Darkyn - Für die Ewigkeit - Lynn Viehl - E-Book

Darkyn - Für die Ewigkeit E-Book

Lynn Viehl

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Beschreibung

Vor siebenhundert Jahren hat die junge Jayr im Kampf ihr Leben für den schottischen Vampir Aedan mac Byrne gegeben. Daraufhin wurde sie von Aedan in eine Unsterbliche verwandelt und steht seither in seinen Diensten. Lange schon ist Jayr insgeheim in Aedan verliebt, doch dieser scheint ihre Gefühle nicht zu erwidern. Als Aedan beschließt, sich von der Welt zurückzuziehen, gerät Jayr in Bedrängnis. Aedans Entscheidung gefährdet nicht nur ihre Liebe, sondern auch ihr Leben ...

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Inhalt

Titel

Widmung

Zitat

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Impressum

LYNNVIEHL

Für die Ewigkeit

Roman

Ins Deutsche übertragen vonKatharina Kramp

Dieses Buch ist für Thelma Jean,

ein Mädchen, das einmal seine Haare abschnitt,

sich wie ein Junge anzog und

sich selbst Steve nannte.

Das alles tat sie, um während der Großen Depression

Arbeit zu bekommen und ihre Familie zu ernähren.

Ich bin sehr stolz darauf, Steves Enkelin zu sein.

Wie sollen wir leben, mein Lord,

für immer zusammen, auf ewig getrennt?

Die Nacht steht zwischen uns, ein Schwert,

das eisern mein schwaches Herz verbrennt.

Ich darf Euch nicht haben,

so sehr die Sehnsucht mich auch verzehrt.

Ich darf Euch nicht verlassen,

unser starkes Band es mir verwehrt.

Und so mache ich weiter wie alle Zeit,

brenne in Eden, mit Euch,

für die Ewigkeit.

– Jayr –

1

Travis Rayford bekam einen Ständer, als er den Jungen aus dem Nachtclub kommen sah.

Obwohl der Kleine zu verbergen versuchte, wie schmächtig er unter seiner metallisch-braunen Bomberjacke war, verriet ihn die enge Lederhose – lange Glieder mit wenig Fleisch dran. Er trug sein Haar, das dunkler war als seine vermeintlichen Biker-Klamotten, kurz, hatte ausdrucksvolle Augen und volle Lippen. Solche Lippen, das wusste Travis, legten sich wie ein Dichtungsring um alles, an dem sie saugten.

Ein schwuler kleiner Scheißer, der versucht, den harten Typen zu spielen. Travis griff nach unten, um sich die Eier zurechtzurücken. »Wer ist er?«

»Ich weiß nicht, wie er heißt, aber ich habe ihn hier schon öfter gesehen«, erklärte Glen Garunchek, den alle wegen seiner Liebe zu Nirvana und seines Hasses auf das Wäschewaschen Grunge nannten. Sein linkes Bein zuckte auf und ab und ließ in dem Riss seiner dreckigen Jeans ein knochiges Knie aufblitzen. »Er arbeitet in diesem Castle-Dingens an der Sechsundvierzigsten. Du weißt schon, da, wo ich immer mit Cheryl hingehen muss.«

Es donnerte hässlich und drohend über ihnen.

»Redest du vom Burger Castle?« Auf der Rückbank von Travis’ Dodge blickte Dexter Morris mürrisch von seinem Nintendo DS auf. »Geil. So viele Pommes, wie wir essen können. Lass uns hinfahr’n, Trav.«

»Ich meinte das Castle«, widersprach Grunge. Er drehte sich halb zu ihm um und sah ihn wütend an. »Drüben hinter der Interstate Vier, in dem Wald beim Lost Lake. Du weißt schon, wo die Leute sich so komisch anziehen, auf Pferden reiten und diese König-Arthur-Scheiße spielen.«

Dex sah aus dem Seitenfenster, um den Jungen zu beobachten, der jetzt auf sie zukam. Regen trommelte auf die Scheibe. »Dann ist der Typ also irgend so ein Herr der Ringe-Freak.« Er drehte sich wieder um und blies angewidert die Luft gegen seine Stirn. »Was soll’s, Mann.«

Travis sah auf die Uhr. Noch drei Stunden bis Sonnenaufgang, und wenn er bis dahin nicht ein paar Hunderter auftrieb, damit er seine ausstehende Miete bezahlen konnte, würde er nächsten Monat in Dex’ Trailer auf der Couch schlafen müssen. So sehr er auch versucht war, den Jungen in seinen hübschen kleinen Arsch zu ficken, er brauchte eine bessere Ausbeute als einen kleinen Schwächling mit Ich-blas-dir-einen-Lippen.

»Dex hat recht«, sagte er schließlich. »Er hat bestimmt kein Geld dabei.«

»Rüscht sich aber auf, als hätte er Kohle, oder nicht? Diese Ledersachen sind nicht billig. Außerdem weiß ich, dass er an mehr rankommen kann.« Grunge klang jetzt hoffnungsvoller. »Wir müssen uns ihn nur schnappen und ihn dazu zwingen, uns da reinzulassen. Er hat die verdammten Schlüssel zu dem Castle-Laden, Mann. Letztes Mal, als ich mit Cheryl da war, sind wir gegangen, kurz bevor die dichtgemacht haben, und da habe ich gesehen, wie er den Kassenraum abgeschlossen hat.«

»Und was willst du den Bullen sagen, wenn sie uns beim Einbruch in eine der Sehenswürdigkeiten hier erwischen, Spacko?« Dex hob das Bein und trat gegen die Lehne des Sitzes. Er änderte seine Stimme in eine Falsett-Version von Grunges. »Guten Abend, Officer. Hier sind meine Eier. Auf welche Art darf ich Ihnen in den nächsten zwanzig Jahren den Schwanz lutschen?«

Das leichte Tröpfeln draußen wurde zu einem heftigen Regen, während sich Travis’ Nackenmuskeln anspannten und seine Erektion nachließ. Seit sie diesen Schwulen in Daytona fertiggemacht hatten, übertrieb Dex es. Gerade war er über die Zu-Weit-Marke getreten.

»So ’ne Schwulette wie du weiß doch schon wie.« Grunge wischte sich mit dem Unterarm einen Rest Bierschaum und Schweiß von der Unterlippe. »Trav, dieses Castle macht nächste Woche für einen ganzen Monat dicht. Wenn wir da was holen wollen, dann müssen wir es jetzt machen.«

»Es regnet, Mann.« Travis trank den Rest aus seiner Budweiser-Flasche. »Bist du sicher?«

»Komm schon. Wegen ein bisschen Kleingeld will ich nicht nass werden«, meinte Dex.

Warren Ames kicherte. Er war der jüngste der vier und zog abwechselnd an seiner Zigarette oder knibbelte an einer Warze, der Patin für seinen Spitznamen. »Schätze, Dex hat Angst vor dieser Tunte. Hat Angst, sich zu verlieben.«

»Lutsch mir den Schwanz, Wart«, fuhr Dex ihn an.

»Fresse halten jetzt – er kommt.« Travis sah den großen, dünnen Jungen an ihrem Dodge Charger vorbeigehen, zum Nachtclub zurückblicken und dann auf seine Armbanduhr blicken. Er achtete nicht auf sie, hatte auch nicht irgendwie Angst, nass zu werden, aber Travis war auch mehr an seiner Uhr interessiert. Er konnte sie gut sehen. Er stieß Grunge mit dem Ellbogen an, als der Junge weiterging. »Ach du Scheiße, Mann. Hast du das gesehen? Er trägt ’ne Rolex.«

»Eine verdammte Rolex«, bestätigte Wart mit einem Johlen.

»Sag ich doch.« Grunge grinste. »Also, was sagt ihr, suchen wir uns einen neuen Freund?«

Dumm oder verrückt, dachte Travis, während er sich zurücklehnte. Niemand, der noch ganz richtig im Kopf war, ging um drei Uhr morgens allein im Regen durch diesen Teil von Orlando, nicht ohne einen Pitbull am Ende einer dünnen Leine. Aber da war er, der hübsche Junge mit der Zehntausend-Dollar-Uhr, und lief über die Straße, als würde ihm die ganze Innenstadt gehören. Schwule wie er verdienten es, verprügelt zu werden.

Und vielleicht würde Travis ihn, wenn sie mit ihm fertig waren, für die Nacht mit zu sich nach Hause nehmen. Ihm zeigen, für was er noch taugte.

»Also gut.« Travis zog den Schlüssel aus dem Zündschloss und steckte ihn ein. »Wir holen ihn uns da vorn, vor dem Ärztehaus. Er muss zwischen dem Haus und der Rückseite der Bank durchgehen, um zum Parkplatz zu kommen. Dex, du schneidest ihm von vorne den Weg ab. Grunge, du und Wart kommt von der Seite.« Er zog sich seine Sparrings-Handschuhe mit den an den Fingergelenken eingenähten Münzen an. »Ich komme von hinten.«

»Ja.« Grunge sprang aus dem Wagen.

Travis blickte Dex im Rückspiegel an, wartete jedoch, bis Wart ausgestiegen war, bevor er fragte: »Willst du da die ganze Nacht sitzen und dir einen runterholen?«

Dex schaltete seinen DS aus. »Ich habe ein schlechtes Gefühl dabei, Mann. Ich weiß, du brauchst Geld und so, aber Scheiße, du kannst auch ’ne Weile bei mir pennen.«

Die Haare in seinem Nacken stellten sich auf. »Ja? Warum? Damit du mir zusehen kannst, wie ich es deiner Freundin besorge?«

Dex’ Blick glitt zur Seite. »Sie hätte nichts dagegen.«

»Häh? Willst du mir irgendetwas sagen?« Travis griff über den Sitz und riss seinen Freund zu sich heran, sodass er nur noch wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt war. »Zieh den Schwanz aus deinem Mund und sag es.«

»Du verlierst schon wieder die Kontrolle, Trav«, schrie Dex zurück. Er hatte den Mund zusammengekniffen und die Augen angstvoll aufgerissen. »Wie in Daytona. So eine Scheiße will ich nicht noch mal erleben, Mann. Das brauche ich nicht.«

Travis sah, dass Wart und Grunge sie durch die regennassen Scheiben beobachteten, und lächelte, als er Dex losließ. »Beruhig dich, Mann. So muss es nicht wieder enden.«

»So wie du drauf bist …« Dex schüttelte den Kopf. »Ich mach da nicht mehr mit, Travis. Schlimm genug, dass ich weiß, was du gemacht hast.«

»So was passiert nicht noch mal.« Während Travis so tat, als würde er das ernst meinen, stellte er sich die Schwulette und Dex mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden in seinem Schlafzimmer vor, Handgelenke und Mund mit Klebeband verklebt. »Ich schwöre es, Mann, du bist paranoid. Ich bin nur wegen der Kohle hier, das ist alles.«

Dex zögerte. »Wegen der Kohle.«

»Ja.« Sich die beiden vorzunehmen, würde zwei Tage dauern, aber der Kofferraum des Dodge war groß, und Travis hatte jede Menge Zeit. »Komm schon, bevor er weg ist.«

Dex stieg aus, und nach einem langen Blick auf Travis trottete er davon, um den Jungen zu überholen. Wart und Grunge trennten sich und gingen schnell in entgegengesetzte Richtungen, mit nach vorne gebeugten Schultern, um den Regen abzuwehren. Blieb nur Travis, der sich ein letztes Mal umsah. Er bemerkte zwei Männer, die aus dem Nachtclub kamen: eine große Tunte und ein verdammter Hüne von Kerl mit einem merkwürdigen Kapuzenshirt. Beide gingen auf das Ärztehaus zu.

»Scheiße.« Der Regen und der Donner waren zu laut, als dass er den anderen noch etwas hätte zurufen können. Travis überlegte, ob er wieder in den Dodge einsteigen und wegfahren sollte, aber er musste heute Nacht noch Geld auftreiben, sonst war er seine Bude los. Er griff ins Auto, öffnete das Handschuhfach und holte seine 38er raus, stopfte sie sich vorne in seine Cargo-Shorts, damit sie trocken blieb, und setzte sich in Bewegung.

Der Junge war schon am Ärztehaus um die Ecke gebogen, als Travis die anderen einholte. Von hinten sah der Junge größer und kräftiger aus, lange Muskeln spielten beim Gehen unter seiner Lederhose. Die Bomberjacke bedeckte den süßen Hintern des Jungen nicht, und über dem Kragen schimmerte sein Nacken weiß unter weichem, kurz geschnittenem dunklen Haar. Der Regen hatte den Hauch von Parfüm noch nicht weggewaschen, den er hinter sich herzog; es roch süß und würzig, wie die Corn-Dog-Buden auf der Kirmes.

Travis’ Schwanz wurde unter dem feuchten Stoff seiner Shorts hart, als er sich vorstellte, wie er in den schmalen Nacken beißen und das heiße Blut des Jungen kosten würde. Er hätte wetten mögen, dass es so schmeckte, wie die kleine Schwulette roch.

Er blieb zurück, weit genug, um die Jungs in Aktion zu bewundern. Dex, dessen Klamotten tropfnass an seinem Körper klebten, trat dem Jungen in den Weg.

»Hey, Freundchen«, rief Dex. »Wo willst du hin?«

Der Junge blieb abrupt stehen, antwortete jedoch nicht. Er drehte den Kopf, zuerst in die eine, dann in die andere Richtung, während Wart und Grunge von beiden Seiten auf ihn zukamen.

»Hier geht’s nicht lang«, höhnte Wart.

Grunge kam näher. »Du arbeitest doch in diesem Castle, oder nicht? Ich hab’ dich da schon gesehen.«

Der Junge drehte sich um und stellte fest, dass Travis nur ein paar Schritte hinter ihm war. Er wirkte nicht überrascht, nur ungeduldig – oder vielleicht genervt.

»Ganz ruhig, Mann.« Travis bewegte die Finger, bevor er sie zu Fäusten ballte und seine Füße so fest es ging auf den nassen, rutschigen Asphalt stellte. Ein paar Idioten in einem der leer stehenden Gebäude in der Nähe mussten Feuer gemacht haben, denn die Luft war plötzlich warm und rauchig. »Du siehst aus, als wenn du dich verlaufen hättest.«

»Mir geht es gut.« Der Junge hatte eine tiefe, weiche Stimme, die nicht zu seinen Augen, deren Wimpern mit Regentropfen wie verziert aussahen, passte. Die Augen – dunkel, aber nicht schwarz – er konnte etwas in ihnen sehen …

»Trav.« Dex sah an ihm vorbei. »Da kommt wer.«

»Halt’s Maul.« Travis ignorierte die herannahenden Schritte, die durch Pfützen platschten, und den Kirmesbudengeruch nach süß-würzigem Rauch. »Komm schon, Junge. Du musst nicht im Regen nach Hause laufen. Wir nehmen dich im Auto mit.«

Der Junge drehte sich im Kreis und betrachtete die Männer, bevor er sich an Travis wandte. »Ich denke nicht.« Er holte etwas aus seiner Tasche – einen schwarzen Stab? – und hielt es locker an seiner Seite. »Geht nach Hause, Jungs. Sofort.«

Travis empfand den bizarren Drang, genau das zu tun: sich umzudrehen und so schnell er konnte zu seinem Dodge zurückzulaufen. Er sah Dex die Stirn runzeln, und Wart und Grunge machten tatsächlich einen Schritt zurück, doch dann kam plötzlich Wind auf und schlug ihnen mit kalter, nasser Gewalt ins Gesicht.

Die frische Luft verjagte die merkwürdige Angst aus Travis’ Kopf und ließ stattdessen heiße Wut in ihm aufsteigen. Eher fror die verdammte Hölle zu, bevor Travis Bodeen Rayford vor einer Schwulette den Schwanz einkniff und weglief.

Er zog seine 38er und zielte auf den Jungen. »Ich sagte, wir fahren eine Runde mit dem Auto.«

Der Junge streckte den Arm aus, und etwas schoss an beiden Enden des Stabs heraus, sodass er sich in eine Stange verwandelte. »Nein.«

Dex näherte sich dem Jungen von hinten, die Arme ausgebreitet und bereit, ihn zu packen. Nur dass Dex, als er zugriff, nichts als einen Arm voller Luft zu fassen bekam und aus dem Gleichgewicht geriet.

Der Junge verschwand in der Dunkelheit.

»Wo ist er hi–« Etwas ließ Dex’ Gesicht hinter einem bronzefarbenen Streifen verschwimmen.

Metall sauste durch die Luft, Wasser zischte, und etwas fauchte wie ein scharfer Donner. Dex wurde in die Luft geschleudert, flog anderthalb Meter hoch, bevor er sich zusammenrollte und mit einem lauten Ächzen zu Boden fiel. Er versuchte sich wieder aufzurichten, stöhnte und brach dann so heftig wieder zusammen, dass seine Klamotten Luft und Regenwasser furzten.

Grunge fluchte, während er auf Travis zulief und nach dem verschwommenen bronzefarbenen Streifen griff, der zwischen ihnen herumschoss. Travis blinzelte, hörte das metallische Sausen erneut und glaubte, den langen Stab des Jungen heruntersausen zu sehen. Dann machte Grunge einen perfekten Rückwärtssalto in die Tür eines Lieferanteneingangs, ließ Holz splittern, als er dagegenfiel, und rutschte dann daran herunter in eine ölige Pfütze.

Der bronzefarbene Streifen manifestierte sich zu dem Jungen, der Travis ansah. »Geh nach Hause. Jetzt.«

»Jayr«, rief eine tiefe, wütende Stimme.

Travis blickte sich um und blinzelte gegen den Regen. Er sah, dass ihm die Tunte und der Schrank den Weg abgeschnitten hatten. Er zielte auf den Boden vor ihnen und schoss zweimal, genoss das scharfe Echo der Schüsse. »Haut ab, verdammt noch mal.«

Der Schrank wollte weitergehen, aber die Tunte legte ihm eine Hand auf die Schulter, als wollte sie ihn zurückhalten.

»Na los, weg.« Travis zielte mit der Kanone auf sie, bis die Tunte den Schrank quasi um eine Ecke zog. Sicher, dass die beiden nicht mehr zurückkommen würden, schwang er den Arm herum und richtete die Waffe jetzt auf den Jungen, der zwischen ihm und Wart stand. »Lass die Stange fallen, Schwuchtel.«

Der Junge ließ die Stange über seinen Handrücken rutschen und zuschnappen, bis sie wieder auf Stablänge geschrumpft war.

»Wenn Sie auf mich schießen«, sagte er und steckte den Stab wieder in seine Jacke, »dann werden Sie nur Ihren Freund verletzen.«

Travis wischte sich mit dem Ärmel über das nasse Gesicht, um besser sehen zu können, bevor er lachte. »Genau.« Er zielte auf den Arm des Jungen und drückte den Abzug.

Ein weiß-bronzefarbener Blitz schoss vor Travis’ Gesicht durch die Luft; dann traf etwas, das sich wie ein Kantholz anfühlte, auf seine Waffe und schlug sie ihm aus der Hand. Die 38er entlud sich in Richtung Ärztehaus, und die Kugel schlug in eine zweimal zwei Meter große Glasscheibe, die in Tausende Splitter zerbarst, bevor die Waffe auf Grunges Brust liegen blieb.

Der ausgelöste Sicherheitsalarm begann zu heulen, hoch und schrill über den zitternden Basstönen des Donners.

Travis fuhr mit der Hand in den verschwommenen Streifen und griff den Jungen an der Jacke, riss ihn zurück. Dampf stieg aus der bronzefarbenen Jacke auf, und durch das Reißen zerfetzte Travis dem Jungen das nasse Shirt. Da sah er etwas, das nicht hätte dort sein sollen. »Scheiße. Du bist eine …«

Wart kam von hinten und griff sich den Jungen von der anderen Seite.

Das hätte genügen müssen, Game over, nur dass Travis’ Füße den Boden nicht mehr berührten und er plötzlich auf dem Kopf stand. Er sah Wart neben sich, der mit Armen und Beinen um sich schlug, und dann knallte der Boden gegen sein Gesicht.

Sie wurden zusammen für einen gefühlten Kilometer oder länger über den nassen Boden geschleift. Travis spuckte einen Mundvoll Blut und dreckiges Regenwasser aus. Als er den Kopf hob, sah er zwei Paar nasse Stiefel, die direkt vor seiner Nase stehen blieben.

»Junge Schakale«, sagte die Tunte mit der Stimme von James Bond. »Gibt es denn keine Polizisten in dieser Stadt?«

Der Schrank antwortete und klang genau wie dieser schottische Kerl aus Highlander. »Aye, und sie werden kommen.«

Schmerz und Angst und die Stimmen von Filmstars konnten Travis’ Überraschung nicht dämpfen. Nicht nach diesem Jungen.

»Nich’ richtig«, erklärte er den Stiefeln. Niemand hatte ihn jemals so fertiggemacht, und ganz sicher keine … »Das ist nich’ richtig.«

»Der Weg ist jetzt frei, Mylord«, sagte der Junge, der überhaupt keine Schwulette war, irgendwo über ihm. »Wir sollten uns beeilen.«

Einer der Stiefel zog sich zurück und gab Travis, der aufsah, den Blick auf den Schrank frei, dessen Kapuze nach hinten über langes blutrotes Haar und ein Gesicht voller wilder, dunkelblauer Tattoos gefallen war. »Ist das deine Schlampe, Mann?«

»Aye.« Der Stiefel schwang nach vorn, so unaufhaltsam wie der Regen. »Sie gehört mir.«

Während Aedan mac Byrne und Robin von Locksley hinten in der Limousine saßen und sich über Suzerän-Angelegenheiten unterhielten, überprüfte Byrnes Seneschallin Jayr, ob ihre feuchten Sachen Schaden genommen hatten. Der Mensch hatte ihr Shirt vorne zerrissen, aber die Lederhose schien heil geblieben zu sein. Der Regen hatte sich in dieser Hinsicht als Segen erwiesen.

Es war eine lächerliche Begegnung gewesen. Sie hatte nicht damit gerechnet, von vier Männern vor dem Nachtclub angegriffen zu werden, und hatte deshalb schneller und gewaltsamer reagiert, als wirklich nötig gewesen wäre. Dennoch hatte sie die vier außer Gefecht gesetzt und ihren Lord und seinen Gast beschützt.

Letzteres war wie immer ihre wichtigste Aufgabe als Aedan mac Byrnes Seneschallin.

»Vier gegen einen, Jayr. Du hättest mich rufen sollen.« Ihr Adjutant, Harlech, tippte auf das drahtlose Telefon-Headset, das er an seinem Gürtel trug. Sein Talent, ein besonders gutes Gehör, erlaubte es ihm, auf weitere Entfernungen zu hören als die meisten Kyn und alle Menschen. »Trage ich dieses Ding nicht deshalb, wenn ich die Limousine fahre?«

Da Jayr die Anzahl ihrer menschlichen Diener gerne auf ein Minimum beschränkte, hatte sie Harlech überredet, auch Byrnes Chauffeur zu sein. Er konnte moderne Fahrzeuge bewegen, aber was noch wichtiger war, er besaß mehr Kampferfahrung als die meisten Krieger des Jardin. Sein kühler Kopf in brenzligen Situationen und seine Fähigkeit, Bedrohungen ganz klar einzuschätzen, waren Jayr mehr als einmal sehr nützlich gewesen.

Sie mochte auch seinen Duft, den von weißen Nelken, der die Luft in der Limousine erfüllte, ohne aufdringlich zu sein.

»Es ging zu schnell.« Jayr fuhr sich mit der Hand durch das nasse Haar. »Es waren nur Kinder. Ich hätte ihre Anwesenheit riechen müssen.«

»Nach einer Nacht, in der du nur den Gestank der Stadt eingeatmet hast, und noch dazu in diesem Regen?« Harlech rümpfte die Nase. »Ich kann selbst kaum etwas riechen.«

Jayr hatte von dieser Reise in die Stadt abgeraten; es gab noch so viel zu tun, um das jährliche Turnier vorzubereiten, dass ihr kaum Zeit für alles blieb. Byrne war jedoch entschlossen gewesen, aus dem Realm zu fliehen, und seinen Wunsch abzulehnen oder jemand anderen an ihrer Stelle zu schicken, war undenkbar. Sie traute niemandem außer sich selbst zu, Byrne zu beschützen.

Ihr Gewissen korrigierte sie missmutig. Es ist wohl eher so, dass du nicht riskieren willst, dass jemand dir den Platz an seiner Seite streitig macht.

Jayr sah erneut in den Rückspiegel, dieses Mal nur für sich. Byrnes Anblick bestärkte sie in ihrem Entschluss; sie hatte ihm während der vergangenen sechs Jahrhunderte gedient, so gut sie konnte. Wenn er sie durch jemand anderen hätte ersetzen wollen, dann hätte er es lange vor dieser Nacht tun können. Daran würde sie sich klammern. Das tröstete sie, wenn nichts anderes mehr half.

Ihm zu dienen war alles, was sie jemals bekommen konnte.

Was ihre Gefühle anging, so hatte sie die Unzufriedenheit und die Sehnsucht nun schon so lange bekämpft, dass beide zu einem unbestimmten Gefühl geworden waren, das sie nur plagte, wenn sie allein war. Es ließ sie Seiten voller lächerlicher Gedichte schreiben, die häufig im Feuer landeten. Sie hätte das Gleiche mit den Zeichnungen gemacht, aber sie waren schwerer zu zerstören.

Sie zu verbrennen hätte bedeutet, ihn zu verbrennen.

Zum Glück verbrachte sie die meisten ihrer Stunden mit oder in der Nähe ihres Meisters. Die Angst zu versagen verließ sie nie, aber sie war zu einem zweiten Meister für sie geworden, der sie täglich dazu anspornte, ihre Pflichten so gut wie möglich zu erfüllen. Vielleicht würde sie sich nach weiteren sechshundert Jahren entspannen und akzeptieren, dass niemand sich besser um den Meister des Knight’s Realm kümmern konnte als sie.

Vielleicht würde ihre Liebe zu ihm mit der Zeit etwas einfacher, etwas besser zu beherrschen werden.

Im Spiegel sah Jayr, wie ihr Meister das Gespräch beendete und dann zum langsam heller werdenden Horizont starrte. Er wirkte nicht unglücklich oder wütend über die Ereignisse der Nacht, aber Byrne zeigte selten seine Gefühle. Wenn er verärgert war, dann ermahnte er sie nicht vor den Männern, sondern wartete, bis sie allein waren, um sie sich vorzunehmen.

Locksley fing ihren Blick auf und zwinkerte ihr zu.

Jayr lächelte. Sie mochte Robin von Locksley. Als Suzerän des Jardin von Atlanta kam er oft in das Realm, und alle, Menschen und Kyn, freuten sich über seine Besuche. Byrne murrte oft, dass es keine missliche Lage gab, die Rob nicht mit seinem Talent für ihn entwirren konnte, aber Jayr wusste es besser. Es waren Locksleys Humor und sein Sinn für Späße, die ihn legendär machten; es hieß, der Mann habe sogar als Mensch einen Stein zum Lachen gebracht.

Wenn dieser Stein Jayrs Meister war, dann umso besser. Byrnes Melancholie war in letzter Zeit besonders ausgeprägt gewesen. Es quälte sie, dass sie, die seine dunklen Stimmungen genau kannte und wusste, wie sie am besten zu mildern waren, den Grund dafür nicht begriff.

»Wenn du die ganze Nacht nur schweigend dasitzen willst, dann mache ich das Radio an«, warnte Harlech sie. »Ich entwickle langsam eine Vorliebe für diese ländliche Musik.«

»Country Music«, korrigierte ihn Jayr. »Ich kann sie nicht ausstehen. Die Sänger klingen alle, als würden sie in ihren Bechern ertrinken. Oder ihre Liebe in ihren Tränen ertränken.«

»Das«, erklärte Harlech ihr, »ist das Beste daran. Du solltest dir mal Faith Hill anhören.« Er seufzte. »Ich schwöre, für eine Menschenfrau sieht sie aus wie eine Göttin, und sie singt wie ein auf die Erde gefallener Engel.«

»Tatsächlich?« Jayr sah ihn an. »Ich werde Viviana mal fragen müssen, ob sie das auch so sieht.«

Die Nennung des Namens seiner Frau ließ Harlech erschaudern. »Na ja, vielleicht ist sie nicht ganz so göttlich. Jetzt, wo ich so darüber nachdenke, finde ich eigentlich, dass ihre Nase eine komische Form hat.«

Sie nickte. »Daran solltest du denken, mein Freund. Sind die Männer bereit für das Turnier?«

»Die meisten schon«, erwiderte Harlech. »Kirel möchte Silesia wegen der Rechte auf das Jagdgebiet herausfordern. Wie es scheint, können sie sich das Land, das du ihnen zugewiesen hast, nicht freundschaftlich teilen.«

»Ich hätte sie zwingen sollen, sich für den Rest des Winters von Blutkonserven zu ernähren; das hätte die Sache geregelt.« Während des Turniers würden sie alle das tun müssen, denn kein Mensch durfte während des Turniers das Realm betreten. Sie dachte kurz nach. »Ich werde morgen mit Kirel sprechen.«

Ihr Adjutant nickte. »Du solltest vielleicht auch mal nach Rainer sehen. Er taucht verdächtigerweise gar nicht auf den Listen auf. Ich glaube, dass sein Arm, den Beaumaris ihm während ihres letzten Kampfes gebrochen hat, nicht richtig verheilt ist.«

Jayr kümmerte sich oft um die leichteren Verletzungen der Männer, aber Rainer war in letzter Zeit nicht wegen irgendwelcher Schmerzen bei ihr gewesen. »Wenn der Knochen schief zusammengewachsen ist, wird sein Arm nie wieder richtig funktionieren. Warum hat Beaumaris ihn ihm gebrochen?«

»Du kennst doch Rainer. Er hat mit verbundenen Augen Dolche geworfen, um vor einigen Menschen anzugeben. Beau bekam ein Messer in die Seite und hat ihn verfolgt. Farlae hat ihn von Rain runtergeholt, während ich mich um die Menschen gekümmert habe.« Harlechs Mund verzog sich zu einem säuerlichen Lächeln. »Wenn der Arm noch mal gebrochen werden muss, kümmere ich mich gerne darum.«

Eine Hand klopfte an das Fenster hinter ihnen, und Jayr drehte sich um und fuhr die Trennscheibe zwischen ihr und Locksley herunter. »Mylord?«

»Du wirst offenbar langsamer, Jayr.« Seine langen Finger tippten auf ihre Schulter. »Deine Jacke ist kaputt.«

Jayr drehte ihren Kopf Richtung Schulter und betrachtete die kleine verbrannte Stelle, die das bronzene Leder verunstaltete. »So ist es.« Sie griff in die Jacke, um ihre Schulter zu untersuchen, die nicht verwundet war, und ertastete etwas in den Falten ihres feuchten Shirts. Sie nahm es heraus und sah auf eine flachgedrückte Kugel. »Die letzte Kugel muss zum Querschläger geworden sein.«

Byrne wandte das Gesicht vom Fenster ab und sah auf die Kugel. Sein Gesicht blieb ausdruckslos, aber die Pupillen seiner Augen zogen sich zu senkrechten Schlitzen zusammen, und die blauschwarze Iris fing an zu leuchten wie Kerzenlicht, das durch ein Glas Burgunderwein fällt. »Du bist angeschossen worden und hast nichts gesagt?«

»Ich bin nicht verletzt, Mylord.«

Byrnes Anflug von Verärgerung löste etwas Ähnliches in Jayrs eigener Brust aus, eine große Wut auf ihn, die sie nicht zulassen würde. Byrne hatte das Recht, zornig auf sie zu sein, denn sie hatte ihn und Lord Locksley beinahe in einen Hinterhalt geführt. Dass sie vorher vor diesem Ausflug in die Stadt gewarnt hatte, zählte nicht. Es war ihre Aufgabe zu dienen, nicht zu ermahnen.

Es wäre aber schön, dachte der trotzige Teil ihres Herzens, wenn er ab und zu auf mich hören würde.

Jayr wollte gerade die Jacke ausziehen, die für Anstoß gesorgt hatte, als ihr wieder einfiel, dass ihr Shirt zerrissen war. Deshalb zog sie stattdessen den Reißverschluss bis oben zu. Die ärgerliche Kugel steckte sie in die Tasche. »Vergebt mir. Ich werde mich umziehen, sobald wir wieder im Realm sind.«

Byrne sah aus, als wollte er noch mehr sagen, doch dann nickte er nur und starrte wieder nachdenklich auf die vorbeihuschenden Laternen.

»Ich hätte es nicht erwähnen sollen.« Locksley klang jetzt zerknirscht. »Es ist nur, dass ich schon seit Monaten hinter so einer Jacke her bin und sie dir eigentlich aus dem Schrank stehlen wollte. Woher hast du sie?«

»Farlae, der Gewandmeister, macht alle unsere Sachen«, erklärte Jayr. »Ich kann ihm sagen, dass er bei Euch Maß nehmen soll. Sicher kann er Euch bis Ende der Woche genauso eine machen.«

»Was, und mir damit mein angestaubtes Image ruinieren?« Seine amethystfarbenen Augen, die schon viele Damen zum Seufzen gebracht hatten, funkelten. »Niemals.«

Die Scherze des Suzeräns entlockten Byrne keine Entgegnung wie sonst, noch ein Zeichen für die wachsende Unzufriedenheit ihres Meisters. Jayr musste dafür sorgen, dass es bei dem Turnier zu keinerlei Zwischenfällen kam. Außerdem war Byrne auch schon viele Wochen ohne eine richtige Gefährtin gewesen. Obwohl Jayr diesen Teil ihrer Aufgaben hasste wie nichts sonst, würde sie einige Menschenfrauen beschaffen, die ihn unterhalten konnten, bevor die Angestellten beurlaubt wurden. Vielleicht würden zwei oder drei der Frauen, die er besonders gern mochte, es schaffen, seine merkwürdig gedrückte Stimmung zu vertreiben.

Irgendwie musste ihr das gelingen.

2

Aedan mac Byrne hatte länger gelebt, härter gekämpft und mehr Blut vergossen als einhundert sterbliche Männer. Er hatte sich als Laird der mac Byrnes durch sein Leben gekämpft und sich dann den Weg aus dem Grab gewühlt, um seinem menschlichen Lehnsherren dabei zu helfen, die Engländer zum letzten Mal aus seinem Heimatland zu vertreiben.

»Mein Highland-Dämon«, hatte Robert Bruce gesagt und Blut aus einer seiner Wunden über Byrnes Stirn geschmiert. »Du hast heute ehrenvoll und mutig gekämpft.«

Der König der Schotten war gestorben, ohne zu erfahren, dass an jenem ruhmreichen Tag in Bannockburn, als die Engländer vernichtend geschlagen worden waren von einer Armee, die nur halb so groß war wie ihre eigene, der Laird mac Byrne seine eigene wertlose Haut gerettet hatte, indem er das Leben einer Unschuldigen zerstörte.

Jayrs Leben, geopfert, um ihn zu retten.

Dass sie sich ihm freiwillig hingegeben hatte, spielte keine Rolle, das wusste Byrne. Er hatte ihre Seele genauso gänzlich und vollkommen verflucht wie seine eigene, als er sie von einem Menschen in eine Kyn verwandelte.

Byrne hatte versucht, Buße zu tun für den schrecklichen Preis, den sie für ihn bezahlt hatte. Von jenem Tag an hatte er ein Leben in Frieden gesucht. Den Verlockungen der Schlacht zu widerstehen, war nicht einfach gewesen, denn es war das einzige Handwerk, das er beherrschte, und der einzige Bereich, wo sein elender Zustand von Wert gewesen war. Aber für Jayr hatte er widerstanden, hatte gegen den Drang angekämpft, bis dieser abnahm und schließlich ganz verschwand.

Das hatte Byrne jedenfalls geglaubt.

Während der Jardin-Kriege hatte Richard Byrne zu einem seiner Generäle an der Front gemacht und zweifellos gehofft, ihn wie eine Keule zu schwingen, um jeden Suzerän zu zerschmettern, der sich weigerte, dem Highlord zu folgen. Es war ein erster Test für Byrnes Kontrolle über seinen Zustand gewesen, und er hatte gewonnen, hatte selbst im schlimmsten Kampfgetümmel einen klaren Kopf behalten.

Viele Jahre später, als Byrne Schottland hinter sich ließ, um in Amerika ein neues Leben zu beginnen, hatte seine neu gefundene eiserne Kontrolle Richard dazu gebracht, ihn über den Stand eines Kynkriegers zu erheben. Als amerikanischer Suzerän herrschte Byrne nun über mehr als dreihundert seiner Art, die sich bereits in den Kolonien niedergelassen hatten. Hier hatte er manchmal für das kämpfen müssen, was ihm gehörte, aber er hatte das Schwert als Mann ergriffen, nicht als Monster.

Sein Sieg über seinen Zustand schien vollkommen, aber Byrne wusste, dass das, was in seiner Seele lauerte, ihn niemals verlassen würde. Nichts konnte dieses schlafende Biest zerstören.

Etwas hatte es jedoch wieder aufgeweckt.

In dieser Nacht legte er in seinen Gemächern seinen Schwertgürtel ab, warf ihn zur Seite und wärmte sich am Lichtkreis des Kaminfeuers. Knight’s Realm, das kleine Königreich, das er geschaffen hatte, um den Kyn zu dienen und sie zu schützen, verfügte über alle Annehmlichkeiten des modernen Heizens und Klimatisierens, aber nichts davon erreichte seine Räume. Er hatte die Architekten angewiesen, seine Privatgemächer so zu lassen, wie sie zu seinen Lebzeiten als Mensch gewesen wären: Zellen aus nacktem, kaltem Stein, die nur von Kaminfeuer, Fackeln und Kerzen erleuchtet wurden. Nicht viel größer als die Priesterzellen, in denen er jahrelang einen Gott um Gnade angefleht hatte, der ihn nicht mehr hörte.

»Mylord.«

Der süß-würzige Duft von Gänsefingerkraut begleitete Jayr, als sie seine Gemächer betrat. Ihr Duft mischte sich leicht mit seinem eigenen und ließ die Anspannung aus ihm weichen.

»Jayr.« Es war eine Stunde her, seit sie aus der Stadt zurückgekehrt waren – so lange konnte sie nicht gebraucht haben, um sich umzuziehen. Hatte sie vergessen, was heute für eine Nacht war? »Was hat dich aufgehalten?«

»Ich dachte, ich sollte mich zuerst darum kümmern, dass Lord Locksley es bequem hat.« Sie hob seinen Gürtel und sein Schwert auf und legte beides in sein Waffenregal.

Er beobachtete sie, bemerkte das trockene Hemd und die Riemen mit Pistolen und Messern, die sie darüber am Körper trug. Er konnte sich nicht erinnern, wann er sie zuletzt unbewaffnet gesehen hatte.

Nein, die Wahrheit war, dass er es konnte. Er wollte sich nur nicht gestatten, an jenen Tag zu denken, als das Schicksal und alle seine schlauen Dämonen ihn für alle Zeit verflucht hatten.

Byrne sah ihr bei der Arbeit zu. »Ist Rob zufrieden mit seiner Unterbringung?«

»Er behauptet, dass er es ist, Mylord. Er hat auch viel über das Turnier gesprochen und über diese neuen Kyn, die von Europa herkommen.« Jayr ging zu dem Schrank in der Ecke und goss einen Becher Blutwein ein. »Ich hätte nicht so lange bei ihm bleiben sollen. Ihr müsst durstig sein.«

Aye, das war er. Wie gerne wäre er noch ein Mensch gewesen und hätte sich bis zur Besinnungslosigkeit betrunken. Eine der größten Qualen der Unsterblichkeit war es, dass er sich nur berauschen konnte, indem er einen Menschen in Entrückung versetzte und leer trank. Danach würde er dann tagelang gefangen und besinnungslos im Blutrausch verharren, aber die Kyn töteten keine Sterblichen mehr.

Heute Abend hätte er jedoch beinahe vier junge Männer in Stücke gerissen.

»Vielen Dank.« Als er das Glas, das Jayr ihm brachte, entgegennahm, bemerkte er, dass sie noch immer das ovale Gerät im Ohr trug, das es ihr gestattete, Telefonanrufe anzunehmen und mit anderen im Realm zu sprechen. »Muss dieses Ding Tag und Nacht an deinem Kopf kleben?«

»Nur während des Turniers.« Weil sie seine Abneigung gegen alle elektronischen Geräte kannte, entfernte sie das kleine Headset und drückte auf einen Schalter an der Seite des Geräts. Dann ließ sie es in ihre rechte Hüfttasche gleiten.

Byrne wusste, dass er unvernünftig war – Jayr war verantwortlich für die Führung seines Anwesens und musste deshalb alle modernen Mittel der Kommunikation einsetzen –, aber für ihn waren die meisten technischen Fortschritte der Menschen nur wenig besser als die Beulenpest. Die hoch entwickelten Waffen töteten, ohne Unterschiede zu machen; die industrielle Revolution hatte der Erde viel Schaden zugefügt; Verbrennungsmotoren hatten die Luft verpestet; Fabriken hatten das Gleiche getan und außerdem das Land und das Wasser vergiftet. Selbst die kleinen elektronischen Hilfsmittel, die Jayr benutzte, schienen Byrne eine Beleidigung zu sein. Es passte ihm nicht, dass er ein Telefon benutzen musste, um mit den anderen Kynlords zu sprechen, anstatt wie früher auf Kuriere und Diplomaten zurückzugreifen.

Byrne wollte mit diesen drahtlosen Dingern nichts zu tun haben. Wenn er mit einem seiner Männer sprechen wollte, dann tat er das verdammt noch mal von Angesicht zu Angesicht, nicht durch irgendein Spielzeug, das ihm im Ohr hing.

»Harlech hat erwähnt, dass Rainer nicht auf den Listen auftaucht«, sagte Jayr, während sie sein Schwert mit einem leicht geölten Tuch abwischte, bevor sie es wieder in die Scheide steckte.

Byrne erinnerte sich an den Kampf zwischen Rainer und Beaumaris, den Farlae abgebrochen hatte. »Der Arm?«

Sie nickte. »Ich werde tun, was ich kann, aber wenn der Knochen falsch zusammengewachsen ist, dann werde ich einen Arzt aus der Stadt holen müssen.«

»Farlae soll dir helfen; Rain wird tun, was er sagt.« Byrne wusste, dass seine Seneschallin geschickt war, wenn es um kleinere Verletzungen ging, die seine Männer sich im Training zuzogen, aber selbst ihre Talente waren begrenzt. Schade, dass sie keinen der Heilkunst mächtigen Kyn hatten, so wie Cyprien. Obwohl Byrne fand, dass dessen Quacksalber-Sygkenis schon für mehr Ärger gesorgt hatte, als sie wert war, würde sie die Kyn niemals verraten. Locksley behauptete, dass sie sogar ein Mittel gefunden hatte, um Richards Zustand als Veränderter wieder rückgängig zu machen.

Ein Lichtstrahl, der aus dem langen, schmalen Fenster fiel, ließ Byrne blinzeln. »Es dämmert schon. Weck mich eine Stunde vor Sonnenuntergang, Jayr. Rob schläft selten den ganzen Tag über, und es gibt noch Dinge, die wir besprechen müssen, bevor die anderen kommen.«

»Das werde ich.« Sie trat zu ihm und kniete zwischen seinen Schenkeln, um ihm die Stiefel auszuziehen. »Ich möchte mich entschuldigen für das, was heute Nacht passiert ist, Mylord.«

Er hob die Augenbrauen. »Dafür, dass du dich um Rob gekümmert und dir seine endlosen Erzählungen angehört hast? Ich sollte dir dafür danken. Mein Ohr brauchte eine Pause.«

»Ich meinte meine Unachtsamkeit in der Stadt.« Die Sanftheit war aus ihrer Stimme gewichen. »Ich habe mich vom Wetter ablenken lassen und die Menschen nicht bemerkt, bis sie mich umzingelt hatten.« Ihr Mund zuckte kurz. »Es wird nicht wieder vorkommen.«

Byrne betrachtete ihr Gesicht. Ihre ernsten Züge verrieten nichts, aber er kannte ihre Stimmungen besser als seine eigenen. Er hatte sie nie für einen Fehler gerügt, denn sie bestrafte sich selbst viel härter als jeder Meister das könnte – selbst wenn sie gar nichts falsch gemacht hatte.

»Wir hätten dort gar nicht hingehen sollen«, sagte er zu ihr. »Du hattest recht mit deinem Rat, so spät nicht mehr in die Stadt zu gehen.«

»Ich hätte den Angriff der Menschen vorhersehen müssen«, beharrte sie. »Ich habe ihren Geruch im Regen nicht wahrgenommen. Und selbst wenn ich das getan hätte« – sie machte eine unbestimmte Geste –, »dann hätte ich ihn vielleicht nicht beachtet.«

»Sie hielten dich für einen Mann, der allein unterwegs ist, ohne Schutz.« Byrne konnte immer noch Robs Hand auf seiner Schulter fühlen und wie er ihn aus der Gasse gezogen hatte. Irgendwie hatte sein Freund gespürt, was da in Byrne aufgeflammt war und freigelassen werden wollte. Zumindest musste er Jayr nicht erklären, warum er sich nicht eingemischt und den Angriff beendet hatte. Sie wusste besser als jeder andere, dass plötzliche, unerwartete Gewalt dieses Ding in ihm aufwecken konnte. »Sorg das nächste Mal dafür, dass Harlech oder einer der Männer uns begleiten.«

Sie versteifte sich für einen Moment. »Es waren doch nur Jungen, Mylord. Ich hatte keine Mühe, sie zu entwaffnen.«

»Ich weiß das, Mädchen.« Wie kratzbürstig sie sein konnte, selbst nach all den Jahren. Er sah, wie das Feuer in ihrem kurzen dunklen Haar spielte und es mit einem Schimmer von Bernstein und Topas überzog. »Wo hast du Rob dieses Mal untergebracht?«

»Lord Locksley wollte seine üblichen Gemächer bei den Trainingsräumen im Westflügel. Ich habe für ein warmes Bad und eine Frau gesorgt, die ihm den Rücken wäscht.« Jayr stellte die Stiefel zur Seite, und ihr Blick glitt zum Fenster. »Es ist die letzte Nacht des Vollmonds, Mylord.«

War das Entschlossenheit in ihrer Stimme oder Resignation?

»Das hatte ich vergessen.« Wie leicht es ihm fiel, sie anzulügen. Doch seine Seneschallin durfte nicht erfahren, wie ungeduldig er jeden Monat auf diese Nacht wartete, dass er die Wochen und Tage zählte und manchmal die Stunden. Weil er wusste, dass dies die Nacht der Erneuerung war, hatten sich seine dentsacérées schon in dem Moment ausgefahren, als sie den Raum betrat.

Byrne nahm die Hand, die Jayr ihm hinhielt, und spürte das leichte Gewicht der anderen, die sie auf seinen linken Schenkel legte. Das Band zwischen einem Kynlord und seinem Seneschall zu erneuern, erforderte einen kurzen, eher zeremoniellen Austausch von Blut einmal innerhalb jedes Mondzyklus. Einige Lords hatten den archaischen Brauch längst aufgegeben, aber Byrne würde das nicht tun.

Dieses monatliche Übereinkommen, diese Kommunion, diese eine selbstsüchtige Sache würde er mit ihr haben.

Byrne zog ihre Hand an seinen Mund. Wie immer musste er gegen den Drang kämpfen, seine Zähne tief in ihr Fleisch zu schlagen. Stattdessen ritzte er ihre Handfläche mit den Spitzen seiner Zähne ganz leicht. Ihre Haut, so kühl und unverwüstlich wie seine eigene, teilte sich für ihn. Nur ein paar Tropfen Blut drangen heraus, bevor der Riss wieder zuheilte, aber das reichte.

Wie immer machte ihn schon diese kleine Menge ihres Blutes schwindelig.

Jayrs Stimme streifte sein Haar, als sie erneut ihren Treueid schwor. »Ich werde alles für Euch auf mich nehmen, Mylord, und Euch für alle Tage meines Lebens als Seneschall dienen.«

Byrne hob seinen Mund von ihrer Hand, gab jedoch nicht die übliche Antwort oder bot ihr sein Handgelenk an. Er wollte nicht, dass es diesmal so schnell endete. Das hier würde vielleicht ihr letzter Austausch sein.

Bis er ging, gehörte sie ihm.

Jayr starrte zu ihm auf. Violette Ringe breiteten sich auf ihrer Iris aus, und die Form ihres Mundes sagte ihm, dass ihre Fangzähne voll ausgefahren waren. Bevor er Scham in ihrem Gesicht sehen konnte, bevor er nachdenken konnte, hob er sie hoch und setzte sie auf seinen Schenkel.

Jayr saß steif in seinen Armen. »Mylord?«

»Bleib.« Byrne zog an den Lederschnüren seines Kragens und öffnete sein Hemd. Als sie sein Angebot nicht annahm, legte er die Hand auf ihren Hinterkopf und drückte ihr Gesicht an seinen Hals. Ihre Lippen pressten sich gegen seine Haut, aber sie vergrub die Zähne nicht in ihm. »Öffne deinen Mund.«

Die sanfte Hitze ihres Atems streifte seine Haut, als sie ihm gehorchte, und als er die spitzen Enden ihrer Fangzähne spürte, drückte er ihr Gesicht gegen sich, zwang sie, ihn in den Hals zu beißen.

»Ich akzeptiere dich als meinen Seneschall«, murmelte er, während er sie an sich gedrückt festhielt und sein Blut in ihren Mund lief, »und gebe dir Arbeit, Ehre und den Schutz meines Hauses.«

Jayr stieß ein leises Geräusch aus, das über seine Haut strich, bevor sie zögernd an den beiden Wunden an seinem Hals saugte. Das leichte, köstliche Ziehen breitete sich bis in seine Brust und seinen Bauch aus, neckte ihn, sorgte dafür, dass sich alles in ihm anspannte. In diesem Moment hätte Byrne ihr jeden Tropfen Blut aus seinen verfluchten Adern gegeben, nur um sie noch ein wenig länger halten zu dürfen.

Fingerkuppen berührten seine Brust; eine kleine Handfläche legte sich dagegen. Ihr Duft wurde intensiver und dunkler, lockte ihn. Seine Brust brannte, während er gegen den immer stärker werdenden Drang kämpfte, ihr die Kleider vom Leib zu reißen und ihre Haut zu berühren. Als sie ihren Mund von seinen Wunden nahm, heilten sie bereits zu, und seine Arme, stumpf und schwer, gaben sie frei.

Jayr stand auf und hob seine Stiefel auf, trug sie hinüber an das Ende seines Bettes. Sie blieb dort stehen, mit dem Rücken zu ihm, während sie das Bett aufdeckte.

»Lord Locksley erwähnte, dass er dieses Jahr nicht am Bogenschießen teilnehmen wird.« Wie normal sie klang. »Damit andere die Chance haben, den Preis zu gewinnen.«

»Die werden sie auch nur dann haben.« Er sah, wie sie sein Kissen aufschüttelte, und wusste, dass die Berührung einen Hauch Gänsefingerkrautduft hinterlassen würde. Es war inzwischen das Einzige, das ihn in den merkwürdigen Schlaf seiner Art lullen konnte. Als sie auf dem Weg zur Feuerholzkiste dicht an ihm vorbeiging, hätte er sie fast wieder an sich gerissen. Er würde sich keine Minute länger beherrschen können. »Lass das Feuer; mir ist warm genug. Geh jetzt ins Bett, Mädchen.«

Ohne ihn. Allein. Wo er sie schon vor Stunden hätte hinschicken sollen.

Sie ging zur Tür, blieb jedoch stehen und sah ihn unsicher an. »Vergebt mir, Mylord, aber fehlt Euch etwas?«

»Hier?« Alles. Fühlte sie nichts, wenn er sie berührte? »Nein.«

»Ich meinte, gibt es etwas, das Euch bedrückt? Ihr wirkt so« – sie suchte nach dem richtigen Wort – »nachdenklich in letzter Zeit.«

»Wir müssen den Menschen noch eine letzte Vorstellung liefern, bevor mehrere Hundert Kyn in unser Haus einfallen«, erinnerte er sie. »Darunter werden auch diese Neuankömmlinge aus Frankreich und Italien sein. Sie werden nicht wissen, wie wir die Dinge hier handhaben.«

»Ich werde mit ihren Männern sprechen.« Jayr löschte die Kerzen aus Schafstalg, die sie aus Schottland importieren ließ, weil Byrne ihren Duft bevorzugte. »Gute Nacht, Mylord.«

»Warte.« Byrne stellte fest, dass er sie nicht gehen lassen konnte; er sprang auf und griff nach ihrer Schulter, um sie aufzuhalten. »Du hast die Wahrheit gesprochen, als du sagtest, dass die Kugel des Menschen dich nicht verletzt hat?«

Jayr griff nach oben und zog am Kragen ihres Hemdes, zeigte ihm ihre schmale, glatte Schulter. »Ich habe einen dummen Fehler gemacht, aber ich würde bei so etwas nicht lügen.«

Während sich die Düfte von Gänsefingerkraut und Heide um sie herum vermischten, starrte Byrne auf ihre entblößte Haut. Seine fähigste Kriegerin, die einzige Kyn, der er blind vertraute, und er konnte nur daran denken, dass ihre Haut wie frische Milch aussah.

Wie oft hatte er sich gewünscht, die Wange gegen diese Schulter legen und ihre weiche Haut an seiner rauen spüren zu können? Aber dort, auf dem Weiß, glänzten zwei gezackte Narben. Anders als die Kratzer, die er in ihre Handfläche geritzt hatte, waren die silbernen Stellen die letzten Wunden, die man Jayr in ihrem menschlichen Leben zugefügt hatte. Zwei Erinnerungen daran, was die Unsterblichkeit niemals heilen würde.

An das, was er ihr angetan hatte. Das Leben, das er ihr gestohlen hatte.

»Ich weiß, dass du das nicht tun würdest.« Sanft zog er ihr Hemd wieder an seinen Platz. »Gute Nacht, Mädchen.«

»Schlaft gut, Mylord.« Sie verbeugte sich wie immer, bevor sie das Zimmer verließ.

Byrne hob die Hand, die er benutzt hatte, um ihr das Hemd geradezuziehen. Seine Finger brannten an den Stellen, an denen sie die Narben berührt hatten. Narben, die er ihr zugefügt hatte, als sie ihn in der Fallgrube in Bannockburn fand. Narben von seinen dents acérées, die er in ihr sterbliches Fleisch geschlagen und daran gerissen hatte, weil er ihr Blut wollte.

Verflucht sei seine Seele, aber er konnte noch immer ihre Hand an seinem Hinterkopf spüren, die ihn an sie gepresst hatte, anstatt ihn wegzudrücken. Sie hatte nicht unter seinem Bann gestanden; sein Duft war von dem Schlamm in der Grube überdeckt worden. Es war die süße Wärme des menschlichen Blutes gewesen, die sie beide in die Todesträume geschickt hatte. Dort endeten seine Erinnerungen.

Genauso wie ihr Leben geendet hatte.

Bis zum heutigen Tag verstand Byrne nicht, warum sie es getan hatte. Vor ihrer Begegnung auf dem Schlachtfeld hatten sie sich noch nie gesehen. Sie hatte die Kleider einer Bäuerin getragen und die Sprache seiner Feinde gesprochen. Dennoch hatte Jayr vor sechshundert Jahren ihr menschliches Leben geopfert, damit er leben und gegen die Engländer kämpfen konnte. Und wie hatte er es ihr gedankt? Indem er sie in eine verfluchte Kreatur verwandelt hatte, verdammt dazu, an seiner Seite durch die Nacht zu wandeln.

Der Zeitpunkt, an dem es hätte enden sollen, war längst verstrichen. Er musste diese Sache für sie beide tun. Sein Verhalten am heutigen Abend hatte das überdeutlich werden lassen. Irgendwann würde sie verstehen, warum er es tat.

Irgendwann würde sie ihm vielleicht vergeben.

Michael Cyprien lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Stapel seidene Kissen und blickte auf die nackte Frau hinunter, die über seinen Beinen lag.

»Du hast sehr gut aussehende Kniescheiben«, sagte Dr. Alexandra Keller und fuhr die Linie der Knochen unter der Haut nach. »Kräftig, schön geformt, nicht zu auffällig. Sehr elegant für zwei Gelenke, die so viel auszuhalten haben, Kumpel.«

»Ich könnte dasselbe über deine Füße sagen.« Er schob seinen Daumen von ihrer Ferse zu dem Bogen ihrer Zehen. »Obwohl ich finde, dass sie eher süß als elegant sind.«

»In Frankreich vielleicht.« Sie sah ihn über die Schulter an. »Weißt du, dass ich in China von den Knöcheln abwärts ein Supermodel wäre?«

Alexandras lange Mähne aus kastanienbraunen Locken umrahmte ihr hübsches Gesicht, das ihn noch immer genauso bezauberte wie damals, als er sie zum ersten Mal sah. Damals hatte sie noch die sanften, bodenlosen Augen einer Botticelli-Madonna gehabt. Er hatte so viel von der Unschuld darin zerstört, als er ihr unabsichtlich ihr menschliches Leben nahm und sie zu seiner unsterblichen Gefährtin machte, aber jetzt sah er neue Schatten, die die alten überlagerten.

Michael befürchtete, dass sie noch immer darunter litt, dass sie von Richard Tremayne, dem Highlord der Darkyn, entführt worden war – und unter dem, was er ihr angetan hatte, während sie in seinem Schloss in Irland gefangen gehalten wurde. Für ihn war es ebenfalls ein Albtraum gewesen.

Lenk sie von diesen Gedanken ab.

»Ich dachte, wir beide könnten vielleicht zu Byrnes Winterturnier fahren«, sagte Michael vorsichtig.

Sie dachte darüber nach. »Byrne war der Rothaarige mit den Braveheart-Tattoos, oder? Sein Seneschall sah aus, als hätte er sich noch nie rasiert.«

»Byrnes Seneschall Jayr ist eine Frau«, korrigierte er sie.

»Eine Frau? Du willst mich auf den Arm nehmen.« Sie lachte. »Ist das nicht gegen die Regeln?«

»Jayr ist der einzige weibliche Seneschall unter den Kyn«, gestand Michael. »Man weiß und erzählt sich wenig über sie.«

Alexandra schob sich ein Kopfkissen unter den Kopf. »Weil sie eine Frau ist oder weil sie für Byrne arbeitet?«

»Ihre Herkunft ist geheimnisvoll – es gab keine weiblichen Templer«, erinnerte er sie. »Ich weiß, dass Byrne sie verwandelt hat und sie in seinen Dienst aufnahm, nachdem sie ihm während der Schlacht in Bannockburn das Leben rettete.«

Sie warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Das kommt mir irgendwie bekannt vor.«

»Ich habe dich nicht zu meiner Dienerin gemacht«, sagte er und hielt die Hand hoch. »Du hast mich zu deinem gemacht.«

»Ja, genau.« Sie schnaubte. »Und wie alt war das Mädchen, als Byrne seine Fangzähne in sie geschlagen hat?«

»Das weiß ich nicht genau. Offensichtlich ziemlich jung.«

»Hm.« Sie setzte sich plötzlich auf. »Warte mal. Gibt es eigentlich irgendwo da draußen Kleinkind-Vampire?«

Er schüttelte den Kopf. »Jugendliche, ja, aber keine Kinder unter vierzehn sind jemals zurückgekehrt, um durch die Nacht zu wandeln.«

Sie wirkte nicht überzeugt. »Bist du sicher? In dem ersten Buch von Anne Rice gibt es dieses Mädchen –«

»Anne wer?«

»Eine Autorin, die mir gefällt und die über Vampire schreibt«, sagte sie. »Oder, um genauer zu sein, geschrieben hat. Jetzt beschäftigt sie sich nur noch mit Jesus.«

»Wir sind keine Vampire«, erklärte er streng. »Wir sind Vrykolakas. Und meines Wissens nach sind Jamys und Jayr die Jüngsten, die jemals zurückkehrten, um durch die Nacht zu wandeln.«

»Ich liebe es, wie du das sagst«, antwortete sie leichthin. »Du lässt die Infektion mit einem genverändernden, zur Zeit der Pest entstandenen Erreger klingen wie die Liebesszenen in Phantom der Oper.«

Er hob die Augenbrauen. »Es gab Liebesszenen?«

»Ich kann mich nicht erinnern. Das könnte ich vielleicht, wenn jemand nicht zwei Minuten, nachdem ich die DVD eingelegt hatte, angefangen hätte, an meinem Ohrläppchen zu knabbern.« Sie schlug ihn mit dem Kissen auf den Arm. »War die Verwandlung bei den Kindern anders?«

»Keiner von beiden wurde während seines menschlichen Lebens noch als Kind gesehen«, erklärte er ihr. »Zu unserer Zeit zählte man mit zwölf schon zu den Erwachsenen.«

»Ihr habt Sechstklässler die Welt regieren lassen? Kein Wunder, dass es damals so chaotisch war.« Sie knabberte gedankenverloren an ihrem Daumennagel. »Eine Untersuchung von Jayrs Blut dürfte sehr interessant sein. Ich könnte sie mit der Blutprobe von Jamys und denen der erwachsenen Kyn vergleichen.«

»Warum sollte ihr Blut anders sein?«

»Sie war vielleicht noch in der Pubertät, als sie verwandelt wurde«, sagte Alexandra. »Das Alter hat viel damit zu tun, wie sich Krankheiten entwickeln und wie effektiv eine Behandlung sein kann. Wir können heute zum Beispiel fünfundachtzig Prozent der Kinder heilen, die einen bestimmten Typus von Leukämie entwickeln, weil sie sich in dem Entwicklungsstadium des Lebens befinden, das optimal für die aggressive Krebstherapie ist. Kinder und Jugendliche reagieren auch anders auf Krankheiten als Erwachsene. Das bedeutet, dass ich in Jayrs Blut vielleicht etwas finde, das in deinem und meinem fehlt. Denkst du, sie gibt mir ein paar Röhrchen voll?«

Ein unsichtbares Gewicht hob sich von seinen Schultern. »Dann fährst du mit mir zu dem Turnier?«

»Sicher. Es ist ja nicht so, dass ich plötzlich Platzangst entwickelt hätte.« Alexandra fuhr mit zwei Fingerspitzen von der Innenseite seines Knies zur Mitte des Schenkels. »Mir geht’s gut. Hör auf, dir Sorgen zu machen.«

»Du liegst nackt in meinem Bett, und ich habe deine Füße in der Hand.« Er lächelte. »Es gibt keinen Mann auf der Welt, der sich weniger Sorgen macht.«

»Für einen Vampir bist du ein verdammt schlechter Lügner.« Alexandra küsste sein rechtes Knie, bevor sie wieder ihre Wange darauflegte. »Ich lasse dich jetzt aufstehen, damit du dich anziehen und die nötigen Vorbereitungen für die Reise treffen kannst. Du musst nicht für immer an meinem Hals knabbern und meinen Körper vernaschen.«

Die Selbstverachtung in ihrer Stimme passte nicht zu dem merkwürdig gequälten Ausdruck auf ihrem Gesicht. Michael spürte, dass etwas unter ihrer Angst lag – etwas, das Alexandra ihm verschwieg, seit er sie aus Irland zurückgebracht hatte.

Er wusste, dass sie es ihm erst anvertrauen würde, wenn sie so weit war, aber vielleicht konnte er sie dazu überreden. »Philippe kann die Vorbereitungen treffen. Was mich angeht, ich knabbere lieber an deinem Hals und vernasche deinen Körper. Oder wir können auch langweilig sein und einfach nur reden.«

»Es ist so einfach mit dir. Ich glaube, deshalb habe ich mich in dich verliebt.« Sie seufzte. »Aber wenn ich dich nicht bald hier rauslasse, dann wird Philippe den Jardin alarmieren und alle herschicken, um mich von dir runterzuziehen.«

»Nicht, wenn Philippe etwas am Jardin liegt.« Er strich mit der Hand über ihren Hinterkopf. »Sorge dich nicht, chérie. Wir beide haben uns eine Auszeit verdient. Wir werden uns so viel Zeit für uns selbst nehmen, wie wir brauchen.«

»Dir geht’s gut. Ich bin diejenige, mit der etwas nicht stimmt.« Sie schlang die Arme um seine Beine. »Ich weiß nicht, was es ist, aber jedes Mal, wenn ich denke, du lässt mich allein, bekomme ich eine Panikattacke. Es ist fast schlimmer als während meiner Gefangenschaft in Richards Kerker.«

War es das, was sie beunruhigte?

»Wir sind zu lange getrennt gewesen«, erklärte er ihr. »Das hat das Band zwischen uns geschwächt. Es braucht Zeit, um wieder stark zu werden und zu heilen.«

»Dann leide ich also noch immer unter Verlustängsten? Baby, wir wissen beide, dass ich das nicht –« Das Telefon klingelte und unterbrach sie.

Michael griff nach dem Hörer und hielt ihn sich ans Ohr. »Brennt das Haus?«

»Nein, Meister«, sagte Philippe. »Vergebt mir die Störung, aber es ist Suzerän Byrne. Er besteht darauf, mit Euch zu sprechen. Er sagt, dass die Angelegenheit nicht warten kann.«

»Stell ihn durch.« Michael beobachtete, wie seine Sygkenis sich vorbeugte und seinen Oberschenkel küsste, bevor sie sich auf den Rücken rollte. Er legte die Hand über den Hörer. »Es ist Byrne. Das dauert nur einen Moment, chérie.«

»Schon gut.« Sie schwang die Beine aus dem Bett. »Lass dir Zeit.«

Er hielt sie an der Hand fest. »Wir müssen nicht nach Florida fahren. Ich bleibe gerne auf ewig mit dir im Bett.«

»Genau.« Ihr Mund wurde zu einer geraden Linie. »Lass uns hoffen, dass du das nicht musst.«

Während sein Seneschall den Anruf durchstellte, blickte Michael seiner Geliebten nach, als sie ins Bad ging. Dank Alexandras Kynblut war ihr Rücken ohne Narben verheilt, aber er bildete sich ein, immer noch die hellen Reste jener schrecklichen Klauenwunden sehen zu können. Sie hatte gesagt, dass sie von Richard stammten, als dieser, aufgrund einer Überdosis Tierblut wie von Sinnen, sie völlig grundlos angegriffen hatte.

Michael glaubte, dass es die Wahrheit war – Alexandra hatte keinen Grund, ihn über irgendetwas anzulügen, was ihr Entführer ihr angetan hatte –, aber als sie ihm von Richards Angriff erzählte, hatte sie fast entschuldigend geklungen. Aus einem Grund, den er nicht kannte, hatte dieser Vorfall bewirkt, dass sie sich schuldig fühlte und voller Angst.

Hatte Richard mehr getan, als sie zu zerfleischen?

»Seigneur?« Byrnes Stimme erklang am anderen Ende der Leitung und lenkte ihn ab. »Euer Mann sagte, Ihr dürftet nicht gestört werden, aber das hier kann nicht warten.« Er hielt inne und fuhr dann mit belegter Stimme fort: »Geht es Euch und Eurer Sygkenis gut?«

»Ja.« Er hörte Wasser laufen und atmete den berauschenden Lavendelduft des Körpers seiner Geliebten ein, der sich jetzt mit dem des Badesalzes mischte, das sie bevorzugte. »Ich wollte Euch morgen anrufen. Alexandra und ich werden in diesem Jahr an Eurem Turnier teilnehmen.«

»Es ist uns eine Ehre.«

»Alexandra sollte mehr von unserer Art kennenlernen«, sagte Michael. »Meine Motive sind eher persönlich; ich werde Kandidaten für die Posten des Suzeräns auswählen und begutachten. Ich habe zwei neue Jardins eingerichtet für die Flüchtlinge, die aus Frankreich und Italien kommen, aber keine Gruppe hat einen klaren Anführer. Aber jetzt sagt mir, weshalb Ihr mich mitten am Morgen anruft?«

»Ich wollte Euch und Eure Sygkenis zu dem Turnier einladen, damit Ihr meinen Nachfolger auswählen könnt«, sagte Byrne. »Ich werde nach Weihnachten kein Suzerän mehr sein.«

»Tatsächlich.« Michael setzte sich auf und griff nach seiner Hose. »Darf ich den Grund für diese plötzliche Abdankung erfahren?«

»Ich bin müde, Mann.« Byrne atmete tief aus. »Ich bin jetzt schon mehr als zweihundert Jahre Suzerän des Realm, und ich kann das einfach nicht mehr. Es ist schon lange Zeit für meinen Rücktritt.«

Die Aussicht, einen seiner besten Lords zu verlieren, beunruhigte Michael nicht so sehr wie die Niedergeschlagenheit in der Stimme seines Freundes. »Wenn du Zeit brauchst, dann werde ich jemanden ernennen, der dich für eine Weile vertritt.«

»Das kann nicht funktionieren, Seigneur.«

»Du änderst vielleicht deine Meinung.«

»Hörst du mir jetzt endlich zu, Michael?«, verlangte Byrne. »Du weißt, zu was ich fähig bin. Du hast es selbst gesehen. Mehr als sechshundert Jahre habe ich es kontrolliert. Aber gestern Nacht hätte ich es fast auf vier Kinder, Jayr und Rob losgelassen. Ich bin fertig.«

»Also gut.« Michael klemmte sich das Telefon zwischen Wange und Schulter, während er seine Hose überstreifte. »Ich behalte mir jedoch das Recht vor, alle Mittel anzuwenden, um dich zu überreden, Lord des Realm zu bleiben.«

»Du kannst es versuchen.« Byrne bellte etwas, das entfernt wie ein Lachen klang. »Ich habe noch niemandem davon erzählt, und ich wäre dir dankbar, wenn du es für dich behalten könntest, bis du deine Wahl getroffen hast.«

Michael überlegte, ob er von ihm noch mehr Erklärungen verlangen sollte. Er schätzte Byrne als einen der amerikanischen Lords, der bedingungslos alle seine Befehle ausführte. Gleichzeitig wusste er, auf welch schmalem Grat Byrne gewandelt war, seit er zum Kyn wurde. Als Mensch war er ein Mann gewesen, den man fürchtete und dem man auf dem Schlachtfeld nicht begegnen wollte. Und auch nachdem er verflucht worden war, hatte seine Fähigkeit zur Gewalt den Kyn gute Dienste geleistet.

Aber diese Tage waren vorbei. Wenn Byrne jetzt die Kontrolle über sich verlor, an einem Ort voller Menschen, wie es das Realm oft war …

»Also gut, mon ami.«

Nachdem sie sich verabschiedet hatten, hörte Michael Wasser überschwappen. Er stand auf und ging ins Bad. Die ovale Wanne, deren Wasser nach Eukalyptus und Minze roch, war so voll, dass sie überlief. Alexandra stand nackt vor dem beschlagenen Wandspiegel und starrte ausdruckslos auf das verschwommene Bild ihres goldhäutigen Körpers.

»Chérie, du löst eine Überschwemmung aus.« Er brauchte einen Moment, um die Hähne zu schließen. Erst dann drehte er sich wieder zu ihr um. Sie bewegte sich nicht und blinzelte nicht mal. »Alexandra? Was ist los? Antworte mir.«

Sie reagierte einen langen Augenblick nicht auf seine Stimme oder seine Berührungen. Dann erwachte sie aus ihrer Trance, als wäre nichts gewesen.

»Warum liebst du mich?«, fragte sie. Als Michael versuchte, sie zu umarmen, trat sie zurück, sodass er sie nicht erreichen konnte. »Nein. Fass mich nicht an. Sag es mir einfach.«

Er suchte nach einer galanten und romantischen Antwort. »Ich liebe dich, weil du der andere Teil meiner Seele bist.«

»Ich will keine hübsche Poesie von dir hören.« Auf ihrem Gesicht lag ein distanzierter, kühler Ausdruck. »Sag es mir, Michael.«

»Ich werde es versuchen«, erwiderte er langsam, während seine Gedanken sich überschlugen. »Ich liebe dich, weil du mir nicht aus dem Kopf gehst. Keine Stunde vergeht, in der ich nicht an dich denke. Du hast meine Einsamkeit vertrieben. Ich empfinde Frieden, wenn du bei mir bist.« Ihr Gesichtsausdruck änderte sich nicht, und seine Besorgnis wurde zu Angst. »Mon Dieu, Alexandra, warum fragst du mich das? Du kennst meine Gefühle für dich. Nach allem, was wir durchgemacht haben, und nach unseren gemeinsamen Kämpfen kannst du mir doch nicht misstrauen.«

»Ich vertraue dir«, sagte sie. »Aber warum liebst du mich?«

Sie spielte jetzt mit ihm. »Ich habe es dir gerade gesagt.«

»Nein, hast du nicht«, widersprach sie. »Warum gehe ich dir nicht aus dem Kopf? Warum vergeht keine Stunde, in der du nicht an mich denkst? Warum fühlst du dich nicht mehr einsam? Warum erfüllt es dich mit Frieden, wenn du mit mir zusammen bist?«

»Dafür gibt es keinen Grund. Solche Dinge lassen sich nicht erklären. Es gibt nur dich und mich und unsere Liebe.« Er war entsetzt. »Du glaubst mir nicht. Ich kann es in deinen Augen sehen.«

»Nein. Daran liegt es nicht.« Sie setzte sich auf den Rand der Wanne und fuhr mit der Hand durch das dampfende Wasser. »Es liegt nicht an dir.« Sie stieß zitternd die Luft aus, und tiefes Unglück verdrängte die schreckliche Leere in ihren Augen. »Ich glaube dir. Ich liebe dich. Aber etwas …« Sie sah jetzt verwirrt zu ihm auf. »Warum suche ich Streit?« Ein Schluchzen stieg in ihr auf. »Was stimmt nicht mit mir?«

»Es müssen die Nachwirkungen der Trennung sein. Das geht vorbei.« Michael schob seine Hand unter ihr Haar und legte sie an ihren Hals. »Wir brauchen nur Zeit zusammen, chérie.«

Sie sprang auf und umarmte ihn. An seiner Brust sagte sie: »Wenn es mich so durcheinanderbringt, von dir getrennt zu sein, dann solltest du dafür sorgen, dass mich nie wieder jemand entführt.«