Das Berner Münster - Jürg Schweizer - E-Book

Das Berner Münster E-Book

Jürg Schweizer

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Beschreibung

Das Berner Münster, der wichtigste spätgotische Kirchenbau der Schweiz, steht neben dem Rathausneubau für den erstaunlichen Aufbruch der freien Stadt Bern im 15. Jahrhundert. Günstige politische und wirtschaftliche Umstände, befördert von einer aufstrebenden Schicht von Händlern, die in das Patriziat der Stadt aufstiegen, waren dazu die Voraussetzung. Schon mit der Grundsteinlegung 1421 manifestierte sich der hohe Anspruch des Bauvorhabens in Grösse und Aufwand. Die Stadt engagierte Matthäus Ensinger, Sohn des berühmten Strassburger und Ulmer Münsterbaumeisters. Trotz der langen Bauzeit entstand auf Grundlage der Pläne Ensingers ein Kirchenbau von grosser Einheitlichkeit mit herausragender Ausstattung, darunter die mittelalterlichen Glasmalereien und die reich dekorierten Gewölbe zwischen Spätgotik und Renaissance oder das figurenreiche Weltgerichtsportal.

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Jürg Schweizer · Bernd Nicolai

Brigitte Kurmann-Schwarz · Roland Gerber Annette Loeffel · Peter Völkle · Jasmin Christ

Das Berner Münster

Kanton Bern

Das Berner Münster – Highlights

Einführung

Das Münster im Stadtbild

Kirchengeschichte

Aufbruch in eine neue Zeit

Baugeschichte

Grundsteinlegung, Baubeginn, Altarhaus

Kapellen- und Arkadenreihen, Sockel des Westbaus, Baustagnation

Wiederaufnahme der Bautätigkeit: Seitenschiffgewölbe, Turmpfeiler, Turmseitenkapellen

Intensivphase: Fertigstellung von Seitenschiff und Chor, Hochwände

Der Turm

Der mittelalterliche Baubetrieb

Die Reformation

Die unfertige Kirche

Na gmacht – das 19. Jahrhundert und der Turmausbau 1889–1893

Die ewige Baustelle

Rundgang Aussen

Der Bau als Ganzes, Nordseite, Chor, Südseite

Westseite und Portale

Rundgang Innen

Mittelschiff

Seitenschiffe und Seitenkapellen

Der Chor als ein Hauptwerk der Spätgotik

Turmaufstieg

Anhang

Das Münster auf der zwischen 1334 und dem 16. Jh. errichteten Plattform. Links das Stiftsgebäude von 1745–1748 in den Abmessungen des spätgotischen Deutschordenshauses bzw. St. Vinzenzenstifts.

Das Berner Münster – Highlights

Das Berner Münster ist eines der Hauptwerke der Spätgotik in der Schweiz. Seine bestimmende Lage über dem Aarehang mit dem hohen, erst Ende des 19. Jahrhunderts vollendeten Westturm macht es schon auf den ersten Blick zu dem Wahrzeichen der Stadt Bern. Erbaut im 15. Jahrhundert, wurde es als Repräsentationsbau des aufstrebenden Stadtstaates konzipiert, durchaus in Konkurrenz zur gleichzeitigen Kirche St. Nikolaus in Freiburg i. Üe. (CH). Künstlerisch prägten die grossen Bauvorhaben am Oberrhein das Berner Münster, die Kathedralen von Basel (Gewölbe des dortigen Kreuzgangs) und Strassburg (Westturm mit durchbrochenem Helm) sowie das Ulmer Münster, aber auch die grossen Baustellen in Böhmen (Prag) und im Donauraum (Passau, Landshut). Das Münster in Bern ist damit auch Ausdruck des weiten Horizontes und der grossen Mobilität seiner Auftraggeber, Architekten und Künstler, die hier etwas Ausser gewöhnliches schufen.

Neben dem Bau ist insbesondere seine Ausstattung von Bedeutung. Das vielfigurige Westportal (um 1475) stellt in gut lesbarer, aber drastischer Weise das Weltgericht am Ende der Zeiten dar, verbunden mit den Portalfiguren der Klugen und Törichten Jungfrauen, die das Öl in den Lampen für den letzten Tag bewahrt oder aber vergeudet haben. Der Westbau lädt zu einem Turmaufstieg ein, der am mittelalterlichen Geläut mit originalem Glockenstuhl vorbeiführt zur Viereckgalerie mit den Büsten der Baumeister und Steinmetzen, die für die Turmvollendung bis 1893 verantwortlich waren, und weiter zur Achteckgalerie. Von hier bietet sich ein unvergleichlicher Blick auf die Altstadt und die Umgebung.

Der reich ausgestattete Chorraum im Inneren zeigt nicht nur eines der qualitätsvollsten Glasmalereiprogramme aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, sondern neben dem Adlerlesepult auch einen Dreisitz, ursprünglich für den Priester, gestaltet als eine gotische Kleinarchitektur. Den Höhepunkt bildet das netzartige Chorgewölbe (1515–1517), der sogenannte Himmlische Hof, mit figurativen Verzweigungssteinen, auf denen u. a. die Dreifaltigkeit, Maria, die Apostel, Evangelisten und Heilige dargestellt, aber auch durch die zahlreichen Wappenschilde immer wieder Verweise auf die Stadt Bern als Auftraggeberin zu finden sind. Abschluss dieser Phase bildet das aufwändige Renaissance-Chorgestühl, eines der frühesten nördlich der Alpen. Das Langhaus zeigt grosse Masswerkfenster sowie eine spätgotische Kanzel. Im Eingangsjoch, wo sich die Infostelle befindet, ist das schöne Sterngewölbe mit der Jahreszahl 1476 zu entdecken.

BN

Einführung

Das Münster im Stadtbild

Die Gründungsstadt des späten 12. Jahrhunderts, die von der Burg Nydegg (heute Nydeggkirche) bis zum Zeitglockenturm reichte, erhielt an der südlichen Hangkante eine erste Kirche, von der nur wenige Spuren überliefert sind. 1276 wurde sie zur Pfarrkirche erhoben, was einen Neubau nach sich zog, die sogenannte zweite Leutkirche. Um sich ein Bild davon zu machen, ist ein Blick auf die etwa zur gleichen Zeit entstandene Predigerkirche (Französische Kirche) in Bern sinnvoll, die als grössere Version gelten kann.

Die Leutkirche war samt ihrem ummauerten Kirchhof in den bis heute gut erhaltenen ursprünglichen Stadtplan eingebettet. In Etappen wurde dieser Friedhof erweitert, markant die in der Matte fussende, 1334 begonnene Terrasse von etwa 24 m Höhe, gegen Süden bereits mit der heutigen Tiefe. Sie umfasste die östlichen zwei Drittel der heutigen Terrasse und ist anhand der Strebe pfeiler und des Tuffsteins gut zu erkennen. Später wurden die Stützmauern um 8 m auf die aktuelle Höhe aufgemauert, verstärkt und ab 1514 gegen Westen um einen Drittel auf die heutige imposante Grösse erweitert. Nach der Reformation hob man 1531 den Friedhof auf und schuf die erhaltene öffentliche Parkanlage. Die Eckpavillons wurden 1778 durch den Architekten Niklaus Sprüngli spät barock erneuert. Mit der kräftigen Erweiterung der Terrasse, Plattform genannt, reagierte das frühe 16. Jahrhundert auf den fertigen Münsterbau und verankerte ihn monumental im Stadtkörper. Mit der Randstellung im Stadtganzen und der vorgelagerten Plattform galt das Münster für Grossbauten in Bern bis ins frühe 20. Jahrhundert als Vorbild.

Auch auf den drei anderen Seiten des wachsenden Münsters vollzog man noch im 15. Jahrhundert die nötigen städtebaulichen Änderungen, indem man die Kirchhofmauern aufhob. Am bedeutendsten ist die Schaffung des Münsterplatzes. Seine östliche Hälfte war bis weit ins 15. Jahrhundert Teil des Kirchhofs, seine westliche Hälfte mit Privathäusern überbaut. Dazwischen führte ein schmales Gässlein in Fortsetzung des Münstergässchens von der Münstergasse zur Herrengasse. Der Rat der Stadt liess zwischen 1491 und 1506 die untersten fünf Bürgerhäuser gegenüber dem grossen Westbau abbrechen, um dem Münster den nötigen Freiraum zu geben. Der Brunnen entstand 1544, die heutige Gestalt mit dem Moses auf der Säule stammt von 1790. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurden die Häuser fast durchwegs erneuert, einzig das Haus an der Münstergasse 30 hat seine kurz nach der Platzbildung 1569 geschaffene spätgotische Gestalt bewahrt. Neben dem geglückten südlichen Platzabschluss durch das spätbarocke Stiftsgebäude, erbaut ab 1745 durch Albrecht Stürler als Nachfolgebau des 1432 errichteten Deutschordenshauses, sticht das ehemalige Privatpalais Tscharner auf der Westseite, Münsterplatz 12, ins Auge, vom selben Architekten erbaut ab 1733.

Die städtebauliche Situierung des Münsters.

1ehem. Kirchhof, jetzt Münsterplatz bzw. -gasse

2ehem. Leutkirche bzw. Kirchhof, dann vom Münster überbaut

3ehem. Kirchhof, jetzt Plattform

4ehem. Privathäuser, jetzt Münsterplatz; ostseitig auch altes Rathaus, jetzt Münstergasse

5Privathäuser bzw. Stiftsgebäude

Der freigelegte Münsterplatz und die Plattform im Bauzustand kurz nach 1514.

Der Münsterturm blieb nach der Reformation ein Torso und endete auf Höhe des unteren Achtecks mit den markanten Korbbogenfenstern. In dieser Form war der Turm jahrhundertelang wichtiger Bestandteil der Stadtsilhouette. Erst 1889–1893 wurde der Turm mit oberem Achteck und Helm vollendet. Er bildet heute ein Gegengewicht zu den gleichzeitigen Grossbauten Parlament und Bundeshäusern. Mit der Kirchenfeldplanung und -brücke zollte man dem Münster 1881–1883 Referenz, indem die Luisen- und Jungfraustrasse auf das Münster ausgerichtet wurden und Bauvorschriften gleichzeitig den freien Blick von der Plattform auf die Jungfrau sichern sollten; ungezügelter Waldwuchs hat diese Beziehungen etwas verwischt. Während man in der Mitte des 20. Jahrhunderts den Turmausbau noch kritisiert hatte, ist das Münster in der damals geschaffenen Form heute unbestritten das Wahrzeichen der Stadt Bern.

JS

Das Münster mit der als öffentliche Grünanlage genutzten Plattform, links das ehem. Deutschordenshaus. Gemälde von Antoni Schmalz 1635.

Münster, Plattform und Stiftsgebäude von Südosten im Stadtbild.

Kirchengeschichte

Die der Sage nach bewaldete Aarehalbinsel, auf der Herzog Berchtold V. von Zähringen um 1191 die Stadt Bern errichten wollte, gehörte bei der Stadtgründung zum viel älteren Kirchensprengel von Köniz. Die kleine Kirche der Gründungsstadt – wahrscheinlich bereits dem hl. Vinzenz von Saragossa geweiht – war daher bloss eine Filiale der Pfarrkirche von Köniz, die seit 1227 dem Deutschen Orden gehörte. Als die Filiale Bern 1276 zur Pfarrkirche erhoben wurde, blieb der Deutsche Orden für die Pfarrei zuständig. Im Lauf des 14. Jahrhunderts nahm der Einfluss der Stadt zu, was schliesslich dazu führte, dass sie nach 1418, ohne das Patronatsrecht zu besitzen, bei der Vorbereitung und Grundsteinlegung als Bauherrin auftrat. Dies blieb während der ganzen Bauzeit so, was noch heute durch die zahlreichen Berner Wappen fassbar ist, die überall an und in der Kirche zu finden sind. 1484/85 gelang es dem Rat der Stadt, beim Papst die Erlaubnis zur Gründung eines der Stadt unterstellten Chorherrenstifts zu erhalten, dessen Probst sogar bischöfliche Insignien, Mitra, Ring und Stab, verliehen wurden. Ziel war neben der Erlangung aller Kirchenrechte auch, dem neuen repräsentativen Münster eine entsprechende Priesterschaft zu verschaffen, gewissermassen als Hauptausstattung des neuen Baus. In einer dramatisch geschilderten unfreundlichen Übernahme wurde der Deutsche Orden vertrieben, selbst sein 50 Jahre früher neugebautes Ordenshaus ging an das Stift. Die Stiftsgründung war zudem eine Emanzipation vom fernen Bischof in Lausanne. Von den 24 vorgesehenen Chorherrenstellen konnten allerdings nie mehr als die Hälfte besetzt werden.

Zentral und unübersehbar prangen zwei Bernerwappen im 1441 eingesetzten Chorscheitelfenster.

Acht Mal erscheint das Wappen der Aufsteigerfamilie von Ringoltingen im Dreikönigsfenster des Chors, gestiftet vor 1448. Mit den Allianzwappen dokumentierte die Familie ihren Aufstieg in den Adel.

Die beiden Scheiben aussen rechts sind rekonstruierte Ergänzungen des 19. Jh.

Heinrich Wölfli im Pelz-Schultermantel der Chorherren vor dem von Pilgern besuchten Vinzenzenaltar. Letzte Szene der von Wölfli 1515 gestifteten Chorbehänge (heute im Bernischen Historischen Museum).

Den Sprengring im 1517 vollendeten Chorgewölbe schliesst ein Holzdeckel mit grossem Bernerwappen (oben), acht weitere Wappen werden von Engeln getragen (Mitte). Das Wappen der Familie Brüggler im Schlussstein ihrer Kapelle (unten).

Der Bau des Münsters wurde von Beginn an auch von privaten Stiftern getragen, welche die seitlichen Einsatzkapellen samt Altären und Pfründen finanzierten, sich aber auch an der sonstigen Ausstattung der Kirche beteiligten. Im späten 15. Jahrhundert waren alle Kapellen vergeben, einzelne wechselten die Hand, für andere Stifter wurden Altarstellen an Schiffspfeilern bewilligt, so dass sich vor der Reformation 25 Altäre im Münster befanden.

Die Reformation 1528 kündigte sich auch im Stift an, indem verschiedene Chorherren austraten und heirateten. Sie brachte schliesslich das schonungslose Ende der Institution, die einzig im Namen des barocken Nachfolgebaus am Münsterplatz 3 noch weiter lebt.

Erstaunlich ist, dass beim sogenannten Bildersturm das Hauptportal verschont worden ist. Mit der Betonung der Weltgerechtigkeit konnte das Jüngste Gericht zugleich als Ausdruck des von Gott gegebenen patrizischen Regiments betrachtet werden; darauf deutet auch, dass die Marienstatue am Mittelpfeiler 1575 durch eine Justitia ersetzt worden ist.

Die neue bernische Staatskirche trat in den Dienst der Republik Bern. Das Münster wurde zur Hauptkirche des reformierten Kapitels Bern, der Münsterdekan zum Vorsteher der bernischen Pfarrerschaft und das Münster somit kirchliches Zentrum des Alten Bern. Erst 1875 ging das Eigentum am Bauwerk von der Stadt auf die Gesamtkirchgemeinde über. Heute steht ihre Reorganisation an, in deren Zug die kleine Münsterkirchgemeinde aufgehoben und das Münster entsprechend seiner Bedeutung für die ganze Stadt in die Verantwortung einer gesamtstädtischen Kirchgemeinde Bern übertragen werden soll.

JS

Fernhandelsbeziehungen von Berner Kaufleuten in der ersten Hälfte des 15. Jh.

Aufbruch in eine neue Zeit