkt gerät – und sie ist überall dieselbe –, ist: Haben die Unternehmen etwa keine Verantwortung mehr? Haben sie keine Verantwortung mehr gegenüber ihren Mitarbeitern, gegenüber der Umwelt, gegenüber der Gesellschaft? Wo bleibt das Mäzenatentum, wo bleibt der fürsorgliche Unternehmer alter Schule, wo bleibt – sofern es sie jemals gegeben hat – die Philanthropie? Haben moderne Wirtschaftsunternehmen nur noch auf rücksichtlos agierende Art und Weise ihren eigenen Vorteil im Sinn? Haben sie nur noch das Ziel vor Augen, die Vorstandsgehälter immer weiter nach oben zu treiben, immer höhere Gewinne zu erwirtschaften, koste es, was es wolle? Wo bleiben in diesem Zusammenhang der Anstand und die Moral, wo bleibt die Ethik? Hat sie etwa in der heutigen globalisierten Wirtschaftswelt nichts verloren?

Man könnte diesen Eindruck fast gewinnen, aber er ist nicht ganz richtig. Vielmehr steht die unternehmerische Verantwortung – englisch Corporate (Social) Responsibility – schon seit vielen Jahren im Blickpunkt. Als vor gut einem Jahrzehnt die erste Ausgabe dieses Buchs erschien, war das schon nicht anders. Einzig die Themen mögen sich etwas gewandelt haben und möglicherweise – so hat es zumindest den Anschein – hat das Ausmaß der Skandale eher noch zu- als abgenommen.

Aber auch schon anno 2005/2006 gab es Schlagzeilen wie »Musterbeispiel für Raubtier-Kapitalismus“ 14 etwa im Zusammenhang mit der Insolvenz des Handy-Herstellers BenQ, an den Siemens kurz zuvor seine Handy-Sparte verkauft hatte. Oder »[Bundesfinanzminister Peer] Steinbrück prangert Maßlosigkeit an«15, womit er die hohen Gehälter von Topmanagern kritisierte. Und als der damalige Bundespräsident und ehemalige Chef des Weltwährungsfonds (IWF), Horst Köhler, die deutschen Autobauer angriff, weil diese sich nicht an ihre Selbstverpflichtung zur Begrenzung des Kohlendioxid-Ausstoßes ihrer Fahrzeuge hielten16, entgegneten die Gescholtenen ihm, sie seien »doch keine Sozialhilfestation«, sondern »ein Wirtschaftsunternehmen«. 17 Auch die Deutsche Bank (»Verantwortungsloser Chef«18) und die Deutsche Telekom (»Frage des Aktienkurses offenbar wichtiger als die Frage der Beschäftigungsverhältnisse«19) wurden, ähnlich wie Siemens heute, scharf dafür kritisiert, dass sie trotz hoher Gewinne angekündigt hatten, mehrere tausend Arbeitsplätze abzubauen. Und zu guter Letzt ist vielleicht auch noch der Fall der Ölplattform »Brent Spar« in Erinnerung, die der britische Shell-Konzern im Jahre 1995 in der Nordsee versenken wollte. Nach Intervention der Umweltschutzorganisation Greenpeace und heftigen internationalen Protesten gab der Konzern schließlich nach 52 Tagen sein Vorhaben auf und entsorgte die Plattform für 25 Millionen britische Pfund an Land.20

In all diesen Fällen wird von der Öffentlichkeit, von den Medien und auch von der Politik ein massiver Druck auf die Unternehmen ausgeübt, um sie zu einem Umdenken zu bewegen und sie zu einer Wiedergutmachung zu zwingen. Angesichts des drohenden Imageverlustes willigen die meisten von ihnen auch ein: Auffanggesellschaften für von Arbeitslosigkeit bedrohte Mitarbeiter werden gegründet, Abfindungen und Entschädigungen gezahlt, oder es wird gar auf Vorstandsbezüge verzichtet, um ein Zeichen der Wiedergutmachung zu setzen.

Doch mit welchem Recht mischen sich Politik, Medien und die Öffentlichkeit eigentlich in die Autonomie von privaten Unternehmen ein? Haben wir ihnen denn überhaupt etwas vorzuschreiben? Oder haben sie nicht vielmehr das Recht dazu, so zu handeln, wie es ihnen beliebt, und wie sie es für richtig halten – solange sie nicht gerade gegen Recht und Gesetz verstoßen?

Nun, die Antwort auf diese Frage ist eigentlich recht einfach: Immer dann, wenn Dritte betroffen sind, und immer dann, wenn das öffentliche Unrechtsbewusstsein einen Angriff auf Moral und Ethik wahrnimmt, immer dann wird der Ruf laut nach der Übernahme von sozialer und ökologischer Verantwortung.

In Zeiten der Globalisierung, in denen international agierende Konzerne sich des Einflussbereiches nationaler Regierungen entziehen können, in denen ein immer unerbittlicher werdender Wettbewerb die Unternehmen zu immer größerer Kostenreduzierung und Gewinnmaximierung zwingt, um langfristig überleben zu können, in denen sich die Arbeitnehmer aus Angst um ihren Arbeitsplatz der Willkür ihrer Arbeitgeber ausgesetzt fühlen, in diesen Zeiten steigt die Sensibilität für Moral und der Wunsch nach verbindlichen ethischen Standards.

Vor diesem Hintergrund gibt es seit einigen Jahren eine neuere Diskussion über die ethische Verantwortung von Unternehmen, welche unter dem Schlagwort Corporate Social Responsibility (CSR) bekannt geworden ist. Es wird von den Unternehmen heute schlicht erwartet, dass sie sich ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und gegenüber unser aller Umwelt stellen.

Doch wie reagieren die Unternehmen auf diese Forderung? Welche Verhaltensweisen legen sie an den Tag, welche Initiativen ergreifen sie, und welche Maßnahmen führen sie durch? Und ist dies mit ihren wirtschaftlichen Interessen vereinbar?

Bereits vor zehn Jahren habe ich mit der 1. Ausgabe dieses Buchs versucht, anhand der dreißig Unternehmen des Deutschen Aktienindex (DAX) Antworten auf diese Fragen zu finden. Angesichts der eingangs erzählten Vorfälle erscheint es lohnenswert, eine erneute Bestandsaufnahme durchzuführen, daraus möglicherweise Veränderungen oder Entwicklungen abzuleiten und den aktuellen Stand der Dinge zu dokumentieren. Dabei spielte mir auch der Zufall in die Hände, denn einige ebenjener fünf Unternehmen, die ich damals tiefgreifender untersuchte, spielten beim Thema unternehmerische Verantwortung in den letzten Jahren eine prominente – meist unrühmliche – Rolle: Volkswagen und die Deutsche Bank wegen der schon erwähnten Skandale, aber auch der Energiekonzern E.ON, der aufgrund der Energiewende jüngst in arge Turbulenzen geriet.

Wie schon in der 1. Ausgabe wird in Kapitel 1 dieses Buchs zunächst auf die Grundlagen von Unternehmensethik und CSR eingegangen. Hier wird aufgezeigt, was Ethik und Verantwortung eigentlich bedeuten, welche unternehmensethischen Theorien es gibt und welche wichtigen Aspekte es bei Corporate Social Responsibility zu beachten gilt.

Das zweite Kapitel untersucht sodann die Frage, welche internationalen Regeln und Standards für die ethische Verantwortung von Unternehmen existieren, welche Vorgaben einzuhalten sind und welche eine Handlungsorientierung bieten können.

Im dritten Kapitel wird die Umsetzung von CSR in der unternehmerischen Praxis untersucht: Wie stellen sich die Konzerne ihrer Verantwortung, in welchen Bereichen engagieren sie sich ganz konkret, und welche Erkenntnisse lassen sich daraus gewinnen? Hier werden zunächst fünf Unternehmen intensiv untersucht, bevor eine vergleichende Analyse aller dreißig DAX-Konzerne folgt.

Im letzten Kapitel schließlich, den Schlussbemerkungen, werden die gewonnenen Ergebnisse zusammengefasst, bewertet und ein Blick in die Zukunft gewagt.

Also: Sind Sie bereit, einzusteigen? Dann machen Sie es sich bequem, es wird spannend!

1.2 Ethik und Verantwortung von Unternehmen

1.2.1 Ethik und Wirtschaftsethik

Bevor wir die Unternehmensethik näher beleuchten, lassen Sie uns aber noch einmal einen Schritt zurücktreten und auch den Mutterbegriff der Ethik ins Visier unserer Betrachtung nehmen. Wir müssen uns nämlich zunächst die Frage stellen: Was ist Ethik überhaupt? Was ist ihr Gegenstand? Wie könnten ethische Fragestellungen lauten? Wie hängen beispielsweise die Vokabeln Moral und Sitte mit der Ethik zusammen? Und was genau ist Verantwortung eigentlich?

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, müssen wir weit zurück reisen bis in das antike Griechenland. Schon damals nämlich haben sich Gelehrte intensiv mit der Ethik, die einer der Grundpfeiler der Philosophie ist, beschäftigt. Damit gehört die Ethik zu den ältesten Wissenschaften überhaupt. Große Namen des abendländischen Denkens sind mit ihr verbunden, angefangen von Sokrates21, Platon22 und Aristoteles23 über Thomas von Aquin24 und Descartes25 bis hin zu Kant26 und Hegel27.28 Untersuchungsgegenstand der Ethik war und ist das sittliche und moralische Handeln, oder, genauer gesagt: Es werden Normen und Werturteile gesucht, mit denen sich das menschliche Handeln bewerten lässt. Die Ethik sagt also nicht, dass dieses oder jenes gut oder schlecht sei, sondern entwickelt Kriterien und Bewertungsmaßstäbe, mit deren Hilfe erst die Bewertung, ob etwas gut oder schlecht ist, möglich ist.

Ursprünglich bezeichnete die griechische Wortherkunft Ethos so etwas wie Gewohnheit, Sitte, Brauch. Andererseits bezeichnete sie aber auch so etwas wie Charakter oder Tugend. Die Römer übersetzten den Begriff später ins Lateinische mit dem Wort mos, Plural mores, woraus sich wiederum im Deutschen das Wort Moral ableitete.29 Ethik und Moral sind also demnach, zumindest historisch betrachtet, Synonyme.

Heute lassen sich allerdings gewisse unterscheidende Nuancen feststellen. Der Duden etwa spricht bei der Ethik von der »Gesamtheit sittlicher Normen und Maximen, die einer (verantwortungsbewussten) Einstellung zugrunde liegen«30. Bei der Moral hingegen spricht er einerseits von der »Gesamtheit ethischsittlicher Normen, Grundsätze, Werte, die das zwischenmenschliche Verhalten einer Gesellschaft regulieren, die von ihr als verbindlich akzeptiert werden« und andererseits vom »sittlichen Empfinden, Verhalten eines Einzelnen oder einer Gruppe«31.

Auf den ersten Blick mag das ziemlich ähnlich erscheinen, doch beim genaueren Hinsehen gibt es doch einen entscheidenden Unterschied, den auch schon die alten Griechen herausgearbeitet hatten.

Im einen Fall nämlich – von den Griechen mit der Bedeutung Gewohnheit, Sitte, Brauch versehen – bezeichnet Ethos den Inbegriff sittlicher Normen, die innerhalb eines sozialen Gefüges als gültig angesehen werden, sei dieses soziale Gefüge nun die Familie, eine Religionsgemeinschaft oder gar die Gesellschaft eines ganzen Staates oder eines Kulturkreises. Diese Fokussierung auf einen bestimmten kulturellen Rahmen entspricht der Überzeugung des Aristoteles, der davon ausging, dass man Ethos erlernt und einübt wie eine Handwerkskunst, indem man sich an Vorbildern orientiert, die als richtig empfunden werden, oder als richtig geltende Handlungen nachahmt und sie auf diese Weise mit der Zeit selbst verinnerlicht. Aus dieser Vorstellung ergibt sich aber zwangsläufig, dass die Ansichten über Sitte und Moral eng mit dem jeweiligen Kulturkreis verbunden sind und in anderen Kulturkreisen wiederum völlig anders aussehen können. Eine übergeordnete, allgemein gültige und überall als richtig angesehene Moralvorstellung gibt es nach dieser Anschauung nicht.32 Dies entspricht genau die Bedeutung, die der Duden dem Begriff der Moral zuweist.

Bei der anderen Bedeutung von Ethos – Charakter, Tugend – ist das hingegen anders. Sie zielt nämlich genau darauf ab, dass es diese übergeordnete und allgemeingültige Vorstellung davon geben muss, was gut und was böse ist. Nach dieser Ansicht muss es also eine Ethik/Moral geben, die völlig losgelöst ist von dem oben angesprochenen sozialen Gefüge. Kant bezeichnet diese als »Vernunft als praktisches Vermögen«. 33 Erst diese Vernunft ermöglicht jene kritische Distanz zu den geltenden ethischmoralischen Normen, die ihre Bewertung überhaupt erst denkbar werden lässt. Ohne Distanz nämlich keine Bewertung und ohne Bewertung keine Weiterentwicklung. Eine Weiterentwicklung ist aber mitunter notwendig, insbesondere dann, wenn sich Rahmenbedingungen ändern oder wenn neue Technologien entstehen, bei denen neue ethische Fragestellungen sichtbar werden. Denken wir dabei etwa an die Atombombe oder an die Gentechnik. Erst durch eine übergeordnete Ethik, also durch einheitliche, allgemeingültige Regeln der Sittlichkeit, die universal gelten, können solche Fragen beantworten werden.34

Zusammenfassend können wir also sagen, dass wir zwischen einer inneren, das heißt, einem innerhalb eines sozialen Systems vorherrschenden Sittengefüge, und einer äußeren, das heißt, einer übergeordneten, allgemeingültigen, sozusagen gottgegebenen und kompromisslosen Ethik/Moral unterscheiden können und – gerade auch vor dem Hintergrund und zum Verständnis zahlreicher interkultureller und interreligiöser Konflikte auf dieser Welt – sogar unterscheiden müssen.35

Die Moral beschreibt dieses innere, nur in einer Gruppe geltende Sittengefüge. Daher ist Moral subjektiv; sie ist vom Auge des Betrachters abhängig. Und darum ist sie in der Regel auch wertend. Denn wenn etwas als moralisch verwerflich empfunden wird, dann steckt darin immer auch eine negative Konnotation. Dabei kann die aus der Sicht eines Einzelnen oder einer Gruppe als moralisch verwerflich verurteilte Handlung zweifelsohne ethisch einwandfrei sein, denken wir dabei nur an die religiös motivierten Glaubensgrundsätze der verschiedenen Weltreligionen (das Christentum sei hier ausdrücklich nicht ausgenommen).

Die Ethik stellt dagegen immer das allgemeingültige Gesetz dar. Ethik ist für alle gleich, sie ist objektiv. Am deutlichsten wird der Unterschied, wenn wir daran denken, dass häufig so genannte Ethikkommissionen einberufen werden, um schwierige ethische und rechtliche Fragestellungen zu beantworten. Stellen wir uns nur einmal vor, jemand würde auf den Gedanken kommen, diese Institutionen in »Moralkommissionen« umzubenennen. Würde das nicht äußerst befremdlich klingen?

Der Unterschied dürfte damit klar geworden sein. Nur leider lässt sich mitunter nur schwer auseinanderhalten, ob im konkreten Fall nun innerer oder äußerer Ethos, ob Moral oder Ethik vorliegt. Manchmal wird eben Moral für Ethik gehalten oder – schlimmer noch – erklärt. Darum ist es wichtig, zunächst eben jene universalen ethischen Normen zu finden, die das äußere, also das allgemeingültige Sittengefüge beschreiben. Und genau das ist die Aufgabe der Ethik, also jener »philosophischen Disziplin oder einzelnen Lehre, die das sittliche Verhalten des Menschen zum Gegenstand hat«, wie es der Duden ausdrückt.36 Ihre Intention ist, auf rationale Weise und durch »wissenschaftliche Reflexion«37 diese Regeln aufzustellen, um eine Orientierungshilfe für gutes Handeln zu bieten.

Dieses Handeln wiederum kann sich in drei Richtungen auswirken. Erstens nämlich gegenüber dem Handelnden selbst, dann ist es Untersuchungsgegenstand der so genannten Individualethik38. Zweitens kann es sich auch ausdrücken gegenüber den Mitmenschen, dann ist es Gegenstand der Sozialethik. Und drittens schließlich kann es sich ausdrücken gegenüber unserer ökologischen Umwelt, dann wird es untersucht von der Umweltethik.39

Neben diesen drei Handlungsrichtungen gibt es aber auch noch zwei Handlungsebenen, die erstere in gewisser Weise horizontal durchdringen. Die untere Ebene beschreibt die Handlung des Individuums gegenüber diesen drei Richtungen. Die Untersuchung der damit verbundenen ethischen Fragestellungen obliegt der so genannten Handlungsethik. Für den Fall aber, dass ein Sozialsystem so unübersichtlich wird, dass die Handlungen des Einzelnen nicht mehr kontrollierbar, damit auch nicht mehr sanktionierbar sind und im Ganzen zu komplex werden, um den Überblick zu behalten, bedarf es einer übergeordneten, zweiten Ebene. Diese übergeordnete, zweite Ebene umfasst alle sozialen Systeme, die von einer Gesellschaft geschaffen wurden, so zum Beispiel das Rechtssystem, das politische System, das Wirtschaftssystem oder auch die Kultur. Und mit den aus dieser zweiten Ebene erwachsenden ethischen Fragestellungen des Kollektivs befasst sich die Ordnungsethik.40

Nun lassen Sie uns aber die Ethik und ihre Teilbereiche wieder etwas eingrenzen und zwar auf den Teilbereich der Ökonomie – denn dieses Buch soll schließlich das ethische Handeln von Unternehmen zum Thema haben und Unternehmen sind nun einmal Teil der Wirtschaft.

Auch hier gibt es wiederum zwei Ebenen, nämlich eine untergeordnete, die sich mit dem Handeln des »Individuums« Unternehmen, also der Politik des Unternehmens als Ganzes oder mit dem Handeln einzelner Mitarbeiter oder Vorständen beschäftigt; hiervon handelt die Unternehmensethik, also gewissermaßen die Handlungsethik für Unternehmen.

Daneben kann die Unternehmensethik aber auch ein Stück weit in die Ordnungsethik hineinreichen, nämlich beispielsweise dann, wenn sich Wirtschaftsbetriebe zusammenschließen und gemeinsam ordnungspolitische Angelegenheiten regeln möchten, wie sie dies in Arbeitgeberverbänden oder Branchenzusammenschlüssen tun. Über der Ebene der Unternehmensethik werden also in einer übergeordneten Stufe die ethischen Fragestellungen des Kollektivs der Unternehmen behandelt, also die reine Ordnungsethik der Ökonomie. Diese Ebene nennt man Wirtschaftsethik. Sie beschäftigt sich mit dem Gesamtsystem, in dem das einzelne Unternehmen lediglich als Ameise durch ihren Haufen krabbelt.

Diese Einteilung in Unternehmens- und Wirtschaftsethik ist im Übrigen vergleichbar mit der Einteilung der Wirtschaftswissenschaften in die untergeordnete, den einzelnen Betrieb behandelnde Betriebswirtschaftslehre und die übergeordnete, das Gesamtsystem untersuchende Volkswirtschaftslehre.41 In Abbildung 1 soll noch einmal die soeben nachgezeichnete Systematik der Wirtschaftsethik veranschaulicht werden.

Abb. 1: Teilbereiche der Wirtschaftsethik (eigene Darstellung, in Anlehnung an [Küpper], S. 26)

Da in diesem Buch das Engagement von Unternehmen untersucht werden soll, richten wir den Blick natürlich vorwiegend auf die Unternehmensethik. Nach der Definition des deutschen Wirtschaftswissenschaftlers Hartmut Kreikebaum (1934 bis 2016) untersucht sie »die aus den Wechselwirkungen zwischen Unternehmen, Politik und Gesellschaft abgeleiteten Werturteile der Unternehmensmitglieder und deren Umsetzung in der Unternehmenspraxis«.42 Da diese Aussage zunächst sehr abstrakt erscheint, wollen wir uns im nächsten Kapitel verschiedene unternehmensethische Theorien anschauen, um aus ihnen konkrete Handlungsempfehlungen ableiten zu können. Im Kern geht es dabei um Folgendes: Aus der wirtschaftlichen Freiheit, die ein wesentliches Merkmal der marktwirtschaftlichen Ordnung ist, erwächst die Möglichkeit, im Rahmen von unternehmerischen Entscheidungen zwischen mehreren Alternativen zu wählen. Diese Wahl ist Ergebnis einer rationalen Entscheidung. Allerdings stellt sich bei dieser Wahl auch immer die Frage nach der Rechtfertigung der Entscheidung. Und genau in diesem Zusammenhang ist die Unternehmensethik gefragt.43

1.2.2 Unternehmensethik: Ansätze und Theorien

Welche Ansätze in der Unternehmensethik gibt es nun? Je nach verfolgtem Wissenschaftsziel lassen sich prinzipiell drei verschiedene Ansätze unterscheiden, nämlich die deskriptiven (beschreibenden), die analytischen (zerlegenden, die Einzelaspekte untersuchenden) sowie die normativen (die sich mit den Normen beschäftigenden).

Die deskriptive Unternehmensethik zielt – wie die Bezeichnung bereits deutlich macht – auf eine Beschreibung und Erklärung sowie auf eine Prognose realer Sachverhalte ab. Sie versucht, empirisch nachprüfbare Aussagen zu der Frage zu treffen, inwieweit Normen und Werturteile Einfluss haben auf wirtschaftliche Entscheidungen, Handlungen und Prozesse.44

Die analytische Unternehmensethik untersucht hingegen explizit spezielle Wertprobleme und ethische Fragestellungen, etwa bei der Aufstellung von Sozialbilanzen, bei der Technikfolgenabschätzung oder bei der Gestaltung der Führungsstruktur. Auch Konflikte, die sich aus der Produktpolitik, der Produktionsmethode, der Material- oder der Personalbeschaffung ergeben, können Untersuchungsgegenstand sein. Die analytische Unternehmensethik bedient sich dabei je nach Zweckmäßigkeit deskriptiver oder nachfolgend beschriebener normativer Instrumente.45

Der bisherige Schwerpunkt der unternehmensethischen Diskussion liegt jedoch auf dem dritten Ansatz, der normativen Unternehmensethik. Allgemein gesprochen, enthält sie Werturteile und gibt Handlungsempfehlungen. Sie kann wiederum untergliedert werden in material-normative und formal-normative Ansätze. Die material-normative Unternehmensethik beschäftigt sich dabei mit dem Inhalt von Werten und Normen, während die formal-normative Unternehmensethik die an diese Werte und Normen zu stellenden Anforderungen sowie deren Herleitung zu beschreiben versucht. Die formal-normative Unternehmensethik lässt sich schließlich noch einmal danach unterteilen, wie sie konzeptionell vorgeht, nämlich nach einem methoden-, einem rationalitäts- oder einem prozessorientierten Ansatz.

Beim methodenorientierten Ansatz werden ökonomische Methoden wie die Vorteils-Nachteils-Kalkulation oder spieltheoretische Modelle benutzt. Deshalb sprechen Vertreter auch von einer »Ethik mit ökonomischer Methode« beziehungsweise von »ökonomischer Ethik«.46

Die prozessorientierte Ansätze schließlich formulieren Regeln, mit denen man zu gemeinsam akzeptierten Werten und Normen gelangen kann. Für sie spielt der Dialog oder Diskurs zwischen den hiervon Betroffenen eine maßgebliche Rolle. Deshalb greifen sie auf Konzepte der Diskursethik zurück, weshalb man sie auch als kommunikationsorientierte Ansätze bezeichnen kann.48

Einen Gesamtüberblick über die soeben beschriebenen Ansätze zeigt Abbildung 2.

Abb. 2: Systematik von Ansätzen der Unternehmensethik (Darstellung nach [Küpper], S. 95, Abb. II-1)

Doch genug der reinen Theorie. Kommen wir nun zu konkreten Überlegungen einiger wichtiger Unternehmensethiker. Wie bereits erwähnt, nutzten die meisten von ihnen die letztgenannte prozessorientierte Methode. Beispielhaft sollen die fünf Autoren Horst Steinmann, Peter Ulrich, Josef Wieland, Karl Homann und Hartmut Kreikebaum zu Wort kommen. Es wird sich zeigen, dass sie zum Teil zwar durchaus ähnliche, zum Teil aber auch erheblich voneinander abweichende Vorstellungen haben.

Horst Steinmann: Republikanische Dialogethik(Prozess-orientierter (formal-normativer) Ansatz)

Horst Steinmann (*1934) schiebt den Ausgangspunkt jeder ethischen Überlegung in die Lebenspraxis. Hier gebe es eine zentrale Erfahrung, nämlich diejenige, in Konflikten zu bestehen und diese friedlich beizulegen. Ausgangspunkt jeder Ethik sei deshalb das »Friedensziel«.49

Seiner Meinung nach ließen sich Konflikte nur durch Konsens zwischen allen Beteiligten beilegen. Dies gelte, trotz aller Wettbewerbszwänge, uneingeschränkt auch für ökonomische Entscheidungen.50 Die Hinführung zum Konsens ließe sich, völlig losgelöst vom Vorhandensein des »unantastbaren Gewinnprinzips«51, auch und gerade durch eine Anpassung der Organisationsstruktur eines Unternehmens erreichen. Zu nennen wären hier beispielsweise die Schaffung und Pflege einer Unternehmenskultur, die Einführung eines Ethikkodex und die Festschreibung von Führungsleitsätzen, die den Dialog inner- und außerhalb der Organisation fördern. Für Steinmann ist der Frieden der Grundwert, den es anzustreben gilt.

Dieser könne aber nur mit Hilfe einer argumentativen Konsensfindung erreicht werden. Den notwendigen Weg dorthin bestreite der Dialog, der damit nicht nur Weg, sondern auch Ziel sei.52 Für diesen Dialog müssten nun entsprechende Regeln geschaffen werden. Die Dialogethik stelle somit eine prozessuale Anleitung zur Entwicklung von Normen dar. Sie fordere eine argumentative Verständigung und das Bemühen um gute Gründe. Der ideale Dialog werde dabei durch verschiedene Restriktionen begrenzt, die zeitlicher, sachlicher, räumlicher oder auch personeller Natur sein könnten.53 Der entscheidende Grundgedanke von Steinmanns Unternehmensethik ist also: Schaffung von Normen und Regeln für den Dialog; deren Anwendung in der Argumentation; Konsens; Frieden.

Peter Ulrich: Integrative Unternehmensethik(Prozess-orientierter (formal-normativer) Ansatz)

Der Schweizer Peter Ulrich (*1948) stellt dagegen die grundsätzliche Frage, welchen Sinn das Wirtschaften eigentlich habe. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass es nur als Mittel zur Sicherung der menschlichen Lebensgrundlagen und zur Erweiterung der menschlichen Lebensfülle dienen könne. Seine Legitimation liege darin, für alle die größtmögliche tatsächliche Freiheit und die besten Lebenschancen zu erreichen. Seiner Meinung nach könne »strikte Gewinnmaximierung […] keine legitime unternehmensethische Handlungsorientierung sein«.54 Gewinnstreben sei zwar grundsätzlich legitim, aber nur dann, wenn es stets als moralisch begrenztes Gewinnstreben verstanden werde.

Die Unternehmensethik habe die Aufgabe, diese moralische Begrenzung zu definieren. Ulrich möchte sie aber nicht als äußere Grenze, sondern vielmehr als innere Grundlage des unternehmerischen Erfolgsstrebens gesehen wissen. Er schlägt deswegen einen integrativen Ansatz vor, der Ethik und unternehmerisches Erfolgsstreben nicht als Gegensätze, sondern die Ethik zur normativen Grundlage legitimen unternehmerischen Erfolgsstrebens erklärt.

Entscheidend seien einerseits die ethische Verantwortbarkeit aller Folgen der Geschäftstätigkeit und andererseits die ökonomische Zumutbarkeit. Es gehe darum, innovative unternehmerische Synthesen zwischen ethischen und marktstrategischen Gesichtspunkten zu entwickeln und auf diese Weise neue Märkte für ethisch höherwertige Güter zu schaffen, um damit ethisch sensibilisierte Konsumenten anzusprechen. Seiner Meinung nach sei »nicht alles unmoralisch, was unternehmerischen Erfolg bringt und auch nicht alles wirtschaftlich, was ethisch verantwortbar und sinnvoll ist«.55

Doch Ulrich mahnt auch an, dass die Unternehmensethik weit über eine bloße Geschäftsethik hinausgehen und auch eine ordnungspolitische Mitverantwortung der Unternehmer enthalten müsse (beispielsweise bei der Entlassung von Mitarbeitern). Sein Konzept sieht deshalb eine Zweistufigkeit der integrativen Unternehmensethik vor: Auf der ersten Stufe gehe es darum, nach rentablen Wegen ethisch-sinnvollen Wirtschaftens zu suchen und zwar innerhalb der vorgefundenen Rahmenbedingungen. Auf der zweiten Stufe sollten die Sachzwänge des Wettbewerbs kritisch hinterfragt werden und zwar vor allem diejenigen, die die Synthese von Ethik und Erfolgsstreben verhindern. Ermöglicht werden solle dies durch ein Engagement der Unternehmen in der Öffentlichkeit für die res publica, die öffentliche Sache. Deswegen nennt er seinen Ansatz auch »republikanische Unternehmensethik«56. Ziel solle sein, durch das unternehmerische Engagement zu ethisch begründeten Reformen der marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu gelangen.57

Den Weg zu diesem Ziel sollten, so Ulrich, die Unternehmen auf drei Wegen im Sinne einer dialogischen Unternehmenspolitik bestreiten:

Erstens durch eine Unternehmensführung, die eine Verständigung aller im Rahmen eines unternehmenspolitischen Dialogs fördere. Zweitens durch eine offene Unternehmensverfassung, die allen Betroffenen gesetzlich geregelte Anhörungs-, Mitsprache-, Einspruchs- und Klagerechte einräume. Und schließlich drittens durch einen umfassenden Dialog mit den Stakeholdern (also allen von der Unternehmenstätigkeit Betroffenen – wir werden in Kapitel 1.3.3.1 noch näher auf sie eingehen), der zu einem begründbaren, für alle Beteiligten zumutbaren, vernünftigen Konsens über die Unternehmenstätigkeit führe.58

Josef Wieland: Beziehungsethik(Prozess-orientierter (formal-normativer) Ansatz)

Josef Wieland (*1951) wählt einen völlig anderen Ansatz: Für ihn sind ethische Fragestellungen, denen sich Unternehmer stellen müssten, immer durch Beziehungen oder vertragliche Bindungen gekennzeichnet. Er unterscheidet zwischen vier verschiedenen Arten von Beziehungen: Zum ersten gebe es ergebnisrelevante Abhängigkeiten im Rahmen langfristiger vertraglicher Bindungen (also beispielsweise längerfristige Lieferverträge, Miet- und Leasingverträge, Arbeitsverträge etc.). Zweitens gebe es Fälle von Informationsasymmetrien, die zur Ausbeutung von Kooperationspartnern führen könnten (wie beispielsweise die Durchsetzung von überhöhten Preisen oder die Abnahme von minderwertigen Produkten durch ahnungslose Kunden). Drittens gebe es Fälle von komplexen und nicht exakt spezifizierbaren Leistungen, deren Erfüllung entscheidend von der Aufrichtigkeit der Personen abhänge (so zum Beispiel bei der Erstellung von Bauten oder komplexen Anlagen). Viertens bleibe schließlich die Durchsetzung von Eigentums- und Verfügungsrechten, auch dann, wenn sie kostenlos von anderen gebrochen werden könnten (beispielsweise Patentrechte, Lizenzen etc.).59 Bei all diesen marktbezogenen Abhängigkeiten gehe es um Ehrlichkeit, Offenheit, Fairness, Loyalität und Vertrauenswürdigkeit, also um Moral.

Darüber hinaus gebe es Beziehungen zur Gesellschaft, die beispielsweise moralisch sensible Produkte, Produktionsmethoden, Transaktionen und Standortentscheidungen zum Inhalt hätten. Die Gesellschaft sei gewissermaßen die Gesamtheit aller möglichen gegenwärtigen und zukünftigen Kooperationsbeziehungen eines Unternehmens. Aus diesem Grund, vor allem weil es eine entsprechende Erwartungshaltung der Gesellschaft gebe, müsse es ein enormer strategischer Anreiz sein, in seine moralische Kompetenz, in seine moralische Legitimation zu investieren. Dies verlange Kooperation und da diese Kooperation eine gemeinsame Anstrengung aller Beteiligten sei, funktioniere diese nur mit Hilfe gemeinsamer, moralischer Spielregeln.60

Zur Beziehung zwischen ökonomischem Erfolg und moralischer Integrität schreibt Wieland: »Es gibt moralische Voraussetzungen von Ökonomie und ökonomische Konsequenzen von Moral. Aber es gibt auch ökonomische Voraussetzungen von Moral und moralische Konsequenzen von Ökonomie.«61

Karl Homann: Ökonomische Unternehmensethik(Prozess-orientierter (formal-normativer) Ansatz)

Karl Homann (*1943) macht das sogenannte Gefangenendilemma zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Es beschreibt folgende Situation:

Zwei Straftäter (Täter A und Täter B), die eine Tat gemeinsam begangen haben, werden getrennt voneinander festgenommen. Sie haben keine Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren. Jeder hat die Wahl, entweder die Tat zu gestehen oder zu leugnen. Ihnen drohen folgende Strafen: Leugnen beide die Tat, kann ihnen nur ein kleines Delikt nachgewiesen werden und sie erhalten eine Haftstrafe von jeweils drei Jahren. Gesteht nur einer, sein Komplize aber leugnet, erhält der Geständige als Kronzeuge nur ein Jahr, sein nicht geständiger Komplize aber die Höchststrafe von zehn Jahren. Gestehen beide die Tat, wird ihnen Strafmilderung gewährt und beide erhalten fünf Jahre. Die Ergebnisse der unterschiedlichen Kombinationen zeigt Abbildung 3 auf der nächsten Seite.

Aus rein rationaler Sicht sei es für beide Gefangenen am günstigsten, die Tat zu gestehen, da keiner von beiden wisse, wie sein Komplize entscheide. Grund für sein Geständnis sei, dass der eine bei jeder Verhaltensweise des anderen die geringere Strafe erreiche (ein Jahr gegenüber drei, wenn der andere ebenfalls schweigt, fünf Jahre gegenüber zehn, wenn der Komplize gesteht). Das rationale Handeln führe also dazu, dass beide gestehen und sie im Feld rechts unten landeten. Die beiden bekannte und günstigere Lösung, nämlich beidseitiges Schweigen (Feld links oben), könne nur dann erreicht werden, wenn jeder vom anderen sicher wüsste, dass dieser kooperiert und nicht doch noch versucht, die Kooperationsbereitschaft einseitig auszunutzen.

Abb. 3: Veranschaulichung des Gefangenendilemmas; die Ziffern bezeichnen die jeweiligen Strafen in Jahren (eigene Darstellung)

Dieses Gleichnis zeige, so Homann, dass eine Wirtschaft, die den größtmöglichen Nutzen für alle bringen solle, nur dann funktioniere, wenn es für den Einzelnen nicht mehr individuell vorteilhaft sei, das kollektive Arrangement zu kippen, also der einzelne Unternehmer nur dann moralisch erwünschte Verhaltensweisen an den Tag legen könne, wenn andere ebenfalls dazu bereit seien. Wörtlich: »wenn also die sozial schädlichen parasitären Handlungsoptionen für jeden Einzelnen, z. B. durch Strafen, unattraktiv gemacht worden sind«.62

Wenn man moralische Werte geltend machen wolle, gebe es folglich nur einen Weg: Man müsse an den Rahmenbedingungen, also an der Wirtschaftsordnung, ansetzen (»Der systematische Ort der Moral in einer Marktwirtschaft ist die Rahmenordnung.«63 ). Die Unternehmensethik habe also zu prüfen, welche Handlungsmöglichkeiten Unternehmungen zur Beeinflussung der Rahmenordnung offen stünden.64

Homann vergleicht dies mit der Unterscheidung in Spielzüge und Spielregeln: Die Rahmenordnung (Spielregeln) bestimme die Handlungsergebnisse, weshalb alle Versuche, die Moral vorwiegend in den Handlungen der Einzelnen (Spielzüge) geltend zu machen, verfehlt seien. Die Gestaltung einer Rahmenordnung sei auch im eigenen Interesse der Unternehmen: Innerhalb der gegebenen Regeln sei die langfristige Gewinnmaximierung zunächst ihre oberste Aufgabe.65

Um jedoch das Problem der Ausbeutbarkeit moralischer Vorund Mehrleistungen durch weniger moralische Konkurrenten zu lösen, gebe es zwei Möglichkeiten: Entweder bringe freiwilliges moralisches Handeln Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz, oder die Konkurrenten würden denselben Moralstandards, in Form einer für alle verbindlichen und sanktionsbewehrten Rahmenordnung, unterworfen.66

Alleine schon deswegen, weil Unternehmen auf Dauer erfolgreich sein möchten und sich aus diesem Grunde nicht nur auf die erste Strategie verlassen könnten, müssten sie daran interessiert sein, an der zweiten Strategie, nämlich der Gestaltung dieser Rahmenordnung, mitzuwirken. Diese Mitwirkung sei dann eine Art »autonome Selbstbindung«, nicht ein von der Ethik auferlegter Zwang.67

Die Möglichkeiten dieser Ordnungsverantwortung der Unternehmen seien vielfältig und erstreckten sich beispielsweise auf die Mithilfe in Verbänden, der Kooperation mit Regierungen und nichtstaatlichen Organisationen (NGOs), der Unterstützung von Organisationen, die sich »für eine bessere Welt« einsetzten, sowie den Dialog mit den Betroffenen. Aus Gründen der Durchsetzbarkeit von Normen plädiert Homann zudem für eine Vorteils-/Nachteils-Kalkulation der einzelnen Optionen (»Ethik mit ökonomischer Methode«).68

Hartmut Kreikebaum: Entscheidungsethik(Material-normativer Ansatz)

Der eingangs bereits erwähnte Hartmut Kreikebaum, der letzte Unternehmensethiker, den wir einer Betrachtung unterziehen, ist der einzige, der nicht einen prozessorientierten Ansatz, wie Steinmann, Ulrich, Wieland und Homann, sondern einen material-normativen wählt (an Abbildung 2 auf Seite 31 sei hier noch einmal erinnert).