Das Chattenherz im Heidemoor - Thomas Wenig - E-Book

Das Chattenherz im Heidemoor E-Book

Thomas Wenig

4,8

Beschreibung

Das Chattenherz, ein besonderer Stein in Herzform. Ein Stein wie ein Spiegel des Herzens. Nur Menschen, die ganz tiefe Liebe geben und empfangen können, entdecken seine Besonderheit. Von 6 n. Christi bis in das 17. Jahrhundert begleitet er immer wieder Menschen durch ihre Liebe und ihr Leben. Übergeben, verloren, wieder gefunden, führt er 5 Personen durch ihre Zeit der Liebe. In jeder dieser Geschichten zeigt er seine Verbindung zum Herzen der Liebenden. 5 Geschichten, die durch das Chattenherz, die Liebe und das Leiden in Verbindung stehen.

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Inhaltsverzeichnis:

Teil 1 Brag

Teil 2 Alra

Teil 3 Benedikt

Teil 4 Walburga

Teil 5 Hans

Schlusswort

Teil 1: Brag

Brags Jugend:

Ende der späten Eisenzeit, 6 n. Chr. Geburt, in den Ederauen (heute Nordhessen).

Brag, Sohn von Alus und Redna, erlebte gerade seinen 15.ten Sommer. Er hatte 5 Geschwister, 3 Brüder und 2 Schwestern, teils älter, teils jünger als er selbst. Er wohnte in einem Langhaus mit der ganzen Sippe und dem Vieh. Sein Vater Alus hatte 12 Ziegen und 2 Kühe.

Brags Aufgabe war es täglich auf die Ziegen zu achten und diese in den Auen der Eder zu hüten. Keine schwere Aufgabe, sondern eine die es ihm ermöglichte viel zu träumen. Oft saß er direkt am Wasser, schaute hinein und fragte sich, was es sonst wohl noch alles zu sehen gäbe. Er verband seine Gedanken mit dem fließenden Wasser und träumte davon einfach mit ihm davon zu fließen. Wo es wohl enden würde, wo es beginnen würde?

Ein paar mal war er schon mit seinem Vater und den älteren Brüdern flussabwärts bis zu den nächsten Siedlungen gewandert um Sachen zu tauschen.

Diese kurzen Reisen waren für Brag immer was ganz Besonderes, er mochte es sehr unterwegs zu sein. Seine Neugier gegenüber allem Neuen war groß und er fragte dem Vater immer Löcher in den Bauch wenn sie unterwegs waren.

Aber heute, wie so viele andere Tage auch, saß er am Fluss, starte in das Wasser und träumte davon ganz weit zu reisen.

Zwischendurch störten ihn dabei immer wieder die Ziegen, die ihn anrempelten oder einfach nur gelangweilt hin und her trotteten.

Manchmal kam es auch vor, dass sich ein Tier dabei verletzte. Er hatte von der Mutter gelernt, wie er den Tieren dann helfen konnte. Sie hatte ihm Kräuter gezeigt, die ihm halfen die Leiden der Tiere zu lindern.

Im Laufe der Jahre hatte er auch schon selbst festgestellt, was alles hilfreich war, ob für ihn selbst oder aber auch für die Tiere. Auch gelang es ihm immer besser, wenn er die Tiere in den Arm nahm, zu spüren wie es ihnen ging und wenn sie Schmerzen hatten zu ergründen wo diese herkamen.

Abends dann Zuhause sprach er oft mit der Mutter darüber, seine Brüder machten sich über ihn lustig und meinten er wäre doch wohl besser eine Schwester geworden. Das aber störte ihn nicht; denn Mutter hörte ihm zu und verstand ihn auch mehr oder weniger.

Die Abende Zuhause waren geprägt vom Tageslicht und der Dunkelheit. Nach dem kargen Mal saßen sie meist noch zusammen am Feuer, sprachen über die Eindrücke des Tages und was man so von anderen gehört hatte, die in der Nähe wohnten oder durch das Land zogen. Solche Momente, wenn einer was erfahren hatte von einem der durch das Land zog, ließen Brag hellwach werden. Er hing dann förmlich an den Lippen des Erzählers und genoss jedes Wort über das Unbekannte, während seine Brüder und Schwestern dann eher gelangweilt schienen. Warum nur war er so anders als sie, das fragte er sich oft.

Auch seine Mutter spürte den Unterschied und die Neugier von Brag. Aber gerade er war ihr besonders ans Herz gewachsen. Sie hatte immer wieder diese Angst ihn irgendwann zu verlieren. Er war soviel feinfühliger und wissensdurstiger als die anderen.

Der Sommer war für Brag die schönste Zeit im Jahr, da waren die Tage am längsten und vor allem am wärmsten. Er konnte immer lange mit den Ziegen in den Auen bleiben und vor sich hin träumen. Auch waren die Lämmer nicht mehr so klein, als dass er besonders auf sie aufpassen musste, so konnte er sich auch viel damit beschäftigen, die Schönheit der Natur in sich aufzunehmen. Au Wiesen und Wälder waren das Schönste an Natur was er sich vorstellen konnte. Wenn er dann so am Fluss saß, der Wind ihm durch die Haare wehte, dass lange, saftige Gras im Wind sich hin und her bog, dann begann er immer wieder zu träumen. Wenn er älter wäre, nahm er sich vor, dann würde er die Quelle des Flusses suchen und ihm solange folgen bis es nicht mehr weiter ging. Ja, das würde er tun. Aber leider musste das noch ein paar Jahre warten.

Auch war einiges anders in diesem Jahr, sein Körper veränderte sich, er bekam Haare unter den Achseln und zwischen den Beinen, seine Stimme wurde dunkler und ja manchmal dachte er an Mädchen oder Frauen.

Was ihm aber blieb war seine Gabe die Gesundheit der Ziegen zu spüren. Es blieb nicht nur, es hatte sich immer weiter verstärkt. Neulich hatte er seine Schwester in den Arm genommen und ebenfalls gespürt, dass eine Krankheit in ihr war. Er sprach mit Mutter darüber und die schien sehr besorgt; denn sie wusste um seine Gabe und Fähigkeiten. Nachdem es seiner Schwester immer schlechter ging, begann Brag damit Kräuter für sie zu sammeln. Zuhause trocknete er diese, zerstampfte sie und gab sie ihr mit heißem Wasser zu trinken. Lange dauerte diese Prozedur, doch am Ende wurde sie wieder gesund. Nur er und Mutter wussten, dass er sie gerettet hatte. Die Kräuter, die er dafür benutzt hatte, prägte er sich gut ein. Hin und wieder sammelte er auch noch welche als sie schon wieder gesund war, trocknete diese und bewahrte sie auf. Denn falls sie im Winter noch einmal krank würde, könnte er keine sammeln und ihr sonst nicht helfen. Die Mutter war über diese vorausschauende Art sehr stolz auf Brag.

Der Sommer ging ins Land, der Herbst nahte. Die Tage wurden langsam kürzer und kühler. Aber noch wuchs das Gras am Fluss und die Ziegen fanden ihr Futter. Auch dank Brag; denn er hatte immer wieder ein Gefühl dafür die richtigen Weiden zu finden, so dass die Ziegen sich bester Gesundheit erfreuten und auch die Lämmer gut zunahmen. Das war etwas was seinen Vater erfreute und am Ende des Herbstes würde der ihn wieder mitnehmen wenn sie die Lämmer gegen andere Dinge in entfernten Siedlungen tauschten. Diesmal so hatte der Vater versprochen wollten sie flussaufwärts ziehen und versuchen die Lämmer in einer Gegend zu verkaufen wo es keine Flussauen gab, denn so meinte Vater, da könnten sie mehr dafür bekommen. Auch sollte es dort Schmiede geben, die gute Messer und kleine Schwerte schmiedeten und Brag sollte für seine gute Arbeit eins bekommen. Nun konnte Brag es gar nicht mehr abwarten, dass der Herbst verging und die Reise mit Vater und einem seiner Brüder begann.

Aber es war ein warmer Herbst, jeden Tag an dem die Lämmer noch zunehmen konnten wollte der Vater warten, damit der Wert der Lämmer noch größer wurde. Fast hätte Brag dafür diesen schönen Herbst gehasst, aber andererseits erfreute er sich auch weiter an der schönen Natur.

Endlich kam aber die Zeit, dass sich die Blätter der Pappeln, Birken und Eichen verfärbten, das Tal sich in eine wunderschöne, bunte Landschaft verwandelte. Der Tag der Abreise kam immer näher, Brag war schon so aufgeregt. Diesmal in die andere Richtung sollte ja die Reise gehen, etwas was er noch nicht kannte, er war so neugierig darauf. Sein Vater war schon vor einigen Jahren einmal in diese Richtung gewandert und hatte ihm davon erzählt. Von hohen Bergzügen, von anderen Bäumen und vor allem von anderen Menschen. An all diese Dinge musste Brag nun täglich denken, er konnte es kaum noch erwarten.

Die Reise flussaufwärts:

Endlich war der Tag da. Brag, sein Bruder Rig und Vater machten sich zusammen mit den 10 Lämmern auf den Weg.

Neben den Vorräten die sie mitnahmen trug Vater noch sein kleines Schwert, Brags Bruder nahm sein Messer mit. Man konnte ja nie wissen wem man begegnete. So verließen sie das Tal Richtung Flussaufwärts. Mutter stand noch lange am Haus und schaute hinterher. Kurz bevor sie los gingen, sagte sie noch zu Brag:“ Du bist der klügste, pass gut auf die anderen auf!“

Die Reise ging langsam vorwärts; denn die Lämmer versuchten immer wieder stehen zu bleiben, zu fressen oder machten gar Anstalten zu flüchten. Hin und wieder kamen sie an einzelnen Häusern oder kleinen Siedlungen vorbei. Die Menschen waren freundlich und vom gleichen Stamm. Als die Sonne immer tiefer sank richteten sie ihr Lager ein. Vater entzündete ein Feuer und begann von früheren Reisen zu erzählen. Brag hörte wie immer aufmerksam zu, saugte jedes Wort förmlich auf. Müde von der Anstrengung schliefen sie dann bald ein.

Am nächsten Morgen war es schon merklich kühl, Tau lag auf den Wiesen. Nachdem sie sich gestärkt hatten, machten sie sich weiter auf ihren Weg. 10 Tage, so hatte der Vater gesagt, würde ihre Reise wohl auf dem Hinweg dauern. Zurück dann ohne die Lämmer würden sie nur noch die halbe Zeit benötigen. Für Brag hätte die Reise ewig dauern können, er freute sich auf jeden Tag und die vielen neuen Eindrücke die er bekam.

Schon am zweiten Tag wurde das Gelände langsam bergiger, links und rechts vom Fluss ragten schon etwas größere Berge auf, manchmal war der Platz zwischen Fluss und Abhang sehr eng, besonders wenn man mit Lämmern unterwegs war. Vater und Brag gingen voran, der Bruder ging hinter den Lämmern. Immer und immer wieder fragte Brag den Vater nach allen neuen Dingen die er sah, dieser aber konnte seine Fragen nur selten beantworten, so musste sich Brag selbst ein Bild von Allem machen. Die hohen Berge, meist Buchenwälder, standen schon stark im bunten Laub. Wenn die Sonne darauf schien, zeichnete sie wunderschöne Bilder. Brag war von dieser Schönheit so angetan und schaute so viel in die Gegend, dass er ab und zu stolperte und der Vater dachte:“ Was ist das nur für ein Träumer“. Wenn die Sonne am höchsten stand, machten sie immer eine etwas längere Rast, bevor sie den Rest des Tages bis zum dunkel werden weiter zogen. Dann schlugen sie wieder ihr Lager auf, entzündeten das Feuer, das ihnen Wärme spendete und ließen den Abend ausklingen.

Am dritten Tag, es war noch lange vor der Rast, aus einem der angrenzenden Wälder sahen sie starken Rauch aufsteigen. Brag hatte Angst, dass dort ein großes Feuer wütete, aber der Vater erklärte ihm, dass dort Holzkohle hergestellt würde, welche die Schmiede für ihre Feuer benötigten, um das Metall zu erhitzen und zu bearbeiten. Dies alles waren ganz neue Dinge für Brag, er drängte den Vater so lange, bis dieser bereit war die Rast so zu legen, dass sie in der Nähe des Meilers waren um sich die Herstellung anzuschauen.

Der Bruder, den es nicht sonderlich interessierte, musste derweil auf die Lämmer aufpassen. Sie gingen schnellen Schrittes in den Wald, es war nicht schwer den Meiler zu finden. Der Rauch wurde immer beißender und dichter, je näher sie kamen. Auf einer Lichtung stand ein kleiner Hügel, der mächtig qualmte. Davor sahen sie eine Familie mit vielen kleinen Kindern. Alle waren schwarz vom Rauch und rochen eigenartig. Aber die Kinder waren vergnügt und auch der Mann sehr freundlich. Die Frau verzog sich in die kleine Hütte am Rande der Lichtung, die wohl ihr Haus war.

Brag in seiner Neugier fragte den Köhler was er da mache und wie und warum. Dem Vater war es schon unangenehm wie neugierig er war. Aber der Köhler beantwortete so gut er konnte Brags Fragen und stillte seine Wissbegier. Er gab Brag sogar noch einen kleinen Sack Holzkohle mit und sagte:“ Da habt ihr was Gutes für euer Lagerfeuer heute Abend“. Brag war glücklich über das erhaltene Geschenk und wollte die Kohle gar nicht für das Feuer verwenden, aber der Vater sagte ihm das es der Wunsch des Köhlers war, so lies Brag diesen Wunsch auch gelten. Kaum waren sie wieder bei den Lämmern mussten sie auch gleich weiter ziehen; denn der Aufenthalt am Kohlenmeiler hatte dank Brags Neugier viel länger gedauert als gedacht. So kamen sie diesen Tag nicht mehr weit und Brag war schon gespannt auf diese tollen Kohlen. Was sie wohl Besonderes bewirken würden. Wie Brag dann später am Lagerfeuer feststellte, hielten die Kohlen viel länger die Hitze als normales Holz, sie verbreiteten eine enorme Wärme. In Anbetracht der immer weiter sinkenden Temperaturen, war er jetzt sehr froh über sein Geschenk, er bewarte den Rest auf falls es mal besonders kalt werden sollte. Ja, das war typisch für ihn, er dachte immer einen Schritt weiter als alle anderen.

Der vierte Tag ihrer Reise brachte sie immer weiter in tiefe Wälder die vom Fluss durchlaufen wurden. Hier gab es kaum noch Häuser oder Siedlungen, auch keine Herden mehr. Die Menschen die hier wohnten, waren meist damit beschäftigt, Holz zu schlagen oder zu verarbeiten. Die Arbeit der Menschen erschien Brag sehr schwer, auch machten die Leute einen ärmlichen Eindruck. Aber immer waren sie freundlich, ab und zu lagerten sie auch in der Nähe einer Hütte und die so ärmlich erscheinenden Menschen, gaben ihnen sogar noch etwas zu essen. Auch machten sie einen glücklichen Eindruck, obwohl sie so bescheiden leben mussten. Dies war für Brag ein wichtiger Eindruck, so hatte ihm der Vater doch immer gesagt, dass nur viele Tiere und ein großes Haus glücklich machen. Irgendetwas an dieser Behauptung schien nicht zu stimmen. Solche Eindrücke prägte sich Brag ganz besonders ein, Mutter würde ihm das bestimmt später erklären können.

Der Fluss wurde immer schmaler, floss sprudelnd und schnell dahin. Wie so wenige Tagesreisen doch das Landschaftsbild verändern konnten. Es wuchsen hier andere Pflanzen und Kräuter die Brag nicht kannte. Einige nahm er in seinem Beutel mit, um sie der Mutter zu zeigen.

Heute am fünften Tag, sie hatten gut die Hälfte der Reise geschafft, so sagte der Vater, wollten sie einen Ruhetag einlegen, damit die Tiere sich erholen konnten. Sie fanden eine Lichtung die mit Gras bewachsen war, auf der sie die Lämmer weiden lassen konnten. Dieser Ruhetag tat Allen gut; denn auch Vater war nicht mehr der jüngste, obwohl er es nicht zugeben wollte, so spürte doch Brag die sich langsam zeigende Schwäche. War dies vielleicht auch der Grund, dass Vater ihn mitnahm, damit er zukünftig mit dem Bruder die Reise alleine machen konnte?

Ansonsten war Brag sehr rastlos, oft ging er alleine los um die Gegend etwas zu erkunden.

Zuerst stieß er nur auf Holzfäller, sah ihnen bei der Arbeit zu. Dann aber kam es zu einem Unglück, einer der Männer die dort arbeiteten, wurde verletzt als ein Baum anders fiel als gedacht. Sofort eilten einige andere Arbeiter zu ihm und einer rief:“ Bringt ihn zum Kräuterweib, die wird ihm schon helfen“. Das machte Brag sofort neugierig, er eilte ebenfalls hinzu, sah den verletzten Mann und dass dieser schwer am Kopf getroffen war. Einige Männer packten den Mann und trugen ihn weg. Brag folgte ihnen in einem kleinen Abstand, er wollte wissen was nun passiert.

Sie mussten gar nicht weit gehen, da kamen sie an eine kleine Hütte im Wald und die Männer riefen schon aus einiger Entfernung:“ Kräuterweib, komm raus, wir brauchen deine Hilfe“.

Eine alte, kleine Frau, mit langen grauen Haaren trat aus der Hütte und sah sich den Verletzten an. „Bringt ihn rein“, sagte das Kräuterweib und die Männer gehorchten sofort auf ihr Wort. Sie brachten den Verletzten in die kleine Hütte, legten ihn auf ein Deckenlager, dann verschwanden sie sofort wieder murmelnd zu ihrer Arbeit. Brag aber blieb und schaute neugierig was das Kräuterweib nun tat. Sie sprach Brag freundlich an und sagte:“ Du bist anders als die anderen, das spüre ich sofort. Komm hilf mir, ich weiß das du das kannst“.

Zuerst gab sie dem Verletzten einen Trank, während Brag seinen Kopf hielt, danach wusch sie die Wunde aus. Brag wunderte sich, dass der Mann keine Schmerzen beim Auswaschen hatte. Als er das Kräuterweib darauf ansprach, lachte diese und sprach:“ Das ist mein Geheimrezept, er spürt jetzt nichts mehr“. Brag war fassungslos, ein Trank, der die Schmerzen nahm, das hatte er noch nicht gehört. Nun legte sie einige Kräuter, solche wie auch Brag unterwegs gesammelt hatte, auf die Wunde und verband diese mit einem grossen Tuch. „Das sollte genügen“, sagte sie, später wenn er sich noch etwas erholt hat, kann er wieder zu seiner Familie um sich zu erholen.

Brag war völlig gebannt von diesem Kräuterweib. Er hatte so viele Fragen, aber leider keine Zeit mehr; denn er musste zurück zu seinem Vater und der Herde. Das Kräuterweib erkannte seine Neugier und sagte ihm:“ Du wirst auch einmal ein großer Heiler werden, ich spüre das, Du hast die besondere Kraft“. Zum Abschied gab sie ihm noch einen Stein mit und sprach:“ Nimm diesen Stein, er wird Dir helfen Deine wahre Bestimmung zu finden und Dir den Weg ins Glück zu bahnen“.

Brag traute sich gar nicht den Stein anzuschauen, er hatte etwas Angst vor Magie. Als er ihn aber in der Hand spürte, stellte er schnell fest, dass dieser Stein die Form eines Herzens hatte. Er verstaute ihn gut in seiner Tasche und ging frohen Mutes, aber nachdenklich über die Worte des Kräuterweibes, seinen Weg. Beim Vater angekommen berichtete er über das Gesehene. Der Vater spürte wie es Brag mitgenommen, ja geradezu gefesselt hatte. Immer wieder musste Brag auch den Stein berühren, aber dieser fühlte sich einfach nur kalt und hart an. Hatte ihm das Kräuterweib einen Bären aufgebunden? Nein, das konnte er sich nicht vorstellen, sie war so freundlich ihm gegenüber gewesen. Außerdem war bestimmt noch nicht der Moment gekommen an dem er seine Wirkung entfalten sollte. An diesem Abend dachte er noch lange über das Erlebte nach und schlief dann in Gedanken versunken an das vom Kräuterweib Gesagte ein.

Der sechste Tag der Reise begann wieder mit Kälte. Aber das Feuer glühte noch. Nach kurzer Zeit waren sie wieder bereit für die Weiterreise. Brag war schon gespannt was für Abenteuer ihn heute erwarten würden.

Immer höher ragten die Berge neben dem Fluss auf, immer enger wurden die Täler, die dieser durchlief. Jetzt mussten sie sich intensiver um die Herde kümmern, da jeder Fehltritt gefährlich hätte enden können. Zu steil waren einfach die Ufer, als das man hätte nachlässig sein können. Jeder Verlust eines der Tiere wäre mehr als ärgerlich gewesen. Zu wertvoll waren sie für die Familie. Auch Brag selbst hatte ja in jedes viel Zeit investiert. Es tat ihm sogar leid die Lämmer abzugeben, aber das war nun mal der Lauf der Dinge. Von irgendwas mussten sie ja auch leben. Aber er erinnerte sich noch an die Geburt eines jeden Einzelnen. Er hatte ihnen auch heimlich Namen gegeben. Dies durfte der Vater natürlich nicht wissen, es hätte ihn erzürnt. Was aber auffällig war, dass die Lämmer ihm vertrauten und sich viel besser von ihm leiten ließen als vom Vater oder gar seinem Bruder. Er hatte im Frühling und Sommer eben eine ganz andere Beziehung zu den Tieren aufgebaut.

Auf immer weniger Menschen trafen sie, je weiter sie nach Westen marschierten. Die Region war schon recht unwirtlich. Brag fragte sich insgeheim, ob es denn überhaupt hier noch Menschen gäbe, an die sie ihre Lämmer verkaufen konnten. Die Bäume wichen immer häufiger steinigen Abhängen. Sie mussten aufpassen, da oft herunter gefallene Steine den Weg blockierten. Aber trotz Allem, kamen sie gut voran und der Vater sagte, wenn es so zügig weiter ginge, könnte es sein, dass sie schon morgen gegen Abend ihr Ziel erreichen würden.

Einerseits machte diese Aussicht Brag traurig; denn für ihn war die Reise ja das Größte, andererseits freute er sich natürlich auf das versprochene Messer. Der Tag verging ohne neue Abenteuer. Am Abend waren sie schnell müde vom langen, anstrengenden Weg des heutigen Tages. Brag sogar ganz besonders, da sein Gepäck ja immer schwerer wurde. So musste er neben den normalen Sachen, auch noch den Sack mit der Holzkohle, seine Kräuter und all die anderen Dinge tragen, die er auf der Reise gesammelt hatte. Nur den Stein vom Kräuterweib den trug er immer ganz dicht bei sich.

Am nächsten Morgen machten sie sich früh auf den Weg; denn sie wollten heute noch ihr Ziel erreichen, viel schneller als der Vater gedacht hatte. Etwas hatten sie das auch Brag zu verdanken; denn durch seine gute Verbindung zu den Tieren, wurde die Reise viel einfacher. Vater wusste und spürte das auch. So oft er auch über Brags Träumerei verwundert war, so machte ihn dieses gute Verhältnis und Verständnis für die Tiere, aber auch sehr stolz. Ja, Brag war schon ein ganz besonderer Junge dachte der Vater so bei sich, er hat ein Extra verdient. Ohne es ihm aber schon zu sagen, würde er versuchen für Brag ein kurzes Schwert anstatt eines Messers zu besorgen.

Auch die Pause zum Mittag war heute recht kurz und fand in einem Steinbruch statt. Dort sahen sie wieder Leute die damit beschäftigt waren Steine aus dem Bruch zu holen. Diese Männer waren durch die harte Arbeit sehr kräftig. Aber auch viele Kinder waren hier beschäftigt. Einer der Männer erklärte ihnen, dass diese besser in die gehauenen Stollen kämen, um das Gestein zu bergen, aus dem dann später das Eisen gewonnen würde. Die Kinder machten im Gegensatz zu den Erwachsenen einen ungesunden Eindruck, sie sahen blass, ja sogar ausgezehrt aus. Brag spürte, dass dies an der Arbeit im Berg lag. Er war für sich selbst sehr froh, dass er seiner leichten Arbeit mit dem Aufpassen auf die Herde, besser gestellt war. Tauschen möchte er mit ihnen nicht. Was ihn aber sehr interessierte, war wie aus dem Stein das Eisen gewonnen wurde. Dies konnten ihm aber die Männer nicht verraten. Entweder sie wussten es nicht, oder sie wollten es ihm nicht sagen.

Nach der kurzen Pause ging es auf das letzte Stück ihrer Reise und tatsächlich erreichten sie kurz vor der Dunkelheit eine kleine Siedlung. Sie gingen aber nicht direkt bis dahin, sondern lagerten in einiger Entfernung; denn sie wollten die Bewohner nicht im Halbdunkel erschrecken, sondern lieber am nächsten Morgen ihre Geschäfte abwickeln.

Brag war schon ganz aufgeregt, vielleicht konnten ihm die Leute ja hier verraten, wie es funktioniert, aus Stein Eisen zu machen. Auch fragte er sich ob in seinem Stein auch Eisen war. Mit diesem Gedanken schlief er ein.

Kaum war der nächste Tag erwacht, da aßen sie schnell etwas und zogen dann auch gleich zu der Siedlung, um ihre Lämmer zu tauschen. In der Mitte der Siedlung gab es einen freien Platz, dort fanden sie einige Händler, die schon am frühen Morgen ihre Waren präsentierten. Aber niemand außer ihnen war hier, der Lämmer anbot. Der Vater hatte das gewusst und ganz gezielt deshalb den langen Weg auf sich genommen.

Sie mussten gar nicht lange warten, bis die ersten Interessenten kamen, um ihre kräftigen Lämmer anzuschauen. Die Männer begutachteten die Tiere ausgiebig, sie waren erstaunt, wie wohl genährt und gesund die Lämmer waren. Schnell begann das Handeln. Die Käufer boten Waren oder Münzen im Gegenzug. 9 der 10 Lämmer verkaufte oder tauschte der Vater auf diese Weise, aber Eines behielt er über.

Nach einem kräftigen, wohlverdienten Mal zum Mittag, wies der Vater die Söhne an hier auf ihn zu warten. Er nahm das verbliebene Lamm und verschwand alleine mit ihm.

Brag und sein Bruder schauten sich in der Siedlung und auf dem Markt um. Es gab so viel Neues zu entdecken. Viele Händler kamen von weit her, hatten sogar ein fremdes Aussehen. Auch einen Händler mit Messern und anderen Metallwaren sahen sie. Brag wunderte sich, dass der Vater ihm nicht das versprochene Messer gekauft hatte, aber vielleicht würde er das ja noch tun, wenn er wieder zurück war. Hoffentlich war dann der Händler noch vor Ort und nicht weiter gezogen. Je länger es dauerte, umso aufgeregter wurde Brag.

Erst kurz vor bevor es Dunkel wurde kam der Vater zurück. Der Marktplatz war mittlerweile leer und Brag enttäuscht, da der Händler mit den Messern schon weiter gezogen war. Aber er war zu sensibel um dies dem Vater zu zeigen. Er verbarg seine Enttäuschung. Auch sprach der Vater nicht darüber was er getan hatte. Er kam alleine zurück, dass Lamm war weg. So fiel das Essen zur Dunkelheit recht schweigsam aus. Nur der Vater schien mit seinem Handeln und Tun zufrieden.

Nach dem Essen packten sie schon ihre Sachen zusammen; denn sie wollten am nächsten Morgen zeitig los, um den langen Weg Zurück, in nur wenigen Tagen zu schaffen. Als alles erledigt war, rief der Vater Brag zu sich und sprach:“ Hier Brag, das ist für Dich und Deine gute Arbeit, die du geleistet hast“. Dabei gab er ihm ein kurzes Schwert. Brag war völlig außer sich vor Freude, nicht nur ein Messer, nein ein kurzes Schwert hatte der Vater für ihn erstanden. So sich in der letzten Zeit nicht nur sein Körper verändert, nun bekam er auch noch ein Schwert, ein weiteres Stück auf dem Weg zum Manne. Voller Stolz präsentierte er es seinem Bruder, aber der war etwas neidisch auf Brag und wollte es gar nicht richtig anschauen.

Brag hingegen konnte seinen Blick gar nicht mehr von dem Schwert nehmen. Was hatte er auf dieser Reise alles bekommen und erlebt. Die Kräuter, den Stein in Herzform, die weisen Worte des Kräuterweibes, die Holzkohle und so Vieles mehr. Am liebsten wäre er immer auf Reisen, so dachte er. Wie schön müsste es sein, durch die Welt zu ziehen, überall neue Dinge zu entdecken und andere Menschen kennenzulernen.

Fast bis zum nächsten Morgen lag er wach. Er war noch sehr müde als der Vater ihn weckte und zum Aufbruch drängte. Vater wollte schnell wieder bei der Familie sein und machte auch gleich deutlich, dass es auf dem Rückweg keine langen Pausen oder Abschweifungen geben würde. Außerdem wurde es von Tag zu Tag immer kälter und der erste Schnee schien nicht mehr weit. Er wollte die immer kürzer werdenden Tage nutzen um wieder schnell bei Weib und den restlichen Kindern zu sein.

Für den Rückweg brauchten sie nur 4 Tage. Ohne die Lämmer konnten sie wesentlich schneller gehen und hin und wieder auch mal Abkürzungen nehmen, die mit der Herde nicht möglich gewesen wären.

Eigentlich war Brag sehr zufrieden, aber was ihn noch so interessiert hatte, war ja wie aus Stein Eisen wird. Aber das würde er schon noch irgendwann in Erfahrung bringen. Sicherlich würde Vater ihn ja noch öfter mitnehmen, wo er sich doch so gut eingefügt hatte.

Wieder Zuhause war die Freude groß, dass sie gesund zurück waren und der Handel so erfolgreich abgeschlossen wurde. Vater hatte aber sowohl für die Mutter, als auch für alle anderen Kinder eine Kleinigkeit mitgebracht. So das nun auch sein Bruder sich über etwas freuen konnte. Stolz zeigte Brag der Mutter sein Schwert und konnte es überhaupt nicht erwarten ihr von all den Dingen zu erzählen die er auf der Reise erlebt hatte. Dabei fiel ihm als erstes sein Stein ein, den er vom Kräuterweib bekommen hatte. Lange sprach er mit der Mutter über die verschiedenen Kräuter die er gesammelt und die auch das Weib angewandt hatte. Mutter spürte mal wieder welch ein besonderer Junge Brag war. Auch wusste sie darum, dass für ihn das Leben noch einen anderen Weg finden würde, als hier auf dem Hof alt zu werden. Sie spürte förmlich seinen Drang in die Welt, das Bedürfnis viel zu lernen, um den Menschen zu helfen und Gutes zu tun. Ihr war klar, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis Brag seinen eigenen Weg gehen würde, ja müsste.

Die Zeit des Abschieds naht:

Der Winter kam schnell dieses Jahr und begann sogleich sehr heftig. Es wurde sehr kalt und Schneereich in diesem Jahr. Da hatten sie mit ihrer schnellen Heimreise noch viel Glück gehabt, dachte Brag so für sich.

Für die verbliebenen Ziegen gab es nun nichts Frisches mehr zu finden, der Schnee lag einfach zu hoch. Aber Brag in seiner weisen Voraussicht hatte ja vorgesorgt. Schon in den letzten Jahren hatte er gemerkt, wie wichtig es war, rechtzeitig Futter zu trocknen, damit die Tiere gut über den Winter kamen. Obwohl er nicht das älteste Kind war, so war er doch derjenige, der sich immer früh schon um Alles kümmerte. Er war den Eltern eine große Hilfe und Stütze.

Immer kälter wurde es, es schien als ob der Winter ewig dauern wollte. Sogar der Fluss war dieses Jahr komplett zugefroren, dies geschah nur sehr selten. Brag und seine Geschwister hatten damit allerdings ihren Spaß und das waren auch die Zeiten in denen er nicht der kluge Besondere war, sondern einfach ein Junge wie alle anderen auch. Sie tobten im Schnee, liefen auf das Eis und genossen so diese kurzen Tage in ihrem kindlichen Dasein. Auch Vater und Mutter hatten jetzt eine ruhige Zeit und konnten sich vom anstrengenden Jahr erholen.

Heute war Vater sogar mit Draußen, um mit den Jungs im Schnee zu toben und mit ihnen auf das Eis zu gehen. So lustig hatte Brag ihn schon lange nicht mehr gesehen, er war sehr glücklich über eine so schöne Familie. Gerade dabei aber, musste er an die Kinder im Steinbruch denken, wie es denen wohl jetzt erging? Aber schnell kam wieder die Ablenkung und sie tobten mit Vater weiter auf dem Eis.

Da plötzlich passierte es, seine kleinste Schwester brach in das Eis ein. Es gab immer noch ein paar Stellen, die nicht fest genug waren und das hatte sie wohl übersehen. Gott sei Dank war das Wasser nicht zu tief und der Vater recht nah bei ihr. Er rannte so schnell das Eis es erlaubte zu ihr, brach zwar ebenfalls ein, konnte aber die kleine schnell auf das Eis heben. Nur er selbst kam nicht wieder heraus. Brag erkannte die gefährliche Situation sehr schnell und rief die anderen Brüder um den Vater zu helfen. Sie legten sich auf den Bauch auf das Eis und begannen zu ziehen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie den Vater wieder befreien konnten. Immer wieder rutschte er zurück in das Eisloch. Irgendwann aber gelang es ihnen mit der letzten Anstrengung ihn auf die Eisdecke zu ziehen. Vater war schon recht blau im Gesicht und atmete schwer. Sie gingen schnell mit ihm nach Hause, dort zog er die nassen Sachen aus und begab sich für den Rest des Tages an das wärmende Feuer.

Die nächsten Tage blieben immer noch kalt und Vater erholte sich leider nicht. Brag stand oft bei ihm am Lager und spürte wie heiß der Körper des Vaters war. Mutter legte ihm dann immer wieder kalte Lappen auf die Stirn, aber es wurde und wurde nicht besser. Starker Husten hatte sich eingestellt und das Fieber ging einfach nicht zurück. Trotz aller Kräuter und Hilfe die er und vor allem auch Mutter ihm zukommen ließen.

Am nächsten Morgen rief der Vater ihn mit schwacher Stimme zu sich und reichte ihm die Hand. Ein ganz komisches Gefühl durchfuhr Brag dabei. Es war eine Kälte, die er noch nicht erfahren hatte, obwohl der Körper des Vaters ganz heiß war, war da dieses unglaublich kalte Gefühl. „Brag“ sagte der Vater, „meine Zeit ist gekommen von Euch zu gehen. Ich weiß, dass Du der Vernünftigste und Weiseste von all meinen Kindern bist, mein letzter Wunsch an Dich ist, dass du Deinen Weg gehst. Geh in die Welt hinaus, hilf den Menschen, sammle Wissen und noch mehr Weisheit und gib es an Andere weiter“.

Brag war völlig erschrocken. Er konnte gar nicht glauben, was er da gehört hatte. Der Vater lag im Sterben und wollte ihn trotzdem weg schicken. Ihn, der sich am besten um Mutter kümmern konnte. Das war so unverständlich für ihn. Aber er wusste auch um die Weisheit des Vaters und versprach seinen Wunsch zu respektieren.

Noch am gleichen Tag verstarb der Vater. Tiefe Trauer machte sich im Hause breit und Brag litt ganz besonders darunter. Nun konnte er nicht mehr mit Vater auf Reisen gehen; denn der hatte nun die letzte, auf der ihn niemand begleiten konnte, angetreten. Hatte der Vater dies alles schon geahnt, ihn deshalb mit auf den Weg in die andere Richtung des Flusses genommen? Hatte er ihm darum das Schwert geschenkt, damit er für seine kommenden Reisen gewappnet war? Das waren so viele schwere Fragen, die sich Brag stellten und die er nicht beantworten konnte. Er war so traurig darüber, dass er dem Vater nicht hatte helfen können. Brag würde seinen Weg gehen und soviel lernen, dass wenn wieder mal jemand so kränkelte, er in der Lage wäre zu helfen. Ja, das entsprach ja auch dem Wunsch des Vaters. Wie weise er war, dachte Brag. Oft hatte er ihn wohl doch unterschätzt, nun aber war er ganz besonders stolz darauf, so einen weisen Vater gehabt zu haben.

Der Rest des Winters war für alle immer noch sehr traurig, auch hatten weder er, noch die anderen Kinder Lust darauf im Schnee zu tollen oder gar auf dem Eis zu spielen. Rig, Brags ältester Bruder war nun der Herr im Hause. Aber er spielte sich nicht auf, sondern leitete alles genauso ruhig wie der Vater. Hatte Brag auch ihn unterschätzt? Brag musste lernen, dass ein ruhiges Wesen noch lange nichts über die Stärke des Menschen sagte. Aber es beruhigte ihn auch und er war gewiss, dass Mutter und seine übrigen Geschwister bei ihm in guten Händen waren.

Heute hatte er mit Mutter über Vaters letzten Wunsch gesprochen. Mutter wusste darum, sie hatte schon lange vorher mit dem Vater Alles so besprochen. Sie sagte nur:“ Warte bis zum Frühling mein Sohn, dann machst Du dich einfach auf die Reise, folge dem Fluss soweit er fließt. Lass Dich von Deiner Neugier und Deinem Herzen leiten, dann wirst Du schon den richtigen Weg finden“.

Brags Wanderjahre:

Auch dieser lange, kalte Winter ging zu Ende. Die Tage wurden wieder deutlich länger, die Sonne kam immer mehr hervor und das erste Grün begann zu sprießen. Endlich konnten auch wieder die Ziegen aus dem Stall. Brag zeigte einer Schwester und einem Bruder was sie alles zu beachten hätten. Jeden Tag nahm er sie mit und wollte noch hier bleiben bis die Lämmer geboren wurden, um ihnen zu zeigen, was dann zu tun sei. Im nächsten Frühling könnten sie es dann selbst, Rig würde den Verkauf übernehmen und Vaters Rolle weiter führen.

Nachdem Alles in die Wege geleitet war, kam der Tag des Abschieds. Brag war jetzt 14 Jahre alt und schon auf dem besten Weg zum Manne. Durch die Reisen mit seinem Vater wusste er, was zu beachten war. Auch wie man sich Fremden gegenüber zu verhalten hatte, um Ärger zu vermeiden. Aber mit seiner offenen freundlichen Art, hatte er da ohnehin nie Probleme gehabt.

Als der Tag der Abreise gekommen war, waren Alle, auch Brag sehr traurig. Irgendwie wusste jeder, dass sie sich wohl nie mehr wiedersehen würden. Alle nahm er in den Arm, als letztes die Mutter. Sie hielt ihn lange und fest gedrückt. Dann sprach sie mit Tränen in den Augen:“ Gehe Deinen Weg, der Vater und ich wollten es so und es ist das Beste, was Du machen kannst“. Brag versuchte seinerseits die Tränen zu vermeiden, er wollte ja nun auch stark wirken, aber innerlich war er doch sehr zerrissen. Er überprüfte noch mal den Inhalt seines Beutels, fasste an sein Schwert und nahm den Stein vom Kräuterweib in die Hand. Er fühlte sich so anders an heute. Eine gewisse Wärme gab der Stein ab, auch als er ihn anschaute stellte er ein Leuchten fest. Er drückte ihn mit der Hand, steckte ihn in seine Tasche und dann ging er los.

Flussabwärts, so war der Wunsch der Eltern, soweit der Fluss fließt, soweit wollte er ihm folgen.

Langsam und mit offenen Augen folgte Brag dem Flusslauf. Die erste Strecke kannte er schon, aber dennoch sah er heute vieles mit anderen Augen und er hatte sich fest vorgenommen, diese Reise zu genießen und seinen Wissensdurst zu stillen. Immer wenn er etwas Neues sehen würde, dann würde er eine Rast einlegen und sich das Neue anschauen um davon lernen, so war sein Plan. Noch nie vorher war ihm aufgefallen, wie der Fluss langsam immer breiter wurde, wie viele Bäche und kleinere Flüsse noch in ihn mündeten und der Fluss diese auf- und mitnahm. Würde irgendwo auch dieser Fluss münden? Er würde es heraus bekommen. Die Ebenen wurden immer flacher und grüner, mit jedem Tal das er durchwanderte. Kaum noch hoben sich die Seiten ab, ja eigentlich konnte man gar nicht mehr von einem Tal sprechen; denn die Übergänge waren fast eben.

Trotz seiner offenen Augen und seinem bewussten Gehen kam er zügig voran. Gegen Abend suchte er sich einen geschützten Platz, unter ein paar großen Bäumen und entzündete ein Feuer, um sich für die Nacht warm zu halten; denn auch die Frühlingsnächte waren noch kühl.

Als die Morgensonne kam, konnte Brag es kaum noch erwarten weiter zu ziehen, immer mehr zu Sehen, immer mehr zu Lernen. In den Ebenen traf er immer wieder auf Menschen, viele davon auch mit kleinen Herden. Schnell kam er mit ihnen ins Gespräch und die Hirten bemerkten, dass er sich auskannte und waren deshalb auch gern gesprächig mit ihm. Ein jeder konnte ihm was über das nächste Stück Weg erzählen, gab ihm Ratschläge auf was er achten müsse und was es dort Besonderes gab. Aber alle diese Menschen waren noch vom gleichen Stamm wie er und außer über die Gegend konnten sie ihm nicht viel Neues erzählen. Hin und wieder traf er sogar einen, der seinen Vater kannte und dann war Brag erstaunt, wie bekannt sein Vater doch war und vor allem wie beliebt bei den Menschen. Wieder einmal war er im Nachhinein stolz auf seinen verstorbenen Vater. Dieser war immer so bescheiden gewesen und hatte nie damit geprahlt was er alles wusste und wen er alles kannte. Brag wollte sich diese gute Eigenschaft auch zu Eigen machen; dann könnte wenn er später mal selbst auch einen Sohn hatte, dieser auch stolz auf ihn sein.

Je weiter er flussabwärts ging, desto häufiger kam er auch zu Siedlungen wo immer einige Häuser standen. Meistens war in der Mitte der Siedlung auch ein kleiner Platz, wo wohl Märkte abgehalten wurden. Oft standen hier auch nur die Menschen und sprachen miteinander. Brag fand es sehr interessant, sich dazu zu stellen und einfach nur zu hören. Manchmal aber forderten die Leute ihn auch auf von sich zu erzählen. Dann sprach er voller Stolz von seinem Vater, seinen bisherigen Reisen, dem Kräuterweib und von dem was er nun vorhatte. Die Menschen waren dann verwundert, wenn er ihnen sagte, dass er in die Welt hinaus gehen wollte um zu lernen und Dinge zu erfahren. Zwar waren sie darüber erstaunt, aber irgendwie auch etwas neidisch. Wie konnte das jemand machen, ohne zu arbeiten, ohne Sachen zu haben die er tauschen konnte. Das konnten sie nicht verstehen. Aber jetzt wo sie das sagten, fiel es auch Brag auf, wovon sollte er eigentlich leben? Zwar hatte er für den Anfang etwas Proviant und auch hatte ihm die Mutter ein paar Münzen gegeben, aber die wären sicher schnell aufgebraucht und was dann? Komisch, dass er da vorher gar nicht dran gedacht hatte. Gerade er, der doch immer so vorausschauend war. Aber da waren wohl die Freude und die Neugier zu groß gewesen um an solche zwar wichtigen, aber dennoch niederen Dinge zu denken. Vielleicht gäbe es die Möglichkeit für andere hin und wieder die Tiere zu hüten und im Tausch dafür etwas zu essen zu bekommen oder auch mal ein Nachtlager bei schlechtem Wetter. Ja, das war eine Möglichkeit, schon in der nächsten Siedlung wollte Brag damit anfangen; denn umso länger konnte er von seinen Münzen zehren.

Auch am nächsten Tag traf Brag wieder Hirten. Sie sprachen miteinander und teilten ihr Essen mit ihm. Einer von ihnen erzählte Brag, er wäre auch schon etwas flussabwärts gereist, dabei wäre er an das Ende des Flusses gekommen, nur 3 Tagesreisen von hier. Brag erschrak förmlich, sollte seine Reise nur so kurz sein, was sollte er dann machen? Aber der Fremde erzählte weiter und sagte, dass der Fluss in einen genauso großen anderen Fluss münden und dieser dann in Richtung Norden weiter fließen würde. Brag konnte sich das gar nicht vorstellen, 2 so große Flüsse zusammen, es müsste ja gigantisch sein. Schon wich die Angst der Reise von ihm und die Neugier auf dieses Spektakel stand im Vordergrund. Wieder einmal hatte seine Neugier über alles gesiegt. Brag dankte dem Fremden für seine Auskunft und machte sich wieder auf den Weg, dem Ende des Flusses entgegen.

Zum Abend hin kam er zu einer grossen Siedlung. Viele Häuser und ein großer Marktplatz kennzeichneten den Ort. Die Leute waren noch geschäftig unterwegs. Manche brachten gerade ihre Herden nach Hause, andere saßen vor dem Haus und unterhielten sich. Brag grüsste sie freundlich, stellte sich vor und hörte ihnen zu. Da war einer der sprach von Soldaten, Römern, die einige Tagesmärsche weiter südlich hier lagerten, dort ein großes Kastell errichtet hatten und die Bevölkerung versuchten auf ihre Seite zu ziehen, um nach ihren Regeln zu Leben. Auch sprach er von Leuten aus ihrem Stamm, die sich dagegen zur Wehr setzten und die Soldaten immer wieder daran hinderten ihre Gesetze durchzusetzen. Das gefiel Brag sehr gut, dass es da Leute gab, die die Freiheit der Bevölkerung verteidigten. Das würde er auch tun wenn er Erwachsen wäre, nahm er sich vor.

Jetzt erzählte Brag von seinen Reisen und fragte bei der Gelegenheit gleich nach Arbeit um seine Vorräte wieder aufzufrischen. Er hatte Glück, einer der Männer sagte, dass sein Hirtenjunge krank wäre und er Ersatz bräuchte; denn er hatte selbst nicht die Zeit sich um die Herde zu kümmern. Brag könnte heute Abend gleich mit zu ihm kommen, dort lagern und morgen früh mit der Herde losziehen. Wenn er das ein paar Tage machen würde, bis der Hirte wieder gesund wäre, dann würde er seine Vorräte auffrischen und ihm sogar noch ein paar Münzen geben. Brag war sehr glücklich über diesen Umstand, ganz besonders auch deshalb, weil es eine größere Siedlung war und er hoffte, noch mehr an Neuigkeiten über die Soldaten im Süden und über die Leute hier zu erfahren.

Der Mann, der ihn mitnahm, war scheinbar recht wohlhabend. Er lebte mit seiner Frau und drei kleinen Kindern in einem ansehnlichen Haus. Extra abgeteilt hatte er ein Stück des Hauses für das Vieh. Das Paar war sehr freundlich zu ihm und am Abend, als die Kinder schon schliefen, unterhielt er sich noch lange mit ihnen. Besonders über sein Vorhaben, aber auch über die Dinge die er schon erlebt hatte. Der Mann bat ihn daraufhin, am nächsten Tag, wenn er mit der Herde wieder rein käme, doch einmal nach seinem kranken Hirten zu schauen, vielleicht könnte Brag ihm ja helfen, schnell wieder gesund zu werden.

Früh am nächsten Morgen weckte ihn die Frau des Hauses, gab ihm etwas zu essen und zu trinken und sagte er könne dann mit der Herde los ziehen, ihr Mann sei schon unterwegs um seinen Geschäften nach zu gehen.

Brag schaute sich die Herde an, es waren fast 30 Ziegen. Er sprach mit den Tieren und machte sich mit ihnen vertraut bevor er mit ihnen loszog. Als wachsamer und aufmerksamer Hirte hatte er auf dem Weg zur Siedlung schon einige Plätze bemerkt, wo er heute mit der Herde hingehen würde. So machten sie sich auf den Weg und zogen los. Zwar hatte Brag reichlich Erfahrung mit Tieren, aber dennoch war diese ja viel größer als bisher und er kannte die Tiere noch nicht wirklich. Somit lies er besondere Sorgfalt walten; denn er wollte ja nicht sein Weiterziehen gefährden. Wie immer zog es ihn zum Fluss, wo er schon die Weideplätze gesehen hatte. Das gute Gras würde den Ziegen gut tun.

Auch für die Mittagsmalzeit hatte ihm die Frau reichlich zu essen eingepackt, daran war ebenfalls zu merken, dass sie sehr wohlhabend, aber auch gutmütig waren. Ein weiterer Punkt, den sich Brag merken musste, auch wenn man wohlhabend war, sollte man anderen gegenüber großzügig sein. Jeden Tag lernte er etwas hinzu, was für sein Leben wichtig sein konnte. Er hatte sich ja vorgenommen, die guten Eigenschaften der Menschen zu verinnerlichen und diese an andere weiter zu geben. Das war ja auch ein Wunsch des Vaters, der auch so immer gelebt hatte. Damals hatte Brag das nur noch nicht so erkannt, aber mit jeder neuen Erfahrung die er machte, erkannte er auch gleichzeitig die hohen Werte die sein Vater gelebt hatte.

Als es dunkel wurde zog er mit der Herde wieder zurück zum Haus. Alle Ziegen hatten den Ausflug gut überstanden und Brag bat sogleich darum nun zu dem Hirtenjungen gehen zu dürfen, um zu schauen, wie es ihm ginge. Der Herr des Hauses ging mit ihm zusammen hin, so musste er sich nicht kompliziert vorstellen und alles noch einmal über sich erzählen.

Die Hütte in der der Junge wohnte war, im Gegensatz zum Haus des Herdenbesitzers, recht ärmlich. Auch schien das Dach den Winter nicht sehr gut überstanden zu haben, an einigen Stellen konnte man hindurch schauen. Brag wurde den Eltern des Jungen vorgestellt, auch sie machten einen etwas kränklichen Eindruck. Dann ging Brag zu dem Jungen, der auf ein Lager gebettet war. Der Junge war ca. 2 bis 3 Jahre jünger als er, sah sehr blass aus und das obwohl er ja auch als Hirte viel in der Natur war. Brag hielt kurz seine schwache Hand. Diese war zwar schwach, aber Brag spürte dennoch die Lebenskraft, die in dem Jungen steckte. Er sprach noch kurz mit ihm und spürte auch, dass er schon wieder auf dem Weg der Besserung war. Beruhigt sprach er mit dem Herrn und den Eltern des Jungen und wünschte ihnen noch alles Gute. Auf dem Heimweg dann sagte er dem Herrn, dass wohl das kaputte Dach dafür verantwortlich sei, dass die ganze Familie etwas kränklich erschien. Sein Vater hatte schon früher immer sehr darauf geachtet, dass Dach immer wieder zu erneuern und auszubessern, damit es im Haus trocken war und alle gesund blieben. Wieder mal ein Augenblick wo ihm die früher so verhasste Arbeit zeigte, wie vorsorglich auch sein Vater war. Der Herr versprach daraufhin den Eltern des Hirtenjungen behilflich zu sein, das Dach zu reparieren, damit sowohl der Junge, als auch die Familie, schnell wieder gesund werden könne und vor allem blieb. Schon am nächsten Tag wollte er mit ein paar anderen Bewohnern sprechen, um der Familie schnell zu helfen. Brag war sehr gerührt über die Menschlichkeit des Herrn und fühlte sich daher hier besonders geborgen.

7 Tage blieb Brag bei der Familie, dann war der Hirtenjunge wieder gesund und konnte seinen Dienst antreten. Brag war sehr froh, den Jungen gesund zu sehen und vor allem darüber weiterziehen zu können. Auch erzählte der Junge darüber wie schon am Tage nach Brags Besuch einige Männer des Dorfes das Dach ausgebessert und repariert hatten. Brag erhielt noch reichlich Proviant und ein paar Münzen, so dass er einige Zeit weiter sorglos wandern konnte. Er war ja so neugierig auf die Stelle wo der Fluss in einen anderen großen münden sollte, wie es ihm beschrieben wurde.

Er setzte seine Reise guten Mutes fort und marschierte weiter flussabwärts. Immer breiter wurden die Täler, ja es waren wirklich Ebenen. Er konnte unendlich weit schauen, sah überall fruchtbares Land und Auen. Auch konnte er Siedlungen ausmachen, die nicht direkt am Fluss lagen. Wovon die Leute dort wohl lebten? Aber wahrscheinlich hatten auch sie Tiere und würden Felder bestellen. Wäre da nicht der große Drang die Mündung des Flusses zu sehen, hätte er mal einen Abstecher zu den weiter im Lande gelegenen Siedlungen gemacht. Diese lagen aber auch südlich und er hatte keine Lust mit den römischen Soldaten in Konflikt zu kommen. Erst viel später sollte er erfahren, dass es doch viele Tagesmärsche weiter südlich war, wovon die Männer gesprochen hatten.

Am dritten Tag nach seiner Abreise war es endlich soweit. Das Rauschen des Flusses wurde merklich lauter, dann sah er sie auch, die Einmündung in den anderen Fluss. Er ging ganz dicht heran und stand eine gefühlte Ewigkeit wie angewurzelt, so spannend war diese Erscheinung für ihn. Er beschloss spontan hier sein Nachtlager zu errichten. Was für ein magischer Moment. Auch wenn es in der Nacht laut sein würde, so wollte er diese doch unbedingt hier verbringen.

Am Abend machte er sich wieder ein Feuer und nach vielen Tagen nahm er mal wieder den Stein vom Kräuterweib in die Hand. Er fühlte sich richtig warm an und auch gar nicht mehr so hart. War die Wärme des Steins ein Zeichen, dass er auf dem richtigen Weg war? Brag deutete es so für sich, steckte den Stein wieder in die Tasche und begab sich zur Ruhe.

Nach einer unruhigen Nacht, er hatte oft von dem zuletzt erlebten geträumt, wachte er schon sehr früh auf. Die Sonne kam gerade am Horizont hervor und tauchte das ganze Mündungsgebiet in ein wunderbares Licht. Leichte Nebel stiegen auf, es sah aus wie in einer anderen, fernen Welt. Brag genoss diesen Moment sehr. Er nahm sich vor, dem Verlauf des neuen, gemeinsamen Flusses nach Norden zu folgen. Zum einen würde er dann den Soldaten aus dem Weg gehen, zum anderen sollte er ja dem Fluss bis an das Ende folgen. Irgendwie war er ja noch nicht zu ende, er war nur mit einem anderen gemeinsam auf der Reise, wie zwei Freunde die den gleichen Weg haben und damit es leichter fällt, diesen gemeinsam gehen. Ja, ein Freund, dass wäre für ihn auch etwas schönes, dann könnte man jeden Tag die Erfahrungen miteinander austauschen und abends wäre er auch nicht so alleine. In solchen Momenten dachte er auch an seine Familie. Was sie wohl jetzt so machten, ob es ihnen allen gut gehen würde. Manchmal war Brag dann ein bisschen traurig darüber sie verlassen zu haben.

Auch war er etwas traurig darüber, diesen magischen, schönen Ort wieder verlassen zu müssen, aber es war ja nicht sein Ziel hier zu bleiben. So machte er sich wieder auf den Weg, dem neuen, breiten Fluss in Richtung Norden zu folgen. Die Gegend, die er nun durchwanderte, wurde wieder bergiger. Bei weitem nicht so wie auf der Reise mit seinem Vater, in die Quellrichtung, aber wieder mehr, als in den vergangenen Tagen. Es waren breite Talkessel, meist mit Siedlungen direkt am Fluss. Zurzeit hatte er aber noch keine Lust auf andere Menschen, obwohl ihm ein Freund fehlte; denn in seinen Gedanken schwirrten die Familie und der Weg den er gehen sollte. Was war seine Berufung? Diese Frage stellte er sich immer wieder. Der Vater hatte ihm ja indirekt den Weg gewiesen, aber wie gern hätte er noch mehr vom Vater darüber erfahren.

Gegen Mittag zog schlechtes Wetter auf, Regen und Sturm machten die Weiterreise schwer. Brag suchte sich einen geschützten Platz am Waldrand und machte sich über seine Vorräte her in der Hoffnung, dass er danach weiter gehen könnte. Doch es kam anders, Sturm und Regen nahmen immer noch zu und an die Weiterreise war nicht mehr zu denken. So beschloss Brag seinen Platz zu behalten und auch die Nacht hier zu verbringen. Das war außer seiner Tätigkeit als Aushilfshirte der erste Tag an dem er nur eine kleine Wegstrecke zurückgelegt hatte.

Abends holte ihn immer wieder der Gedanke an seine Zukunft ein. Er wollte lernen, anderen helfen, sie heilen und lehren. Ja, das war es was er wollte. Das Kräuterweib und die Worte seines Vaters hatten hier ihre Wirkung hinterlassen und Brag spürte, dass es seine Berufung war. Als er ganz unbewusst in diesem Moment seinen Stein aus der Tasche holte, war dieser ganz warm, für Brag ein sicheres Zeichen, dass dieser Weg der richtige für ihn wäre. Aber sogleich kam in ihm die Frage auf, wo er solche Dinge lernen könnte. Bei irgendwelchen Kräuterweibern, bei Heilern? Er kannte ja keine außer der einen, von der er den Stein bekommen hatte. Er würde in Zukunft drauf achten ob er welche fände oder in den Siedlungen nach Heilern fragen. So wollte er es machen.

Am Morgen hatte der Regen nachgelassen und Brag machte sich mit seinen neuen Erkenntnissen wieder auf den Weg. Er hatte sich als nächstes Ziel ausgedacht, eine möglichst große Siedlung zu finden und dort nach Heilern und Kräuterweibern zu fragen.

Schnell schritt er voran, ganz gegen seine Gewohnheit ohne die Natur zu beobachten, er wollte schnell seiner Berufung nachgehen. Zur Mittagszeit konnte er in einer weiten Talsenke eine große Siedlung erkennen. Aber er würde es am heutigen Tage nicht mehr schaffen diese zu erreichen. So ging er soweit er konnte, denn am nächsten Tag war die Siedlung ja auch noch da. Vom Vater hatte er ja auch gelernt, nicht mit einbrechender Dunkelheit eine Siedlung zu betreten, da dies die Leute meist erschreckte. Mit diesem Gedanken errichtete Brag sein Nachtlager und freute sich schon auf den nächsten Tag.

So schnell wie an diesem Morgen war er schon lange nicht mehr in den Tag gestartet. Seine Hoffnung auf einen Heiler oder ein Kräuterweib, die ihm etwas beibringen konnten, trieben ihn förmlich an.

Die große Siedlung:

Von den Hängen, südöstlich des Talkessels, näherte er sich der großen Siedlung. Schon aus der Ferne konnte er erkennen, dass mehrere kleine und der große Fluss die Siedlung durchzogen. Die Flüsse und auch die saftigen, langsam ansteigenden Weiden hatten die Siedler hier wohl sesshaft werden lassen. Er konnte sich gut vorstellen, dass hier viele Herden waren und er auch Arbeit finden würde, bis er seinem Ziel näher kam.

Es zogen viele Ochsenkarren, meist schwer beladen, zu der Siedlung. Auch gab es mehr als nur einen Marktplatz, wobei einer besonders groß erschien. Durch diesen guten Fernblick hatte Brag gleich eine Übersicht über diese Siedlung und er versuchte sich das gut einzuprägen, um sich später dort besser orientieren zu können.

Der Weg zog sich doch noch lange, so dass Brag erst kurz vor der Mittagszeit in der Siedlung ankam. So viele Menschen, wie in dieser Siedlung, hatte Brag bisher noch nie zusammen gesehen. Die Eindrücke prasselten nur so auf ihn ein. Er ging erstmal in verschiedene Richtungen, um sich in Ruhe alles anzuschauen. Aber zur eigenen Sicherheit kehrte er immer wieder zu dem großen Marktplatz zurück, den er sich als Orientierungspunkt gesetzt hatte. Hier war jetzt zur Mittagszeit viel Betrieb, viele Stände an denen man die verschiedensten Waren erstehen konnte. Brag schaute sich alles an und immer wieder entdeckte er Neues aus fernen Gegenden. Aber auch viele Tiere wurden hier verkauft, ja das hätte der Vater mal sehen müssen, da hätte er bestimmt auch gern mitgehandelt.

In einer Seitengasse auf dem Marktplatz stand eine ganze Menschentraube um einen Ochsenkarren herum. Was es da wohl gab, fragte sich Brag, das musste er sich unbedingt ansehen; denn wo so viele Menschen standen, musste es ja was ganz Besonderes geben. Er drängte sich durch die Menge und erkämpfte sich einen Platz ganz vorne in der Menschentraube. Ein Mann stand auf einem Ochsenkarren, pries Wundertränke und die Heilung von Kranken an. Der Karren war bunt verziert und sah genau wie der Mann sehr ungewöhnlich aus. Dieser war recht klein, etwas dicklich und sah irgendwie lustig aus. Er lachte viel, redete laut aber die Menschen kamen zu ihm und kauften von seinen Tränken. Manche bezahlten mit Münzen, andere mit Eiern oder anderen Gegenständen. Diesen Mann musste Brag unbedingt kennenlernen. Er wartete geduldig bis das Spektakel vorbei war, die Menschentraube sich aufgelöst hatte, dann sprach er den Mann an. Er stellte sich freundlich vor, so wie es ihm der Vater beigebracht hatte. Zuerst nahm ihn der Mann gar nicht zur Kenntnis, aber Brag war hartnäckig wenn er etwas wollte. Er bot dem Fremden an ihm zu helfen, bei seinen täglichen Arbeiten, sich um die Tiere zu kümmern und das alles ohne Bezahlung. Nur für Proviant und um von ihm zu lernen. Der Mann war gerührt darüber, besonders das jemand etwas von ihm lernen wollte. Da der Mann aber dachte, dass Brag in der Siedlung wohnen würde, sagte er, dass er viel umherzöge und es daher wohl nicht ginge, dass Brag bei ihm bliebe. Brag erzählte ihm daraufhin von seiner Geschichte, seinem Vorhaben, von seinem Vater, vom Kräuterweib und auch von seinen Gefühlen wenn er Kranke berührte. Plötzlich veränderte sich die Einstellung des Mannes und er bot Brag an ihn begleiten zu dürfen.

Die Zeit mit dem Heiler:

Zusammen bauten sie den Stand des Heilers ab und verstauten ihn auf dem Ochsenkarren. Rogon nannte sich der Heiler. Er erzählte Brag, dass er auch heute den ersten Tag in dieser Siedlung war und wohl noch ein paar Tage hier bleiben wollte. Zuerst ein paar Tage auf dem großen Marktplatz, dann noch jeweils einen auf den verschiedenen kleineren. Brag hing mit Ohren und Augen an den Lippen des Mannes. Jedes Wort saugte er förmlich auf. Von ihm wollte er lernen, ja, das wollte er. So gab er sich auch große Mühe Rogon alles Recht zu machen.

Am Abend zogen sie aus der Siedlung heraus, bis zum Waldrand und schlugen dort ihr Lager auf. Brag spannte die Ochsen aus, band diese fest und sorgte für ein ordentliches Lagerfeuer. Nach dem Essen erzählte Rogon wie er sein Geschäft betrieb. Er sammelte selbst einen Teil der Kräuter, andere wieder kaufte und tauschte er mit Kräuterweibern. Diese machten auch manche Tränke für ihn. Immer wenn er dann eine bestimmte Menge zusammen hatte, zog er durch die Gegend und verkaufte diese. Auch zog er faule Zähne, versorgte Wunden mit Verbänden und vieles andere. Brag war begeistert, das war genau das was er lernen wollte. Zur Sicherheit holte er heimlich seinen Stein aus der Tasche um zu sehen wie er sich anfühlte. Dieser aber war hart und kalt. Das verwirrte Brag zwar etwas, aber er dachte: “Was soll es, ist ja nur ein dummer Stein, was weiß der schon“. Er überlegte ob er ihn einfach fort werfen sollte, entschied sich aber dann doch anders und steckte ihn wieder weg.

Sie sprachen noch lange am Lagerfeuer und Brag war sehr glücklich, diesen weisen Mann getroffen zu haben. Am nächsten Morgen richtete Brag für beide das Essen, spannte die Ochsen ein und sie zogen erneut zum großen Marktplatz. Dort baute Brag nach Anweisung Rogons den Stand auf und sollte sich dann im Hintergrund aufhalten. Das tat Brag gern, so konnte er doch dem großen Rogon bei seiner Arbeit zuschauen und lernen. Wieder versammelte sich schnell eine Menschentraube um Rogons Stand und der Heiler verkaufte verschiedene Tränke gegen die komischsten Leiden. Es gab kleine Flaschen, große Flaschen, dunkle, helle, für jede Krankheit etwas anderes. Auch gab es Tiegel mit Salben und Tinkturen.

Nachdem die ersten Heilmittel verkauft waren, begann Rogon mit dem Zähne ziehen. Die Kranken kamen zu dem Wagen, setzten sich hinter einen Vorhang und bekamen einen Trank. Dann nahm Rogon eine Zange, suchte nach dem kaputten Zahn und riss ihn mit großer Kraftanstrengung heraus. Die Leute schrien vor Schmerzen, aber waren dennoch froh, den kaputten Zahn endlich los zu sein. Bezahlen mussten sie immer schon im Voraus. Bei manchen war der Schmerz so groß das sie ohnmächtig wurden. Dann holte Rogon ein kleines Fläschchen mit einem stark riechenden Inhalt hervor, hielt es dem Ohnmächtigen unter die Nase und nach kurzer Zeit kamen die Leute wieder zu sich. Brag war begeistert davon und wollte unbedingt wissen was in dem kleinen Fläschchen war. Aber Rogon sagte: „Das ist das letzte Geheimnis das ich dir beibringen werde“. Trotz Brags Neugier nahm er dieses so hin und dachte bei sich, ja das ist verständlich, die große Kunst ist das Schwerste und dafür muss ich vorher noch sehr viel lernen.

Rogon war mit seinem Geschäft für heute sehr zufrieden und so zogen sie gegen Abend mit vielen Münzen für Rogon und reichlich Proviant wieder in ihr Abendlager.

Während Brag wieder die Ochsen ausspannte und das Lagerfeuer errichtete, wollte Rogon neue Flaschen mit Tränken auffüllen. Brag war sehr schnell fertig mit seiner Arbeit und wollte Rogon gerade zum Essen rufen, als er sah, wie dieser alle verschiedenen Flaschen aus einem großen Gefäß befüllte. Brag war sehr verwundert, hatte er doch gedacht, dass es sich immer um verschiedene Tränke handeln würde. Aber er traute sich nicht Rogon danach zu fragen. Hingegen fragte er ihn nach dem Ziehen der Zähne und woran Rogon erkennen würde, welcher Zahn der richtige war. Rogon erklärte es ihm so gut er konnte und bot Brag an, dass nächste Mal sich dicht dazu zu stellen und genau aufzupassen. Brag war sehr froh über diese Nachricht und freute sich schon auf den nächsten Tag um wieder viel Neues zu lernen.