Launischer Wind oder die Stellung der Segel - Mewes Maren - E-Book

Launischer Wind oder die Stellung der Segel E-Book

Mewes Maren

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Beschreibung

Ein Mann segelt mit zwei Freunden durch die Ägäis, um Abstand von den Ereignissen der letzten Monate zu finden. Da er ein wichtiger Zeuge der Anklage gegen führende Köpfe der organisierten Kriminalität ist, sollte besser niemand erfahren, wo er mit seiner kleinen Yacht unterwegs ist. Als seine Frau befürchten muss, dass man ihm bereits auf den Fersen ist, macht sie sich mit einer bunt zusammengewürfelten Crew auf den Weg, um ihn zu warnen. Mitten in der Ägäis kommt es zu einem Showdown mit unerwarteten Begegnungen und Wettfahrten, die nicht nur das seglerische Geschick der Protagonisten auf die Probe stellen.

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Seitenzahl: 344

Veröffentlichungsjahr: 2018

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„Regierungen sind Segel, das Volk ist Wind,

der Staat ist Schiff, die Zeit ist See!“

(Carl Ludwig Börne, ´Gesammelte Schriften´ 1862)

„Skipper richten die Segel nach dem Ziel aus,

Politiker nach dem Wind!“

(Maren Mewes, ´Wahrnehmungsfälle´ 2018)

Inhaltsverzeichnis

Motto

Willy

Schicksalsgenossen

Lisa

Scheidungsfragen

Spurensuche

Sana

Gewissensbisse

Athen

Alkohol

Lisa

Eine unerwartete Begegnung

Vor einem halben Jahr

Willy

Schiffsübernahme

Stahls Programm

Wellenschlag

Vor mehr als 30 Jahren

Ein Funkspruch

Sana

Farbe bekennen

Eine Regatta

Levitha

Tobias Erbe

Willy

Jenny

Lisa

Gypsy King

Überraschungsbesuch

Willy

Telefonate

Lisa

Sprengsätze

Sana

Ein Höllenritt

Karlheinz

Livebelt

Lisa

Geschafft

Sana

Manöverkritik

Lisa

Klärungsversuche

Karlheinz

Nebenkosten

Willy

Wohnungssuche

Vor vielen, vielen Jahren

Lisa

Das Ende vom Lied

Impressum

Willy

Schicksalsgenossen

1. "Kennst Du einen Otto Wagner?" Wenn ein Polizist so etwas fragt, hat das meistens nichts Gutes zu bedeuten. Immerhin redete er nicht lange um den heißen Brei herum.

Dieser Wagner hatte sich nach mir erkundigt und versucht meine Privatadresse herauszufinden. Karlheinz brachte das sofort in Verbindung mit dem anstehenden Prozess, in den auch mein Amt verwickelt war. Als alter Kriminalbeamter vermutete er sowieso ständig irgendwelche Zusammenhänge!

Er war der Sache nachgegangen und hatte diesen Wagner aufgesucht. Aber außer, dass der mich sprechen wollte und eine Freundin namens Lily Stegenmeier hatte, nichts erfahren.

"Kenne ich nicht!", hörte ich mich sagen, spürte aber schon, wie die alte Lackierung abblätterte und dunkle Schwaden in meinem Kopf herum wabern ließ. "Ich kannte mal eine Lily. Aber die hieß nicht Stegenmeier?"

Karlheinz schaute durch das große Fenster in den Garten. "Vielleicht hat sie ja geheiratet!" "Kennst Du denn auch ihren Mädchennamen?"

"Nein, aber gleich!" Er wählte eine Nummer, gab die Personenangaben durch und wartete eine kurze Weile schweigend mit dem Handy am Ohr.

"Okay, vielen Dank. Also eine geborene Pernon, Lily Pernon!" Er schaltete das Handy aus und legte es auf den Tisch.

"Ach du Scheiße!" Meine Erinnerung lag mit einem Schlag wieder vor mir wie eine alte Giftmülldeponie.

"Was hat er denn gesagt?" "Eigentlich nichts!" Karlheinz sah mich misstrauisch an. "Hast Du ihr etwas getan?"

"Hmh?" Was konnte ich sagen, dass Lily nicht völlig anders sehen würde? "Dieser Wagner tut so, als müsse er sie beschützen. Vor Dir!" Falls das ein Vorwurf sein sollte, meinte er ihn hoffentlich nicht ernst. Ich musste an die merkwürdigen Gespräche mit ihren alten Freunden denken, die mich auch immer in so eine Ecke gedrängt hatten. Na gut, die wollten ja sowieso nie etwas mit mir zu tun haben.

"Vielleicht sollte ich mit ihm sprechen?" Ich rückte ein wenig näher an Karlheinz heran. "Kannst Du das organisieren?"

"Kennst Du sie gut?" Er sah mich an, als habe er mir eine völlig normale Frage gestellt. Ich hätte sie am liebsten ignoriert. Doch sie erreichte mich nicht nur; sie schlug regelrecht bei mir ein. Ich hätte gern gewusst, welchen Ausdruck mein Gesicht jetzt zeigte.

"Wie gut kennst Du sie?", wiederholte er. „Gut genug!“ Meine Stimme schien ihn zu erschrecken, obwohl ich die zwei Worte nur geflüstert hatte.

2. Zwei Tage später kam es zu dem gemeinsamen Treffen in Wagners Wohnung, die spartanisch eingerichtet, penibel aufgeräumt und sauber war. Der Gastgeber bot uns außer einem Sitzplatz nichts an. Wir hatten auch nichts anderes erwartet.

Nach einem "guten Tag" stellten wir uns mit Vor- und Nachnamen vor. Es begann zäh. Obwohl doch er es war, der das Gespräch mit mir wollte, ignorierte Wagner mich zunächst.

Karlheinz stellte seine Frage mit einer so streng dienstlichen Stimme, als sei die Untersuchungshaft bereits beschlossene Sache. "Weshalb haben Sie versucht, seine Privatadresse herauszufinden? Was wollen Sie von Herrn Olten? Sie kennen ihn ja Ihren eigenen Angaben zu Folge nicht persönlich?"

"Das habe ich schon gesagt. Er hat etwas, dass meiner Freundin gehört!" Wagner antwortete ruhig und bestimmt, so als wäre er lediglich der Rechtsbeistand eines Verdächtigen. Vielleicht bildete ich mir das ja auch nur ein, weil er tatsächlich eine Anwaltspraxis hatte.

"Um was handelt es sich denn?" "Das habe ich auch schon gesagt. Es ist eine persönliche Angelegenheit zwischen Herrn Olten und Frau Stegenmeier!"

"Lass uns mal kurz allein!", bat ich Karlheinz. Obwohl wir das schon vorher so besprochen hatten, ging er nur widerwillig hinaus.

Ich wartete darauf, dass Wagner nun erklären würde, was er von mir wollte. Er sah mich aber nur vorwurfsvoll an.

"Sie halten nicht viel von mir!", stellte ich fest. Sein trotzig vorgeschobenes Kinn bestätigte, dass er eigentlich nichts mit mir zu tun haben wollte.

Was sollte das denn? Er hatte mich doch um das Gespräch gebeten und nicht umgekehrt. Ausgerechnet dieses Stück Vergangenheit musste nun wirklich nicht unnötig in die Länge gezogen werden. Ich ahnte, in welcher Verfassung sich mein Gegenüber befinden musste.

Seine verstockte Miene zeigte, dass der Stein schon ziemlich groß sein musste. Der, der ins Wasser geworfen für den nötigen Wellenschlag sorgen konnte.

Ich riskierte es. "Wie viel haben haben Sie in den letzten zwölf Monaten abgenommen und wie sehr hat sich ihr Alkoholkonsum erhöht?"

Meine Frage überraschte ihn. Er öffnete sichtlich verärgert den Mund, aber ich war noch nicht fertig. "Bei mir waren es zwölf Kilo und ich habe dreimal soviel getrunken wie vorher!"

Mein anklagendes Geständnis verschlug ihm wohl die Sprache. Was hätte er auch sagen können?

Es dauerte einen Moment bis er zum Gegenangriff überging. "Du hast sie im Stich gelassen!" Ich registrierte, das er mich duzte und nickte zufrieden. Er war außer sich!

"Irgendwie habe ich das wohl!" Meine Augen wanderten durch seine Wohnung. Ich wunderte mich wieder über die beinahe sterile Ordnung und Sauberkeit. "Was hat sie denn über mich erzählt?"

Otto sah auf seine Hände, verschränkte sie ineinander als müssten sie sich festhalten. "Du hast Du sie verraten. Die anderen kannten ihre Geschichte nicht. Aber Du wusstest alles, und hast sie trotzdem im Stich gelassen!!" Er hatte nur leise und so gesprochen, als wären es gar nicht seine eigenen Worte.

Sie erreichten mich trotzdem. "Wieso kommt sie ausgerechnet jetzt auf mich. Das ist doch mehr als zwanzig Jahre her?", erinnerte ich ihn und mich selbst widerwillig.

"Die Polizei hat Lily aufgesucht. Und rate mal, um wen es ging. Leider haben sie nicht gesagt, was Du ausgefressen hast. Ich hoffe aber, die kriegen Dich dran!" Er schien sich wieder gefangen zu haben.

"Danke für die guten Wünsche. Vielleicht ermitteln die noch wegen des Anschlags auf mich im letzten Jahr?", vermutete ich achselzuckend.

"Davon hat sie mir nichts gesagt!", brummte er skeptisch. "Schön und gut. Aber weshalb wolltest Du mich sprechen. Doch nicht nur, um mir alles Schlechte zu wünschen?", fragte ich das naheliegende.

"Der Besuch der Polizei hat sie um Jahre zurück geworfen. Es war plötzlich alles wieder da. Sie hat auch erfahren, dass Du inzwischen mit einer viel jüngeren Frau verheiratet bist!" Das klang eher erstaunt als vorwurfsvoll.

Es war aber keine Antwort auf meine Frage. "Was will sie denn nun von mir?" "Das Tagebuch! Ausgerechnet Dir hat sie damals das Tagebuch ihres ersten Törns in Griechenland geschenkt. Das wäre eine Art Gelöbnis gewesen. Eine Liebeserklärung! Du weißt, wie abergläubisch sie ist. Sie denkt, das Buch verleihe Dir Macht über sie. Deshalb hat sie damals Monate lang Angstzustände gehabt. Während Du eiskalt Dein Ding durchzogen hast. Und nun ist die Angst wieder da. Sie kann erst wieder in Ruhe leben, wenn Du ihr das Tagebuch zurückgibst und sie es vernichten kann!"

War das sein Ernst? Ich wollte es schon als Hirngespinst abtun, doch dann fiel mir ein, dass sie sich bereits früher solchen esoterischen Kram zusammen konstruiert hatte.

Wagner sah mich aufmerksam an. "Deshalb wollte ich mir ein Bild von Ihnen machen. Einschätzen, ob Sie das Buch freiwillig zurückgeben. Auch weil mir Lilys Verhalten in Bezug auf Sie widersprüchlich erschien!"

Das war ihm immerhin aufgefallen. Nicht selbstverständlich, wenn sie unter Hinweis auf ihre schamanische Veranlagung jede einfache Logik ad absurdum führte. Und das war wohl immer noch so, sonst wäre er nicht hier.

Ich versuchte, ihn verständnisvoll anzulächeln. "Aber es ging doch nicht nur darum, sich ein Bild zu machen. Du wolltest auch sehen, wie Du mir eins auswischen kannst. Oder?" Ich duzte ihn bewusst, obwohl er wieder zum distanzierten Sie übergegangen war.

Er nickte. "Einen konkreten Plan habe ich da nicht. Ich wollte erst mehr über Dich wissen. Dann hätte ich mit ihr über das weitere Vorgehen gesprochen!" "Du hättest mich im Amt erreichen können. War das mit den Nachforschungen nach meiner Privatadresse Deine Idee?"

"Sie meinte, es wäre nicht schlecht Dein privates Umfeld zu kennen!" Er schien sich inzwischen selbst zu fragen, was er mir eigentlich sagen wollte.

"Und warum? Es geht doch angeblich nur um das Tagebuch!", gab ich mich erstaunter als ich war. Darauf konnte oder wollte er mir keine Antwort geben.

"Was ist mit dem Tagebuch? Gibst Du es zurück?", fragte er stattdessen. "Falls ich es noch habe. Das ist doch ewig her und ich bin x-mal umgezogen!" Ich zuckte die Achseln.

"Du weißt es nicht?" Die Empörung war ihm anzusehen. "Mit Gefühlen belastest Du Dich wohl nicht!"

Ich bemühte mich ruhig zu bleiben. "Dass mit den Gefühlen habe ich schon öfter gehört. An das Tagebuch erinnere ich mich gut. Sie hat in den zwei Wochen auf der Yacht viel über den Törn aufgeschrieben. Ja, sie hat mir die Aufzeichnungen quasi als Liebesbeweis geschenkt. Das stimmt. Sie hat mich während des Törns auch zweimal angerufen. Das war immer ganz kurz, eine oder zwei Minuten, weil sie wieder an Bord musste. Es schien dort disziplinierter zuzugehen als bei der Marineausbildung!", grinste ich. Otto verzog abfällig den Mund.

"Na ja. Handys gab es damals nicht. In dem Buch beschrieb sie auf fast hundert Seiten den Skipper. Viele Einzelheiten über das, was er gut und was er nicht gut gemacht hat, wann und warum er gut gelaunt oder nicht und ob er nett oder unfreundlich zu ihr gewesen war. Breiten Raum nahmen auch seine persönlichen und familiären Verhältnisse ein. Und wie dankbar er für ihr Verständnis und ihren Trost war. Einiges schrieb sie auch über seinen Freund und Konkurrenten, der sonst auf anderen Booten der Skipper war. Der wäre in Ordnung, aber meistens anderer Meinung als der Skipper. Sie erwähnte auch, das noch ein Pärchen an Bord gewesen sei. Ein- oder zweimal schrieb sie auch, dass sie mich vermisse. Das waren die Tage an denen der Skipper unfreundlich gewesen war. Ist ja auch zu verstehen. Und einmal schrieb sie: ´Ich habe Deinen Namen in den Wind gerufen!´ Das war, als der Skipper sie zwei Tage lang nicht beachtet hatte!"

Otto sah mich nun nicht mehr ganz so feindselig an. "Dann hast Du es wenigstens genau gelesen!" Ich glaubte, einen Anflug von Ironie gehört zu haben.

"Na ja, ich habe nach etwas bestimmtem gesucht, aber nur etwas anderes gefunden!", murmelte ich. "Du meinst also, es wäre zwar eine Liebeserklärung gewesen. Aber nicht an Dich?" Das klang ein wenig gehässig.

Betreten versuchte ich die längst verweste Enttäuschung wieder zu entsorgen. "Und nun?" Auf seinen Blick hin ergänzte ich. "Das Tagebuch?"

Er griff mit den Fingern nach seinem Kinn. "Wie lange bist Du schon mit Deiner Frau zusammen?"

Ich zögerte. "Wir haben uns vor 14 Jahren kennengelernt!" Das war zumindest nicht gelogen.

"Dann hast Du es sicher auf ihren Wunsch hin vernichtet. Stimmt doch. Oder?" Hmh? Das war wohl ein Friedensangebot!

Ich nickte heftig. "Jetzt, wo Du es sagst. Genau so war es!" "Gut, dann ist das erledigt!", stellte er zufrieden fest, als sei für ihn nun alles geklärt.

Für mich nicht! Der Gedanke war schon länger in meinem Hinterkopf. Nun holte ich ihn nach vorne und sprach ihn aus. "Bist Du sicher, dass es nur um das Tagebuch geht?"

3. Ich weiß nicht, ob er mir darauf eine Antwort gegeben hätte. Jedenfalls kam es nicht dazu. Vielleicht war er ja auch froh, dass ich durch das Klingeln meines Handys abgelenkt wurde.

„Ihr müsst die Wohnung sofort verlassen!“, hörte ich die quäkende Stimme von Karlheinz. „Wie bitte?“

„Ich habe bereits Verstärkung und die Spurensicherung bestellt!“, fuhr er fort als sei damit alles erklärt.

Was sollte das denn? Es war doch noch gar nichts passiert! Aber ich kannte den alten Polizisten, der gerne mal einige Schritte weiterdachte und oft damit ins Schwarze traf.

Ich fasste Ottos Arm und zog ihn hoch. „Wir müssen hier weg. Vielleicht knallt es gleich!“

Er sah mich zwar ungläubig an und knurrte etwas von „Psychopath“, aber er ließ sich von mir aus der Wohnung zerren.

Wir rannten die relativ breite Treppe dieses Luxus sanierten Altbaus herunter. Da er immer wieder stehen bleiben und umkehren wollte, rempelten wir uns einige Male heftig an. Unser lautes Fluchen dauerte an, bis wir die erste Etage erreicht hatten.

Ein ohrenbetäubender Knall in einer der Wohnungen über uns brachte uns zum Schweigen. Wir stolperten weiter hinunter. Dann standen wir auf der Straße.

Aus zwei Streifenwagen, die auf der anderen Straßenseite anhielten, stiegen Uniformierte aus. Die vier Beamten gingen herüber zu Karlheinz. Der zeigte auf uns und sagte etwas zu ihnen, das ich nicht verstehen konnte. Zwei der Beamten warfen uns misstrauische Blicke zu, gingen aber an uns vorbei und ins Haus. Ihre beiden Kollegen postierten sich unten neben dem Eingang, als müssten wir daran gehindert werden, wieder hineinzugehen.

Karlheinz hatte uns nun erreicht. „Sie sind weg!“, brummte er verärgert. So, wie wir ihn ansahen, brauchten wir nicht zu fragen. Seine Erklärung kam prompt.

Er hatte vor dem Haus einen dunklen Lieferwagen gesehen, vorsichtshalber telefoniert und erfahren, dass der als gestohlen gemeldet war! Der Klassiker! Natürlich hatte er sich den Wagen genauer ansehen wollen. Als er sich ihm näherte, stieg hinten ein Mann aus , ging nach vorn und setzte sich neben den Fahrer. Er hielt etwas in der Hand, dass laut Karlheinz, wie „ein Brikett mit Antenne“ aussah. „Dann habe ich Dich angerufen!“

4. „Ein ferngezündeter Sprengsatz! Die Wohnung ist ein einziger Trümmerhaufen!“, informierte uns Karlheinz, der an unseren Tisch herangetreten war. Immerhin hatte er uns nicht aufs Revier geschleppt, sondern diese Kneipe in der Nähe von Ottos Wohnung ausgesucht. Zu dieser frühen Tageszeit waren wir die einzigen Gäste.

Wenig begeistert beobachtete Otto, wie Karlheinz sich zu uns setzte. "Sagen Ihnen die Namen Carlo und Rainer Karlow etwas?" "Worauf wollen Sie hinaus?" Ottos Misstrauen war nicht zu überhören.

"Ich habe mich natürlich ein wenig auf unser Gespräch vorbereitet. Daher weiß ich, dass Frau Stegenmeier in letzter Zeit des öfteren Besuch von den beiden bekommen hat. Die Karlows sind vorbestraft. Unter anderem wegen Freiheitsberaubung. Das damalige Opfer war die Ehefrau des hier anwesenden Willy Olten. Und nun stellen Sie Nachforschungen über ihn an!"

Otto starrte ihn entgeistert an. "Sie spinnen doch!" Karlheinz schüttelte den Kopf. "Die beiden arbeiten auch für eine Organisation. Nennen wir sie der Einfachheit halber ´die Mafia´. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen zwei ihrer führenden Köpfe. Und ein wichtiger Zeuge ist der hier anwesende Willy Olten."

Der ´hier anwesende´, also ich, war wenig überrascht, dass er über diesen Zusammenhang spekulierte. Im Gegensatz zu Otto, dessen Adamsapfel einen schnellen Hüpfer machte.

"Also entweder sagen Sie uns ganz offen, was sie wissen. Oder ich muss davon ausgehen, dass sie mit denen unter einer Decke stecken!", kam Karlheinz sofort zur Sache.

Otto hob empört die Hände, öffnete den Mund um zu protestieren, sagte aber dann doch nichts. Stattdessen verschränkte seine Arme vor der Brust und verfiel in tiefes Grübeln.

Ich schaute Karlheinz skeptisch an. „Und deshalb sollte er in die Luft fliegen?“ Der verdrehte die Augen. „Sei doch nicht so naiv. Das galt uns beiden. Otto Wagner wäre nur ein Kollateralschaden gewesen!“

Der Kollateralschaden starrte ihn entgeistert an. Es brauchte einige Zeit, bis er der wiederholten Aufforderung zu reden einigermaßen ruhig nachkommen konnte.

Anfangs enthielten die an Otto gestellten Fragen vermutlich mehr Informationen für ihn als seine Antworten für uns. Erst als er nach und die Hintergründe verstanden hatte, wurden seine Antworten ergiebiger. Er schien allerdings selbst nicht glauben zu können, was er nun von sich gab.

Vor zwei Wochen hatte er erfahren, dass Lily umziehen musste, weil der Vermieter Eigenbedarf geltend gemacht hatte. Sie hatte ihm das Schreiben gezeigt. Immerhin ließ man ihr noch knapp sechs Monate Zeit, sich etwas Neues zu suchen. Sie konnte jedoch, wenn sie wollte, auch früher aus dem Mietvertrag raus.

Sie hatte dann überraschend schnell eine neue Wohnung gefunden, sogar mit einem Zimmer mehr als die jetzige. Aber natürlich war nun eine Menge zu tun und sie konnte sich nicht mehr so oft mit Otto treffen.

"So ein Umzug erfordert ja eine Menge an organisatorischer Vorbereitung. Vor allem, wenn man nicht zu viel Geld ausgeben will!", rechtfertigte er seine Freundin.

Er hatte ihr natürlich seine Hilfe angeboten, allerdings zugeben müssen, dass seine handwerklichen Fähigkeiten gering waren. "Deshalb bin ich ja Anwalt geworden!", grinste er.

Den Spruch hatte ich schon öfter gehört. Ich nickte ihm aufmunternd zu. "Ja ja! Wer zwei linke Hände hat, studiert die Rechte!"

Deshalb hatte sie sich in ihrem alten Bekanntenkreis umhören müssen. Der war nicht klein, aber viele Leute für einen einzigen Termin unter einen Hut zu bringen, war ja nicht leicht. Und die meisten der alten Freunde und Bekannten hatte sie lange weder gesehen noch gesprochen. Die konnte sie nicht einfach anrufen und fragen, ob die sich den Tag freihalten, damit sie ihr für den Umzug zur Verfügung stehen würden, hatte sie Otto erklärt. Sie müsse sich wenigsten einmal mit denen verabreden. Und dann könnte sie sie im Laufe des Abends mal fragen. Natürlich erst nach dem man ein wenig über alte Zeiten geplaudert hatte. Aber dann würden die von selbst ihre Hilfe anbieten. Wusch! Das müsste er doch kennen.

Ich ahnte, wie es weiter gehen würde. Vor allem ihr ´Wusch!´ hatte ich in nicht so guter Erinnerung. "Und dann?"

Ottos Frage, ob er nicht mal zu so einer ihrer Verabredungen mitkommen solle, hatte sie lachend abgetan. Sie könne sich ja schlecht zu einem Gespräch über die guten, alten Zeiten verabreden und dann ihren Neuen mitbringen. Das ginge genau so wenig, wie sich mit mehreren von den alten Freunden gleichzeitig zu treffen. Mit jedem verbinde sie ja eine andere, eigene Geschichte.

Er schaute mich an, als warte er auf etwas bestimmtes. Eine Bestätigung? "Kenne ich. Erzähl weiter!", brummte ich also.

Nach diesem Gespräch mit ihr hatte er sie nur noch einmal zu Gesicht bekommen, so sehr war sie mit der Personalbeschaffung für den Umzug beschäftigt. Sie hatte ihm anfangs auch genau erzählt, mit wem sie sich warum und weshalb sie sich mit manchen eben öfter traf oder schon mal jemanden auch zu sich nach Hause einladen musste.

Als ihm einmal die Bemerkung herausgerutscht war, dass es sich ausschließlich um Männer handelte, hatte sie ihn ausgelacht. Schwere Möbel und Kisten schleppen wäre ja wohl nichts für Frauen. Und für Elektroinstallation oder Küche einbauen sollte er ihr doch bitte seine Freundinnen vorbeischicken, die das könnten! Gas, Wasser, Sanitäranlagen! Das wären eben alles Kerle. Und die bräuchte sie. Da müsste sie sich ganz schön anstrengen.

Solche Typen hätten einen großen Freundeskreis. Warum wohl? Die würden gerade noch darauf warten, dass eine alte Bekannte, die sie zehn Jahre nicht gesehen haben, sie um Hilfe bittet.

"Das hat Dir nicht gefallen!", nickte ich verständnisvoll, "aber Du hast gehofft, dass das auch mal vorbei gehen würde. Doch es ist Dir auch aufgefallen! Ihre Begründung war so ausführlich und redundant, dass sie möglicher Weise nur vorgeschoben ist!"

Er wich meinem Blick aus. "Nach dem vorletzten Telefonat mit ihr war ich das komische Gefühl überhaupt nicht mehr los geworden. In diesem Gespräch war sie anders. Obwohl sie meine Nummer ja sehen konnte, fragte sie förmlich, wer denn am Apparat wäre. Und als ich das erklärte, antwortete sie nur steif, dass sie keine Zeit habe. Ich fragte noch, ob alles in Ordnung sei. Bevor sie antworten konnte, hörte ich im Hintergrund eine Männerstimme grölen, wo sie denn bleiben würde. Dann legte sie auf."

Hmh? Sicher nicht schön für ihn, dachte ich. Dann bemerkte ich seinen prüfenden Blick. Ich brauchte einen Moment bis ich es verstanden hatte.

Mir war es ja damals nicht anders gegangen. Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. "Kommt mir bekannt vor!"

"Komischer Weise hatte ich das Gefühl einen Fehler gemacht zu haben. Am nächsten Tag rief sie mich zurück. Das letzte Telefonat erwähnte sie nicht. Ich auch nicht. Sie klang wieder normal freundlich und wollte wissen, ob ich inzwischen Kontakt mir Dir aufgenommen hätte. Ich erzählte von der ersten Begegnung zu Ihnen", er schaute Karlheinz an, "und dass wir heute einen Termin zu Dritt haben würden. Sie bat mich, aber erst mit Dir", er sah wieder mich an, "alleine zu sprechen. Damit ich mir ein eigenes Bild machen könnte!"

Er grinste schief. "Dann ging es nur noch darum, dass sie die alte Wohnung renovieren musste. Meine Hilfe hat sie wieder abgelehnt. Aber darauf hingewiesen, dass sie Handwerker in die Wohnung lassen müsste. Und deshalb bräuchte sie den Schlüssel zurück, den sie mir vor einem halben Jahr gegeben hatte!"

"Klngt doch plausibel!“, murmelte ich und schob nach. „Was ist nun mit dem Tagebuch?" Auf Ottos Stirn bildete sich eine steile Falte. "Na ja, bis jetzt habe ich gedacht, dass es allein darum gehen würde!"

Ich ahnte, worauf er hinaus wollte. "Nun denkst Du das nicht mehr?"

Er schüttelte den Kopf. "Keine Ahnung, was Du damit zu tun hast. Sie wollte offenbar, dass ich Dich kennenlerne. Außerdem habe ich das Gefühl, dass das alles nur ein Vorwand war, um mich loszuwerden."

Karlheinz hob die Hand wie ein Schüler, der sich zu Wort melden wollte. "Das glaube ich auch. Ich habe nämlich mit dem Vermieter von Frau Stegenmeier gesprochen. Der hat keinen Eigenbedarf geltend gemacht und weiß auch nichts von einer Kündigung!"

5. Am Abend konnte ich nicht verhindern, dass ich an die Zeit mit Lily zurückdachte. In meiner Erinnerung sah sie immer noch aus, wie die junge Ruth Maria Kubitschew in einem alten Schwarz-Weiß-Film. Ohne die Segelei wäre ich ihr gar nicht begegnet. Das war Pech, denn ansonsten hatte ich viel Spaß dabei. Manche Leute nahmen sich ein bisschen zu wichtig, aber die meisten waren in Ordnung.

Während der Beziehung mit Lily hatte ich oft darüber nachgedacht, wie bestimmte Situationen oder Verhaltensweisen zu erklären waren. Nahm sogar unter dem Vorwand, eine Paartherapie machen zu wollen, Kontakt zu ihrer Psychologin auf. Das war recht enttäuschend gewesen. Eigentlich hatte sie mir nur erklärt, dass Lily es ernst mit unserer Beziehung meinte und alles dafür tun würde.

Und für ihr Verhalten, dass manchmal eher auf das Gegenteil hindeutete, könne sie nichts. Das wäre ja ihr Problem und das dürfte ich nicht persönlich nehmen, sondern müsste sie gerade dann unterstützen.

Vielleicht brauchte Lily tatsächlich manchmal jemanden. Und fand ihn meistens auch. Daran hatte sich offenbar nichts geändert. Andernfalls wäre Otto gar nicht erst mit seiner absurden Geschichte bei uns aufgeschlagen.

6. Und dann waren sie wieder da. Die Gedanken an Lisa. Das letzte Mal hatte ich sie gesehen, als wir mit Sana und Karlheinz zusammensaßen. Da hatte es noch so ausgesehen, dass sie sich für uns entschieden hatte. Aber dann war das Job-Angebot von Tobias gekommen und sie mit ihm verschwunden.

"Bis bald!", hatte sie zu mir gesagt. Das war jetzt zwei Monate her. Ich musste mich wohl damit abfinden, dass die beiden nun mindestens Geschäftspartner waren!

Es war vermutlich an der Zeit einen vernünftigen Schlussstrich zu ziehen.

Ich nahm einen tiefen Schluck aus meinem Weinglas. Was das für ein Wein war, wusste ich nicht mehr. Weiß, trocken und ein wenig säuerlich im Abgang. Dass ich mir eine neue Zigarette an der brennenden alten Kippe anzündete, war kein gutes Zeichen.

Auch, wenn ich Zeugen- und Polizeischutz weiterhin ablehnte, glaubte ich inzwischen auch, dass mein Name auf irgendeiner Abschussliste stand. Die Explosion bei Otto hatte das noch einmal eindrucksvoll bestätigt.

Am besten wäre es wohl ganz von der Bildfläche zu verschwinden. An einen sicheren Ort. Aber gab es den überhaupt? Vielleicht war es besser auf Reisen zu gehen, damit ich nicht so leicht aufzufinden war. Unterwegs war ja eine wenig brauchbare Koordinate.

Lisa

Scheidungsfragen

7. Als ich die ´Flurklinik´, ein Kneipenrestaurant, betrat, sah ich sie schon vom Eingang aus. Sie stand allein vor einem Zweiertisch in der Ecke, war offenbar auch gerade erst gekommen. Marie war von meinem Anruf überrascht gewesen, hatte aber diesem Treffen sofort zugestimmt.

Unsere Umarmung fiel steifer als sonst aus. Das wunderte mich nicht. Kaum, dass wir uns gesetzt hatten war der Kellner da. Ich bestellte einen ´Pinot Grigio´, sie einen ´Caipi´. Das war der leichte Teil.

Wir sahen uns an und schwiegen. Sie schien darauf zu warten, dass ich den Anfang machte. Aber wie? Auch Marie schien darüber nachzudenken. Ich mochte sie inzwischen, nach dem ich ihr lange eifersüchtig und misstrauisch begegnet war. Aber ihre kurzen Beziehungen mit Willy waren nun mehr als fünfzehn Jahre her. Zuletzt hatte ich sogar engeren Kontakt zu ihr als Willy. Zumindest war es bis vor ein paar Wochen so gewesen.

Marie erkannte als erste, dass es keinen harmlosen Einstieg in das Gespräch geben konnte und fiel mit der Tür ins Haus. Ihre erste Frage überraschte mich nicht.

"Wo warst Du eigentlich in der ganzen Zeit?" Vorwurfsvolle Neugier? "Ein paar Tage in einer Pension und die letzte Zeit bei meinen Eltern!", antwortete ich, ohne es zu wollen, mit einem beleidigten Unterton.

"Bist Du inzwischen in die Geschäfte Deines Ex, Tobias oder wie der heißt, eingestiegen?", gab sie sich interessiert. Ich schüttelte nur den Kopf.

"Und warum nicht?" Das ging sie ja eigentlich nichts an. "Zu kompliziert! Lassen wir das Thema!"

Sie schüttelte missbilligend den Kopf. "Wie geht es Dir? Warum hast Du Dich nicht bei Willy gemeldet?"

Wenn eine solche zweite Frage folgte, konnte ich die erste wohl als Floskel ignorieren. Ich fixierte ihre Augen. Stand sie nun auf Willys oder auf meiner Seite? Wusste sie vom Schreiben des Scheidungsanwalts?

"Wie würde es Dir gehen, wenn Du einen Brief bekommst, in dem Dir jeder Kontakt mit deinem Noch-Ehemann verboten wird. Wieso sollte ich mich dann bei ihm melden?", platzte ich heraus.

"Häh?" Sie sah mich ungläubig an. Ich holte den Schrieb aus meiner Tasche und reichte ihn ihr hinüber. Sie überflog ihn nur kurz und warf ihn dann achtlos auf den Tisch. Sie lachte auch noch.

Machte sie sich über mich lustig? "Du glaubst das doch wohl nicht?" Sie schüttelte den Kopf.

Was sollte ich dazu sagen. Dass es mir eigentlich ganz gut in meinen Kram passte, wohl besser nicht.

Sie meinte es wohl ernst und wiederholte. "Das glaubst Du doch wohl nicht?" "Und warum nicht?"

Ihre Hand wedelte wegwerfend. "Sieh Dir doch mal die Unterschrift an. Der Name! Da hätten die doch gleich mit Müller-Lüdenscheid unterschreiben können!"

Meine verlegene Miene verstand sie offenbar falsch. Sie sah mich übertrieben fürsorglich an. "Wie lange kennst Du Willy schon?" Was sollte die blöde Frage? Das wusste sie doch ganz genau. "So würde der nie reagieren!", erklärte sie bestimmt.

"Und das da bilde ich mir nur ein?" Ich zeigte auf den Brief.. Sie lehnte sich zurück. "Warum sollte er das tun?" "Na ja, ich habe ihm gesagt, das ich noch nicht soweit wäre! Danach habe ich ihn in der Kneipe sitzen lassen und bin zusammen mit Tobias weggegangen!", erinnerte ich sie.

"Ja, das hat Willy mir erzählt. Er hatte das sogar verstanden, war nur irritiert, als Du Dich dann nicht mehr gemeldet hast!" Hmh? So schnell gab ich meinen Vorwand nicht aus der Hand. "Wie sollte ich? Nach dem Schreiben seines Anwalts!"

"Das ist eine Fälschung, garantiert", beharrte sie, "vergiss den Brief!" "Bist Du sicher?"

"Ganz sicher, ich habe gestern noch mit ihm telefoniert!" Das klang mir ein wenig zu selbstgefällig. „Ach! Und warum?“, brummte ich gereizt, obwohl ich ja wusste, dass die beiden ab und zu miteinander redeten.

Ihre Antwort überraschte mich. "Die Polizei war bei mir. Vermutlich, wie bei den anderen aus Willys Bekanntenkreis. Sie wollten wissen, ob ich die Brüder Karlow kennen würde. Carlo und Rainer. Nie gesehen. Der eine war aber ziemlich attraktiv. Zumindest auf dem Foto!" Sie sah mich fragend an.

"Zwei Verbrecher, die auf Willy und mich angesetzt waren. Sind mit einer Bewährungsstrafe davon gekommen!", erklärte ich. "Haben die sonst noch etwas gesagt?"

Sie nickte. "Die wollten wissen, ob es jemanden gäbe, der auf Willy nicht gut zu sprechen sei. Als ich das verneinte, fragten sie wie es zu unserer Trennung gekommen war. Die Antwort gefiel ihnen nicht so. Es könne doch nicht sein, dass jede seiner Trennungen so harmonisch verlaufen sei. Ich habe versucht, es ihnen zu erklären. Willy hat sich ja immer so lange gefragt, ob seine Partnerin es ernst meinte, bis sie die Nase voll hatte und Schluss machte!“

Hmh? Das hörte ich zum ersten Mal. Bevor ich auch nur meine Augen verdrehen konnte, redete sie schon weiter.

"Dann fiel mir doch noch jemand ein. Da hat ausnahmsweise er Schluss gemacht, obwohl sie das gar nicht wollte. An ihren Namen konnte ich mich aber nicht mehr erinnern. Aber die Polizei schien zu wissen, um wen es sich handelt." "Haben sie Dir den Namen genannt?"

Sie schüttelte stumm den Kopf. So kamen wir also nicht weiter. Wer konnte den Brief denn sonst noch abgeschickt haben? Hmh? Die Blondine, mit der Willy angeblich so vertrauensvoll zusammengearbeitet hatte? "Vielleicht hat er ja eine Neue!"

Marie schaute mich belustigt an. Ich fand das völlig unpassend. "Nein, das glaube ich nicht", lachte sie gekünstelt, "solange er mit Dir zusammen ist, hat er keine neue Freundin. Er ist ja bereits mit einer Frau überfordert. Und wenn mit der Schluss ist, braucht er ein mindestens halbes Jahr Erholung. Erst, wenn er glaubt verstanden zu haben, warum er verlassen wurde, riskiert er es wieder. Nein! Es gibt da niemand anderen!"

Sie schaute mich streng an. "Aber bei Dir ja wohl!" "Das stimmt so nicht!", verteidigte ich mich wie ein ertappter Sünder.

Ihre Lippen waren nun zu schmalen Strichen aufeinandergepresst. "Wie stimmt es dann?"

Was sollte ich dazu sagen? Dass ich nichts mit Tobias hatte, er aber trotzdem irgendwie zwischen Willy und mir stand. Eigentlich unvorstellbar, aber ich habe es in den Unterlagen der Immobilienfirma mit eigenen Augen gesehen. Während er mir die Zusammenarbeit mit ihm madig machen wollte, hatte Willy selbst mit Tobias geschäftlich zu tun.

Hmh? Keine Ahnung, wie ich damit umgehen sollte. Ich wollte nicht schon wieder zwischen allen Stühlen sitzen. Also ging ich Tobias aus dem Weg.

Meine Gedanken an Willy ignorierte ich und versuchte an die Zeit anzuknüpfen, in denen ich ihn oft nicht wahrgenommen hatte. Damals hatte Detlev mich mit seinen Horrorgeschichten so manipuliert, dass ich mich vor Willy schützen schützen musste. In dem ich ihn ausblendete, ihn übersah, wie eine Brille, die man auf der Nase sitzen hatte. Weil ich mich nicht daran erinnern wollte, sie mir aufgesetzt zu haben!?

Oder weil ich sie zu oft anprobiert und skeptisch beurteilt hatte. Wie beim Optiker? Da setzte man sich ja auch unterschiedliche Gestelle auf und prüfte, wie man damit aussah.

Doch wenn die Gläser in der richtigen Sehstärke eingepasst wurden, war man gar nicht mehr dabei. Erst, wenn man sie gekauft hatte, wurde sie einem als neue, persönliche Brille übergeben. Und die trug man dann auf der Nase! Oder hatte sie am Hals hängen. So war es ja auch mit den Männern!

8. Ausgerechnet jetzt verwandelte sich die höfliche Marie in den Engel mit dem Flammenschwert. "Was meinst Du welchem Psychoterror Willy in den letzten Monaten ausgesetzt war. Die Anschläge auf ihn, die sich jederzeit wiederholen können. In seinem Amt wurde gegen ihn gearbeitet. Fast hundert Landesbehörden haben ihn unter Druck gesetzt, weil in seinem Amt Fehler gemacht wurden. Die Polizei hat gegen ihn ermittelt. Gangster versuchen immer noch, ihm etwas anzuhängen. Und dann verlässt ihn auch noch seine Frau! Jeder andere hing inzwischen an der Flasche oder wäre längst in der Klapsmühle!" Schwer atmend lehnte sie sich mit ausgestreckten Armen zurück und legte Ihre Hände flach auf den Tisch, als suche sie nach Halt.

Ihr Schreckensszenario brachte mich für einen Moment aus der Fassung. War ich wirklich so übel? Hmh? Nein! Mein Therapeut hatte das ja ganz anders gesehen!

Ich atmete tief durch bis ich meine Ruhe wiedergefunden hatte und darüber nachdenken konnte, wie ich es ihr schonend beibringen konnte. "Na ja, er hat schon einiges um die Ohren. Du solltest Dir aber keine Sorgen machen!", versuchte ich es vorsichtig.

Marie starrte mich an, als habe sie ein Gespenst gesehen. Ihre Mundbewegungen verrieten, dass sie etwas sagen wollte. Ihre Suche nach Worten blieb aber ergebnislos. Am liebsten hätte ich ihr die Wahrheit gesagt. Doch das ging natürlich nicht. Direkt anlügen wollte ich sie aber auch nicht. Sie war ja trotz allem noch meine Freundin.

"Nein, keine Angst! Willy macht das nichts aus. Ich mache mir mehr Sorgen um die anderen, die sich ihn vielleicht zum Feind gemacht haben. Wie lange können die das aushalten? Es muss einfach schrecklich für sie sein!", zitierte ich meinen Therapeuten. Na gut, nicht wörtlich aber sinngemäß.

Marie lachte, als habe sie den Verstand verloren. Ihr Blick hastete wirr durch das Lokal, als würde sie sich nach Hilfe umsehen. Dann verdrehte sie die Augen so, das ich nur noch das Weiße sehen konnte.

Während mein Puls noch in die Höhe schoss, bemerkte ich erleichtert, dass sie sich schnell wieder beruhigte.

Sie sah mich nun ebenso fassungslos wie erstaunt an. "Ich wusste gar nicht, dass Du einen so schwarzen Humor hast!"

Was meinte sie denn damit? Ich überlegte einen Moment, ihr doch von der Diagnose zu erzählen und dass Willy ein F 60.10 war. Ein Teflon-Mann! Ich entschied mich dagegen. Die eindringliche Warnung des Therapeuten noch in den Ohren. Und Marie hatte sich ja auch schon wieder gefangen.

Leider kam sie auf das alte Thema zurück. "Was ist mit Tobias? Bist Du mit ihm zusammen?"

"Also gut!", sagte ich entschlossener, als ich war, "ich erzähl dir die ganze Geschichte. Da muss ich weiter ausholen!" Sie nickte. Ihre Miene sollte wohl demonstrieren, dass sie mir ihre volle Aufmerksamkeit schenkte.

Ich legte los. Erzählte von meinem offenen Gespräch mit Willy, von seinem Verständnis für mich und dass ich noch etwas Zeit brauchte, um mit mir ins Reine zu kommen. Und dass ich trotz des Briefes von Willys Scheidungsanwalt das Angebot von Tobias nicht angenommen hatte.

„Du hast recht!“, kam ich zum Ende, „es ist höchste Zeit, dass ich mit ihm rede. ich werde mich direkt morgen bei Willy melden!“

Sie verzog das Gesicht, als habe sie eine Zitrone gebissen. „Das dürfte schwierig werden. Willy ist verreist und für niemanden erreichbar!“

Ich schaute sie ungläubig an! Das konnte doch nicht ihr ernst sein. „Machst Du Witze?“

Sie schüttelte den Kopf. "Habe ich ja schon immer gesagt. Das Leben ist eine Seifenoper!"

Doch so schnell gab ich nicht auf. „Du weißt aber sicher wo er ist? Mir kannst Du es doch sagen!“ „Ach ja, und warum sollte ich das tun? Du hattest zwei Monate Zeit und sie nicht genutzt!“ Ganz schön nachtragend!

"Hallo? Willy ist immer noch mein Mann!" Ich war selbst überrascht, aber ganz sicher, dass ich das gesagt habe.

9. "Was glaubst Du, was er jetzt machen wird?", versuchte ich es noch einmal. So, wie sie zögerte, wusste sie etwas, wollte aber nicht drüber reden.

Das sagte ich ihr auf den Kopf zu. "Ich dachte, Du wärst meine Freundin!"

Darüber schien sie nachdenken zu müssen. "Bin ich auch, aber ich habe ihm versprochen, niemandem zu sagen, wo er ist!", brummte sie verlegen. "Okay, dann sag mir nicht wo, gib mir aber bitte einen Hinweis!", baute ich ihr eine bescheidene Brücke.

Sie schaute mich an, als prüfe sie mit ihren Zehenspitzen, ob mein Vorschlag auch tragen würde. Schließlich nickte sie. "Er ist unterwegs. Mit Karlheinz und noch jemandem. Mehr sage ich nicht!"

Natürlich wollte ich mehr erfahren. "Aber er kommt doch zurück?"

Sie verzog den Mund. "Das kann dauern. Ich würde nicht darauf warten!"

"Du meinst, ich müsste ihn suchen?" Sie sah mich erstaunt an." "Weißt Du denn, wo?" "Keine Ahnung!", murmelte ich frustriert.

"Hmh? Du bist doch mehr als zehn Jahre mit ihm zusammen gewesen!" Ich zuckte die Achseln. "Ja und?"

Sie warf mir einen Blick zu, den ich nicht deuten konnte. Er war fragend, aber auch irgendwie mitfühlend. "Na ja, nach so langer Zeit solltest Du ihn doch eigentlich kennen!"

Spurensuche

10. Es war ein merkwürdiges Gefühl nach Monaten wieder in unserer gemeinsamen Wohnung zu sein. Willy hatte nichts verändert, leider auch nicht seine Unordnung.

Ich schaute mich gründlich in den Zimmern um. Nach Anhaltspunkten! Wo konnte Willy jetzt sein? Ich wusste, dass Sana zur gleichen Zeit die ehemals gemeinsame Wohnung mit Karlheinz durchsuchte. Mit dem selben Ziel.

Bisher hatte ich nicht den geringsten Hinweis gefunden und das Telefonat mit Sana bestätigte, dass es ihr genauso ging.

"Dann müssen wir mit unserem Kopf suchen!", grübelte sie laut, "wir kennen die beiden doch so gut, dass wir darauf kommen müssten. Wohin würden die beiden oder zumindest einer von ihnen gehen, um in Sicherheit zu sein?"

Wir gingen die Zeit mit unseren Partnern noch mal durch. Aber auch die gemeinsamen Erlebnisse, die ich mir noch einmal vor Augen führte, brachten mich nicht weiter. Ich war nur überrascht, an wie viele Einzelheiten ich mich erinnerte. Meine Laune wurde immer schlechter.

Zwei Stunden später gab ich auf. Ich musste ohnehin in ein paar Minuten los, um den Zug zu bekommen.

Enttäuscht begann ich meinen Rucksack zu packen. Damit war ich schnell fertig. Ich zog meine Jacke an und ging zur Wohnungstür. Hatte die Klinke bereits in der Hand, als mir doch noch etwas einfiel.

Zurück in der Wohnung, warf ich den Rucksack in den Flur und ging die Treppe hinunter in den Keller.

In der Ecke standen die alten Kartons, die wir noch nicht ausgepackt hatten. Obwohl der letzte Umzug Jahre zurück lag. Es wurde eine wilde Sucherei, denn es gab keine Beschriftung und kein System.

Nach einer Stunde, der Zug war inzwischen ohne mich gefahren, hatte ich erst die Hälfte der Kartons durchwühlt.

Endlich ich wurde fündig. Eine schmale Folienmappe! Obenauf war in großen Buchstaben das Wort ´Bordpass´ zu lesen. Es dauerte nur einen Moment, dann legte sich in meinem Kopf ein Schalter um. Das Licht, das mir aufging, flackerte ein wenig, blieb dann aber an.

Ich nahm die Unterlage mit nach oben und ging zum Telefon. Sana nahm sofort ab. "Und?", fragte sie ohne abzuwarten, wer überhaupt anrief.

"Ich habe da eine Idee!", kam ich sofort zur Sache, "wahrscheinlich hat er ein Boot gechartert. In seinem Lieblingsrevier!“ Sana war regelrecht aus dem Häuschen. "Ja und?"

"Griechenland!" "Gut! Und wo da?" "Er ist oft in der Ägäis gesegelt!", überlegte ich laut. "Und wo genau? Lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!"

"Na ja, eben irgendwo in der Ägäis!" "Die ist groß! Und irgendwo ist keine besonders brauchbare Ortsangabe? Du musst doch wissen..."

Bevor sie weiter schimpfen konnte, unterbrach ich sie. "Warte doch mal. Ich weiß, wo er immer gechartert hat. Über einen Vermittler in München. Da kann ich doch anrufen und fragen."

"Meinst Du, die sagen Dir das? Müssen die nicht auch vertraulich mit ihren Kundendaten umgehen?"

"Natürlich kann ich nicht fragen, ob er gechartert hat, dann sagen die mir wohl nichts. Aber ich hatte so etwas schon mal. Ich klopfe auf dem Busch und sage, er hat gechartert, aber ich hätte aber den Namen des Schiffs vergessen. Da wir getrennt anreisen müssten, wäre das ein Problem. Leider hätte er im Moment keinen Handyempfang. Vielleicht bringe ich noch heraus, in welcher Marina er übernimmt und wo er abgeben muss. Er chartert ja meistens ´one way´!"

11. Ich erreichte die Agentur erst am nächsten Tag. Erfuhr den Schiffsnamen, dass es eine 38er Bavaria war und den Namen der Marina, wo das Boot übernommen werden sollte. Sogar den Zielhafen bekam ich heraus. Willy hatte das Boot für vier Wochen gechartert. Und zwar ab heute!

Die Dame von der Agentur kam mir dann doch auf die Schliche. "Ich müsste noch ihren Namen und ihre Ausweisnummer haben!", erklärte sie geschäftsmäßig, "eine Frau steht ja bisher nicht auf der Crew-Liste. Nur die drei Männer!" Ich legte auf, nach dem ich mit meinem „Hallo, hallo“ eine Störung der Verbindung vorgetäuscht habe. Kindisch! Ich weiß.

In einem längeren Telefonat kamen Sana und ich zu dem Schluss, dass wir uns beeilen mussten. "Am besten wäre es, wenn wir da auch ein Boot chartern und hinterher segeln würden!“, stellte Sana fest. "Könntest Du denn den Skipper machen?"

Ich lachte leise. "Ich habe zwar den Schein damals Willy zu Liebe gemacht, aber nein, das kann ich nicht. Muss ich auch nicht, man kann da auch einen Skipper gleich mit chartern. So ein Grieche oder ein Aussteiger, der da lebt. Die haben die beste Revierkenntnis!"

Die Unsicherheit, die mich plötzlich überfiel, überraschte mich nicht wirklich. Sie war mir sehr vertraut. Den Weg für eine Lösung des Problems zu finden war das Eine. Ihn aber auch zu gehen, war eine ganz andere Sache.

Also dämpfte ich ihre Begeisterung erst einmal. "Ganz so einfach ist das nicht. Willy hat damals so einiges über solche Typen erzählt. Nicht so selten verkrachte Existenzen, Trinker und Machos, die auch schon mal die Grenze des Einvernehmlichen überschreiten. Und da wir keine Zeit haben, könnten wir nicht wählerisch sein!"

Sana zeigte sich wenig beeindruckt, während ich immer unsicherer wurde, ob ich der Verantwortung überhaupt gewachsen sein würde. Denn die läge ja vor allem bei mir!