Courage - Niklaus Kuster - E-Book

Courage E-Book

Niklaus Kuster

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Beschreibung

Gerade in der heutigen Zeit braucht es couragierte Menschen, die mutig für ihre Sache einstehen! Niklaus Kuster und Sarah Gaffuri haben sich in ihren Kurzporträts nicht nur auf die Suche nach Perlen spiritueller und mystischer Erfahrung gemacht. Sie stellen prägende, für die gesamte Menschheit unentbehrliche Persönlichkeiten vor, von denen wir besonders in unseren Tagen zehren: Lichtgestalten wie Mahatma Gandhi, Nelson Mandela, Jeanne d'Arc und Malala Yousafzai. Dabei werden Frauen wie Männer in ausgewogenem Verhältnis dargestellt; sie setzten sich für Humanität und Menschenwürde ein, weisen Wege einer weitherzigen Religiosität und prägten die Welt mit ihren Visionen. Darin, wie sie ihren Weg gingen, setzten sie Leuchtzeichen in Kunst und Kultur, Politik und Weltgestaltung, trugen mit Entdeckungen und Erfindungen zum Fortschritt bei und ermutigen zu Widerstand, wo immer Menschen, Gesellschaft und die Schöpfung unterdrückt wurden und werden. 

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©Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2022

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Satz: Barbara Herrmann, Freiburg im Breisgau

E-Book-Konvertierung: Newgen publishing

ISBN (Print) 978-3-451-39410-2

ISBN E-Book (E-Pub) 978-3-451-82910-9

ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-83410-3

Inhalt

Vorwort – Zugang zu einer Galerie

IHumanität und Menschenwürde

1Sara – Nomadin und Mutter vieler Völker

2Rut – Dein Gott ist mein Gott

3Hippokrates von Kos – Vater der Medizin

4Seneca – Weisheit in Neros Dienst

5Elisabeth von Thüringen – Migrantin – Landgräfin – Schwester

6Erasmus von Rotterdam – Weises »Lob der Torheit«

7Jean-Jacques Rousseau – Aufklärer – Revolutionär – Romantiker

8Johann Heinrich Pestalozzi – Pädagoge und Aufklärer

9Henry Dunant – Gründer des Roten Kreuzes

10Bernarda Bütler – Bildung ohne Grenzen

11Erich Fromm – Kunst der Liebe und des Seins

12Mutter Teresa von Kalkutta – Tatkraft und Grenzen der Nächstenliebe

13Desmond Tutu – Heiler der Seelen

14Carla del Ponte – Verbrecherjagd für Gerechtigkeit

15Juana Payaba Cachique – Naturliebe und Kampf am Amazonas

16Malala Yousafzai – Jüngste Friedensnobelpreisträgerin

IIMystik und Gottesliebe

17Guanyin – Erst ein Mann und dann eine Göttin

18Benedikt von Nursia – Spirituelles Leben in Form

19Rabia von Basra – Liebesmystikerin am Persischen Golf

20Franz von Assisi – Prophet der Religionen

21Aisha Lella al-Manoubia – »Spirituelle Kalifin«

22Rumi – Von der Sonne des Glaubens

23Yunus Emre – Volkslieder mit Tiefe und Weite

24Juliana von Norwich – Alles wird gut werden

25Katharina von Siena – Patronin Italiens und Europas

26Guru Nanak Dev – Gott jenseits der Religionen dienen

27Teresa de Jesús von Ávila – Mystik mit Tiefe und Charme

28Rabindranath Tagore – Bengalische Renaissance

29Madeleine Delbrêl – Alltagsmystik mitten in Paris

30Thich Nhat Hanh – Apostel der Gewaltlosigkeit

IIIProphetie und Visionen

31Debora – Prophetin am Berg Tabor

32Amos – Viehzüchter und Prophet

33Pythia von Delphi – Griechenlands Orakel

34Vergilius Maro – Vision eines Friedensreiches

35Vibia Perpetua – Visionärin in der Arena

36Hildegard von Bingen – Begründerin der deutschen Mystik

37Raimund Llull – Brückenbauer zwischen Religionen

38Theodor Herzl – Pionier eines jüdischen Staates

39Martin Buber – Ich und Du

40Khalil Gibran – Maler und Poet

41Martin Luther King – Vom Traum zum Nobelpreis

42Hans Küng – Prophet des Weltethos

43Leonardo Boff – Politische Gottes- und Weltliebe

44Abdolkarim Sorusch – »Luther des Islam«

45Ed Husain – Vom Islamisten zum Aufklärer

46Khola Maryam Hübsch – Sich den Glauben nicht nehmen lassen

IVLichtvolle Schattenfrauen

47Dina – Tochter neben Stammesvätern

48Hatschepsut – Die vergessene Pharaonin

49Judit – Biblische »femme fatale«

50Waschti – Frauenstreik im alten Persien

51Hua Mulan – Mehr als eine Disneyfigur

52Maria von Magdala – Jesu Freundin und Apostelin der Apostel

53Lydia von Philippi – Europas erste Christin

54Yeshe Dawa – Tara – Als Frau auf dem Weg zur Erleuchtung

55Theodora – Wüstenmutter in Ägypten

56Radegund von Thüringen – Helle Wege in dunkler Zeit

57Marozia von Rom – Senatrix und »Pornokratin«

58Sei Shonagon – Hofdame – Dichterin – Zeitzeugin

59Klara von Assisi – Spiegel des Lichts

60Katharina von Bora – Weit mehr als »die Lutherin«

61Sacajawea – Indigene an der Wiege der USA

VKunst und Kultur

62Sappho – Griechenlands erste Dichterin

63Vitruvius – Von der Kunst der Architektur

64Moses Maimonides – Jüdisches Glaubensbekenntnis

65Dante Alighieri – Vater der italienischen Sprache

66William Shakespeare – Zeilen für die Ewigkeit

67Artemisia Lomi Gentileschi – Rache in Öl

68Francesco Borromini – Vom Steinmetz zum Meisterarchitekten

69Wolfgang Amadeus Mozart – Musikalischer Vogelfänger und Übergenie

70Jane Austen – Feine Ironie mit langer Wirkung

71Beatrix Potter – Weit mehr als »Peter Hases« Mutter

72Pablo Picasso – Ein neuer Blick auf die Welt

73Hilde Domin – Von Luft getragene Dichterin

74Muhammad Ali – Wie Schmetterling und Biene

75Bob Ross – Aus Fehlern werden Bäume

76Yusuf Islam – Cat Stevens – Vom Folkstar zum Botschafter des Islam

77Arundhati Roy – Autorin, Menschenrechts- und Umweltaktivistin

VIEntdeckungen und Erfindungen

78Archimedes von Syrakus – Wissen hebt die Welt aus den Angeln

79Gudrid Thorbjörnstochter – Vor Kolumbus in Amerika

80Trota von Salerno – Medizinerin und Frauenärztin im Mittelalter

81Roger Bacon – Naturforscher und Erfinder der Brille

82Johannes Gensfleisch Gutenberg – Erfinder des Buchdrucks

83Christoph Kolumbus – Dritter Entdecker Amerikas

84Leonardo da Vinci – Vielseitigster Künstler und Erfinder

85Nikolaus Kopernikus – Die Sonne im Zentrum

86Alexander von Humboldt – Forscher – Kosmopolit – Universalgenie

87Ada Lovelace – Weltweit erste Programmiererin

88Wilhelm Conrad Röntgen – Physik lässt die Medizin strahlen

89Thomas Alva Edison – Ein Tausendsassa von einem Erfinder

90Alexander Fleming – Entdecker des Penicillins

91Marie Curie – Vom Segen der Radioaktivität

92Amelia Earhart – »Kanarienvogel« auf Rekordflug

VIIPolitik und Weltgestaltung

93Salomo – Weisheit und Tragik eines Königs

94Solon von Athen – Griechenlands sieben Weise

95Pythagoras von Samos – Freundschaft in allem

96Marcus Tullius Cicero – Ein Leben für die Republik

97Chrodechild von Burgund – Mission und Drama einer Königin

98Wu Zetian – Chinas einzige Kaiserin

99Theophanu – Falsche Braut und richtige Kaiserin

100Muhammad al-Kāmil – Islamische Humanität im Kreuzzug

101Jeanne d’Arc – Jungfrau von Orléans

102Isabella I. von Kastilien – Selbst ist die Königin

103Elisabeth I. von England – Vom Bastard zur Ikone einer Epoche

104Katharina II. die Große – Herrscherin mit Leidenschaft

105Maria Montessori – Ärztin und Reformpädagogin

106Julius Kambarage Nyerere – Traum vom Afrikanischen Sozialismus

107Farid Esack – Erster islamischer Befreiungstheologe

VIIIRevolution und Widerstand

108Stephanus – Freiheit Gottes – für Menschen

109Thekla – Apostelin eines Protests

110Jan Hus – Professor – Prediger – Reformator

111Thomas Morus – Humanist und Humorist

112Olympe de Gouges – Frauenrechte auf dem Schafott

113Simón Bolívar – »El Libertador« – der Befreier

114Anita Garibaldi – Freiheitskämpferin mit Kleinkind

115Harriet Tubman – Von der Sklavin zur Freiheitskämpferin

116Mohandas Karamchand Gandhi – »Mahatma« – Die große Seele

117Rosa Luxemburg – Für Revolution und gegen Krieg

118Hans und Sophie Scholl – Eine weiße Rose gegen das Grauen

119Anna Seghers – Intellektueller Widerstand

120Nelson Rolihlahla Mandela – Madiba – Politik der Versöhnung

121Malcolm X – El Hajj Malik el-Shabazz – Vom Nationalisten zum Brückenbauer

122Tenzin Gyatso – XIV. Dalai Lama – Ozean der Weisheit und Botschafter des Friedens

123Zainab al-Khawaja – Menschenrechte und arabische Demokratie

Nachwort

Anhang

Literatur- und Medientipps, Anmerkungen

Personenregister

Vorwort

Zugang zu einer Galerie

Die Geschichte der Menschheit ist voller Licht und reich an Schatten. Im Naturgeschehen folgen in schöner Regelmäßigkeit Tage auf Nächte und in unseren Breiten lösen Winter- und Sommerhalbjahre einander ab. Im Weltgeschehen zeigt sich eine größere Freiheit und haben Menschen es in der Hand, ob Epochen zu lichtvollen Blütezeiten oder finsteren Zeitaltern werden. Licht und Dunkel mischen sich oft auch in derselben Epoche, Kultur und Region. Die Gegenwart kann aus der Geschichte lernen, wenn Menschen früherer Zeiten ins Gespräch mit der Moderne treten.

Dieses Buch stellt mutige Persönlichkeiten vor, die weit über ihre Zeit ausstrahlen und die Welt auf unterschiedliche Weise bereichert haben. Viele von ihnen stehen für eine mutige Freiheit, die sich in Neuland wagte, für überraschende Kreativität in Politik, Kultur oder Wissenschaft und für wache Blicke in die Welt. Viele schwammen hellsichtig gegen den Strom und standen visionär in ihrer Zeit.

Weil Frauen gleichermaßen inspiriert sind wie Männer und zu Unrecht oft von der Geschichtsschreibung an den Rand gedrängt werden, haben wir uns entschieden, in diesem Buch weibliche und männliche Persönlichkeiten in einer ausgewogenen Galerie vorzustellen. So leuchtet unter den vielen Pharaonen eine große Pharaonin hervor, die Ägypten zu einer langen Blütezeit verhalf. Israel benennt seine Stämme nach den zwölf Söhnen Jakobs, die eine wenig bekannte Schwester haben: Ihr gilt unsere Aufmerksamkeit. Unter den prägenden Schriftstellern der Antike finden sich nicht nur große Philosophen und Staatsmänner, sondern auch die Liebesdichterin Sappho, und weise erwies sich auch die vielbesuchte Priesterin Pythia von Delphi. Der kränkliche Martin Luther hätte die Reformation nicht wirkmächtig prägen können ohne seine Frau Katharina von Bora, die ihn immer wieder auf die Beine brachte und mit der er seine Schriften als erste diskutierte.

Bis heute wirkt das Ethos des Arztes Hippokrates wegweisend für die Medizin und Mediziner. Zahllose Menschen bleiben klarsichtig dank dem Franziskaner Roger Bacon, der vor 760 Jahren die Brille erfand. In Europas antiislamische Ängste sprechen Sufimystikerinnen, die seit Jahrhunderten einen Gott erfahren, der die Religionen innig verbindet. Elisabeth von Thüringen, Lella Manoubia und Madeleine Delbrêl stehen für die enge Verbindung von Mystik und Politik. Jeanne d’Arc, Simón Bolívar, Mahatma Gandhi, Nelson Mandela und Harriet Tubman sprechen von verschiedenen Wegen zur politischen Freiheit und von deren Gefährdungen. Wegweisend für Demokratien bleibt bis heute deren Vater Solon, der im antiken Athen vor 2600 Jahren lebte. Neben große Gelehrte wie Pythagoras und Leonardo da Vinci treten die jugendliche Pakistani Malala Yousafzai als jüngste Friedensnobelpreisträgerin aller Zeiten mit ihrem beherzten Einsatz für Mädchenbildung in jeder Kultur sowie die kolumbianische Indigena Juana Payaba Cachique mit ihrem unerschrockenen Kampf gegen die Zerstörung der Amazonaswälder.

Die folgende Galerie führt durch fünf Jahrtausende und auf vier Kontinente. Sie findet Inspirierte und Inspirierende in allen Religionen und Kulturen. Die vorgestellten Persönlichkeiten setzten sich für Humanität und Menschenwürde ein, wiesen Wege einer weitherzigen Religiosität und prägten die Welt mit ihren Visionen. Sie setzten Leuchtzeichen in Kunst und Kultur, Politik und Weltgestaltung, trugen mit Entdeckungen und Erfindungen zum Fortschritt bei und ermutigten zu Widerstand, wo immer Menschen, Gesellschaft und die Schöpfung unterdrückt werden. Innerhalb der acht Themenbereiche – Humanität und Menschenwürde, Mystik und Gottesliebe, Prophetie und Visionen, Lichtvolle Schattenfrauen, Kunst und Kultur, Entdeckungen und Erfindungen, Politik und Weltgestaltung, Revolution und Widerstand – werden die ausgewählten Personen in chronologischer Abfolge vorgestellt. Der Fokus wechselt dabei oft in schnellem Rhythmus von Kontinent zu Kontinent, von Religion zu Religion und von Kultur zu Kultur. Je ein Viertel der Persönlichkeiten gehören der Antike, dem Mittelalter, der Neuzeit und der Gegenwart an. Die Hälfte lebte in Europa, die andere Hälfte auf den anderen Kontinenten. Frauen und Männer halten sich die Waage. Ebenso ausgewogen wie die Galerie sich nach Geschlecht präsentiert, zeigt sich die Verteilung der Beiträge auf die Autorin und den Autor. Sosehr die einzelnen Porträts miteinander abgesprochen und diskutiert sind, unterscheiden sie sich im Stil und in der Akzentsetzung. Wir überlassen es der aufmerksamen Leserin und dem interessierten Leser, jeweils zu urteilen, ob ein Beitrag aus der Feder der journalistisch versierten Philologin oder des theologisch promovierten Spiritualitätsgeschichtlers stammt.

Der Weg durch die Zeiten führt in keine Heldengalerie, in der gefeierte Menschen aufgrund ihrer Berühmtheit und Verehrung Aufnahme finden. Leserinnen und Leser werden neben bekannten Gestalten auch solche entdecken, deren Spur sie erstmals begegnen: Persönlichkeiten, denen Epochen und Kulturen vieles verdanken, offenbaren wie alle Menschen auf Erden auch Schattenseiten: nobody is perfect!

Gefährten des eigenen Glaubens und des eigenen Lebensraumes verbinden sich mit Gefährtinnen anderer Religion und Kultur. Inspirierte Menschen treten zu allen Zeiten auf. Religiöse finden Licht in anderen Religionen und Inspiration in Nichtgläubigen. Nichtreligiöse Menschen finden Perlen spiritueller und mystischer Erfahrung, die jedes Glaubensgebäude und jede Philosophie an Tiefe und Weite übertreffen.

123 Personen warten mit Begegnungen auf. Sie stehen repräsentativ für verschiedene Zeit-, Kultur- und Lebensräume der Welt und ihrer Geschichte. Porträts eröffnen Begegnungsräume, in denen der Dialog zwischen gestern und heute inspirieren will. Die Spurensuche durch die Epochen möchte auch Wege aufzeigen, wie sich dunkle Zeiten vermeiden oder überwinden lassen: auf dass die Welt in vielerlei Sinn und durch unser mutiges inspiriertes Engagement lichtvoller werde und lichtvoll bleibe.

Ostern 2022

Dübendorf,

Rapperswil,

wo durch mutige Migration und

am Pilgersteg von Fernwegen,

Integration aus einem Bauerndorf

die die Ostsee mit dem Atlantik

eine kleine multikulturelle Stadt

und die Nordsee mit dem

gewachsen ist

Mittelmeer verbinden

Sarah Gaffuri

Niklaus Kuster

IHumanität und Menschenwürde

1

Sara

Nomadin und Mutter vieler Völker

Verschiedene Kulturen der Welt erzählen von einer »Urmutter«. Oft sind es mythologische Gestalten, die die Überzeugung nähren, dass Menschen miteinander weit über ihre Sippe, ihren Stamm oder ihr Volk hinaus verwandt sind. Die jüdische Tradition nennt Abraham »Vater vieler Völker«. Ihm und seiner Frau Sara habe Gott »Nachkommen so zahlreich wie die Sterne am Himmel« verheißen. Nach biblischer Chronologie lebte das Nomadenpaar im 19. Jahrhundert vor der Zeitenwende und ließ sich auf der schmalen Landbrücke nieder, die Europa, Afrika und Asien zu Land und zur See verbindet. Sara heiratete einen reichen Herdenbesitzer in Mesopotamien. Als Oberhaupt einer Sippe, doch ohne eigene Nachkommen, verließ Abraham mit Sara die Heimat: Gotteserfahrungen ermutigten ihn, zusammen mit Sara in der Fremde eine Zukunft zu finden. Die hebräische Bibel erzählt nicht, ob und wie Sara in die Entscheidung zum Aufbruch einbezogen war. Das Paar brach mit dem Neffen Lot und einer Herde auf und zog nordwärts nach Haran und dann nach Westen in den Halbmond fruchtbaren Landes, der sich von Syrien dem Mittelmeer entlang nach Ägypten zieht. Sara wurde als Nomadin in Palästina hochbetagt, ohne dass sich die Verheißung einer familiären Zukunft erfüllte. Sie beschloss, sich nach einem archaischen Brauch einen Nachkommen zu sichern: Mit Erlaubnis der Gattin schwängerte der zehn Jahre ältere Abraham Saras Sklavin Hagar, die dann auf den Schenkeln ihrer Herrin sitzend Ismael gebar. Das Verhältnis der beiden Frauen wurde in der Folge konfliktreich, da Unfruchtbarkeit im Orient als gesellschaftliche Schmach und Strafe der Götter galt.

Israels heilige Schriften kennen auch eine Zukunft jenseits des menschlich Machbaren. Die betagten Nomaden beherbergen drei Wandernde gastfreundlich. Diese verheißen dem Paar einen gemeinsamen Sohn. Sara lacht darüber im Wissen um ihr fortgeschrittenes Alter. Das hebräische Wort für lachen – sachaq – wird sich im Namen des Sohnes spiegeln: Isaak (Jis’chaq) heißt »Gott bringt zum Lachen«. Die Konflikte zwischen Sara und Hagar spitzen sich zu. Auf Betreiben seiner Frau muss Abraham die Sklavin mit Ismael aus der Sippe verstoßen. Das Volk Israel jedoch wird sich als Nachfahren Isaaks von den Nachbarvölkern abgrenzen, die es auf Ismael zurückführt. Nach einem langen Nomadenleben, in dem das Paar bis Ägypten gelangt, verbringt Sara ihre letzten Jahre im Raum Hebron, wo sie ihr Grab in der Höhle Machpela findet. Abraham hat diese als Begräbnisort seiner Sippe erwählt. Hier finden denn auch Isaak und seine Frau Rebekka sowie deren Sohn Jakob mit der ersten Frau Lea die letzte Ruhe.

Wer Hebron heute besucht, ist unabhängig seines Glaubens in der Abraham-Moschee willkommen. Dort stehen unter einem Dach und über der Machpela-Höhle die Grabmonumente der drei Erzväter und der drei Erzmütter (ohne Leas Schwester Rahel). Jüdische, islamische und christliche Gläubige beten am Ort, der ihre Religionen familiärer als jeder andere verbindet. Sara ist die erste, deren Grab den heiligen Ort für immer festlegte. Während die islamischen Völker sich von Hagar ableiten, ehrt das jüdische Volk Sara als Stammmutter, auf die sich auch die christliche Welt beruft: Durch Jesus seien alle Christinnen und Christen geistige Söhne und Töchter Abrahams und Saras. Aktuell entsteht unter dem Projektnamen »Abrahamic Familiy House« auf der Insel Sadiyaat in Abu Dhabi eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee auf einem Grundstück des Emirs, um als dreifaches »Haus Abrahams« die Verwandtschaft der drei Religionen zu bezeugen. »Haus Abrahams und Saras« wäre der trefflichere Name.

2

Rut

Dein Gott ist mein Gott

Zwinge mich nicht, dich zu verlassen, ich werde es nicht tun! Wohin du gehst, gehe ich auch, wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Dort, wo du stirbst, will auch ich sterben … Der Tod allein kann mich von dir trennen!

Mit diesen leidenschaftlichen Worten (Rut 1,16 –17) bindet sich eine Schwiegertochter an ihre Schwiegermutter, und binden sich zwei aneinander, wofür die Jüngere in die Fremde zieht. Mit diesen Worten bindet sich ein Mensch an Gott, und durch diese Geschichte bindet Gott die Heilsgeschichte ganz ausdrücklich an eine Frau »aus der Fremde«, aus dem Land Moab.

Das Buch Rut ist einzigartig in der ganzen Bibel, sowohl der hebräischen wie der christlichen: Es ist ganz aus weiblicher Perspektive geschrieben. Rut und ihre Schwiegermutter Noomi stehen nicht nur im Zentrum der Aktion, sondern sind auch die Personen, auf die Bezug genommen wird. Sind Frauen in anderen Erzählungen der Bibel meist definiert durch ihre Beziehung zu Männern – die Schwester des Mose, die Frau Lots, Sauls Tochter –, so ist hier die Rede von ihren Söhnen, ihren Männern, ihren Töchtern. Es ist die Rede vom »Haus der Mutter«, statt, wie üblich, vom »Haus des Vaters«.

Die Geschichte, die ungefähr 1000 Jahre vor der Zeitenwende spielt, ist relativ kurz, und ihre Eindringlichkeit wird verstärkt durch die Namen und ihre Bedeutungen. Elimelech (»Mein Gott ist König«) verlässt in Zeiten einer Hungersnot das Volk Israel, um mit seiner Frau Noomi (»die Liebliche«) und den Söhnen Machlon (»der Kränkliche«) und Kiljon (»der Schwächliche«) im Land Moab zu siedeln. Die beiden Söhne heiraten die Moabiterinnen Rut (moabitisch »Labsal«, hebräisch »Freundin«) und Orpa (»die den Rücken kehrt«), bevor das Schicksal zuschlägt: Die Männer sterben innerhalb weniger Jahre, und Noomi bleibt allein als israelitische Fremde im Land Moab zurück. Nach wenigen Sätzen schon steht sie damit im Zentrum der Geschichte.

Als sie vernimmt, dass die Hungersnot in der Heimat vorbei ist, entschließt sie sich zur Heimkehr. Ihre kinderlosen Schwiegertöchter machen sich mit ihr auf. Noomi aber entlässt die beiden aus ihren Pflichten und ermuntert sie, zu ihren Müttern zurückzukehren und sich neue Männer zu suchen. Erst wollen beide nichts davon wissen, doch schließlich gibt Orpa nach und geht zu ihrer Sippe zurück. Nicht aber Rut. Sie bindet sich lebenslang an Noomi, die sich nach den zahlreichen Schicksalsschlägen Mara (»die Bittere«) nennt. In Betlehem (»Haus des Brotes«) darf Rut hinter den Arbeiterinnen und Arbeitern auf einem Feld Ähren aufsammeln. Der Besitzer des Felds, Boas (»der Kräftige«), ein Verwandter Noomis, erweist sich als äußerst großzügig. Rut gefällt ihm, und ihr Einsatz für das Mitglied seiner Sippe beeindruckt ihn. Er nimmt die junge Fremde unter seinen Schutz. Rut befolgt Noomis Rat, sich nachts Boas zu Füßen zu legen. Er verspricht ihr darauf, sie zu heiraten. Als die Ältesten bei der Hochzeit die Braut segnen, beziehen sie sich explizit auf die Ahninnen ihres Volks: auf die Schwestern Rahel und Lea und auf Tamar, die Mutter des Stammes Juda. Das Kind, das Rut gebiert, wird nicht als Sohn Boas’ geführt und auch nicht Machlons, für den es nach jüdischem Recht gezeugt wird: Der Sohn Obed (»der Diener«) ist vielmehr für Noomi geboren, die nun wieder ihren alten, »lieblichen« Namen trägt (Rut 4,17). Obeds Enkel wird als König David Geschichte schreiben. David stammt damit ausdrücklich von einer fremden Frau mit Migrationshintergrund ab, und mit ihm auch dessen Nachkomme Jesus, der Sohn Marias.

3

Hippokrates von Kos

Vater der Medizin

Ich schwöre vor Apollo dem Arzt und Asklepios … diese Kunst zu lehren ohne Entgelt.

Meine Verordnungen werde ich nach bestem Können und Urteil treffen zum Nutzen und Heil der Kranken … Ich werde niemandem ein tödliches Gift verabreichen oder dazu raten, auch nicht auf seine Bitte hin.

Was ich bei der Behandlung sehe oder über das Leben eines Menschen höre, werde ich verschwiegen als Geheimnis behandeln.

Die drei praktischen Abschnitte aus dem »hippokratischen Eid« leiten die ethische Grundhaltung von Ärztinnen und Medizinern bis heute. In den USA wird der Eid bei Promotionsfeiern noch immer vorgetragen. Die einleitende Berufung auf die griechischen Götter-Ärzte weist auf das Alter der Eidesformel hin. Sie wird Hippokrates zugeschrieben. Der »Vater der Medizin« kam um 460 vC. auf der Insel Kos in der südlichen Ägäis zur Welt. Der Sohn eines Ärztepaares lernte die Grundlagen der Heilkunst von seinen Eltern und erweiterte seine Kenntnisse bei Reisen durch Kleinasien und Griechenland. Um 430 erlebte er in Athen einen großen Pestausbruch. Auf seiner Heimatinsel vor der türkischen Küste baute Hippokrates eine Ärzteschule auf, zu der auch seine beiden Söhne Drakon und Thessalos gehörten. Der Meister selbst starb um 370 vC. hochbetagt im Norden Griechenlands, südlich des Olymps in der Stadt Larisa, wo sein Grab erst vor 200 Jahren entdeckt wurde.

Die umfangreichen Schriften des Arztes begründen die Medizin im klassischen Griechenland erstmals als eigenständige Wissenschaft. Allerdings stammen nicht alle der 61 Werke des Corpus Hippocraticum aus der Lebenszeit des berühmten Autors, sondern aus den folgenden vier Jahrhunderten. Sie weisen Diagnosen auf, fassen bewährte Therapien in Anweisungen und schildern Krankengeschichten. Der Ursprung vieler Krankheiten wird in einem verlorenen Gleichgewicht zwischen Körpersäften infolge von Fehlernährung und Fehlverhalten vermutet. Die Heilkunst setzte auf das Umstellen der Lebensweise, sorgsame Ernährung, Bewegung, gezielten Einsatz von Arzneimitteln und notfalls operative Eingriffe.

Während sich die moderne Medizin fachlich weit über ihre griechischen Grundlagen hinaus entwickelt hat, bleiben die Grundhaltungen maßgeblich, die im Eid bereits damals als frühes Berufsethos gewissenhafter Ärzte greifbar werden. Die hippokratischen Werke verdeutlichen das Zusammenspiel von Heilkunst und Leben eines Arztes, persönlicher Integrität und fachlichem Wissen, körperlicher und geistiger Hygiene, Empathie und sachlicher Analyse. Ärztliche Diagnosen beruhen auf sorgfältiger Beobachtung, Befragung und Untersuchung. Auch das Erkunden und schriftliche Festhalten der Anamnese (Vorgeschichte), der psychischen Situation des Patienten und der realen Lebensumstände unterstützen sowohl Diagnosen wie Therapien.

Das antike Bewusstsein, eine kostbare Kunst vermittelt zu erhalten, die es kostenlos und uneigennützig weiterzugeben gilt, kann heute weder die kostenträchtige Ausbildung von Medizinern noch die wirtschaftliche Berufsbasis praktizierender Ärztinnen bestimmen. Hippokrates stellt mit seinem Ethos jedoch auch heute kritische Rückfragen: sei es in Bezug auf die Spannung zwischen Profitabilität moderner Spitäler und Patientenwohl, sei es mit Blick auf die Entlohnung von Ärzten nach Anzahl Operationen oder auf Organisationen mit Sterbehilfe-Angeboten sowie angesichts laufend neu aufgedeckter Fälle sexuellen Missbrauchs auch in medizinischen und pflegerischen Schutzräumen.

4

Seneca

Weisheit in Neros Dienst

Kaiser Nero hätte gute Chancen gehabt, als kluger Herrscher in die Geschichte einzugehen. Doch selbst beste Lehrer und Berater verhindern nicht, dass Egomanen sich selber zu tragischen Figuren machen. Der Spanier Lucius Annaeus Seneca war der bekannteste Philosoph seiner Zeit, zudem Naturforscher, Politiker und Dramatiker. 1 vC. geboren, wurde er mit 50 zum Lehrer des künftigen Kaisers, des damals 12-jährigen Nero.

Während Senecas jüngerer Bruder Mela im andalusischen Córdoba blieb, wo er die Familiengüter verwaltete, und der ältere Bruder Novatus Gallio als Prokonsul nach Griechenland reiste, wurde der kränkliche Lucius Anwalt in Rom, Senator und Philosoph der stoischen Schule. Unter Kaiser Claudius verbrachte er ab 41 nC. wegen einer angeblichen Liebesaffäre acht Jahre im Exil auf Korsika, wo er viel Zeit zum Schreiben fand. Dann berief ihn Claudius’ neue Gattin Agrippina als Erzieher ihres Sohnes an den Kaiserhof, ließ Nero adoptieren und vergiftete den Herrscher fünf Jahre später. Seneca blieb Berater des 16-jährigen Nero, dem er die Schrift De clementia (Über die Milde) widmete. Tatsächlich folgten fünf Jahre umsichtiger Herrschaft, in denen der Mentor als Gegenpol zur skrupellosen Mutter wirkte. Als auch der junge Kaiser unberechenbar und gewalttätig wurde, bezichtigte der Senat den mit Gütern überhäuften Seneca rücksichtsloser Macht- und Profitgier. Nachdem Nero seine Mutter ermordet und 62 nC. Tigellinus zum Präfekten der Prätorianergarde berufen hatte, zog sich Seneca auf ein Weingut im Nordosten Roms zurück. In Nomentum entstanden philosophische Werke, naturwissenschaftliche Schriften und zahlreiche Briefe. Nach dem Scheitern der Verschwörung um Calpurnius Piso zwang Nero seinen einstigen Mentor zum Suizid, den Seneca 65 nC. nach dem Vorbild des Sokrates auf sich nahm. Er schnitt sich stoisch die Pulsadern auf, trank einen Giftbecher und starb im Bad. Der Suizidversuch der verzweifelten Gattin Pompeia Paulina misslang zu Neros Freude.

Aus Senecas Werken werden gerne zahlreiche Lebensweisheiten auch von christlichen Autoren zitiert. Die folgenden Erkenntnisse finden sich in den 62 nC. verfassten Briefen an Lucilius:

Nichts gehört uns wirklich, außer die Zeit! (Brief 1) – Geld hat noch keinen reich gemacht. (119) – Nicht wer zu wenig hat, sondern wer mehr begehrt, ist wahrhaft arm. (2)

Lehrende sind immer auch Lernende. (7) – Meist ist fehlender Wille der Grund und fehlendes Können nur Vorwand. (116) – Mächtig ist jener, der sich selbst beherrscht! (90) – Manche beendeten ihr Leben, bevor sie es anfingen. (23)

Wir sind zur Gemeinschaft geboren. Unsere soziale Zusammengehörigkeit ist einem Steingewölbe vergleichbar, das einstürzen würde, wenn die Steine nicht sorgsam gefügt einander halten und dem Bau Bestand verleihen. (95)

Ruhende müssen handeln und Handelnde ruhen! (3) – Betrachte alles Irdische um dich herum als Ausstattung einer Herberge: Mache dich auf den Weg und setze deine Wanderung fort! (102) – Lebe so mit Menschen, dass Gott es sehen darf, und sprich so mit Gott, dass Menschen es hören dürfen! (10)

5

Elisabeth von Thüringen

Migrantin – Landgräfin – Schwester

Du weißt, wie innig ich Ludwig liebte! … Könnte ich ihn wieder lebendig bei mir haben, würde ich die ganze Welt dafür geben, und müsste ich dafür zusammen mit ihm betteln gehen! Du bist mein Zeuge, dass ich sein Leben aber für kein Haar zurückgewinnen will, wenn dies nicht dein Wille ist. Und so empfehle ich ihn und mich deiner liebenden Zuwendung!

Dieses Gebet spricht eine junge Witwe im Sommer 1228, als sie in Bamberg die Gebeine ihres Liebsten in Empfang nimmt. Landgraf Ludwig IV. war ein Jahr zuvor in den Kreuzzug aufgebrochen, in Süditalien jedoch einer Seuche erlegen. Die Landgräfin spricht zum zweiten Du ihres Herzens, Christus. Selten hat das Mittelalter ein Ehepaar erlebt, das sich derart glühend liebte. Dabei war die Ehe arrangiert und der Weg der jungen Frau dramatisch.

Die Prinzessin Erzsébet, wie ihr Name ungarisch lautet, kam 1207 in der Burg Sárospatak zur Welt. Sie verbrachte ihre frühe Kindheit im Königsschloss von Pressburg/Bratislava, bis ihr Vater Andreas II. das Töchterchen mit vier Jahren nach Mitteldeutschland verkaufte – als Trumpfkarte in einem politischen Machtpoker. In Eisenach wurde die Kleine dem Thüringer Thronfolger verlobt. Als dieser nach sechs Jahren starb, hing ihre Zukunft in der Luft. Die gestrenge Landgräfin Sophie hätte die wilde Prinzessin am liebsten nach Ungarn zurückgesandt. Dort war ihre Mutter inzwischen ermordet worden und ihr Vater in Machtkämpfe mit dem Sohn verstrickt. Als auch Landgraf Hermann I. starb und der jüngere Sohn Ludwig die Herrschaft antrat, wählte dieser sich seine »Schwester Elisabeth« zur Gattin. Mit 13 feierte sie Hochzeit. Elisabeth wurde Landesmutter Thüringens und mit 14 auch Mutter. Dem kleinen Thronfolger Hermann II. folgten in kurzer Zeit die Schwestern Sophie und Gertrud.

Mächtig thront die Wartburg über der Königsstraße, die Santiago de Compostela mit Bordeaux, Mainz, Erfurt, Leipzig und Kiew verbindet. So prachtvoll der Hof dort lebt, behält die Fürstin Elisabeth, als Fremde ins Land gekommen, einen wachen Blick für die Nöte der einfachen Leute. Sie lässt am Aufstieg zur Burg ein Hospital für die Ärmsten bauen, in dem sie selber Pflegedienste leistet. In zwei Hungerkatastrophen öffnet sie als Regentin für den landesabwesenden Gatten die Kornspeicher von Burgen und Städten und leert die Kriegskassen, um neues Saatgut und besseres Ackergerät für die Bauern zu kaufen. Ungerechte Grafen provoziert sie, indem sie ihre Speisen nicht anrührt und fastet. Unüblich für ihre Zeit lassen Ludwig und sie sich auch von der Kirche nicht ins Eheleben hineinreden: Sie teilen ihr Lager und leben ihre Liebe nach eigenem Gewissen. Während Italienreisen ihres Mannes besucht Elisabeth Bauernfamilien auf ihren Gehöften und setzt sich persönlich ins Bild von den Bedürfnissen und Nöten jener, die das Land ernähren.

Nach dem frühen Tod ihres Gatten wird Elisabeth vom Schwager entmachtet und von den Kindern getrennt. Die junge Witwe setzt ihr Erbe ein, um in Marburg ein Hospital zu bauen. Hier macht sie sich zur »Schwester der Ärmsten«. Von rückhaltloser Solidarität mit den Geringsten geschwächt, stirbt sie 24-jährig an einer Grippe. Mit Papst Gregor IX. und Kaiser Friedrich II. neigen sich die Mächtigsten vor dieser Frau, deren hebräischer Name sich wie eine Verheißung erfüllte: »Mein Gott ist Lebensfülle«. Elisabeth hat ihre Menschen- und Gottesliebe in solcher Fülle gelebt, dass ihr kurzes Leben über 800 Jahre hinaus leuchtet.

6

Erasmus von Rotterdam

Weises »Lob der Torheit«

Der größte Humanist deutscher Sprache leidet an seiner Familiengeschichte. 1466 geboren, stammt er wie sein älterer Bruder Peter aus dem Verhältnis einer Arzttochter mit einem Priester, die im Städtchen Gouda unweit der großen Hafenstadt Rotterdam zusammenleben. Weder adelig noch aus gutbürgerlicher Familie, öffnet ihm das Glück Türen: Ein Onkel lässt den 12-Jährigen die humanistische Schule der »Brüder vom gemeinsamen Leben« in Deventer besuchen und 1484 nach dem Tod der Eltern nach ’s-Hertogenbosch an die Lateinschule wechseln. Mit 21 tritt Erasmus ins Augustinerkloster Steyn bei Gouda ein, wird da nach fünf Jahren Priester und 1495 zu Universitätsstudien nach Paris gesandt. Die Chorherren tragen dem Freiheitsdrang ihres Mitbruders Rechnung, dispensieren ihm vom Gemeinschaftsleben und lassen ihn nach den Pariser Jahren nach England reisen, in Turin doktorieren und in Venedig für einen Verlag arbeiten. Ab 1510 studiert er Griechisch in Cambridge und pendelt dann zwischen Basel und Burgund, wo er ab 1515 den künftigen Kaiser Karl V. am Hof zu Löwen erzieht. 1520 lässt sich der berühmte Autor in Basel nieder, aus dessen Reformation er 1529 für sechs Jahre ins Exil nach Freiburg im Breisgau wechselt. 1536 stirbt der große Humanist in Basel.

Erasmus wünscht Reformen ohne Kirchenspaltung. Luther verdankt ihm den entschlossenen Rückgriff ad fontes (zu den Quellen), den der Wittenberger theologisch zum sola scriptura-Prinzip (allein die Schrift) zuspitzt, sowie die Neuausgabe des griechischen Neuen Testaments und eine neue lateinische Übersetzung mit reichen Anmerkungen. Den Bruch mit Luther provoziert 1524 dessen Schrift »Vom freien Willen«: Erasmus distanziert sich von Luthers These, dass nicht menschliches Tun, sondern Gott allein über das Schicksal des Menschen entscheide. Der Humanist verteidigt eine grundlegende Wahlfreiheit im Wollen und Handeln des Menschen. Philosophisch stützt sich Erasmus auf Sophokles, der den Menschen autonom das göttliche Gesetz erkennen sieht, auf Aristoteles’ Wahlentscheidung in konkreten Handlungen, Senecas Freiheit der Seele über die Macht der Emotionen und die Freiheit der Stoiker. Als früher christlicher Autor betont Paulus die Freiheit im Geist Gottes (2 Kor 3,17). Da Luther um seine Theologie fürchtet, antwortet er mit scharfer Polemik.

Mit seinem Lob der Torheit bestärkt Erasmus 1509 Menschen jeden Standes und Berufs, ihre Freiheit klug zu nutzen: Nationen verfallen durch die Torheit kollektiver Eigenliebe, Junge werden unbesonnen, Alte fallen in die Kindheit zurück, Mädchen neigen zu törichter Liebe, Männer wählen läppische Frauen, wenn sie denn reizvoll sind, Geistliche sind auf ihren Vorteil bedacht, Kaufleute lieben das widerwärtigste aller Geschäfte, Dichter lassen sich von Schmeichelei leiten, Juristen streiten verbissen um des Kaisers Bart, Mönche halten sich ohne Bildung für frömmer, Bischöfe kämpfen wie Büffel um geistliche Ämter, Fürsten schröpfen die Bürger. Weshalb? »Es tut halt so sauwohl, keinen Verstand zu haben …!«

Erasmus fragt den fiktiven christlichen Ritter seines 1503 verfassten Handbuchs Enchiridion militis Christiani:

Erscheint es dir richtig, dass dein Nächster hungert, während du auf die Jagd nach Rebhühnern gehst; dass dein Bruder nackt ist und vor Kälte zittert, während deine vielen Kleider von den Motten zerfressen werden? … dass kein Christ denke, er sei für sich allein geboren und lebe für sich allein, und dass er alles, was er hat, und alles, was er ist, nicht sich selbst zuspricht, sondern Gott seinem Erschaffer dafür dankt und gesteht und anerkennt, es von ihm erhalten zu haben. Woraus folgt, dass alles Gut allen gehört, denn die christliche caritas kennt kein Eigentum!

7

Jean-Jacques Rousseau

Aufklärer – Revolutionär – Romantiker

Der erste, der ein Stück Land umzäunte und dem es einfiel zu sagen »Dies gehört mir« und der einfältige Leute fand, die ihm glaubten, war der wahre Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Elend und Schrecken wären der Menschheit erspart geblieben, hätte jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen: »Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken! Ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen zustehen, die Erde aber niemandem gehört.«

Der kritische Geist, der diese Analyse schrieb, war selbst öfter heimatlos. Sein Vater Isaac Rousseau diente als Uhrmacher des Sultans am Serail in Istanbul, bevor er sich 1711 wieder in Genf niederließ. Als Jean-Jacques ein Jahr später zur Welt kam, verstarb die Mutter Suzanne Bernard im Kindbett. Zehn Jahre später floh der Vater vor der Genfer Justiz und überließ den Sohn einem Schwager, der ihn dem gewalttätigen Pfarrer von Bossey anvertraute. Als 16-jähriger Graveur-Lehrling wanderte Jean-Jacques nach Savoyen aus, konvertierte in Turin zum Katholizismus und trat für kurze Zeit ins Priesterseminar von Annecy ein. Es folgte ein ärmliches Wanderleben durch die Westschweiz und bis Paris sowie Jahre als musikalischer Autodidakt und Geliebter seiner Savoyer maman, seiner früheren Zimmerwirtin in Chambéry. 1742 ließ sich Rousseau in Paris nieder, wo er eine erste Oper komponierte, literarische Salons besuchte und Mäzene gewann. Fünf Kinder, die er mit der Wäscherin Thérèse Levasseur zeugte, übergab er Waisenhäusern. Im Kontakt zu Aufklärern wie Denis Diderot und Jean-Baptiste le Rond d’Alembert verfasste Rousseau erste gesellschaftskritische Schriften: Sie sehen den »frei geborenen Menschen« in sozialen Systemen »überall in Ketten« leben.

Während ihn seine kritischen Schriften europaweit bekannt machten, zerstritt sich Rousseau mit seinen Pariser Freunden, kehrte nach Genf zurück, konvertierte wieder zum Calvinismus und verfasste die eingangs zitierte Abhandlung über Die Ungleichheit unter den Menschen. Sie macht den Genfer zu einem frühen Wegbereiter des europäischen Sozialismus. 1756 wechselte Rousseau nach Montmorency bei Paris, wo er sich mit den »Philosophen« um Diderot zerstritt, jedoch von Hochadeligen gefördert seine Bestseller schrieb: den Briefroman Julie, den Bildungsroman Émile und die staatstheoretische Schrift Vom Gesellschaftsvertrag. Letztere entfaltet die Idee der Volkssouveränität und der Individualrechte. Paris wie Genf verfolgten den Autor wegen seiner naturreligiösen und staatskritischen Ansichten, weshalb Rousseau 1762 im preußischen Neuchâtel Zuflucht suchte. Fünf Jahre Wanderleben ließen ihn auf der Petersinsel im Bielersee, im Jura, im Elsass und in London Station machen. 1768 heiratete er seine frühere Geliebte Thérèse und ließ sich mit ihr auf einem Bauernhof in der französischen Dauphiné nieder. Hier vollendete er seine Confessions, eine moderne Autobiographie. Kurz vor seinem Tod 1778 nach Paris zurückgekehrt, schrieb der Vordenker einer demokratischen Gesellschaft seine lyrischen Träumereien des einsamen Spaziergängers nieder, deren Naturbeschreibungen auf die Romantik vorausweisen. Rousseaus Leib wurde vom revolutionären Nationalkonvent 1794 ins Pariser Panthéon überführt. Tatsächlich bereiteten die politischen Schriften des Denkers die Revolution vor, und seine Pädagogik propagierte das Idealbild des »edlen Wilden«.

8

Johann Heinrich Pestalozzi

Pädagoge und Aufklärer

Sein Leben widmet der gebürtige Zürcher Johann Heinrich Pestalozzi ganz der Gesellschaft: Studienjahre in Theologie und Jura beendet der 1746 geborene Chirurgensohn ohne Abschluss. Im Kanton Bern macht er stattdessen eine landwirtschaftliche Lehre und hofft danach, mit neuen Düngeverfahren den verarmten Bauern Alternativen aufzeigen zu können. Das Experiment misslingt gründlich. Auch seine ersten Gehversuche als Erzieher sind zwar gut gemeint, wollen aber nicht gelingen. Mit seiner Ehefrau Anna Schulthess hat Pestalozzi 1770 einen Sohn und nimmt alsbald dazu 40 Pflegekinder auf. Den Sohn benennt er Hans Jakob – nach Jean-Jacques Rousseau (➔7). Dessen Erziehungstheorie aus »Émile« versucht er eins zu eins am eigenen Kind umzusetzen, das von klein auf intellektuell überfordert und zuweilen auch hart bestraft wird. Der Sohn kann auch mit elf Jahren noch nicht richtig schreiben und lesen, und er findet sich unter den vielen fremden Kindern nicht zurecht. Der kleine »Jakobli« kommt daher zu Freunden nach Basel. Bald quälen den Buben epileptische Anfälle, an denen er als junger Mann sterben wird. Inzwischen versucht sein Vater, die Pflegekinder mit landwirtschaftlichen und schulischen Grundkenntnissen aufzuziehen und die Produkte zur Finanzierung des Projektes zu verkaufen. Dabei folgt er der Grundüberzeugung: »Die Natur enthüllt alle Kräfte der Menschheit durch Übung, und ihr Wachstum gründet sich auf Gebrauch.« Auch hier scheitert Pestalozzi. Das Unternehmen muss mangels Mitteln 1779 geschlossen werden.

Fortan macht der Schweizer mit entfernten italienischen Vorfahren als aufklärerischer Schriftsteller von sich reden. Kurze Zeit ist Pestalozzi Mitglied im Zürcher Ableger des Illuminatenordens, den er auch mitbegründet hat. Sein Name ist so respektiert, dass er 1792 als einziger Schweizer französischer Ehrenbürger wird. 1798 bietet er seine Talente der Helvetischen Revolution an und wird Redaktor des »Helvetischen Volksblatts«. Im verwüsteten Stans leitet er ab 1799 mit Umsicht ein Waisen- und Armenhaus. Die Kenntnisse, die er von hier mitnimmt, vertieft er im bernischen Schloss Burgdorf, wo er ab 1800 eine eigene Schule führt und seine Unterrichts- und Erziehungsmethode verfeinert.

Pestalozzis Ziel ist es, ganzheitlich gebildete Menschen heranzuziehen. Diese sollen fähig sein, an einer gelingenden Demokratie mitzuwirken – und ihre Elementarbildung befähigt sie, sich selbst helfen zu können. Die Verbindung von Bildung und Selbsthilfe wird rund 100 Jahre später die Reformpädagogin Maria Montessori (➔105) aufgreifen. Im Fokus stehen für Pestalozzi besonders die armen Schichten der Bevölkerung. Der Pädagoge setzt auf das Zusammenspiel von »Herz, Hand und Verstand«. Auf emotionaler Ebene soll die Fähigkeit des Vertrauens und der Liebe gefördert werden. Handwerkliche Grundkenntnisse fördern die Motorik und befähigen zum praktischen Denken. Die intellektuellen Fähigkeiten schließlich werden mit Schreiben, Lesen, Rechnen, Gesang und Zeichnen gefördert. In seiner Pädagogik greift Pestalozzi Ideen Rousseaus auf und entwickelt einige weiter. Von anderen distanziert er sich aber nach den desaströsen Erziehungsversuchen mit dem eigenen Sohn.

Pestalozzi verlegt sein Institut 1804 nach Yverdon-les-Bains, wo es gut 20 Jahre weitergedeiht, bevor interne Streitigkeiten um seine Nachfolge die Schule ruinieren. Pestalozzi kehrt in die Deutschschweiz zurück, wo er 1827 mit 81 Jahren stirbt. Er wird an der Mauer des alten Schulhauses in Birr im Schweizer Kanton Aargau begraben.

9

Henry Dunant

Gründer des Roten Kreuzes

Was macht es aus, ob jemand Preuße ist oder Franzose, Engländer oder Russe, Chinese oder Türke, Protestant oder Katholik, Jude oder Mohammedaner, Konservativer oder Radikaler, Sozialist oder Monarchist, Reformer oder Orthodoxer, Zimmermann oder Marquis, Prinz oder Lehrer? Ich erkenne keinen Unterschied, keine Aristokratie an als die des Herzens und der großen Gedanken. Mich erschreckt alles, was kleinlich ist, vulgär, eng, borniert, dumm, gewöhnlich, plump, egoistisch, berechnend, bigott, intolerant, böse und tyrannisch.

Diese Notiz schreibt ein Schweizer, der die Welt wie keiner seiner Landsleute verändert hat, im appenzellischen Heiden. Hier lebt der Friedensnobelpreisträger im Exil und denkt mit Blick auf den Bodensee wehmütig an den heimatlichen Genfer See. Als erstes Kind eines Kaufmanns 1828 in Genf geboren, wuchs Jean-Henri mit vier jüngeren Geschwistern auf. Die calvinistisch ernsthaften Eltern wie auch sein Großvater, Leiter des Genfer Spitals, erzogen die Sprösslinge zu sozialer Verantwortung. Jean-Henri wurde Bankmitarbeiter und ließ sich während einer Erkundungsreise in Algerien vom Kolonialfieber packen. Zunächst mit Weizen, Holz und Haifisch handelnd, investierte er in Mühlen, die ihn später in den Ruin trieben. Probleme in Algerien veranlassten den Geschäftsmann 1859 an den Gardasee zu reisen, wo er den französischen Kaiser Napoleon III. treffen wollte. Dieser führte an der Seite von Sardinien-Piemont Krieg gegen Österreich. Dunant traf in Solferino abends auf das Schlachtfeld, auf dem 38.000 Tote, Sterbende und Verwundete lagen. Er organisierte zivile Hilfe aus den nahen Dörfern und verarbeitete den Schock 1862 im Buch Un souvenir de Solferino, das er in 1.600 Exemplaren drucken und an Politiker und Militärs in ganz Europa senden ließ.

Seine Idee, in jedem Land Gesellschaften zu gründen, die in Kriegen neutrale Nothilfe leisten und um Personal, medizinisches Material und Unterbringung Verwundeter besorgt sind, fand breite Zustimmung. Buchübersetzungen und Vortragsreisen durch Europa führten zu nationalen Initiativen und 1863 zur Gründung des »Internationalen Komitees der Hilfsgesellschaften für die Verwundetenpflege«, das sich 1876 in »Internationales Komitee vom Roten Kreuz« umbenennt. Dunant wurde Sekretär des Komitees. Ein Jahr später lud die Schweizer Regierung zu einer Konferenz, an der zwölf Länder die erste »Genfer Konvention« zum Schutz von Verwundeten erarbeitete. Das Katastrophenjahr 1865 mit Krieg, Cholera, Erdbeben und Dürre in Algerien führte zum Konkurs der Mühlegesellschaft, in die Freunde und Partner Dunants Millionen investiert hatten. Gerichtlich als Betrüger verurteilt, musste Dunant das Amt des IKRK-Sekretärs niederlegen. Er verließ Genf und lebte zunächst ärmlich in Paris, dann in London und Stuttgart, bis er sich 1887 in Heiden niederließ. Obwohl er Ehrenmitglied der nationalen Rotkreuzgesellschaften von Österreich, Preußen, Schweden, Holland und Spanien war, tauchte der Gründer des IKRK erst aus der Vergessenheit auf, als ein Journalist sein Werk 1895 würdigte. Von der internationalen Presse entdeckt, erhielt Dunant 1905 den ersten Friedensnobelpreis der Geschichte. Er starb fünf Jahre später in seinem Exil mit den Worten:

Ich wünsche zu Grabe getragen zu werden wie ein Hund, ohne eine einzige von euren Zeremonien … Ich bin ein Jünger Christi wie im ersten Jahrhundert, und sonst nichts.

10

Bernarda Bütler

Bildung ohne Grenzen

Zur Welt kam Verena 1848 in einem kleinen Schweizer Bauerndorf. Als sie mit 76 im kolumbianischen Cartagena starb, trugen Marinesoldaten ihren Sarg durch die große Hafenstadt und Tausende standen Spalier. Das Leben der frühen Entwicklungshelferin verlief höchst ungewöhnlich. Die zehnjährige Tochter eines Landwirts und Küfers im aargauischen Auw hat den Ruf, ein Wildfang zu sein. Mit 20 übt sie sich unweit des Bodensees im Kapuzinerinnenkloster Altstätten in das beschauliche Leben ein und erhält den Ordensnamen Schwester Bernarda. Mit 30 führt sie als Novizenmeisterin junge Schwestern ins Klosterleben ein. Kurz darauf wird sie zur Vorsteherin gewählt. Wirtschaftliche Reformen, der Ausbau der Klosterschule und die Sorge um das Gemeinschaftsgebet führen zu einem vitalen Aufschwung der Gemeinschaft. Die staatlich festgelegte Obergrenze von 20 Nonnen muss um zehn erhöht werden, doch droht nach wenigen Jahren auch die Dreißigergrenze überschritten zu werden. Nach zwei Amtsdauern abgelöst, ergreift Sr. Bernarda mit sechs Schwestern eine mutige Initiative: Einsatz in Südamerika.

1888 verabschiedet sich die Vierzigjährige für immer von der Heimat und Europa. Die Initiative überrascht umso mehr, weil die Schweiz keine Kolonien besitzt und weder ein anderes Kapuzinerinnenkloster noch die Kapuziner des Landes über Missionsgebiete verfügen. Die sieben Schwestern reisen an den Atlantik, schiffen sich nach Ecuador ein und eröffnen im Bistum Portoviejo in kurzer Zeit drei Stationen. Erfahrungen in der eigenen Klosterschule lassen sie Mädchenschulen eröffnen. Der Einsatz für eine umfassende Bildung auf christlichem Fundament veranlasst erste Einheimische, sich den Schwestern anzuschließen. Sr. Bernarda wird Leiterin einer wachsenden Kongregation. Nach sieben Jahren führt eine Revolution in Ecuador zur staatlichen Enteignung der Kirche. Die mittlerweile 14 Missionsfranziskanerinnen wechseln nach Kolumbien. Vom neuen Zentrum in der Hafenstadt Cartagena aus sendet die Generaloberin Schwestern bis nach Brasilien und eine Equipe nach Österreich, um Ressourcen für ihre Entwicklungsarbeit zu gewinnen.