DANTES BAR - Peter Kiefer - E-Book

DANTES BAR E-Book

Peter Kiefer

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Beschreibung

In Kneipen und Bars kehrt sich das Innere gerne entspannt nach außen – in freilich zahlreichen Verkleidungen. DANTES BAR bietet dafür die wohlbereitete Bühne. Für einen Zauberer auf den Spuren des Glücks oder einen, der in Maßkrüge meditiert, auch ein streitendes Paar, das sich verbissen und wortreich zu Opas Waffenkammer aufmacht, eine verführerische Treuetesterin, sogar für Gevatter Tod. In Peter Kiefers Panoptikum tummeln sich schnorrende, kunstbeflissene, schlafgestörte, liebeswunde Frauen genauso wie Möchtergernbankräuber, Beziehungsflüchter, Flashmobber, revolverfuchtelnde Bibelleser. Selbst ein ganzes Haarbüschel in der Suppe verdirbt keineswegs den Gaumenspaß. Denn in DANTES BAR kippen die Abende (gar vom Alkohol unterstützt?) ein wenig aus dem alltäglichen Gleichgewicht.

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Peter Kiefer

Dantes Bar

Vierundzwanzig Geschichten

Außer der Reihe 90

Peter Kiefer

DANTES BAR

Vierundzwanzig Geschichten

Außer der Reihe 90

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

© dieser Ausgabe: Januar 2024

p.machinery Michael Haitel

Titelbild: Julius H. (Pixabay)

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Norderweg 31, 25887 Winnert

www.pmachinery.de

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 369 7

ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 739 8

Er trank Bier – sieben Becher. Sein Geist entspannte sich, er wurde ausgelassen. Sein Herz war froh und sein Gesicht strahlte.

(Gilgamesch-Epos, 2750 – 2600 v Chr.)

Ende der Vierzigerjahre zieht in der Vorstadt eine Kneipe in ein altes Jugendstilgebäude ein, dessen Fassade nach Straßenkämpfen, die noch bis kurz vor Kriegsende toben, ziemlich ramponiert worden ist. Die Kneipe nennt sich Zum Besen, wohl in Anspielung darauf, den Schutt und Dreck und das ganze Elend, das dieser Krieg hinterlassen hat, endlich beseitigen zu können, und sei es mit ein paar harten Schnäpsen. Der ursprüngliche Besitzer ist auf einem Foto abgebildet, ein dicklicher Mensch, der mit zugeknöpftem Jackett und zusammen mit einer etwas vogelig wirkenden Frau an seiner Seite, die Arme ausbreitend vor seiner Kneipentheke ein Lächeln zustande bringt. Das Foto ist, nachdem die Besitzer im Lauf der Jahre noch mehrere Male gewechselt haben, wie vergessen an der Wand hängen geblieben.

Der letzte Besen-Wirt hat schließlich aufgrund mysteriöser Begebenheiten, deren genaue Umstände nie vollständig geklärt worden sind, aufgegeben. Die Beschreibungen von Augenzeugen gehen zwar auseinander, gleichwohl ist jedes Mal von gespenstischen Erscheinungen die Rede gewesen, die den Betroffenen offenkundig Schweißausbrüche beschert haben. Brennpunkt ist dabei die Toilette am Ende eines schmalen und schwach beleuchteten Ganges. Dort vernehmen einige Gäste gelegentlich kehlige Schreie, auch wollen welche gesehen haben, dass, wenn einer das Klo verlassen hatte, die Tür noch einmal geöffnet und wieder zugeschlagen wurde.

Der Wirt meint, dass sich da gerüchteweise eine Vorstellung in den Köpfen festgesetzt habe, von der sich früher oder später jeder, der davon gehört hat, mitreißen ließe und dass die Nerven der einzelnen Besucher schon vor dem Toilettengang blank lägen und die Sinne vernebelten. Doch selbst den notorischen Skeptikern ist die Sache auf Dauer nicht mehr geheuer und wer möchte sich schon mit voller Blase und einem erst halb geleerten Glas Bier vorzeitig nach Hause quälen müssen, nur um dem Kneipenklo zu entgehen? Die Zahl der Gäste schrumpft jedenfalls kontinuierlich, bis endlich dieses Klo und mit ihm der Besen der Vergangenheit angehören.

Die Hauseigentümer lassen die Räumlichkeiten gründlich renovieren und bauen eine neue Toilette, die, hell und weiß gefliest, niemanden mehr erschauern lässt. Als Dante sie pachtet, ist der Mummenschanz schon so gut wie vergessen, zumal nun auch ein anderes Publikum hier verkehrt. Fortan nennt die Kneipe sich »Bar«. Das klingt smarter und ist weniger aufs Bier verkürzt. Dantes Bar wird zu einem Ankerpunkt in der Vorstadt, die ihrerseits von glatten Mietshausfronten, aufgeputzten Supermarktfilialen und quaderförmigen Kleingewerbehöfen plattgetüncht ist.

Anderer Leute Leben

Holger sitzt am Tresen und erzählt seine Lebensgeschichte. Jedes Mal wenn er kommt. Und er kommt oft. Dante geht das anfänglich auf die Nerven: Immer dieselben Geschichten und jedes Mal will er sie gerade ihm, der sie schon so oft hat anhören müssen, erzählen. Dante hat sich mal ein bisschen für Psychologie interessiert und ist der Meinung, Holgers Erzähleifer sei das Resultat eines progredienten Narzissmus. Aber Dante – das ist dann die andere Seite – gewöhnt sich allmählich an Holgers dramatisierte Selbstdarstellungen und kann dessen Geschichten inzwischen fast mitsprechen. Halb um Holger ein wenig zu veralbern, halb auch aus sportlichem Ehrgeiz heraus macht er den Vorschlag, sich im Erzählen mit ihm abzuwechseln, sie sollen gleichsam im Duett Holgers Geschichten vortragen, wie wäre das? Holger stimmt zu.

Es klappt auf Anhieb nicht schlecht. Vergisst einer was, und das passiert Holger genauso wie Dante, machen sie sich gegenseitig kurz darauf aufmerksam und man ist gleich wieder in der Spur. Das Schlusswort hat immer Holger, denn zwischen diesem und dem letzten Mal hat er ja wieder ein paar Tage mehr gelebt und könnte nun ein Ereignis aus dieser Zeit seiner Vita hinzuzufügen. Meistens ist aber nichts Nennenswertes geschehen, jedenfalls nichts, das in Holgers Geschichte einen erwähnenswerten Platz haben könnte. Wenn anders, muss Dante genauer aufpassen, um es demnächst ordentlich wiederholen zu können.

Mittlerweile ist Holgers Lebensgeschichte auf circa eine Stunde Erzählen angewachsen, eine ganze Menge, aber Dante geht prächtig in seiner Rolle auf. Tatsächlich vergleicht er sich mit einem Schauspieler, der zum Staunen des Publikums auch größere Textmengen bewältigt. Hinzu kommt freilich, dass er stets durch Bestellungen seiner Gäste in Anspruch genommen und daher ständig im Erzählmarathon unterbrochen wird. Auch dass er gelegentlich einen schlechten Tag hat, unaufmerksam gegenüber Holger ist und von diesem jedes Mal diskret korrigiert werden muss. Bei dieser Art des Soufflierens ist wiederum Holger Teil einer imaginären Bühne.

Dennoch, bei Dante, bei Holger hingegen keine Spur, treten Ermüdungserscheinungen auf. Dante erschrickt, weil er Holgers Geschichte inzwischen fast besser kennt, als seine eigene, er verwechselt sich sogar gelegentlich mit Holger und weiß beispielsweise nicht mehr hundertprozentig zu sagen, ob er oder Holger vor zwölf Jahren jene Reise nach Kopenhagen unternommen hatte (das er in Wahrheit bei einer ganz anderen Gelegenheit kennengelernt hat). Mehr noch, in Dante kommen sogar Zweifel auf, ob nicht doch er – und er muss sich an den Kopf fassen, um festzustellen, dass es nicht so gewesen ist –, mit Holgers Begleiterin Heidelinde damals unterwegs gewesen ist.

Wolke, seine Kellnerin, fragt ihn einmal scherzhaft, ob er sich denn im eigenen Leben noch richtig auskennt, und das bringt Dante wieder ins Psychologisieren und zu der Frage, ob er nicht schnurstracks auf dem Weg ist, eine gespaltene Persönlichkeit zu werden. Als Gegenmaßnahme, überlegt er, könnte er Holger künftig seine Lebensgeschichte auftischen, das wäre ein fairer Ausgleich. Es braucht dann zwar ein wenig Überwindung, um diesen Vorschlag über die Lippen zu bringen, aber er ist jetzt fest entschlossen.

Als Holger das nächste Mal am Tresen Platz nimmt, Dante ihm den üblichen Absinth mit dem Kännchen Wasser hinstellt und Holger mit dem alteingefahrenen Satz beginnt: Wie meine Mutter mir später erzählte, war der siebente September ein sonniger Spätsommertag, als ich …

Dante unterbricht ihn.

Heute, sagt er, erzähle ich dir mal, wie es am dreizehnten Februar ausgesehen hat, meinem Tag der Geburt, okay?

Holger setzt sein Glas ab. Deinem Geburtstag?, fragt er und starrt Dante irritiert an.

Wenn du Lust hast, sagt dieser. Aber hast du doch sicher. Das brächte etwas neuen Schwung in unser Leben.

»Unser Leben« – das ist ihm so rausgerutscht, aber vermutlich hat er es genauso gemeint.

Ich weiß nicht, sagt Holger fast schon weinerlich, ob ich mich so ohne Weiteres in das Leben anderer Leute reinfinden kann.

Das ist nur eine Frage der Übung, versucht es Dante und so fängt er nun an, ohne noch weitere Umschweife zu machen, seine Biografie auszubreiten. Immer wieder von Wolke mit Bestellungen der Gäste unterbrochen, verliert er trotzdem nicht den Faden. Dabei schielt er ständig zu Holger hinüber, will wissen, ob er in dem überhaupt noch einen Zuhörer hat. Mit seinen Schilderungen breitet Dante sich zunehmend aus. Er bekommt ein wenig Oberwasser und stellt fest, dass sie sich gleichsam von alleine erzählen und dabei Dante nun Dinge erleben lassen, die seinerzeit irgendwo in den Wolken hängen geblieben sind. Was für ein Leben tut sich da auf! Dagegen nimmt sich das von Holger ziemlich bescheiden aus, geradezu langweilig. Dante lässt sich noch eine Weile so forttragen, bis er spürt, dass er, wo ein Highlight das andere jagt, Holgers Leben im Begriff ist zu demontieren.

Aber er setzt sich am Ende auch selbst damit unter Druck. Als er nämlich seiner Gegenwart immer näher rückt, hat er sich bereits weit entfernt von seiner realen Existenz, schlichtweg davon, dass er lediglich eine kleine Bar bewirtschaftet, die er noch dazu erst mit dem Geld seines Schwagers hatte eröffnen können. Dank seiner Trinkgelder kann er leidlich, aber nicht allzu üppig davon leben. Holger besitzt immerhin ein Fotoatelier, auch nichts Großes, aber er lichtet den ein oder anderen C-Promi ab oder Frauen in erotischen Posen (wobei es einmal sogar gefunkt hat). Das sind dann Klassiker seiner Lebensgeschichte.

Mittlerweile steht Dante vor dem Problem, dass er sich bereits zum Manager einer Gastronomiekette hinaufgeredet hat und erklären muss, warum er inzwischen sechsmal die Woche hinter dem Tresen einer Vorstadtbar seinen Job verrichtet. Er hat das Gefühl, dass auch Holger darauf lauert, dass er sich verzettelt und zugeben muss, dass er nur Hirngespinste preisgegeben hat. Aber so leicht will er sein Leben nicht verschenken. Der Gedanke kommt ihm, sich als Opfer darzustellen, und er schildert plastisch, wie seine Bemühungen nach Russland zu expandieren, von der lokalen Mafia verhindert worden seien, wie man das Leitungsgremium seiner Firma mit Fakenews über ihn gefüttert habe, wie ihm, dem tapferen Fighter, irgendwann doch die Kräfte schwanden, gegen Ämter, Institutionen und die eigenen Chefs anzugehen und er begriffen habe, dass nur ein völliger Neuanfang ihn noch retten konnte. Ehrliche Arbeit, gewissermaßen an der Basis, ehe er zu einem neuen Sprung ansetzen wird. Zu einem – dieses Wort gebraucht er, trotzig die Faust ballend – Tigersprung.

Er wartet auf die Wirkung seiner Worte. Holger ist eingeschlafen, jetzt schreckt er in die Höhe. Ja, sagt er, das war … sehr … sehr aufschlussreich.

Dante sieht ein, dass sein kleiner Ausbruch ins Abenteuer kaum zu Wiederholungen taugt und allenfalls ein romantischer Zwischenruf ist zu Holgers pausbäckigem Trab durchs Leben. Unterm Strich beschreibt Holger auch seine, Dantes Situation, die naiven Erwartungen, flüchtigen Höhepunkte, verdrängten Enttäuschungen. Holgers Leben reicht wohl für beide. Dante wird sich wieder klaglos in beider Performance einfügen. Aber noch für kurze Zeit perlt der Trubel um ihn herum an den eben geweckten Träumen ab und was er selten hinter seinem Tresen tut, er gießt sich einen Wodka ein und kippt ihn in einem Zug runter.

Für dich auch einen?, fragt er Holger.

Der schüttelt etwas abwesend den Kopf und späht sein leeres Absinthglas aus.