Crash - Leann Porter - E-Book

Crash E-Book

Leann Porter

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Beschreibung

Eine atomar verseuchte Welt. Eine unbarmherzige Zweiklassengesellschaft. Ein Rebell, der sich auf ein gewagtes Spiel einlässt. Crash ist ein Outer, ein Verlierer im Regime der Sphere, in der die privilegierten Inners unter einer vor Strahlung geschützten Kuppel leben und die unterdrückten Outers für sich arbeiten lassen. Täglich riskiert er sein Leben bei illegalen Autorennen, um die Medikamente für seinen totkranken Bruder zu finanzieren. Angetrieben wird er von dem Traum, mit seinem Bruder zu den legendären Freien Menschen zu fliehen, die irgendwo außerhalb der Sphere leben sollen. Ist ausgerechnet sein schärfster Konkurrent, der sein wahres Gesicht verbirgt und nur unter dem Namen Mechaniker bekannt ist, Crashs Schlüssel zur Freiheit? Das Angebot, das der Mechaniker ihm unterbreitet, ist ebenso verlockend wie gefährlich. Crash nimmt es an und entwickelt im gemeinsamen Kampf gegen eine Intrige ungewollte Gefühle für den arroganten Inner. Kann er dem Mechaniker wirklich vertrauen, oder ist alles, was der ihm versprochen hat, nichts als eine große Lüge, die Crash das Leben kosten wird?

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Seitenzahl: 344

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Leann Porter

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2017

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© Alex M. Bronco – shutterstock.com

© Melkor 3D – shutterstock.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-124-6

ISBN 978-3-96089-125-3 (epub)

Inhalt:

Eine atomar verseuchte Welt.

Eine unbarmherzige Zweiklassengesellschaft.

Ein Rebell, der sich auf ein gewagtes Spiel einlässt.

Crash ist ein Outer, ein Verlierer im Regime der Sphere, in der die privilegierten Inners unter einer vor Strahlung geschützten Kuppel leben und die unterdrückten Outers für sich arbeiten lassen. Täglich riskiert er sein Leben bei illegalen Autorennen, um die Medikamente für seinen totkranken Bruder zu finanzieren. Angetrieben wird er von dem Traum, mit seinem Bruder zu den legendären Freien Menschen zu fliehen, die irgendwo außerhalb der Sphere leben sollen.

Ist ausgerechnet sein schärfster Konkurrent, der sein wahres Gesicht verbirgt und nur unter dem Namen Mechaniker bekannt ist, Crashs Schlüssel zur Freiheit?

1. Kapitel

Tief atmete Crash den Geruch von Benzin, Abgasen und verschmortem Gummi ein. Der berauschendste Duft der Welt. Das Aufheulen von Motoren und das ungeduldige Hupen der wartenden Fahrer klangen wie Musik in Crashs Ohren. Er lehnte sich an die Fahrertür des Wagens, mit dem er das Rennen gewinnen würde. „Worauf warten wir?“, rief er Runner zu.

Der zuckte mit den Schultern. Die Flagge in seiner Hand zeigte noch zu Boden.

Aus dem verbeulten Auto, das neben Crashs Opel parkte, stieg ein Mädchen mit spitzem Gesicht und mehreren Piercings in Brauen und Lippen. „Hey, bist du Crash?“

Crash tat so, als hätte er die Frage nicht gehört.

Das Mädchen musterte ihn neugierig. „Der Mechaniker fährt heute übrigens mit. Kommt wie immer zu spät.“

Der Mechaniker also. Für gewöhnlich wusste Crash spannende Rennen zu schätzen, doch diesmal brauchte er dringend die Kredite, die ihm der Sieg einbringen würde. Die anderen Fahrer hatten nicht die Spur einer Chance gegen ihn.

Der Mechaniker schon. Er hatte Crash bisher fünf Mal geschlagen.

Crash biss die Zähne zusammen. Ein sechstes Mal durfte es nicht geben. Jedenfalls nicht heute.

Die Motoren heulten auf, als die Fahrer mit ihrem Gas spielten. Idioten. Verschwendeten kostbares Benzin, statt sich in Geduld zu üben. Dann jedoch verstand Crash ihre Unruhe: Ein schwarzer Mazda raste röhrend die Straße entlang und kam mit quietschenden Reifen neben ihm zum Stehen. Dreck spritzte auf und verteilte sich auf Crashs ohnehin schmutziger Hose. Ohne mit der Wimper zu zucken nickte er dem Mechaniker zu. Hinter den schmierigen Scheiben konnte er nur seine Silhouette ausmachen.

Wie gewohnt trug er einen Bikerhelm, allerdings keinen weißen wie die Spebs, sondern einen mattschwarzen. Crash hatte ihn noch nie ohne Helm gesehen. Bei ihrer letzten Begegnung, einem Rennen außerhalb der City in der Sperrzone, hatte der Mechaniker das Visier hochgeklappt, als er Crash zu seinem Sieg gratulierte, und ihm einen flüchtigen Blick in spöttisch funkelnde Augen erlaubt.

Crash war egal, wie er aussah. Er wollte ihn nur schlagen, die Kredite kassieren und verschwinden.

Er stieg in seinen Wagen. Sobald er das Lenkrad umfasste, schlug sein Herz schneller. Nach ein paar tiefen Atemzügen traten die Kredite, Insu-Kits und Jamie in den Hintergrund. Für die nächsten Minuten durfte es nur das Rennen für ihn geben.

Sein rechter Fuß drückte gefühlvoll auf das Gaspedal. Es hakte kaum spürbar. Nicht gut. Sein Opel war nicht so gut in Schuss, wie er sein könnte. Das benachteiligte ihn gegenüber dem Mechaniker, der nur hervorragend gewartete Autos ins Rennen schickte. Dafür war Crash aber der bessere Fahrer. Der Beste der Outer Sphere.

Mit zusammengekniffenen Augen fixierte er Runner. Wie in Zeitlupe senkte sich die Flagge. Die folgenden Sekunden verschwammen im ohrenbetäubenden Lärm quietschender Reifen, jaulender Motoren und dem atemberaubenden Gefühl, von der Fliehkraft in den Sitz gepresst zu werden. Crash liebte diese kostbaren ersten Momente jedes Rennens, in denen sich die angestaute Spannung endlich Bahn brach. Nach einem letzten Trommelwirbel seines Herzens überfiel ihn die tiefe Ruhe, die er nur verspürte, wenn er mit einem Benziner durch die Straßenschluchten der City raste. 

Den Blick fest auf die Rennstrecke gerichtet nahm er den Wagen des Mechanikers nur als Schemen im Augenwinkel wahr. Dafür hörte er deutlich das markante Röhren von dessen Motor. Für einen Sekundenbruchteil hob er den Fuß vom Gas und schaltete, um dann rasch das Pedal bis zum Bodenblech durchzutreten. Der Opel bockte und schoss ruckelnd vorwärts. Mist!

Der Mechaniker nutzte die Verzögerung, zog an ihm vorbei und versuchte vor ihm einzuscheren. Aber da hatte er die Rechnung ohne Crash gemacht. Der riss das Steuer zur Seite und rammte ihn. Funken stoben, als die Autos meterweit auf Lackfühlung nebeneinander herfuhren. Der Mechaniker ging auf Abstand und büßte seinen Vorsprung ein.

Crashs Mundwinkel hoben sich zu einem bitteren Lächeln. Rammen war unfair. Doch was war schon fair in seinem Leben? Er fuhr nach seinen eigenen Regeln. Vor allem aber fuhr er, um zu gewinnen, nicht um als ehrenhafter Verlierer in die Geschichte der illegalen Rennen einzugehen.

Ein flüchtiger Blick in den Rückspiegel verriet ihm, dass sie die anderen Fahrer abgehängt hatten. Anfänger. Das Mädchen hatte er vorher nie gesehen. Manchmal nahmen Trottel an den Rennen teil, die nicht mal wussten, wie man richtig schaltete, nur um den Mechaniker und ihn anzugaffen. Sollten sie. Umso höher fiel die Siegesprämie aus. Statt mit Krediten hatte Crash mit Benzin bezahlt. Er hatte eine Quelle aufgetan, die hoffentlich noch lange sein Geheimnis bleiben würde: einen alten Benzintank in der Sperrzone.

Die verwitterten Überreste eines Laternenmastes lagen quer über der Straße. Fluchend riss Crash das Lenkrad herum, konnte aber nicht verhindern, dass er das rostige Skelett mit der seitlichen Verkleidung streifte. Der Wagen protestierte mit schrillem Gekreisch.

Im schiefhängenden Seitenspiegel tauchte das verwackelte Bild des schwarzen Mazdas auf. Die Scheinwerfer blitzten wie die Augen eines Raubtiers.

Spöttisch lachend steuerte Crash um die Kurve, ohne die Geschwindigkeit zu verringern. Sein Opel geriet ins Schleudern, doch er brachte ihn zügig unter Kontrolle und stemmte den Fuß mit mehr Druck auf das Gaspedal. In der einsetzenden Dämmerung huschten die überwucherten Ruinen des ehemaligen Fabrikgeländes an ihm vorbei. Noch eine Kehre, dann erreichte er den Startpunkt des Rennens. Mit Vollgas raste er weiter und ließ die Zuschauer hinter sich, hüpfende und winkende gesichtslose Figuren.

Der Mechaniker war ihm auf den Fersen. Wieder versuchte er, sich an ihm vorbeizudrängen. Crash fuhr Zickzack, um die Bemühungen des Mechanikers zu vereiteln. Doch als er den Wagen erneut herumreißen wollte, reagierte das Steuer sekundenlang nicht. Diese Zeit genügte dem Mechaniker, um an ihm vorbei zu ziehen und sich vor ihn zu setzen.

Das war's.

Der bittere Geschmack der bevorstehenden Niederlage biss in Crashs Zunge. Er hieb mit beiden Fäusten auf das Lenkrad und brüllte: „Scheiße!“

Am liebsten hätte er die Rennstrecke verlassen und wäre ziellos durch die Sperrzone gerast, doch selbst in ihm brannte noch ein Funke Ehrgefühl. Etwas, das dem Mechaniker offenbar fehlte, denn er schob den Arm durch das Seitenfenster und zeigte Crash den ausgestreckten Mittelfinger. Dann gab er Vollgas und vernebelte Crashs Sicht mit einer schwarzen Abgaswolke.

Mit zusammengebissenen Zähnen legte Crash den Weg bis zum Ziel zurück. Er trat mehrmals heftig auf die Bremse. Der Opel quietschte empört und kam schlingernd zum Stehen.

Crash stieß die Tür auf und stieg mit weichen Beinen aus. Nur mühsam konnte er dem Drang widerstehen, der Karre einen Tritt zu versetzen. Ihm war klar, dass er dem Wagen Unrecht tat. Mit dem Opel hatte er schon einige Rennen gewonnen. Es war seine eigene Schuld, dass er ihn nicht besser gewartet hatte. Seine Kenntnisse in Sachen Automechanik beschränkten sich auf das Nachfüllen von Bremsflüssigkeit und dem Messen des Ölstands. Seit Screw sich nicht mehr um seine Autos kümmern konnte, musste er sich allein auf sein fahrerisches Können und das Glück verlassen. Und das hatte ihn schmählich im Stich gelassen.

Das T-Shirt klebte ihm schweißnass am Rücken. Der kalte Wind, der zwischen den schartigen Mauerresten hindurchpfiff, ließ ihn frösteln. Es kostete ihn einiges an Überwindung, die wenigen Schritte zu dem schwarzen Wagen zurückzulegen. Der Mechaniker lehnte lässig mit verschränkten Armen an der Motorhaube, als wartete er bereits seit einer Ewigkeit auf ihn. Dabei war Crash höchstens zehn Sekunden später ins Ziel gefahren. Sein Arm fühlte sich bleischwer an, als er ihn hob, um dem Mechaniker die Hand hinzustrecken. Einen Augenblick rechnete er damit, dass der die Geste übersehen würde, um ihn noch mehr zu demütigen. Doch der Mechaniker überraschte ihn, indem er ohne Zögern zupackte und seine Hand schüttelte.

„Gut gefahren“, sagte er gönnerhaft, die Stimme verzerrt durch das heruntergelassene Visier.

Crash rang sich ein Nicken ab. Er war froh über den Helm, denn er konnte sich nur zu gut die überhebliche Miene des Mechanikers vorstellen. Hätte er die wirklich vor sich gehabt, wäre der Wunsch, zuzuschlagen, übermächtig geworden. Nur das Wissen, dass Runner ihn für die nächsten Rennen sperren würde, hielt ihn davon ab, dem Mechaniker den Helm vom Kopf zu reißen und seinen Schädel auf das Autodach zu knallen. Mit geballten Fäusten trat er einen Schritt zurück.

Der Mechaniker zog die Schultern hoch, als spürte er Crashs Aggression. War vermutlich nicht schwer, denn Crash schnaubte wütend und sein Gesicht brannte vor Zorn.

„Du fährst gut, aber deine Wagen sind Schrott“, erklärte der Mechaniker und machte es damit noch schlimmer.

Runner schob sich zwischen sie. „Sind sie das nicht alle?“, fragte er begütigend. „Es sind nun mal alte Benziner. Herzlichen Glückwunsch, Mister M! Hier sind deine Kredite.“

Der Mechaniker steckte die Chipkarten ein, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Das bestätigte die Gerüchte, dass er ein klotzig reicher und zudem berühmter Sprössling aus der Inner Sphere war, dem es bei den Rennen nur um den Kick ging und nicht ums Überleben. Angeblich war er der Schauspieler Mick Swan, dann wieder der Sänger einer Progrockband, die gerade die Charts stürmte, oder der Boxer Roman Rules, der weniger durch seine Kampfkünste als durch sein gutes Aussehen von sich reden machte.

Crash hielt das alles für Unsinn. Er konnte sich nicht vorstellen, dass auch nur einer von diesen Promis Lust verspürte, sein Leben oder seinen Ruf bei illegalen Benzinerrennen zu riskieren.

Eine andere Erklärung für den Helm war viel wahrscheinlicher, nämlich, dass der Mechaniker bei einem Rennen oder Autoschraubereien schwere Verbrennungen im Gesicht erlitten hatte und es darum verbarg.

Warum nahm der Mechaniker überhaupt Raum in seinen Gedanken ein? Es gab Wichtigeres, um das Crash sich kümmern musste. Zum Beispiel, wie er ohne Kredite ein Insu-Kit auftreiben sollte.

Grußlos drehte er sich um und wollte in den Opel steigen, der ihn so schmählich im Stich gelassen hatte. Da legte Runner die Hand auf seine Schulter. Crash fuhr so abrupt herum, dass Runner zurückwich und beschwichtigend die Arme hob.

„Alles grün“, raunte er. „Ich will euch nur noch was sagen.“ Er sah sich rasch um, ob jemand mithörte. Doch die Zuschauer hatten ihren Spaß gehabt und waren fort. Nur das Mädchen lungerte in einiger Entfernung an ihrer Schrottkiste und warf ihnen neugierige Blicke zu. Zu weit weg, um ihrem Gespräch folgen zu können.

Verschwörerisch beugte sich Runner näher zu Crash. Der musste sich zusammenreißen, nicht angewidert das Gesicht zu verziehen. Der bekannte Organisator der Rennen stank wie eine Ratte, die seit einer Woche tot war. Mit seiner spitzen Nase und dem fliehenden Kinn ähnelte Runner sowieso einem Nagetier.

„Demnächst findet ein Rennen in der Grünen Zone statt“, flüsterte er so laut, dass er genauso gut normal hätte sprechen können. „Startgebühr sind zehn Kredite. Die Siegesprämie beträgt mindestens 200 Kredite. Es gibt einen geheimen Sponsor. Seid ihr dabei?“

Die Prämie war verlockend. Und die Grüne Zone … Crash spürte das vertraute Ziehen im Bauch, das sich jedes Mal einstellte, wenn ihn ein Rennen besonders reizte.

„Die Streckenführung wird extragiftig“, fuhr Runner fort und wackelte mit den schütteren Augenbrauen. „Rund um die Felder mit einer Zieleinfahrt durch die Lagerhallen. Es wird ein Nachtrennen.“

Das Ziehen wurde stärker. Crash sparte sich die Frage, wie sie in die Grüne Zone hineinkommen sollten. Es gab immer Spebs, die sich schmieren ließen. Dennoch bestand ein hohes Risiko. Die regelmäßig stattfindenden Rennen in der Outer Sphere interessierten die Spebs nicht sonderlich. Dabei konnten höchstens die Fahrer selbst zu Schaden kommen, und der eine oder andere unvorsichtige Zuschauer. Anders sah es bei Rennen in der Grünen Zone aus. Die Spebs mochten es gar nicht, wenn stinkende Benziner zwischen den Feldern hindurchjagten und die Arbeiter verschreckten, ganz davon abgesehen, dass der Zugang in diese Zone ohne besondere Erlaubnis verboten war. Crash brauchte die Kredite, mehr noch reizte ihn jedoch die Gefahr, die das Rennen bot. Nur wie sollte er die Startgebühr aufbringen?

„Mal sehen“, sagte er.

„Vergiss es“, kam es vom Mechaniker. Crash konnte das hämische Grinsen deutlich in seiner Stimme hören. „Mit der Karre hast du keine Chance. Bei dem Rennen fahren nur die wirklich Guten mit.“

Die Beleidigung ließ kochenden Zorn in Crash hochsteigen. Er war einer von den Guten! Der Beste, und der Mechaniker wusste das. Er wollte ihn eindeutig provozieren. Diese Einsicht beruhigte Crash ein wenig.

„Werden wir ja sehen“, murmelte er und wandte sich ab.

„Schaut ans schwarze Brett“, hörte er Runner noch sagen, bevor er die Autotür zuschlug.

Der Opel sprang beim dritten Versuch an. Crash erlaubte sich, während der Fahrt durch die Industriebrache ordentlich Gas zu geben. Viel zu schnell ließ er den unbewohnten Teil der City hinter sich. Flüchtig spielte er mit dem Gedanken, eine Runde in der Sperrzone zu drehen. Vollgas, bis der Tank leer war, das brauchte er jetzt, um wieder runterzukommen.

Dann sah er Jamie vor sich, wie er ihn tapfer anlächelte, und hasste sich für seinen Egoismus. Schlimm genug, dass er das Rennen verloren hatte, da musste er sich nicht auch noch wie ein Arschloch aufzuführen. Er hatte das Insu-Kit versprochen und er würde eins besorgen.

Langsam kurvte er durch die ausgestorbenen Straßen. Nur wenige Feuer erhellten die Dunkelheit. Die Outers verbrannten alles, was ihnen in die Finger fiel. In rostigen Fässern, Bassins und zur Not einfach auf dem splitternden Asphalt. Die Lichtanlage des Opels hatte noch nie funktioniert, seit Crash den Wagen gefunden hatte, und er vermisste sie nicht. Er wäre sowieso ohne Beleuchtung gefahren. Musik wäre allerdings nicht schlecht.

In dem Ford, dem Vorgänger des Opels, hatte es Slots gegeben, die heil gewesen waren. Crash hatte es genossen, durch die Straßen der City zu fahren, wummernde Bässe im Ohr, die das Auto zum Schwingen brachten. Noch mehr liebte er es durch die Sperrzone zu rasen, zu den aufpeitschenden Rhythmen, die seinen Puls in die Höhe schießen ließen.

Nun war die einzige Musik das Rumpeln des Motors und ein nichts Gutes verheißendes Scheppern, das Crash nicht genau zuordnen konnte. Er brauchte dringend einen neuen Schrauber. Sicher würde er keinen finden, dessen Talente auch nur annähernd an die des Mechanikers herankamen, aber er musste wenigstens jemanden haben, der ihm selbst überlegen war. Dazu gehörte wahrhaftig nicht viel.

Er bog in eine Nebenstraße ein, die von zerfallenden Wohnblocks gesäumt wurde. Die oberen Etagen der früher zehnstöckigen Häuser waren lange schon eingestürzt. Bei seiner letzten Kundschaftertour hatten die Bewohner lediglich aus Rattenhorden bestanden, aber man konnte nie sicher sein. Misstrauisch starrte Crash durch die Scheiben ins Dunkle. Keine sich verstohlen bewegenden Schatten, keine Feuer.

Er ließ den Wagen in die Tiefgarage rollen.

Der von Schlingpflanzen überwucherte Eingang war nur zu entdecken, wenn man wusste, wo er sich befand. Crash nahm die Taschenlampe aus dem Handschuhfach und stieg in der modrigen Kühle der Garage aus. Die Kurbellampen waren begehrt, da man zum Aufladen keinen teuren Strom vergeuden musste. Dafür leuchteten sie nicht sonderlich hell. Auch das kam Crash gerade Recht. Falls doch zufällig jemand vorbeikam wollte er keine Aufmerksamkeit auf sein Versteck lenken. Er angelte die Lederjacke vom Rücksitz, schlüpfte hinein und verließ nach einem letzten prüfenden Blick auf den Opel die Tiefgarage.

Wenn man die richtigen Abkürzungen kannte, war es nicht weit ins Zentrum. Geschickt wich Crash den Löchern und Schutthaufen auf seinem Weg aus. Er balancierte über die Streben einer Brücke und kletterte an brüchigen Häuserfassaden entlang. Noch eine schmale Gasse, dann tauchte er in den Trubel der City ein.

Das Zentrum stellte das Revier der Outers dar. Jede Nacht erwachte es zum Leben: Händler und mobile Essensstände säumten die Straßen, die an wenigen Stellen von elektrischen Laternen und flackernden Neonreklamen erhellt wurden. Ab und zu waberte ein Holo-Bild über die zerfallenden Fassaden. Eine nasenbetäubende Mischung verschiedener Gerüche zog durch die Luft, einige verlockend, die meisten abstoßend. Crash ignorierte seinen Magen, der zu knurren anfing, als er an einem fahrenden Grill vorbeikam. Die Fleischstücke an den Spießen sahen verdächtig nach Ratte aus.

Er drängte sich an einer Gruppe viel zu gut gekleideter Männer vorbei. Es galt in gewissen Kreisen der Inner Sphere neuerdings als schick und abenteuerlich, die City zu besuchen. Dummköpfe. Ihre Lust auf Abwechslung zu ihrem sauberen Luxusdasein hatten bereits einige mit dem Leben bezahlt und wesentlich mehr mit dem Verlust von Krediten, die sie allzu offen mit sich herumtrugen. Als würden sie darum betteln, ausgeraubt zu werden.

Verächtlich schnaubend wich Crash einem E-Scooter aus und überquerte die Straße. Wenn die Inners so weitermachten, würden die Spebs bald häufiger Patrouillen in der City fahren und es Menschen wie Crash erschweren, ihren Geschäften nachzugehen. Es reichte schon, dass sie die City mit Lautsprechern beschallten.

Im Moment lief Musik. Auf die sogenannten Nachrichten konnte Crash verzichten. Die waren sowieso alle geschönt. Erfolge bei der Ernte in der Grünen Zone, die Freigabe eines frisch dekontaminierten Gebiets, Werbung für Medis, die niemand aus der City sich leisten konnte und in letzter Zeit nervende Wahlparolen. In sechs Wochen sollte nämlich der neue Präsident der Sphere gewählt werden.

Als ob die Wahl einen Unterschied machen würde. Der jetzige Präsident scherte sich einen Dreck um die Outers und mit dem Neuen würde es genauso weitergehen, egal welcher der Kandidaten gewählt wurde.

Crash schluckte seinen Unmut hinunter und spähte in die Seitengassen, an denen er vorbeikam. Endlich entdeckte er die gebeugte Gestalt von Elias in den Schatten eines ausgebrannten Hauses. Er war allein.

Crash stieg über aus dem Boden ragende Eisenstreben, die wie rostige Finger nach ihm zu greifen schienen, und hob grüßend die Hand. Elias, wie immer in einen bodenlangen Mantel gehüllt, den Kragen hochgeschlagen, nickte knapp.

Crash blieb vor ihm stehen. „Ich brauche ein Insu-Kit.“

„Macht ein Kredit.“

„Was? Letztes Mal war das ein halbes!“

„Angebot und Nachfrage“, erwiderte Elias mit seiner heiseren Stimme. „Schon mal was davon gehört?“

Crash hatte jedenfalls genug davon gehört, dass Elias ein Betrüger war, aber welcher Medihändler war das nicht? Sie verließen sich darauf, dass Käufer auf ihre Drogen angewiesen waren und verlangten überhöhte Preise. Dummerweise hatte Crash keinen Kredit. Auch keinen halben.

„Ich gebe dir das nächste Mal fünf für drei Kits“, bot er an.

„Cash oder gar nichts“, knurrte Elias.

„Du weißt, dass ich wiederkomme, und du weißt auch, dass ich dich nicht bescheiße.“

Elias lachte keuchend und enthüllte seine gelben Zahnstummel. Sein faltiges Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. „Vom Wissen kann ich mir nichts kaufen. Netter Versuch, Rennfahrer.“

Crash hatte nicht gewusst, dass Elias von seiner Leidenschaft für die Rennen wusste, aber es wunderte ihn nicht sonderlich. Im letzten Jahr hatte er eine Glückssträhne gehabt und wochenlang jedes Rennen gewonnen. Seitdem war er bekannt, obwohl seine Berühmtheit bereits wieder abflaute und er in den Schatten des Mechanikers getreten war. Eine Idee huschte durch seinen Kopf. „Du interessierst dich für Rennen?“

Elias wiegte den Kopf.

Worauf Crash neuen Mut schöpfte. „Ich besorge dir Insiderinfos.“

„Gib mir eine. Als Beweis.“

Crash zögerte keine Sekunde. „Bald findet ein Rennen in der Grünen Zone statt. Gib mir das Insu-Kit und du bekommst die genauen Daten, sobald ich sie erfahre.“

Ein neugieriges Flackern trat in Elias Augen. „Wirst du daran teilnehmen?“

Crash hob die Schultern. „Vielleicht.“

„Die Info und das nächste Mal fünf für drei.“

„Deal.“

Crash atmete auf. Elias hatte so früh nachgegeben, dass er sich schon ärgerte, nicht mehr verlangt zu haben. Aber er brauchte das Kit zu dringend, als dass er das Risiko eingehen könnte, Elias zu verärgern. Der wühlte umständlich in seinen Manteltaschen. Crash trat von einem Fuß auf den anderen und streckte auffordernd die Hand aus. Er wollte nur noch weg und auf schnellstem Weg zur Arche.

„Hab's gleich“, murmelte Elias. „Ha, hier …“

Der Rest ging in dem Heulen einer Sirene unter. Scheinwerfer flammten auf und tauchten den Raum in gleißende Helligkeit. Geblendet riss Crash den Arm hoch, um seine Augen zu schützen.

„Spebs!“, brüllte jemand auf der Straße. „Razzia!“

Ausgerechnet jetzt! Meist hielten die Spebs-Patrouillen sich von der City fern. Warum hatten sie sich gerade diese Nacht ausgesucht, um das Zentrum zu kontrollieren?

Crash schaute sich blinzelnd nach Elias um. Doch der war bereits verschwunden, schneller als eine Ratte in ihren Unterschlupf kriechen konnte. Von jenen Viechern rannten einige zwischen den staubigen Betonsäulen herum, während Crash die Flucht antrat. Vor seinen Augen tanzten farbige Flecken. Halbblind bahnte er sich einen Weg durch die herumliegenden Trümmer. Er stolperte auf die Straße und wurde von einem Flüchtenden umgerannt. Hart landete er auf dem Asphalt.

„Allgemeine Spherenkontrolle! Bleiben Sie stehen und halten Sie ihre IPs bereit!“, ertönte eine blecherne Lautsprecherstimme.

Keuchend blieb Crash liegen, die Arme schützend über den Kopf gelegt. Der Lichtkegel eines Scheinwerfers schwang dicht an ihm vorbei. Für Sekundenbruchteile erkannte er jedes Detail des Straßendrecks, von toten Insekten bis zu undefinierbaren Essensresten, die wie Erbrochenes aussahen und auch so stanken.

Wieder in gnädige Dunkelheit getaucht wagte er, den Kopf zu heben. Er ließ ihn jedoch rasch sinken, als ein E-Mobil der Spherenbrigade nahezu lautlos an ihm vorbeizog. Lediglich die Räder rumpelten, wenn sie durch ein Schlagloch fuhren. Crash widerstand der Versuchung, aufzuspringen und loszurennen. Dann hätten sie ihn sofort. Ihm blieb die vage Hoffnung, dass der Scheinwerfer des nachfolgenden E-Mobils ihn erneut verfehlte. Soweit er sehen konnte, hatten sie zumindest die Tränengaswerfer nicht aufgepflanzt. Eine geplante Razzia schied daher aus. Vielleicht suchten sie jemanden.

Aus den Megaphonen auf den Spebs-Fahrzeugen dröhnte wieder und wieder die Aufforderung, stehenzubleiben. Der Lichtkegel des nächsten Scheinwerfers näherte sich Crash. Er spannte die Muskeln an. Da sprang wenige Meter vor ihm eine dunkle Gestalt auf und stürmte die Straße entlang. Wie durch ein Wunder waren sämtliche Grillstände und Händlerwagen verschwunden, der Flüchtige hatte also freie Bahn. Das nützte ihm allerdings nichts, denn alle Scheinwerfer richteten sich nun auf ihn. Bald würde er von Spebs umzingelt sein.

Crash wartete nicht länger. Er robbte zurück in die Ruine, in der er Elias aufgespürt hatte, und stand auf. Seine Augen mussten sich erst wieder an die Dunkelheit gewöhnen. Das nächste E-Mobil leuchtete in das zerfallene Haus. In letzter Sekunde konnte Crash sich hinter eine Säule ducken.

Verdammt, er saß hier in der Falle! So marode das Haus auch aussah, die Rückwand war intakt und bot keinen Durchschlupf. Früher oder später würden die Spebs ihn hier entdecken. Und mit einem IP konnte er zurzeit nicht dienen. Fluchend schlug er den Hinterkopf an die Betonsäule. Sie würden ihn einsperren, bis seine Identität geklärt war, ihn chippen und ins Arbeitslager schicken. Das durfte nicht geschehen. Jamie brauchte ihn.

Ein vertrautes Geräusch mischte sich in die blechernen Durchsagen. Ein röhrender Motor. Klang genau wie der Wagen des Mechanikers.

Crash hielt den Atem an und spähte hinter der Säule hervor. Der Kerl traute sich was, mit einem Benziner im lässigen Schritttempo durch die City zu fahren, während die Spebs unterwegs waren. Wie um die Patrouille zu verhöhnen hatte er das Soundsystem voll aufgedreht. Dumpfe Bässe wummerten aus den offenen Fenstern.

Crash wartete, bis der Mazda auf seiner Höhe war, dann hechtete er nach vorn, riss die Beifahrertür auf und warf sich in den Sitz.

Der Mechaniker, der nach wie vor seinen Helm trug, gab ohne zu zögern Gas. „Schnall dich an!“

Mit aufheulendem Motor raste er an den E-Mobilen vorbei und scherte unverschämt knapp vor ihnen ein. Crash wurde gegen die Tür geschleudert.

„Anschnallen!“

Mit tauben Fingern tastete Crash nach dem Gurt. Klickend rastete er ein. Gerade rechtzeitig, denn der Wagen schoss mit einem Ruck vorwärts. Crash beobachtete, wie der Mechaniker mit ruhiger Hand schaltete.

„Der Fahrer des schwarzen Wagens wird gebeten …“, ertönte hinter ihnen die Blechstimme.

Der Mechaniker drehte das Soundsystem lauter.

Crash stemmte die Füße gegen den Boden. Er hasste es, Beifahrer zu sein. Bei den ersten Abbiegemanövern des Mechanikers musste er die Zähne aufeinanderpressen, um nicht loszubrüllen. Dann stellte er mit einer Mischung aus Erleichterung und verletztem Stolz fest, dass der Kerl zwar fuhr wie der Teufel, sich aber in der City ebenso gut auszukennen schien wie er. Und er hatte sich immer etwas darauf eingebildet, dass er in den teilweise verschütteten Straßenlabyrinthen jeden abhängen konnte.

Nun sah es ganz danach aus, dass der Mechaniker ihm ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen war. Er raste kreuz und quer durch die Außenbezirke, wie es auch Crash getan hätte, um die Spebs in die Irre zu führen.

Schließlich verließ der Mechaniker die City durch den trockenen Kanal und bremste unter einer Brücke. „Das war knapp“, stellte er fest.

Crash musterte ihn misstrauisch. Erst jetzt fragte er sich, warum der Mechaniker keinerlei Überraschung gezeigt hatte, als er sich in seinen Wagen geschwungen hatte. „Was hattest du in der City zu suchen?“

„Dich“, antwortete der Mechaniker.

Crash erstarrte. Wie es aussah, hatte der Mechaniker ihn gefunden … aber wie? Crash war nicht aufgefallen, dass der Mann ihn nach dem Rennen verfolgt hatte. Allerdings war er auch in der Wut über sein Verlieren gefangen gewesen und hatte womöglich nicht gut genug aufgepasst.

„Runner hat mir gesagt, dass du ins Zentrum zu den Medihändlern fährst“, erklärte der Mechaniker gleichmütig.

Runner! Dieser verdammte … Crash atmete tief durch. Ruhig bleiben. Bevor er sich über Runner aufregte, musste er etwas Wichtigeres herausfinden.

„Was willst du von mir?“, fragte er betont kühl.

„Dir einen Deal vorschlagen.“

Crashs Misstrauen stieg. „Nimm erst mal den beknackten Helm ab“, forderte er.

Der Mechaniker betätigte einen Schalter am Armaturenbrett. Mit einem Klacken rastete die Türverriegelung ein. „Nur damit du nicht vor Angst wegläufst“, sagte der Mechaniker.

Allein für den spöttischen Unterton hätte Crash ihn gerne geschlagen. Aber immerhin hatte er ihn erst vor wenigen Minuten aus einer mehr als misslichen Situation gerettet.

„Habe ich nicht vor.“

Crash erwartete, dass der Mechaniker eine große Show veranstalten würde. Doch er nahm einfach den Helm ab, warf ihn auf den Rücksitz und fuhr sich mit den Händen durch die verschwitzten Haare. Er grinste. „Zufrieden?“

Kein berühmter Rockstar oder Boxer. Schlimmer.

Neben Crash saß der Sohn des bekanntesten E-Mobil-Fabrikanten und Präsidentschaftskandidaten Lex Bannister. Crash kam nicht auf seinen Namen, aber er hatte ihn oft genug auf den Wahlplakaten gesehen, um ihn sofort zu erkennen. Schon auf den Plakaten hatte er auf düstere Art gut ausgesehen. Im diffusen Schein der Innenraumleuchte sah er sogar noch besser aus. Sein Haar war zwar vom Helm plattgedrückt, schien aber dennoch füllig und seidig. Es reichte ihm bis zu den Schultern und schimmerte blauschwarz. Seine Augen standen zu dicht zusammen und seine Nase war groß und ein wenig schief. Trotzdem wirkte er auf interessante Art und Weise attraktiv mit den vollen, sinnlichen Lippen und den dunklen Augen unter den markant geschwungenen Brauen. Ein Gesicht, das man nicht so schnell vergaß, wenn man es einmal gesehen hatte.

Darum also der Helm.

Crash fand seine Stimme wieder. „Warum sollte ich Angst vor dir haben?“

„Ich könnte auf die Idee kommen, dich zu töten, weil du mein Gesicht kennst.“

Crash schnaubte verächtlich. „Vorhin wolltest du noch einen Deal mit mir. Okay, du bist der Sohn vom Bannister. Und? Wen juckt's.“

„So einige, glaub mir. Wenn durchsickert, dass ich bei den illegalen Rennen mitfahre, wird mein Vater dafür sorgen, dass sie nicht mehr stattfinden. Und ich mag die Rennen.“

„Das haben schon andere versucht.“

„Du kennst meinen Vater nicht.“

Crash musterte den Mechaniker neugierig. Er sah jünger aus, als er ihn sich vorgestellt hatte. Und gesund. Reine Haut, volles Haar, klare Augen. Eindeutig ein Inner. Jamie könnte auch so aussehen, wenn ihn ein unfaires Schicksal nicht dazu verdammt hätte, in der Outer Sphere auf den Tod zu warten.

„Also, was willst du? Ich hab genug Zeit verschwendet“, knurrte Crash.

„Ich will dich als Fahrer für das große Rennen in der Grünen Zone engagieren.“

Crash wusste nicht, womit er gerechnet hatte. Damit jedenfalls nicht. „Wieso?”, platzte es aus ihm heraus. „Du bist doch selbst ein guter Fahrer. Naja, halbwegs.“

Der Mechaniker lachte. „Nicht so gut wie du. Keine Sorge, das ist kein Kompliment, sondern nur die Wahrheit.“ Er beugte sich vor, sodass Crash den angespannten Zug um seine Mundwinkel sehen konnte. „Ich muss dieses Rennen gewinnen. Zusammen sind wir unschlagbar. Ich stelle dir den besten Wagen zur Verfügung, den du in der Sphere finden kannst, und du fährst ihn zum Sieg.“

„Nein.“

Der Mechaniker fuhr zurück und starrte Crash an, als hätte er ihn geohrfeigt. „Du hast noch nicht gefragt, was für dich dabei herausspringt.“

„Ist mir egal. Ich arbeite nicht mit dir zusammen. Ich fahre nur für mich. Mit meinen Autos.“

Allein die Vorstellung, nach der Pfeife dieses arroganten Schnösels tanzen zu müssen, verursachte Crash Übelkeit. So tief war er noch nicht gesunken.

Der Mechaniker stieß die Luft aus. „Dann wirst du mit deinen Autos verlieren. Die sind mies in Schuss.“

Erzähl mir was Neues, dachte Crash. Laut sagte er: „Um dich zu schlagen reicht es.“

„Bei dem Rennen in der Grünen Zone werden andere Kaliber am Start sein. Das wird eine richtig große Sache.“

„Andere Kaliber?“ Crash zog die Brauen hoch. „Du meinst, gelangweilte Inners wie dich, die zwar perfekt gewartete Benziner haben, aber nicht mit ihnen umgehen können?“

„Ja, da liegst du gar nicht so falsch. Nur, dass die auch Fahrer engagieren und sie trainieren werden.“

Crash war gleichgültig, woher der Mechaniker das wusste. Als Inner und Sohn eines hohen Tieres hatte er sicher seine Quellen.

„Du hast keine Chance“, fuhr der Mechaniker fort. „Tu dich mit mir zusammen und ich überlasse dir die komplette Siegesprämie.“

Crash ließ seinen Gurt aufschnappen. „Was an dem Wort Nein verstehst du nicht?“

„Denk drüber nach. Ich gebe dir bis morgen Abend Zeit. Hier, piep mich an, wenn du zur Vernunft gekommen bist, dann besprechen wir die Einzelheiten.“

Bevor Crash reagieren konnte, schob der Mechaniker ihm ein Plastikding in die Jackentasche. Mit der anderen Hand betätigte er die Entriegelung. Wortlos stieß Crash die Beifahrertür auf, stieg aus und stapfte los.

„Hey, Crash“, rief der Mechaniker ihm nach. „Ich kann dich nach Hause fahren. Oder wo immer du hinwillst.“

„Nein!“, rief Crash, ohne sich umzudrehen.

Er hörte den Mechaniker lachen. „Scheint dein Lieblingswort zu sein. Na schön. Ich warte auf deine Nachricht. Du hast nichts zu verlieren!“

Nichts, bis auf seine Freiheit, seinen Stolz und seine Selbstachtung. Crash brauchte keinen Mechaniker, um das Rennen zu gewinnen. Er brauchte niemanden. 

2. Kapitel

Eine Stunde lang marschierte Crash durch die City. Bis auf ein paar schattenhafte Gestalten, die sich rasch in die Ruinen zurückzogen, als er sich ihnen näherte, begegnete ihm keine Menschenseele. Zum Glück blieb er von weiteren Patrouillen unbehelligt.

Wie das schartige, lückenhafte Gebiss eines gefallenen Riesen ragten die dunklen Überreste der Hochhäuser in den Nachthimmel. Crash suchte sich seinen Weg über Barrieren aus Schutt und rostigen, von Pflanzen überwucherten Autowracks. Aus einem Autodach wuchs ein Baum, als wollte die Natur den Menschen den Mittelfinger zeigen.

Als Crash die Arche erreichte, waren seine Beine bleischwer, seine Fußsohlen brannten. Ihm war übel vor Hunger und Durst, doch ihm fehlte die Energie, sich um Nahrung zu kümmern. Alles, was er wollte, war eine ruhige Ecke, in der er sich ausstrecken und schlafen konnte, am besten mehrere Tage.

Er taumelte die Stufen zur Eingangstür der Arche hinauf. Die Tastatur im Rahmen verschwamm vor seinen Augen. Bevor er den Code eintippte, straffte er sich. Keine Schwäche zeigen. Er war Crash, der unverwüstliche Rennfahrer, der Rebell aus der City. Im Moment fühlte er sich wie Crash, der übermüdete Verlierer, aber das sollte niemand wissen. Besonders Jamie nicht, der sich auf seine Stärke verließ.

Erst nach dem dritten Fehlversuch fiel Crash auf, dass die rote Kontrollleuchte nicht brannte. Die Arche hatte mal wieder keinen Strom. Er hämmerte gegen die Tür. „Aufmachen, ich bin es, Crash!“

An die Wand gelehnt wartete er, bis die Tür endlich aufgerissen wurde. Er war zu müde, um Elster dafür zu tadeln, dass sie geöffnet hatte, ohne sich zu vergewissern, dass er es war. Ihr magerer Körper steckte in einem ausgeleierten T-Shirt, das ihr bis zu den Knien reichte und ihr kurzes Haar stand wirr vom Kopf ab, als hätte sie es gerauft. Grußlos drängte Crash sich an ihr vorbei. Die bevorstehende Bettelei bei Noah wollte er so schnell wie möglich hinter sich bringen.

„Noah ist stinksauer“, flüsterte Elster ihm zu. „Du hättest schon vor Stunden mit dem Insu-Kit hier sein sollen.“

Crashs Vorfreude auf das Gespräch mit Noah stieg – nicht! „Oh, natürlich“, stieß er grimmig hervor. „Wie konnte ich mich nur verspäten! Ich musste ja nur ein Rennen fahren, den Dealer in der City auftreiben und vor den Spebs fliehen.“

Elster schlug die Hand vor den Mund, ihr spitzes Gesicht wurde blass. „Was? Die Spebs waren in der City?“

„Ja.“ Crash seufzte. Warum hatte er davon angefangen? Elster würde nicht locker lassen, bis er ihr alles erzählt hatte.

Er war beinahe dankbar, als Noah in den Flur trat. Im flackernden Licht der vom Notstromaggregat gespeisten Deckenlampe wirkte sein Gesicht mit den tief in den Höhlen liegenden Augen wie ein Totenschädel.

„Hast du das Insu-Kit?“

„Nein.“

Crash versuchte, Noahs Blick standzuhalten und musste schließlich doch die Lider senken. Er hatte den Ausdruck von Enttäuschung und Verachtung schon zu oft in Noahs Augen gesehen. Und er hasste ihn.

„Komm mit“, sagte Noah leise.

Elster zwinkerte Crash aufmunternd zu. Er konnte sich nicht zu einer Reaktion aufraffen.

Stumm folgte er Noah in die Küche, die der Arche als Gemeinschaftsraum diente. Hier wurde gemeinsam gekocht, gegessen und so manches Gespräch geführt. Abends herrschte hier ein reges Treiben. Doch jetzt, mitten in der Nacht, lagen die Bewohner der Arche in ihren Betten. Bis auf wenige Ausnahmen wie Elster, die bald zu ihrer Schicht in der Inner Sphere musste, und Noah, der niemals zu schlafen schien. Die Lampe über dem großen Küchentisch flackerte, ging aus und erwachte nach ein paar stockdunklen Sekunden zu schwachem Leben.

„Hast du die Stromrechnung nicht bezahlt?“, witzelte Crash lahm.

Noah sank auf einen Stuhl und vergrub das Gesicht in den Händen. Offenbar war er nicht in Stimmung für Scherze, genauso wenig wie Crash.

Er setzte sich Noah gegenüber an den Tisch und wartete auf die unvermeidlichen Vorwürfe. Wie immer würde er sie zu einem Ohr hinein und zum anderen hinausgehen lassen und sich zu Jamie verziehen. Hoffentlich machten sie es kurz.

Noah hob den Kopf und musterte Crash aus geröteten Augen. Crash wusste, dass er achtundzwanzig war. In diesem Moment sah er aus wie vierzig. Tief eingegrabene Falten zogen sich von seinen Nasenflügeln zu den Mundwinkeln.

„Wie lange willst du noch so weitermachen?“

Crash hob die Schultern. Er starrte auf die verkratzte Tischplatte und ließ Noah reden.

„Die Arche ist eine Gemeinschaft. Jeder trägt etwas dazu bei. Wer das nicht will oder kann, hat hier nichts verloren. Du hast mir dein Wort gegeben, dass du für Jamie aufkommst, doch du brichst es immer wieder. Seit zwei Wochen habe ich von dir weder Insu-Kits noch Kredite gesehen. Ich würde deinen Bruder ohne Bezahlung hier wohnen lassen, wenn ich könnte, aber so läuft das nicht. Du siehst den Ernst der Lage wohl nicht ein. Wenn du bis nächste Woche nicht zahlst, ist hier kein Platz mehr für Jamie.“

Crashs Kopf ruckte hoch. „Was? Du wirfst Jamie raus?“, stieß er fassungslos hervor. „Du weißt genau, dass er krank ist! Willst du, dass er stirbt?“

Noahs Gesichtszüge verhärteten sich. „Willst du es denn? Es liegt an dir. Du kannst jederzeit eine Arbeit in der Sphere anfangen.“

Crash war benommen von Noahs Drohung. Meinte er das wirklich ernst?

„Was schwebt dir denn vor?“, fuhr er Noah an, schroffer als beabsichtigt. „Soll ich in der Grünen Zone in verseuchtem Boden herumgraben oder mich gleich zur Windkraftwartung in der Sperrzone melden?“

„Wir arbeiten alle in der Grünen Zone“, erwiderte Noah kühl. „Nur du bist dir zu gut dafür. Weil du unbedingt ein Rebell sein willst, riskierst du das Leben deines Bruders. Sieh es endlich ein, Crash. Du bist kein Rebell. Du bist nichts weiter als ein fauler Dummkopf.“

Das saß. Crash hatte geahnt, wie Noah über ihn dachte, aber so deutlich ausgesprochen hatte er es bisher nie. Die verächtlichen Worte trafen härter als erwartet. Schnell wich der Schmerz dem Zorn. Brodelnd stieg er in Crash auf, brachte ihn schier zum Platzen.

„Du bist so ein Mistkerl“, zischte er. „Du bist es doch, der Jamie rauswerfen will! Gib nicht mir die Schuld daran, dass du ein Arschkriecher der Sphere bist. Macht es dir eigentlich Spaß, die Kinder, die dir vertrauen, als Arbeitssklaven zu verkaufen?“

„Wir werden alle bezahlt.“

„Ja, das sieht man.“ Crash vollführte eine umfassende Armbewegung, die sowohl die marode Kücheneinrichtung als auch die flackernde Lampe mit einschloss. „Ein baufälliges Haus, ab und zu Strom und verseuchtes Essen, das niemand in der Inner Sphere haben will. Großartiger Lohn! Merkst du immer noch nicht, dass ihr es seid, die bezahlen? Mit eurem Stolz, eurer Gesundheit und zu guter Letzt eurem Leben?“

Noah hob die Hände und rieb sich über den kahlen Schädel. „Bringt doch nichts“, murmelte er, gefolgt von einem Wort, das Crash nicht verstand.

Es machte ihn wahnsinnig, wenn Noah ihn wie ein dummes Kind behandelte, das ihm nicht mal eine Diskussion wert war. Als er mit neun Jahren in der Arche angekommen war, war er wirklich ein dummes Kind gewesen, aber das war lange vorbei. Er würde sich nicht von Noah herumschubsen und erpressen lassen.

„Arschloch“, presste Crash zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, sprang auf und verließ die Küche.

Er rannte Elster um, die natürlich gelauscht hatte. Haltsuchend griff sie nach seinem Arm. Er schubste sie unsanft weg und stürmte den Flur entlang und die Treppe hinauf. Vor Jamies Zimmer blieb er stehen. Er ballte die Hände zu Fäusten und öffnete sie wieder. Langsam stieß er die Luft aus. Jamie durfte nicht merken, das etwas nicht stimmte. Er machte sich schon zu viele Sorgen.

Schließlich fühlte Crash sich ruhig genug, um die Tür zu öffnen und ins Zimmer zu schleichen. Hätte er sich sparen können, denn Jamie saß aufrecht in seinem Bett, die Augen hellwach und glänzend. Er hielt eine Taschenlampe in der Hand. Ein Buch lag aufgeschlagen auf der Decke.

„Crash!“ Er lächelte seinen Bruder strahlend an. „Wie ist das Rennen gelaufen?“

Crash seufzte und setzte sich auf den Rand der klumpigen Matratze. „Nicht gut. Hab verloren.“

„Wieder gegen den Mechaniker?“, fragte Jamie mitfühlend.

An den Kerl wollte Crash jetzt nicht denken. „Jep. Hast du dein Insulin genommen?“

Statt einer Antwort zeigte Jamie auf das Insu-Kit auf dem Hocker neben seinem Bett. Crash atmete auf. Noah war ein Scheißkerl, aber doch nicht skrupellos genug, um Jamie die Medis zu verweigern. Noch nicht. Seine Ankündigung, Jamie aus der Arche zu werfen, war keine leere Drohung gewesen, das hatte Crash in seinem Blick erkannt.

„Erzähl von dem Rennen“, forderte Jamie ihn auf. Seine Augen blitzten neugierig.

Crash drängte die bleierne Müdigkeit zurück. Durfte er einem Jungen, der sein Zimmer kaum verlassen konnte, die Bitte nach ein wenig Aufregung aus zweiter Hand abschlagen? So spannend wie möglich gab er das verpatzte Rennen wider. Jamie hing an seinen Lippen und stöhnte enttäuscht, als er davon berichtete, wie ihn der Opel im Stich gelassen hatte.

„Du brauchst einen neuen Schrauber“, stellte Jamie fest. „Du bist einfach nicht gut darin, Benziner zu reparieren.“

„Danke“, brummte Crash. „Hast ja Recht. Und wie war dein Tag?“

Er ließ sich von Jamie die neusten Erlebnisse der Archebewohner erzählen. Schon nach wenigen Minuten driftete seine Aufmerksamkeit ab, ausgerechnet zum Mechaniker. Crash war immer noch nicht eingefallen, wie er richtig hieß. Warum wollte der Mechaniker ihn plötzlich als Fahrer anheuern und ihm auch noch die gesamte Siegesprämie überlassen? Was hatte er davon?

Crashs Lider wurden immer schwerer und schließlich stupste Jamie ihn an. „Leg dich hin, bevor du im Sitzen einpennst.“ Jamie grinste frech, doch auf seiner Stirn bildeten sich Sorgenfalten.

Crash zwang sich zu einem Lächeln. „War ein langer Tag.“

Er machte sich nicht die Mühe, sich auszuziehen, sondern legte sich einfach auf die Matte neben dem Bett.

Jamie deckte ihn zu. „Gute Nacht, großer Bruder.“

Er knipste die Taschenlampe aus. Kurz darauf zeigten seine gleichmäßigen, tiefen Atemzüge, dass er eingeschlafen war.

Crash hatte vor wenigen Sekunden noch geglaubt, er würde in Tiefschlaf sinken, sobald sein Kopf die Matte berührte. Nun fühlte er sich gleichermaßen hellwach wie todmüde. Schmerzhaft wühlte die Erschöpfung in seinen Gliedern und brachte ihn dazu, sich unruhig hin und her zu wälzen. Es gelang ihm nicht, eine halbwegs bequeme Lage zu finden, immer drückte der Boden gegen Schulter oder Hüfte. Schließlich rollte er sich auf den Rücken und starrte mit weitgeöffneten Augen in die Dunkelheit.