Cottage mit Mord - Rhys Bowen - E-Book

Cottage mit Mord E-Book

Rhys Bowen

4,5
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mord verjährt nicht …
Die Cosy Crime-Reihe rund um Constable Evans bietet wieder spannende Lesestunden!

Als Constable Evan Evans in den Bergen von Llanfair ein wunderschönes Hirtenhaus entdeckt, sind er und seine Verlobte begeistert. Es sind nur noch wenige Monate bis zu ihrer Hochzeit und sie können es kaum erwarten, ihr gemeinsames Leben zu beginnen. Doch seine Entdeckung geht weit über die Schönheit eines Berggipfels und eines gemütlichen Traumhauses hinaus … Als Evan das Skelett eines Kindes im Vorgarten begraben findet, will er nicht ruhen, bis er dessen Identität aufdeckt hat. Das Skelett ist Jahrzehnte alt, aber sein Fund fällt auf unheimliche Weise mit dem aktuellen Fall eines vermissten Mädchens zusammen. Obwohl er von seinen Detektivkollegen entmutigt wird, taucht Evan in das Geheimnis der beiden vermissten Kinder ein. Und er merkt schnell, dass die Lösung des vergangenen Falls möglicherweise einen entscheidenden Einblick in den Aufenthaltsort jenes Kindes gibt, das heute vermisst wird …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Cottage mit Mord.

Weitere Titel dieser Reihe
Je tiefer das Tal (ISBN: 9783986379452)
Je kälter der Tod (ISBN: 9783986376963)
Je blinder die Gier (ISBN: 9783986377151)
Je süßer der Mord (ISBN: 9783986377250)
Je dunkler die Berge (ISBN: 9783986377410)
Mord im Sinn (ISBN: 9783987781209)
Tödliche Tatsachen (ISBN: 9783987781490)
Tödliche Melodie (ISBN: 9783987781421)
Mord ohne Ende (ISBN: 9783987781353)

Erste Leser:innenstimmen
„ein weiterer spannender Fall für Constable Evan Evans“
„Der angenehme Schreibstil und das überraschende Ende machen den Krimi zu einem wahren Leseerlebnis!“
„unterhaltsamer Cosy Krimi im idyllischen Wales“

„Die Romane von Rhys Bowen machen einfach Spaß!“
„walisisches Flair, skurrile Charaktere und ein solider, aufregender Fall“

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 450

Bewertungen
4,5 (2 Bewertungen)
1
1
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses E-Book

Als Constable Evan Evans in den Bergen von Llanfair ein wunderschönes Hirtenhaus entdeckt, sind er und seine Verlobte begeistert. Es sind nur noch wenige Monate bis zu ihrer Hochzeit und sie können es kaum erwarten, ihr gemeinsames Leben zu beginnen. Doch seine Entdeckung geht weit über die Schönheit eines Berggipfels und eines gemütlichen Traumhauses hinaus … Als Evan das Skelett eines Kindes im Vorgarten begraben findet, will er nicht ruhen, bis er dessen Identität aufdeckt hat. Das Skelett ist Jahrzehnte alt, aber sein Fund fällt auf unheimliche Weise mit dem aktuellen Fall eines vermissten Mädchens zusammen. Obwohl er von seinen Detektivkollegen entmutigt wird, taucht Evan in das Geheimnis der beiden vermissten Kinder ein. Und er merkt schnell, dass die Lösung des vergangenen Falls möglicherweise einen entscheidenden Einblick in den Aufenthaltsort jenes Kindes gibt, das heute vermisst wird …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Cottage mit Mord.

Impressum

Erstausgabe 2014 Überarbeitete Neuausgabe Dezember 2022

Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98778-136-0 Hörbuch-ISBN: 978-3-98637-233-0

Copyright © 2014 by Rhys Bowen. Alle Rechte vorbehalten. Titel des englischen Originals: Evan’s Gate

Published by Arrangement with Janet Quin-Harkin. c/o JANE ROTROSEN AGENCY LLC, 318 East 51st Street, NEW YORK, NY 10022 USA.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright © 2019, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2019 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Cottage mit Mord (ISBN: 978-3-96087-698-4).

Übersetzt von: Lennart Janson Covergestaltung: ARTC.ore Design / Wildly & Slow Photography unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Eleseus, © mindscapephotos, © DAJ Holmes Korrektorat: Dorothee Scheuch

E-Book-Version 21.07.2023, 09:19:55.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Unser gesamtes Verlagsprogramm findest du hier

Website

Folge uns, um immer als Erste:r informiert zu sein

Newsletter

Facebook

Instagram

TikTok

YouTube

Cottage mit Mord

Jetzt auch als Hörbuch verfügbar!

Cottage mit Mord
Rhys Bowen
ISBN: 978-3-98637-233-0

Mord verjährt nichtConstable Evans sorgt für spannende Stunden

Das Hörbuch wird gesprochen von Omid-Paul Eftekhari.
Mehr Infos hier

Vorwort des Verlags

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Cottage mit Mord von Rhys Bowen. Da wir uns stets bemühen, unseren Leser:innen ansprechende Produkte zu liefern, werden Cover sowie Inhalt stets optimiert und zeitgemäß angepasst. Es freut uns, dass du dieses Buch gekauft hast. Es gibt nichts Schöneres für die Autor:innen und uns, zu sehen, dass ein beständiges Interesse an ästhetisch wertvollen Produkten besteht.

Wir hoffen du hast genau so viel Spaß an dieser Neuauflage wie wir.

Dein dp-Team

Danksagung

Ich muss mehreren Menschen für ihre Hilfe bei diesem Buch danken.

An erster Stelle meinem Freund Paul Henshaw von der Polizei Südwales, der wieder einmal so nett war, meine Fragen zu beantworten. Außerdem hat er mich mit Detective Inspector Chris Parsons von der Polizei Südwales bekannt gemacht, der mir Informationen über Kindesentführungen im Vereinigten Königreich gegeben hat.

Dr. P. Willey, Professor für forensische Anthropologie an der Chico State University, war so liebenswürdig, mir seine Zeit zu schenken und mein Wissen über die Identifizierung und Datierung eines Skeletts zu festigen.

Und wie üblich halfen Clare, Jane und John mir mit ihren ausgezeichneten Anregungen.

Dieses Buch ist Jane Finnis gewidmet, die seit vierzig Jahren meine Freundin ist (ja, wir lernten uns bereits als Kinder kennen). Sie schrieb mit mir Songs, war die andere Hälfte meines Kabarett-Duos, meine Informationsquelle zur Nationalpark-Verwaltung und folgt mir jetzt mit der Veröffentlichung ihres ersten Romans in mein aktuelles Beschäftigungsfeld.

Außerdem geht eine besondere Widmung an Jan Telesky, die Höchstbietende bei einer Wohltätigkeits-Auktion der English Speaking Union, die damit das Recht erwarb, in diesem Buch aufzutreten. Ich hoffe, sie ist mit ihrem Charakter zufrieden, und es tut mir leid, dass ich keinen Weg fand, ihr Talent für Gesellschaftstänze einzubauen. Sie wissen ja, dass Evan ein schlechter Tänzer ist!

Glossar walisischer Begriffe

Cariad (sprich: ca-ri-ad) – Liebes, Liebling

Hywl (hoil) – hallo, tschüss, bis bald. Ein freundlicher Gruß, der viele Bedeutungen hat.

Bach/fach (gesprochen wie der Komponist) – wörtlich: „klein“. Ein Kosewort.

Escob Annwyl (es-cobe an-whiel) – wörtlich: „lieber Bischof“. Ein Ausruf wie „du liebe Güte“.

Nain (nein) – Großmutter (Nordwalisisch)

Taid (teid) – Großvater (Nordwalisisch)

Twlwyth Teg (tul-with teg) – Das schöne Volk. Feen.

Bore Da (burei dah) – guten Tag

Noson Lawen (nos-on l-ow-en) – Festabend

Tomos Dau (Thomas Die) – Thomas Zwei, zweimal Thomas. Spitzname für Tomos Thomas.

Cwm Rhondda (kuhm rontha) – Rhondda-Tal (hier: Name eines Kirchenliedes)

Pedwar (pedw-ar) – vier

Cachwr (kahk-er) – schwaches Schimpfwort, „Mistkerl“.

Or gore (or gor-ey) – alles klar

Hen diawl (hen di-aul) – alter Teufel

Prolog

Das kleine Mädchen lief über das federnde Gras des Berghanges, wobei ihre tänzelnden Schritte das Gras kaum niederdrückten, sodass sie völlig gewichtslos wirkte; ein fröhlicher Geist ohne Kontakt zum Erdboden. Ihr langes, blondes Haar wehte hinter ihr ihm Wind und sie summte vor sich hin, während sie immer höher stieg.

Als sie die Hochweide erreichte und sich die Welt zu ihren Füßen ausbreitete, blieb sie einen Augenblick lang still stehen, atmete durch und sah sich erwartungsvoll um. Dann keuchte sie. Da war es, genau so, wie sie es sich ausgemalt hatte. Sie quietschte vergnügt und rannte ihrem Schicksal entgegen.

Kapitel 1

Suzanne Bosley-Thomas saß in ihrem Auto und starrte in die kahle Landschaft. Schnee bedeckte die Gipfel entlang des Wanderweges „Snowdon Horseshoe“ und bleierne Wolken versprachen weiteren Schneefall. Verdammtes Wales, dachte sie. Es ist Mitte Mai, zur Hölle, aber hier herrscht immer noch der beschissene Winter.

„Gott, ich hasse es hier“, sagte sie laut. „Ich wünschte, ich wäre gar nicht hergekommen.“

Du musst nicht reingehen, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf. Starte den Motor und fahr gleich wieder nach Hause. Niemand wird je erfahren, dass du hier warst. Der Gedanke war so verlockend, dass ihre Hand zum Autoschlüssel wanderte. Doch dann zog sie den Schlüssel heraus, ließ ihn in ihre Handtasche fallen und zog den Reißverschluss ihres Anoraks bis zum Kinn zu. Sie konnte nicht riskieren, draußen zu bleiben und nicht an dieser Farce teilzunehmen. Es stand zu viel auf dem Spiel.

Der Wind blies so kräftig, dass er ihr beim Aussteigen beinahe die Autotür aus der Hand riss. Er nahm ihr den Atem und ließ ihre Augen tränen, während sie über den Parkplatz zum Hotel Everest Inn eilte. Als sie einen ersten Blick darauf erhaschte, zuckte sie überrascht zusammen und fragte sich kurz, ob sie halluzinierte.

Das Everest Inn ähnelte mit seinen geschnitzten Holzbalkonen und den Geranienkästen einem riesigen Schweizer Chalet. Es sah völlig anders aus als die simplen, grauen Steinhäuser der Dörfer, durch die sie durchgekommen war. Die schneebedeckten Berge im Hintergrund passten gut zur Schweizer Kulisse.

„Surreal“, murmelte sie. „Surreal“ beschrieb gut, wie sie sich gerade fühlte. An der Eingangstür aus Ätzglasscheiben zögerte sie erneut. Deine letzte Chance, wiederholte die Stimme in ihrem Kopf. Zurück zum Auto, den Pass hinunter und zur A55, dann bist du in einer Stunde wieder in England.

Sie atmete tief durch, wischte sich das Haar aus dem Gesicht und trat ein. Wärme und sanfte Musik empfingen sie. Das Foyer war ein großer, offener Bereich. Ein steinerner Kamin nahm den Großteil einer Wand ein. Ihr Blick glitt über den Empfangstresen aus Messing und poliertem Holz zur breiten, mit Teppich bedeckten Treppe. Hier hatte man keine Kosten gescheut. Als sie die Gruppe entdeckte, erstarrte sie. Drei Männer saßen an dem runden Kaffeetisch beim Feuer – das waren sie, oder? Ja, sie erkannte ihren Bruder, Henry. Er sah aus wie ihr Vater in dem Alter. Die Ähnlichkeit war so verblüffend, dass sie erschauderte und zur Eingangstür blickte. Es regnete jetzt, Schneeregen prasselte gegen das Glas.

„Kann ich Ihnen helfen, Madam?“, fragte die junge Frau an der Rezeption. Im selben Augenblick sah einer der Männer auf und sagte: „Da ist sie ja.“ Er stand auf. „Suzie!“, rief er und kam herüber, um sie zu begrüßen. „Du musst Suzie sein. Du hast dich kein bisschen verändert. Meine Güte, deine Hände sind ja eisig. Komm ans Feuer.“

„Verdammtes Wales“, sagte sie und lachte verlegen, als er ihre Hand nahm. „Es war hier nicht immer so kalt, oder?“

„Wir waren immer im August hier und ich glaube, im August schneit es selbst in Wales nicht. Komm her und wärm dich auf. Wir haben eine frische Kanne Tee. Willst du auch etwas essen?“

„Ein Tee wäre wunderbar, danke.“ Sie hockte sich auf die Kante des Ledersessels, den er für sie herangezogen hatte. „Entschuldige bitte, wenn das sehr unhöflich klingt, aber ich weiß nicht genau, wer du bist.“

Der Mann lachte. Er hatte ein attraktives Gesicht, wie man es üblicherweise in einer Parfumwerbung sehen würde, regelmäßige, weiße Zähne und eine tolle Bräune. Dunkle Locken hingen über seinen Kragen, etwas zu lang, um gesellschaftlich akzeptabel zu sein. Er trug einen Designer-Pullover, gestrickt und mit senkrechten Streifen. Suzanne hatte so einen in einer Modezeitschrift gesehen und wusste, dass sie schrecklich teuer waren.

„Ich bin dein verloren geglaubter Cousin Val, Herzchen“, sagte er. „Du würdest eine miese Ermittlerin abgeben, Mädchen. Deinen Bruder musst du erkannt haben, was nur noch zwei von uns übriglässt, und einer ist ein Priester.“

Suzanne errötete, als sie zum dritten Mann blickte und sah, dass er tatsächlich einen Priesterkragen trug.

„Es tut mir leid“, sagte sie, als er sich ebenfalls erhob. „Dann musst du mein Cousin Nick sein. Ich wusste nicht, dass du Priester geworden bist.“

„Na ja, wir hatten nicht gerade häufig Kontakt, oder?“ Nick streckte ihr seine Hand entgegen. Er hatte ein freundliches, offenes Gesicht und zeigte ihr ein schüchternes, jungenhaftes Lächeln. „Schön dich wiederzusehen, Suzanne.“

„Mummy hat mir nur erzählt, dass du vor Jahren nach Kanada gezogen bist.“

„Genau“, sagte er und jetzt fiel ihr auch der kanadische Akzent auf. „Ich ging sofort nach Toronto, als ich mit der Universität fertig war. Ein paar Jahre später zog ich nach Montreal und beschloss, mich fürs Priesteramt ausbilden zu lassen. Ich bin jetzt seit fünf Jahren Priester.“

„Diese Familie hat weiß Gott einen geweihten Menschen nötig gehabt“, sagte Val und lachte wieder.

Suzannes Blick war zu ihrem Bruder gewandert, der bislang noch kein Wort gesagt hatte. Er lächelte nicht. Jetzt, da sie die Gelegenheit hatte, sein Gesicht zu betrachten, stellte sie entsetzt fest, wie alt er wirkte. Er konnte nicht älter als siebenunddreißig sein, aber er sah aus wie ein Mann mittleren Alters. Sein Haar wurde an den Seiten grau, so wie das ihres Vaters, und tiefe Sorgenfalten hatten sich in seine Stirn gegraben. Er bemerkte, dass sie ihn anstarrte und nickte ihr mit ernstem Blick zu.

„Hallo, Suzie. Schön, dich wiederzusehen. Wie ist es dir ergangen?“

„Ich kann mich nicht beklagen, Henry.“

„Arbeitest du noch immer für Dings?“

„Ja, ich arbeite noch für Dings.“

„Wie heißt er denn?“, fragte Val. „Was soll die Geheimnistuerei?“

„Gar nichts. Wenn ich mich recht entsinne, tat Henry immer so, als könnte er sich nicht an die Namen meiner Freunde erinnern.“ Als würde er beweisen, dass sie unwichtig waren, indem er ihnen keine Namen gab, dachte sie.

„Ich weiß, dass es dieser Archäologe ist, aber ich kann mich wirklich nicht an seinen Namen erinnern. Tut mir leid“, sagte Henry. „Er hat diese Bücher über Tunesien geschrieben, nicht wahr?“

„Toby Handwell. Dieser Tage Sir Toby Handwell.“

„Ist er noch verheiratet?“, fragte Henry und lehnte sich vor, um nach seiner Teetasse zu greifen.

„Warum? Stehst du auf ihn?“

Die beiden anderen Männer lachten, und sie stellte mit einem Anflug von Vergnügen fest, dass sie ihren Bruder aus dem Konzept gebracht hatte. Sie würde ihm nicht mehr so ein einfaches Ziel wie früher bieten.

„Hier, trink etwas Tee, ehe er kalt wird.“ Nick reichte ihr eine Tasse. „Milch und Zucker?“

„Keinen Zucker bitte. Der ist schlecht für die Figur.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass du dir darum Sorgen machen musst“, sagte Val. „Du siehst fantastisch aus. Genau wie die Teenagerin aus meiner Erinnerung. Im Gegensatz zu unserem alten Henry hier, der aussieht, als müsste er alle Sorgen der Welt auf seinen Schultern herumschleppen.“

„Meine Tätigkeit als Anwalt ist recht anstrengend. Und seit Dad diese Position abgetreten hat, scheine ich die Familiengeschäfte übernehmen zu müssen. Die Sache mit Großvaters Anwesen und den Grundstücken hier ist sehr kompliziert.“

„Dann hat er ein Testament gemacht, ja?“ Suzanne versuchte, nur leicht interessiert zu klingen. „Geht es darum?“

„Sein Testament wurde schon vor Jahren aufgesetzt. Alles ganz unkompliziert. Ich bekomme Maes Gwyn. Alles andere wird verkauft und ihr bekommt das Geld zu gleichen Teilen.“

„Um was geht es da eigentlich noch? Abgesehen von dem Hof meine ich“, wollte Val wissen. „Ich habe keine Ahnung, wie viel Geld Großvater hat. Wenn man ihn ansieht, würde man glauben, er hätte keine zwei Pennies in der Tasche. Trägt er immer noch diese schreckliche Stoffmütze?“

„Allerdings.“ Henry lachte. „Hört mal, ich sollte euch das eigentlich nicht erzählen. Der Alte ist noch nicht tot und es sieht nicht so aus, als würde er bald sterben.“

„Dann hast du ihn schon gesehen?“, fragte Nick.

„Ja, ich bin auf dem Hof untergekommen.“

„Ist das so? Warum hat er uns dann nicht eingeladen?“, wollte Suzanne wissen.

„Ich habe mich selbst eingeladen. Ich dachte, wenn ich den Hof eines Tages erbe, sollte ich ein Gefühl dafür haben, wie er geführt wird.“

„Bewirtschaftet er ihn in seinem Alter immer noch selbst?“, fragte Nick.

„Er hat einen Betriebsleiter eingestellt, aber er ist noch überraschend fit“, sagte Henry. „Natürlich hat er die meisten seiner Schafe beim Ausbruch der Maul- und Klauenseuche verloren, aber er ist eifrig bei der Nachzucht.“

„Du denkst doch nicht ernsthaft darüber nach, eines Tages auf Maes Gwyn zu leben, oder?“, fragte Suzanne und starrte ihren Bruder an.

„Großvater will nicht verkaufen und es ist ein gutes Grundstück. Vielleicht ziehe ich mich früher aus meiner Rolle als Anwalt zurück. Den Landjunker zu spielen, klingt eigentlich ganz nett.“

„Aber könntest du das, nach allem, was passiert ist?“, fragte Nick. „Ich musste lange darüber nachdenken, ob ich auch nur für einen Besuch hierher zurückkommen will.“

„Ich auch“, gestand Suzanne. „Ich hätte beinahe gewendet und wäre direkt wieder nach Hause gefahren.“

„Ach kommt schon, ihr zwei. Das ist lange her“, sagte Val. „Es war furchtbar, aber wir können jetzt nichts mehr daran ändern. Es hat keinen Zweck, sich so sehr mit der Vergangenheit aufzuhalten, dass man nicht mit der Gegenwart zurechtkommt. Wenn Henry auf Maes Gwyn leben möchte, wünsche ich ihm dafür viel Glück.“

„Die Diskussion ist ohnehin überflüssig. Großvater wird vermutlich erst sterben, wenn ich längst selbst mit einem Rollator unterwegs bin“, sagte Henry und versuchte sich an einem trockenen Lachen, das eher nach Husten klang. „Wartet nur, bis ihr ihn seht. Niemand würde glauben, dass er achtzig geworden ist.“

„Deswegen sind wir also hier?“, bohrte Suzanne. „Er will ein großes Fest zu seinem achtzigsten Geburtstag feiern?“

„Das habe ich auch gehört“, sagte Henry. „Es wird ein großes Festzelt und Catering geben.“

„Mein Gott... ein Festzelt. Das wird vermutlich unter dem Gewicht des Schnees zusammenbrechen“, sagte Val kichernd.

„Wo wohnt ihr anderen denn?“, fragte Suzanne.

„Hier“, sagte Val. „Das schien mir praktisch und gemütlich.“

„Aber ist es nicht... furchtbar teuer?“ Suzanne sah sich um.

„Es kostet ein Vermögen, aber was soll’s? Man lebt nur einmal und ich nehme mir sicher keins dieser öden Bed-and-Breakfasts. Wo bist du denn untergekommen, Suzie?“

„In einem dieser öden Bed-and-Breakfasts“, sagte sie. „Und du, Nick?“

„Nick hat bestimmt in einem spartanischen Kloster Zuflucht gefunden“, sagte Val und grinste seinen Bruder an.

„Tatsächlich wohne ich auch hier“, sagte Nick und in seinem Gesicht strahlte wieder dieses jungenhafte Grinsen.

„Meine Güte. Der Klerus muss in Kanada besser bezahlt werden als in England.“

„Ich lebe den ganzen Rest des Jahres sehr genügsam.“ Nick lief rot an. „Ich wüsste nicht, warum ich es mir nicht gutgehen lassen sollte, wenn ich reise.“

„Du folgst eindeutig dem Vorbild der Borgia-Päpste“, sagte Henry trocken. „Und die waren im Vatikan nicht gerade knausrig, oder?“

„Die Stadt ist zur Ehre Gottes erbaut, Henry“, sagte Nick. „Da sollte man nicht knausrig sein, oder?“

„Wenn er denn existiert, Nick.“ Henry griff nach der Teekanne und füllte seine Tasse. „Was ich durchaus bezweifle. Willst du noch Tee, Suzie?“

„Gerne. Mir war nicht bewusst, wie sehr ich friere. Hier ist es so angenehm warm.“ Sie nahm die Tasse mit der heißen Flüssigkeit in beide Hände. „Wer kommt denn alles zu dieser Party? Doch nicht Vater, oder?“

„Oh doch. Er wird da sein.“

„Mit seiner aktuellen Frau?“

„Keine Frau, weder eine aktuelle noch sonst eine, da Mutter sicher nicht kommen wird.“

„Keine zehn Pferde könnten sie dazu bringen; ich glaube, das waren ihre Worte. Und was ist mit deiner Frau, Henry?“

„Die kommt auch nicht. Sie war der Meinung, dieser Anlass sei nur für Familienmitglieder, weil es etwas unangenehm werden könnte. Und Camilla meidet alles Unangenehme.“

„Dann also keine Lebenspartner“, sagte Val. „Nur wir vier. Wie angenehm. Du bist im Augenblick nicht verheiratet, nehme ich an, Suzie?“

Sie versuchte, nicht rot anzulaufen, aber ohne Erfolg. „Nein, Val. Ich bin seit sechs Jahren nicht mehr verheiratet gewesen. Seit ich mich von Carl getrennt habe.“

„Und das Kind? Ihr hattet doch ein Kind, oder?“

„Charlie? Er ist bei der Armee.“

„Was in aller Welt hat ihn zur Armee getrieben? Was für ein lächerlicher Gedanke“, sagte Henry.

„Das Geld reicht nicht für die Universität“, sagte Suzanne und blickte ihren Bruder direkt an. „Die Optionen sind beschränkt, wenn kein Geld da ist, und er interessiert sich für mechanische Dinge.“

Nick lehnte sich auf seinem Stuhl vor. „Du hast einen Sohn in der Armee? Ich hatte keine Ahnung. Ist es schon so lange her?“

„Sie war sehr jung, als sie ihn zur Welt gebracht hat, wenn du dich erinnerst“, sagte Henry und dieses Mal lag ein Hauch eines Lächelns auf seinen Lippen.

„Du hast immer noch keine eigenen Kinder, Henry?“, entgegnete Suzanne. „Du legst dich besser ins Zeug. Wäre doch schade, wenn niemand da ist, um all die prächtigen Grundstücke zu erben.“

Er zuckte zusammen, als hätte sie ihn geschlagen. Treffer, dachte sie und war sehr zufrieden mit sich.

„Mir ist aufgefallen, dass Val über uns alle Bescheid wissen will, aber nichts von seinem eigenen Privatleben preisgibt“, sagte Nick und blickte seinen Bruder fragend an. „Ist es nicht auch für dich alten Mann an der Zeit, in den Hafen der Ehe einzulaufen, Val? Du wirst nicht ewig jung und attraktiv bleiben, weißt du?“

„Ein Grund mehr, das Beste daraus zu machen, solange ich noch kann“, sagte Val unbeschwert. „Sollen wir heute Abend hier essen? Ich hörte, sie haben einen vorzüglichen Weinkeller. Und ich für meinen Teil habe keine Lust, den Elementen zu trotzen, um einen besseren Ort zu finden.“

„Ich weiß nicht, ob...“, hob Suzanne an, aber Val tätschelte ihr Knie.

„Das geht natürlich auf mich“, sagte er.

„Gute Idee“, sagte Nick. „Wir haben immerhin Grund zum Feiern. Wir sind zum ersten Mal wieder alle zusammen, seit... seit unserer Kindheit. Das muss eindeutig gefeiert werden. Lasst uns gleich eine Flasche Champagner bestellen.“ Er winkte einer Bedienung.

Suzanne beobachtete ihn interessiert. Er war nicht gerade bescheiden, wie die englischen Priester, die auf Fahrrädern herumfuhren und von gespendeten Nahrungsmitteln lebten. Und Val war auch nicht gerade der brotlose Künstler. Wie kam es, dass es der Rest ihrer Familie so gut getroffen hatte, während sie immer noch in einer Dachgeschosswohnung in Clapham lebte? Wie konnte es sein, dass sie alle so entspannt wirkten? Jetzt drehte sich die erste angeregte Unterhaltung des Abends um die Vorzüge der Champagner-Karte. Hatten sie Sarah völlig vergessen? Warum sind wir hier?, wollte sie schreien.

Kapitel 2

Der Wind blies den beiden Männern direkt ins Gesicht, als sie den Felsvorsprung auf halber Höhe des Hanges erreichten. Einer der beiden keuchte heftig, ein schmaler Kerl mit einem Regenumhang über dem Geschäftsanzug.

„Ein ziemlicher Anstieg, was, Mr. Evans?“, bekam er zwischen den Atemzügen heraus. „Ich verstehe nicht, warum Sie hier oben leben wollen.“ Er betrachtete mit Abneigung die Ruine eines alten Cottages, das nur noch aus vier Steinwänden mit klaffenden Löchern bestand, wo einst Eingangstür und Fenster gewesen waren.

„Aber schauen Sie sich die Aussicht an, Mr. Pilcher.“ Evan Evans wandte dem Cottage den Rücken zu und betrachtete die schneebedeckten Gipfel, die den Horizont bildeten. „Und Sie sollten hier mal einen Sonnenuntergang erleben. An einem schönen Tag ist das spektakulär.“

„Sie werden es sich noch mal überlegen, wenn Sie jeden Samstag mit dem Wocheneinkauf hier rauflatschen müssen“, sagte der erste Mann und grinste.

„Sie vergessen, dass ich daran gewöhnt bin.“ Evan Evans lächelte. Er war jünger, breiter gebaut und trainierter als der andere Mann, hatte unordentliches, dunkles Haar und ein gesundes, jungenhaftes Aussehen, das den Frauen zu gefallen schien. Er trug einen marineblauen Pullover und eine Kordhose und schien den feinen Regen gar nicht zu bemerken. „Ich bin hier in der Gegend geboren und aufgewachsen. Wir haben die Berge im Blut.“

„Na, besser Sie als ich, Kumpel.“ Mr. Pilcher zog sich die Kapuze seines Regenmantels über den Kopf.

„Sie sind wohl nicht von hier, was?“, fragte Evan, obwohl er an seinem Akzent und der Tatsache, dass sie sich auf Englisch unterhielten, schon erkannt hatte, dass die Annahme zutraf.

„Ich bin aus Lancashire, Kumpel. Ich habe im Lake District National Park gearbeitet, bis ich hierher versetzt wurde. Es ist nicht allzu schlimm, weil ich am Wochenende noch immer zu meinen Eltern flitzen kann, aber die Waliser sind ein seltsamer Haufen. Daran muss man sich erst gewöhnen.“

Da Evan offensichtlich selbst Waliser war, fand er diese Bemerkung nicht gerade taktvoll, aber er war zu dem Schluss gekommen, dass die Angestellten des Nationalparks Höflichkeit nicht als Teil ihrer Arbeit betrachteten. Er musste diesen Bürohengst bei Laune halten, sonst würde er gar nichts erreichen.

„Also sieht es dieses Mal gut aus, ja?“, fragte er. „Wurde die Baugenehmigung endlich erteilt? Ich warte jetzt schon seit einem Jahr auf Neuigkeiten.“

„Theoretisch, ja.“ Mr. Pilcher sog Luft zwischen den Zähnen hindurch. „Natürlich muss der Kerl vom Denkmalschutz sich die Sache ansehen.“

„Denkmalschutz? Dieses Haus?“ Evan starrte ungläubig auf die baufällige Ruine. „Es war ein altes Schäfer-Cottage, ehe es von ein paar Engländern luxussaniert wurde.“

„Aber werfen Sie mal einen Blick auf diese Mauern, Junge“, sagte Mr. Pilcher. Er ging vorsichtig zum Cottage hinüber und trat halbherzig gegen das Mauerwerk. „Schauen Sie sich die Dicke an und den verwendeten Mörtel. Die müssen von vor achtzehnhundert sein, vielleicht sogar aus dem siebzehnten Jahrhundert, was das Gebäude automatisch unter Denkmalschutz stellen würde. Und wer weiß, was das Fundament ist? Es steht womöglich auf den originalen Fundamenten einer Bergfeste.“

„Eine Bergfeste?“ Diese Angelegenheit wurde mit jeder Minute lächerlicher. Evan hatte jetzt schon mehrfach mit der Nationalparkverwaltung zu tun gehabt, und jedes Mal hatte ihn danach das Gefühl beschlichen, sich in eine Grauzone der Bürokratie begeben zu haben.

„Hören Sie, es ist bloß ein altes Schäfer-Cottage, und ich möchte nur ein Dach daraufsetzen und darin leben“, sagte er.

„Immer mit der Ruhe, Kumpel“, sagte Mr. Pilcher. „Ich verstehe ihre Frustration, aber solche Dinge kann man nicht übers Knie brechen. Wir müssen sicherstellen, dass die Integrität des Nationalparks gewahrt bleibt.“

„Ich will ja keine Pagode oder einen Pool bauen und noch nicht mal Plastikflamingos aufstellen.“ Evan spürte, wie sich sein Gemüt erhitzte. „Ich möchte es nur wieder bewohnbar machen, so wie es immer war. Was ist so kompliziert daran?“

„Hören Sie, Junge, ich kann Ihren Antrag auch einfach ablehnen, wenn mir danach ist“, sagte Mr. Pilcher. „Die Verwaltung ist immer dafür zu haben, die Anzahl der Wohnhäuser im Nationalpark zu reduzieren.“

Evan hatte bei seinen Worten an ihm vorbeigestarrt und versucht, Ruhe zu bewahren. Sein Blick folgte der Straße den Pass hinauf, durch das Dorf Llanfair, das direkt unter ihnen lag, und dann weiter – bis er auf dem Everest Inn ruhte.

„Augenblick mal“, sagte er. „Was ist mit dem Hotel da unten? Das wurde erst vor fünf Jahren gebaut. Wie haben die ihre Genehmigung bekommen? Und erzählen Sie mir nicht, dass schweizer Chalets einst Teil der walisischen Bergwelt waren.“

„Ah, nun.“ Mr. Pilcher räusperte sich. „Soweit ich weiß, haben sie eine großzügige Spende an den CAE gemacht – den Font für Regionalentwicklung.“

„Wenn ich gewusst hätte, dass man mit Bestechung weiterkommt, hätte ich das schon im vergangenen Jahr probiert, anstatt geduldig all diese Planungsausschüsse abzuwarten“, sagte Evan. „Das war ein Scherz“, fügte er eilig hinzu.

Ein kurzer Blick zu dem Mann zeigte ihm, dass der offensichtlich keinen Sinn für Humor hatte, oder zumindest nicht Evans Humor teilte. Vielleicht konnte er sich amüsieren, wenn er einen Antrag ablehnte, aber Ironie ging wohl über seinen Verstand hinaus.

„Hören Sie“, Evan versuchte es mit einer neuen Strategie, „ich werde im Sommer heiraten. Sie träumt davon, direkt nach den Flitterwochen hier einzuziehen, und sie wissen doch, wie Frauen sind, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt haben. Das hier ist nicht Caernarfon Castle, oder? Es ist ein kleines Cottage, das man von der Straße aus nicht einmal sehen kann, und ich möchte nur das Dach reparieren und einziehen. Ist das wirklich so schwer? Wenn Sie heute ihre Inspektion machen und grundsätzlich zustimmen, kann der Kerl vom Denkmalschutz sich das ansehen und dann kann ich endlich anfangen. Ich möchte das meiste selbst machen, wissen Sie? Und wenn ich Fachkräfte brauche, geht die Arbeit an hiesige Firmen – ich werde die Wirtschaft stärken, dafür ist der Entwicklungsfont doch da, oder?“

Mr. Pilcher ging um das Cottage herum. In den zwei Jahren, die es verlassen dagestanden hatte, war der ehemalige Garten verwildert und Mr. Pilcher bewegte sich vorsichtig und mit Abneigung durch die wuchernden Pflanzen. „Im Augenblick ist hier nicht viel zu sehen“, sagte er. „Sie haben Pläne eingereicht?“

„Die sind in der Akte, die sie da in der Hand halten.“

„Oh. Natürlich. Dann schauen wir doch mal.“ Er schlug die Akte auf. „Oh je. Das wird nicht gehen.“

„Was?“

„Man wird Ihnen hier oben keinen Gastank genehmigen.“

„Die vorherigen Bewohner hatten auch einen.“

„Die Planungsausschüsse sind mittlerweile anders besetzt. Keine Gastanks mehr, es sei denn, sie kommen unter die Erde. Das ist kein schöner Anblick. Wir müssen an die Integrität der Landschaft denken und an die Touristen. Die wollen hübsche Schäfer-Cottages sehen, und keine unansehnlichen Gastanks.“

„Wie soll ich dann das Haus heizen?“, wollte Evan wissen. „Soll ich in die Hochmoore raufklettern und mir etwas Torf stechen?“

„Sie könnten einen Öltank unter die Erde legen und eine ölbetriebene Zentralheizung einbauen. Warum holen Sie sich nicht einen AGA-Herd?“

„Einen AGA? Die sind verdammt teuer.“

„Aber damit könnten Sie gleichzeitig kochen und heizen, nicht wahr? Und ein denkmalgeschütztes Gebäude wiederaufzubauen wird ohnehin teuer. Sie könnten es sich immer noch anders überlegen und sich für einen Sozialbau bewerben, Kumpel. Einheimische Polizisten haben da Vorrang, oder?“

Evan fragte sich, wie Mr. Pilcher sich so lange auf diesem Posten gehalten hatte. Er musste doch bei anderen Antragstellern ähnlich gewalttätige Gedanken ausgelöst haben. Er spürte, dass der Mistkerl ihn provozierte, darauf wartete, dass Evan die Beherrschung verlor, damit er eine Ausrede dafür hatte, sein Projekt abzulehnen. Aber das würde Evan nicht zulassen.

„Na gut. Wir werden über eine alternative Heizung nachdenken“, sagte er. „Was muss sonst noch getan werden? Das Haus war schon mal an die Hauptwasserleitung angeschlossen – wir müssten die Verbindung nur wiederherstellen. Und einen Klärbehälter gibt es auch schon.“

„Das müsste überprüft werden – die Abwasserleitung und der Tank auch. Sie müssen sich von einem Klempner die Integrität bestätigen lassen.“

„Integrität“ war offensichtlich gerade Pilchers Lieblingswort. Evan fragte sich, ob er zu Weihnachten einen dieser Kalender bekommen hatte, die einem jeden Tag ein neues Wort beibrachten. „Natürlich.“ Evan nickte. „Das sollte kein Problem sein. Wie bekommen wir denn den Gutachter vom Denkmalschutz hier rauf?“

Ehe Mr. Pilcher antworten konnte, meldete sich Evans Piepser an seiner Hüfte. „Verdammt“, murmelte er, nachdem er ihn in die Hand genommen hatte. „Ich fürchte, ich muss runter zu einem Telefon. Das ist mein Chef. Schauen Sie sich hier gerne um, so lange Sie wollen, obwohl es nicht viel zu sehen gibt, wie ich bereits sagte. Vier Wände und ein Boden. Das ist schon alles. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, hier heraufzukommen.“

„Wir brauchen das Zertifikat über die Inspektion des Klärbehälters und einen neuen Vorschlag für die Heizung, ehe wir fortfahren können.

„Natürlich. Ich lasse Ihnen beides in den nächsten Tagen zukommen. Ich möchte jeden schönen Sommertag nutzen, den wir hier bekommen.“

„Es könnte den ganzen Sommer so bleiben“, sagte Pilcher mit einem trockenen Lachen. „Wie ich hörte gibt es in Wales nichts anderes als diesen verdammten Regen.“

Evan lief schon über den steilen Pfad ins Dorf hinab.

„Suchen Sie sich einen netten Sozialbau“, rief Pilcher ihm nach.

„Wo zum Teufel waren Sie?“, dröhnte die Stimme von Detective Inspector Watkins am anderen Ende der Leitung. „Ich habe Sie vor fünfzehn Minuten angerufen.“

„Zehn“, sagte Evan, „Und ich war oben am Berg. Ich habe eine Weile gebraucht, um wieder herunterzukommen.“

„Ich habe es zuerst auf Ihrem Handy versucht. Warum hatten Sie das nicht dabei?“

„Tut mir leid, Sarge – ich meine Inspector“, sagte Evan. „Ich habe mich wohl noch nicht daran gewöhnt, es bei mir zu tragen.“

„Dann gewöhnen Sie es sich besser an, aber pronto. Ihnen wurde von der Polizei ein Handy gestellt, damit wir Sie jederzeit erreichen können, Evans. Jederzeit – habe ich mich klar ausgedrückt?“

„Sie sind heute Morgen ja in bester Stimmung, Sir“, sagte Evan. „Außerdem ist heute mein freier Tag.“

„Sie sind jetzt bei den Zivilfahndern, Junge. Da gibt es keine freien Tage. Sie arbeiten, wenn es Arbeit gibt. Und jetzt gibt es Arbeit. Kennen Sie den Campingplatz Black Rock Sands, kurz vor Porthmadog?“

„Ich glaube schon.“

„Dann machen Sie sich umgehend auf den Weg. Ich treffe Sie am Eingang. Wie lange brauchen Sie – eine halbe Stunde?“

„Zwanzig Minuten, wenn ich mich nicht ans Tempolimit halte“, sagte Evan und legte auf.

Als Evan bremste und neben dem Tor des Campingplatzes Black Rock Sands zum Stehen kam, war doch eher eine halbe Stunde vergangen. In Porthmadog hatten sich Fahrzeuge und Fußgänger gedrängt, die alle gleichzeitig aufgetaucht waren um ihre Einkäufe zu erledigen, kaum dass der Regen aufgehört hatte. Die Wolken waren aufgerissen und hatten stellenweise den Blick auf den blauen Himmel freigegeben und Dampf war von der nassen, schmalen Straße aufgestiegen, als Evan das verschlafene Dörfchen Borth-y-Gest hinter sich ließ. Hinter Borth wurde die Landschaft wilder; auf der einen Straßenseite gingen grüne Wiesen in Sanddünen und einen vom Wind zerwühlten Strand über, während sich auf der anderen Seite die mit Heidekraut überwucherten Hänge des Moel-y-Gest bis zu einem felsigen Gipfel in die Höhe zogen, der die Landschaft dominierte. Als Evan ausstieg, fiel das Sonnenlicht durch einen Riss in den Wolken und tauchte das ganze Bild in prächtige Farben. Der süße Duft von Weißdornblüten und Seetang empfing ihn, zusammen mit den Schreien der Möwen über seinem Kopf. Er stand da, atmete tief durch und genoss die Sonne auf seinem Gesicht, dann blickte er mit Genugtuung zum Moel-y-Gest hinauf. Dies war der erste Berg, den er als kleiner Junge bestiegen hatte, und er erinnerte sich noch immer an den Triumph und das Staunen, das ihn beim Anblick der Szenerie unter ihm ergriffen hatte.

Dann wand er den Blick ab, schob die Hände in die Taschen und ging auf das Holztor zu. Auf einem Schild war zu lesen: HOLIDAY HEAVEN. WOHNWAGEN ZU VERMIETEN. ZELTE WILLKOMMEN. HEISSE DUSCHEN.

Auf der anderen Seite der Hecke sah er zwei weiße Mannschaftswagen. Er entdeckte den vertrauten, beigen Regenmantel von Detective Inspector Watkins. Der Inspector lehnte an einem der Wagen und ging seine Notizen durch.

„Sehen Sie, ich habe doch gesagt, es werden dreißig Minuten, oder nicht?“ Watkins blickte auf und grinste Evan an, als er näherkam.

„Der Verkehr in Porthmadog war schrecklich. Tut mir leid.“

„Ja. Mir tut es auch leid. Ich hätte Sie am Telefon nicht so anbrüllen dürfen. Diese Arbeit schafft mich manchmal.“

Evan fand, dass Watkins müde und abgespannt aussah. Wenn das die Folgen einer Beförderung waren, sollte er vielleicht für den Rest seines Berufslebens Constable bleiben.

„Was haben wir denn?“, fragte Evan. Er fasste neben dem Inspector Tritt und sie überquerten eine weitläufige Wiese, an deren Rand reihenweise Wohnwagen standen. Von beeindruckenden Wohnmobilen bis hin zu kleinen Einachsern, die man ans Auto hängen konnte, war alles vertreten.

„Vermisstes Kind. Ein kleines Mädchen, fünf Jahre alt. Sie schlief in einem der Wohnwagen und wurde zuletzt heute Morgen am Strand gesehen.“

„Ist das nicht eher eine Aufgabe für die uniformierten Kollegen? Wenn ich mich recht entsinne, bestand ein Großteil meiner Arbeit in Llanfair daraus, vermisste Kinder zu finden.“

„Die uniformierten Kollegen suchen bereits seit heute Morgen“, sagte Watkins, während er zielstrebig über das kurze Gras schritt, „und wir sind hier, weil die Mutter Fremdeinwirkung vermutet.“

Kapitel 3

Eine dünne Frau mit blondiertem Haar lehnte an einem weißen Wohnwagen, rauchte Zigarette und starrte auf den Ozean hinaus. Sie sah auf, als sie die Männer näherkommen hörte und drückte die Zigarette hastig an ihrer Schuhsohle aus. Sie trug Jeans und hatte sich eine schwarze Jacke aus Kunstleder um die Hüfte gebunden. Ihr blasses, verhärmtes Gesicht wirkte neben dieser schwarzen Farbe noch blasser und ihr Blick huschte nervös umher.

„Mrs. Sholokhov?“, fragte Watkins. Er betonte den Namen vorsichtig: Show-lock-off.

„Ja? Was wollen Sie?“

„Wir sind von der Polizei Nordwales“, hob Watkins an.

Sie packte seinen Ärmel, in ihrem Blick stand panische Angst. „Haben Sie sie gefunden? Oh Gott, sagen Sie mir, dass es ihr gutgeht. Sagen Sie mir, dass es keine schlimmen Neuigkeiten gibt.“

Watkins löste ihre Hand von seinem Arm und tätschelte sie. „Nein, keine schlimmen Neuigkeiten. Wir haben Sie noch nicht gefunden...“

„Warum zur Hölle sind Sie dann hier bei mir und machen mir Sorgen?“, rief sie. „Sie sollten da draußen sein und sie suchen, ehe es zu spät ist.“ Sie sprach mit einem nordenglischen Akzent, hackte Konsonanten ab und zog Vokale in die Länge.

„Immer mit der Ruhe“, Detective Inspector Watkins hob eine Hand, um sie zu beruhigen. „Unsere Männer suchen immer noch. Wir tun, was wir können, um sie möglichst schnell zu finden, also beruhigen Sie sich bitte.“

„Tut mir leid“, sagte sie und schob sich das strähnige, blonde Haar aus dem Gesicht, „aber ich werde noch verrückt vor Sorge.“

„Ich bin mir sicher, dass sie bald auftauchen wird, gesund und munter“, sagte Evan. „So läuft es fast immer.“

„Ich hoffe es.“ Sie starrte an ihnen vorbei auf die Dünen und den Strand. Evan konnte den Akzent jetzt östlich der Pennies verorten – Yorkshire, nicht Lancashire.

„Wir sind Zivilfahnder“, sagte Watkins. „Ich bin Detective Inspector Watkins und das ist Detective Constable Evans.“

Evan überkam noch immer eine gewisse Aufregung, wenn er diese Worte hörte. Er hatte so lange darauf gewartet, dass er schon geglaubt hatte, für immer in der Polizeistation von Llanfair festzusitzen. Aber er hatte endlich seine Fortbildung absolviert und war eingeteilt worden, seinen alten Freund Detective Inspector Watkins zu begleiten, sehr zu seiner Zufriedenheit.

„Wir sind hier, weil Sie den Verdacht geäußert haben, jemand hätte Ihre Tochter entführt.“

„Ich weiß nicht, wie sie sonst so plötzlich hätte verschwinden sollen.“ Sie wurde wieder lauter. „Ich meine, in einem Moment war sie noch da und im nächsten verschwunden.“

„Schlafen Sie hier?“, fragte Watkins und betrachtete den kleinen Wohnwagen, an dem bereits die weiße Farbe abblätterte. „Ihr Wohnwagen? Haben Sie ihn mit dem Auto hergefahren?“

„Wohl kaum“, sagte sie. „Das hier ist eine verdammte Absteige, nicht wahr? Aber ich wollte, dass Ashley etwas Seeluft atmet, damit sie wieder zu Kräften kommt.“ Sie legte sich eine Hand auf den Mund, um ein Schluchzen zu ersticken. „Das war so dumm von mir. Ich mache immer alles falsch.“

„War ihre Tochter krank?“, fragte Evan behutsam.

„Hat man Ihnen das nicht gesagt? Sie hatte gerade eine große Operation am Herzen.“

„Nein. Wir haben noch nicht viele Informationen bekommen“, sagte Watkins. „Dürfen wir reinkommen, dann können Sie uns auf den neusten Stand bringen.“

„Natürlich.“ Sie öffnete die Tür und ging vor ihnen die Stufen hinauf. Im Inneren des Wohnwagens war es sehr beengt. Ein herunterklappbarer Tisch nahm den meisten Raum ein, während das Bett dahinter als Sitzfläche diente. Der Innenraum war vielleicht groß genug für eine Mutter und ihr kleines Mädchen, aber nicht für zwei große Polizisten. Evan blieb an der Tür stehen und wartete ab, wo Detective Inspector Watkins sich positionieren würde. Watkins bedeutete Mrs. Sholokhov auf dem Bett, beziehungsweise der Bank am anderen Ende Platz zu nehmen, dann setzte er sich auf einen Faltstuhl. Evan blieb stehen und holte sein Notizbuch heraus.

„So, warum erzählen Sie uns nicht, was passiert ist?“, fragte Watkins.

„Es geschah alles so plötzlich“, sagte die Frau. „Die Sonne kam heute Morgen raus, deshalb ging ich mit Ashley an den Strand, um etwas frische Luft zu schnappen. Ich versuche, sie wieder zu stärken, nachdem sie so lange im Krankenhaus war. Sie spielte so schön im Sand, da ging ich auf eine Zigarette zum Wohnwagen zurück. Ich habe sie keine dreißig Sekunden aus den Augen gelassen. Ich betrat den Wohnwagen, schnappte meine Zigarettenschachtel und als ich aus dem Fenster zum Strand blickte, war sie nicht mehr zu sehen. Als ich durch die Dünen zurückrannte, glaubte ich zu hören, wie ein Auto ansprang und davonfuhr. Ich rannte zu den Wohnwagen zurück, aber das Auto war auch nirgends zu sehen.“

„Was haben Sie dann getan?“, fragte Watkins.

„Was ich getan habe? Was glauben Sie denn, was ich getan habe, verdammt? Ich rannte wie verrückt draußen rum, rief ihren Namen, klopfte an die Türen der Wohnwagen und hielt jeden an, dem ich begegnete, um zu fragen, ob jemand sie gesehen hatte.“

„War irgendjemand in der Nähe, als Sie den Stand am Morgen verließen?“

„Der Strand war beinahe menschenleer“, sagte sie. „Ein Mann führte seinen kleinen, weißen Hund Gassi. Ich habe ihn schon mehrmals gesehen. Ashley mochte den Hund, obwohl sie wegen ihrer Allergien Tieren nicht zu nahe kommen soll. Dann waren da noch ein paar Jungs, die Steine in die Wellen warfen, aber sie waren ein ganzes Stück weg. Jemand angelte unten, Richtung... wie heißt die Stadt noch gleich... Criccieth. Oh, und ein altes Pärchen kam vorbei, ein paar Minuten, bevor ich sie allein ließ, aber das waren alle, glaube ich.“

„Und was ist mit dem Campingplatz? Begegneten Sie dort vielen Menschen?“

„Zu dieser Jahreszeit ist hier fast niemand. Ein paar Hippies leben das ganze Jahr hier. Einer ist ein Künstler – oder zumindest bezeichnet er sich so. Er macht Skulpturen aus altem Schrott. Die Besitzerin des Campingplatzes hat ihn aufgefordert, alles wegzuräumen. Es ist wirklich kein schöner Anblick. Er war draußen und arbeitete, aber er sagte, er hätte niemanden gesehen. Da war ein ausländisches Pärchen – Deutsche, glaube ich, in dem großen, gelben Wohnwagen am Ende, und die Besitzerin der Anlage war in ihrem Büro. Keiner von ihnen hat etwas gesehen.“

„Hat jemand vielleicht etwas gehört?“, fragte Evan, und fragte sich, kaum dass er die Frage ausgesprochen hatte, ob er sich überhaupt einmischen durfte.

„Was denn? Schreie oder so?“, fragte sie.

„Ich meinte das Auto, von dem Sie gesprochen hatten. Hat niemand ein Auto gehört oder gesehen?“

„Ich weiß nicht, ob ich danach gefragt habe. Ich war krank vor Sorge. Ich habe vermutlich kaum etwas Sinnvolles herausbekommen.“

„Und dann haben Sie die Polizei gerufen?“, fragte Watkins.

„Die Besitzerin hat für mich angerufen. Ich muss schon sagen, sie waren sehr schnell hier, und sie waren sehr nett. Eine Polizistin blieb bei mir und stellte mir Fragen, während die Männer von Tür zu Tür gingen und den Strand absuchten.“

Watkins betrachtete seine Notizen. „Und sie haben nichts gefunden.“

Sie nickte. „Es ist, als wäre sie vom Wind davongetragen worden. Das kommt mir so unwirklich vor.“

„Wie alt ist Ihre kleine Tochter genau, Mrs. Sholokhov?“, fragte Evan.

„Gerade fünf geworden.“

„Hat sie sich je aus Spaß vor Ihnen versteckt?“, fuhr Evan fort. „Ich weiß, dass ich das regelmäßig tat, als ich klein war – das hat meiner Mutter mehrmals einen gehörigen Schrecken eingejagt.“

Watkins blickte zu ihm. „Sie würde sich nicht drei Stunden lang verstecken, Evans.“

„Nicht absichtlich, aber vielleicht ist sie weggerannt und hat sich verlaufen, ist in den Dünen eingeschlafen, hat sich unter einer Hecke im Gestrüpp verfangen oder steckt unter einem Wohnwagen fest – es gibt die unterschiedlichsten Möglichkeiten.“

„Unsere Leute haben den Campingplatz ziemlich gründlich abgesucht“, sagte Watkins, „und ich glaube, die Hundeführer sind noch immer draußen und suchen die Dünen ab. Aber wenn Sie sagen, dass Sie sie nur für dreißig Sekunden aus den Augen gelassen haben, kann sie in der Zeit nicht weit gekommen sein, oder? Fünfjährige Kinder haben keine langen Beine.“

„Und sie spielte zufrieden im Sand, als ich sie verließ, sonst wäre ich gar nicht weggegangen.“

Watkins erhob sich. „Lassen Sie uns zum Strand gehen, da können Sie mir die genaue Stelle Zeigen, in Ordnung, Mrs. Sholokhov?“, fragte er.

„Da sieht alles gleich aus, verdammt“, sagte sie wütend. „Außer Sand gibt es nichts zu sehen.“

Sie stiegen die wackligen Stufen hinab und nahmen den Pfad durch die Dünen, bis sich der lange, flache Sandstrand vor ihnen ausbreitete. Er war jetzt völlig menschenleer, doch Evan konnte etwas entfernt zwischen den Dünen eine karierte Polizeimütze ausmachen. Er blickte in beide Richtungen den Strand hinunter. Es gab keinen nennenswerten Wellengang, das Wasser schwappte nur sanft vor und zurück, während die Flut hereinkam. Auf jeden Fall nicht stark genug, um ein Kind ins Meer hinaus zu spülen.

Watkins musste denselben Gedanken gehabt haben. „Stand das Wasser heute Morgen höher? Glauben Sie, sie wäre in die Nähe der Wellen gegangen?“

Sie schüttelte vehement den Kopf. „Sie hat Angst vor dem Wasser. Sie war schon immer ein schüchternes, kleines Ding und seit ihrer Operation ist sie noch anhänglicher geworden.“

Sie bewegte sich in ihren hochhackigen Schuhen vorsichtig über den weichen Sand, bis sie den festeren, nassen Sand erreichten. „Sie spielte ungefähr hier, glaube ich.“

„Was ist mit ihren Förmchen passiert?“, fragte Evan plötzlich.

„Was meinen Sie?“, fragte sie.

„Hat sie sie am Strand zurückgelassen? Lagen sie einfach so herum?“

„Sie hatte keine Förmchen mitgenommen“, sagte Mrs. Sholokhov.

„Was denn? Nicht mal Eimerchen und Schäufelchen? Welches Kind geht denn ohne Eimer und Schaufel an den Strand?“

„Sie buddelt nicht so gerne“, sagte sie. „Sie rennt lieber herum, sammelt Muscheln und Seegras und tut so, als wäre sie eine Meerjungfrau. Sie tut gerne so, als wäre sie etwas anderes, unsere Ashley. Ständig ist sie eine Prinzessin, ein magisches Pferd oder etwas anderes.“

Evan suchte mit seinem Blick den Strand ab und versuchte herauszufinden, wo ein Kind Muscheln gesammelt oder mit Seegras gespielt haben könnte.

„Sie erinnern sich nicht zufällig, mit welchen Muscheln sie gespielt hat?“, fragte er.

„Wie soll ich denn eine Muschel von der anderen unterscheiden?“, blaffte sie.

Evan schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln. „Ich dachte nur, falls sie Muscheln in der Hand oder in der Tasche hatte, als jemand sie schnappte, könnten sie heruntergefallen sein.“

Mrs. Sholokhov legte eine Hand über ihren Mund. „Oh Gott. Dann glauben Sie also, dass sie entführt wurde.“

Watkins warf Evan einen warnenden Blick zu.

„Natürlich nicht“, sagte Evan schnell. „Normalerweise gibt es in solchen Fällen eine ganz gewöhnliche Erklärung. Kinder gehen ständig verloren und tauchen wohlbehalten wieder auf.“

„Wir werden noch einmal die ganze Gegend absuchen, Mrs. Sholokhov“, sagte Watkins. „Vielleicht können wir einen Bluthund bekommen, der besser Gerüche verfolgen kann als unsere Polizeihunde. Und könnten Sie uns in der Zwischenzeit ein Bild von Ashley zeigen?“

„Natürlich“, sagte sie. „Was für eine Mutter hat keine Bilder ihrer Tochter bei sich?“

Sie führte sie in den Wohnwagen zurück, öffnete ihre Handtasche und holte mehrere Bilder heraus. Sie zeigten ein niedliches, kleines Mädchen mit elfenhaften Zügen und langem, blondem Haar.

„Sie ist entzückend“, sagte Evan. „Ein hübsches, kleines Ding.“

Mrs. Sholokhov presste die Lippen aufeinander und nickte. Dann riss sie sich zusammen. „Als sie noch im Kinderwagen lag, wurden wir ständig angehalten“, sagte sie. „Die Leute meinten, sie sähe aus wie eine kleine Puppe. Ich hatte auch mal diese Haarfarbe. Jetzt kommt sie aus der Flasche.“ Ihr Lachen ging in Raucherhusten über.

„Können wir diese Bilder vorübergehend an uns nehmen?“, fragte Watkins. „Ich hätte sie gerne parat, um sie übers Internet zu verteilen – nur für den Fall.“ Er legte die Bilder in eine Mappe, die er bei sich trug, und blickte dann zu Evan. „Evans, drehen Sie doch eine Runde um den Campingplatz. Finden Sie heraus, ob jemand heute Morgen etwas Ungewöhnliches bemerkt hat, wie ankommende oder abfahrende Autos.“

Evan nickte. „Sehr wohl, Sir.“

„Und ich werde nochmal mit den uniformierten Kollegen sprechen. Falls nötig, will ich Verstärkung aus Caernarfon und Bangor hier haben. Und ich brauche einen weiblichen Police Constable, der Mrs. Sholokhov Gesellschaft leistet.“ Er sah sie mitfühlend an. „In so einer Situation wollen Sie nicht allein sein, meine Liebe. Kennen Sie jemanden in der Gegend?“

„Nein, niemanden. Ich bin in Yorkshire geboren und aufgewachsen. Ich lebe jetzt in Leeds. Ich habe Ashley nur hergebracht, damit sie etwas von der guten Seeluft abbekommt, und an der Küste von Yorkshire ist es so kalt. Nicht dass es hier wärmer wäre, aber meine Nachbarn erzählten mir, dass sie immer nach Wales fahren, und wie schön es hier sei, da habe ich ihren Rat angenommen. Das war das letzte Mal, dass ich so etwas tue, ich dumme Kuh. Es war die ganze Woche eiskalt. Ich konnte Ashley kaum nach draußen lassen, und als ich es dann tat...“ Sie legte wieder ihre Hand auf den Mund. „Was soll ich nur tun, wenn wir sie nicht wiederfinden?“

Inspector Watkins legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Das werden wir. Warten Sie nur ab.“

„Was ist mit Ihrem Mann, Mrs. Sholokhov?“, fragte Evan. „Ist er zu Hause? Haben Sie ihn schon unterrichtet?“

„Ex-Mann“, korrigierte sie ihn. „Wir sind seit etwa einem Jahr getrennt.“

Evan bemerkte Watkins’ Seitenblick. „Und wo ist er jetzt?“

„Ich habe keine Ahnung. Wenn er sich an seine Pläne gehalten hat, ist er schon wieder in Russland – auf Nimmerwiedersehen, sage ich da.“

„Ihr Mann ist Russe?“

„Glauben Sie, dass er mit einem Namen wie Sholokhov Waliser war?“

„Ist er russischer Staatsbürger?“

„Meinen Sie, ob er einen britischen Pass hat?“, fragte sie. „Nicht, als er mich verließ. Er hat hier Asyl bekommen, aber es gefiel ihm nicht. Er wollte nach Hause zurück.“

„Mrs. Sholokhov“, sagte Evan behutsam.

Sie sah zu ihm auf. „Nennen Sie mich Shirley. Ich kann diesen Namen nicht leiden. Verdammt schwer auszusprechen, oder?“

„Dann Shirley“, fuhr Evan fort. „Haben Sie den Verdacht, dass ihr Mann etwas mit dieser Angelegenheit zu tun hat?“

„Er würde Ashley nie etwas antun“, sagte sie. „Er vergötterte sie.“

„Vergötterte er sie so sehr, dass er sie nach Russland mitnehmen wollte?“, fragte Watkins.

Sie starrte an ihnen vorbei und Evan erkannte, dass ihr dieser Gedanke nicht zum ersten Mal unterkam, so sehr sie auch versuchte, ihn zu verdrängen. „Das will ich nicht glauben“, sagte sie. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass er ihr so etwas antun würde. Er weiß, wie krank sie ist. Er weiß, dass sie mich braucht.“

„Dann haben Sie das alleinige Sorgerecht, ja?“, fragte Watkins. „Hatte er Besuchsrechte?“

„Natürlich gab man mir das Sorgerecht. Ich bin die Mutter, nicht wahr? Und wir haben ihn eine Weile nicht gesehen, deshalb dachten wir, er wäre nach Russland zurückgegangen.“

„Wie lange?“, fragte Watkins.

Sie sog Luft zwischen ihren Zähnen hindurch. „Es ist jetzt schon mehrere Monate her, dass wir etwas von ihm gehört haben. Natürlich sind wir seitdem umgezogen...“

Erneut bemerkte Evan, dass Inspector Watkins ihm einen sehr kurzen Seitenblick zuwarf.

„Ich brauche alle Einzelheiten über ihn, Mrs. Sholokhov. Und ein Foto, wenn Sie eins haben. Ich muss diesen Fall im Augenblick wie den eines vermissten Kindes behandeln, aber ich werde die Fühler ausstrecken und See- und Flughäfen informieren – nur für den Fall, dass er versucht, schnell mit ihr das Land zu verlassen.“

„Alles klar.“ Sie nickte.

„Sie haben schon die ganze Zeit an diese Möglichkeit gedacht, oder?“, fragte Evan ruhig. „Sie wollten es nicht, aber es war so.“

Sie nickte erneut. „Ich habe in der Angst gelebt, dass er zurückkommen und sie mitnehmen könnte.“

„Warum haben Sie das dann nicht gleich heute Morgen den ersten Polizisten erzählt? Sie hätten die Nachricht weiterleiten und ihn vielleicht aufhalten können, ehe er die Gegend verließ.“

„Ich dachte, ich würde mir grundlos Sorgen machen“, sagte sie. „Ich rege mich normalerweise nicht so leicht auf. Ich blieb während Ashleys Operation die ganze Zeit ruhig. Einen Fels in der Brandung haben die Leute mich genannt, und jetzt zerbreche ich, weil...“ Sie presste sich erneut die Hände auf den Mund, aber dieses Mal konnte die das Schluchzen nicht zurückhalten.

„Es ist noch nicht zu spät“, sagte Watkins. „Falls er sie hat, kann er das Land noch nicht verlassen haben. Machen Sie sich erst mal eine schöne Tasse Tee, dann habe ich im Handumdrehen eine Polizistin hier, die Ihnen Gesellschaft leistet. In Ordnung?“

Sie nickte wieder mechanisch.

„Warum schreiben Sie in der Zwischenzeit nicht alle Einzelheiten auf, die Ihnen zu Ihrem Mann einfallen – seine letzte bekannte Adresse, welches Auto er fährt...“

„Welches Auto? Bei unserer letzten Begegnung hatte er nicht einmal ein Auto. Sie müssen wissen, dass man in London kein Auto braucht, und wir wohnten in Shepherd’s Bush.“

„Dann haben Sie keine Ahnung, nach welchem Auto wir suchen?“

„Das habe ich Ihnen doch gerade gesagt... wir haben nie eines besessen. Wenn er einen Wagen brauchte, hätte er sich sicher einen von seinen russischen Freunden geliehen. Die waren eine echte, kleine Clique.“

„Wenn Sie irgendwelche Telefonnummern von seinen Freunden kennen, sollten Sie uns die vermutlich auch nennen“, sagte Watkins. „Sie haben nicht zufällig ein Foto von ihm im Portemonnaie?“

„Verdammt unwahrscheinlich. Ich habe nicht den Wunsch, mich an ihn zu erinnern, vielen Dank.“

„Dann endete die Ehe nicht einvernehmlich?“

„So würde ich das nicht sagen. Wir haben einfach eingesehen, dass es für uns beide ein Fehler war. Er wollte nicht in Großbritannien bleiben und ich hegte nicht den Wunsch, nach Russland zu gehen. Ziemlich zwecklos eigentlich, bis auf die Tatsache, dass ich jetzt Ashley habe.“

„Alles klar. Schreiben Sie alles auf, was uns vielleicht helfen könnte, dann bin ich bald zurück.“ Er ging auf die Tür zu. „Wir informieren Sie, sobald wir etwas erfahren. Zumindest wissen Sie, dass er sie liebt, also wird er ihr wohl nichts antun. Das ist doch etwas Gutes, oder?“

„Ich hoffe es“, sagte sie.

„Wir schicken Ihnen den weiblichen Police Constable“, sagte Watkins. „Wollen Sie jemanden anrufen, der Sie unterstützen könnte, falls sich die Sache noch etwas hinzieht?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe ein paar Freunde in Leeds, aber keine echte Familie irgendwo – nur eine Tante in Yorkshire und die ist zu alt zum Reisen. Ich komme schon zurecht. Ich bin daran gewöhnt, allein zu sein.“

Watkins öffnete die Tür des Wohnwagens und trat auf das Gras hinaus. Evan folgte dicht hinter ihm.

„Also, was denken Sie?“, fragte er.

Evan starrte zum Strand. Es war jetzt richtig sonnig. Ein paar Jungs ließen Drachen steigen und ein Mann führte seinen kleinen, weißen Hund Gassi.

„Klingt so, als könnte es der Vater gewesen sein“, sagte Evan. „Aber warum hat sie uns nicht eher davon erzählt? Besonders da sie glaubte, ein wegfahrendes Auto gehört zu haben?“

„Ich weiß. Ich habe das Gefühl, sie ist eine Frau, die sich nicht lächerlich machen will. Sie ist stolz darauf, der Fels in der Brandung zu sein.“

„Ja, aber wen kümmert es, ob sie sich lächerlich macht, wenn es um ihr Kind geht?“

„Ich weiß“, sagte Watkins. „Ich würde nackt über die Straße rennen, wenn ich glauben würde, jemand hätte unsere Tiffany entführt.“

„Das will ich sehen“, kommentierte Evan und erntete ein Lächeln von Watkins.

„In gewisser Weise hoffe ich, dass es der Vater war“, sagte Watkins. „Das wäre besser als die Alternativen.“

„Ich würde mich gerne noch mal am Strand umsehen“, sagte Evan. „Es ist seltsam, dass man gar nicht sehen konnte, wo sie gespielt hat, oder? Als ich noch ein Kind war, habe ich Sandburgen gebaut und Löcher gegraben und alle möglichen Dinge gesammelt, aber da war gar nichts.“

„Die Stelle könnte mittlerweile unter Wasser sein. Die Flut kommt.“

„Ich weiß, aber man sollte doch meinen, dass es Zeichen eines Handgemenges gibt, wenn sie jemand entführt hat, oder?“

„Nicht wenn es der Vater war. Vielleicht ist sie freiwillig mitgegangen.“

„Aber er hätte trotzdem rennen müssen, um den Stand zu verlassen, ehe Mrs. Show-Soundso zurückkam. Ich habe keine großen, schweren Fußabdrücke gesehen, Sie etwa?“

„Ich bin kein Sandexperte“, sagte Watkins. „Der Bereich war ziemlich nass. Ich glaube, Fußabdrücke bleiben in nassem Sand nicht sehr lange sichtbar, und im weichen Sand würde man gar nichts sehen.“

„Dann wollen Sie immer noch, dass ich mich gründlich auf dem Campingplatz umsehe?“, fragte Evan.

„Ja, wir sollten alles in Betracht ziehen“, sagte Watkins. „Finden Sie heraus, wer hier war und was diejenigen gesehen oder gehört haben. Oh, und sehen Sie auch unter den Wohnwagen nach – in jedem Mülleimer und jedem Nebengebäude.“

„Sehr wohl.“

Watkins holte sein Handy heraus. „Ich rufe im Hauptquartier an, damit sie gleich die Häfen und Flughäfen informieren können. Zu schade, dass sie nicht weiß, welches Auto er fährt. Das wird die Sache erschweren. Und ich sollte wohl auch die Suche hier in der Gegend ausweiten. Wir lassen unsere Leute die Menschen an den Straßen nach Criccieth und Borth-y-Gest befragen. Vielleicht hat jemand ein kleines Mädchen in einem vorbeifahrenden Auto gesehen, vor allem, wenn sie nicht darin sein wollte. Sie kann nicht einfach verschwunden sein, Evans. Irgendjemand muss sie gesehen haben.“

Kapitel 4