Das Blut der Pikten - Bastian Zach - E-Book

Das Blut der Pikten E-Book

Bastian Zach

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Beschreibung

Grönland, 937 A. D.: Das Volk der Pikten ist nahezu ausgelöscht worden. Die wenigen Überlebenden hat es nach Grönland verschlagen, wo sie unter härtesten Naturbedingungen ihr Dasein fristen. Als die Gemeinschaft eines Tages von Nordmännern angegriffen wird, begibt sich eine Schar kampferprobter Pikten unter dem Krieger Kineth auf die große Queste ins Reich ihrer Vorfahren, um eine alte Prophezeiung zu erfüllen. Auf ihrer gefahrvollen Reise geraten die Unerschrockenen zwischen britannische Heeresführer und marodierende Wikinger …

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Seitenzahl: 624

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Das Buch

Grönland, 937 A. D.: Das Volk der Pikten ist nahezu ausgelöscht worden. Die wenigen Überlebenden hat es nach Grönland verschlagen, wo sie unter härtesten Naturbedingungen ihr Dasein fristen. Als die Gemeinschaft eines Tages von Nordmännern angegriffen wird, begibt sich eine Schar kampferprobter Pikten unter dem Krieger Kineth auf die große Queste ins Reich ihrer Vorfahren, um eine alte Prophezeiung zu erfüllen. Auf ihrer gefahrvollen Reise geraten die Unerschrockenen zwischen britannische Heeresführer und marodierende Wikinger …

Die Autoren

Bastian Zach wurde 1973 in Leoben geboren und arbeitete für verschiedene Werbe- und Multimedia-Agenturen in Wien. Matthias Bauer wurde 1973 in Lienz geboren und war im Tiroler Verlags- und Ausstellungsbereich tätig. Zusammen schreiben sie als Zach/Bauer Romane (unter anderem die Bestsellertrilogie Morbus Dei) und Drehbücher, zuletzt zum internationalen Wikinger-Blockbuster Northmen – A Viking Saga.

BASTIAN ZACH · MATTHIAS BAUER

DAS BLUT

DER

PIKTEN

HISTORISCHER ROMAN

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Vollständige deutsche Erstausgabe 09/2016

Copyright © 2015 by Bastian Zach und Matthias Bauer

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

AVA International GmbH Autoren- und Verlagsagentur, München

www.ava-international.de

Redaktion: Heiko Arntz

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,

unter Verwendung eines Motivs von

© Arcangel Images/Collaboration JS

Grafiken: Copyright © 2016 by Bastian Zach

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-17638-9V001

www.heyne.de

Wir danken von ganzem Herzen allen Kriegerinnen und Kriegern, die all die Jahre unermüdlich an unserer Seite gekämpft haben. Dieses Buch ist für euch.

Bastian Zach/Matthias Bauer

ANNO DOMINI 937

Man sagt, dass die alten Götter durch die Augen der Raubtiere blickten, um die Menschen zu beobachten.

Die Menschen lebten und starben, und mit ihnen lebten und starben die Götter. Neue Menschen wurden geboren und schufen neue Götter, aber die Raubtiere blieben.

Über Jahrtausende streunten Bären durch die Wälder, schwammen Haie im Wasser, durchstreiften Adler den Himmel.

Und über allem schien das Heulen des Wolfs zu liegen.

GRÖNLAND

In Todesangst hetzte er der Küste entgegen, stolperte immer wieder über den steinigen, mit Moos und Flechten bewachsenen Boden. Sein Schwert hielt er fest mit der Rechten umklammert, den Schild hatte er weggeworfen, um schneller vorwärtszukommen.

Aber er lief nicht auf etwas zu – da war keine Befestigung, die erklommen werden musste, kein Feind, der sich ihm entgegenstellte, auch nicht seine Familie, die den grauhaarigen Krieger nach einem seiner zahllosen Raubzüge willkommen hieß.

StefnirHalldórsson lief zum ersten Mal in seinem Leben vor etwas davon.

Er war ein Nordmann, vom Blute derer, die die Welt seit bald zwei Jahrhunderten mit ihren pfeilschnellen Langbooten und ihrem Kampfesmut erschütterten. Von den eisigen Küsten Islands über Britanniens finstere Wälder und die Hochmoore der Skoten, vom Reich der Franken bis zum Schwarzen Meer, ja bis in die Sandwüsten des Südens waren sie vorgedrungen und versetzten die Menschen in Angst und Schrecken.

Aber heute flohen nicht die Mönche der Klöster, die die Wikinger immer wieder plünderten, oder die Frauen und Kinder, die den Ansturm auf ein Dorf überlebt hatten. Heute floh der hünenhafte Krieger – Panik in den Augen, der Atem pfeifend und unregelmäßig.

Als er und seine Gefährten vom Drachenboot aus die Küste und die Rauchsäulen entdeckt hatten, die hinter den Hügelkuppen in den Himmel stiegen, hatten sie auf Gold gehofft, oder zumindest auf Proviant und Hilfe für die Kranken. Nach den Wochen der Irrfahrt war es eine verzweifelte, wilde Hoffnung, und sie trugen sie an Land der unbekannten Insel, hinein ins Hügelgebiet.

Als Finnur, Stefnirs ältester Freund, plötzlich mit zwei Pfeilen im Kopf tot zusammengesackt war, wie eine Gliederpuppe, deren Fäden man durchtrennt hatte, war diese Hoffnung brutal zerschlagen worden.

Dem Nordmann stand der Anblick noch immer vor Augen – das Gesicht seines Freundes, eingefroren im Moment des Todes, die Augen aufgerissen, die Hände verkrampft. Und die Stille, nachdem der Körper auf dem Boden aufgeschlagen war.

Hektisch hatten sich die Nordmänner umgesehen, aber keiner von ihnen konnte einen Bogenschützen oder sonst einen Feind ausmachen. Und dann waren weitere Pfeile gekommen, sirrend und todbringend, wie aus dem Nichts, und –

Stefnirblickte gehetzt hinter sich, konnte aber noch immer keinen Verfolger ausmachen. Plötzlich war ihm, als sei er der einzige Mensch auf diesem Eiland, ein Spielball der Götter, die im Augenblick offenbar danach trachteten, ihn feige auf der Flucht, statt ehrenhaft im Kampf sterben zu lassen.

Er lief schneller, die kalte Luft brannte in seiner Brust wie Feuer. Kleine Lichtblitze begannen vor seinen Augen zu tanzen, erst vereinzelt, dann immer mehr. Er wusste, dass er es nicht mehr weit bis zum Boot hatte. Hinter der nächsten Hügelkuppe würde es angelandet liegen und –

Er sah die Wurzel nicht, fühlte nur den harten Ruck, dann gaben seine Füße nach, sein Schwert entglitt ihm. Der Krieger stürzte und schlug mit voller Wucht auf dem steinigen Boden auf.

Zwischen struppigen Büschen und mit bunten Flechtenüberwachsenen Steinen blieb er liegen, am Ende seiner Kräfte. Sein Herz pochte so heftig, als wollte es sich aus seinem Brustkasten befreien. Der Schweiß unter dem Brillenhelm lief ihm in Strömen über das glühende Gesicht, sein Atem ging nur noch röchelnd.

Stefnir spürte, wie ihm die Sinne zu schwinden drohten. Er kannte das Gefühl, wenn die Schwärze nahte, die alles verschlingen wollte. Aber er wusste auch, was er in einem solchen Moment zu tun hatte. Er schloss die Augen und atmete tief und beherrscht durch, achtete nicht auf den Würgereiz, den Schmerz in der Brust, das Zittern in den Beinen.

Langsam wich die Schwärze, der Nordmann wurde ganz ruhig.

Und mit dieser Ruhe nahm er seine Umgebung überdeutlich wahr:

Die Meeresbrandung, die sich in einiger Entfernung an dem flachen Fjord in einem immerwährenden Kommen und Gehen brach.

Die Rufe der Seeadler, die am Himmel ihre Kreise zogen, untermalt vom zänkischen Geschrei der Möwen.

Und die sanfte Brise, die über die Hügel strich, und über Stefnirslange, verschwitzte Haare, die im Nacken unter seinem Helm hervorquollen. Die ihn beinahe zärtlich streichelte – in den Schlaf, in den Tod …

Sollte es so enden? Sollte er sterben wie ein Weib oder ein alter, kraftloser Mann?

Der Nordmann gab sich einen Ruck. Er sammelte seine verbliebenen Kräfte und rappelte sich mühsam auf. Er griff sein Schwert, dessen Klinge ihm jungfräulich entgegenblitzte, da es noch nicht einen Spritzer Blut abbekommen hatte, seit sie aufgebrochen waren.

Mit unbeflecktem Schwert wird dich Odin nicht an seiner Tafel willkommen heißen.

Die Worte seines Vaters, der in Walhall auf ihn wartete. Oder im Himmel, wie manche seiner kreuztragenden Kameraden sagen würden. Aber daran glaubte Stefnir nicht, er betete immer noch die alten, starken Götter an. Umso größer war die Angst, auf dieser verdammten Insel nicht ehrenvoll im Kampf zu sterben, sondern einfach zu krepieren.

Er hörte ein Geräusch und blickte auf. Was er sah, ließ seine düsteren Gedanken schlagartig verschwinden – vor ihm, in nicht einmal zehn Fuß Entfernung, stand ein Bogenschütze. Er hatte sich Moos und Grasbüschel mit Lederriemen auf den Leib gebunden und sah aus, als wäre er gerade dem Erdboden entwachsen. Der Mann war nur mit einem ledernen Waffenrock und einem Hemd aus grobem Stoff bekleidet, an seiner linken Körperhälfte, dort, wo ein Riss im Hemd klaffte, blitzten große bläuliche Zeichnungen hervor. Der Nordmann kannte diese Art der Bemalung, sie war unter die Haut geritzt, auf dass man sie ein Leben lang behielt. Rotblonde Haare, in die vereinzelte Zöpfe eingeflochten waren, fielen dem Krieger bis auf die Schultern. Sein Blick war selbstbewusst, die hohen Wangenknochen unterstrichen sein stolzes Auftreten.

Gebannt starrte Stefnir den Krieger an. In der Ferne heulte ein Wolf auf.

Trotz der stummen Bedrohung, die der Mann ausstrahlte, hatte der Nordmann den Eindruck, als hätte er jemanden vor sich, mit dem er in einem anderen Leben die Nacht hindurch Met saufen und Lieder grölen könnte. Jemanden, auf den man zählen konnte. Aber hier und jetzt war er das letzte Hindernis vor dem rettenden Boot.

Oder das Tor nach Walhall.

Den Bogen hatte der Krieger in seiner Linken, aus der Rechten, die zu einer Faust geballt war, ragten drei Pfeile heraus. Ungerührt stand er da, wie aus Stein gemeißelt.

Stefnirgrinste schief. Noch bevor der Bogenschütze einen Pfeil einnocken konnte, würde er ihn mit seinem Schwert spalten, wie unzählige Feinde vor ihm.

Sosei es.

Der Nordmann holte tief Luft, griff zum Schwert und schnellte in die Höhe. Er sah noch, wie der Bogenschütze eine flinke Bewegung machte –

Im nächsten Moment sackte StefnirHalldórsson tot zu Boden, durchbohrt von drei Pfeilen.

»Kineth?«

Die rauchige Stimme einer Frau, nicht weit entfernt.

Er reagierte nicht, sondern kniete sich neben den toten Nordmann und schnitt ihm den Hals auf, um sicherzugehen, dass er auch wirklich tot war. Dann zog er behutsam die Pfeile aus dem leblosen Körper. Er prüfte, ob die Eisenspitzen noch am Schaft waren und schob die Pfeile dann in den Hüftköcher zurück.

»Kineth, hast du ihn –« Die Frau hatte ihn erreicht und brach ab, als sie den Toten erblickte. Erleichterung zeichnete sich auf ihrem fein geschnittenen Gesicht ab.

Kineth erwiderte ihren Blick, bemüht, seinen Stolz zu verbergen.

»Haben wir alle erwischt?«, fragte er, obwohl er die Antwort bereits kannte, und richtete sich auf.

Ailean nickte. Mit einer anmutigen Bewegung strich sie sich die dunkelblonden Locken aus der schweißnassen Stirn und zog die silberne Spange zurecht, die ihre üppige Haarpracht im Nacken bändigte.

Die beiden betrachteten den leblosen Körper, der in die Erde blutete. Ailean fühlte einen seltsamen Moment der Schwermut, jetzt wo die Erregung des Kampfes abgeklungen war. Warum mussten die ersten Menschen, die seit Generationen auf sie trafen, ausgerechnet mit dem Schwert in der Hand kommen?

»Wir sollten nachsehen, wohin der Krieger wollte.« Kineth’ Stimme riss sie aus ihren Gedanken.

»Warten wir auf die anderen. Wir wissen nicht, ob es noch mehr von ihnen gibt.« Ailean bückte sich und wischte ihre beiden blutigen Kurzschwerter, die einst einem römischen Legionär gedient hatten, am Gewand des toten Nordmanns sauber. Dann schob sie sie in ihre Gürtelschlaufen zurück.

»Du hast dich heute nicht schlecht geschlagen«, bemerkte Kineth.

»Wenn du das sagst.« Aileans Stimme klang spöttisch, aber sie wusste, dass er es ehrlich meinte. Obwohl sie kein Blut verband, waren sie wie Geschwister aufgewachsen, hatten unter demselben Dach gewohnt, am selben Tisch gegessen und vom selben Familienoberhaut Prügel bezogen, wenn sie es verdienten.

Kineth grinste und deutete auf Aileans Hals und Schultern, wo zahllose Blutspritzer die kunstvollen blauen Zeichnungen bedeckten. Sie begann die Spritzer wegzuwischen, aber es war ein vergebliches Unterfangen.

»Ich schlage den Bach vor«, sagte er.

»Später.« Ailean deutete hinter ihn.

Ein Trupp Krieger näherte sich ihnen im Laufschritt. Augenblicke später waren sie da, ein bunter Haufen von Männern und Frauen. Wie Kineth und Ailean hatten sie Moos und Flechten am Körper festgebunden, eine überaus wirkungsvolle Tarnung, auf die ihre Angreifer nicht vorbereitet gewesen waren. Durch den Kampf hatte diese Tarnung Risse bekommen, bei manchen schimmerten die blauen Körperverzierungen durch.

Caitt, der beinahe ebenso groß war wie Kineth, trat auf diesen zu und streckte ihm die Hand entgegen. »Wir haben sie geschlagen, Bruder.«

Kineth ergriff die Hand und drückte seinen Stiefbruder kurz an sich. »Das haben wir.« Er löste sich von Caitt. »Verluste?«

Das Lächeln auf Caitts Gesicht verschwand. »Baird, Pòl und Eòsaph. Ob Helori durchkommt, werden wir noch sehen, er hat viel Blut verloren.«

Kineth nickte. Er wusste, dass sie heute überraschend einen Sieg errungen hatten, doch jeder Sieg hatte seinen Preis. Er deutete auf den Toten. »Ich fürchte nur, dass das noch nicht alle waren.«

Caitt blickte von dem Brillenhelm des toten Nordmannes zu Kineth. Nur er kannte die andere, verborgene Bedeutung von Kineth’ Worten. Beide hatten geahnt, dass dieser Tag einst kommen würde – jener Tag, an dem ein Geheimnis aus ihrer Kindheit keins mehr sein würde.

Aber dafür war jetzt keine Zeit. Caitt räusperte sich. »Du magst recht haben.« Er wandte sich an alle. »Zur Küste, aber bleibt in Deckung!«

Gleich darauf waren sie verschwunden, und nur der Leichnam des Wikingers, der allein unter dem bleigrauen Himmel lag, kündete davon, dass sie jemals hier gewesen waren.

Das Langschiff der Nordmänner lag am Fjord, und obwohl der Drachenkopf am Bug unbeirrbar nach vorne blickte, glich das Schiff einem Meerestier, das zum Sterben an Land gekrochen war.

So zumindest schien es Kineth und den anderen, die auf der Kuppe eines Hügels lagen und von dort aus das Drachenboot beobachteten. Keiner von ihnen hatte je ein solches Schiff, mit dem man die hohe See zu bezwingen vermochte, gesehen oder war auf einem gefahren. Sie kannten es nur aus Erzählungen. Am Bug türmte sich aufgeworfene Erde, am Heck, wo zwei Anker heruntergelassen waren, löste sich die Gischt der Brandung auf. Die Planken schienen unbeschadet zu sein, das Rahsegel war eingeholt worden. Das Deck war menschenleer, ebenso die Rudersitze – über zwanzig an jeder Seite –, nur ein Haufen Decken lag am Bug.

Niemand hielt Wache vor dem Schiff. Die einzigen Fußspuren, die von dem gestrandeten Koloss wegführten, waren vermutlich die der Krieger, welche im Hinterland den Boden mit ihrem Blut tränkten.

»Vielleicht ist es eine Falle«, flüsterte Bree und spielte nervös an einem ihrer langen roten Zöpfe. Sie blutete aus mehreren Schnittwunden, die sie sich im Kampf zugezogen hatte, aber es schien sie nicht weiter zu stören. Sie blickte zu ihrer jüngeren Schwester Moirrey, die alle nur Mally nannten, und hoffte, dass diese die Warnung verstanden hatte.

Hatte sie aber nicht.

»Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden«, sagte Moirrey, sprang auf und rannte wild schreiendauf das Schiff zu.

Für einen Augenblick waren alle wie gelähmt – dann stieß Bree einen zornigen Laut aus und hechtete ihrer Schwester nach.

»So viel zu einem Überraschungsangriff«, sagte Caitt, gab den anderen ein Zeichen und stürmte ebenfalls den Hügel hinunter.

Je näher Kineth dem Schiff kam, umso beeindruckender, aber auch bedrohlicher wirkte es auf ihn. Die Bordwände ragten vor ihnen auf wie die mächtigen Palisaden einer Festung.

Bree hatte Moirrey unterdessen eingeholt und hielt sie fest. Kineth und die anderen schlossen zu den beiden Frauen auf.

»Bist du von Sinnen?«, zischte Bree die Jüngere an und versetzte ihr eine kräftige Ohrfeige.

Moirrey lächelte nur dreist. »Einer musste den Anfang machen, sonst lägen wir immer noch da oben.«

Caitt riss Bree grob zurück. Er trat zu Moirrey, packte mit eisernem Griff ihren Arm. Das Lächeln der jungen Frau verschwand schlagartig. »Du gefährdest uns alle, Weib«, sagte er leise. »Wenn du mir so deinen Mut beweisen willst, ist dir das gründlich misslungen.«

»Caitt –«, begann Bree.

»Still!« Caitt fixierte Moirrey weiter mit seinen hellen Augen, die an Eisschollen auf einem See erinnerten. An einen See, unter dessen trügerischer Oberfläche Verborgenes lauerte. »Du bist die Letzte, die da hinaufgeht. Eher noch würde ich die alte Mòrag schicken.«

Moirreys Wangen färbten sich rot. Ihre Augen waren Schlitze, ihre Hand fuhr zu ihrem Schwert.

»Es reicht, Mally. Schluss jetzt!« Bree drängte sich zwischen Caitt und ihre Schwester. »Zurück mit dir!« Ihre Stimme hallte in der Stille wider.

Moirrey zögerte, doch dann gehorchte sie. Der Blick, den sie Caitt zuwarf, war voller Hass.

Caitt gab Gair, einem gedrungenen jungen Mann mit mehrfach gebrochener Nase und verschmitztem Blick, ein Zeichen. »Du, Aleyn und Lugh. Rauf mit euch!«

Gair gehorchte sofort, packte eines der grobfasrigen Taue, die vom Schiff herunterhingen, und begann behände nach oben zu klettern. Die anderen beiden Männer folgten ihm.

Kineth und die anderen Bogenschützen nockten ihre Pfeile ein und gingen in Stellung, sollte der Feind überraschend den Kopf über die Bordwand heben. Die anderen bildeten einen Halbkreis, um einen Angriff von außen abwehren zu können.

Angespannt blickten sie den dreien nach, die sich nach oben hangelten. Außer dem Rauschen der Brandung, dem Geschrei der Vögel und dem Knarzen des Schiffrumpfs war nichts zu hören.

Ailean sah besorgt zu Kineth. Die Todesverachtung, mit der sie heute Morgen die Nordmänner bekämpft hatten, und das Gefühl des Triumphes waren verschwunden. Hier, im Schatten des Schiffs, blieb nur die beängstigende Vorahnung, dass sich mit der Ankunft der Fremden ihr aller Schicksal verändert hatte. Zum ersten Mal seit hundert Jahren standen sie einem anderen Volk gegenüber. Und nicht irgendeinem – es waren Nordmänner gewesen wie diese hier, die dafür verantwortlich waren, dass sie sich in alter Zeit auf diese Insel hatten flüchten müssen.

Gair erreichte als Erster die Reling und lugte vorsichtig darüber. Offenbar konnte er keinen Feind erkennen, denn er schwang sich auf das Deck und war verschwunden. Aleyn und Lugh taten es ihm gleich.

Am Boden warteten alle auf ein Zeichen, was an Deck vor sich ging. Doch nichts geschah.

Plötzlich lehnte sich Gair über die Bordwand. »Am Bug liegen ein paar Männer. Sie leben.« Er sah sich um, dorthin, wo sie vom Hügel aus den Haufen mit Lumpen gesehen hatten. »Aber wie es aussieht, nicht mehr lange …«

»Was fehlt ihnen?«, wollte Caitt wissen.

Gair zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht. Ihre Haut ist übersät mit Bläschen und Pusteln, es stinkt nach Pisse, Scheiße und was weiß ich was.«

»Rührt nichts an!«, rief Kineth hinauf und wandte sich an Caitt. »Wir sollten das ganze Schiff verbrennen, so wie es daliegt.«

»Bist du von Sinnen?«, stieß Caitt aus. »Noch nie hat sich ein Schiff an unsere Küste verirrt, und du willst es vernichten?«

»Kineth hat recht«, erwiderte Ailean. »Was nützt es uns, wenn wir alle dabei sterben? Wir wissen nicht, an welcher Krankheitdiese Männer leiden.«

»Vielleicht ist es verflucht«, fügte Bree unsicher hinzu.

»Verflucht?« Caitt stieß ein verächtliches Knurren aus. »Warum muss bei euch Weibern immer gleich alles mit einem Fluch belegt sein?« Er sah wieder zur Bordwand hinauf. »Gair! Sieh nach, ob einer von ihnen fähig ist zu sprechen.«

Gair nickte und verschwand wieder.

»Sichert die Hügelkanten!«, wies Kineth die Schwertkämpfer an, die daraufhin an den erhöhten Positionen Stellung bezogen.

»Und wenn sie nicht unsere Sprache sprechen?« Ailean sah ihren Bruder voller Sorge an.

»Dann werden wir weitersehen«, antwortete Caitt gepresst. Er wusste natürlich, dass Kineth und Ailean nur an das Wohl des Dorfes dachten. Auch ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, was dort an Deck womöglich lauerte. Aber er war sich bewusst, dass ein Anführer Entscheidungen zu treffen hatte, auch wenn sie sich im Nachhinein vielleicht als falsch erweisen konnten. Und er war ein Anführer, auch wenn sein Vater dies anders sah.

Ungeduldig schritt er auf und ab, strich dabei über seinen geflochtenen Kinnbart, wie immer, wenn er nervös war. Der heutige Tag würde in die Geschichte seines Volkes eingehen. Zum ersten Mal hatten sich die Krieger im Kampf beweisen können, eine Ehre, die seinem Volk seit der Flucht hierher versagt geblieben war. Und er war mittendrin gewesen – so musste sich König Brude, Sohn des Bili, gefühlt haben, als er einst den nordumbrischen König Ecgfrith am Kranichsee vernichtend geschlagen hatte.

Und genauso triumphal wird der heutige Tag auch enden. Egal, was noch kommt.

»Hier ist einer«, schallte es vom Deck des Schiffs. »Und er spricht unsere Sprache.«

»Dann her mit ihm!«, befahl Caitt und sah zu Kineth und Ailean. »Tretet besser ein paar Schritte zurück. Wer weiß, welcher Teufel in ihn gefahren ist.«

Aileans Augen und die der anderen weiteten sich vor Entsetzen bei dem Gedanken daran, dass sich der Leibhaftige selbst an Bord befinden könnte.

Kineth grinste und winkte verächtlich ab. »Wenn es der Teufel wäre, würden wir ihn sicherlich nicht so einfach befragen können.«

Ailean nickte, machte aber trotzdem ein schnelles Kreuzzeichen.

Gleich darauf drängte Gair einen ausgemergelten Mann, der aussah, als wäre er hundert Jahre alt, über die Bordwand und kletterte ihm nach. Aleyn und Lugh folgten den beiden. Am Boden angekommen stieß Gair den Mann mit einem Tritt auf die Knie. Das Gesicht und der kahlrasierte Schädel des Alten sowie seine Arme waren rot gefleckt. Immer wieder kratzte er sich, sein Blick war fahrig.

»Er sagt, er heißt Olaf Eijol-irgendwas«, sagte Gair zu den anderen, die sicheren Abstand hielten.

»Ólaf Eyjólfursson«, berichtigte ihn der kniende Mann mit heiserer Stimme. Gair blickte ihn drohend an. »Dein Name kümmert hier niemanden, alter Mann!« Er wandte sich wieder an Caitt und die anderen. »Er sagt, sie kämen von den Hebriden und wollten nach Island und sind hier nur zufällig gelandet.«

»Es heißt«, sagte Kineth, »die Nordmänner seien die erfahrensten aller Seefahrer. Sogar weitab der Küste können sie den Kurs halten.«

Der Alte sah den Krieger mit den seltsamen blauen Mustern auf der Haut ratlos an. Er hatte keine Ahnung, worauf er hinauswollte.

»Warum seid ihr dann hier gelandet? Das war doch kein Zufall!«

Der Alte sah zu Boden und biss sich auf die Lippen. Gair zückte sein Schwert und hielt es dem Alten an die Kehle. »Du antwortest besser, Ólaf Eyjólfursson.«

Der Alte überlegte einen Moment. Er wusste, dass er nichts zu verlieren hatte. »Wir sind in einen schweren Sturm geraten.« Seine Worte hatten eine seltsame Färbung, aber seine Rede war flüssig und verständlich. »Es war, als wollte Thor uns ins Meer schleudern, damit Rán uns mit ihrem Netz fangen konnte. Aber wir haben standgehalten. Allerdings … ging etwas verloren.« Er zögerte erneut, bevor er fortfuhr. »Unser Sólarsteinn. Ohne ihn wurde es schwierig, auf hoher See zu navigieren, wenn die Wolken die Sonne schluckten. Und als die Krankheit an Bord ausbrach, sind wir gänzlich vom Kurs abgekommen. Wir sind also hier gelandet, in der Hoffnung auf Hilfe und Unterschlupf.«

Caitt verzog spöttisch das Gesicht. »Sagt mir, Ólaf Eyjólfursson – wer in Gottes Namen sucht Hilfe und Unterschlupf mit dem Schwert in der Hand? Für mich hatte es eher den Anschein, als wolltet ihr holen, was nicht euer ist!«

Ólaf schwieg, suchte nach den richtigen Worten.

Kineth kam ihm zuvor. »Und diese Krankheit, die an Bord herrscht. Warum hast du sie, und die Krieger, die an Land gingen, nicht?«

»Ich weiß es nicht«, sagte der Alte schulterzuckend. »Ich habe sie als Erster bekommen. Schmerzen im Rücken, eisiger Frost hat mich geschüttelt. Der Hals wie in Flammen, und schweres Fieber, das kam und ging. Und dann diese juckenden Bläschen …«

Wieder kratzte er sich so fest über Kopf und Arme, dass er rote Striemen hinterließ. Angewidert trat Gair weiter von ihm zurück. »Wie viele von euch sind an Deck und in der Lage, allein herunterzuklettern?«

»Es … es sind zehn, aber sie sind zu schwach«, antwortete Ólaf leise.

Caitt überlegte kurz, dann atmete er tief durch. »Wenn du uns hilfst, das Schiff von den Kranken zu säubern, lasse ich dich am Leben, alter Mann.«

»Was soll mit den Kranken passieren?«, fragte Gair.

»Ihr werdet sie hier am Fjord verbrennen, gemeinsam mit ihrer Kleidung, ihren Decken und was sie sonst noch bei sich haben. Einzig Waffen und Schmuck nehmt ihr ihnen ab.«

Gair zögerte.

Der Alte hob wie flehend die Hände. »Ihr wollt sie bei lebendigem Leibe verbrennen?«

Gair sah Caitt an, schüttelte den Kopf. »Ich vergreife mich nicht an dahinsiechenden Männern.«

»Dann soll er dir helfen«, Caitt deutet auf den alten Mann. »Gib ihm einen Dolch, damit er ihnen den Gnadenstoß versetzt. Und, Gair …?«

»Ja?«

»Ihr drei werdet die nächsten Tage das Dorf meiden wie ein Tier das Feuer, verstanden?«

Gair nickte erneut. Er verstand nur zu gut.

Blutrot versank die Sonne im Meer. Sie schickte ihre letzten Strahlen auf die mit Gras bewachsenen Dächer der halb unterirdischen Behausungen, die sich kreisförmig angeordnet in einer Senke befanden. Aus ihrer Mitte ragte, wie ein Walross unter Robben, ein großes Haus.

Die etwa zwanzig Hütten hatten Wände aus Felsbrocken, Grassoden und Torf, aus Holz waren nur die geschnitzten Schutzgötter oder Kruzifixe über den Eingängen. In keiner der Hütten brannte Licht, dafür leuchtete es aus dem großen Gebäude umso heller. Es hatte als einziges schmale Fenster, die mit Lederhäuten verhangen waren, und besaß im Gegensatz zu den anderen Gebäuden ein halbrundes Dach. Es war die Festhalle und gleichzeitig das Haus des Herrschers des Dorfes, Brude, Sohn des Wredech. Und es schallte lebhafte Musik heraus.

Im Inneren gaben Trommeln einen rasenden Rhythmus vor, Fidel und Flöte legten beschwingte Melodien darüber, wie man sie schon lange nicht mehr gehört hatte. Das ganze Dorf war versammelt, tanzte, lachte und trank.

In der Mitte des kuppelförmigen Raums brannte ein offenes Feuer, in das zwei junge Mädchen immer wieder Robbenöl gossen. Die folgende Stichflamme erhellte kurzzeitig selbst den hintersten Winkel des Raumes, in dem sich die Waffen und Rüstungsteile der geschlagenen Nordmänner auftürmten.

Neben dem Feuer drehten drei Frauen einen gewaltigen Spieß mit einem Rentier, das brutzelnd vor sich hin garte. Der Bratenduft erfüllte den ganzen Raum – für alle Dorfbewohner eine willkommene Abwechslung zu Beeren und Getreidegrütze. Immer wieder schnitten die Frauen Fleischstücke ab und legten sie auf kleine Holzbretter, von denen sich jeder nehmen durfte.

Nicht weit vom Feuer hockten auf mit Fell bedeckten Steinen die Krieger der Garde, unter ihnen Kineth, Ailean und Caitt.

Dahinter, auf einem Thron aus Birkenholz, der mit feinen Schnitzereien verziert und ebenfalls mit Fellen bedeckt war, saß Brude, Sohn des Wredech. Er verstand, dass sein Volk feiern wollte, denn schließlich hatte es sich seit Generationen der Vorbereitung zum ersten Mal im Kampf bewährt. Daher hatte er ihnen dieses Fest geschenkt, auch wenn für ihn die Ankunft der Nordmänner kein Grund zum Feiern war. Die immer gleichen Fragen gingen ihm durch den Kopf. Wussten noch andere, dass es dieses Eiland gab? Würden bald noch mehr Nordmänner in noch größerer Zahl kommen? Würden die Seinen standhalten? Und was war mit dieser seltsamen Krankheit an Bord des Drachenbootes?

Doch Brude trachtete danach, sich seine Sorgen nicht anmerken zu lassen, und lächelte den Feiernden aufmunternd zu. Iona, seine Frau, die etwas tiefer zu seiner Linken saß, hatte ihm vor dem Fest die langen braunen Haare sowie den Bart kunstvoll geflochten, sodass keine Strähne die großflächige ornamentale Bemalung verdecken konnte, die seine entblößte Brust zierte – das Piktische Tier, das Zeichen ihres Volkes, ein Wesen ähnlich einem Pferd, aber mit langer, schnabelartiger Schnauze, einem vom Hinterkopf herabhängenden Zopf, rundlichen, am Ende aufgerollten Gliedmaßen und einem hängenden, ebenfalls am Ende gerundeten Schwanz.

Auch wenn viele der Krieger und Bauern seines Volkes eine ähnliche Bemalung hatten – die von Brude war die größte. Und er war stolz darauf.

Wie lange hatte er sein Volk nicht mehr so unbeschwert lachen und tanzen sehen? Brude konnte sich nicht erinnern. Alle Sorgen schienen vergessen, die Mühe und Arbeit, der Kampf ums tägliche Überleben, aber auch die kleinlichen Streitigkeiten und alten Fehden. Groß und klein, alt und jung – alle waren sie gekommen und feierten.

Wirklich alle?

Brude blickte sich um, aber er konnte Beacán, den Priester des Dorfs, nirgendwo sehen.

Der alte Spielverderber verpasst noch vor lauter Beten das Fest, dachte Brude. Doch dann schüttelte er den Kopf. Und wenn schon.

Er sah zu seiner Frau, die gerade Nechtan, dem Kind seiner Schwester Eibhlin, die Brust gab. Lange hatte er auf einen Thronfolger warten müssen und nun war endlich es soweit: Ihr Kind würde, wie es Brauch war, Brudes Nachfolger werden. Obwohl beinahe dreißig Jahre alt, war es für Eibhlin das erste Kind gewesen. Ihr Körper jedoch war von der schweren Geburt zu entkräftet, als dass sie ihren Sohn hätte stillen können. Und da Iona bereits die dritte Totgeburt in Folge gehabt hatte, empfand sie es als ein Geschenk, dieses Kind säugen zu dürfen.

Brude drückte liebevoll die Schulter seiner Frau, die daraufhin zu ihm aufsah. Sie lächelte, glücklich über die allgemeine Heiterkeit, die im Raum herrschte. An den morgigen Tag mochte Brude gar nicht denken. Nach solch einem Fest würden sie ihre Sorgen wohl nur umso deutlicher spüren. Mit einer gewissen Wehmut wandte er sich daher wieder dem Festtreiben zu.

»Auf unsere Krieger! Auf jene, die leben, und die anderen, die euch Lumpenpack nicht länger ertragen müssen!«, rief in diesem Moment Dànaidh, Sohn des Earwine, sprang auf und leerte sein Trinkhorn in einem Zug. Der Schmied, den alle nur Òrd – den Hammer – nannten, torkelte rückwärts, wäre fast gestürzt und konnte sich gerade noch an einem der riesigen Walknochen abstützen, die das Grundgerüst des Gebäudes bildeten. »Auf den Sieg und darauf, dass es neues Eisen zum Schmieden gibt!«

Die jungen Krieger im Raum johlten begeistert und erhoben ihrerseits die Hörner auf ihre Kameraden und auf den Schmied, der mit seiner rauen, aber aufrichtigen Art vielen als Vorbild diente. Dànaidh blickte in sein Trinkhorn – und fiel vornüber wie ein gefällter Baum.

Ailean rutschte näher an Kineth heran, der den Trubel mit unbewegtem Gesicht beobachtete. Sie ahnte bereits, was ihm durch den Kopf ging. »Glaubst du, es werden noch mehr kommen?«

Er zuckte mit den Schultern. »Der Alte hatte behauptet, dass sie vom Kurs abgekommen und nur deshalb hier gelandet seien.«

»Ich weiß, aber was glaubst du?«

»Ich glaube, wir sollten uns dann Sorgen machen, wenn es soweit ist«, antwortete er knapp und hoffte, dass Ailean es damit auf sich beruhen ließ. Denn tief in seinem Inneren wusste er es besser. Er tauschte einen kurzen Blick mit Caitt und spürte, dass auch sein Bruder an jenen Sommer zurückdachte, der nun schon eine Ewigkeit zurücklag – und ihm doch so deutlich vor Augen stand, als wäre es gestern gewesen.

Ailean ließ nicht locker, lehnte sich auf Kineth’ Schoß und beugte sich zu Caitt hinüber. »Was meint Ihr, o Bruder, werden noch mehr Nordmänner landen?« Sie war offensichtlich nicht mehr ganz nüchtern.

»Ich meine, du solltest entweder aufhören zu trinken«, entgegnete Caitt, dessen Gesicht gerötet war, »oder endlich anfangen zu saufen!« Er lachte schallend auf und schubste seine Schwester grob von sich weg, sodass diese bedenklich ins Schwanken geriet.

»Roh wie ein Ochse«, murmelte sie, ergriff Kineth’ Hand und legte ihren Kopf auf seine Schulter. »Warum ist Caitt nur immer so garstig mit mir?«

Kineth musste schmunzeln. Sie spielte, von der Trunkenheit beflügelt, das kleine Mädchen, das sie längst nicht mehr war. Im Kampf jedenfalls konnten sich nur wenige mit ihr messen – Frauen ebenso wie Männer.

»Caitt liebt dich, Ailean. So wie ich.«

»Ich weiß, wie du mich liebst«, sagte Ailean mit schwerer Zunge.

Das weißt du nicht, dachte Kineth und hielt für einen Moment inne. Plötzlich war ihm alles zu viel, er stand abrupt auf und ging auf die andere Seite des Feuers, wo die Bauern saßen. Der Raum drehte sich leicht. Erst jetzt spürte er das viele Ǫl, das er getrunken hatte. Das mit Krähenbeeren gewürzte Bier, gebraut aus dem bisschen Getreide, das auf der kargen Insel wuchs und nicht als Nahrung oder Tierfutter benötigt wurde, war ein hinterhältiges Gesöff, das man nicht unterschätzen durfte.

»Elpin, mein Freund!«, rief Kineth lauthals und setzte sich neben den rotgesichtigen Burschen, der mit seinen siebenundzwanzig Jahren nur wenig älter war als er selbst.

»Kineth, Sohn des Uist!«, rief dieser ebenso laut. »Drei Pfeile in die Brust des Nordmannes, schneller als ein Flügelschlag? Ist das wahr?«

Kineth packte Elpin im Nacken, zog ihn zu sich und grinste breit. »Freche Lügen sind das!« Er schüttelte in gespielter Empörung den Kopf. »Natürlich war ich schneller als der Schlag eines Flügels!«

Die beiden Freunde und die Männer, die um sie herumsaßen, lachten aus voller Kehle. Dann holte Elpin ein kleines Holzbrett hervor, legte blank polierte, ovale Steine, sandfarbene und graue, darauf und sah Kineth herausfordernd an. »Bereit?«

Kineth winkte ab. »Ich hab zu viel Ǫl getrunken, um gegen dich anzutreten.«

»Wer kämpfen kann, kann auch spielen.« Elpin ließ nicht locker. »Der Verlierer muss der alten Mòrag einen Kuss auf den Mund geben.«

Unwillkürlich blickte Kineth sich nach der ausgezehrten alten Frau um, deren schlaffes Gesicht ein zahnloser Mund zierte. Sie musste oft für derartige Spieleinsätze herhalten, und bei dem Gedanken schauderte es Kineth. Aber ihm war auch klar, dass Elpin nicht aufgeben würde. Er blickte auf das Spielbrett, auf dem drei Kreise zu sehen waren, die an acht Punkten miteinander verbunden waren. Auf sechs der Punkte lagen jeweils zwei Steine. Kineth schüttelte den Kopf, kniff die Augen zusammen. Nein, es war jeweils nur ein Stein, der auf den einzelnen Punkten lag – wie es sich gehörte.

Kineth seufzte übertrieben und machte den ersten Zug.

Die Sonne war schon lange untergegangen und hatte einem prachtvollen Sternenhimmel Platz gemacht. Aus Brudes Haus drangen noch immer Musik, Gelächter und Gegröle.

»Noch ein Ǫl!« Caitt stand schwankend auf und streckte einer jungen Magd breit grinsend sein Trinkhorn entgegen. Diese lächelte höflich und schenkte das Horn halb voll.

»He, du willst wohl, dass ich nüchtern zu meinem Weib ins Bett steigen muss«, protestierte Caitt. »Mehr davon, ich vertrag’s!« Seine geröteten Augen und die lallende Aussprache verrieten jedoch anderes. Doch die Magd tat, wie ihr geheißen.

Caitt dankte es ihr mit einem festen Klapps auf den Hintern und trat näher an sie heran. »Oder willst du vielleicht, dass ich in dein Bett steige?«

»Genug!«, polterte Brude mit tiefer Stimme. Caitt zuckte zusammen, die Magd eilte davon. »Caitt, du kannst jetzt die Wacht von Gair übernehmen.«

Einen Moment lang sah Caitt seinen Vater an, als hätte der ihn aufgefordert, zurück in die alte Heimat zu schwimmen. »Warum schickst du mich? Soll Kineth doch –«

Brude stand auf. Gespräche verebbten, man reckte neugierig die Hälse. Als Caitt die Blicke der Leute auf sich ruhen sah, stieß er ein missmutiges Grunzen aus, schob demonstrativ sein Trinkhorn in die Gürtelschlaufe und stapfte davon.

Aus einer Gruppe, die nahe bei der Tür saß, stand Galena auf, seine junge Frau. Mit gutmütigem Blick hielt sie einen Umhang aus Rentierfell in der Hand. Caitt blieb vor ihr stehen.

»Nimm den. Auch starken Männern ist kalt«, sagte sie.

Caitt stierte seine Frau einen Augenblick lang an, dann schlug er ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. Ohne den Umhang zu nehmen, stürmte er zum Tor hinaus. Galena wischte sich über die gerötete Wange und verharrte einen Augenblick, dann setzte sie sich zu den anderen Frauen. Als wäre nichts geschehen, begann sie sich mit ihnen zu unterhalten.

»Habt ihr etwa schon genug?«, rief Brude den Leuten zu, die noch immer gafften. Selbst die Musik hatte jetzt ausgesetzt. Doch wie aufs Stichwort fingen die Musikanten wieder an zu spielen, und die Menschen nahmen ihre Gespräche wieder auf.

Brude nahm auf seinem Stuhl Platz und seufzte tief. Er blickte zu Kineth, der noch immer mit Elpin Mühle spielte, lachend und scherzend. Dann sah er zum Tor, hinter dem Caitt verschwunden war. Es schmerzte ihn, was aus seinem Sohn geworden war, auch wenn er um seine Versäumnisse als Vater wusste.

Doch das Fest ging weiter. Kurze Zeit später spürte Brude in seinem Herzen wieder die tiefe Genugtuung, dass es ihm vergönnt war, einen Abend wie heute ausrichten zu können. Auch wenn es dieses Jahr kein Ǫl mehr geben würde, da der Rest des wenigen Getreides für das Vieh im Winter bestimmt war.

Brude leerte sein Trinkhorn und schloss die Augen. Die überraschende Landung der Nordmänner hatte neben den drei Toten, die sie zu beklagen hatten, letztendlich doch auch etwas Gutes. Sie waren alle wieder geeint.

Und das war es wert.

Kineth riss den Vorhang, der vor dem Eingang zu seiner Hütte hing, mit einem heftigen Ruck zur Seite und torkelte ins Innere. Kaltes Mondlicht durchflutete den engen Raum, erhellte schemenhaft die grob gezimmerten Truhen und ein Lager aus Stroh auf der Erde, auf dem mehrere Felle dick zusammengerollt lagen. Von den lehmigen Wänden starrten die gebleichten Schädel eines Eisbären und dreier Walrossbullen, die Trophäen und Schutzgeister in einem waren. Am Kopfende des Lagers hing ein aus Zweigen geflochtenes Kreuz, um das die scharfkantigen Zähne unterschiedlichster Tiere gesteckt waren, manche so groß wie eine Hand.

Kineth schwankte zu seinem Nachtlager und ließ sich einfach drauffallen.

Mit einem spitzen Schrei fuhr eine Gestalt neben ihm hoch, die sich in die Felle eingemummt hatte.

»Was zum –?« Kineth richtete sich mühsam auf.

Die Gestalt kniete sich hastig hin, richtete sich die Haare. Dann streifte sie die Felle ab, entblößte ihren nackten Körper.

»Ailean?« Kineth traute seinen Augen nicht. Es war Brudes Tochter, die da nackt vor ihm hockte. Plötzlich begann sich der Raum um ihn her unangenehm zu drehen. Er ließ sich wieder aufs Lager sinken. »Was zur Hölle machst du hier?«

Ailean rieb sich den Schlaf aus den Augen. »Ich habe auf dich gewartet.«

»Du hast zu viel getrunken hast. Das Ǫl bekommt dir nicht …«

Sie beugte sich vor und drückte ihm die Hand auf den Mund. »Schhhh.«

Kineth gab ein Knurren von sich. Ailean zog die Hand zurück und legte sich provozierend auf den Rücken. Kineth konnte nicht anders, als sie zu betrachten: Das Licht des Mondes ließ ihren Körper wie aus Elfenbein geschnitzt erscheinen, die spiralförmigen Bemalungen auf ihrer Haut wanden sich vom Rücken über ihre Schultern, umspielten die Narben auf der linken Seite ihres Halses und führten zu ihrem dunkelblonden Haar, das sich im Mondlicht wie ein Fächer aus gleißendem Silber ausbreitete.

Sie war hier, nur für ihn, so, wie Kineth es sich immer erträumt hatte.

Geschieht dies wirklich?

Ailean räkelte sich vor ihm, fuhr sich mit den Händen über die Hüften, hinauf zu ihren weichen Brüsten, umschloss sie.

»Ich weiß, dass du mich willst, wolltest es schon immer«, raunte sie. Sie verharrte einen Augenblick in ihrer aufreizenden Pose, dann kicherte sie wie ein junges Mädchen. »Zieh jetzt nur nicht den Schwanz ein.«

»Hör zu«, Kineth fiel das Atmen schwer, »das ist keine so gute Idee …«

»Du willst das hier nicht?« Ailean spielte mit ihren Brustwarzen, die vor Erregung hart wurden. »Oder das?« Sie fuhr mit der rechten Hand ihren zart gewölbten Bauch hinunter, über ihr Schambein und vergrub sie zwischen ihren Beinen. »Nein?«

Kineth seufzte. »Ailean, bitte …«

Ehe Kineth recht wusste, wie ihm geschah, hatte Aileen sich rittlings auf ihn geschwungen und drückte ihn zu Boden. Er schlug unsanft mit dem Hinterkopf auf dem gestampften Erdboden auf. Sie kniete sich mit ihrem ganzen Gewicht auf seine Arme, ihr nackter Körper thronte über ihm, ihre Brüste hingen spitz über seinem Gesicht.

Wenn er jetzt den Kopf hob und die Zunge streckte …

»Ich kann dich auch mit Gewalt nehmen.« Ailean packte ihn unsanft bei den Haaren, dann begann sie seine Wange zu küssen. Langsam wanderte sie weiter nach unten, leckte mit der flachen Zunge über seinen Hals.

Das Dach über Kineth drehte sich, er wusste nicht, ob er sich vor Lust die Kleider vom Leibe reißen oder vor Übelkeit hinausstürmen sollte. Als Ailean immer weiter an ihm hinunterrutschte, ergab er sich schließlich in sein Schicksal.

Ailean begann, die Verschnürung seiner Hose zu lösen. Kineth schloss die Augen.

Kineth riss die Augen auf. Wirre Gedanken wechselten sich blitzartig mit Bildern eines Traums ab, dessen Inhalt im selben Augenblick verflog, da Kineth versuchte, sich daran zu erinnern. Aber es hatte etwas mit nackter Haut und wollüstigen Weibern zu tun, und mit –

Ailean?

Hatte sie wirklich hier auf ihn gewartet?

Er setzte sich auf. Sein Schädel dröhnte, allein der Gedanke an Ǫl verursachte ihm Übelkeit, aber was war es für ein prächtiges Fest gewesen! Auch wenn er nicht mehr wusste, wann und wie er in seine Hütte gekommen war, oder warum er am kalten Boden und nicht auf den Fellen lag.

Kineth streckte sich. Je länger er darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher erschien ihm, dass Ailean hier gewesen war. Es musste ein Traum gewesen sein, wenn auch ein ungewöhnlich lebhafter. Am besten vergaß er die ganze Sache und versuchte erst mal wieder Leben in seinen Körper zu bringen.

Kineth blickte zum Eingang. Unter dem Vorhang aus Seelöwenhaut drang fahles Zwielicht herein. Es war offensichtlich noch früh am Morgen. Er überprüfte, ob sein Dolch im Stiefelschaft steckte, dann stand er auf und ging nach draußen.

Ein allumfassender, aschener Himmel reichte bis zum Horizont und traf dort auf die allumfassende, spiegelglatte See. Kineth rieb sich den Hinterkopf, der schmerzte, als hätte er einen Schlag dagegen bekommen. Aber vermutlich war er gestern einfach ausgerutscht und hingefallen.

Langsam ging er hinter die Hütte und pisste lange in die dafür ausgehobene Grube.

Ein anhaltender, kalter Wind zog ihm das Pochen aus dem Schädel, doch er konnte sich immer noch nicht daran erinnern, was gestern vorgefallen war, nachdem er die Halle verlassen hatte.

Und warum musste er fortwährend an Ailean denken?

Weil sie sich dir gestern in der Halle in eindeutiger Absicht genähert hat.

Kineth runzelte die Stirn und genoss die Stille, die nur vom Blöken der Schafe und Meckern der Ziegen unterbrochen wurde, die unweit des Dorfes herumliefen. Er sah sich um: In den anderen Hütten schien alles noch zu schlafen. Kein Feuer, keine Stimmen, kein Kindergeschrei.

Ein Ast knackte. Kineth schielte weiter nach hinten: Elpin stahl sich gerade nackt aus der Hütte der alten Mòrag, seine Kleider unter dem Arm. Er erstarrte, als er den Freund erblickte. Kineth band sich die Hose zu und machte eine obszöne Geste.

Elpin schnitt eine betretene Grimasse, dann verschwand er zwischen den Hütten.

Da wirst du deiner Frau aber einen ordentlichen Bären aufbinden müssen, mein Freund.

Kineth musste innerlich lachen. Zumindest würde Elpin nicht schon wieder Vater werden. Fünf Kinder in vier Jahren von drei Frauen waren wahrlich keine schlechte Leistung. Auch wenn nur noch drei der Kinder am Leben waren. Aber die alte Mòrag hatte zumindest eine Weile etwas zum Träumen.

Kineth ging zum Bach, der das Dorf durchschnitt, kniete sich hin und trank gierig das eiskalte Nass. Dann tauchte er den Kopf ganz unter. In dieser Stellung verharrte er, versuchte, seinen Herzschlag zu beruhigen. Auch als seine Lungen reflexartig pulsierten, blieb er unter Wasser. Erst im allerletzten Moment, als die Atemnot seinen Körper förmlich zu zerreißen drohte, hob er den Kopf und atmete tief ein. Seit Jahren wiederholte er dieses Ritual jeden Morgen, warum wusste er nicht. Aber inzwischen konnte er länger die Luft anhalten als jeder andere Mann im Dorf.

Mit schnellen Bewegungen wusch sich Kineth unter den Achseln und das Gemächt, dann stand er auf und ging in Richtung Küste davon.

Er war noch keine vierzig Schritte gegangen, als er auf der Wiese einen Mann liegen sah, alle viere von sich gestreckt. Es war Caitt. Kineth ging zu ihm und stieß ihm unsanft mit dem Stiefel in die Seite.

»Aufwachen, Caitt!«

Dieser öffnete die Augen, blickte verwirrt um sich. »Was … wo …?«

»Es ist früher Morgen«, klärte Kineth ihn auf. »Du solltest eigentlich Gair ablösen. Sehr weit bist du nicht gekommen.«

Caitt stöhnte, runzelte ungläubig die Stirn. Seine Glieder waren steif von der Kälte der Nacht. Er rieb sich die Arme.

Kineth streckte seinem Stiefbruder die Hand entgegen.

»Ich habe keine Ahnung mehr, was geschehen ist«, sagte dieser und ließ sich aufhelfen. »War es ein gelungenes Fest?«

»Du hast Galena ins Gesicht geschlagen.«

Caitt machte eine wegwerfende Geste. »Dann hat sie bestimmt wieder irgendeine Dummheit gemacht.«

Kineth nickte. »Sie wollte dir einen Umhang mitgeben, damit du nicht frierst.« Kineth, der Caitt immer noch an der Hand hielt, drückte diese fester zu. »Wahrlich eine große Dummheit.«

Caitt ächzte, dann schüttelte er Kineth verärgert ab. »Hab sie nicht darum gebeten.«

»Sie wird’s auch bestimmt nicht wieder tun.« Die Art, wie sein Stiefbruder mit seiner Frau umging, gefiel ihm nicht. Aber Caitt musste selbst wissen, was er tat.

Liebe muss man sich verdienen, nicht erschlagen. Die Worte von Kineth’ Vater. Solche Spitzfindigkeiten hatte Brude seinem Sohn sicherlich nicht mit auf den Weg gegeben.

»Ich gehe zum Schiff«, sagte Kineth.

»Ich komm gleich nach.« Caitt war bleich geworden, sein Gesicht zuckte. Dann drehte er sich ruckartig um und übergab sich ins hohe Gras.

Das Drachenboot lag wie am Tag zuvor am Fjord, war jedoch mit Tauen und Pflöcken an Land festgebunden, damit die Flut es nicht mit sich riss. Davor lagen nebeneinander aufgereiht die zehn Kranken, eingehüllt in ihre Decken. Neben ihnen hockte der alte Ólaf und döste vor sich hin.

In einigen Schritten Entfernung stand Gair Wache, Aleyn und Lugh schliefen noch. Als er Kineth erblickte, winkte er erfreut. »In Gottes Namen, ist das verdammte Fest endlich vorüber?«

Kineth nickte.

»Sag mir, dass es furchtbar langweilig war«, sagte Gair, »dass es nichts zu fressen gab und das Ǫl wie Pisse geschmeckt hat!«

»So und nicht anders war es«, antwortete Kineth freundschaftlich. »Aber Brude hat euch dreien eine Sonderration aufgehoben.«

Gairs Augen blitzten vor Freude, als konnte er das gebratene Fleisch schon jetzt schmecken.

»Was hat sich hier getan?«, wollte Kineth wissen.

»Wir haben die Kranken von Deck geholt. Vier sind in der Nacht verstorben, die anderen sechs sind sehr schwach.«

»Haben sie Wasser bekommen?«

Gair nickte. »Aber sie haben es gleich wieder ausgespien. Es sieht nicht gut aus.«

»Und der Alte?«

»Wortkarg, aber harmlos. Weiß gar nicht, was der an Bord sollte. Kann kaum seine Pisse halten, geschweige denn ein Schwert.«

Kineth grinste, er mochte Gairs direkte Art.

Die beiden sahen, wie Caitt mit unsicheren Schritten den Hügel heruntergestapft kam.

»Ist seine Laune wie immer nach einer durchzechten Nacht?« Gair feixte.

»Schlimmer. Sei lieber vorsichtig.«

Wenig später hatte Caitt sie erreicht und baute sich vor ihnen auf. »Weck den Alten!«, herrschte er Gair an. Sein Atem stank nach Ǫl und Erbrochenem, Gair verzog das Gesicht.

»Immer langsam. Was hast du vor?« Kineth drückte Caitt einen Schritt zurück.

»Was ich vorhabe? Unser Volk zu schützen!« Caitts Stimme wurde lauter. »Woher willst du wissen, dass sich diese Krankheit nicht bereits den Weg ins Dorf gebahnt hat und heute Morgen alle mit Blasen übersät aufwachen?«

ENDE DER LESEPROBE