Das Buch gegen Nazis - Toralf Staud - E-Book

Das Buch gegen Nazis E-Book

Toralf Staud

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Beschreibung

Erste Hilfe gegen Nazis – das Handbuch zum Rechtsextremismus Eine neue Studie zeigt: Neonazis haben unter Schülern immer mehr Zulauf. Rassismus und Fremdenhass nehmen zu in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Was tun gegen Nazis? Erste Hilfe bietet dieses Buch. Rechtsextremismus breitet sich aus, nicht nur unter Jugendlichen. Neonazis erkennt man längst nicht mehr an Springerstiefeln und Glatze. Ihre Anführer geben sich cool – sie locken mit Musik, Abenteuern und modischem Chic. Immer mehr Menschen fragen: Was tun? Welche Rezepte gibt es, um friedlich und kreativ gegen Rechtsextreme und Rassisten vorzugehen – sei es als Nachbar, im Sportverein, in der Schule oder am Arbeitsplatz? Und was ist Rechtsextremismus überhaupt? Soll man mit Nazis eigentlich diskutieren? Woran erkenne ich die? Wie soll man auf Drohungen von Rechtsextremisten reagieren? Was tue ich, wenn meine beste Freundin plötzlich NPD wählt? Hilft ein Verbot der Partei? Und sind Sitz­blockaden bei Neonazi-Demonstrationen eigentlich strafbar? Das Buch gegen Nazis vermittelt kompaktes Wissen und gibt praktische Tipps. Es stellt beispielhafte Initiativen vor und empfiehlt Ansprechpartner für Ratsuchende. Ein Anhang mit zahlreichen Fotos erklärt die Erkennungszeichen der Nazis von heute. Mit Vorworten von Thomas Krüger und Giovanni di Lorenzo und Beiträgen von zahlreichen Fachautoren. Ein Projekt der ZEIT und der Bundeszentrale für politische Bildung

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Seitenzahl: 453

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„Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. [...] Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache. [...] Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren. [...] Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir.“

Joseph Goebbels,der spätere Reichspropagandaminister,in der NSDAP-Zeitschrift Der Angriff,30. April 1928

Inhalt

VORWORTE

WISSEN

01 Was ist Rechtsextremismus?

02 ... und wie weit ist er verbreitet?

03 Warum eigentlich ist Demokratie besser?

04 Was ist Rechtspopulismus?

05 Wo beginnt Rassismus?

06 Ist jeder fünfte Deutsche ein Antisemit?

07 Woran erkennt man Rechtsextremisten?

08 Ist Thor Steinar eine Nazimarke?

09 Wo spielt rechtsaußen die Musik?

10 Sind alle Skinheads rechtsextrem?

11 Was machen die Nazis im „Weltnetz“?

12 Was will die NPD eigentlich?

13 Welches Menschenbild hat die NPD?

14 Sollte die NPD verboten werden?

15 Wie machen Nazis sich in der Gesellschaft breit?

16 Und warum engagiert sich die NPD in der Kommunalpolitik?

17 Was tun eigentlich die demokratischen Parteien gegen Rechtsextremismus?

18 Was sind Neonazi-„Kameradschaften" und „Autonome Nationalisten“?

19 Wie gut sind die Kontakte von Rechtsextremisten ins Ausland?

20 Wer ist die „Neue Rechte“?

21 Ist die Junge Freiheit ein rechtsextremistisches Blatt?

22 Wie rechts sind Burschenschaften?

23 Gibt es bei den Neonazis auch Frauen?

24 Was ist Patriotismus?

25 Wo ist eigentlich die „Ostküste“?

26 Warum hassen Rechtsextremisten die USA?

27 Weshalb ist Rudolf Hess ein Held der Rechtsextremisten?

28 Wie lügen die Leugner des Holocaust?

29 War unter Adolf alles schlecht?

30 Was ist verkehrt daran, wenn die NPD „mehr Gemeinschaft“ fordert?

31 Wird die rechtsextreme Gewalt immer mehr?

32 Warum scheint es, als brächten die vielen Projekte so wenig?

33 Ist der Rechtsextremismus im Osten anders?

34 Soll man mit der Antifa zusammenarbeiten?

35 Darf man über Nazis lachen?

HANDELN

36 Was kann wirklich jeder gegen Rechtsextremismus tun?

37 Ich döse am Strand, ein Trupp Jungnazis kommt. Wie kann ich reagieren?

38 Wie gründe ich eine Initiative und mache auf sie aufmerksam?

39 ... und woher bekommt man Geld?

40 Wie kann sich ein kleines Dorf gegen Neonazis wehren?

41 Wie organisiere ich kreative Demonstrationen?

42 Sind Sitzblockaden eigentlich strafbar?

43 Darf man Hakenkreuze übermalen?

44 Wie verhindere ich bei Veranstaltungen rechtsextremistische Störversuche?

45 Soll man mit Nazis reden? Und wie kann ich das lernen?

46 Hilfe, meine beste Freundin hat NPD gewählt!

47 Was tun, wenn Rechtsextreme sich in „meinem“ Internetforum breitmachen?

48 Wie sollen Journalisten über Rechtsextremismus berichten? Vielleicht gar nicht?

49 Soll man Nazis aus dem Sportverein werfen?

50 Ist Fußball unpolitisch?

51 Was sollen Sozialarbeiter tun, wenn in ihrem Jugendclub Nazi-Musik auftaucht?

52 Wie organisiere ich ein Konzert gegen Rechtsextremismus?

53 In meiner Klasse haben Nazis Oberwasser – was kann ich tun?

54 Was ist die richtige Reaktion auf die „Schulhof-CD“ der NPD?

55 Wie soll man mit Kindern über Nazis reden?

56 Hilfe, mein Kind ist in einer rechtsextremen Clique gelandet!

57 Wo gibt es Hilfe für Rechtsextremisten, die aussteigen wollen?

58 Wie reagiere ich auf mögliche Bedrohungen durch Rechtsextreme?

59 Was tun bei einem rechtsextremen Angriff?

60 Wo gibt es Hilfe für Opfer rechter Gewalt?

61 Wie reagiere ich, wenn ein Kollege rechte Sprüche macht?

62 Was können die Kirchen gegen Rechtsextremismus unternehmen?

63 Was tun gegen Nazis an der Uni?

64 Im Gemeinderat sitzt neuerdings die NPD – wie können Lokalpolitiker reagieren?

65 Wie verhindert man, dass Rechtsextremisten Immobilien erwerben?

66 Ist es schlimm, wenn in meiner Stadt ein rechter Klamottenladen eröffnet?

67 Hilfe, mein Nachbar ist ein Neonazi!

68 Was tun, wenn Onkel Rolf am Kaffeetisch rassistische Witze loslässt?

69 Sonst noch Fragen?

70 Und wie halte ich mich aktuell auf dem Laufenden?

ERKENNEN

Symbole mit Bezug zum Nationalsozialismus

Kennzeichen von rechtsextremen Organisationen

Symbole mit heidnisch-germanischen Bezügen

Codes und Chiffren

Kleidungsmarken der rechtsextremen Szene

Wenn Rechte links aussehen – Das Verwirrspiel

Register

Quellenangaben und Dank

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Die Herausforderung, mit Rechtsextremismus umgehen zu müssen, ist für viele Menschen leider eine ganz alltägliche. Rechtsextremistische, rassistische, antidemokratische und fremdenfeindliche Verhaltensweisen sind in die Alltagskultur eingedrungen und bedrohen unser zivilgesellschaftliches Zusammenleben. Da wird jemand, direkt nebenan, verächtlich gemacht, weil er ein Migrant ist. Es werden „Witze" über Juden, Sinti und Roma erzählt, die verletzen und zornig machen. Da wird einer benachteiligt, weil er sich nicht konform verhält. Oder vor den Augen der Öffentlichkeit wird Gewalt ausgeübt, und viele wissen nicht, wie sie darauf reagieren sollen.

Fragt man Bürgerinnen und Bürger, warum sie wegschauen und schweigen, erfährt man häufig, dass sie sich in solchen Situationen hilflos und ohnmächtig gefühlt haben. Sie haben es nicht gelernt, auf solche Angriffe in geeigneter Weise zu reagieren, und sie trauen sich auch nicht zu, solche Konflikte in angemessener Weise austragen zu können. Diese Hilflosigkeit, diese Schwäche, ist eine Herausforderung für die politische Bildung in der demokratischen Zivilgesellschaft.

Wir brauchen geeignete Fragen und Antworten, die uns für diese Herausforderung kompetent machen, und wir brauchen Handlungsvorschläge, die wir auch im Alltag ein- und umsetzen können. Es geht um alltagstaugliche Kompetenzen und um plastische, lebendige, wirklichkeitsnahe Praxisbeispiele, an denen wir unsere Fähigkeiten erproben können. Genau diese Hilfsmittel bietet dieses Buch. Es gibt lebendige und realistische Einblicke in die Fragestellungen, um die es beim Rechtsextremismus geht, und es rät, wo Ratschlag nötig ist.

Das Buch konnte so gut gelingen, weil es das Produkt eines äußerst erfolgreichen Beratungsnetzwerkes ist: Die Wochenzeitung DIE ZEIT hat im Jahr 2008 die Internetseite www.netz-gegen-nazis.de gegründet. Neben den Informationen daraus flossen wichtige Inhalte des Online-Dossiers der Bundeszentrale für politische Bildung – www.bpb.de/rechts-extremismus – in das Buch ein. Das Angebot der bpb wurde Ende 2006 gestartet und wird seitdem intensiv genutzt. Diese Erfahrung hat uns gezeigt, wie stark die Nachfrage von immer mehr Menschen nach kompetenten und kompakten Informationen über Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus ist.

Dem „Buch gegen Nazis" ist eine große Verbreitung zu wünschen. Wir hoffen, dass es zu weiteren Vorschlägen anregt und vor allem dazu beiträgt, das zu bewirken, was wir am meisten brauchen: aktives, ganz praktisches Handeln gegen Rechtsextremismus im Alltag.

Thomas KrügerPräsident der Bundeszentrale für politische Bildung

Zu Beginn der 1980er-Jahre, ich studierte in München, besuchte ich ein Seminar über den Holocaust. Mein Professor war der polnische Historiker Wladyslaw Bartoszewski, der später als Diplomat und Politiker Karriere machte. In jungen Jahren hatte er sich gegen die Nazis engagiert, 1940 war er von der SS verhaftet und nach Auschwitz gebracht worden. In seinem Seminar hielt nun ein Student ein Referat, das gespickt war mit rechtsradikalen Äußerungen. Widerspruch erntete er kaum: Außer mir sagte niemand etwas, und auch der Professor schwieg. Ich reiste ihm nach bis nach Wien, um ihn zu fragen, warum er geschwiegen habe. Er sagte: „Weil mich der Vortrag sehr verletzt hat.“

Das Schweigen der Kommilitonen war Wasser auf die Mühlen des rechtsradikalen Studenten. Und ich fürchte, dass sich ähnliche Szenen täglich abspielen, an Schulen, in Vereinen, am Arbeitsplatz und sogar in Familien. Das Internet-Portal „Netz gegen Nazis", das die ZEIT im Mai 2008 auf Initiative des Verlegers Stefan von Holtzbrinck ins Leben rief, beruhte daher auf einer einfachen Idee: Wir wollten Menschen unterstützen, die sich im Alltag gegen Rechtsextremisten zur Wehr setzen, und wir wollten, dass Bürger sich dauerhaft mit dem Phänomen beschäftigen, nicht nur, wenn Gewalttaten für Aufsehen sorgen.

„Mit Rat und Tat gegen Rechtsextremismus" – unter diesem Motto ging netz-gegen-nazis.de online: Weil man nur zielgerichtet handeln kann, wenn man weiß, worum es geht, können sich User in einem Lexikon informieren und in einem Forum miteinander diskutieren. Zehntausende haben das bislang getan: Da fragt ein Lehrer, was er tun soll, wenn ein Schüler ein Hakenkreuz an die Tafel malt. Und da bittet ein Feuerwehrmann um Rat, dessen Kamerad rassistische Sprüche loslässt. Beide – und viele andere – haben Antwort erhalten.

Dass Millionen Menschen unser Portal besucht haben, verdanken wir nicht zuletzt unseren Partnern: dem Deutschen Fußball-Bund, der Deutschen Fußball-Liga, dem Deutschen Olympischen Sportbund, dem Deutschen Feuerwehrverband, dem ZDF und dem Netzwerk Studi/Schüler/MeinVZ. Die Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt uns dabei, das Projekt mit diesem Buch fortzuführen.

Auf den folgenden Seiten drucken wir die besten Beiträge aus Lexikon und Forum ab. Ich wünschte, sie könnten den Demokraten Mut machen. Denn eine Gesellschaft, die Angst vor der Auseinandersetzung mit Neonazis hat, ist sich ihrer demokratischen Werte nicht sicher. Stürzen wir uns also mit Leidenschaft und guten Argumenten hinein! Das ist ebenso wichtig wie konsequentes Vorgehen von Polizei und Justiz gegen rechtsextreme Straftäter.

Giovanni di LorenzoChefredakteur DIE ZEIT

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Was ist Rechtsextremismus?

Wundern Sie sich nicht, wenn Sie auf verschiedene Definitionen für „Rechtsextremismus" stoßen – der Begriff ist unpräzise und in der Wissenschaft umstritten. Trotzdem lässt sich rechtsextremistisches Denken auf einen Kern reduzieren: Es lehnt die Freiheit und die Gleichheit (bzw. Gleichwertigkeit) aller Menschen grundsätzlich ab. „Rechtsextremismus" ist eine Kombination verschiedener Einstellungen – und einige von ihnen sind bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein verbreitet.

Bis heute streiten Experten um eine einheitliche Definition von „Rechtsextremismus". Aus Anlass einer großen Umfrage zum Thema bat die Friedrich-Ebert-Stiftung im Jahr 2006 elf führende Sozialwissenschaftler, sich zu einigen. Dies kam dabei heraus: „Der Rechtsextremismus ist ein Einstellungsmuster, dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen darstellen. Diese äußern sich im politischen Bereich in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen.“

Rechtsextremistisches Denken ist also ein Mix verschiedener inhumaner Einstellungen, beispielsweise Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus, Sexismus (Diskriminierung aufgrund des Geschlechts), Autoritarismus (Befürwortung einer Diktatur) und Chauvinismus (Glaube an die Überlegenheit der eigenen Gruppe). Rechtsextremisten meinen zum Beispiel, dass die Zugehörigkeit eines Menschen zu einer ethnischen Gruppe von größter Bedeutung ist, dass damit seine Fähigkeiten, sein Verhalten, sein Denken vorbestimmt sind. Völkische Rechtsextremisten -beispielsweise in der NPD – fordern explizit, dass jeder Einzelne sich und seine Interessen dem Kollektiv (der „Volksgemeinschaft") unterzuordnen habe. Oft beziehen sie sich positiv auf den Nationalsozialismus, dessen Verbrechen sie dabei relativieren oder gar leugnen (dies wird „Geschichtsrevisionismus“ genannt).

WAS IST RECHTSRADIKALISMUS?

Der Begriff „Rechtsradikalismus" (aus dem Lateinischen radix, -icis: die Wurzel) ist noch unklarer und umstrittener als der Begriff „Rechtsextremismus" – in der Fachwelt gilt er als veraltet, ist aber in der Umgangssprache sehr gebräuchlich.

„Radikal" ist jemand, der eine grundsätzliche Kritik übt; als „extremistisch" aber wird eine Person oder eine Organisation erst bezeichnet, wenn sie sich – so formuliert es der Verfassungsschutz -„gegen den Grundbestand unserer freiheitlich-rechtsstaatlichen Verfassung" richtet, also beispielsweise die im Grundgesetz verankerten Menschenrechte ausdrücklich ablehnt.

Die Elemente rechtsextremer Ideologien sind in der Bevölkerung weitverbreitet; in gewissem Sinne ist der Begriff „Rechtsextremismus“ deshalb irreführend, weil er klingt, als seien solche Einstellungen nur bei einer kleinen, extremen Randgruppe vorhanden. Dabei ermittelte schon 1979/80 eine Studie des Sinus-Instituts einen Anteil von 13 Prozent der Bundesbürger mit geschlossenem rechtsextremistischem Weltbild – darüber hinaus hätten 37 Prozent der 7000 Befragten eine autoritäre Einstellung gezeigt, die die Forscher als „Brücke nach rechts“ bewerteten.

Kurz nach der Wiedervereinigung ergaben vergleichende Untersuchungen in Ost- und Westdeutschland noch, dass rechtsextremistische Einstellungen in den neuen Ländern weniger weit verbreitet waren als in den alten. Das hat sich inzwischen geändert, wie sich auch an den Wahlergebnissen der NPD in Ostdeutschland zeigt. Die bereits erwähnte Studie der Ebert-Stiftung („Vom Rand zur Mitte“) ergab hohe Zustimmungen zu rechtsextremistischen Aussagen in allen Bundesländern, Altersgruppen und gesellschaftlichen Schichten. Rechtsextremismus ist also kein Ost- und auch kein Jugend-Problem. Verschiedenen Studien zufolge sind Fremdenfeindlichkeit und Diktaturbefürwortung im Osten weiter verbreitet, im Westen dagegen Antisemitismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus häufiger zu finden.

Die größte Studie zum Thema läuft seit 2002 an der Universität Bielefeld: Über zehn Jahre erforschen die dortigen Wissenschaftler das gesellschaftliche Klima in Deutschland, ihre Ergebnisse veröffentlichen sie jährlich in Buchform (Deutsche Zustände, Suhrkamp Verlag). Das Team um Prof. Wilhelm Heitmeyer spricht nicht von „Rechtsextremismus", sondern „Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" – eben weil Rechtsextremisten ihre Ablehnung bestimmter Menschen mit deren (tatsächlicher oder unterstellter) Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen begründen. So fragt die Bielefelder Studie nach Ablehnung beispielsweise von Fremden, Juden oder Obdachlosen – und findet solche Einstellungen ebenfalls in großen Teilen der Bevölkerung.

Rechtsextremistisches Denken führt allerdings nicht automatisch zu rechtsextremistischem Verhalten. Bei Weitem nicht alle Bürger mit rassistischem Weltbild geben bei Wahlen ihre Stimme auch wirklich offen rassistischen Parteien. Die wenigsten Rechtsextremen (am ehesten noch junge Männer) setzen ihre menschenfeindlichen Ansichten in Gewalttaten um. Deshalb spiegeln Wahlergebnisse etwa der NPD oder Polizeistatistiken für rechtsextreme Kriminalität das Problem nur unzureichend wider.

Die organisierte extreme Rechte besteht aus vielen verschiedenen Gruppen und Strömungen, die sich in der ideologischen Ausrichtung unterscheiden – die teils miteinander kooperieren, teils konkurrieren oder sich gar direkt bekämpfen. Zur Beschreibung ihres Charakters werden oft die noch unschärferen Begriffe „rechtsradikal" oder „rechtspopulistisch" verwendet -präziser wäre es, die jeweils vorhanden Elemente extrem rechten Denkens zu benennen, also konkret von „rassistischen", „antisemitischen" oder „autoritären" Gruppen zu sprechen. Damit würde auch sofort klar, was solche Organisationen von den Demokraten unterscheidet.

MEHR ZUM THEMA

Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung unter www.bpb.de/rechtsextremismusDie Website www.braunerpeter.de bietet zwei Online-Tests zum RechtsextremismusDas Buch „Rechtsextremismus im Wandel" von Richard Stöss gibt es kostenlos im Internet zum Herunterladen: http://library.fes.de/pdf-files/do/05227.pdf

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... und wie weit ist er verbreitet?

Rechtsextreme Einstellungen sind keine Seltenheit. Und anders als oft in den Medien dargestellt, gibt es sie nicht nur in Ostdeutschland.

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Warum eigentlich ist Demokratie besser?

Ja, wäre es nicht schön, wenn ein starker Mann schnelle Entscheidungen träfe? Wenn es eine Einheitspartei gäbe, die Politik im Sinne des Volkswohls machte? Ein Interview mit Hans-Gerd Jaschke, Professor für Politikwissenschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin

Herr Jaschke, in Meinungsumfragen bekunden gut 20 Prozent der Leute, dass sie eine Diktatur eigentlich gar nicht so schlecht finden. Woran liegt das? | Unser modernes Leben ist sehr komplex und unübersichtlich geworden. Der einzelne Bürger hat heute oft das Gefühl, dass Entscheidungen sehr lange dauern, an ihm vorbeigehen – und er im Zweifelsfall sowieso keinen Einfluss darauf nehmen könnte, erst recht nicht im Zeitalter der Globalisierung. Demgegenüber verspricht eine Diktatur schnelle Entscheidungen, sie suggeriert Übersichtlichkeit und Klarheit. Allerdings ist das Lug und Trug, denn eine Diktatur kommt – wie alle historische Erfahrung zeigt – immer nur wenigen zugute, nämlich den Staats- und Parteiführern und ihrer Klientel. Das breite Volk hat in einer Diktatur noch nie einen wirklichen Gewinn gehabt.

Was wäre denn schlecht an schnellen Entscheidungen? | Erst mal gar nichts. Nur lebt eine Demokratie eben davon, dass Entscheidungen möglichst transparent sind und auch hinterfragt werden können. Hierzulande kann man gegen staatliche Entscheidungen, etwa die Genehmigung für eine neue Autobahn, vors Verwaltungsgericht ziehen. Klar, das ist eine Verzögerung – insofern sind Diktaturen effizienter. Aber die Erfahrung zeigt, dass sehr, sehr viele Entscheidungen des Staates falsch waren oder zum Nachteil der Bürger.

Aber manchmal ist Demokratie doch unendlich mühsam! Wenn Nazis Parlamente als „Schwatzbude" verächtlich machen, sprechen sie vielen Leuten aus dem Herzen. | Ganz ohne Frage, in Politik und Staat gibt's eine Menge Reformbedarf. Aber mir geht es ums Prinzip: Die möglichst breite Mitwirkung von Bürgern oder die erwähnte Rechtsweggarantie, da ist die Demokratie nicht verhandelbar. Und ich bin sicher, dass es Menschen Spaß macht, wenn sie sich in Politik einbringen können, wenn sie merken, ihr Engagement wird respektiert. Klar, da wäre einiges zu verbessern. In Berlin etwa gab es in den letzten Jahren zwei Bürgerentscheide – und beide Male hat der Regierende Bürgermeister klargemacht, dass ihm das Votum der Leute eigentlich egal ist. Für den Gemeinsinn ist so etwas katastrophal.

Wie würden Sie einem Kind erklären, warum Demokratie besser ist? | Demokratie ist besser, weil du mitmachen kannst – Diktatur ist schlechter, weil du mitmachen musst.

WO ENDET DIE MEINUNGSFREIHEIT?

Neonazis bezeichnen Leute, die ihnen entgegentreten, oft als „Antidemokraten".Wenn Rechtsextremisten von Veranstaltungen ausgeschlossen werden oder das Mikrofon abgedreht bekommen, schimpfen sie laut über eine „Meinungsdiktatur". Denn es sei doch ein Grundrecht, immer und überall zu sagen, was man will.

Doch so einfach ist es nicht. Das Grundgesetz sagt in Artikel 5, Absatz 2 explizit, die Meinungsfreiheit finde „ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre". Deshalb sind beispielsweise Beleidigungen nicht als Meinungsäußerung geschützt. Und das Leugnen des Holocaust ist hierzulande nicht nur verboten, es ist auch schlicht eine Fehlinformation und trägt daher laut Bundesverfassungsgericht nicht zum geschützten Prozess der Meinungsbildung bei. Auch rassistische Parolen fallen nicht unter den Schutz der Verfassung. Und zur Wissenschaftsfreiheit, die von Holocaust-Leugnern gern strapaziert wird, steht dort: „Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung."

Bei den alten Griechen, bei Platon und Aristoteles, wurde die Demokratie eher negativ gesehen. Wäre es nicht besser, wenn Experten die Welt regierten? | Experten sind unabdingbar für technische Fragen oder zur Erhellung von Details. Bei Fragen des Allgemeinwohls aber haben wir eher schon zu viel Expertentum. Außerdem gibt es ja auch in Expertenkreisen widersprüchliche Auffassungen zu vielen Dingen. Deshalb ist Bürgerbeteiligung in den zentralen Fragen unerlässlich.

Aber ist „das Volk" nicht dumm? | Nein! Es ist bisweilen nicht informiert, das ist richtig. Doch auch das Parlament ist in bestimmten Details nicht als Ganzes informiert, deshalb wählt man ja den Weg über Fachausschüsse. Natürlich, wir brauchen immer Stellungnahmen und Vorarbeiten von Expertengremien, aber die eigentliche Entscheidung muss den Bürgern vorbehalten bleiben.

Warum sind Parteien oft langweilig und dröge? | Die müssen so sein, weil sie den Vorgaben des Parteiengesetzes folgen. Die Verbürgerlichung der Grünen hat nur diesen Grund. Ihre Theorie der Basisdemokratie ist ja nicht verkehrt, sie passte nur nicht zum Gesetz. Die klassische Partei geht auch von einem veralteten Begriff von Öffentlichkeit aus: Der konzentrierte sich aufs Wirtshaus, wo man sich einmal im Monat traf und diskutierte. Das ist längst antiquiert. Wir bräuchten eine gründliche Reform des Parteiengesetzes, aber daran haben viele Funktionäre kein Interesse, weil die alten Strukturen ihre Macht sichern.

Ist die Demokratie die absolut beste Gesellschaftsordnung? | Sagen wir so: Es ist keine bessere vorstellbar.

Es gäbe da noch Utopien von Rätedemokratie oder Anarchismus... | Das Nachdenken über Demokratie ist 2.000 Jahre alt. Das athenische Modell ist bis heute das Ideal: Bürger versammeln sich auf einem Marktplatz – wobei mit Bürgern damals weder Frauen noch Sklaven gemeint waren – und argumentieren frei und treffen dann die beste Entscheidung.

Mit 80 Millionen Einwohnern funktioniert das nicht mehr so recht. | Für mich ist unter den heutigen Bedingungen nichts Besseres denkbar als eine parlamentarische Demokratie mit breiter Bürgerbeteiligung und klarer Gewaltenteilung.

Wie weit entfernt ist die Bundesrepublik von diesem Ideal? | Ein gutes Stück, die Gewalten zum Beispiel sind nicht klar getrennt, Parlament, Regierung und Lobbyverbände zu sehr verschränkt. Aber wir werden immer entfernt sein vom Ideal.

MEHR ZUM THEMA

Möllers, Christoph: Demokratie – Zumutungen und Versprechen. Wagenbach 2008„Demokratie verstehen lernen" – Unterrichtsmaterial unter: www.lehrer-online.de/721816.phpDer Verein www.mehr-demokratie.de fordert Volksabstimmungen und ein anderes Wahlrecht

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Was ist Rechtspopulismus?

Gruppen wie „Pro Köln" gelten als rechtspopulistisch. Umgangssprachlich nennt man Politiker schon „populistisch", wenn sie den Massen nach dem Mund reden und einfache Lösungen präsentieren. In der Wissenschaft wird der Begriff enger gefasst. „Rechtspopulismus" bezeichnet hier eine politische Strategie, die autoritäre Vorstellungen vertritt und verbreitete rassistische Vorurteile ausnutzt und verstärkt. Rechtspopulisten machen gern eine „korrupte Elite" für Probleme des „einfachen Volkes" verantwortlich. Mit „Volk" meinen sie dabei implizit oder explizit eine ethnisch reine Gemeinschaft.

„Populistische Bewegungen sind ein Phänomen gesellschaftlicher Modernisierungskrisen", schreibt der Politikwissenschaftler Frank Decker, „sie treten auf, wenn infolge zu raschen Wandels oder zu großer Verwerfungen bestimmte Bevölkerungsgruppierungen die Orientierung verlieren und von Zukunftsangst geplagt werden." Der Begriff geht zurück auf die Populist Party, die Ende des 19. Jahrhunderts in den USA den Protest notleidender Farmer gegen die etablierte Politik in Washington zu vertreten versuchte. In etlichen Staaten Westeuropas spielen rechtspopulistische Parteien seit gut zwanzig Jahren eine Rolle – so FPÖ und BZÖ in Österreich, Front National in Frankreich oder Vlaams Belang (früher Vlaams Blok) in Belgien -, und in jüngerer Zeit auch in den jungen osteuropäischen Demokratien. Die Übergänge zum Rechtsextremismus und auch zu Gewalttätern sind fließend – beispielsweise erschoss im Mai 2006 ein junger Mann aus dem Umfeld des Vlaams Belang in Antwerpen auf offener Straße mehrere Migranten.

Demgegenüber haben sich rechtspopulistische Parteien hierzulande nicht etablieren können. Rechtspopulistische Versuche – ob von rechten Demokraten wie Jürgen Möllemann oder von Rechtsextremisten wie Franz Schönhuber (Die Republikaner) – scheiterten. Die Partei Rechtsstaatlicher Offensive des Hamburger Amtsrichters Ronald Schill errang 2001 in der Hansestadt dank kräftiger publizistischer Unterstützung des Springer-Verlages fast 20 Prozent der Stimmen und gelangte durch eine Koalition mit der CDU in die Regierung – verschwand aber bald wieder in der Versenkung. Seit einigen Jahren ist in Köln eine „Bürgerbewegung Pro Köln" (siehe Randspalte) aktiv.

DAS MODELL „PRO KÖLN"

Die „Bürgerbewegung Pro Köln" wurde 1996 als eingetragener Verein gegründet. Später traten Ex-Funktionäre der extrem rechten Deutschen Liga für Volk und Heimat (DLVH) bei, etwa der Kölner Verleger Manfred Rouhs oder der Leverkusener Anwalt Markus Beisicht. 2004 zog die Gruppe mit 4,7 Prozent erstmals in den Kölner Stadtrat ein, 2009 steigerte sie sich auf 5,4 Prozent und erhielt 5 Mandate.

Einerseits versucht sich „Pro Köln" als demokratisch und „freiheitlich" zu inszenieren. Andererseits nennt sich die Organisation selbst „rechtspopulistisch" und vertritt teils offen rassistische Positionen. In ihrem Grundsatzprogramm werden – wie für Rechtspopulisten typisch – vorhandene Missstände verallgemeinert und drastisch zugespitzt: „Jugendliche Roma-Klau-Kids, die nunmehr über Jahre die ganze Stadt terrorisieren", heißt es dort etwa, „gehören unverzüglich abgeschoben."

Mit einer Kampagne gegen eine umstrittene Moschee erlangte „Pro Köln" zeitweise beachtliche Aufmerksamkeit, stieß mit groß angekündigten „Anti-Islamisierungskon-gressen" dann aber in der Domstadt auf breiten gesellschaftlichen Widerstand. Unter dem Signum „Pro NRW" und „Pro Deutschland" wird versucht, das Kölner Modell überregional auszudehnen.

Kern des Populismus ist eine demagogische Argumentation, die „den kleinen Mann" oder „das einfache Volk" gegen „das Establishment" oder „die da oben" stellt. Als Feind können Regierungsapparate, Konzerne, Parteien oder Lobbyverbände fungieren. Derartiges Reden ist sowohl von links wie von rechts denkbar. Rechtspopulisten aber grenzen die „Wir-Gruppe" nicht nur nach oben, sondern auch strikt nach außen ab, beispielsweise gegen andere ethnische oder religiöse Gruppen (in Deutschland meist gegen Türken oder Muslime). Soziale Missstände und Kriminalität versuchen sie durch rassische oder kulturelle Besonderheiten zu erklären.

„,Das Volk' wird von Rechtspopulisten grundsätzlich als homogene Einheit begriffen", analysiert der Politologe Oliver Geden. „Die in komplexen Gesellschaften vorhandenen Interessenkonflikte werden nicht als logische Folge einer zunehmenden Ausdifferenzierung von Milieus und Lebenswelten betrachtet, sondern als das Ergebnis einer eigensüchtigen Politik der herrschenden Eliten, als Fragmentierung, die wieder aufgehoben werden kann und soll." Solche – gewissermaßen romantischen – Vorstellungen homogener Gesellschaften teilen Rechtspopulisten mit Rechtsextremisten. Wirtschaftspolitisch aber vertreten Rechtspopulisten oft neoliberale Positionen – ganz im Gegensatz etwa zur NPD, die mit dem Konzept eines „nationalen Sozialismus" sehr starke staatliche Eingriffe und einen kümmernden Sozialstaat propagiert.

Oft wird der Begriff „Rechtspopulismus" verwendet, um eine salonfähige oder modernisierte Form von Rechtsextremismus zu bezeichnen. In der Tat gibt es Schnittmengen zwischen beiden Phänomenen, aber Rechtspopulismus ist eher eine politische Strategie als eine geschlossene Ideologie. Er zeichnet sich aus durch inszenierte Tabubrüche, das Einfordern radikaler Lösungen und den Hang zu Verschwörungstheorien. Rechtspopulisten vertreten autoritäre Politikkonzepte. In ihren Parolen fordern sie oft „mehr Härte" gegen Straftäter, Bettler oder „Zigeuner"; sie schüren Ängste vor einer „Überfremdung" durch Migranten und polemisieren gegen „Scheinasylanten". Oft profilieren sie sich mit der rabiaten Ablehnung von Moscheebauten. Bei Themen wie Abtreibung, Förderung von Ehe und Familie oder auch der Bildungspolitik ähneln ihre Positionen oft denen von Konservativen.

„Pro Köln" wird seit 2002 im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbericht unter der Rubrik „rechtsextremistisch" geführt. Dagegen hat die Gruppierung mehrfach geklagt, für die Jahre 2002 bis 2006 wurden die Klagen bereits abgewiesen. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass „hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung" vorliegen. Bei einem weiteren Verfahren steht das endgültige Urteil noch aus. Im 2008er Bericht zitiert der Verfassungsschutz wiederum Beispiele für das „Schüren von Ressentiments gegen die muslimische Bevölkerung und für fremdenfeindliche Agitation" aus „Pro Köln "-Publikationen.

MEHR ZUM THEMA

Häusler, Alexander (Hrsg.): Rechtspopulismus als „Bürgerbewegung". VS Verlag 2008Einen kompakten Überblick bietet die Broschüre „Populismus" von Frank Decker und Marcel Lewandowsky, die es kostenlos bei der Landeszentrale für Politische Bildung NRW gibt.weitere Artikel und Aufsätze zum Thema unter www.netz-gegen-nazis.de/category/lexikon/rechtspopulismus

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Wo beginnt Rassismus?

Rassismus behandelt Menschen nicht als Individuen, sondern als Angehörige einer Gruppe – und er unterstellt, dass aus dieser Gruppenzugehörigkeit sich unveränderliche Eigenschaften, Fähigkeiten oder Charakterzüge ableiten. Dabei halten Rassisten ihre eigene Gruppe meist für höherwertig. Klassischer Rassismus basiert auf einer wissenschaftlich längst überholten Einteilung der Menschheit in unterschiedliche „Rassen" – auch deshalb versuchen Rechtsextremisten seit den Siebzigerjahren, neue Begründungen für ihren Rassismus zu finden.

Rassismus findet sich überall: im Alltag, in der Geschichte, in der Politik – und sicherlich auch in Ihrem Kopf. Denn Rassismus kann bequem sein. Man kann sich damit ganz einfach die Welt erklären oder sich selbst über andere Menschen stellen.

Rassismus zeigt sich zum Beispiel in privaten Vorurteilen, in staatlicher Diskriminierung, in Gewalttaten oder – im extremsten Fall – in Völkermord. Politisch ist Rassismus sehr nützlich, um Herrschaftsverhältnisse zu begründen und Menschen beispielsweise für kriegerische Zwecke zu mobilisieren. Sätze wie „Alle Türken stinken" oder „Alle Deutschen sind fleißig" sind gleichermaßen rassistisch. In einer Schulungsbroschüre der NPD für ihre Kader heißt es: „Ein Afrikaner, Asiate oder Orientale wird nie Deutscher werden können, weil die Verleihung bedruckten Papiers [des bundesdeutschen Passes] ja nicht die biologischen Erbanlagen verändert, die für die Ausprägung körperlicher, geistiger und seelischer Merkmale von Einzelmenschen verantwortlich sind".

WENN WORTE WEHTUN ...

Rassismus kommt oft unscheinbar daher – jedenfalls für Menschen, die nicht davon betroffen sind. Für die anderen sind oft die kleinen Dinge das Schmerzlichste. Die folgenden Zitate stammen aus Berichten von Betroffenen auf einer Tagung in Magdeburg:

„Kommentar meiner Oma, als ich ihr sagte, dass mein Freund .farbiger' US-Amerikaner sei: ,Eisbären und Pinguine leben doch auch friedlich nebeneinander und müssen sich nicht gleich paaren.'"

„Ich bin mit einem Mann aus dem Kongo verheiratet. Zu Weihnachten schenkten meine Eltern unserem gemeinsamen Sohn eine afrikanische Trommel. Als er trommelte und tanzte, meinten sie „das habe er in den Genen". Leute nennen mein Kind ,Mischling', ,Negerkind' oder ,Mulatte'. Ich wurde einmal in der Straßenbahn als ,Negerschlampe' bezeichnet. An die mitleidigen oder angeekelten Blicke habe ich mich schon gewöhnt. Es ist schon nicht so einfach, aber ich bin sehr stolz auf meinen Sohn und ich habe ihn sehr lieb."

„Ich habe bei einer Zeitschrift gearbeitet und wurde immer als Quotentürke beschimpft. Und natürlich sollte es immer nur ein Scherz sein."

Hierzulande sprechen Politiker und Medien (anders als etwa in Frankreich oder Großbritannien) statt von „Rassismus" oft von „Ausländerfeindlichkeit" oder „Fremdenfeindlichkeit". Diese beiden Begriffe aber sind unpräzise: Deutsche Rechtsextremisten haben beispielsweise überhaupt nichts gegen blonde Schweden, wohl aber etwas gegen dunkelhäutige Deutsche – obwohl der eine eigentlich ein Fremder und der andere überhaupt kein „Ausländer" ist.

Frühe Formen von Rassismus zeigten sich bereits im antiken Griechenland, im Römischen Reich (Definition von Fremden als „Barbaren") oder auch im indischen Kastenwesen. Im europäischen Mittelalter gab es judenfeindliche Pogrome, nach der Entdeckung Amerikas wurden den dortigen Ureinwohnern und später afrikanischen Sklaven mit rassistischen Begründungen die Menschenrechte abgesprochen. In Meyers Lexikon heißt es: „Seit dem Aufkommen der Ideale der bürgerlichen Aufklärung (Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit) bedurfte derartige Unterdrückung einer Rechtfertigungsideologie, die die ,rassische' Überlegenheit der Europäer über die übrige Weltbevölkerung beweisen sollte. Verbreitung erreichte der Rassismus vor allem im 19. Jahrhundert, als die Theorien C.R. Darwins von der natürlichen Auslese in sozialdarwinistischer Interpretation in die Rassentheorien übernommen wurden. J. A. Graf von Gobineau entwickelte die Lehre von der Ungleichheit innerhalb der weißen Rasse, deren reiner Kern die 'arische' Rasse sei. Die rassistische Ausgrenzung von Juden (Antisemitismus) war eine ideologische Grundlage des Nationalsozialismus und führte schließlich zum Holocaust." [Kapitel 6]

„DER BEGRIFF RASSE IST OBSOLET"

Auszüge aus einer „Stellungnahme zur Rassenfrage", die während einer UNESCO-Konferenz im Juni 1995 im österreichischen Stadtschlaining von 18 internationalen Wissenschaftlern unter Leitung des Anthropologen Horst Seidler veröffentlicht wurde:

„Die Revolution in unserem Denken über Populationsgenetik ... hat zu einer Explosion des Wissens über Lebewesen geführt. Zu den Vorstellungen, die sich tiefgreifend gewandelt haben, gehören die Konzepte zur Variation des Menschen. Das Konzept der ,Rasse‘, das aus der Vergangenheit in das 20. Jahrhundert übernommen wurde, ist völlig obsolet geworden. ... Die neuen wissenschaftlichen Befunde stützen nicht die frühere Auffassung, dass menschliche Populationen in getrennte ,Rassen‘, wie .Afrikaner', .Eurasier' (einschließlich .eingeborener Amerikaner'), oder irgendeine größere Anzahl von Untergruppen klassifiziert werden könnten. ...

Es ist leicht, zwischen Menschen aus verschiedenen Teilen der Erde Unterschiede in der äußeren Erscheinung (Hautfarbe, Morphologie des Körpers ... etc.) zu erkennen, aber die zugrundeliegende genetische Variation selbst ist viel weniger ausgeprägt. Obwohl es angesichts der... morphologischen Unterschiede paradox erscheint, sind die genetischen Variationen ... sehr gering, wenn Populationsdurchschnitte betrachtet werden. Mit anderen Worten: Die Wahrnehmung von morphologischen Unterschieden kann uns irrtümlicherweise verleiten, von diesen auf wesentliche genetische Unterschiede zu schließen.... [Es] gibt keine überzeugenden Belege für ,rassische Verschiedenheit' hinsichtlich Intelligenz, emotionaler, motivationaler oder anderer psychologischer und das Verhalten betreffenden Eigenschaften...

Rassismus ist der Glaube, dass menschliche Populationen sich in genetisch bedingten Merkmalen von sozialem Wert unterscheiden, sodass bestimmte Gruppen gegenüber anderen höherwertig oder minderwertig sind. Es gibt keinen überzeugenden wissenschaftlichen Beleg, mit dem dieser Glaube gestützt werden könnte. ... Es gibt keinen wissenschaftlichen Grund, den Begriff ,Rasse' weiterhin zu verwenden."

MEHR ZUM THEMA

Die vollständige Erklärung der Unesco-Experten: www.netz-gegen-nazis.de/artikel/unesco-zum-rassebegriffDer Anthropologe Ulrich Kattmann zur Frage „Warum klassifizieren Wissenschaftler Menschen?" http://zukunft-braucht-erinnerung.de/holocaust/antisemitismus/48.htmlEine Serie über Alltagsrassismus: www.netz-gegen-nazis.de/artikel/warum-ich-das-nicht-mehr-hoeren-will-teil-4-fidschi

Scheinbar wissenschaftliche Begründungen für Rassismus sind heute längst widerlegt. „Es gibt keinen wissenschaftlichen Grund, den Begriff ,Rasse' weiterhin zu verwenden", stellten 18 internationale Anthropologen 1995 in einer gemeinsamen Erklärung fest (siehe Kasten auf der linken Seite). Anhänger der Rassenlehre stützen sich deshalb nicht auf wirklich wissenschaftliche Konzepte, sondern bedienen (eigene oder fremde) sozialpsychologische Bedürfnisse. Dass rassistisches Denken allen Menschen von Natur aus eigen sei oder gar eine unvermeidliche Folge der Evolution, ist ebenfalls von Wissenschaftlern widerlegt worden.

Moderne Rechtsextremisten versuchen zunehmend, ihren Rassismus nicht mehr biologistisch, sondern kultura-listisch zu begründen, und haben sich eine Ideologie namens „Ethnopluralismus" ausgedacht. [Kapitel 20] Statt von „Rasse" sprechen sie lieber von „Volk", „Ethnie" oder „Nation". Ethnopluralisten behaupten, verschiedene Völker hätten unterschiedliche Kulturen entwickelt, die strikt getrennt voneinander und im Innern sauber von fremden Einflüssen gehalten werden müssten. Dabei wird vollkommen ausgeblendet, dass sich verschiedene „Kulturen" in der gesamten Menschheitsgeschichte stets vermischt und gegenseitig beeinflusst haben. Der Ethnopluralismus vertritt vordergründig keine Ungleichwertigkeit der „Völker", sondern spricht lediglich von einer „natürlichen Verschiedenheit" – unterschwellig gehen aber auch diese Neo-Rassisten meist von der Überlegenheit ihrer eigenen „Kultur" aus.

WENN WORTE WEHTUN ...

„Ich lebe in dem Asylheim in Burg. Eines Abends war ich mit einem Freund in der Stadt aus. Wir kamen zu einem Café. Zwei weiße Frauen luden uns ein, mit ihnen was zu trinken. Das Café war gegenüber vom Polizeipräsidium, von wo aus wir wahrscheinlich beobachtet wurden. Plötzlich fuhr ein Streifenwagen mit Blaulicht vor. Zwei Polizisten stiegen aus und verlangten unsere Ausweise, die natürlich in Ordnung waren. Sie sahen sie durch und sagten, dass wir zurück zum Asylbewerberheim gehen sollten. Wir sagten, dass wir erwachsene Menschen seien und nur was trinken wollten. Dann schalteten sich die beiden Frauen ein. Zu denen sagten die Polizisten, dass, wenn sie schon nicht auf ihre Eltern hörten, sie dann wenigstens Respekt vor der Polizei haben müssten.

Hier gibt es so viele Nazis. Wen sollen wir rufen, wenn wir überfallen werden? Sicher nicht die Polizei!"

„Wenn ich als weiße Deutsche, mit einer oder einem Schwarzen irgendwo hingehe, reden die Leute immer mit mir über die andere Person: ,Kann sie denn deutsch?' oder ,Wo kommt sie denn her?' Es ist, als ob ich mit einem kleinen Kind unterwegs wäre. Es ist so peinlich."

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Ist jeder fünfte Deutsche ein Antisemit?

Antisemitismus, also Feindseligkeit gegenüber Juden und Jüdischem, spielt sich häufig verdeckt ab – und oft in völliger Abwesenheit von Juden. An der Technischen Universität Berlin wurde das Phänomen 1982 zum Untersuchungsgegenstand. Professor Wolfgang Benz ist langjähriger Leiter dieses Zentrums für Antisemitismusforschung.

Herr Professor Benz, wie erklärt man am besten Antisemitismus? | Antisemitismus ist der Oberbegriff für alle Formen von Judenfeindlichkeit, und es gibt auf jeden Fall vier Unterkategorien. Die älteste ist der aus der christlichen Religion entstandene Antijudaismus, also die Ablehnung des Juden, weil er „Jesus verraten" habe und schuld sei an aller Verfolgung, die daraus entstand. Diese Form nennt man „religiösen Antijudaismus". Dann gibt es – zweitens – einen rassistischen Antisemitismus, der ist im engeren Sinne eine Ideologie, die im 19. Jahrhundert entstanden ist und mit pseudo-wissenschaftlichen Unterstellungen arbeitet. Dieser „biologistische Rassenantisemitismus" gibt sich als Naturwissenschaft und hat den Anspruch, auf streng wissenschaftliche Weise „den Juden" zu bekämpfen und nicht auf die ältere, emotional christlich-religiöse Weise. Diese Form eines rassistischen Antisemitismus hat mit Hitler den Höhepunkt erreicht.

Als dritte Erscheinungsform gilt der „sekundäre Antisemitismus", also Judenfeindschaft als Reflex auf den Holocaust. Dieser sekundäre Antisemitismus ist nach 1945 entstanden, er macht sich beispielsweise am Argwohn über Entschädigungsleistungen fest. Die vierte Form der Judenfeindschaft ist dann Antizionismus, also die fundamentale Ablehnung des Staates Israel verbunden mit der fundamentalen Ablehnung seiner Bewohner, weil sie Juden sind.

Mit diesen vier Haupterscheinungsformen von Judenfeindschaft hat man ein taugliches definitorisches Gerüst.

Wie sind die verschiedenen Formen im Alltag zu erkennen? | Das ist nicht einfach, denn beim Antisemitismus ist der Umstand ganz besonders ausgeprägt, dass jeder die Deutungshoheit über den Begriff beansprucht – und viele beteuern: Ach das habe man doch gar nicht antisemitisch gemeint. Deshalb machen manche Antisemitismus ausschließlich an Gewalt oder staatlich verordneter Verfolgung fest. Aber das ist der Versuch, den Alltagsantisemitismus, die alltägliche Judenfeindschaft kleinzureden.

Tatsächlich existiert in der Bundesrepublik kaum brachiale Gewalt, kaum Radau, selten offene antisemitistische Pöbelei gegen Juden. Antisemitismus spielt sich meist auf einer sehr viel feineren, verdeckten Ebene ab.

Wie zeigt sich das? | Da gibt es Feinheiten, die sind längst eingeübt, also bestimmte Chiffren und Codes, mit denen Antisemiten sich verständigen. Man muss sich ja nicht strafbar machen, indem man ausdrücklich sagt: „Die Juden sind eine betrügerische Bande von Leuten, die nur an Geld interessiert sind und an der Wall Street das Finanzsystem der Welt in den Händen haben." Stattdessen können sich zwei Judenfeinde leicht mit einem Tarnbegriff wie „Ostküste" verständigen, da ist das alles drin, und damit ist alles gesagt. [Kapitel 25 und 28]

WAS IST ANTISEMITISMUS?

„Antisemitismus" bezeichnet die pauschale Ablehnung von Juden oder des Judentums. Geprägt wurde der Begriff erst Ende des 19. Jahrhunderts, aber Judenhass hat eine lange Geschichte. Er trägt häufig Züge eines religiösen Wahns und war eine der ideologischen Grundlagen des Nationalsozialismus.

Antisemiten behaupten gern, jede Kritik an einem Juden oder der Politik des Staates Israel werde gleich als antisemitisch gegeißelt. So versuchen sie, vom eigenen Rassismus abzulenken – denn natürlich darf ein Jude wie jeder andere Mensch auch kritisiert werden. Die Frage ist nur: Wie? Antisemitismus ist die grundsätzliche Abneigung gegen das angeblich oder tatsächlich Jüdische. Wird also ein Jude als Jude angegriffen, dann ist das sehr wohl antisemitisch. Oder wenn einem Juden wegen seiner Herkunft besondere Eigenschaften unterstellt werden (Reichtum, Verschlagenheit oder Teilnahme an Verschwörungen). Oder wenn ein Jude pauschal für Taten anderer Juden verantwortlich gemacht wird.

Antisemitismus gibt es nicht nur unter Rechtsextremen, sondern auch bei Islamisten. Oft wird er mit antiamerikanischen oder globalisierungskritischen Aussagen verbunden.

Man muss auch nicht grob und unflätig werden, sondern man sagt etwa: „Die Herrschaften da, na Sie wissen schon" – und hat sich darüber verständigt. In solchen Kreisen muss man nicht aussprechen, dass man Juden für schlecht hält und sie nicht ausstehen kann, das geht über solche Chiffren. Das ist dann zum Beispiel die Verständigung darüber, dass „die Juden" angeblich viel zu viel Einfluss in der Politik, in der Wirtschaft, in der Presse, in der Kultur, wo immer man will, haben. Oder dass sie viel zu viele Subventionen bekommen. Auch weil offener Antisemitismus und Volksverhetzung hierzulande verpönt sind und strafrechtlich verfolgt werden, gibt es diese stillschweigenden Chiffren.

Nimmt Antisemitismus zu? | Eine schwierige Frage. Der langfristige Trend ist gleich bleibend mit vielleicht leicht abnehmender Tendenz, bewirkt durch mehr Bildung und Aufklärung. Aber diese Schwankungen sind so gering, dass man sie nicht hervorheben muss. Im Weltbild von ungefähr 20 Prozent der Deutschen finden sich judenfeindliche Einstellungen.

Ist also jeder fünfte Deutsche ein Antisemit? | Nein, nicht automatisch. Denn zumindest ist nicht jeder Fünfte einer, der mit dem Messer durch die Straßen läuft und, wie es in einem Nazi-Lied heißt, „Judenblut spritzen" sehen will. Sondern das sind Leute, die mehr oder weniger starke Vorbehalte haben gegenüber dem Jüdischen. Die zum Teil ererbte Feindbilder oder Vorbehalte in sich tragen – ohne dass sie das als Hetze verstehen. Beispiel: Ein Mann wird gefragt: „Möchten Sie, dass Ihre Tochter einen Juden heiratet?" Er sagt „Nein", und damit hat er sich natürlich einen Platz erworben in der Skala der Leute mit antijüdischen Einstellungen. Er ist aber vielleicht ein fundamentalistischer Protestant. Für den ist das genauso schlimm, ob die Tochter einen Katholiken heiratet oder einen Juden, aber das wird nicht gefragt.

Sie haben einmal geschrieben, Antisemitismus sei ein „stilles Einverständnis der Mehrheit über die Minderheit". | Das ist ein sozialer, ja ein sozial-psychologischer Mechanismus, der überall, in allen Gesellschaften funktioniert, und zwar vom Kindergarten bis zum Altersheim. Die Verständigung der Mehrheit über eine beliebige Minderheit stabilisiert die Mehrheit. Schuld an etwas ist die Minderheit, auf die sich die Mehrheit aufgrund von verbreiteten Klischees und Vorurteilen am ehesten einigen kann. Und dies trifft sehr häufig die Juden, weil sie in diese Rolle seit mindestens 2000 Jahren gedrängt sind. Die fallen einem daher am schnellsten ein, darüber kann man sich leicht verständigen, das sind die Schuldigen, weil die Großväter und Urgroßväter das auch schon geglaubt haben. Selbst das Unglück, das dann dieses Kollektiv, diese Minderheit betroffen hat in Form des Genozids während der Zeit des Nationalsozialismus – selbst das wird implizit zur Bestätigung herangezogen, denn ein Volk, das so ein beträchtliches Unglück getroffen hat, müsse das ja doch selbst mitverursacht haben. Diese Mechanismen aber funktionieren auch bei anderen Minderheiten. Die Albaner zum Beispiel – dass viele die nicht mögen, könne ja nur an denen liegen. Da laufen Projektionen nach sehr ähnlichem Prinzip.

Gibt es dann tatsächlich so etwas wie „ewigen Antisemitismus", der nicht kleinzukriegen ist? | Wenn man antisemitische Einstellungen mithilfe der Demoskopie misst, dann wird klar: Je älter die Leute sind, desto eher glauben sie an die Stereotypen. Je geringer der Bildungsgrad ist, desto anfälliger sind sie etwa für Verschwörungstheorien. Unter Gebildeten nimmt das ab.

Die Statistik zeigt uns: Je besser die Schulbildung, desto geringer der Grad an judenfeindlicher Einstellung.

„ICH KENNE DIE SITUATION"

Charlotte Knobloch, geboren 1932 in München, ist seit 2006 Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Ihre Großmutter wurde im KZ Theresienstadt ermordet. Als sie öffentlich die heutige Judenfeindschaft mit der Hitlerzeit verglich, wurde sie heftig kritisiert. „Leider", sagt sie, müsse sie weiter zu dieser Aussage stehen. „Ich wäre gern von etwas anderem überzeugt. Aber ich habe die Zeit damals miterlebt, ich kenne die Situation und weiß viel über Dinge, die Gemeindemitglieder heute erleben."

Knobloch überlebte das Dritte Reich, weil katholische Bauern aus Franken sie auf ihrem Hof versteckten. Kontakt zur Familie ihrer Retter hat sie nicht. „Die Nachkommen haben mich schon zu Lebzeiten der Menschen, die mich aufnahmen, gebeten, nicht mehr präsent zu sein, weil sie Morddrohungen bekommen haben. Und das nur, weil ich als Jüdin von ihnen aufgenommen worden war."

Die Präsidentin des Zentralrats wünscht sich, dass allen Menschen „die Religion des anderen egal ist". Und wie spricht sie heutzutage mit deutschen Jugendlichen? „Ich sage ihnen, dass sie keine Schuld an Verbrechen der Vergangenheit haben. Sie haben aber aufgrund ihrer nationalen Geschichte Verantwortung für die Gegenwart."

Ich habe mich jüngst wieder lange und gründlich mit einer berühmten antisemitischen Verschwörungstheorie beschäftigt, den „Protokollen der Weisen von Zion", einer hundert Jahre alten russischen Geheimdiensterfindung, die rechtsextreme Kreise aber auch heute noch gern als Wahrheit im Internet und in Veröffentlichungen streuen, um zu belegen, dass es eine jüdische Weltverschwörung gebe. Dem wird geglaubt wie nie zuvor. Absolut abstrus! Vollkommen irrational! Daran kann man nicht glauben, wenn man eine einigermaßen ordentliche Schulbildung bekommen hat. Doch je weniger Schulbildung jemand hat, desto ausgelieferter ist er den Rätseln dieser Welt -und dankbar für solch schlichte Welterklärungen wie „die Juden machen dies und das" oder „die Juden ziehen an allen Stricken und Strängen". Die Statistik zeigt uns: Je besser die Schulbildung, desto geringer der Grad an judenfeindlicher Einstellung. Daraus ist zu sehen, dass es eine Chance gibt; und diese Chance heißt Bildung.

Gibt es einen besonderen „linken" Antisemitismus? | Ich sehe den nicht als eine spezielle Kategorie. Es ist klar, dass Judenfeindschaft nicht nur unter Rechten vorkommen muss, sondern auch unter Linken vorkommen kann. Aber ich sehe das nicht in einer ideologisch verortbaren Form: Bei Rechtsextremen, bei Neonazis ist klar, dass sie – so gut wie immer! – Antisemiten sind und sich immer über Fremdenfeindlichkeit, über Rassismus, über historische Traditionen definieren, eigentlich immer etwas gegen Juden haben. Bei den Linken trifft das einfach nicht zu. Es lässt sich nirgendwo aus der Ideologie des Marxismus ableiten, dass „der Jude" ein Feind ist.

Zum Teil wird auch nur die Parteinahme Linker oder die Parteinahme des ehemaligen Ostblocks für die Sache der Palästinenser mit Antisemitismus verwechselt. Parteinahme gegen Israel muss nicht automatisch mit Antisemitismus zu tun haben, das kann auch anders gelagert sein. Der DDR zum Beispiel galt Israel als Filiale der Vereinigten Staaten und Freund der Bundesrepublik und somit als ein Feindstaat. Man solidarisierte sich mit Palästina, ohne sich Gedanken darüber zu machen, dass auf der anderen Seite Juden sind. Das ist der Unterschied zu den Rechtsextremen. Die machen sich diese Gedanken. Für die ist Israel die Inkarnation des „Weltjudentums" und mit allen rassistischen Eigenschaften behaftet.

Gibt es denn einen besonderen deutschen Antisemitismus? | Den gab es vielleicht nach dem Dritten Reich, als sich der sekundäre Antisemitismus in Westdeutschland entwickelt hat. Inzwischen aber haben wir in der Bundesrepublik alle vier Formen von Judenfeindschaft – parallel und sich überlagernd in allen möglichen Formen.

MEHR ZUM THEMA

Benz, Wolfgang: Was ist Antisemitismus? Beck 2004Unter: www.bpb.de/themen/YLQIBC findet sich ein Internet-Dossier der Bundeszentrale zum Thema.Die Amadeu Antonio Stiftung fördert unter anderem Projekte gegen Antisemitismus: www.amadeu-antonio-stiftung.de/die-stiftung-aktiv/gegen-as/

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Woran erkennt man Rechtsextremisten?

Lange Zeit war es ziemlich einfach: Neonazis hatten meist Glatzen oder kleideten sich uniform und sprachen in platten Parolen. Doch ihr Erscheinungsbild hat sich gewandelt.

Dresden-Hauptbahnhof, ein Sonntag im Februar 2009. Die rechtsextreme Szene hat zum sogenannten Trauermarsch wegen der Bombardierung Dresdens 1945 geladen, ein breites Bündnis von Demokraten will dagegen protestieren. In Zügen treffen pulkweise junge Leute ein – Jeans, Basecap, Turnschuhe, dunkle Jacke. Die diensthabenden Polizisten wollen die Demonstranten sortieren, aber das ist nicht einfach. Nach eindringlicher Musterung dirigieren sie die Ankömmlinge zu unterschiedlichen Sammelplätzen. „Früher war das leicht", stöhnt ein Polizist, „da wusst' ich auf Anhieb, wer rechts ist, wer links".

Die Zeiten sind längst vorbei, als junge Neonazis auf den ersten Blick an Glatze und Springerstiefel zu erkennen waren und an sichtbaren Nazisprüchen auf ihren Klamotten. Dieses Klischeebild stammt aus den Achtziger- und Neunzigerjahren. Als wieder auflebende „nationale Bewegung" war es den Rechtsextremisten damals wichtig, möglichst geschlossen als erkennbare Gemeinschaft aufzutreten. Grimmig dreinschauende Naziskinhead-Horden genossen es, schon durch bloße Anwesenheit Angst einzujagen. Andere setzten darauf, mit Hitlerbärtchen und im Gestapo-Mantel stolz zu zeigen, welche Vorbilder sie haben. Später setzten sich bevorzugte Modemarken durch, eine der wichtigsten war lange die britische Firma Lonsdale – wegen des „NSDA" im Namen. Irgendwann wehrte sich das Unternehmen und unterstützte demonstrativ Anti-Nazi-Aktivitäten. Inzwischen kursieren in der Szene Boykottaufrufe gegen Lonsdale, viel lieber trägt man heute Marken wie Masterrace oder auch Thor Steinar [Kapitel 08]. Bei manchen Neonazi-„Kameradschaften" sind auch Handwerkerhosen und Karohemden zur bevorzugten Tracht geworden.

DER RECHTSEXTREME KLEIDERSCHRANK

Wie die meisten Szenen definieren sich auch Rechtsextremisten sehr stark über den Kleidungsstil. Inzwischen können Neonazis unter verschiedensten Modemarken und Erkennungszeichen wählen. Da in den Neunzigerjahren viele rechtsextreme Symbole und Logos verboten wurden, versuchte die Szene anfangs, auf Codes und versteckte Zeichen auszuweichen. Am bekanntesten sind Zahlencodes wie „88" für „Heil Hitler" (zweimal der achte Buchstabe des Alphabets) oder – nach demselben Prinzip – die „28" für das Skinhead-Netz Blood&Honour.

Anfangs haben Rechtsextreme Marken aus dem Sportmilieu genutzt: Lonsdale, Fred Perry, Ben Sherman sind nur einige Beispiele. Je fester sich die Szene etablierte, desto mehr entstanden Marken aus ihr und für sie, etwa Masterrace oder Consdaple. Beliebt sind heute auch Thor Steinar und Erik & Sons, Pro Violence oder Max H8.

Weitere Informationen im Anhang dieses Buches

ab Seite 271

Vier Faktoren sind es vor allem, die den Wandel im Auftreten der Rechtsextremisten forcieren: Erstens die offiziellen Auflagen zur Kleiderordnung bei Demonstrationen – und die Reaktion der Szene darauf. Zweitens eine Lust, die Linke durch Imitation zu provozieren. Drittens: Mimikry zwecks Karriereaussichten im bürgerlichen Milieu. Und viertens nicht zuletzt die allgemein stärkere Mode-Orientierung des Nachwuchses.

Auch wenn sich die rechtsextreme Szene in Verbalradikalismus gegen den Staat kaum überbieten lässt, ist der Einfluss von Ordnungsämtern und Gerichten auf das äußere Erscheinungsbild von Neonazis enorm. Wenn die NPD oder andere einschlägige Veranstalter Demonstrationen anmelden, erlassen die Behörden seit einiger Zeit strenge Auflagen. Uniformierungen oder Springerstiefel werden oft von vornherein untersagt, und darauf stellen sich die Veranstalter ein. Im Internet veröffentlichen sie detaillierte Anweisungen, etwa diese zum braunen „Heldengedenktag" 2006 im brandenburgischen Halbe: „Verboten sind: Springerstiefel und alle Stiefel, die Springerstiefeln hinreichend ähnlich sehen (Rangers, Doc Martens mit Stahlkappe etc.). Dies gilt auch für entsprechende Stiefel, die nicht schwarz sind, sondern rot oder braun oder rotbraun. Die klassischen Doc Martens ohne Stahlkappe sind erlaubt! Verboten sind weiterhin Halbschuhe mit Stahlkappen. Bomberjacken in allen Farben; auch auf links gedrehte Bomberjacken mit orangefarbenem Innenfutter sind untersagt. Wir wollen nicht, dass zu einem Heldengedenken unsere Kameraden aussehen wie die Leute von der Müllabfuhr!"

An vielen Orten geht die Polizei rigoros gegen Teilnehmer vor, die gegen die Auflagen der Versammlungsbehörden verstoßen. Sie lässt verbotene Schuhe ausziehen, notfalls wird barfuß marschiert. Eine solche Demütigung macht kein Neonazi gern mit. Manchmal akzeptiert die Polizei, dass verbotene Logos auf der Kleidung oder auch einschlägige Tätowierungen mit Pflaster abgedeckt werden -aber auch dies ist störend. So heißt es beim „Freundeskreis Halbe": „Wir wünschen keine Teilnehmer zu sehen, die Aufdrucke auf ihrer Bekleidung (Lonsdale, Consdaple etc.) überkleben müssen. Wir wollen nicht, dass die Bekleidung der Teilnehmer aussieht wie ein ,Flickenteppich'. Am sinnvollsten ist, Bekleidungsstücke zu tragen, die überhaupt keinen Aufdruck haben."

„ORDENTLICH, SAUBER"

Vielfalt im Äußeren ist für Ideologen, die eine homogene Volksgemeinschaft propagieren, natürlich auch ein Problem. Das zeigt sich in Äußerungen von führenden Kadern der Szene:

„Solange Befindlichkeitsmode und teilweise grobe Entstellungen von Gesicht und Körper mithilfe von Formen primitiver Stammeskulturen [gemeint sind Tätowierungen und Piercings] das Bild einer Versammlung ... ausmachen, wird sich niemals auch nur eine erkennbare Gruppe ... abseits stehender Deutscher in unserer Mitte einfinden." (Christian Worch, Neonazi aus Hamburg)

„Junge Deutsche würden sich nicht nach ihren Feinden richten. Sie würden ganz normal und korrekt aussehen, nur eben besonders ordentlich und sauber und in gebügelten Hemden." (Ursula Haverbeck, Naziveteranin und Revisionistin)

„Um glaubwürdig zu agieren, müssen wir zunächst einmal selber überzeugend wirken. Das können wir aber nicht, wenn wir die Optik, Sprache (Anglizismen), Parolen und Inhalte des Gegners kopieren. ... Wer eine Demonstration mit einem Faschingsball verwechselt, soll ihr lieber fernbleiben." (Erklärung des NPD-Präsidiums zum Auftreten bei Demonstrationen)

Auf diese Weise gemaßregelt, schauen Neonazis zunehmend bei linken Autonomen ab, was die bei Demos tragen. Schwarze Klamotten, um in der Masse schlechter für die Polizei identifizierbar zu sein. Sportschuhe, um schnell laufen zu können. Und sehr gern große Sonnenbrillen und Palästinensertücher, um das Gesicht zu verbergen. Nebenbei lässt sich mit dem „Pali-Tuch" unterschwellig Solidarität mit arabischen Gegnern des Staates Israel zeigen.

Bald ging die linke Szene auf Distanz zu diesem Demo-Accessoire. Schon seit 2002 kursieren Aufleber und Flyer mit der Überschrift: „Coole Kids tragen kein Pali-Tuch" oder „Nur Nazis tragen Pali-Tücher". Immer mehr Codes und Stile aus der linken Szene werden von Rechtsextremisten aufgenommen, vor allem von der Strömung der „Autonomen Nationalisten" [Kapitel 18]. So versuchen Neonazis beispielsweise, ihren Antiamerikanismus in eine Reihe zu stellen mit antikolonialistischen Befreiungskämpfern der Sechzigerjahre, sogar Che Guevara ist deshalb auch bei Rechtsextremen inzwischen eine verbreitete Ikone.

Weniger beim rechtsextremen Fußvolk als bei den Führungskadern ist eine formvollendete Mimikry zu beobachten: Die NPD hat als eines der vier wichtigsten Betätigungsfelder den „Kampf um die Parlamente" formuliert, auf kommunaler Ebene verzeichnen Rechtsextremisten auch regelmäßige Erfolge – der Wähler aber wünscht sich's am ehesten geschniegelt und gebügelt. Deshalb sind Schlips und Kragen unter Rechtsextremisten mittlerweile selbstverständlich, auch für junge Wilde. Im hessischen Landtagswahlkampf 2008 etwa ließ sich der damalige NPD-Chef Marcel Wöll für Plakate wohlfrisiert ablichten, brav mit Hemd und Sakko. In Fotoarchiven finden sich ganz andere Aufnahmen aus dem Jahr 2004 – sie zeigen den damals 21-Jährigen mit Skinheadglatze und T-Shirt-Aufschrift „Old School Racist" nebst symbolischer 18, dem Szene-Code für Adolf Hitler. Etliche Kader wechseln munter – je nach Umfeld – ihr Äußeres. Die Führungsriege der inzwischen verbotenen Berliner Neonazi-„Ka-meradschaft" Tor etwa trat wechselweise in alt-nationaler Trachtenkleidung auf und im sportlichen Stil linker Autonomer. Viele rechte Strategen wissen, dass sie bei durchschnittlichen Jugendlichen heute nur ankommen, wenn sie ein modisches und cooles Outfit anzubieten haben.

Wie schnell die Fassade gebügelter Bürgerlichkeit einstürzen kann, zeigte sich beim NPD-Bundesparteitag im April 2009 in Berlin. Vor Beginn wurden Journalisten von bieder gekleideten Parteifunktionären wie Ordnern höflichst willkommen geheißen. Kaum war der Parteitag gestartet, trat ein mecklenburgischer Kader ans Mikrofon und forderte, das „Geschmeiß" von der Presse rauszuwerfen. Mit dieser Vokabel hatte einst auch Joseph Goebbels seine Tira-den gegen Journalisten und Intellektuelle gespickt. Der Saal johlte, die Medien mussten gehen.

MEHR ZUM THEMA

Detaillierte Erklärungen über Codes und Kleidungsstile der Szene ab Seite 271 in diesem BuchAusführlich werden Lifestyles, Symbole und Codes von neonazistischen und extrem rechten Gruppen in der Broschüre „Das Versteckspiel" vorgestellt, die bei der Agentur für Soziale Perspektiven in Berlin (ASP) erhältlich ist. Im Internet unter: www.dasversteckspiel.deSchröder, Burkhard: Nazis sind Pop. Espresso Verlag 2000

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Ist Thor Steinar eine Nazimarke?

Thor Steinar ist eine der meistgetragenen Modemarken in der rechtsextremen Szene. Das kommt nicht von ungefähr: Anders als Sportmarken wie Lonsdale oder Fred Perry, die aus normalen Geschäften stammen und von Neonazis „nur" vereinnahmt wurden, gab es Thor Steinar anfangs fast ausschließlich bei einschlägigen Naziläden und Versandhäusern zu kaufen. Aber wieso überhaupt ist die Marke für Neonazis so attraktiv? Eine Nahaufnahme von Johannes Radke.

Ein possierlicher „Wüstenfuchs" als Motiv? Kann daran irgendetwas bedenklich sein? Dass auch Generalfeldmarschall Erwin Rommel, einer der Helden des Dritten Reichs, diesen Beinamen trug, ist sicherlich nur Zufall. Oder?

Die Mediatex GmbH aus dem brandenburgischen Königs Wusterhausen, von der die Marke Thor Steinar vertrieben wird, betont stets den völlig unpolitischen Charakter ihrer Kleidung. Ein genauer Blick in den Thor-Steinar-Katalog macht nachdenklich.

Zufall Nummer 1: „Nordmark"

„Nordmark, ehemals die Grenzmark gegen die slawischen Heveller beiderseits der mittleren Elbe, später Altmark genannt", heißt es in Meyers Lexikon. So weit, so unverfänglich.

Zufälligerweise wurde der Begriff „Nordmark" aber auch in der Zeit des N atio-nalsozialismus viel genutzt – und ist deshalb ein relevanter Bezugspunkt für die heutige rechtsextreme Szene. So gibt es im Raum Hamburg eine „Sektion Nordmark" des verbotenen Nazi-Skinhead-Netzwerks Blood&Honour. Während der NS-Diktatur existierte in Norddeutschland eine SA-Gruppe „Nordmark", und am Stadtrand von Kiel gab es ein NS-Arbeitserziehungslager gleichen Namens. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges waren dort mehr als 1600 Gefangene eingepfercht. Bevor die Alliierten die Menschen befreien konnten, erschossen die Wachmannschaften noch rund 300 Gefangene, vernichteten belastende Akten und flüchteten anschließend ins Ausland.

Zufall Nummer 2: „Wüstenfuchs"

Ein Tier-Motiv, oh wie süß! Jeder mag doch Tiere. Aber warum ausgerechnet der kleine Wüstenfuchs und nicht Knut, ein starker Gorilla oder ein Seehund? Was sagt Meyers Lexikon? „Rommel, Erwin, Generalfeldmarschall, führte seit 1941 das deutsche Afrikakorps, seit 1942 die deutsch-italienische ,Panzerarmee Afrika', mit der der wegen seiner listenreichen Kriegführung ,Wüstenfuchs' genannte Rommel im Sommer 1942 bis El-Alamein vordrang."

Zufall Nummer 3: „Flugschule"

Ein T-Shirt zum Thema Fliegen, was könnte falsch daran sein? Einiges. Denn zufälligerweise verwendet Thor Steinar für das Motiv keine zivilen Kleinflugzeuge, sondern ein deutsches Kampfflugzeug aus dem Zweiten Weltkrieg, die Messerschmidt Me 262. Der Verfassungsschutz nennt das eine „glorifizierende Sicht der Wehrmacht" und erklärt: „Mit dieser ,Wunderwaffe' hoffte Hitler noch am Ende des Zweiten Weltkrieges auf die aussichtslose militärische Wende. Auch wegen dieser verbrecherischen Rücksichtslosigkeit der Nationalsozialisten ließen alleine im Kriegsjahr 1945 noch Millionen Menschen ihr Leben."

Zufall Nummer 4: Tarnfarbenmuster

Tarnfleck ist angesagt bei Jugendlichen. Ob Hip-Hop, Punk oder sportlicher Style -viele Modemarken benutzen das Militärdesign. Vor allem das derzeitige Tarnfarbenmuster der US-Army ist beliebt, aber auch die Tarnung anderer Streitkräfte. Thor Steinar hat ebenfalls Kleidungsstücke mit Tarnfarben im Programm, bei näherer Betrachtung aber sieht das dortige Muster etwas anders aus. Weder bei der US-Armee noch bei der Bundeswehr findet man ähnliche Muster. Eine Nachfrage beim Deutschen Historischen Museum bringt die Antwort: „Es ähnelt eindeutig dem Splittertarnmuster der Wehrmacht", sagt Museums-Historiker Sven Lütken. „Nur die Größenverhältnisse stimmen nicht ganz." (Das Bild rechts zeigt das originale „Splittertarn"-Muster der deutschen Wehrmacht.)

Zufall Nummer 5: „Ultima Thule"

Flotte Worte aus der nordischen Mythologie sind offenbar sehr beliebt bei den Thor-Steinar-Designern. Thule gilt als nördlichster Punkt Grönlands und „Rand der Welt". Andererseits wird der Begriff in der Neonazi-Szene oft verwendet. Schon 1918 gründete sich in München die völkische und antisemitische „Thule-Gesellschaft", die sich mit der „arischen Rassentheorie" befasste und in ihrem Wappen schon damals das Hakenkreuz nutzte. Thule-Mitglied Alfred Rosenberg war später Mitbegründer der NSDAP. Ein konspiratives Neonazi-Computer-Netzwerk aus den Neunzigerjahren wählte für sich den Namen „Thule-Netz". Und dann gibt es da noch die bekannte Rockband „Ultima Thule" aus Schweden. Sie gilt in der rechtsextremen Skinheadszene als eine der beliebtesten skandinavischen Gruppen. Eine CD-Produktion der Band wurde von einer rechtsextremen Organisation bezahlt und von dem extrem rechten Politiker Bert Karlsson produziert.

Zufall Nummer 6: „No Inquisition"

Der Kapuzenpullover „No Inquisition" von Thor Steinar zeigt einen Adler, der einen Fisch in seinen Krallen hält. Nanu, wundern sich Kenner der deutschen Neonazi-Szene, ist das nicht ein einschlägig besetztes Motiv? Ein Anruf beim Deutschen Marken- und Patentamt in München bestätigt das. Tatsächlich hat sich die Rechte an dem Motiv eines Fisches in den Klauen eines Adlers die neonazistische „Artgemeinschaft" bereits im Januar 2003 durch den Nazi-Anwalt Jürgen Rieger als Bildmarke sichern lassen. Rieger, der auch stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD war, galt als wichtiger Drahtzieher der rechtsextremen Szene und fungierte jahrelang als Anmelder von Rudolf-Hess-Gedenkmärschen in Wunsiedel.

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Eine lesenswerte, ausführliche Broschüre zu Thor Steinar findet sich zum Herunterladen: www.investigatethorsteinar.blogsport.deDie Webseite einer bundesweiten Kampagne gegen Thor Steinar ist im Internet unter