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Eigentlich habe ich mein Leben im Griff. Lange genug hatte es ja auch gedauert. Ich bin sogar verheiratet. Glücklich. Mit einem Mann, dessen nüchterne Rationalität die perfekte Ergänzung zu meinen Bauchgefühlen ist. So dachte ich wenigstens. Niemals hätte ich damit gerechnet, dass meine Hilfsbereitschaft einmal solche Wellen schlägt. Schließlich würde doch jeder einem alten Freund unter die Arme greifen, wenn dem das Wasser bis zum Hals steht. Zugegeben. Ein wenig komplizierter war das Ganze schon. Aber wie das eben so ist. Manchmal verrät einem die Vergangenheit ja mehr als die Gegenwart. Und dann kommt das Eine zum Anderen bis einem die eigenen Erinnerungen um die Ohren fliegen.
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Seitenzahl: 339
Veröffentlichungsjahr: 2020
Prolog
5. Dezember 2018: Ein alter Freund
12. Dezember 2019: Moralischer Bestand
15. Dezember 2018: Zufälle
16. Dezember 2018: Detlevs Buchung
10. Januar 2019: Puerto Mogan
12. Januar 2019: Wanderung
Bodega
13. Januar 2019: Überreagiert
14. Januar 2019: Böses Erwachen
15. Januar 2019: Abholung
16. Januar 2019: Carmen
Transfer
Ein Helfer
Naheliegend
Geschäftspartner
Geständnis
Staatsfernsehen
17. Januar 2019: Anwalt und Notar
Hilfestellung
Entscheidungsfindung
Auf Umwegen
18. Januar 2019: Verabredung
20. Januar 2019: Böses Erwachen
Ein Überfall
Ein Blumenstrauß
21. Januar 2019: Ein Ferienhaus
Mietwohnungen
23. Januar 2019: Eine Idylle
Die Karlows
24. Januar 2019: Botschaften
Unerwünschte Lösungen
25. Januar 2019: Schlüsselfragen
Ein Barbesuch
Optische Täuschung
Spieglein an der Wand
26. Januar 2019: Oben und unten
Diagnose 2004
27. Januar 2019: Von Frau zu Frau
28. Januar 2019: Informelle Mitarbeit
Ein Lauschangriff
Das Ohr des Vorgesetzten
Ein Anruf
29. Januar 2019: Der Weg des Geldes
1. Februar 2019: Single-Dasein
2. Februar 2019: Angebote
6. Februar 2019: Sanas Pension
7. Februar 2019: Der Zettel
10. Februar 2019: Ein Verhör
Im Feuer gehärtet
Kartons
12. Februar 2019: Ein fast perfekter Abend
Herausgerissen
19. Februar 2019: Verpasst
22. Februar 2019: Vor Gericht
Nachtragend
Verfolgt
Heilpraktiker
27. Februar 2019: Ein magischer Moment
Telefonate
1. März 2019: Ein offenes Gespräch
2. März 2019: Katerfrühstück
Nachbesprechung
7. März 2019: Ein Notfall
Geheimnisträgerin
Sommer 2004: Bildbearbeitung
8. März 2019: Oxymoron
9. März 2019: Angeklagter Olten
Blinde Justiz
11. März 2019: Einer von den Guten
12. März 2019: Ordnung schaffen
14. März 2019: Risiken und Nebenwirkungen
Frühjahr 2004: Ein Ritual
Krümmung der Zeit
Suggestion
18. März 2019: Paul Auster
20. März 2019: Ein letzter Versuch
Der Einstieg
Auf der Suche
Orientierung
Zielgerade
Geständnisse
Die Schlacht
Prolog
Vielleicht ist das ja ein Problem in festen Beziehungen. So ganz genau weiß niemand, wie das mit den Gefühlen langfristig eigentlich funktioniert. Und wenn man erst einmal darüber nachdenkt, kommt man oft zu dem Ergebnis, dass irgendetwas fehlt.
Das ´gewisse Etwas´ sagt man wohl. Schon verrückt, etwas gewiss zu nennen, von dem man eigentlich gar nicht weiß, was es denn ist.
Und ausgerechnet dafür sind manche bereit alles, was sie sich in vielen Jahren aufgebaut haben, aufs Spiel zu setzen.
Oft genug ist dieses sogenannte gewisse Etwas ja nicht nur eine Fata Morgana, sondern auch ein schwarzes Loch. Eines, in dem Vertrautheit und Wertschätzung am Ende ebenso verschluckt werden wie die gegenseitige Zuneigung.
1. Liebes Tagebuch. Es ist lange her, dass ich mich Dir anvertraut habe. Doch jetzt ist es wieder so weit. Tobias hat sich nämlich wieder bei mir gemeldet. Nach mehr als zehnjähriger Funkstille! Anfangs habe ich gezögert mich überhaupt mit ihm zu treffen.
Unsere Emails und Telefonate waren von distanzierter Kürze und geeignet den Kontakt schnell wieder einschlafen zu lassen.
Aber dann hat mich Detlev angerufen. Er wolle sich ja nicht einmischen. Es ginge ihm nur um Tobias.
Der würde wohl ein wenig durchhängen und könnte etwas Aufmunterung vertragen.
Sein Hinweis, dass ich ja wüsste, wie das wäre, beseitigte die letzten Zweifel. Er befürchtete offenbar, dass Tobias sich das Leben nehmen könnte. Es würde ihm sehr helfen, mal wieder mit einer alten Freundin zu reden, hatte er zum Schluss gesagt.
2. Nach meinem ersten Treffen mit Tobias konnte ich Detlevs Sorge durchaus nachvollziehen. Der ´Hansdampf in allen Gassen´ freute sich mit mir über mein stilles Glück mit Willy und warf sich sein Versagen vor. Ebenso zornig wie deprimiert rechnete er gnadenlos mit sich ab,
Seine egoistische Rücksichtslosigkeit den ´einsamen Wolf´ zu geben, hätte alle vor den Kopf gestoßen und nun stünde er als ´verirrtes Schaf´ alleine da.
Das ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Auch nicht, dass Detlevs Beschwörung der alte Zeiten an mein Gewissen appellierte.
3. Über meine Verabredungen mit ihm habe ich Willy selbstverständlich informiert. Dass ich mit Tobias in Erinnerungen geschwelgt hatte, in alten Zeiten, als sie noch jung und intensiv gewesen waren, behielt ich natürlich für mich. Auch wie zufrieden, beinahe begeistert ich war ihn damit ein wenig aufmuntern zu können.
Gleichwohl ahnte Willy wohl was los war. "Wird das Gestern wieder jung, sieht das Heute ziemlich alt aus!", hatte er einmal auch frustriert gebrummt.
Na ja. Seine Deutung von Worten und Taten fand manchmal Erklärungen, die die Ereignisse in einem merkwürdigen Licht erscheinen ließen.
Persönlichere Themen, wie sie unter alten Freunden üblich waren, erwähnte ich danach nicht mehr. Das fiel mir schwer. Tobias hatte ja so einiges durchgemacht.
Ich erzählte Willy zuletzt kaum noch etwas von diesen Abenden. Oder von den vorangegangenen Telefonaten.
Allerdings musste mir einmal herausgerutscht sein, dass Tobias in Lemmer wohnte und einige Häuser in Duisburg besaß. Dass es da wohl ein paar Probleme gäbe, über die er jedoch nicht reden wollte.
"Willst Du ins Maklergeschäft einsteigen oder ziehen wir um?", war Willys einziger Kommentar gewesen.
"Spare Dir Deine Ironie. Ich finde das nicht lustig!", hatte ich zurück gegeben.
"Warum? Laut Sokrates ist Ironie doch nur ein Weg, um zu erfahren, wie Kenntnisstandfest der andere ist!", war ich von ihm belehrt worden.
4. Schließlich gab ich es ganz auf, mit ihm darüber zu reden. Detlevs Anruf habe ich gar nicht erst erwähnt. Darüber hätte er sich doch nur aufgeregt.
Außerdem wird mein Kontakt zu Tobias bald sowieso ein Ende finden. Ich habe ihm meinen Urlaub mit Willy ja bereits angekündigt und dass ich für zwei Wochen nicht erreichbar sein würde.
1. Ich habe die Rechnung ohne Detlevs berüchtigte Fürsorglichkeit gemacht, die mir wieder mal das Heft des Handelns aus der Hand nahm.
Er befürchtete nämlich, dass sich Tobias in meiner Abwesenheit etwas antun könnte und schwang den moralischen Zeigefinger. Auf einen meiner vielen Urlaube könnte ich ja wohl verzichten oder ihn zumindest verschieben.
Im Grundsatz konnte ich ihm da nicht widersprechen. Doch da war ja auch noch Willy, der glaubte, dass meine Treffen mit Tobias nun allmählich im Sande verlaufen würden.
Ich habe also die Wahl ihm gegenüber die Karten offen auf den Tisch zu legen oder Tobias klarzumachen, dass ich auf jeden Fall an meiner Urlaubsplanung festhalten werde.
Vielleicht sollte ich noch mal mit ihm reden. Ein Gespräch in angenehmer Atmosphäre könnte es mir ja leichter machen, eine Lösung zu finden, mit der auch er leben konnte.
1. Gestern hatte ich mich mit Tobias in der ´Fichte´, einem gemütlichen Kneipenrestaurant, getroffen. In der Hoffnung auf einen Abend mit entspannter Nostalgie und einem Ausgang der uns beiden gerecht würde.
Doch dazu kam es erst mal nicht. Denn kaum hatten wir uns hingesetzt, klingelte sein Handy. „Schalte es doch einfach aus“, hatte ich ihn gebeten. „Das kann doch wichtig sein“, brummte er und nahm das Gespräch an.
Das ärgerte mich nicht wenig. Und dann sagte er auch noch wo wir zu finden waren. Kein guter Auftakt für ein persönliches Gespräch.
2. Eine Viertelstunde später tauchten zwei Männer auf und setzten sich zu uns. Ohne zu fragen! Sie stellten sich mir mit dem selben Namen vor. Den habe ich vergessen, obwohl er die einzige Gemeinsamkeit der beiden war.
Der eine war charmant und ausgesprochen attraktiv. Der andere weder das eine noch das andere. Abgesehen von einigen höflichen Floskeln sprachen sie ausschließlich mit Tobias. Und zwar sehr leise.
3. Der attraktivere der beiden hielt ihm dann ein Foto unter die Nase. "Das ist in Hannover gemacht worden!"
Ich konnte das Bild nur für einen kurzen Moment und verkehrt herum sehen. Eine seriös wirkende Blondine mittleren Alters und ein Mann, die an einem Tisch saßen. Sie schien sehr aufgeregt zu sein und gestikulierte wild.
Der Mann war unauffällig. Ohne den fixierenden Blick seines weiblichen Gegenübers hätte ich ihn gar nicht wahrgenommen.
4. Die Gesprächsfetzen, die ich aufschnappen konnte, sagten mir nicht viel. Angeblich war irgendeine ´Russenmafia´ in Madrid zerschlagen worden. Russische Mafia in Madrid? Es war von einer ´architektura popular´ die Rede, einer S.L. mit Sitz in Puerto Mogan.
Mir fiel ein, dass Willy sich einmal darüber aufgeregt hatte, wie schwer es sei, eine spanische S.L. juristisch zu belangen. Und Puerto Mogan auf Gran Canaria gehörte ja zu Spanien!?
Als ich ihn gefragt hatte, was es für Probleme mit dieser Firma gäbe, war seine Antwort so albern gewesen, dass ich sie nicht ernst nehmen konnte. "Na ja, schon. Wir haben jetzt die Vertragsprüfung von Immobilienkäufen und Beschaffungen für die Verwaltung am Hals. Selbst bei den Büroklammern gibt es Probleme!" Lachhaft!
Kurz darauf war mir auch ein Brief an meinen Mann in die Hände gefallen, auf den ich mir keinen Reim machen konnte. Angeblich wusste Willy weder mit dem Brief noch seinem Absender etwas anzufangen.
Na gut! Der Brief war auch nicht aus Spanien gekommen, sondern aus Kiew.
Andererseits? In diesem Jahr hatte Willy unseren Urlaub für Gran Canaria gebucht. Und zwar in einem Hotel, dass in Puerto Mogan lag. Er hatte wieder mal auf den Kanarischen Inseln bestanden, obwohl er wusste, dass ich nicht so gerne flog.
5. Kaum waren die beiden Männer gegangen, fragte ich Tobias, was sie denn von ihm gewollt hätten. ´Geschäfte´ fertigte er mich ab. So, wie er es darstellte, musste ich froh sein, dass er mir die langweiligen Details ersparte. Aber warum war er so nervös gewesen?
Hmh? Entweder steckte er in Schwierigkeiten oder es hatte mit der Blondine auf dem Foto zu tun. Oder mit Puerto Mogan? Oder hing das alles zusammen? Vielleicht wusste Willy ja etwas über diese Firma!
6. Im Verlaufe des Abends dachte ich weiter darüber nach. Auch während ich mit Tobias über unsere alten Zeiten plauderte. Einige Gläser später war ich sicher, dass hier der Grund für seine Depressionen lag. Und die Symptome zu bekämpfen, beseitigte ja nicht die Ursachen.
Der weinselige Optimismus in meinem Kopf meinte plötzlich, dass ´dem Mutigen die Welt gehöre´, dass man ´um Nägel mit Köpfen zu machen, einen Hammer brauche´. Also schmiedete ich einen Plan, der dann auch entsprechend ausfiel.
Wortreich klagte ich darüber, dass die Beziehung mit Willy im Tal der Gewohnheit angelangt und es höchste Zeit sei, etwas dagegen zu unternehmen. Deshalb sei dieser Urlaub zu zweit für uns so wichtig.
Obwohl ich es an der notwendigen Dramatik nicht fehlen ließ, war es nicht leicht gewesen, ihn zu überzeugen. Er kannte meinen Mann ja kaum, wie er richtigerweise feststellte.
Die alten Erinnerungen und sein bemerkenswerter Alkoholpegel trugen das ihre dazu bei, dass er sich am Ende von meiner theatralischen Hartnäckigkeit überzeugen ließ.
1. Wenn das nicht übergriffig war! Detlev hatte doch tatsächlich versucht für Tobias in der gleichen Zeit wie wir einen Urlaub auf Gomera zu buchen.
Das hatte nicht so ganz geklappt, weil in unserem Urlaubsort und in der Nähe nichts mehr frei war. Meine Erleichterung war nur von kurzer Dauer. Denn das Reisebüro hatte ihn auf Wunsch von Detlev auf eine Reserveliste gesetzt.
Nicht zu fassen. Jetzt musste mich auch noch überraschen lassen, ob und gegebenenfalls wann Tobias in meinem Pärchen-Urlaub mit Willy aufschlagen würde.
2. Ich war auch wütend auf mich selbst. Denn ich hatte mich von Detlev bequatschen lassen, mich nun sogar im Urlaub ein wenig um Tobias zu kümmern.
Und als sei das noch nicht schlimm genug, sollte ich ihm dabei auch noch das Gefühl geben, dass er mir damit einen Gefallen tat.
Das war der Moment gewesen, in dem ich beschloss wieder Tagebuch zu führen. Als Gesprächspartner-Ersatz sozusagen. Denn wenn ich mit Willy über Detlevs Bitte sprechen würde, konnte ich wahrscheinlich nicht nur den Urlaub abhaken.
Außerdem wusste ich ja nicht, ob Tobias überhaupt an unserem Urlaubsort auftauchen würde.
Offen gestanden hoffte ich ja immer noch, dass die Reserveliste nicht zum Zuge kam.
3. Es gab noch ein anderes Problem: Im Urlaub vor zwei Jahren hatte ich mit Willy gestritten. Ständig schaute er in den dienstlichen Email-Account seines Smartphones.
Er ärgerte sich viel zu oft. Ich brauchte fast eine Woche, bis er schließlich zustimmte. Und mir versprach, in die nächsten Urlaube weder Smartphone noch Laptop mit zu nehmen.
Das gleiche würde natürlich auch für mich gelten. Diesen Entschluss feierten wir am Abend sogar in einem schicken Restaurant.
4. So ein Mist! Ohne Handy und Laptop hatte Tobias natürlich keine Chance, mich zu benachrichtigen. An der Rezeption konnte er schlecht anrufen. Willy wäre sicher alles andere als begeistert, wenn Tobias mich auch noch im Urlaub anrufen würde.
Verdammt noch mal! Musste das Schicksal auch noch ironisch werden? Wir konnten uns im Urlaub tatsächlich nur ´zufällig´ über den Weg laufen.
1. Ich habe Tobias nun drei Wochen lang nicht gesehen, war aber bis vor acht Tagen per Mail und telefonisch mit ihm in Kontakt geblieben. Doch er hatte immer noch nicht gewusst, ob er nun kommen würde.
Die erste Woche auf Puerto Mogan zog sich hin. Willy und ich hingen ständig am Hotel herum, waren kaum einmal getrennt. Nur einmal sah ich ihn für ein paar Minuten mit einem Mann im dunklen Anzug zusammen stehen. Und später an der Rezeption.
Ich war aber zu weit entfernt, um zu verstehen, was sie redeten. Dass es nur um das Wetter gegangen war, konnte Willy jemand anderem erzählen. Hier gab es doch außer Sonnenschein gar kein Wetter!
2. Und dann lief Tobias uns bei einem Spaziergang über den Weg. Ich erschrak, war aber auch irgendwie erleichtert. Endlich hatte die Ungewissheit ein Ende. Und musste ich mich nicht mehr in der Nähe des Hotels herumtreiben, um ihn nicht zu verpassen.
Von nun an versuchten wir gemeinsam Willy zu irgendwelchen Aktivitäten zu bewegen. Ich war sogar über meinen Schatten gesprungen und brachte Willys große Leidenschaft ins Spiel.
"Wollen wir nicht mal mit einem Segelboot raus fahren?", fragte Tobias meinen Mann und mich.
"Keine schlechte Idee. Aber leider wird Lisa seekrank!" Nutzte er mich als Vorwand, um möglichen Gesprächen aus dem Weg zu gehen?
Doch so leicht ließ ich ihn nicht davon kommen. "Ach, so schlimm ist das nicht", widersprach ich, "von mir aus gerne." "Wie wäre es mit diesem alten Dreimaster, der da im Hafen liegt. Der sieht toll aus", schwärmte mein Verbündeter.
"Hmh?", kam Willys Antwort nur gebrummelt. "Du kannst uns ja erklären, wie an Bord alles so funktioniert", schlug ich in die gleiche Kerbe. Auf dieses Thema war Willy meistens angesprungen. Doch diesmal sah er mich nur skeptisch an.
"Ja, das würde mich auch interessieren!" Tobias schaute in das Faltblatt in seiner Hand. "Die legen vormittags um zehn Uhr ab."
3. Am nächsten Morgen wollte Willy dann tatsächlich rausfahren. Dabei war es ganz schön windig. Es stürmte regelrecht. Ahnte er etwas und schickte nun die Retourkutsche los?
Wollte er mich grün und kotzend über der Reling hängen sehen?
Natürlich fiel es mir unter diesen Bedingungen nicht leicht ihm zuzustimmen.
Da rannte er auch schon beleidigt, ohne ein Wort zu sagen, aus dem Zimmer. Während ich noch überlegte, ob ich ihm nachlaufen sollte, kam der Anruf von der Rezeption. Tobias wartete bereits im Foyer.
Wir waren uns schnell einig, dass Willy schon zum Hafen gegangen sein musste.
Und dass er mich vor vollendete Tatsachen stellen wollte. Ich schluckte meinen Ärger herunter und machte mich mit Tobias ebenfalls auf den Weg.
4. Unterwegs blieben wir ein paar mal stehen und schauten aufs Meer. Am blauen Himmel war keine Wolke zu sehen, doch das Meer war rau. Besorgt sah ich die weiße Gischt auf den Wellenbergen und verfolgte das Schaukeln einer kleinen Segelyacht, die an der Küste vorbeizog.
Doch es war nicht zu leugnen, dass sich das Wasser allmählich beruhigte und auch der Wind nach ließ. Vielleicht konnten wir es ja doch versuchen.
Leider hatte ich die Zeit aus den Augen verloren. Als wir den Hafen erreichten, war es auch fast schon zu spät gewesen.
Auf dem dem Boot drängten sich bereits die Touristen. Die Crew hantierte mit den Tauen und bereitete das Ablegemanöver vor. Wir vermuteten, dass Willy bereits an Bord gegangen war und dort auf uns wartete. Also kletterten wir auf das Schiff, um ihn zu suchen. Auch unter Deck.
Vergebens! Aber da hatten wir schon abgelegt und konnten nicht mehr an Land zurück. Glücklicherweise hielt Tobias mich davon ab, es in meiner Panik trotzdem zu versuchen.
Es dauerte eine Weile bis wir unsere Enttäuschung überwunden hatten. Wir beschlossen, das Beste daraus zu machen und den Törn so gut wie möglich zu genießen.
5. Am Nachmittag kamen wir mit einem mulmigen Gefühl zurück. Wie erwartet war Willy schlecht gelaunt.
Wir entschuldigten uns und erklärten ihm das Missverständnis. Versuchten ihn aufzumuntern.
Erzählten, was wir auf unserem Ausflug erlebt hatten. Doch er hörte kaum zu und bemerkte nur, dass seine Segeltörns viel interessanter gewesen wären. Am Ende ließ er uns einfach sitzen.
Und als ich später auf unser Zimmer kam, lag er angezogen auf dem Bett und schnarchte.
1. Erst heute morgen bemerkte ich, dass ich die Nacht neben einer Schnapsleiche verbracht hatte.
Schnell wurde deutlich, dass er frühestens am Nachmittag wieder zu etwas zu gebrauchen sein würde. Sollte ich den ganzen Tag im Hotel verbringen? Nein, ich hatte schon eine ganze Woche lang hier herumhängen müssen.
Der Frust der letzten Tage setzte sich über mein schlechtes Gewissen hinweg. Ich musste endlich mal eine größere Entfernung zwischen mich und das Hotel legen. Am besten eine Wanderung machen! Da Tobias nun hier war, musste ich ja nicht alleine los.
2. Am Nachmittag kam ich mit müden Gliedern und schlechter Laune zurück in unser Zimmer.
Die Wanderung mit Tobias war nicht so toll gewesen. Er hatte nur gemault. „Wie lange müssen wir noch?“ Oder. „Das müsste doch reichen.“ Er hatte keine Lust und sich nur breitschlagen lassen, um mich von meinen Gedanken an den besoffenen Willy abzulenken.
Der schien immerhin einigermaßen wieder hergestellt zu sein. Er überraschte mich sogar und schlug mir einen Abend in einer romantischen Bodega vor, die er entdeckt hätte. Um mit mir über uns zu reden und vielleicht sogar zu tanzen.
Die letzten Tage zeigten offenbar Wirkung. Also stimmte ich zu. Vorsichtshalber bestand ich aber darauf, nur in die Hotelbar zu gehen. So, wie seine Gesichtszüge entgleisten, hatte er sich das wohl anders vorgestellt. Aber er nickte.
3. Am Abend saßen wir dann an einem gemütlichen Tischchen in einer ruhigen Ecke der Bar. Ideal für ein persönliches Gespräch.
Doch meine Versuche vernünftig und offen mit ihm zu reden verliefen allesamt im Sande. Er beantwortete meine Fragen zu seinem Job nur ausweichend oder gar nicht.
Stattdessen fragte er mich über meine heutige Wanderung aus, als wollte er einen Inselführer aktualisieren. Dabei war er so kalt und distanziert als interessierten ihn die Antworten nicht mal. Er schien mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein.
4. Natürlich hatte ich Tobias Bescheid gegeben. Ich konnte ihn in seiner Verfassung ja schlecht alleine lassen.
Er war dann auch pünktlich zur Stelle, hatte aber wohl etwas missverstanden. Denn er glaubte, ich wollte Willy eifersüchtig machen. Jedenfalls forderte er mich zum Tanzen auf.
Das begann zunächst etwas bemüht, weil mein Ärger seinen eigenen Takt hatte. Und, weil Tobias durch die Gegenwart meines Mannes ziemlich gehemmt war. Oder er war frustriert, weil meine Körpersprache eindeutig signalisierte, dass ich kein bisschen an ihm interessiert war.
Nein, das konnte ich Tobias nicht antun. "Auf Willy müssen wir nun wirklich keine Rücksicht nehmen", flüsterte ich ihm also zu und legte einen Tango aufs Parkett, der es in sich hatte.
Okay, vielleicht ein wenig übertrieben, aber für ein paar Minuten machte es mir sogar Spaß. Bis sich dann mein schlechtes Gewissen meldete.
5. Als ich einen kurzen Blick zu unserem Tisch warf, traute ich meinen Augen nicht. Willy würdigte die Tanzfläche keines Blickes, sondern war in ein Gespräch mit einem anderen Mann vertieft. Ein halbseidener Typ, der lebhaft auf Willy einredete und immer wieder vielsagend in meine Richtung schaute.
Und Willy? Der war offenbar froh nicht auf die Tanzfläche zu müssen.
6. "Das müsste reichen!", hauchte Tobias mir ins Ohr, als er bemerkte, dass ich aus dem Rhythmus gekommen war. Oder wollte er nicht weiter vor Willys Augen mit mir herummachen?
Der Feigling. Mein Groll meldete sich gleich doppelt zurück. "Lass uns das Lokal wechseln!" Mein Tanzpartner zögerte, aber ich blieb hart.
1. Wir landeten in einer ´Bodega´ mit dem originellen Namen ´Beach´ am Strand und Blick aufs Meer.
Es trat ein, was ich befürchtet hatte. Kaum saßen wir am Tisch, schauten wir uns auch schon ratlos an und zuckten mit den Schultern.
Da Willy uns hier nicht sehen konnte, gab es keinen Grund unseren harmlosen Flirt fortzusetzen. Oder doch?
"Da hinten, ganz unten am Himmel, das ist die Venus." Tobias zeigte in die Richtung. Was sollte das denn? Wurde er jetzt romantisch?
Mein Blick folgte seinem Zeigefinger. Auch das noch. Wollte er mich auf den Arm nehmen? "Das ist das Top-Licht von einem Fischerboot!", brummte ich verärgert.
Ich hätte heulen können, als er auch noch sagte: "Es ist doch richtig schön hier." Die Ironie in seinen Worten war kaum zu überhören. Dabei deutete er mit dem Kinn auf die Kerze vor uns, die gerade aufflackerte und erlosch.
Eigentlich hätte es mich freuen müssen, dass er sich amüsierte. Klar, ich hatte ja auch einiges dafür getan. Geht es nicht jedem von uns besser, wenn wir über andere Beziehungen reden, in denen es nicht so gut läuft?
Hmh? Dass meine Beziehungsprobleme mit Willy lediglich vorgeschoben waren, um Tobias etwas aufzumuntern, hatte ich fast vergessen.
2. Das Gefühl beobachtet zu werden, lenkte mich für einen Augenblick ab. Ich sah mich in dem fast leeren Lokal um.
6. Außer einem jungen Paar an einem entfernt stehenden Tisch, saß nur noch ein Mann mittleren Alters an der Theke. Er trug einen hellen Anzug und schaute mit ernster Miene auf das Wasser. Nein, der hatte wohl nur zufällig mal in unsere Richtung gesehen.
"Kanntest Du den Mann mit dem sich Willy in der Hotelbar unterhalten hat?", fragte ich Tobias, der meinem Blick gefolgt war.
"Tut mir leid. Ich habe niemanden gesehen!", brummte er irritiert. Enttäuscht sprach ich aus, was in seinem Gesicht zu lesen war. "Was machen wir hier eigentlich?"
Er zuckte ein wenig zusammen und gab beinahe vorwurfsvoll zurück. „Das frage ich mich auch.“
Wenigstens ließ mein Galgenhumor mich nicht im Stich und meinte: "Na ja. Wir geben ihm zu denken!" Tobias lachte laut.
3. Das weitere Gespräch drehte sich darum, wie es nun weiter gehen sollte. Kam aber zu keinem Ergebnis. Lustlos streiften wir auch unsere gemeinsame Vergangenheit.
Wir bestätigten uns so eindringlich, dass wir heute nichts weiter von einander wollten, als wollten wir uns eine Quittung ausstellen.
4. "Wie läuft es denn bei Dir im Job?", wechselte er das Thema. Ich versuchte, mich zu entspannen. "Na ja, im Job ist nur der übliche Wahnsinn. Du kennst Volker ja." "Das kann ich mir vorstellen. Kannst Du nicht kündigen und Dir was Neues suchen?"
Er grinste. "Natürlich in umgekehrter Reihenfolge." "Ich, in meinem Alter? Ich bin neunundvierzig!" Es klang empörter, als ich war.
"Entschuldige, aber das ist doch nicht zu alt. Ich kenne da einige Fälle", trat er ebenso ahnungslos wie heftig in mein spezielles Fettnäpfchen.
"Ja, die kenne ich auch." Meine Gedanken nahmen nun eine Richtung, die mir überhaupt nicht passte. "Lass uns zurück gehen!", sagte ich so freundlich, wie es mir noch möglich war.
5. Aber es war zu spät. Auf dem Heimweg, den wir schweigend zurücklegten, war sie wieder in meinem Kopf. Die Erinnerung an den Urlaub auf dieser Insel vor fünf Jahren.
Willy war nicht mehr zufrieden in seinem Job. Obwohl in leitender Position und ganz gut bezahlt.
"Dann ändere doch was!", war ich energisch geworden. Ausflüchte, wie Ortswechsel und Wochenendbeziehung ließ ich nicht gelten. Ich ahnte ja damals nicht, dass sich der träge Willy einen Monat später auf eine andere Stelle bewerben würde.
Auf die des Leiters einer Verwaltungsbehörde. Und sie unerklärlicher Weise auch bekam. Obwohl er in einem Alter war, in dem sich andere auf ihren Ruhestand vorbereiteten.
Er dagegen hatte sich in die neue Herausforderung regelrecht hinein gestürzt. So sehr, dass ich schnell bedauerte, ihn zu diesem Schritt veranlasst zu haben.
1. Und nun? Warum habe ich mir die ganze Mühe gemacht? Als ich mit Tobias zurückkam, war Willy verschwunden.
Meine Stimmung ließ sich Zeit beim Treppensteigen. Die Stufe reuige Enttäuschung war nur langsam zu überwinden. Von der Irritation bis zum Ärger über das rücksichtslose Verhalten meines Mannes ging es dann ganz leicht.
Wütend warf ich mich aufs Bett. Das war zwar dramatisch, half aber auch nicht weiter.
Nach ein paar Minuten stand ich wieder auf und durchsuchte das Zimmer. Nichts! Als wäre er nie hier gewesen. Sogar sein Bett war gemacht. Nur seines. Während meine Seite noch so knuddelig war, wie ich es verlassen hatte. Ein Doppelbett, das nur von einer Person benutzt worden war. Das Kissen auf der ordentlich gemachten Hälfte des Bettes grinste mich höhnisch an.
Ich war erschöpft. So lange wach zu bleiben und frustriert abzuhängen war ungewohnt und anstrengend. Die Bars hingen mir inzwischen zum Hals heraus. Meine Mundwinkel zeigten nach unten. Ich versuchte zu lächeln. Das sah im Spiegel des Schrankes furchterregend aus.
Die Uhr zeigte, dass es erst kurz nach Mitternacht war. Als ich mich im Foyer von Tobias verabschiedet hatte, war die Rezeption noch besetzt gewesen. Ein Funken Hoffnung schimmerte einfältig durch meine Gedanken.
Ich verließ das Zimmer und stöckelte durch den langen Flur. Mit dem Fahrstuhl nach unten. Das Foyer war menschenleer und im halbdunkel. Nur die Rezeption war hell beleuchtet, wie eine Bühne.
2. Die schlanke, dunkelhaarige Frau hinter der Theke war um die vierzig. Ich hatte mit ihr vor gut einer Woche beim Einchecken gesprochen.
"Wo ist Herr Olten?", platzte ich heraus. Mein Gegenüber sah mich verdattert an. Das, was ich als Antwort erhielt, konnte nicht stimmen.
Wieso sollte Willy an der Nordsee sein? Ach so, nein, sie sprach ja spanisch. Mein Gott, war ich durch den Wind. "No se´", wiederholte die Frau. Wo war ihr gutes Deutsch geblieben? Ich wurde unsicher. Vielleicht war sie ja nur eine Kollegin, die ihr ähnlich sah.
Auf ihrem Namensschild stand ´Carmen´. Wie sollte sie auch sonst heißen? Ich wiederholte meine Frage, wandelte sie ab, erklärte, wer ich war und wen ich suchte.
Als ich von ´meinem Mann´ sprach, erntete ich statt einer Antwort nur eine spöttisch erhobene Augenbraue.
Sie müsse uns doch in den letzten Tagen gesehen haben, beschwor ich in verärgerter Resignation; bekam aber nur unverständliche Worte zu hören, die von ihrem anklagenden Zeigefinger unterstrichen wurden.
Die meiste Zeit über vermied sie jeden Blickkontakt. Als sie mich schließlich doch ansah, konnte ich das schlechte Gewissen zwischen uns spüren; zögernd, als wisse es noch nicht, wer von uns beiden es bekommen sollte.
3. Enttäuscht ging ich zurück auf mein Zimmer, griff zum Telefon, das auf dem Nachtisch stand. Mein Finger schwebte bereits über der Tastatur als es mir wieder einfiel.
Verdammt. Willy hatte sein Handy ja zu Hause gelassen und ich nicht die geringste Ahnung wo er jetzt war.
Also wählte ich Tobias Nummer. Mailbox! "Ruf mich bitte sofort zurück!" Ich knallte den Telefonhörer auf seine Station.
1. Ich hatte mich lange im Bett herumgewälzt und war erst um kurz nach 5 Uhr eingeschlafen. Unruhig, begleitet von einem Traum, an den ich mich nur noch schwach erinnern konnte.
Irgendetwas mit einem Floss aus Baumstämmen, das immer weiter vom Ufer hinaus aufs offene Meer trieb. Schweißgebadet war ich aufgewacht.
Das Telefon klingelte. Ich kam nur langsam zu mir und schaute auf die Uhr. Es war halb zehn.
"Willy, geh mal ran", flüsterte ich. Kein Laut, keine Bewegung. Das Bett neben mir war leer.
2. Dann fiel mir wieder ein, was in der Nacht geschehen war. Ich richtete mich auf und setzte mich auf die Bettkante. Meine Füße suchten nach den Flip Flops. Vergeblich. Also blieb ich barfuß und nahm das Telefon vom Nachtschränkchen auf.
"Was ist denn los?" Tobias klang verschlafen. "Was los ist?", brummte ich, "Willy ist weg. Das war eine Schnapsidee!" Er schwieg. Oder war die Verbindung unterbrochen?
"Was meinst Du mit weg?", kam zögernd zurück. "Er ist nicht mehr da, und seine Sachen auch nicht. Nur dieser blöden Zettel.“
Mein Ärger war wieder da und verlas die kurze Nachricht wie eine Anklageschrift.
"Liebe Lisa, ich wünsche Dir alles Gute.
Ich bin in einen anderen Ort umgezogen. Die Flug-Tickets habe ich da gelassen. Dein Ausweis liegt auf dem Tisch. Du kannst mit Tobias nach Düsseldorf zurückfliegen. Du musst nur noch umbuchen. Ich kaufe mir ein neues Ticket. Wahrscheinlich nach Hamburg.
Ich wünsche Euch einen schönen Urlaub. Willy!"
3. "Ach, Du meine Güte!", hörte ich leise aus dem Telefon. "Das kannst Du wohl laut sagen!", schnaubte ich.
"Tut mir leid. Ich habe nicht erwartet, dass er so reagieren würde. Aber ich kann ihn auch verstehen." Zögernd fuhr er fort. "Du solltest das mit ihm klären." Ich schwieg.
"Du solltest es versuchen." "Ach ja?" "Denke bitte darüber nach!", bat er eindringlich. Mein Gebrummel konnte nur mit viel gutem Willen als Zustimmung durchgehen.
1. Gestern hatte ich den ganzen Tag mehr oder weniger auf meinem Zimmer verbracht. Abgesehen vom Abendessen in meinem Hotel, zu dem Tobias aufgetaucht war. Das hatte ich nach einer halben Stunde abgebrochen, denn der leckere Auflauf war mir genauso im Halse stecken geblieben, wie unser Gespräch. Denn wir brachten lediglich eine ausführlichere Neuauflage unseres morgendlichen Telefonats zu Stande. „Hätte, hätte, Fahrradkette.“
2. Heute Nachmittag saß ich mit Tobias in einem Cafe. Wir schauten noch mal aufs Meer. Nahmen Abschied von der Sonne und dem blauen Wasser. Die Touristen, die auf der Promenade ihren Urlaub zelebrierten, warfen mir mitleidige Blicke zu. Als wüssten sie, dass mein Urlaub nun zu Ende war.
3. Tobias´ Handy klingelte viel zu laut. Fahrig nestelte er es aus seiner Jackentasche und nannte seinen Namen. Hörte eine Weile nickend zu.
"Wieso Hannover? Für Duisburg ist doch NRW zuständig?", fragte er nach einigen Minuten irritiert. Das, was er von seinem Gesprächspartner erfuhr, schien ihn zu erstaunen. "Und auch in Kiel?", murmelte er ungläubig.
Mein Interesse an dem Inhalt seines Telefonats erhielt von einer Sekunde auf die andere einen Wachstumsschub.
Das war meinem Gesicht wohl anzusehen. Tobias machte eine entschuldigende Geste und stand auf. Er entfernte sich einige Schritte von unserem Tisch. Ging auf und ab. Wenn er sprach, drehte er mir den Rücken zu.
4. Als er sich wieder zu mir setzte, hatte er es plötzlich sehr eilig. "Ich muss mich noch um das Flugticket kümmern!"
Schnell hatten wir gezahlt und brachen auf. Am Hotel angekommen trennten sich unsere Wege.
5. Zuerst ging ich noch einmal zur Rezeption. Schaute in die Mappe ´Rückreise´, die dort auslag. Da stand es.
Mrs. Lisa Olten, Mr. Willy Olten, Rückflug am 16. Januar 2018, 11 Uhr, Abholung Bus 8.30 Uhr.
Für einen kurzen Augenblick schöpfte ich Hoffnung. Wenn das hier stand, musste Willy zur Abreise doch wieder auftauchen. Er nahm es ja mit seinen Terminen sehr genau!
Ich hielt das Blatt noch in der Hand, als mir ein Kribbeln im Nacken sagte, dass ich beobachtet wurde.
Natürlich, Carmen. Wer sonst? Grinsend vertiefte sie sich wieder in etwas, das vor ihr lag. Ich klappte die Mappe zu und verließ die Lobby.
1. Ich erwachte früh und war schon um sieben Uhr im Restaurant. Nahm nur einen Kaffee und einen Toast. Appetit hatte ich kaum. Schade, das Frühstück in diesem Hotel war ausgesprochen gut. Die Gedanken an die letzten Tage nichts weniger als das.
Ich ging noch mal zur Rezeption und hoffte, dass diese Carmen da war. Hatte auch Glück. Sie wirkte nicht begeistert, als sie mich sah.
Am Empfangstresen angekommen, ließ ich sie nicht mehr aus den Augen. Der Kollege von ihr, der erst Anstalten machte, sich um mich zu kümmern, zögerte als er meinen Blick sah. Obwohl sie noch einen Gast abfertigte, schien er es auf einmal sehr eilig zu haben und verschwand durch die Tür hinter dem Tresen.
Carmen sprach mit dem Feriengast in gutem Deutsch. Also doch! Ich wartete bis der Gast verschwunden war.
2. "Los reden Sie! Wo ist mein Mann?", begann ich, ohne einen guten Morgen zu wünschen. Ihre Deutschkenntnisse erlitten erneut einen massiven Einbruch. Ich verstand nur ´trabajo´ und ´no se´. Sie blickte noch mal zu der Tür durch die ihr Kollege verschwunden war. Ein klarer Fall von unterlassener Hilfeleistung, dachte ich schadenfroh.
"Sie verstehen mich sehr gut!" Ich sprach so laut, als stehe sie zehn Meter von mir entfernt. Carmen zuckte zusammen. "Ich weiß nicht wo!", sagte sie nach kurzem Zögern. Sie log. Das sah ich an ihren Augen.
Ich nahm einen 20 Euro-Schein aus meiner Tasche und hielt ihn unauffällig in meiner Hand. "Wichtiger Mann!", stellte sie belustigt fest, "die anderen haben mehr geboten."
3. Es dauerte einen Moment bis ich verstand, was sie gesagt hatte. "Wer? Reden Sie schon!"
"Zwei Männer. Aber ich habe das Geld nicht genommen und denen auch nichts gesagt!", verteidigte sie sich. Ich bedauerte beinahe, dass sie diesmal wohl die Wahrheit sagte.
"Hatten die auch Namen?""Keine Namen, nur 100 Euro. Aber wie gesagt, ich habe nichts..." "Warum nicht?", unterbrach ich sie. Ihre Augen fixierten den Kalender, der vor ihr lag. "Senor Olten war klüger als 100 Euro!"
´Typisch Willy!´, amüsierte sich ein Gedanke auf meine Kosten. Ich bemühte mich, freundlicher zu sein. "Wie sahen die beiden denn aus?" "Ein charmanter Elfenmann und ein polternder Troll", lächelte sie versonnen.
Das brachte mich nicht weiter. Wussten die beiden vielleicht schon, das Willy abgereist war? "Wann waren die Männer hier?"
Sie konnte den Zeitpunkt benennen ohne nachzudenken. Bei mir dauerte es länger. Ich war mit Tobias zu dieser Zeit in der Strandbar gewesen.
4. "Wussten die denn, dass mein Mann schon weg ist?" "Nein, die dachten, er wäre noch hier!" Es beruhigte mich, dass die Typen nicht schon vor mir von seiner Abreise gewusst hatten. Wer weiß, was die für Absichten verfolgten? "Haben die Männer gesagt, was sie von meinem Mann wollten?"
Sie schüttelte den Kopf. "Es wäre geschäftlich, sagte der nettere der beiden!" "Gut, dass Sie denen nichts gesagt haben. Aber ich bin seine Ehefrau. Das ist ja wohl etwas anderes!"
"Ist es das? Egal! Ich habe es versprochen!" Ihre Miene zeigte, dass sie es ernst meinte.
Ich wollte mich schon aufregen, hielt aber im letzten Moment inne. "In Ordnung", lächelte ich stattdessen, "sagen sie mir wenigsten, wie es ihm geht."
Sofort bereute ich, die Frage gestellt zu haben. Die dachte nun, ich hätte ein schlechtes Gewissen.
Sie antwortete ruhig, aber ihre Augen blitzten erheitert. "Weiß ich nicht", sie machte eine wirkungsvolle Pause, die sie durch einen betont langsamen Augenaufschlag unterstrich, "aber er schien erleichtert zu sein."
Dass das keine Kritik am eigenen Hotel sein sollte, hatte ich schon verstanden. Auch ohne den vorwurfsvollen Blick der Empfangsdame. Was wusste die denn schon?
5. Ich zuckte mit den Schultern, drehte der Rezeption den Rücken zu und sah mich noch mal um. Dachte daran, wie ich mit Willy hier angekommen war.
Das schöne Wetter und die große Hotelhalle hatten uns willkommen geheißen. Die blauen und grünen Farben im Licht der Sonne bestätigten uns, dass wir nun hier waren. Urlaub! Zu Hause war es kalt und grau.
Nach ein paar Tagen nahmen wir es nicht mehr wahr. Die freudige Erwartung an den Urlaub wurde durch ihre Erfüllung mehr und mehr Routine.
In der zweiten Woche kamen die Gedanken an den anstehenden Rückflug. Bald mussten wir selbst ebenso dringend nach Hause, wie die schmutzige Wäsche in den Koffern. Wären wir doch schon wieder zu Hause! Das war immer so gewesen.
Diesmal war es anders. Ich war wieder mal mit Willy angereist, würde meinen Rückflug nun aber mit Tobias antreten. Ein komisches Gefühl!
1. Eine Stunde später warteten wir vor dem Hotel auf den Bus. Tobias erzählte von seinem letzten Urlaub in Schweden. Schwärmte von den einsamen Wäldern und den Seen.
Von der wildromantischen Holzhütte auf einer kleinen Insel. Mit einem Ruderboot. Das gehörte zum Haus und nur damit konnten sie aufs Festland kommen.
Dieses sie stand für Tobias und seine letzte Freundin, die ganz toll gewesen war und noch irgendwas.
2. Ich hörte schon nicht mehr zu, sondern begann hektisch in meinem Rucksack zu kramen. Das Flugticket und der Wohnungs-schlüssel?
Mist! Jeden Moment konnte der Bus kommen. Warum musste ich an Willy denken. Ach ja. Er hatte sich ja sonst um solche Dinge gekümmert und mich mit seiner Pedanterie genervt.
Tobias war inzwischen bei dem Punkt angelangt, als es zu ersten Spannungen mit seiner Freundin gekommen war.
"Ich habe etwas vergessen!", unterbrach ich ihn. Unter seinem verdutzten Blick wandte ich mich um und rannte zurück in das Hotel.
3. An der Rezeption stand wieder diese Carmen. Ich hatte keine Wahl. "Mein Ticket liegt noch im Safe!" Sie sah mich belustigt an und reichte mir den Schlüssel ohne nach meiner Zimmernummer zu fragen.
"Danke!", murmelte ich und lief die Treppe hoch zu unserer Etage.
Tatsächlich war noch alles da, einschließlich Brieftasche und Fotoapparat. Hastig schnappte ich mir die Sache und rannte los.
Außer Atem kam ich vor dem Hotel an. Ich war die Letzte, die anderen saßen bereits im Bus.
Schnell stieg ich ein und setzte mich auf den freien Platz neben Tobias.
4. Die Fahrt verbrachten wir schweigend. Beobachteten die Landschaft, die in der grellen Sonne wie ein überbelichteter Film an uns vorbei zog.
Nach dem der Bus sein Ziel erreicht hatte, stiegen wir aus und warteten. Der Fahrer öffnete die seitlichen Klappen und holte die Koffer aus den großen Fächern.
Ohne jemanden anzusehen, stellte er sie vor die Fahrgäste. Schließlich zog jeder mit seinem Koffer in Richtung Eingang.
Jeder? Nein! Ich stand mit hängenden Armen da. Sah selbst noch mal in den Kofferfächern nach. Beäugte misstrauisch die anderen Fahrgäste, die bereits im Eingang des Flughafens verschwanden. Nein, keiner der anderen hatte irrtümlich meinen Koffer genommen.
Ich überlegte schon, ihnen in die Halle zu folgen, um das noch mal zu überprüfen. Dann schaute ich Tobias an.
"Hast Du meinen Koffer nicht eingeladen?" Ich bemühte mich ruhig zu sprechen. Er sah mich erstaunt an. "Hast Du das nicht gemacht?"
Ich versuchte mich zu erinnern. Nein, ich war ja auf den letzten Drücker in den Bus gestiegen. "Scheiße!"
1. "Vielleicht kann ich Ihnen helfen?", hörte ich eine tiefe Stimme hinter mir. Ich drehte mich herum. Der Mann, der vor mir stand, schaute mich freundlich an. Braune Augen!
Er erinnerte mich an Tobias. Doch er war ein ganz anderes Kaliber. Ein seriöser Herr, der sicher mal als Modell gearbeitet hat. Oder sogar noch aktiv war. Eine gewisse Ähnlichkeit diesem italienischen Schauspieler von früher, wie hieß der noch, Marcello Mastroianni oder so, war nicht zu übersehen.
Nur war er größer und sah noch besser aus. Auch sein leichter, ein wenig schleppender französischer Akzent machte ihn interessant. Mr. Hollywood, dachte ich unwillkürlich.
Er griff auf den Rücksitz seines Porsche Cabrios und schwang einen großen Koffer heraus, als sei er leer, und stellte ihn vor mir auf dem Boden ab. Ja. Es war mein Koffer, der wie immer gut seine 20 kg wog.
"Der gehört doch Ihnen?" Er sah mich an, als kenne er die Antwort bereits. Erleichtert wollte ich mich bei ihm bedanken, brachte aber kein Wort über meine Lippen. Ich nickte nur.
2. Erst als Mr. Hollywood schon wieder im Auto saß, fand ich meine Stimme wieder. "Danke, vielen, vielen Dank!" Da fuhr der Fremde schon los und hob grüßend seine Hand. Ich sah ihm einen Moment hinterher.
"Netter Kerl!" Tobias lächelte angestrengt, drehte sich um und ging in das Gebäude. Hmh? ´Netter Kerl´ war nicht das, was mir zu meinem unbekannten Helfer als erstes eingefallen wäre!
1. Nach der Landung standen wir nebeneinander am Gepäck-band. Unsere Entscheidung, wie es weitergehen sollte, war gefallen.
Tobias würde ein paar Tage einem Hotel in bleiben, bevor er wieder nach Holland fuhr. Auf mich wartete mein Appartement in Düsseldorf. Hier würden sich unsere Wege also trennen.
Mein Koffer kam zuerst. Ich zog ihn vom Band herunter. "Tobias, ich mache mich auf den Weg. Wir telefonieren", sagte ich schnell und hielt Daumen und Zeigefinger, wie ein Handy, neben mein Gesicht.
Er wirkte enttäuscht, nickte aber nur. Ihn schien etwas anderes zu beschäftigen. Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange und ging auf den Ausgang zu.
2. Kaum, dass ich den Flughafen verlassen hatte, waren die Fragen wieder da. Ich hatte schon öfter daran gedacht, war aber zu sehr abgelenkt gewesen.
Ein komisches Gefühl. Es war nicht so, dass ich mir Vorhaltungen machte. Nein. Jede meiner Aktivitäten war irgendwie in Ordnung, zumindest nachvollziehbar gewesen. Aber alles zusammen genommen?