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Die gegenwärtige weltweite pandemische Ausbreitung des Coronavirus Sars-CoV-2 und die hohe Anzahl von Patienten mit schweren Formen der Sars-CoV-2- Infektionserkrankung Covid-19 stellt die Gesundheitsund Sozialeinrichtungen in Deutschland vor große organisatorische und klinische Herausforderungen. Es ist damit zu rechnen, dass die Anzahl der Patienten, die einer Behandlung im Krankenhaus bedürfen, die Kapazität an Krankenhausbetten übersteigen wird. Dieses Problem betrifft insbesondere die Kapazitäten auf den Intensivstationen. Daher ist zu erwarten, dass in den Krankenhäusern ethisch schwierige Entscheidungen über die Auswahl von Patienten getroffen werden müssen, bei denen die Notwendigkeit besteht, eine intensivmedizinische Behandlung zu beginnen und gegebenenfalls über einen längeren Zeitraum fortzusetzen. Die vorliegende medizin- und pflegeethische Stellungnahme bietet Orientierung und skizziert konkrete Verlaufspfade in der intensivmedizinischen Behandlung.
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Seitenzahl: 47
Veröffentlichungsjahr: 2020
Die vorliegende Stellungnahme Ethische Empfehlungen über Beginn und Fortführung einer intensivmedizinischen Behandlung bei nicht ausreichender Behandlungskapazität versteht sich als ethische Orientierungshilfe in Zeiten von durch die Pandemie mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 bedingten möglichen Versorgungsengpässen in Teilbereichen des Gesundheitswesens. Die Autoren wollen mit der nachfolgenden Handreichung insbesondere konfessionellen Trägern von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen und ihren Mitarbeitenden aber auch den Patienten und ihren Angehörigen1 eine Orientierung in ethisch schwierigen Entscheidungssituationen bieten. Ziel ist es, zu ethisch begründeten Empfehlungen im Zuge von Entscheidungsfindungen bei nicht ausreichenden intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten zu gelangen.2 Die vorliegende Stellungnahme gliedert sich in zwei Teile:
Teil A fungiert als Executive Summary und bildet die Kernaussagen und Empfehlungen der Stellungnahme ab. Teil A ist vor allem für die schnelle entscheidungsfallbezogene Orientierung konzipiert und im Empfehlungsteil (Kapitel 2) ähnlich einer Checkliste aufgebaut.
Teil B enthält eine Differenzierung unterschiedlicher Entscheidungssituationen in (medizin)ethischer Perspektive sowie Begründungen für relevante ethische Kriterien, die für klinische Entscheidungen herangezogen werden können.
Beide Teile folgen einer linearen Darstellung. Inhaltliche Doppelungen sind daher insoweit nicht zu vermeiden, als die Stellungnahme unterschiedlichen Informationsbedürfnissen, d. h. zum einen einer systematischen und rasch abprüfbaren praktischen Handlungsempfehlung (Teil A) und zum anderen einer differenzierten Begründung für ethische Argumente und Kriterien (Teil B) gerecht zu werden sucht. In Teil A wird der jeweiligen Entscheidungssituation zudem dadurch Rechnung getragen, dass die Empfehlungen für Entscheidungen über den Beginn sowie für Entscheidungen über die Fortführung intensivmedizinischer Maßnahmen in der Situation nicht ausreichender Behandlungskapazitäten getrennt aufgeführt werden.
Das Inhaltsverzeichnis führt direkt zu den Situationen, in denen aktuell Entscheidungen getroffen werden müssen.
1 Diese Publikation verwendet zur besseren Lesbarkeit durchgehend die männliche Form.
2 Vgl. dazu exemplarisch die Zusammenstellung operativer Handreichungen von Gesundheitseinrichtungen auf der Homepage der Akademie für Ethik in der Medizin: https://www.aem-online.deindex.php?id=90&tx_ttnews-%5Btt_news%5D=211&cHash =6 2b7b94cd347c31b5eb8d4f4fdde4d2b [zuletzt abgerufen am 05.05.2020].
Teil A: Zusammenfassung und Empfehlungen
Zusammenfassung
1.1 Einleitung
1.2 Entscheidungssituationen
1.3 Fallkonstellationen
1.4 Ethische Kriterien
Empfehlungen
2.1 Entscheidung über den Beginn einer intensivmedizinischen Behandlung
2.2 Entscheidung über die Fortführung einer begonnenen intensivmedizinischen Behandlung
2.3 Begleitende Maßnahmen
Teil B: Situationen und Begründungen der Entscheidung
Einleitung
Medizinischer Hintergrund
2.1 Das Corona-Virus Sars-CoV-2
Entscheidungssituationen
Ethische Orientierungen
4.1 Der Gedanke der Würde des Menschen
4.2 Die vier Prinzipien der biomedizinischen Ethik als Maßstab für ärztliches Handeln
4.3 Das Arzt-Patient-Verhältnis
Die gegenwärtige weltweite pandemische Ausbreitung des Coronavirus Sars-CoV-2 und die hohe Anzahl von Patienten mit schweren Formen der Sars-CoV-2-Infektionserkrankung Covid-19 stellt die Gesundheits- und Sozialeinrichtungen in Deutschland vor große organisatorische und klinische Herausforderungen. Es ist damit zu rechnen, dass die Anzahl der Patienten, die einer Behandlung im Krankenhaus bedürfen, die Kapazität an Krankenhausbetten übersteigen wird. Dieses Problem betrifft insbesondere die Kapazitäten auf den Intensivstationen. Daher ist zu erwarten, dass in den Krankenhäusern ethisch schwierige Entscheidungen über die Auswahl von Patienten getroffen werden müssen, bei denen die Notwendigkeit besteht, eine intensivmedizinische Behandlung zu beginnen und gegebenenfalls über einen längeren Zeitraum fortzusetzen.
Das Vertrauen von Patienten, ihren Angehörigen sowie dem Klinikpersonal in die behandelnden Institutionen wird in dieser Situation in erheblichem Maße davon abhängen, dass solche Entscheidungen anhand ethisch reflektierter Kriterien getroffen werden, begründet erfolgen und transparent gemacht werden. Es ist davon auszugehen, dass hiervon in entscheidendem Maße das Vertrauen von Patienten und Klinikpersonal in die behandelnden Institutionen bei schwierigen Entscheidungssituationen abhängen wird.
Im Zusammenhang mit einer intensivmedizinischen Behandlung stellen sich komplexe Entscheidungssituationen. Grundsätzlich müssen die beiden Entscheidungen voneinander unterschieden werden,
ob bei einem Patienten eine intensivmedizinische Therapie begonnen werden soll, und
ob und inwieweit eine begonnene intensivmedizinische Behandlung fortgeführt werden soll.
Beide Fragen stellen sich auch in normativer Hinsicht jeweils unterschiedlich dar. Konkret geht es in beiden Fällen um die Frage, ob quantitativ ausreichende Behandlungskapazitäten zur Verfügung stehen, um alle therapiebedürftigen Patienten zu behandeln, oder ob die Behandlungskapazitäten nicht ausreichen. Entscheidungen über den Beginn einer intensivmedizinischen Behandlung bei nicht ausreichenden Behandlungskapazitäten können zudem in zwei unterschiedlichen Situationen erforderlich werden, zum einen bei der Konkurrenz mehrerer behandlungsbedürftiger Patienten zum gleichen Zeitpunkt und am gleichen Ort um einen Behandlungsplatz und zum anderen bei zum Aufnahmezeitpunkt eines Patienten zwar noch freien, aber absehbar oder unmittelbar bevorstehend nicht mehr ausreichenden Behandlungskapazitäten. Für diese nachstehend aufgeführten fünf Fallkonstellationen ergeben sich folgende Bewertungen:
(1) Beginn einer intensivmedizinischen Behandlung bei ausreichenden Behandlungskapazitäten
Der Beginn einer intensivmedizinischen Behandlung steht unter den üblichen Bedingungen für die Legitimierung ärztlichen Handelns, d. h.
dem Vorliegen einer medizinischen Indikation, die anhand (a) der medizinischen Notwendigkeit für eine intensivmedizinische Behandlung anhand objektiver medizinischer Kriterien und (b) dem uneingeschränkten Individualnutzen der Behandlung für den betreffenden Patienten zu beurteilen ist, sowie
der Einwilligung des Patienten in Form einer Willensbekundung, die aktuell geäußert oder in Form einer Patientenverfügung erklärt oder zu einem früheren Zeitpunkt von dem Patienten mündlich geäußert wurde, oder der Eruierung des mutmaßlichen Willens des Patienten, wenn seine Einwilligung in der vorgenannten Form nicht vorliegt.
(2) Beginn einer intensivmedizinischen Behandlung bei aktuell nicht ausreichenden Behandlungskapazitäten
In der Situation nicht ausreichender Behandlungskapazitäten muss eine Auswahl der behandlungsbedürftigen Patienten erfolgen (Prüfung vor Beginn einer Behandlung, ex ante-Prüfung). Die Entscheidungen in dieser Situation umfassen zunächst immer eine Prüfung der grundsätzlichen Eignung des Patienten für eine intensivmedizinische Behandlung, die nach den in (1) aufgeführten Kriterien der medizinischen Indikation und der Einwilligung des Patienten erfolgt. Daran schließt sich die Auswahlentscheidung an, für die eine Entscheidung nach dem Muster der Triage gerechtfertigt ist. Hierfür lassen sich folgende Kriterien formulieren:
Gesamtziel ist die Minimierung der Anzahl von Todesfällen. Zielparameter der Entscheidung ist die Wahrscheinlichkeit, dass der zu behandelnde Patient
aufgrund
der aktuell anwendbaren intensivmedizinischen