Eine Medienkritik mit Todesfolge - Maren Mewes - E-Book

Eine Medienkritik mit Todesfolge E-Book

Mewes Maren

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Beschreibung

Zwei ungeklärte Todesfälle, die offenbar nichts miteinander zu tun haben. Bis auf die Tatsache, dass beide Opfer Mitglieder eines neuen Forums waren, das sich mehr als kritisch mit den Nachrichtensendungen und Talkshows des öffentlich-rechtlichen Fernsehens auseinandersetzt. Und so muss sich Polizei und Staatsanwaltschaft notgedrungen auch mit den Kommentaren des Forums zu Beiträgen der Fernsehsender befassen. Politisch Lied, ein garstig Lied? Für zwei der ermittelnden Beamten wird die Suche nach dem Tatmotiv jedenfalls zu einer sehr persönlichen Angelegenheit.

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Seitenzahl: 326

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Auch, wenn die Sendungen von ARD und ZDF beinahe als Realsatire erscheinen: Die Auszüge aus Talkshows von Anne Will, Sandra Maischberger, Maybrit Illner, des Heute Journals und der Tagesthemen sind Ende 2018 tatsächlich so über den Bildschirm gegangen.

Den Kriminalfall und das Forum aus Nichtwählern, das sich mit den Öffentlich-Rechtlichen auseinandersetzt, hat es in dieser Form nicht gegeben.

Die dort geäußerten Meinungen einiger Bürger dagegen schon!

Die Medien entscheiden, ob und wie sie über etwas berichten. Sie beschaffen oder nehmen Informationen also nicht nur zur eigenen Kenntnis, sondern bestimmen auch, was ihre Zuschauer wahrnehmen sollen!

Inhaltsverzeichnis

Sana

Zuständigkeiten

Talkshow

Eine Terminüberschneidung

Nachrichten

Gerechtigkeit

Nähe und Distanz

Karlheinz

Diskutanten

Ein Anschlag

Halbhuber

Sana

Kolloquium

Teambesprechung

Karlheinz

Erkenntnisse

Perspektiven

Sana

Studiohaft

Karlheinz

Hausbesuche

Sana

Thesen

Karlheinz

Die Zielgruppe

Einstellungen

Sana

Ratespiele

Karlheinz

Botschaften

Sana

Der kleine Lord

Karlheinz

Observierung

Sana

Ein Retter

Inszenierung

Karlheinz

Ursachenforschung

Vor neun Monaten

Günther

Kneipengespräche

Sana

Fragwürdig

Anne Will

Forum

Schatten der Vergangenheit

Beweislage

Aische

Karlheinz

Polizeiarbeit

Motive

Gerichtsmedizin

Showbusiness

Sana

Zuständigkeiten

1. Ich war nicht wenig erstaunt. „Ein Gemüsehändler, der noch studiert hat und in Hannover ermordet wurde? Was hat denn das ZOK damit zu tun?“ Karlheinz zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Die Kripo ermittelt bereits seit über einem Monat, hat aber bisher kaum Anhaltspunkte gefunden!“

„Er hatte türkische Wurzeln?“ „Ja, deshalb dachte man auch an nationalistische und rassistische Hintergründe. Der Verfassungsschutz hat aber abgewinkt!“ Mein Mann machte eine entsprechende Handbewegung.

Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. „Und weiter?“ „Die Mordkommission der örtlichen Polizei hat sich darum gekümmert!“, brummte er.

„Und dann gab es noch einen Toten. Einen Dresdner, den es in Hamburg erwischt hat?“ Er nickte. „Auch hier hat die Kripo keinen Hinweis auf einen möglichen Täter gefunden!“

Warum erzählte er mir das überhaupt? „Die Fälle haben also nichts miteinander zu tun?“ „Scheint so. Deshalb sieht das BKA keinen Grund, sich damit zu beschäftigen!“

Ich sah ihn verständnislos an. „Und warum wir? Bei uns machen zwar mehrere Länder mit, aber das ZOK ist doch nur für Fälle organisierter Kriminalität zuständig?“

„Erinnerst Du Dich an Dr. Ruth Kappel?“ Seine Verlegenheit war nicht zu übersehen und auch nicht grundlos. Schließlich wusste er um mein, gelinde gesagt, gestörtes Verhältnis zu gerade dieser Staatsanwältin. Ich mochte sie nicht besonders. Und das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit. Leider arbeitete sie auch noch oft mit Karlheinz zusammen. Vielleicht wollte sie mich ja damit ärgern?

„Klar, die Oberstaatsanwältin aus Hannover, die auch für das ZOK arbeitet! Was hat die damit zu tun?“ Ich lächelte, um von der geballten Faust in meinem Kopf abzulenken.

„Sie glaubt, eine Verbindung zwischen den Morden gefunden zu haben!“ Er zuckte mit den Schultern. „Die beiden Opfer waren in demselben Diskussionsforum und haben auch bei der gleichen Talkshow mitgemacht!“

Ich verzog den Mund. „Und da sind die beiden übereinander hergefallen?“ „Sie waren nicht in derselben Show. Der Gemüsehändler war in der ersten Runde und der Dresdner in der zweiten. Sie sind sich also nie persönlich begegnet!“ Er sah mich fragend an.

„Hmh? Reichlich dünn, und wenn überhaupt, wäre das doch eine Sache für die zuständigen Landeskriminalämter!“

Mein Mann setzte eine bedenkliche Miene auf. „Du hast sicher Recht. Aber denen ist dieses Indiz zu schwach, um aktiv zu werden und außerdem....“ Er räusperte sich. „Na ja, mit den Ermittlungen bei den öffentlich-rechtlichen Medien ist das so eine Sache. Wenn man da einen Fehler macht oder jemandem auf die Füße tritt, kann es schwierig werden!“

„Du meinst wegen der Pressefreiheit und weil die ihre Quellen nicht verraten müssen?“ Das war naheliegend.

Er schnitt eine Grimasse. „Das ist ja auch sonst riskant! Wenn Dich da einer auf dem Kieker hat, sitzt Du in der Scheiße!“

Ich warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Wegen der öffentlichen Berichterstattung?“ „Klar. Ist Dir noch nie aufgefallen, dass alle Medien ins gleiche Horn stoßen, wenn es um einen von Ihnen geht?“, murmelte er leise.

„Medienfreiheit ist Gott sei Dank ein hohes Gut!“, stellte ich energisch fest. Er nickte, aber seine Miene war wie ein Kopfschütteln.

„Du spinnst doch! Seit wann bist Du gegen die Pressefreiheit?“ Die Enttäuschung über meinen sonst so moralischen Ehemann hatte mich laut werden lassen.

Er zog den Kopf zwischen seine Schultern ein. Schuldbewusst? Von wegen! Was er sagte war der reinste Hohn. „Immerhin haben die Behörden der Länder und des Bundes einen Heidenrespekt vor den Medienvertretern!“

Ich war immer noch verärgert. Es konnte auch daran liegen, dass meine Laune sich jedes Mal verschlechterte, wenn ich den Namen dieser Staatsanwältin hörte. „Das ist ja auch gut so! Oder willst Du Verhältnisse wie in Russland, China oder der Türkei?“

Er schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht! Ich versuche Dir nur zu erklären, warum diese Mordfälle hier bei uns, beim ZOK gelandet sind!“

„Das ist doch Quatsch! Warum sollte das ZOK mutiger sein, als die übrigen Bundes- und Landesbehörden?“ Mein spöttisches Grinsen hielt nur kurz. Dann wurde mir bewusst, dass ich ihm auf den Leim gegangen war.

Er ließ sich nichts anmerken und erklärte mir, was ich schon wusste. „Die ´Zentrale Stelle Organisierte Kriminalität und Korruption´ in Celle ist zwar dem Justizministerium Niedersachsen zugeordnet, arbeitet aber auch mit Hessen, Baden-Württemberg, der Bundespolizei und bundesweit mit den Generalstaatsanwaltschaften zusammen!“

„Das ist mir durchaus bekannt!“, brummte ich gereizt. Er nickte. „Falls man hier in die öffentliche Kritik gerät, lässt sich die Verantwortung nicht so einfach einem Land oder einer Behörde zuordnen!“

„Na und?“ Kaum hatte ich es ausgesprochen, ahnte ich auch schon, worauf er hinaus wollte. „Du meinst, es geht gar nicht um Kooperation und Informationsaustausch, sondern darum, die Schuld gegebenenfalls auf möglichst viele Schultern verteilen zu können?“

Er drehte seine Hände um, als wolle er mir zeigen, dass er unbewaffnet war. „Dazu würde passen, dass die eingesetzte Kommission nicht von der Oberstaatsanwältin geleitet wird, sondern von einem LKA-Beamten und der Aufsicht eines Juristen der Generalstaatsanwaltschaft sowie eines Abteilungsleiters des niedersächsischen Justizministeriums untersteht!“

„Und das weißt Du woher?“ Ich bemühte mich gar nicht erst meinen Unmut zu verbergen, denn mir schwante nichts Gutes.

Er hob seine Schultern an. „Na, von Ruth Kappel!“ Sein Dackelblick sollte mich wohl besänftigen.

„Trotz allem hält sie sehr viel von Dir!“, schob er vorsichtig nach. Das ´trotz allem´ lag erst ein Jahr zurück und bestand aus einem ehemaligen Kollegen gegen den sie ermittelt, den ich aber bis zum Schluss für unschuldig gehalten hatte.

Ich selbst war ja nicht nachtragend und kam auch einigermaßen gut damit klar, dass in diesem Fall sie und nicht ich Recht behalten sollte. Allerdings hatte ich ihr damals das Leben ziemlich schwer gemacht. „Und warum erzählst Du mir das alles?“

Er wand sich nun wie der sprichwörtliche Aal in seiner Reuse. Sein Blick ging zu unserem Wohnzimmerfenster. Da war natürlich auch keine Antwort zu finden. „Sie will Dich im Team haben!“, quetschte er schließlich heraus.

Nun war ich der Fisch, den ein Angler aus dem Wasser gerissen und einfach an Land geworfen hatte. Jedenfalls schnappte ich nach Luft, anstatt ihm eine passende Antwort zu geben.

Aber wahrscheinlich gab es die ohnehin nicht. „Team? Eine Mordkommission?“, fragte ich also nur. „So ähnlich!“, nickte er.

„Und wer ist sonst noch in diesem Team?“ „Ein Kriminaldirektor vom LKA Niedersachsen, Du hast bestimmt schon von ihm gehört. Dr. Dr. Wegener! Außerdem zwei Nachwuchskommissare, ich und hoffentlich Du!“

2. Das war ja allerliebst. Zwei Greenhorns, ein eitler Karrierebeamter, mein Mann, die Kappel und ich. Ja, bevor ich mir auch noch verletzte Eitelkeit vorwerfen lassen musste, war ich dann doch über meinen Schatten gesprungen.

Eine ziemlich kleine ´Mordkommission´ mit recht merkwürdiger Zusammensetzung. Hmh? Die normale Polizeiarbeit hatte noch keine Ergebnisse erbracht. Vor allem hatte man zwischen den beiden Morden keinerlei Verbindung gesehen, die ernsthaft verfolgt wurde.

Die Kappel musste sich schon mächtig ins Zeug gelegt haben, damit das ZOK sich überhaupt damit befasste. Rückgrat und Grips hatte sie ja, wenn es darum ging sich in den Vordergrund zu spielen.

Aber ausgerechnet dieser Wegener? Ich war ihm zwar noch nicht persönlich begegnet, hatte aber wie die meisten Kriminalbeamten schon von ihm gehört. Demnach war er die Art von Witzfigur, bei der einem das Lachen im Halse stecken blieb.

Wegener hatte sowohl in Jura als auch in Psychologie promoviert und sich in der konkreten Polizeiarbeit eher durch besondere Nähe zur Politik als durch ein gutes Verhältnis zu seinen Kollegen einen Namen gemacht. Auch weil sich seine Ermittlungen meistens sehr Medien freundlich gestalteten.

Möglicherweise wollte man mit ihm dafür sorgen, dass die Staatsanwältin Kappel durch ihren Ehrgeiz das ZOK nicht in ein falsches Licht rückte.

Seine erste Amtshandlung war es dann auch gewesen, sie telefonisch davon in Kenntnis zu setzen, dass er die Gespräche mit den Chefredakteuren und Intendanten schon ohne sie und uns einfache Polizisten geführt hatte. Und zwar nur begleitet vom Abteilungsleiter des Justizministeriums.

3. Kein guter Auftakt für unsere heutige Teambesprechung! Die Nachwuchskommissare hatten schon im Neon beleuchteten, fensterlosen Besprechungszimmer Platz genommen, standen aber höflich auf, als wir den Raum betraten. Karlheinz und ich schüttelten ihnen die Hand. Wir stellten uns vor.

Der lange, schlanke Dunkelhaarige hieß Frisch und der kleinere, ein wenig untersetzte mit dem Bürstenschnitt Göbel. Beide waren, wie erwartet, noch ziemlich jung, vielleicht Mitte zwanzig, auf keinen Fall über dreißig. Aber seit ich die fünfzig überschritten hatte, kamen mir die meisten Kollegen sowieso ziemlich jung vor.

Sie musterten Karlheinz mit einer Mischung aus Neugier und scheuer Unsicherheit. Verständlich, wenn man jemandem gegenüber stand, von dem man bisher nur durch das Unterrichtsmaterial der FH gehört hatte. Von meinem Mann, der in der Vergangenheit einige ungewöhnliche Fälle gelöst hatte!

Ich hätte die steife Atmosphäre gerne etwas aufgelockert und wollte die beiden gerade nach ihren Lehrern an der FH fragen, aber da ging schon die Tür auf.

Dr. Ruth Kappel kam herein, gab uns mit einem flüchtigen Lächeln die Hand und setzte sich schnell hin, wie ein Schüler, der zu spät zum Unterricht erschienen war.

Schlank, dunkle lange Haare um ihr schmales Gesicht, wirkte sie auf mich immer noch genau so hochnäsig, wie bei unserer letzten Begegnung.

Die Art, wie sie und die jungen Kommissare sich zunickten, ließ darauf schließen, dass sie sich schon miteinander bekannt gemacht hatten.

Sie wandte den Kopf in meine Richtung, schien etwas zu mir sagen zu wollen. Aber dazu kam es nicht, denn in diesem Moment ging die Tür erneut auf.

Wegener trat ein! Na ja, eher auf! Mitte fünfzig, hager mit schütterem blonden Haar und randloser Brille sah er aus, wie man sich einen Ministerialbeamten vorstellt. Vielleicht mit seinen knapp einen Meter neunzig ein wenig zu groß geraten.

Er stoppte einige Schritte vor dem Tisch, an dem wir fünf saßen, und schaute sich kurz um. Frisch und Göbel standen auf, setzten sich aber wieder hin, als Wegener statt zu uns zu kommen zu einem anderen Tisch ging und dort Platz nahm.

Nun saß er wie ein Lehrer mit dem Rücken zur Tafel und schaute auf die vor ihm sitzenden Beamten. Unser Besprechungsraum hatte sich in ein Klassenzimmer verwandelt!

Die Hände auf den Tisch gestützt, richtete er seinen Oberkörper auf und legte den Kopf leicht in den Nacken.

„Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich Sie zu unserer ersten Teamsitzung begrüßen zu können. Wie Sie wissen, haben wir es mit einem Fall zu tun, der großes Fingerspitzengefühl erfordert. Aber bevor wir in medias res gehen, sollten wir uns kurz miteinander bekannt machen.“

Er wandte sich nun direkt an Dr. Kappel. „Wie Sie wissen, ist mein Name Dr. Dr. Wegener. Ich schlage vor, dass Sie mich einfach mit Dr. Wegener ansprechen und ich sie im Wege der Aufrechnung nur Frau Kappel nenne. Das spart Zeit! Einverstanden?“

Sollte ich über diese Albernheit lachen? Ein schlechter Witz? Keine Ahnung! Jedenfalls ging es gegen die Kappel!

Die Gesichtszüge der Angesprochenen entgleisten so heftig, dass ich nicht hätte sagen können, ob sie wirklich genickt hatte oder ob ihr nur die Kinnlade samt restlichem Kopf herunter gefallen war.

Die beiden Nachwuchskollegen machten große Augen, die hilflos in unserer ´Klasse´ umher irrten, während Karlheinz nur verächtlich mit der Zunge schnalzte.

Wegener tat so, als habe er das nicht gehört und wartete nun auf den Rest der Vorstellungsrunde. Die dauerte nicht lange. Jeder nannte seinen Nachnamen. Frisch und Göbel fügten noch höflich ein „Herr Dr. Dr. Wegener!“ hinzu.

Dem Kriminaldirektor schien es recht zu sein, dass er auf diese Weise schnell wieder das Wort ergreifen konnte. Er berichtete nun ausführlich von seinen Gesprächen mit den Oberen von ARD und ZDF.

Vielleicht lag es ja daran, dass ich nur eine normale Hauptkommissarin bin, aber es war mir kaum möglich, seiner Darstellung relevante Informationen zu entnehmen.

Na ja, es war wohl nur Politikern und hohen Beamten in die Wiege gelegt, so viel reden zu können, ohne etwas zu sagen.

Nach meinem Dafürhalten war die sogenannte Befragung der TV-Granden nicht zuletzt durch die Anwesenheit des Ministerialbeamten wohl eher eine wechselseitige Lobhudelei und Selbstbeweihräucherung gewesen.

„Dem öffentlichen Informationsauftrag entsprechend werden ARD und ZDF abwechselnd auch die weiteren Talkshows des Herrn von Haaren übertragen. Auch, wenn die sich durchaus kritisch mit der Rolle der Medien auseinandersetzen!“, kam Wegener nicht ohne Stolz zum Ende.

„Sehr schön!“ Die Ironie meines Mannes triefte nicht nur. Ich glaubte sie regelrecht auf den Boden platschen zu hören. „Was hat denn die Befragung der Teilnehmer von Talkshow und Diskussionsforum ergeben?“

„Das ist nicht so einfach! Die Teilnehmer der ersten beiden Talkshows sind uns natürlich bekannt. Diejenigen, die beim Diskussionsforum mitmachen, sollen auf Wunsch des Moderators, Herrn von Haaren, möglichst nicht noch einmal behelligt werden!“ Der tadelnde Tonfall des Kriminaldirektors wurde von den scharfen Falten auf seiner Stirn unterstrichen.

Dann ließ er die Katze aus dem Sack. Allerdings so scheibchenweise, dass ich einige Zeit brauchte, um sie wieder zusammenzusetzen.

Ich konnte es erst gar nicht glauben, aber das Vieh sah nun wie folgt aus: Die eigentlichen Ermittlungen wurden weiterhin durch die zuständige Mordkommission durchgeführt. Unsere kleine ZOK-Gruppe sollte ohne polizeiliche Befugnisse, quasi ´undercover´ Untersuchungen anstellen. Auch das ZOK würde offiziell gar nichts von uns wissen. „Es handelt sich ja mehr oder weniger um eine persönliche Angelegenheit von Frau Kappel!“

Meine Neigung in diesem Team mitzumachen, war nach wie vor gering. Aber das ging mir dann doch zu weit. „Wie sollen wir denn so arbeiten?“

„Bewerben Sie sich doch als Teilnehmer für das Forum. Sie können sich auch als Journalisten ausgeben, die über diesen Fall schreiben wollen. Oder als Schriftsteller!“, schlug Wegener belustigt vor. „Die enthüllen ihre Skandale ja auch nur in Interviews und Talkshows!“ Es hätte mich nicht gewundert, wenn er sich dabei auf die Schenkel geklopft hätte.

So widerlich, wie sich der Typ benahm, hatte er vermutlich jede Menge Rückendeckung von ganz oben.

Immerhin gab es laut offizieller Mordkommission schon einen Verdächtigen im Fall des früher studierenden, jetzt toten Gemüsehändlers. Einen Kurden, dem Verbindungen zur Gülen-Bewegung nachgesagt wurden. Ein Augenzeuge hatte ihn in der Nähe des Tatorts gesehen. Aber das reichte natürlich nicht aus, um Anklage zu erheben.

Die nun folgende Diskussion, die ausschließlich zwischen Wegener und Karlheinz stattfand, war wenig befriedigend. Mein Mann stellte seine kurzen Fragen ruhig und sachlich. Obwohl die Antworten des Direktors ein wenig genervt klangen waren sie recht ausführlich, um nicht zu sagen, ausschweifend.

Im Kern ging es darum, wie wir überhaupt arbeiten sollten und der Moderator der Talkshow dazu gebracht werden konnte, uns zu unterstützen.

Dass Frisch und Göbel so taten, als hätten sie mit der Sache nichts zu tun, ja als wären sie gar nicht anwesend, überraschte mich nicht.

Dagegen war ich sehr verwundert, dass auch die Kappel kein Wort sagte. Nur ihr Blick pendelte zwischen Wegener und Karlheinz hin und her.

Nach einer Viertelstunde war es vorbei und der Direktor verschwand mit einem energisch aufmunternden: „Bitte halten sie mich auf dem Laufenden!“

Ich versuchte, mir das Ergebnis der Besprechung vor Augen zu führen. Gar nicht so einfach! Es war auch wenig genug.

Eigentlich hatte Wegener unter großen Bedenken am Ende nur eingeräumt, dass wir Einblick in die Ermittlungsakten erhalten durften.

Der Verlauf der Diskussion war deutlich interessanter gewesen. Wegener hatte Karlheinz immer wieder laut und deutlich mit Namen angesprochen. Sein beinahe provozierendes „Herr Hoffmann!“ klang mir noch in den Ohren. Umgekehrt hatte mein Mann sein Gegenüber nicht ein einziges Mal beim Namen genannt.

Als auch die jungen Kommissare gegangen waren, bat uns die Kappel noch einmal Platz zu nehmen. Karlheinz schien nur darauf gewartet zu haben. Ich folgte seinem Beispiel nur widerwillig.

Sie kam sofort zur Sache. „So, wie es aussieht, sind wir auf uns alleine gestellt. Wegener können wir vergessen. Ich werde mich auch weiterhin in den Gesprächen mit ihm zurückhalten. So kann ich meine Befugnisse als Staatsanwältin am besten wahren und laufe nicht Gefahr, vom Justizministerium gegängelt zu werden. Die beiden Neulinge sollten wir da raus lassen! Okay?“ Sie schaute mich fragend an.

Was macht man, wenn jemand, den man nicht ausstehen kann, etwas sehr Vernünftiges vorschlägt? Sie hatte ja leider recht und mein Mann schien ihr zu vertrauen!

„Das sehe ich genauso!“, knirschte ich also. Was blieb mir anderes übrig? Ich konnte ja schlecht auch noch eine Front in unserem Dreierteam aufmachen.

Vor allem, weil Wegener dafür gesorgt hatte, dass uns für die Aufklärung des Falles nicht mehr Mittel zur Verfügung standen als den Journalisten: Interviews und normale Gespräche.

Die Kappel erhob sich, beugte sich zu mir herüber und streckte mir ihre Hand entgegen. „Dann hätten wir das ja geklärt! Ich bin übrigens die Ruth!“

Talkshow

4. „Der ist richtig prominent. Hat sogar mal eine eigene Sendereihe und auch noch weitere Berichte im Fernsehen gehabt!“ Frisch und Göbel waren ziemlich beeindruckt und nicht wenig aufgeregt, es in ihrem ersten größeren Fall gleich mit einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens zu tun zu haben.

Van Haaren hatte sich zu meiner Überraschung sofort bereit erklärt, uns das Konzept der Sendung und den Ablauf der ersten beiden Talkshows vorzustellen und einem Termin zu Dritt zugestimmt. Er war, wie er freimütig einräumte, ja daran interessiert, eine möglichst breite Öffentlichkeit zu erreichen.

Vielleicht, weil wir dem Rat von Ruth Kappel gefolgt waren, und uns als freie Journalisten ausgegeben hatten. Karlheinz sogar als einen mit schriftstellerischen Ambitionen.

Ich hatte sie unterschätzt. Vor allem ihren Sinn für Ironie. „Klar, der Doppeldoktor hat sich über uns lustig gemacht. Nehmen wir ihn doch einfach beim Wort. Darüber kann er sich ja kaum beschweren!“

Es gab noch einen anderen Grund, es so zu machen. Ich hatte Otto Breitner angerufen, den Leiter der offiziellen Mordkommission. Wir kannten uns so gut, wie das eben bei Kollegen der Fall war, deren Ermittlungen sich ein paar Mal überschnitten hatten.

Er äußerte sich wie erwartet recht zurückhaltend. „Wir machen unseren Job. Und das Justizministerium hat uns sehr unterstützt! Ein wenig Fingerspitzengefühl ist ja nie verkehrt. Schließlich haben wir es hier nicht mit irgendwelchen Ganoven zu tun! “

Ich hatte ihn auch so verstanden. Breitners Ermittlungen waren vor lauter Rücksichtnahme auf die sogenannten Prominenten wahrscheinlich der reinste Eiertanz gewesen. Möglicherweise sogar mit einer Choreografie, die um Fragen, die für eine Aufklärung relevant sein konnten, schon mal einen großen Bogen machte.

Über unseren Starmoderator lag in den Dateien der Polizei nichts vor. Er war nicht aktenkundig. Das hatten wir auch nicht erwartet.

Aber das Internet ist ja eine schlimme Petze und was dabei herauskam, zeigte sogar bei meinem Mann Wirkung. „Mit dem Rock kann ich Dich wirklich nicht alleine zu ihm gehen lassen!“

Hmh? Ich hatte lange überlegt, wie ich als Journalistin auftreten sollte. Dieses Metier war mir ja alles andere vertraut. Damit das nicht sofort auffiel, hatte ich mich letzten Endes für ein möglichst weibliches Erscheinungsbild entschieden.

5. Nun saßen wir ihm also gegenüber. In einem kleinen Besprechungszimmer des Intercity-Hotels am Hamburger Hauptbahnhof. Daniel van Haaren hatte uns ausgesprochen freundlich hereingebeten und etwas zu trinken angeboten.

Wir nahmen einen Kaffee. Frisch gebrüht, wie er betonte. Irgendwie kam mir van Haaren auch frisch gebrüht vor. Ein großer, attraktiver Mann mit halblanger Frisur, sehr gepflegt. Seine 62 Jahre waren ihm nicht anzusehen. Die blendend weißen Zähne passten eigentlich nicht zu der merkwürdig glatten Haut seines verlebten Gesichtes und gaben ihm das unwirklich gute Aussehen eines Hollywoodstars.

Er bewegte sich auch so. Seine Hand ergriff die silberne Thermoskanne, die vor uns auf dem Tisch stand, mit einer langsamen, beinahe feierlichen Geste. Als sei der Kaffee, den er mir einschenkte, ein besonders seltenes Elixier.

„Milch, Zucker?“, sprach er mich von der Seite an, so dass ich mein Gesicht zu ihm wenden musste. Blaue Augen! Darunter ein kaum angedeutetes Lächeln. Ein aufmerksamer Kellner in einem Restaurant, dass ich mir niemals würde leisten können.

„Schwarz!“, hauchte ich. Obwohl ich nur gerade mal zehn Jahre jünger als er war, kam ich mir in diesem Moment wieder wie ein Teenager vor.

Er nahm nun auch Platz; am Kopf des Tisches, so dass wir nun über Eck saßen. Ein Blick aus den Augenwinkeln zeigte mir, dass mein Mann sich nun auch einen Kaffee aus der Kanne einschenkte und mir zuzwinkerte.

Wie sollte ich das denn verstehen? Glaubte er, mich zurück auf den Teppich holen zu müssen?

Das erledigte van Haaren schon selbst, als er mit einem zufriedenen Lächeln mindestens eine Sekunde zu lang auf meine übereinandergeschlagenen Beine schaute.

Trotzdem! Er war alles andere als unsympathisch oder überheblich. Seine Stimme und die Art zu reden verstärkte diesen Eindruck. Weich, sonor, aber nicht dröhnend, eher leise und einfühlsam.

„Vielleicht sollte ich Ihnen erst einmal zeigen, um was es eigentlich geht?“ Er begann an seinem Laptop herumzuhantieren.

Auf der weißen Wand uns gegenüber erschien ein großes helles Rechteck, das durch den Lichtstrahl eines kleinen Projektors erzeugt wurde.

Erst unscharf, dann deutlich ist eine feiernde Menschenmenge zu erkennen. Es geht um den Rodungsstop am Hambacher Forst. Das Urteil des OVG Münster vom 5.10.2018 wird eingeblendet und verlesen.

„(Es sei) nicht gerechtfertigt durch die Rodung des Hambacher Forsts vollendete Tatsachen zu schaffen.“

„Das ist die Talkshow der Anne Will vom 7.10. Es geht um den Einsatz der Polizei, die die Demonstranten aus dem Hambacher Forst entfernen soll, damit die Rodung beginnen kann!“, erklärte van Haaren als die genannte Moderatorin auch schon im Bild erschien.

Frau Will stellt ihre erste Frage: „Herr Laschet! Haben Sie den Wald voreilig räumen lassen und stehen jetzt reichlich blamiert da?“ Die Antwort war etwas länger, ich bekam aber mit, dass die Räumung wohl aus Sicherheitsgründen erfolgen musste. Fehlender Brandschutz für die Baumhäuser oder so. Hmh?

Sie hakt nach: „Und das ist Ihnen Mitte September zufällig eingefallen und da besteht kein Zusammenhang zwischen dem Rodungstermin, der dann Mitte Oktober liegt?“

Etwas störte mich! Vielleicht der Ton und die Formulierung der Frage. Immerhin redete sie mit dem Ministerpräsidenten des einwohnerstärksten Bundeslandes. Dessen Antwort gefiel mir auch nicht! Sie war lang. Ich verstand nur, dass die Schuld bei SPD und Grünen lag, die gut ein Jahr zuvor regiert hatten. Netter Typ dieser Laschet. Aber eigentlich war das keine Antwort auf den aktuellen Polizeieinsatz! Oder doch? Die Will ließ das jedenfalls so stehen.

Nun kommt die Naturschützerin oder interessierte Bürgerin, das habe ich nicht so genau verstanden, zu Wort. Sie wirft Laschet vor, dass er Polizeieinsatz und Rodung nicht gestoppt hätte. Frau Will hört ihr mit ernsthaft, neutraler Miene zu, greift aber nicht ein, als die Frau mehrmals von Laschet unterbrochen wird.

Bei mir blieb nur hängen, dass sie besorgt war, aber über die politischen und rechtlichen Hintergründe wohl nicht so genau Bescheid wusste.

Anne Will wendet sich nun an Christian Lindner: „..warum haben sie sich am Ring …. führen lassen?“ Hmh? Okay, die FDP war in der Landesregierung NRW. Aber die Wortwahl?

Lindner redet lange, antwortet aber nicht auf die eigentliche Frage. Er hält einen kleinen Vortrag über Klimaschutz, geltendes Recht, Stuttgart 21, Dieselgate, BER, Bürgerbeteiligung und so weiter. Ich war erstaunt, dass Frau Will ihn gewähren ließ.

Ohne weiter darauf einzugehen, sprach sie nun die Bundesministerin Schulze (SPD) an, holte weit aus. Ich konnte mir nicht alles merken, hängen blieb nur: „Fragen wir doch auch die, die verantwortlich sind. Frau Schulze, Sie sind heute in komischer Rolle“, „waren Landesministerin bis 2017 als SPD und Grüne krachend verloren haben“, „haben gesagt, das es gut wäre, mit der Rodung zu warten“ und „deshalb müssen sie natürlich wahnsinnig heute neu aufpassen, was Sie sagen!“

Ein grinsender Lindner wird eingeblendet. Erst jetzt kommt Will zu ihrer Frage: „Hat die Landesregierung den Wald voreilig räumen lassen und sich zum Erfüllungsgehilfen von RWE gemacht?“

Frau Schulze, die schon mehrfach hilflos, verlegen wirkend im Bild zu sehen war, kommt endlich zu Wort. Oder doch nicht? Sie versucht zu antworten, wird zweimal von Herrn Laschet und dreimal von Frau Will unterbrochen, einmal sogar von ihr belehrt, als es um die genaue Bezeichnung der sogenannten ´Kohlekommission´ geht. Danach schaut Anne Will triumphierend, die Mundwinkel verächtlich nach unten gezogen, in die Kamera.

Von dem was Frau Schulze gesagt hat, habe ich kaum etwas mitbekommen. Irgendwie hat sie mir leid getan.

6. „Das sollte genügen!“, stellte van Haaren ruhig fest. „Kommen wir jetzt zu meiner Talkshow und unserem Diskussionsforum der Nichtwähler!“ Er tastete auf dem Laptop herum bis einige kurze Texte erschienen, die an SMS- oder WhatsApp-Nachrichten erinnerten.

„Echt gut, dass die Will von vorn herein klar gestellt hat, das die SPD und die Grünen für das ganze Theater verantwortlich sind! Und jetzt versuchen sie es dem Laschet in die Schuhe zu schieben!“ Bodo12

„Genau. Erst richten sie den Schlamassel an und dann wollen sie nichts mehr davon wissen! Denen kann man echt nichts glauben!“ Karin0 -

„Aber die haben doch mit dem Polizeieinsatz nichts zu tun! Wieso behauptet die Will, die SPD wäre dafür verantwortlich?“ Gerda3

„Ach, jetzt wieder diese Leier! Der Lindner hat schon recht, die wollen sich nur raus reden!“ Günesch9

„Die Will ist doch die einzige, die klar Position bezieht! Der Lindner hat die Frage doch gar nicht beantwortet?“ Gerda3

„Da hast Du recht! Die Politiker schwafeln doch alle nur herum! Die Will nimmt die ja auch gar nicht ernst!“ Cem16

„Das geht doch nicht. Immerhin sind das unsere Volksvertreter. Die haben wir doch gewählt!“ Annette5

„Volksvertreter? Meine jedenfalls nicht. Ich wähle Erdogan!“ Cem16

„Kann ich ja nicht. Vielleicht wähle ich die AfD, die lassen sich wenigsten nicht alles gefallen!“ Heinz23

„Die hetzen doch nur. Vor allem gegen Flüchtlinge und gegen Europa!“ Eva11

„Und die Moderatoren und anderen Parteien hetzen gegen die AfD. Noch schlimmer als gegen die SPD und die Linken! Das soll Demokratie sein?“ Heinz23

„Die AfD ist doch nicht demokratisch! Die sollte man verbieten!“ Eva11

„Da sieht man doch mal wieder, was für eine Scheiße das mit der Demokratie ist!“ Kurt 25

„Das glaube ich langsam auch!“ Luciano19

7. Van Haaren drückte auf eine Taste und wir sahen wieder nur die weiße Wand. „Das sind nur ein paar, von rund hundert Rückmeldungen zu dieser Sendung. Etwa soviel haben wir zu jeder Talkshow von ARD und ZDF, zu den Tagesthemen und zum Heute Journal. In diesem Forum sind ausschließlich Nichtwähler, die sich so etwas normalerweise gar nicht anschauen würden. Aber ich bezahle sie dafür, dass sie es jetzt doch tun.“

Warum er bei seinen Worten auf meine Knie starrte, weiß ich nicht. Ich war sowieso noch dabei, das gehörte zu verdauen. Aber da ging es schon weiter.

„Und drei mit sehr gegensätzlichen Ansichten lade ich dann zu der Talkshow ein. Die zeichne ich auf. Später werden sie dann im Fernsehen ausgestrahlt!“

Karlheinz nickte langsam. „Verstehe! Mal etwas anderes. Warum...?“ Van Haaren unterbrach ihn mit einem breiten Lächeln in meine Richtung. „Schauen wir uns doch mal die Talkshow an, die zuerst ausgestrahlt wurde!“

Er hantierte einige Sekunden an seinem Laptop herum, dann erschien van Haaren überlebensgroß an der Wand. Dort sah er noch besser aus, als der, der real neben uns saß. Na ja, Fernsehen!

Sein Bild schaut von der Wand freundlich auf uns herunter. Leise, aber gut verständlich beginnt er zu sprechen. Angenehm sonor, aber auch so entspannt als säße er zu Hause im Wohnzimmer und unterhalte sich mit einem alten Freund.

„In meiner Kindheit gab es anfangs und für viele Jahre nur zwei Fernsehprogramme. ARD und ZDF! Als jemand - wie es heute so schön heißt – aus einer bildungsfernen Schicht bin ich bis heute vor allem zwei Institutionen sehr dankbar, weil sie mir den Zugang zur Bildung ermöglicht haben. Einmal der damaligen Regierung, die es möglich gemacht hatte, über einen zweiten Bildungsweg das sogenannte SPD-Abitur zu machen. Und zum anderen den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, die mir Wissenschaft, Kultur und Politik auf verständliche Weise näher gebracht haben.“ Er räuspert sich.

Hmh? Das war nicht der an der Wand, sondern der echte, der neben mir saß!

„Ich bin daher uneingeschränkt dafür, dass ARD, ZDF, Phönix et al durch Gebühren finanziert werden, um ihren Informationsauftrag unabhängig, vollständig und neutral erfüllen zu können. Nur so ist es möglich, der Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit im Interesse aller Bürger hinreichend Geltung zu verschaffen. Meines Erachtens eine wichtige Voraussetzung, um die soziale Teilhabe aller Menschen sicherzustellen und eine Spaltung der Gesellschaft zu verhindern.“

Sein Gesicht wird größer. Offenbar hat er sich vorgebeugt. Auch der reale van Haaren neigte seinen Oberkörper nach vorn. Er kam jetzt wohl zum Kern der Sache. Sein Blick und seine Stimme werden eindringlicher: „Aber die Spaltung der Gesellschaft scheint voranzuschreiten, bis hin zu einer egoistischen oder unsolidarischen Vereinzelung von Menschen, die sich möglicherweise auch in den Wahlergebnissen und in der Politik widerspiegelt. Und ich stelle mir die Frage: Informieren die Öffentlich-rechtlichen nur darüber, oder tragen sie mit ihrer Berichterstattung auch dazu bei?“

Sein Kopf wird kleiner, er lehnt sich im Sessel zurück und faltet seine Hände. „Wissen Sie, ich bin ein überzeugter Europäer. Sie fragen sich vielleicht, warum ich mich ausgerechnet mit dem deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen beschäftige. Das ist einfach erklärt. Diejenigen, die die Medien finanzieren, bestimmen auch was berichtet wird. Also meistens Verlage und Geldanleger. Und dann gibt es noch die Konzerne, die für ihre Werbung zahlen!“

Er beugt sich wieder ein Stück vor. „Aber es gibt auch das Grundgesetz und den gebührenfinanzierten Informationsauftrag. Wenn es auf der Welt ein Medium gibt, dass die Bürger neutral und vollständig frei von wirtschaftlichen und politischen Zwängen informieren kann, dann sind das ARD und ZDF. Wenn die es nicht tun, dann macht es niemand!“

8. Die Kamera entfernt sich von ihm und zeigt nun einen Besprechungstisch an dem noch drei weitere Männer sitzen.

„Ich freue mich, Sie heute zur ersten Talkrunde unseres Forums ´ARD, ZDF und die Nichtwähler´ begrüßen zu dürfen!“

Er stellt nun die Gesprächsteilnehmer mit ihren Nicknamen vor. Alle drei hätten einen guten Otto Normalverbraucher abgegeben. Mittelgroß, nicht dünn, nicht dick, unauffällige Frisuren und Gesichter, die man wahrscheinlich im nächsten Moment schon vergessen hatte. Vielleicht liegt es ja daran, dass sie im Vergleich zum strahlenden Daniel van Haaren so unscheinbar wirken. Man kann sie eigentlich nur auseinanderhalten, weil Alfred28 im Gegensatz zu den anderen blond und nicht dunkelhaarig ist und, dass Hans4 als einziger einen kurzgeschorenen Vollbart trägt.

Van Haaren bittet sie um ihr Eingangsstatement. Dem wird dann Folge geleistet, wenn auch ohne große Begeisterung.

Hans4 macht den Anfang. „Von mir aus braucht es die Öffentlichen nicht zu geben. Die sehe ich mir sowieso nicht an. Fußball und Filme sehe ich mir bei den Privaten und im Sportkanal an. Für das Forum habe ich mir dann die vorgeschriebenen Sendungen angeschaut und...“

Hier wird er von Daniel van Haaren unterbrochen: “Die Teilnehmer sollten sich an zufällig ausgewählten Tagen die Tagesthemen, das Heute Journal und die Talkshows von Anne Will, Sandra Maischberger und Maybrit Illner ansehen!“

Hans4 nickt. „Genau! Und das war wie erwartet. Immer die gleiche Kiste. Die Großkopferten haben herum schwadroniert, niedrigere Steuern, der Markt regelt alles am Besten und wenn einer sagt, dass die reichen Säcke ruhig etwas mehr für die Schulen und die Ärmeren abgeben sollen...“

Der Moderator hakt ein. „Reiche Säcke? Sie meinen die Besserverdienenden?“

Hans4 schüttelt verärgert den Kopf: „Nein, ich meine das, was Sie jetzt auch gemacht haben. Wenn einer sagen will, dass die Superreichen, deren Leistung vor allem darin besteht, dass sie reiche Eltern hatten und mit ihrem Geld noch mehr Geld verdienen, ruhig etwas mehr für die anderen abgeben sollen, wird er abgewürgt. Und die Moderatoren und Liberalen lenken schnell mit abstrusen Rechenbeispielen oder Einzelfällen und Beispielen aus kleinen Familienbetrieben vom Thema ab. Das geht dann endlos so weiter, bis keiner mehr weiß, wie die Frage war!“

Er atmet angestrengt durch. „Deshalb schaue ich mir den Scheiß nicht mehr an!“

Friederich18 ist anderer Meinung. Klar! Sonst wäre er wohl nicht eingeladen worden. Er meint zwar auch, dass er sich den Mist gar nicht mehr anschauen würde und auf ARD und ZDF gut verzichten könnte. Verlangt auch die Abschaffung der Rundfunkgebühren, weil die beim Fernsehen ja doch nur ihre Backen aufblasen würden. Und Steuersenkungen, denn der Staat tue mit dem Geld ja doch nichts für die Bürger. Im Gegenteil würde alles für völlig unsinnige, noch dazu schlecht geplante Projekte verheizt oder den ganzen Sozialschmarotzern in den Rachen geworfen!

Van Haaren fragt nach. „Und Sie meinen, dass das in den ausgewählten Sendungen nicht richtig dargestellt wird?“

Friedrich18: „Ja ja, anders! Die Mehrheit in den Talkshows denkt wohl wie ich, aber es wird alles so kompliziert dargestellt, dass man das kaum noch erkennen kann. Und die Politiker sagen doch alle das gleiche. Aber jeder meint etwas anderes.“

„Und welche Rolle spielen die Moderatoren oder die Journalisten?“ Van Haarens sachlich interessierter Ton passt nicht ganz zu seiner angespannten Miene.

Friedrich18: „Die sind wohl alle meiner Meinung, glaube ich wenigstens. Aber sie sorgen immer dafür, dass man am Ende noch weniger weiß als vorher!“

„Und Sie! Wie sehen Sie ARD und ZDF als öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten?“, wendet sich van Haaren nun dem dritten Mann am Tisch zu.

„Eigentlich ja gar nicht!“ Alfred28 grinst. „Die erfüllen ihren Informationsauftrag doch nur noch für den DFB. Was zeigen die denn? Fußball, Sport, Kochen, Quizsendungen mit ihren dümmlichen B-Promis. Nachrichtensendungen sind kurz und eher selten. Die kann man doch nur noch sehen, wenn man seinen ganzen Tagesablauf daran orientiert. Wenn ich mal Zeit habe, läuft Fußball oder eine Sendung über Kochen oder Kleingärten. Erst spät in der Nacht hat man die Chance auf Informationen. Und das sind nur wenige, die dann laufend wiederholt werden.“

Er deutet ein herzhaftes Gähnen an: „Objektiv und neutral? Dass ich nicht lache! Ich weiß gar nicht, warum es so viele Journalisten gibt, wenn sie alle nur zum gleichen Thema das gleiche sagen. Über das meiste wird ja gar nicht berichtet. Der reinste Verkaufssender!“

Alfred28 hebt den Kopf und schaut ernst in die Kamera. „Nein, nicht abschaffen, aber die sollen endlich mal ihren Informationsauftrag erfüllen und sich nicht nur selbst beweihräuchern!“

9. Dann war er verschwunden. Nur noch das helle Rechteck und einen Moment später war nicht mal mehr das, sondern nur noch die Wand selbst zu sehen.

Ich wandte mich wieder dem realen Daniel van Haaren zu, der mir nun für einen Augenblick irgendwie geschrumpft und blass erschien. Das brachte mich allerdings dazu, ihn genauer zu betrachten.

Wie soll ich es beschreiben? Wenn man jemanden im Fernsehen erlebt hat, der einem danach in Fleisch und Blut gegenübersitzt, veränderte es den Blick. Jedenfalls bemerkte ich an ihm nun einiges, was mir vorher gar nicht aufgefallen war. Seine ungewöhnlich langen Wimpern, die Augenlider, die sich wie in Zeitlupe bewegten, seine präzise definierten Fingernägel an den erstaunlich kleinen Händen.

Es mag albern klingen, aber ich sah ihn nun so ähnlich, wie eine Mutter ihr Neugeborenes, das sie zum ersten Mal im Arm hält. Dankbar und ungläubig, dass an diesem kleinen Wesen bereits alles dran ist, was jeder gesunde Mensch hat. Etwas beinahe normales, das man in diesem Moment als kleines Wunder erlebt.

Ich strich eine Strähne, die mir ins Gesicht gefallen war, nach hinten. So, als wollte ich meine Gedanken zur Seite schieben.

Van Haaren warf Karlheinz einen ernsten Blick zu, der dann weiter zu mir wanderte und durch ein kleines Lächeln aufgelockert wurde. „Nun, es wäre tatsächlich zu wünschen, dass der Informationsauftrag besser wahrgenommen wird. Leider wird Alfred28 das nicht mehr erleben. Er ist ja wenige Wochen nach dieser Talkshow ums Leben gekommen!“

10. Van Haaren runzelte die Stirn. „Kommen wir zur zweiten Show! Beginnen wir mit dem Heute Journal vom 9.10.18.“ Er drückte einige Tasten und an der Wand erschien in Übergröße die wie immer bedenklich ernste Miene von Klaus Kleber: „Für die Bundesumweltministerin war heute kein sonniger Tag. Gestern noch musste sie nach den neuen Meldungen über die Erderwärmung Treue zum Klimaschutz schwören und heute ihren europäischen Kollegen dann erklären, dass sie selbst …. deutsche Regierung drastische CO2-Senkungen nicht durchsetzen kann, weil ihre Koalition das nicht erlaubt, was die Klimaforscher für zwingend notwendig halten. Und dann hagelt es heute auch noch das Berliner Urteil. Es war und ist für die deutsche Ministerin gerade nicht lustig im Kreis der EU-Kollegen als Umweltminister. Bobachtungen von …!“

Nun folgt ein Bericht mit Stellungnahmen von Fachleuten, Politikern und Verbandsvertretern. Es wird deutlich, dass die Schulze etwas tun muss, das falsch ist und das sie selbst nicht will. Die Fragwürdigkeit der politischen Entscheidungen und der SPD vor dem Hintergrund der Regierungskoalition wird an den Pranger gestellt.

In der Tat! Die Schulze kann einem leid tun, aber auch die Bürger unseres Landes.

Van Haaren hat schon weiter geschaltet. Ingo Zamparoni griff das Thema an diesem Abend in den Tagesthemen ebenfalls auf.

In dem folgenden Bericht lässt die Umweltministerin sogar einen flammenden Appell los. Für strengere Vorgaben, muss aber selbst gegen ihre Kollegen stimmen, die genau das fordern. Absurd!

Und dann folgt noch ein Bericht über die grauen Wölfe. Türkische, teils kriminelle Faschisten, die unbehelligt immer wieder als Schutztruppe ohne Probleme selbst in den Sicherheitsbereichen um Erdogan in Erscheinung treten.

Die Statements der ´Nichtwähler´ habe ich kaum lesen können, so schnell scrollte van Haaren sie durch. Nur, das man nicht besonders nett miteinander umging, habe ich noch mitbekommen.

„In der Talkshow wird das ganze ein wenig deutlicher!“, erklärte van Haaren uns und startete auch schon die Aufzeichnung.

Wieder führt er als Moderator souverän, beinahe schillernd durch seine Talkshow. Diesmal hat er aber zumindest optisch eine durchaus ernstzunehmende Konkurrenz bekommen. Und zwar Kemal7, einen türkisch aussehenden Mann, der an den jungen Erol Sander erinnert. Zwischen Gerhardt15, der mit Scheitel und Bierbauch recht bieder wirkt und dem glatzköpfigen, untersetzten Rolf1 sticht er regelrecht ins Auge.

Inhaltlich erwartete ich eigentlich nichts Neues und hörte nur mit halbem Ohr hin.

Jetzt wird van Haaren etwas lauter und setzt sich freundlich, aber bestimmt dafür ein, sein Gegenüber ausreden zu lassen und nicht persönlich zu attackieren.

„Sie meinen, nicht so wie bei den Journalisten und Moderatoren im Fernsehen? Da unterbrechen sich die Teilnehmer ja ständig. Vor allem einige Männer lassen die anderen kaum mal ausreden. Und die Moderatoren zitieren immer wieder verkürzte Formulierungen einzelner und hetzen die Politiker gegeneinander. Die wollen keinen sachlichen Austausch von Argumenten, sondern Blut sehen!“ Kemal7 schüttelt verächtlich den Kopf.

Van Haaren und die anderen am Tisch sehen ihn erstaunt an. Auch ich war irritiert und wurde hellhörig.

Kemal7 ist immer noch empört. „Da wird diese komische, kleine Frau Ministerin von der SPD vorgeführt. Aber die CDU, deren Kanzlerin die Richtlinienkompetenz hat, wird mit keinem Wort erwähnt! Aber Weglassen von Informationen vereinfacht ja bekanntlich die Meinungsbildung!“