Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Die skurrile Geschichte zweier Paare, deren persönliche Differenzen die Aufklärung eines Kapitalverbrechens erschweren. Die Eheleute Karlheinz und Sana Hoffmann waren zehn Jahre lang auch beruflich ein gutes Team, gehen aber seit einigen Monaten getrennte Wege. Im Rahmen der Ermittlung gegen den leitenden Beamten Willy Olten treffen die beiden wieder aufeinander. Schnell wird deutlich, dass sie diesmal auf unterschiedlichen Seiten stehen. Die Begegnungen mit Olten und seiner Frau Lisa werden für sie allerdings mehr und mehr zu einem Blick in den Spiegel. Am Ende kommen sie nicht nur einem groß angelegten Fall von Korruption auf die Spur, sondern müssen sich auch ihrer eigenen Vergangenheit stellen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 451
Veröffentlichungsjahr: 2018
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
"Hast Du auch manchmal das Gefühl in einem dunklen Keller zu sitzen und alles nur durch ein Fenster zu sehen?" "Wie? Alles?", fragte ich irritiert. "Na ja, Sonne, Himmel, Pflanzen, die Natur eben!" "Das Leben?" "Auch!" "Aber?" "Na ja, es würde mir besser gefallen, wenn hinter den Büschen nicht dieser blöde Kobold lauern würde!" Sie schaute mich an, als hätte sie einen Scherz gemacht.
Ich fand das gar nicht lustig, denn diesen Blick aus dem Kellerfenster kannte ich auch.
Karlheinz
Wenn man verheiratet ist
Der richtige Ton
Sana
Das Niveau der Hocker
Ein Wikinger
Karlheinz
Nicht schon wieder
Sana
Die richtigen Schlüsse
Glauben und Vertrauen
Karlheinz
Notgedrungen
Sana
Schmetterlinge
Unruhiges Wasser
Karlheinz
Eine Internetbestellung
Sana
Wetterscheide
Kleine Widersprüche
Karlheinz
Gesplitterte Kreise
Katzenklappe
Sana
Von Frau zu Frau
Ein Fehler beim Versand
Alte Esel
Vorläufig festgenommen
Hartnäckige Nähe
Karlheinz
Jagdsaison
Eine richtige Entscheidung
Akteneinsicht
Sana
Ein Körnchen Wahrheit
Suggestivfragen
Karlheinz
Aufzeichnungen
Sana
Schöne Grüße
Beweismaterial
Karlheinz
Offensichtlich
Abgekartet
Sana
Kalendergeschichten
Wahrheitsfindung
Freundschaftsringe
Karlheinz
Unbeherrscht
Der richtige Riecher
Sana
Scharfsinnige Dummheit
Nägel mit Köpfen
Präsentierteller
Katzentisch
Gretel-Frage
Karlheinz
Gesellige Beschattung
Sana
George Bernhard Shaw
Alibi
Wider besseres Wissen
Ramon
Gebäudereinigung 1987
Karlheinz
Loyalität
Sana
Einer von den Guten
Karlheinz
Verhaftungen
Sana
Haftprüfungstermin
Karlheinz
Schattenspringen
Perspektiven
Sana
Paul Auster
Karlheinz
Stand der Ermittlungen
Die Patin
Wo die Stühle stehen
Wenn man verheiratet ist
1. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Aber sein Anblick enttäuschte mich. Ein eigentlich schlanker Typ, der mit gut einsachtzig und einem deutlichen Bauchansatz auf unangenehme Weise durchschnittlich war.
Sein schmales, ein wenig aufgedunsenes Gesicht war mir auf Anhieb unsympathisch, obwohl ich mich für einen Moment an die mürrischen Miene erinnert fühlte, die mich morgens in meinem Badezimmer begrüßte. "Kannst Du überhaupt noch in den Spiegel schauen?", hatte Sana mir bei unserem letzten Streit ja auch an den Kopf geworfen.
Dass ich den Typen in der Düsseldorfer Uni-Klinik besucht hatte, war eigentlich ein Witz. Einer, der der Staatsanwältin eingefallen war und auf meine Kosten ging. Pure Bosheit, dass sie meine Situation ausgenutzt und mich darum gebeten hatte. Na ja, gebeten?
Jemand hatte versucht, Olten den Schädel einzuschlagen. Ein Fall der mich eigentlich kaum interessierte, mir aber die Chance bot wieder ins Geschäft zu kommen.
Geschäft? Sana weg! Job weg! Nur noch Ruhestand und warten! Das Ende war ja klar. Aber bis dahin musste ich mich nicht auch noch mit mir selbst herumschlagen. Also hatte ich mich darauf eingelassen. Stolz konnte man sich im Alter ja nicht leisten!
Wirklich schlau war ich aus Olten nicht geworden. Zu banal war die Geschichte, die er mir aufgetischt hatte. An seinem Urlaubsort war zufällig ein Exfreund seiner Frau Lisa aufgetaucht, mit dem sie dann rumgemacht hatte. Olten wurde eifersüchtig und ist überstürzt abgereist. Wieder in Düsseldorf angekommen hatte seine Frau ihn zu einem S-Bahnhof bestellt, wo er prompt niedergeschlagen wurde.
Er hatte sich das alles nur widerwillig aus der Nase ziehen lassen, wie ein Geständnis, das ihm peinlich war. Auch sonst kam er mir merkwürdig vor. Seine gefühlsfremde Art sich mit dieser Situation auseinanderzusetzen und auch so zu kommunizieren hatte mich anfangs abgestoßen, inzwischen hielt ich ihn nur noch für gestört. Jedenfalls war er ein schwieriger Gesprächspartner.
Davon, dass seine Frau die Hauptverdächtige war, wollte der Typ natürlich auch nichts wissen. Ich machte gedanklich ein Häkchen an meine Checkliste. Seine Schwachstelle hatte ich gefunden!
2. Kaum war er wieder in Hannover rief ich ihn an und verabredete mich mit ihm in diesem Café. Das war immerhin keine schlechte Wahl. Im Gegensatz zu Krankenhaus und Polizeipräsidium war es hell und freundlich, auch nicht so unbequem eingerichtet, wie andere Café´s. Neben den normalen Tischen mit zierlichen Stühlen gab es lindgrün gepolsterte halbkreisförmige Sitzbänke.
Ein geselliger Raum, der den üblichen Widerstand gegen eine offizielle Vernehmung vermeiden sollte. Nicht unwichtig, denn selbst die geschwätzigsten Leute schienen in den Befragungen durch die Polizei plötzlich ein Schweigegelübde abgelegt zu haben. Auch wenn es sich um unbeteiligte Zeugen handelte, verhielten sie sich oft so, als wollten sie die Schwerverbrecher schützen. Vielleicht bezogen sie die Floskel für die vorläufig Festgenommenen, dass jede Aussage gegen sie verwendet kann, ja auch auf sich selbst.
Die meisten Tische waren besetzt. Überwiegend von Frauen, die sich lebhaft, aber gedämpft unterhielten. Die wenigen Männer saßen nur apathisch schweigend und unbeachtet von ´ihren Tischdamen´ dabei. Einige waren so alt wie ich. Die meisten älter.
Wir saßen an einem der kleinen Tische im hinteren Bereich und schauten der Bedienung hinterher. Eine Frau um die vierzig, die konservativ mit Bluse und einem engen dunklen Rock gekleidet war. Sie hatte uns bereits den Kaffee mit dem üblichen kleinen Keks auf der Untertasse gebracht und uns dabei misstrauisch gemustert. Vielleicht weil wir ohne weibliche Begleitung waren.
"Lesen Sie!", forderte ich mein Gegenüber auf als sie aus unserem Blickfeld verschwunden war. Widerwillig wandte er sich mir und der Zeitung zu, die in meiner Hand raschelte.
Es handelte sich um die ´Neue Hannoversche Zeitung´ vom 20. Januar, die heute schon eine gute Woche alt war. Mein Finger tippte energisch auf einen Artikel.
´Rätselhafter Anschlag auf Leitenden Beamten!
Gestern Abend wurde Willy Olten Opfer eines Mordanschlages. Der Chef der Zweiländeranstalt für Zentrale Verwaltungsdienste für Niedersachsen und Schleswig-Holstein liegt derzeit mit einem Schädeltrauma in einer Spezialklinik, deren Namen die Polizei aus Sicherheitsgründen geheim hält. Das Opfer wurde auf einem S-Bahnhof in Düsseldorf niedergeschlagen und erlitt ein schweres Schädeltrauma. Weitere Einzelheiten gibt die Polizei derzeit nicht bekannt. Die Staatsanwaltschaft äußert sich zu möglichen Tätern sehr zurückhaltend. "Wir ermitteln in alle Richtungen", sagte der Oberstaatsanwalt Dr. Vorsteden. Nachforschungen der NHZ haben ergeben, dass die Ehefrau des Opfers offenbar von ihm getrennt lebt. Die NHZ fragt sich: "Besteht da ein Zusammenhang mit den Anschlägen auf ihren Mann oder hat es mit der Anstalt für Zentrale Verwaltungsdienste zu tun?" Die NHZ wird weiter berichten.´
"Auf die Titelseite haben Sie es noch nicht geschafft!", spöttelte ich, fasste dann den Stand der Ermittlungen für ihn zusammen. Ließ mir Zeit dabei, obwohl ich kaum etwas herausgefunden hatte.
Ich erklärte ihm, dass seine Frau einen Notruf getätigt hatte. Allerdings nicht seinetwegen, sondern wegen ihres Freundes, der bewusstlos gewesen war. Anstatt mir nun zu erklären, wie der Freund seiner Frau in diesen Zustand geraten war, ignorierte er meinen fragenden Blick. Na gut! Ich wollte darauf sowieso später noch mal zurückkommen. Erst einmal setzte ich also meinen Bericht fort.
Ironischer Weise hatte die Sirene und Ankunft des Rettungswagens Olten wahrscheinlich das Leben gerettet. Und zwar in doppelter Hinsicht. Zunächst hatte der Rettungswagen den oder die Täter vertrieben. Als weder die Anruferin noch das beschriebene Opfer vor dem Bahnhof zu finden waren, hatten die Rettungssanitäter auf den Bahnsteigen nachgesehen und ihn gefunden. Andernfalls hätte der Blutverlust oder die Unterkühlung zum Tode führen können.
Das schien ihn nicht besonders zu beeindrucken. Für meinen Dienstausweis, zeigte er deutlich mehr Interesse. Misstrauisch fragte er, warum ihn nicht die zuständige Düsseldorfer Polizei sondern ich ihn im Krankenhaus aufgesucht hätte.
Dass war zwischen den Innenministerien so abgestimmt worden, weil er ja absehbar wieder an seinem Wohnort in Hannover sein würde.
Und so war es ja auch gekommen. Aber selbst das überzeugte ihn nicht wirklich. Zumindest sah er mich an, als hätte ich einen albernen Scherz gemacht.
"Die Polizei muss sich natürlich auch in Ihrem Amt umsehen!", erklärte ich ihm.
Seine Miene wurde daraufhin so ausdruckslos, dass ich Bescheid wusste. Untersuchungen oder Befragungen in seinem Amt waren ganz und gar nicht in seinem Sinne.
3. Hat sich Ihre Frau inzwischen bei Ihnen gemeldet?", wechselte ich das Thema. "Nein, warum fragen Sie?"
"Na, ja, wenn man verheiratet ist, dann..." Ich sah plötzlich den Stein und mein eigenes Glashaus vor mir und brach ab. Aber es war zu spät.
Er ließ nun nicht mehr locker und wollte unbedingt meine Meinung dazu hören, was denn "dann" sein sollte.
"Dann interessiert man sich doch für einander!", brachte ich meinen Gedanken notgedrungen zu Ende und glaubte es Klirren zu hören.
Ein Blick aus dem Fenster zeigte mir aber nur ein paar kleine Bäume und einen Kirschlorbeer, die geräuschvoll vom Wind geschüttelt wurden.
"Sie meinen das Interesse im Sinne einer kognitiven Anteilnahme oder Aufmerksamkeit, die einer anderen Person entgegengebracht wird?", fragte er allen Ernstes. Ich sah ihn entgeistert an. "Wie bitte?"
"Je mehr Anteilnahme, desto mehr Interesse? Ich weiß nicht, ob man das messen kann. Glaube aber, dass sie zeitlichen Schwankungen unterliegt!" Mein Gott, warum redete der so gestelzt daher?
Es brauchte einen Moment bis ich ihn verstanden hatte. "Sie glauben also, dass die Intensität des Interesses Ihrer Frau an Ihnen im Moment nicht besonders hoch ist?" Er nickte nur.
Ich stellte ihm nun die üblichen Fragen. Wie seine Ehe denn so gewesen wäre und ob es Probleme gegeben hätte. Kam am Ende auch auf den Anfang seiner Beziehung zu sprechen. "Wenn etwas beginnen soll muss doch die Zukunft mit der Gegenwart und Vergangenheit zurecht kommen! Schwierig wird es ja nur bei den Extremen. Wenn die Vergangenheit völlig abgelehnt wird oder wenn sie noch zu wichtig ist!" Darüber dachte ich ja schon länger nach.
"Anfangs spielte die Vergangenheit eine große Rolle!", gab er widerwillig zu. Ich vermerkte es gedanklich in meiner Checkliste.
4. "Haben Sie denn mit meiner Frau gesprochen?" Eine naheliegende Frage! Natürlich hatte ich das. Sie war schließlich eine wichtige Zeugin.
Ich berichtete ihm aber zunächst von den Telefonaten meiner Kollegen. Nach deren Aussagen war sie einen Tag nach ihrem Mann aus dem Urlaub zurückgeflogen, weil sie sich mit ihm zerstritten hatte. Sie hatte zwei Tage nach dem Vorfall auf dem S-Bahnhof angerufen. Angeblich hatte sie versucht, ihn zu Hause oder auf dem Handy erreichen, weil er einfach vor dem Bahnhof verschwunden sei. Dabei wäre sie doch mit ihm verabredet gewesen. Besonders beunruhigt schien sie aber nicht zu sein. Die Kollegen hatten den Vorfall nicht erwähnt, um seine Frau nicht vorzuwarnen!
"Vorfall? Das hört sich so harmlos an, als hätte ich mir den Kopf gestoßen!", beschwerte er sich halbherzig.
Die Kellnerin kam und fragte, ob alles in Ordnung sei. Auch so eine Frage! Als wenn jemals gleich alles in Ordnung wäre! Ich bestellte aber nur einen Orangensaft. Olten bat um einen Kaffee. Als sie sich stöckelnd von unserem Tisch entfernte, warfen wir einen anerkennenden Blick auf ihre Waden.
Ich räusperte mich. "Also noch mal zurück zu Ihrem Erlebnis auf dem S-Bahnhof. Ist Ihnen inzwischen noch was eingefallen? Haben Ihnen die anderen Ermittler irgendetwas gesagt?"
Er sah mich irritiert an. "Nein, die haben nur die gleichen Fragen gestellt wie Sie. Und ich habe ihnen die gleichen Antworten gegeben."
"Naumann?" Ich schaute mein Gegenüber fragend an. "Der mag mich nicht!", murmelte er belustigt. "Darüber sollten Sie sich keine Gedanken machen!" "Sie halten nicht viel von ihm?" Natürlich bekam er keine Antwort von mir.
Ich hatte eine ganz andere Sorge. "Haben Sie Naumann denn erzählt, dass ich Sie bereits im Krankenhaus befragt habe?" "Nein, das wird er doch von Ihnen schon gewusst haben!", vermutete er erstaunt. Ich nickte nur. Eine nicht ganz aufrichtige Kopfbewegung!
5. Hoffentlich nicht zu hastig wechselte ich das Thema zurück und fragte ihn noch mal nach den Ereignissen auf dem Bahnsteig. Er hatte nicht viel zu berichten. Bemerkenswert war nur, dass er sehr empfindlich auf die Fragen zu seiner Frau reagierte. Obwohl doch offensichtlich war, dass alles gegen sie sprach.
Er trank einen Schluck Kaffee. Nach seinem Gesicht zu urteilen, war der nicht besonders. Oder zu heiß. Er stellte seine Tasse vorsichtig ab.
Ich führte das Glas ein wenig zu hastig an den Mund. Ein paar Tropfen Orangensaft fielen auf mein Hemd. "Erinnern Sie sich denn an gar nichts? Was war denn vor dem Bahnhof?" Auch meine diesmal ausgesprochene Frage blieb unbeantwortet.
Hmh? Der Freund seiner Frau, ein gewisser Toby Mainz, hatte ausgesagt, dass Olten ihn vor dem Bahnhof angegriffen und niedergeschlagen hatte. Es mochte ja sein, dass keine Verbindung zwischen dem Attentat auf dem Bahnsteig und dem Vorfall vor dem Bahnhof bestand. Aber die Prügelei vor dem Bahnhof hatte es gegeben!
Es sah auch so aus, als wäre noch jemand beteiligt gewesen, der Olten vielleicht festgehalten hatte, denn sein Gesicht wies eine Platzwunde auf, die mit dem eigentlichen Attentat kaum etwas zu tun haben konnte. Aber auch davon wollte er nichts wissen. "Ihr Gesicht straft Sie Lügen!", sagte ich dann auch und versuchte, mit einer Serviette die Flecken von meinem Hemd abzutupfen. "Also warum die Prügelei?"
Er zuckte mit den Schultern. "Herr Mainz wollte mich daran hindern mit meiner Frau zu sprechen!" "Aus welchem Grund?" "Er hat zu mir gesagt, ich wäre für Lisa eine Gefahr!"
"Oder, dass es für sie gefährlich wäre, in ihrer Nähe zu sein?", präzisierte ich. "Dann müsste er von dem Plan mich zu erschlagen gewusst haben!", sprach er den Gedanken aus, der mir auch schon gekommen war.
6. "Na ja, das habe ich Ihnen noch nicht erzählt. Ich habe ihre Frau vorgestern gesprochen. Ihre aktuelle Handynummer habe ich von der Notrufzentrale, die sie nach ihrer Schlägerei angerufen hat. Wir haben uns dann verabredet. Sie kam allerdings nicht allein. Dieser Toby Mainz war bei ihr." Ich lehnte mich zurück und wartete auf seine Reaktion.
"Und warum haben Sie mir das nicht sofort erzählt?" Ich ignorierte seine Frage. "Wir haben uns in Düsseldorf getroffen. Die Kneipe hat so einen komischen Namen, wie ein Krankenhaus!" "Flurklinik?"
Ich nickte. "Ist ja eine ganz schöne Gurkerei. Dass Ihre Frau das jahrelang mitgemacht hat, dieses Pendeln zwischen Hannover und Düsseldorf ist schon beachtlich!", begann ich umständlich. "Erzählen Sie mir doch etwas, was ich nicht schon weiß!", brummte er.
Doch so schnell wollte ich mein bisschen Pulver noch nicht verschießen. "Sie scheinen etwas getan zu haben, dass sie gegen Sie aufgebracht hat!", klopfte ich also auf den Busch.
Zu meiner Verwunderung versuchte er sich tatsächlich ernsthaft an einer selbstkritischen Erklärung. Aus meiner Sicht beschrieb er jedoch nur einen ganz normalen Ehealltag. Nicht mal eine Affäre hatte er zu bieten.
Was er mir erzählte, kam mir allerdings unangenehm bekannt vor. "Ich glaube Ihnen ja. Aber sie scheint irgendwas in der Richtung zu denken. Vielleicht hat ihr jemand einen Floh ins Ohr gesetzt?"
"Sie meinen Toby?" "Der oder jemand anderer. Vielleicht irre ich mich auch", schwächte ich ab. "Sie wissen doch mehr?" Sein Misstrauen war nicht zu überhören.
Ich informierte ihn nun darüber, dass seine Frau wohl Geschäfte mit Herrn Mainz und zwei dubiosen Typen machte. Was genau er mit den beiden Karlows zu tun hatte, war mir nicht klar geworden. Nur, dass es um den Verkauf von Immobilien ging.
Seine Reaktion befremdete mich. Er zog seine Mundwinkel irritiert auseinander, als wollte er lachen.
"Das ist nicht lustig!" Um ihm das vor Augen zu führen, machte ich ihm klar, dass seine Frau sich vermutlich mit Kriminellen eingelassen hatte. Ich fragte ihn auch, ob er wirklich genau wisse, was seine Frau in den letzten Monaten so gemacht hatte.
Er schien ernsthaft darüber nachzudenken. Dann schüttelte er den Kopf. "Lisa ist Lisa. Toby hin, Ehe her. Sie ist lebensgefährlich romantisch, aber kein Mensch, der ein Doppelleben führen kann. Ihre Emotionen kann sie so gut verbergen, wie ein Wirbelsturm, dass es windig ist!"
Einen Moment später sah er mich besorgt an. "Wir müssen sie warnen!" Meine Antwort war vermutlich nicht geeignet ihn zu beruhigen. "Sie ist seit zwei Tagen nicht erreichbar!"
Seine nächsten Worte kamen nur langsam und widerwillig über seine Lippen. "Vielleicht kann Herr Mainz etwas dazu sagen!"
Ich sagte ihm zu, auch dieser Möglichkeit nachzugehen und sah damit unser Gespräch als beendet an. Er allerdings nicht!
7. "Ich habe mir Ihren Dienstausweis angesehen. Gibt es vielleicht noch etwas, das Sie mir sagen wollen?" Seine Stimme war nun eben so ausdruckslos, wie sein Gesicht.
So etwas hatte ich schon die ganze Zeit über befürchtet. Diese rachsüchtige Staatsanwältin hatte kaltlächelnd dafür gesorgt, dass ich nun vorgeführt werden konnte.
"Wieso hat mich in Düsseldorf ein Polizist aus Hannover befragt, der quasi schon im Ruhestand ist?", hörte ich ihn auch schon sagen.
Sicher hätte ich mich irgendwie herausreden können, denn mein Dienstausweis war ja noch für einige Tage gültig. Aber spätestens, wenn Olten unsere Gespräche Naumann gegenüber erwähnte, würde ich auffliegen. Ob ich wollte oder nicht, ich musste ihm nun die Wahrheit sagen, denn meine Karten waren eindeutig besser, wenn ich sie selbst auf den Tisch legte. Das tat ich dann auch.
Für einen Moment war er sprachlos. In seinem Kopf arbeitete es offenbar um so mehr. Und er kam auch zu einem Ergebnis! "Es geht wohl gar nicht um das Attentat?"
Ich sah ihn so erstaunt wie möglich an und schüttelte den Kopf. "Das ist doch Unsinn!" Meine Worte bewirkten lediglich, dass seine skeptisch Miene nun auch noch mitleidig wurde.
Erstaunlich ruhig stellte er dann fest, dass unser Gespräch nun zu Ende sei und wünschte mir alles Gute für meinen sicher wohlverdienten Ruhestand.
Der richtige Ton
8. Einige Tage später rief ich ihn noch einmal an. Zu meiner Überraschung stimmte er einem weiteren Gespräch zu. Wir verabredeten uns in einer Kneipe, die sich nah bei meiner Wohnung befand. Hier war ich nur einmal mit Sana gewesen. Wir hatten das nicht wiederholt.
Ich gab ihm die Straßenecke durch, wo sich die Kneipe befand. An ihren Namen erinnerte ich mich nicht. Wusste nur, dass der irgendwie mit ´los´ endete. Sorglos, Endlos, Trostlos, Treulos oder so ähnlich. Es war eine typische Eckkneipe, in der alles, auch die Wände in der unteren Hälfte, wie die Möbel in dunklem Holz gehalten war. Nicht sehr groß, ein paar Tische und eine Theke auf der ganzen Länge des Raumes.
Pünktlich um 20 Uhr betrat ich den Gastraum. Nur ein Tisch war besetzt. Mit drei Männern, die Skat spielten. An der Theke saß eine Frau mittleren Alters und unterhielt sich mit einem älteren Mann. Der stand gerade auf, verabschiedete sich von ihr mit einer flüchtigen Umarmung und ging hinaus.
Die Frau kam mir bekannt vor. Sie war um die 50, trug Jeans, schlanke Figur, blonde kurze Haare und stark geschminkt. Ich versuchte mich zu erinnern, wer das sein könnte.
Bevor ich zu einem Ergebnis kam, erschien Willy Olten. Wir setzten uns an einen freien Tisch.
9. Nachdem die Getränke vor uns standen, spekulierte ich mit ihm über die möglichen Hintergründe des Anschlags auf ihn. Daran war ich durchaus interessiert, wenn auch nicht so sehr, wie an der Frage, warum er sich auf dieses Treffen mit mir überhaupt eingelassen hatte!
Er machte das nicht ungeschickt. Erst relativ spät fiel mir auf, dass er zwar keine direkten Fragen dazu stellte, aber zunächst weiträumig und dann immer näher ein ganz anderes Thema umkreiste. Sein Amt! Er wollte herausbekommen, was wir darüber wussten und gegen ihn in der Hand hatten.
Nun! Darum musste ich mir keine Sorgen machen, denn ich hatte selbst keine Ahnung, was das sein könnte. Also versuchte ich den Spieß umzudrehen und hoffte etwas von ihm zu erfahren. Aber ohne das nötige Wissen, nützt ja auch die beste Fragetechnik nichts!
Eine gute Stunde später waren einige Gedecke aus großem Pils und Ouzo über unseren Tisch gegangen. Sie entfalteten ihre Wirkung. Ich schlug vor, dass man sich doch duzen könnte, weil ich ja quasi nur noch privat hier sei.
"Ich weiß nicht, ob ich mich mit jemandem duzen möchte, der so über meine Frau redet?", dämpfte er meinen launigen Versuch einer Verbrüderung. Sein Blick durchquerte hastig das Lokal.
"Tut mir leid, aber ich habe so meine Erfahrungen gemacht!" Seine Ablehnung traf mich stärker als ich es erwartet hatte. Nicht nur, weil unser Alkoholpegel eine bessere Laune verdient gehabt hätte.
"Also von mir aus!", lenkte er ein und nannte seinen Vornamen. "Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, einen Polizisten im Bekanntenkreis zu haben. Selbst, wenn er nur ehemalig sein sollte." "Karlheinz!" Ich registrierte, dass er meinen Ruhestand in den Konjunktiv gesetzt hatte.
"Wie ist das denn so, wenn man auf einmal arbeitslos ist?" Er lächelte das erste Mal an diesem Abend. Offenbar nahm er mir die Pensionärsnummer nicht ab.
"Ein wenig so, wie obdachlos. Und für den Kopf an der Suppenküche anstehen!", grinste ich verlegen.
10. Nun entwickelte sich ein Zwiegespräch, in dem wir auch über einige private Dinge redeten. Das lief einigermaßen gut und trug gelegentlich sogar heitere Züge.
Zumindest bis ich übermütig über die Möglichkeiten sinnierte, die seine Position bot, auch persönlich zu profitieren. Na, gut! Seine Verärgerung war angemessen und er hielt damit nicht hinterm Berg.
"Du hast da etwas falsch verstanden. Ich wollte Dir doch nur helfen!" Die robuste Tischplatte unter meinen Ellenbogen gab mir ein wenig Halt.
"Ich bin zwar im Ruhestand, aber ich werde mich um Deinen Fall kümmern, versprochen!" Das hatte ich alkoholbedingt schon öfter gesagt, aber diesmal störte es ihn.
Er sah mich misstrauisch an. "Ich möchte mit niemandem etwas zu tun haben, der krumme Geschäfte machen will!"
Hmh? Vielleicht war ich wirklich zu alt für den Job. Weil ich ihn nicht mochte, hatte ich ihn unterschätzt. Nun wusste er nicht nur, dass ich ihm misstraute. Nein, er traute auch mir nicht mehr!
Der Typ war nicht blöd. Aber ich war ja Polizist. Na gut, gewesen! Trotzdem! Das Spiel, ´ich weiß etwas, das Du nicht weißt´ hatte ja meistens funktioniert.
"Ich glaube, Du unterschätzt das Ganze!", warnte ich ihn. "Wieso?" "Das ist gefährlicher als Du denkst!" "Ach ja?"
Ich räusperte mich ausführlich. "Gut, aber behalte das für Dich!" Er nickte nur.
Nun berichtete ich ihm von einem seiner Kollegen aus Hessen, im Geschäftsbereich des Innenministeriums, der sich vor vier Wochen an das LKA gewandt hatte. Er wollte aus der Korruptionsgeschichte in die er verwickelt war wieder heraus. Das ganze war ihm über den Kopf gewachsen.
Mit den Flüchtlingen, die unterzubringen und zu verwalten waren, hatte sich das Volumen der Beschaffungen seines Amtes deutlich erhöht. Mit dem vorhandenen Personal war die ordnungsgemäße Vergabe kaum noch zu kontrollieren, so dass er die Amtshilfe anderer Behörden in Anspruch nehmen musste.
Früher oder später wäre er deshalb wahrscheinlich sowieso aufgeflogen. Und die größere Nachfrage trieb nicht nur die Preise in die Höhe. Es tauchten auch ´neue Anbieter´ aus der organisierten Kriminalität auf.
Da es der Faktenlage entsprach, fiel es mir nicht schwer, glaubhaft zu erscheinen. Komplizierter war es dagegen, den richtigen Ton zu finden. Er sollte schließlich bemerken, dass ich ihm wichtige Interna anvertraute.
Aber ich durfte auch nicht zu verschwörerisch wirken. Das hätte er mir nicht abgekauft!
"Na, und?" Seine Neugier war immerhin geweckt. "Er ist tot. Seit letzter Woche!", kam ich ein wenig dramatisch zum Schluss.
Natürlich wollte er wissen, warum sein Kollege nicht unter Polizeischutz gestanden habe und war recht bestürzt, dass es auch die Polizisten erwischt hatte.
"Wie ist es denn dazu gekommen?" So, wie er mich ansah, ahnte er, dass ich mich auf dünnes Eis begab.
Eine vertrauliche dienstliche Information weiterzugeben, noch dazu an einen Verdächtigen, konnte mich meine Pension kosten. Egal! Wenn ich einen Zugang zu Olten bekommen wollte, durfte ich jetzt nicht dicht machen. "Eine Bombe, die in seinem Haus explodiert ist."
"Davon habe ich gelesen. Ein Terroranschlag. Es gibt doch ein Bekennerschreiben!", erinnerte er sich und ließ seinen Blick durch das Lokal streifen. Ich wollte es schon dabei bewenden lassen, als mir auffiel, dass er doch ein wenig zu unbeteiligt wirkte.
Hmh? Er hatte es wohl erkannt. Im Kontext mit Korruption machte ein Bekennerschreiben keinen Sinn. Diese Sprachregelung hatte ich schon damals für Schwachsinn gehalten! Ich schüttelte den Kopf.
"Du glaubst...?", begann er skeptisch, wurde aber von mir unterbrochen. "Ich weiß es. Mehr kann ich Dir nicht sagen. Bitte behalte das für Dich!"
Obwohl meine Aussprache den Alkoholpegel nicht verleugnen konnte, hatte er mich verstanden.
Meine Botschaft war für ihn sicher alles andere als beruhigend und damit so, wie sie sein sollte.
Sie führte auch zum gewünschten Erfolg. Wenn auch anders als ich es erwartet hatte. "Musstest Du schon einmal Deinen Personalausweis vorzeigen, um ein Päckchen für Deine Frau annehmen zu können?", fragte er mich allen Ernstes.
Als ich das verneinte, berichtete er, dass ihm vor wenigen Tagen genau das passiert wäre. Dass der Paketbote sogar das Passbild mit seinem aktuellen Gesicht verglichen habe und überhaupt sehr misstrauisch gewesen wäre.
Ich ahnte, worauf er anspielte. Na ja! Ein Killer würde natürlich sehr gewissenhaft prüfen, wem er eine Paketbombe in die Hand drückt.
Damit er sah, dass ich ihn ernst nahm, empfahl ich Willy eindringlich, sich von dem Ding fernzuhalten und rief die Kollegen von der Spurensicherung an.
Ob ihn das beeindruckt hatte, konnte ich nicht einschätzen, denn er kam nicht mehr auf dieses Thema zurück.
Wir bestellten eine weitere Runde und sprachen nun wieder über das Attentat auf ihn. Auch über die Sinnlosigkeit eines gewaltsam herbeigeführten Lebensendes.
"Obwohl es dabei für das Opfer auch unbestreitbare Vorteile gibt!", grinste er und erklärte: "Wenn Du erschlagen wirst, bist Du eben einfach tot und hast Dir die ganze Sterberei erspart!
11. Eine halbe Stunde später trat die Kellnerin an unseren Tisch. Ziemlich lehrerhaft wies sie uns darauf hin, dass gleich die Kaffeemaschine ausgeschaltet würde.
Also orderte jeder eine Tasse. Eine gute Entscheidung! Denn die Worte waren einerseits so schwer geworden, dass meine Zunge sie kaum bewegen konnte. Andererseits schienen sie sich selbstständig zu machen. Kamen unkontrolliert und manchmal fremd über die Lippen.
Ich musste oft überlegen, was ich gesagt hatte. Ob es das war, was ich eigentlich sagen wollte? Aber das wusste ich dann auch nicht mehr.
"Du kannst auch besoffen noch ziemlich klar reden", widersprach mein Gegenüber. Er schien meine Gedanken gelesen zu haben. Oder hatte ich sie ausgesprochen?
Sicherheitshalber rief ich der Kellnerin noch, bevor der erste Kaffee gebracht worden war, eine zweite Bestellung hinterher. Willy folgte meinem Beispiel.
"Ich werde mich um Deinen Fall kümmern!", wiederholte ich und sah ihn fragend an. "Danke. Und warum?" Ich konzentrierte mich auf die Maserung der Tischplatte, die nun nicht mehr so massiv wirkte.
"Du musst auch etwas für mich tun!" Betrunken wie ich war, hätte ich besser den Mund gehalten. Aber es war zu spät!
Obwohl die Gedanken nur zäh über meine Lippen kamen, passierten sie meinen Kopf so leichtfüßig, dass sie kaum Spuren hinterließen.
Willy hatte wahrscheinlich kaum verstanden, was ich von ihm wollte. Die ganze Zeit über hatte er auch nur verlegen genickt.
"Das ist ja schon morgen. Um was geht es denn dabei?", fragte er am Ende irritiert.
"Es geht um einen Fall, der Parallelen zu Deinem aufweist. Bitte frag mich nicht. Machst Du es?", hörte ich mich fragen.
So, wie er mich anstarrte, erwartete ich eine abschlägige Antwort. Er murmelte auch etwas von Freundschaftsdiensten, deren Gegenseitigkeit man nicht vertrauen sollte.
Ich war nicht wenig überrascht, als ihm dann wohl unsere bierselige Kumpanei die Entscheidung abnahm. "Okay, ich werde hingehen. Aber irgendwann erzählst Du mir alles!"
Er strich mit der linken Hand über hölzerne Platte des Tisches und hielt mir die rechte entgegen. Ich schlug ein.
Das Niveau der Hocker
12. Er saß auf einem kleinen Mäuerchen und beobachtete den Eingang der gegenüber liegenden Bar. Ein wenig in sich zusammengesunken und mit den seitlich abstehenden Haaren, erinnerte er mich an den alten Luchs im Zoologischen Garten der Stadt. Das Tier sah ziemlich mitgenommen aus, belauerte aber die Besucher vor dem Zaun wie eine sichere Beute.
Seine skeptische Miene sprach Bände. Ich ahnte auch warum! Das ´Capitano´ war ein Treffpunkt, wo man sich ´näher kam´. Teuer. Aufmerksames Personal, vor allem der Inhaber, Gustav, der 3-Zentner-Riese, sorgte dafür, dass es keine unerwünschten Zudringlichkeiten gab.
Der vierschrötige Typ, der an der Bushaltestelle stand, warf dem ´Luchs´ unauffällige Blicke zu. Dann schaute er mir hinterher. Das kannte ich schon. Bei einer Frau mit langen blonden Haaren in einem engen kurzen Rock, die auf hohen Pumps vorbei stöckelt, war das eben so.
Es war immer wieder erstaunlich, dass ein solches Outfit ausreichte, um sämtliche Macken unsichtbar werden zu lassen; meine kantigen Gesichtszüge, die zu große Nase, die breiten Hüften, den kaum vorhandene Busen und meine unproportionierten, kräftigen Beine.
Der Typ auf dem Mäuerchen ließ mich nicht aus den Augen. Vielleicht bildete ich mir das ja auch nur ein, aber mein Gefühl täuschte mich selten.
Ohne noch einmal in seine Richtung zu schauen, betrat ich den Innenraum der Bar. Die Beleuchtung kam schwach und schummerig von den kleinen Lampen, die über den Tischen hingen. Sie standen jeweils halb verdeckt in einer Art Nische, die durch große Kästen mit künstlichen Pflanzen und auf alt getrimmte Säulen gebildet wurden. Der Tresen war so beleuchtet, das es hinter ihm hell war, die Gäste davor aber in einem dämmrigen Licht weichgezeichnet wurden.
Ich setzte mich an die Theke, bestellte einen Cocktail und achtete darauf, dass meine Beine gut zur Geltung kamen.
13. Wie erwartet betrat der alte Luchs ein paar Minuten später ebenfalls die Bar. Ich hatte ihn bereits in der letzten Woche bemerkt, als er die Gäste beobachtete. Nicht gerade unauffällig. Als einer der anderen Gäste sich zu mir setzte, hatte er mich nicht mehr aus den Augen gelassen. Dieser andere Gast war eigentlich ganz nett gewesen, ein bisschen zu gockelhaft und glatt, vielleicht. Wir hatten uns ganz gut unterhalten.
Um den Luchs zu ärgern, hatte ich auch einige Male übertrieben, beinahe professionell gelacht. Dieses perlende Lachen der Frauen, das nur für Männer bestimmt ist. Das ihnen das Gefühl gab, witzig und charmant zu sein. Und in diesem Moment alles erreichen zu können. Na ja, so waren sie eben gepolt.
Zwei Stunden später war ich aufgestanden und gegangen. Mein Sitznachbar, der in meine Drinks investiert hatte, war mir gefolgt und versuchte mich aufzuhalten. Erst mit Worten, dann hielt er mich am Arm fest und redete auf mich ein. Wollte sich die sicher geglaubte Eroberung wohl nicht entgehen lassen.
Ich hatte nur lächelnd den Kopf geschüttelt und den Blick zum Tresen und zu Gustav gewandt. Der Mann, mit dem ich in den letzten zwei Stunden geredet und gelacht hatte, folgte meinem Blick. Gustav nickte mir zu und betrachtete missbilligend die Hand auf meinem Oberarm. Augenblicklich ließ der Mann mich los, entschuldigte sich und ging zurück zur Bar. Ich war dann durch den Ausgang verschwunden, ohne mich noch einmal umzudrehen.
14. Der Alte sollte also wissen, was ihn erwartete. Trotzdem setzte er sich auf den Hocker neben mich. Ich drehte mich zu ihm herum und sah, dass er mindestens zehn Jahre älter war als ich und die meisten der anwesenden Männer. Die anwesenden Frauen hätten seine Töchter oder Enkelinnen sein können. Na ja, von mir mit meinen fünfzig Jahren einmal abgesehen.
Etwas an ihm irritierte mich. Einen Moment später wusste ich auch was! Es war die Miene, die er so unbewegt vor sich her trug, und seine Haltung, die mir so merkwürdig vertraut erschien.
Der Barkeeper warf ihm einen taxierenden Blick zu, den er trotzig erwiderte. Im Hintergrund stand Gustav und schüttelte den Kopf.
Ich schaute wieder nach vorn, um den Alten im Spiegel hinter der Theke sehen. Er grinste, als habe er darauf gewartet.
"Äh, mhm, darf ich Sie auf einen Drink einladen?" Als er mir auch noch seinen Namen nannte, kam es mir vor, als sage er ein Gedicht auf.
Ich drehte mich zu ihm hin. "Gern!" Und zum Barkeeper: "Einen Martini-Cocktail, wie immer!"
Er bestellte ein Pils und einen Brandy. Das stand auch kurze Zeit später vor ihm. Letzteren kippte er hinunter und nahm einen großen Schluck aus dem Pilsglas. Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln, das seine Augen nicht erreichte.
Unser Versuch ein wenig ´small talk´zu betreiben, verlief bereits nach einigen Minuten im Sande. Er war einfach zu ungeschickt. Oder völlig aus der Übung. Die Ausstattung des Lokals und die Attraktionen Hannovers interessierten mich sowieso nicht.
Die Fragen, die ich ihm beiläufig zu seinem Job stellte, beantwortete er umständlich oder ausweichend, versuchte aber es witzig klingen zu lassen. Als wir schließlich bei der Frage landeten, wie verbogene Büroklammern wieder zurück in ihre ursprüngliche Form gebracht werden konnten, gab ich auf.
Dann holperte er mit der üblichen Frage heraus. "Entschuldigen Sie meine Direktheit. Sie sind eine sehr attraktive Frau, und ich frage mich, wie es sein kann, dass sie hier alleine ...?" Meine Lippen sprachen seine Worte lautlos mit.
Was dann kam war einfach nur unmöglich. "Warum machen sie das hier?" Sein Blick unter der gefurchten Stirn zeigte, dass er es ernst meinte.
Ich schluckte meinen Ärger herunter. "Was meinen Sie?" "Äh, na, ja, Sie sitzen hier so....äh....na ja, man kann Sie nicht übersehen." Ach, Du lieber Gott, ging es noch peinlicher.
"Sie meinen, ich soll ich mich unsichtbar machen?", spottete ich unangenehm berührt. "Das ist gar nicht so schwierig, wie man denkt", setzte er an, als wollte er mir Tipps gegeben, wie man das am besten anstellte. Bemerkte aber noch rechtzeitig, dass ich mich nur über ihn lustig machte.
"Sie wissen, was ich meine!", brummte er gereizt und erntete meinen dramatischen Augenaufschlag. Er bestellte dasselbe noch einmal, während ich mich noch an meinem ersten Cocktail festhielt. "Sagen Sie es mir!", warf ich den Ball zurück. Zu dem Ton hätten ein paar Ohrfeigen mit zarten Damenhandschuhen gepasst. Das hatte ich lange geübt.
Nachdem er seinen Brandy gekippt und einen großen Schluck Bier genommen hatte, versuchte er sich an einer Erklärung. Ich sei außergewöhnlich, aber was ich hier machte, wäre es nicht. Den ersten Teil hatte ich schon oft gehört, der zweite war eine Unverschämtheit!
Empört sah ich mich um. Doch niemand beachtete uns. Na ja! Bis auf die gelegentlichen Blicke der Männer unsere Richtung, die meist etwas tiefer zielten. Das meinte er also! Es waren natürlich nicht seine Beine, denen die Aufmerksamkeit galt.
Hoffentlich wurde ich bald von dem Mann neben mir erlöst! Doch der redete einfach weiter. Ich sei ein Frau mit Niveau, eine Dame und dafür wären die Barhocker zu niedrig. Was war das denn für eine Aussage? Sollte das ein Kompliment sein?
Er schaute zu dem Hocker auf dem ich saß. Dass meine Beine seine Sicht auf den Hocker behinderten, schien ihn nicht zu stören. So viel zu seinem Niveau! Ich räusperte mich vernehmlich. Schnell sah er wieder auf. Ich warf den Kopf in den Nacken, als würde ich lachen. Doch meine Mundwinkel blieben unten, als wären sie festgefroren.
Der Luchs sah sich in der Bar um. Wieder schien uns niemand zu beachten. Trotzdem fühlte ich mich wie auf einer Bühne. "Wie meinen Sie das?"
"Ganz einfach. Ich bin sicher, dass Sie Niveau haben, aber wie ich Ihr Tun bewerten soll, weiß ich nicht!", sinnierte er, als stecke hinter seiner einfältigen Antwort eine tiefere Weisheit.
Seine leeren Gläser wurden durch volle ausgetauscht. Der Barkeeper fragte ihn schon nicht mehr. Er sollte langsamer trinken. "Außerdem wissen Sie, was ich meine!", ergänzte er trotzig.
Wusste ich das wirklich? Seine anmaßende Art ärgerte mich. Was bildete der sich eigentlich ein? "Warum sind Sie dann hier?" Er zuckte mit den Achseln.
"Was ist denn mit ihrer Frau? Was macht sie? Ist sie zu Hause?" Diese Frage hatte bisher jeden in Verlegenheit gebracht.
"Wenn ich das wüsste, säße ich nicht hier!", brummte er sichtlich überrumpelt. Diese Antwort hatte ich nicht erwartet! Nein! Das war nicht nur die übliche Geschwätzigkeit des Alkohols! Ich wollte es genauer wissen und fragte nach.
"Grundsätzlich rede ich schon lieber mit Frauen als mit Männern. Sie geben mir zwar selten recht, sind aber verständnisvoll. Bei Männern ist es ja eher umgekehrt!", erklärte er belustigt, wurde aber schnell wieder ernst. "Vielleicht ein anderes mal. Wir kennen uns ja noch gar nicht!" Wollte er mich auf den Arm nehmen?
"Und was ist der Grund ihrer Anwesenheit hier?", fragte er nun seinerseits. Ich gab ihm die übliche Antwort. Gesellige Unterhaltung und so.
Seine Mundwinkel verzogen sich nach oben, ohne dass er richtiges ein Lächeln zu Stande brachte. Meine Antwort stellte ihn offenbar nicht zufrieden.
Wieder wurde die Kombination aus Pils und Brandy vor ihm abgestellt. Er schob den Brandy zurück und hielt die Hand über das volle Pils. Der Barkeeper nickte und nahm den Brandy wieder weg.
"Und wie lautet die wirkliche Antwort?" Das sollte wohl heiter klingen. Nicht sehr überzeugend!
"Ich bin hier als Treue-Testerin!", sagte ich leichthin. "Wie bitte? Sie testen die Treue dieser Kerle, oder wie?" Er sah sich noch mal um. Es saßen immer noch die gleichen Typen in der Bar. "Nein, meine eigene. Und das ist meine Sache. Also fragen Sie nicht weiter!"
"Äh, können sie mir das erklären?" Er hatte mich wohl nicht richtig verstanden. Ich schüttelte den Kopf. "Jetzt sind Sie dran. Warum sind Sie hier?" "Das sagte ich doch schon."
Ich sah ihn mitleidig an. "Das mit Ihrer Frau meine ich nicht. Warum sind Sie ausgerechnet hierher gekommen?" "Sie meinen, ich passe hier nicht hin?" Hmh? Guter Versuch. Mein Lachen perlte regelrecht. Ich hörte selbst beinahe die Bläschen hochsteigen.
"Nein. Sie sind angemessen gekleidet, jung im Kopf und geübt im Denken." Na, gut. Das war vielleicht ein wenig übertrieben! Er sah mich skeptisch an, als warte er auf das Aber. Das konnte er haben!
"Sie kennen die Spielregeln, die hier gelten, halten sich aber nicht daran. Sonst hätten Sie mich so etwas nicht gefragt." Meine langsam fallenden und demonstrativ wieder aufklappenden Augenlider unterstrichen meine Worte.
"Danke für Ihre Offenheit!" Das war wohl eher altertümliche Höflichkeit als eine bewusste Äußerung. Vielleicht hoffte er ja, dass ich ihn vom Haken lassen würde.
Keine Chance! "Also warum sind Sie hier? Heute? Letzte Woche?" Peng, peng. Er blickte in den Spiegel hinter dem Tresen, sah sich und meine erwartungsvolle Miene.
Ich erwartete eigentlich, dass er nun unser Gespräch in eine andere Richtung plänkeln lassen würde. Doch er schwieg sich mit hilflos-verlegener Miene aus.
Amüsiert nahm ich den Strohhalm aus dem Cocktailglas und hielt ihn in seine Richtung. "Den habe ich auch in der Ausführung ´rettend´."
"Rettender Strohhalm!" Seine Miene erhellte sich erst einen Moment später. Die schien immer etwas länger zu brauchen. Das war mir schon vorher aufgefallen. "Gerne. Danke!", flüsterte er irritiert.
"Achtung Strohhalm! Sie können mir das nicht sagen, weil es mit der Geschichte zusammenhängt, die Sie mir erst und nur eventuell später erzählen wollen oder können!", bot ich ihm an.
Die Erleichterung zog seine Mundwinkel nach oben und löste ein anerkennendes Kopfnicken aus.
"Lassen Sie uns das Thema wechseln!", schlug ich vor. Bevor er mir antworten konnte, wurde ich durch ein Geräusch, das von der Eingangstür kam, abgelenkt.
15. Ein sehr großer Mann in einem grauen Anzug betrat die Bar und steuerte direkt auf uns zu. Ein blonder, skandinavischer Typ und sehr gutaussehend. Mit seinen schulterlangen Haaren und seiner kräftigen Statur wirkte er wie ein von Armani ausgestatteter Wikinger.
Dann stand er vor mir und meine eben noch heitere Stimmung war mit einem Schlag verschwunden. "Wir sind beim letzten Mal unterbrochen worden, Sana!" Das hörte sich kühl und beinahe vorwurfsvoll an.
Ein Blick aus den Augenwinkeln zeigte mir, dass Willy Olten in sich zusammensackte und sich an der Theke festhielt. Hatte er schon so viel getrunken, dass er sich kaum noch aufrecht halten konnte? Oder gab er sich unauffällig, um dem Hünen nicht in die Quere zu kommen?
"Woher kennen Sie meinen Namen?" Was war denn nun los? Meine Stimme war die eines ängstlichen Teenagers geworden.
"Ich weiß immer, was ich wissen will!", sagte der Wikinger mit einem bedrohlichen Unterton. Ich wich seinem Blick aus. Der Typ strahlte eine kalte Aggression aus, die mich frösteln ließ.
Nun waren wir auf der Bühne. Alle Blicke auf uns gerichtet, verstummten die Gespräche an den Tischen.
Der Hüne schaute Olten aus den Augenwinkeln an. "Sie sitzen auf meinem Hocker, wenn Sie so freundlich wären!" Er wandte sich wieder zu mir. Seine Miene war finster.
Ich sah mich nach Gustav um. Doch der war weit weg und wirkte sehr ernst. Kein gutes Zeichen! Von Olten erwartete ich keine Hilfe. Der Wikinger war mindestens ein halben Kopf größer als er und fast doppelt so breit.
Es war keine Überraschung, dass Olten wie gefordert aufstand. Was dann folgte schon!
16. Er stellte den Hocker, auf dem er gesessen hatte, ein Stück zur Seite und schob einen anderen hin zu mir und nahm auf ihm Platz.
"Bitte schön!" Er machte eine einladende Handbewegung hin zu dem gerade freigewordenen Sitzmöbel.
Den Geräuschen nach zu urteilen, schien das die anderen Gäste zu erheitern. Olten wohl weniger. Er fuhr mit dem Zeigefinger besorgt über seine Zähne. Okay! Für ihr Alter waren die ja noch ganz gut. Er hoffte wohl, dass das so bleiben und der Wirt rechtzeitig einschreiten würde.
Mein Blick suchte wieder nach Gustav. Fand ihn auch. Der wirkte nun noch ernster und kam auf uns zu. Aber warum war er so langsam?
Der blonde Hüne drehte sich nun ganz zu Olten herum und funkelte ihn wütend an. Zu meiner Überraschung hielt der dem Blick stand. Seine Mundwinkel gingen sogar nach oben, als amüsiere er sich. Er erinnerte mich nun weniger an den räudigen Luchs als an einen Fuchs, der die Ohren aufgestellt hat und die Zähne bleckt.
In der Bar war es wieder still geworden. Auch ohne hin zu sehen, wusste ich, dass alle Augen gespannt auf die Theke gerichtet waren.
"Ich kann Sie gut verstehen, ich mag es auch nicht, wenn jemand meinen Hocker woanders hinstellt!", kam es nun mitfühlend aus Oltens Mund. "Aber Sie werden sicher verstehen, dass es unhöflich wäre, mein Gespräch mit der Dame einfach zu unterbrechen." Sein Gesicht verzog sich zu einer Entschuldigung.
Von den Tischen war ein leises Raunen zu hören. Gustav, der zehn Schritte entfernt stehen geblieben war, ließ ebenso wie ich den Blick zwischen dem Wikinger und Olten hin und her pendeln. Letzterer wartete offenbar auf den Einschlag? Ich irgendwie auch. Dann hätte er es wenigstens hinter sich.
Der Hüne wurde laut. "Sagen Sie mal, wollen Sie mich auf den Arm nehmen?" Ich hielt den Atem an.
Olten leider nicht. Im Gegenteil. Er plapperte munter drauf los. "Also vorweg erst Mal vielen Dank, dass sie so deutlich sprechen. Ich höre ja nicht mehr so gut." Und nach einer theatralischen Pause. "Und dass, obwohl Sie mich ja gar nicht kennen!" Was war das denn für eine Nummer?
Ich atmete hörbar aus, traute mich aber nicht ihn anzuschauen. An einem Tisch weiter hinten glaubte ich ein unterdrücktes Kichern zu hören. Na, die hatten gut Lachen.
Ich sog so laut an meinem Strohhalm, als wollte ich die Geräusche von den Tischen übertönen. Hätte mich auch gerne umgesehen. Nach denen, die da saßen, wo ich jetzt auch gerne sitzen würde. Aber das wäre Olten gegenüber unhöflich gewesen und ich wollte auf keinen Fall etwas verpassen. Zum Beispiel, wenn seine Zähne auf die Faust des Blonden trafen.
Der Muskelprotz starrte ihn entgeistert an und brüllte: "Wenn Sie jetzt nicht sofort aufstehen, dann..." Er holte tief Luft und suchte offenbar nach Worten. In der Bar war es still geworden. Auch ich gab keinen Laut mehr von mir und stellte das Atmen ein.
"Nein, danke, wie ich schon sagte. Das passt jetzt nicht so, aber vielleicht ein anderes Mal!", bedauerte Olten und drehte sein Gesicht zu mir. "Wo waren wir eigentlich stehen geblieben?", fragte er mich mit demonstrativer Höflichkeit. Der hatte sie doch nicht alle!
Ich versuchte krampfhaft, einen hysterischen Lachanfall zu unterdrücken, konnte aber nicht verhindern, dass mir quiekende Laute entfuhren.
Der Blonde machte einen Schritt auf Olten zu, als wollte er sich auf ihn stürzen. Der hob ein wenig theatralisch seinen Arm und schüttelte missbilligend den Kopf. "Denken Sie doch mal an die Leute hier. Was macht das denn für einen Eindruck?"
An den Tischen brach prustendes Gelächter aus, während ich immer noch versuchte mit meiner Quiekerei aufzuhören. Eine Gesinnungsgenossin von mir, die am hinteren Ende der Bar saß, gab ähnliche Geräusche von sich und machte es mir nicht leichter.
Der Hüne zögerte, wusste wohl nicht, was er von diesem lebensmüden Alten denken sollte. Dann lief sein Gesicht so rot an, dass er mich an einen feuerspeienden Drachen erinnerte.
17. "Kann ich Ihnen helfen, Mann?", hörte ich eine tiefe Stimme neben dem Wikinger, der neben Gustav nun beinahe grazil wirkte.
Der so geschrumpfte Hüne drehte sich wütend um, sah ihn ungläubig an. "Das wagst Du nicht!" Der Riese schaute grimmig lächelnd auf den Armani-Träger herunter. "Nicht klug. Eine Drohung vor den Ohren der Polizei. Nicht gut!" Polizei? Sollte Gustav den alten Fuchs für einen Polizisten halten? Einen ganz bestimmten?
Der Blick des Blonden ging zu einer Ecke weiter hinten in der Bar. Ich schaute ebenfalls dorthin. Dort saß nur ein einzelner, dunkelhaariger Mann, der kopfschüttelnd in die Karte schaute.
Der ´Wikinger´ wandte sich wieder an Gustav, dann zu Olten, der ihm freundlich zunickte und lächelnd seine Zähne zeigte. Es sah fast so aus, als hielte er ihm einen Dienstausweis hin! Der Hüne starrte auch so eindringlich darauf, als würde er seine Echtheit prüfen.
Ich sah den alten Luchs schon am Boden liegen und den Hünen auf ihn einschlagen. Doch der wandte sich in diesem Moment ruckartig ab und verließ mit schnellen Schritten die Bar.
Endlich schaffte ich es mein hysterisches Quieken zu beenden und ging mit einem leisen Grunzen zum Angriff über. "Ich mag es nicht, wenn sich jemand in meine Angelegenheiten mischt. Ich kann für mich selbst reden!" Nicht sehr überzeugend. Das bemerkte ich selbst.
"Aber es ging doch um meinen Hocker und nicht um Ihren. Oder?", verteidigte er sich so vorwurfsvoll erstaunt, dass meine kaum gewonnene Selbstbeherrschung schon wieder vorbei war.
"Entschuldigung!", prustete ich ihm feine Tröpfchen ins Gesicht. Gustav verdrehte die Augen. Er fragte sich wohl auch, ob Olten die bedrohliche Situation einfach nur unterschätzt oder ob er uns hier etwas vorgemacht hatte.
Ausgerechnet jetzt musste ich wieder an meinen Mann denken. "Sie sind ganz schön leichtsinnig! Jemand wie Sie ist mir schon einmal begegnet. Sie ähneln ihm auch ein wenig!"
Olten schüttelte den Kopf. "Das war die Düsseldorfer Altstadt, obwohl das fünfzehn Jahre her ist, will sie die Trennung manchmal nicht akzeptieren." "Ah, ja, Altstadterfahrung, ich verstehe", lachte ich ihn aus, "und dann hat man keine Angst mehr?"
Er zeigte mir seine Hände. Der Versuch, das Zittern zu verhindern, gelang erst, als er sie flach auf den Tresen legte.
"Sie machen mir doch etwas vor?", blieb ich skeptisch. "Nein, wirklich nicht!" "Sehr witzig!"
"Ich meine es ernst!" Er war beleidigt, dass ich ihm nicht glaubte.
"Haben Sie wirklich Angst?", fragte ich nun vorsichtiger. Er nickte. "Na, ja, wenigstens die körperlichen Symptome." "Entschuldigen Sie meinen Vorwurf von vorhin!" Ich war bereit, ihm nun zu glauben.
18. "Wer ist denn dieser andere? Der, an den ich Sie erinnere?", hakte er nach. "Er ist der, der jetzt hier sein müsste!", brummte ich bitter, "fragen Sie nicht weiter!"
Er zuckte die Achseln. "Und wer war dieser Hägar?" "Hägar?" Ich blinzelte ihn unsicher an. "Na, Hägar, der Schreckliche, dieser blonde Typ eben?" "Sie wissen nicht, wer das war?" "Nein. Sie?" Er sah mich erstaunt an.
"Keine Ahnung. Der hat sich vor zwei Wochen mal zu mir gesetzt. Da bin ich dann gegangen." Einen Moment lang war ich versucht ihm sagen, mit wem er sich da angelegt hatte. Aber was hätte das genutzt?
"Es geht mich ja nichts an. Bestimmt sorgt Gustav für das Äußere, aber solche Erbsen stören doch den Schlaf. Auch wenn Sie nicht so ängstlich sind, wie ich."
Sein fürsorglicher Märchenerzähler-Ton gefiel mir gar nicht. "Kommen Sie mir nicht mit der Prinzessinnen-Nummer! Gehen Sie lieber vom anderen Ende der Skala aus!" Ich holte tief Luft. Mist! Das hätte ich mir besser gespart!
Eigentlich beschäftigte mich ja eine ganz andere Frage. Was sollte der Auftritt des Wikingers? Olten hätte sich doch einfach woanders hinsetzen können. Und dann? Es war doch von vornherein klar gewesen, dass Gustav einschreiten würde, wenn der Typ mich bedroht hätte. Was sollte das Ganze also?
Der Wikinger hätte doch nichts dadurch erreicht! Außer, dass mein Gespräch mit Willy Olten zu Ende gewesen wäre. Und wohl nicht nur für heute.
Nicht schon wieder
19. Der Termin bei der Oberstaatsanwältin war erst gestern zustande gekommen. Nach vielen vergeblichen Versuchen! Vor einigen Wochen war sie noch froh gewesen, wenn ich mich bei ihr meldete. Und heute?
Sie hatte nicht gerade begeistert geklungen. "Sind Sie jetzt in Pension?", fragte sie so distanziert ins Telefon, als hätte ich eine ansteckende Krankheit. Das frustrierte mich schon ein wenig.
Mein Leben lang hatte ich darauf gewartet erwachsen zu werden. Beinahe hätte ich es auch geschafft, doch dann versetzte man mich in den Ruhestand und ich stand wieder ganz am Anfang. Die Eingewöhnung in diesen neuen ´Job´ fiel mir nicht leicht, sogar erheblich schwerer als früher jeder Schul- oder Berufseinstieg. Na, gut! Vielleicht lag es auch ein wenig daran, dass man als Rentner keine ernstzunehmenden Perspektiven mehr hatte. Außer der einen, die kaum einer haben will!
Natürlich war der Terminkalender einer Staatsanwältin voll. Zu voll, um ein Gespräch mit mir zu führen? Ich hatte ihr den Sachstand geschildert. Aber obwohl sie mich erst vor einer Woche darum gebeten hatte, den Fall zu untersuchen, interessierte er sie jetzt nicht mehr. "Er lebt ja noch!", war ihr Kommentar beinahe vorwurfsvoll bei mir angekommen. Der Hinweis auf die dubiosen Kontakte seiner Frau hatte sie zögern lassen. Sie blieb skeptisch, aber ich bekam den Termin.
Und dann wäre ich beinahe noch zu spät gekommen, weil mein Taxi in einen Stau geriet, der durch einen Verkehrsunfall verursacht worden war. Wieder mal saß ich im Fond eines Wagens fest, während der Termin auf mich zuraste. Es war doch immer so. Die manchmal Wochen oder Monate in der Zukunft liegenden Termine waren leicht gemacht. Aber je näher sie rückten, um so gewichtiger erschienen sie. Erst mal vorbei, waren sie meist nur verlorene Zeit gewesen, die ich schnell vergessen hatte.
Ein Pensionär müsste doch Zeit ohne Ende haben! Doch es hatte sich nichts geändert. Wenn ich sie brauchte, war sie nicht da und wenn ich auf etwas wartete, ließ sie sich kaum vertreiben. Und dann hatte sie mich auch noch alt gemacht.
20. Als ich das Gerichtsgebäude betrat, wurde ich von einem mürrischen Pförtner, der vermutlich auch schon kurz vor der Rente stand, begrüßt. "Sie können hier nicht mehr rein. Wir schließen um 18 Uhr!" Seine abweisende Miene bestätigte seine Worte.
"Rufen Sie Frau Dr. Kappel an, sie erwartet mich!" Ich war gereizt. Nach einem kurzen Blick auf seine Telefonanlage lehnte er sich zurück. "Sie wissen, in welchem Zimmer sie sitzt?"
Ich nickte und machte mich auf den Weg. Den war ich oft gegangen. Mit den energischen Schritten eines Mannes, der wusste, dass er erwartet wurde. Diesmal ging ich leiser durch die Flure und sah mich um. Die Türen, die mich früher vertraut geleitet hatten, starrten mich nun an wie einen Fremden.
Da auf mein Klopfen niemand reagierte, trat ich ein. Das Vorzimmer war leer. In der dicken Schallisolierung war die Klinke der Zwischentür kaum noch auszumachen. Ich griff nach ihr, öffnete und schaute in das Zimmer. Es war noch so, wie ich es in Erinnerung hatte. Abgesehen vom hellen Blau der neuen Besucherstühle.
Die Oberstaatsanwältin saß hinter ihrem Schreibtisch und lehnte sich im Sessel zurück, als wollte sie Abstand zu mir halten. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass sie erst Ende dreißig und damit eine ganze Generation jünger war als ich. Andererseits? Auch, wenn es nicht ansteckend war; das Alter würde sie ja irgendwann auch erwischen!
"Da sind Sie also!", begrüßte sie mich kühl, fragte dann aber irritiert: "Was ist denn mit Ihnen passiert? Hatten Sie einen Unfall?" Angewidert betrachtete sie den Bluterguss in meinem Gesicht.
"Training bei Lee!", quetschte ich widerwillig heraus. "Sie gehen noch zu diesem alten Knochenbrecher?", schüttelte sie den Kopf. "Der muss doch bald hundert sein?"
"Erst seit ein paar Tagen wieder. Und er ist erst achtzig. Außerdem verhindert ´Aikido´ eher, dass etwas bricht!" Warum ich den alten Chinesen verteidigte, wusste ich selbst nicht.
"Schon gut, schon gut!" Sie kam zum Thema. "Also, Sie haben mich an mein Angebot erinnert! Wie weit sind Sie denn gekommen?"
Ich zog einen Kugelschreiber und mein kleines Notizbuch aus der Innentasche des Jacketts. Legte beides auf ihren Schreibtisch. Sie schob eine Akte, die vor ihr lag, ein wenig zur Seite, als wolle sie Platz für mich machen. Oder nur vermeiden, dass ich ihren Unterlagen zu nahe kam?
"Nun, dass ich ihn nach dem Attentat im Krankenhaus aufgesucht habe, war ja logisch, als ermittelnder Beamter. Für den einen Tag hat er mir das abgenommen. Ich habe ihm inzwischen von meinem Ruhestand erzählt. Bei ihm ist es ja auch nicht mehr weit hin. Wir haben zusammen getrunken. Verwandte Seelen!", grinste ich, "das stimmt sogar irgendwie." "Hmh." Sie war nicht überzeugt.
"Wie haben Sie es eigentlich geschafft, dass sich die Düsseldorfer Kripo heraushält?", fragte ich beiläufig, erwartete jedoch keine Antwort. "Meine Sache!", kam auch nur schmallippig zurück.
"Hören Sie, ich kenne Sie einigermaßen, glaube ich. Sie sind gut und Sie sind ehrgeizig. Sonst wären Sie nicht neben Ihrer Abteilungsleitung bei der Staatsanwaltschaft Hannover noch in Celle für die ZOK tätig."
"Das wissen Sie?" Sie war wenig überrascht. Ich lächelte. "Die zentrale Stelle für organisierte Kriminalität und Korruption ist sicher ein gutes Sprungbrett für Sie. Aber die Konkurrenz ist groß. Sie müssen schon etwas vorweisen können, wenn Sie die nächste Leitende Oberstaatsanwältin werden wollen!"
In ihrem Gesicht arbeitete es. Die überhebliche Empörung wich nach und nach vorsichtigem Erstaunen. Sie schien mich erst jetzt wirklich wahrzunehmen. "Der Schachspieler!", murmelte sie. "Wie habe ich das vergessen können? Wissen Sie, ich schätze Sie sehr!" ´Davon habe ich bisher nichts gemerkt!´, dachte ich trotzig amüsiert.
Sie beugte sich vor, als wolle sie so ihr Entgegenkommen unterstreichen. "Ich kann Ihnen nur eine Viertelstelle anbieten. Sie haben ja Ihre Pension. Die Einzelheiten würden wir klären. Aber das bleibt unter uns. Ich werde nur den Leitenden informieren. Sie würden einen Dienstausweis ´Ermittler der Staatsanwaltschaft´ bekommen, den sie jedoch nur im Notfall verwenden sollten. Ist das in Ordnung für Sie?"
"Im Prinzip ja, aber ich möchte natürlich wissen, um was es überhaupt geht?"
Sie erklärte es mir kurz. Ich fragte nach, doch sie schüttelte den Kopf. "Beschaffen Sie mir genug Beweise, um ihn festsetzen zu können!"