Windig - Mewes Maren - E-Book

Windig E-Book

Mewes Maren

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Beschreibung

Manuela fährt entsetzt herum. Die sind schon wieder näher gekommen! Ihre Stimme überschlägt sich. Verdammter Mist. Jetzt erwischen sie uns schon auf hoher See. Keine Zeugen. Und auf ein paar Leute mehr, die in der Ägäis ums Leben kommen oder verschollen sind, kommt es ja nicht an. Unwillkürlich denke ich an den frommen Wunsch an der Wand im Büro des Hafenmeisters von Ios. Oh, Du Meeresgott Poseidon, gewähre harter Arbeit ehrlich Lohn, verschone unserer Boote gutes Holz und lass den Griechen ihren Stolz. Nimm die Schiffe fremder Spötter, die sich halten selbst für Götter.

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Seitenzahl: 240

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Logbuch der Baltic Bird

6. April .... Athen: Sana

Logbuch der Red Pony

1. April.... Athen: Willy

4. April... Kap Sounion: Willy

Logbuch der Baltic Bird

8. April.... Kythnos – Paros - Ios: Sana

Logbuch der Red Pony

5. April.... Kythnos: Willy

6. April.... Paros: Willy

7. April.... Paros: Willy

8. April.... Naxos: Willy

9. April.... Ios: Willy

Logbuch der Baltic Bird

8. April.... Ios: Sana

Logbuch der Red Pony

10. April.... Ios: Willy

Logbuch der Baltic Bird

9. April.... Ios –Amorgos: Sana

Logbuch der Red Pony

10. April.... Ios: Willy

Logbuch der Baltic Bird

10. April.... Amorgos - Levitha: Sana

Logbuch der Red Pony

11. April.... Ios - Iraklea: Karlhein

11. April.... Amorgos: Willy

Logbuch der Baltic Bird

10. April.... Levitha: Sana

11. April.... Ios: Sana

Logbuch der Baltic Bird

12. April.... Astypalaia: Lisa

Logbuch der Red Pony

12. April.... Astypalaia: Willy

Logbuch der Baltic Bird

12. April.... Astypalaia: Lisa

Logbuch der Red Pony

12. April.... Astypalaia: Willy

Prolog II

Logbuch der Baltic Bird

12. April.... Astypalaia: Lisa

Logbuch der Baltic Bird

13. April.... Astypalaia – Kos: Sana

Logbuch der Red Pony

13. April.... Astypalaia – Kos Karlheinz

Logbuch der Baltic Bird

13. April …. Astypalaia – Kos: Sana

Logbuch der Baltic Bird

13. April.... Kos: Lisa

Logbuch der Baltic Bird

14. April.... Kos: Sana

Logbuch der Red Pony

14. April.... Kos: Willy

Logbuch der Baltic Bird

15. April.... Kos: Lisa

Epilog

Prolog

Ein merkwürdiges Gefühl nach Monaten wieder in unserer Wohnung zu sein. Das Altvertraute ist mir fremd geworden, obwohl Willy nichts verändert hat; nicht mal seine Unordnung.

Ich sehe mich gründlich in den Zimmern um. Nach Anhaltspunkten, wo mein Mann jetzt sein könnte. Der ist nämlich in Urlaub gefahren. Seit ich mich mit Willy in eine kleine Ehekrise verkracht habe, ist mir eigentlich auch egal wohin. In vier Wochen muss er ja ohnehin zurück sein, um als Zeuge in einem Prozess auszusagen.

Aber dann rauscht Sana mit einer Riesenwelle und der Sorge an, dass irgendwelche Bösewichter eben das verhindern wollen. Sie wären Willy schon auf der Spur.

Ihre Aufregung hat wohl auch damit zu tun, dass Karlheinz ihr nur einen Zettel hinterlassen hat: „Ich kann Willy jetzt nicht im Stich lassen. Besser du weißt nicht, wohin wir fahren. Zu deiner eigenen Sicherheit. Tut mir leid. “

Bisher habe ich nicht den geringsten Hinweis gefunden und das Telefonat mit Sana bestätigt, dass es ihr nicht anders geht.

"Wir kennen die beiden doch so gut, dass wir eigentlich darauf kommen müssten, wo die beiden sind", grübelt sie.

Ich gehe die Zeit mit meinem Mann noch mal durch, erinnere mich an gemeinsame Erlebnisse und schöne Momente.

Okay, jetzt ich vermisse ihn, aber das bringt mich auch nicht weiter. Oder doch? Unser letzter Umzug liegt schon Jahre zurück. Aber im Keller stehen noch einige Kartons.

Keine Ahnung, ob wir die noch nicht ausgepackt oder inzwischen etwas anderes hineingetan haben.

Egal. Ich mache mich auf die Suche. Nicht einfach. Entweder gibt es keine Beschriftung oder gleich mehrere oder das was drauf steht, ist nicht drin.

Eine Stunde später habe ich die Hälfte der Kartons durchwühlt. Erstaunlich, was für ein Zeug wir aufgehoben haben.

Auch als mir eine schmale Folienmappe in die Hände fällt, die mit großen Buchstaben beschriftet ist, denke ich mir nichts dabei.

Erst als ich die Überschrift „Bordpass“ lese, legt sich in meinem Kopf ein Schalter um. „Da war was“ flackert ein Gedanke auf, bleibt da und gibt mir erst Rätsel auf und sich schließlich zu erkennen.

Die Unterlage in der Hand renne ich nach oben hin zum Telefon. Sana nimmt sofort ab. "Und?", fragt sie ohne abzuwarten, wer sie überhaupt anruft.

"Ich habe da eine Idee!", komme ich sofort zur Sache, „Willy hat wahrscheinlich ein Boot gechartert. Und zwar In seinem Lieblingsrevier!“ Sie ist regelrecht aus dem Häuschen. "Ja und?" "Griechenland!" "Gut! Und wo da?"

"Er ist oft in der Ägäis gesegelt!", überlege ich laut. "Wo genau? Lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!" "Na ja, eben irgendwo in der Ägäis!" "Die ist groß! Und irgendwo ist keine Ortsangabe?"

Ich schaue noch mal auf den Bordpass: "Warte mal. Er hat immer über eine Agentur in München gechartert. Da kann ich doch mal anrufen ."

"Meinst Du die sagen Dir etwas? Müssen die nicht auch vertraulich mit ihren Kundendaten umgehen?"

"Ich sage einfach, dass wir getrennt anreisen und ich den Namen unseres gecharterten Schiffes nicht mehr wüsste. Leider hätte mein Mann sein Handy zu Hause liegen lassen. Vielleicht bringe ich noch heraus, in welcher Marina er das Boot übernimmt und wo er es abgeben muss. Er chartert ja meistens ´one way´!"

Gesagt getan. Ich erreiche die Vermittlung erst am nächsten Tag. Erfahre den Schiffsnamen, dass es eine 38er Bavaria ist und den Namen der Marina, wo das Boot übernommen werden soll.

Sogar den Zielhafen bekomme ich heraus. Willy hat das Boot für vier Wochen gechartert. Und zwar ab heute!

Sana: "Am besten wäre es, wenn wir uns da auch ein Boot mieten und hinterhersegeln würden.“

Ich komme nicht mal dazu den Kopf zu schütteln, da schiebt sie hinterher: "Könntest Du denn den Skipper machen?"

Ist das ihr ernst? Ich spüre einen Stein im Magen. Die Angst vorm Segeltörn? Die ganze Verantwortung läge ja bei mir!

Bloß das nicht. "Ich habe zwar den Schein damals Willy zu Liebe gemacht, aber nein, das kann ich nicht. Muss ich auch nicht, man kann da auch einen Skipper gleich mit chartern. Ein Grieche oder ein Aussteiger, der da lebt. Die haben die beste Revierkenntnis!"

Hätte ich doch die Klappe gehalten. Den Weg für eine Lösung des Problems zu finden ist das Eine; ihn dann aber auch zu gehen, eine ganz andere Nummer.

„Meinst Du nicht, dass so eine Aktion völlig übertrieben wäre?“, rudere ich zurück.

Sana: „Wieso das?“ Hmh? Was soll ich denn dazu sagen? Außer: „Vielleicht hat dein Kollege sich ja geirrt. Müsste denn da nicht die Polizei aktiv werden.“ Sie schüttelt den Kopf. „Die haben doch keine Ahnung, wo Willy ist oder wer hinter ihm her sein könnte.“

Mein Gott, die will unbedingt in die Ägäis. Mit einer Yacht. Sie weiß doch gar nicht, was sie erwartet. "Willy hat mir damals so einiges über diese Charter-Skipper erzählt; manchmal verkrachte Existenzen, Trinker und Machos. Und da wir keine Zeit haben, können wir nicht wählerisch sein!"

Sie zeigt sich wenig beeindruckt. Also beschreibe ich ihr, was bei so einem Törn auf sie zukommen wird.

Die beengten Verhältnisse an Bord einer kleinen Yacht sind ihr egal. Ich male den Teufel an die Wand; ein düsteres Bild der Gefahren, die Wind und Welle mit sich bringen können. „Die Ägäis gilt nicht umsonst als Poseidons heißestes Pflaster.“

„Wie heißt der Wind da noch? Meltemi? Das klingt doch ganz heimelig!“, lacht sie mich aus..

Hmh? Sana lässt sich von diesem Segeltörn wohl nicht mehr abbringen. Ein Plan B muss her. Am besten einer mit Hintertür.

"Nur wir zwei? Ehrlich gesagt ist mir das zu heikel. Aber ich telefoniere mal ein bisschen herum; vielleicht finde ich noch jemanden, der mitkommt“, setze ich an. Sana: „Okay?“

„Na. Dann wären wir auf der sicheren Seite und nicht so einem Typen ausgeliefert, von dem wir nichts wissen!", erkläre ich. Sana: "Na ja. Wenn Du meinst, dass wir das brauchen.“

Das bringt sie wohl auf einen anderen Gedanken: „Falls etwas passiert sollten wir etwas in der Hand haben. Aufzeichnungen oder so was. Etwas das objektiv ist und vor Gericht bestehen kann.“

Sie ist eben Polizistin. Trotzdem: „Kann ein Subjekt denn objektiv sein? Die persönliche Sicht auf die Dinge spielt doch immer eine Rolle .“ Sana schaut mich nachdenklich an: „Da hast Du Recht.“ „Aber?“

Sie seufzt: „Es ist schwierig. Nach meinen Erfahrungen verändert sich im Laufe der Zeit ja nicht nur die Sicht auf die Ereignisse. Manche vergisst man sogar. Eigentlich steht ja nur der Ausgang einer Geschichte fest und diktiert unseren Erinnerungen wie es begonnen haben und dann weiter gegangen sein muss.“

„Also sollten wir ein Logbuch führen.“ Sana sieht mich fragend an. „Logbuch?“ „Das kommt von Log oder Logge, also von dem Gerät oder Stück Seil mit Knoten, das die Geschwindigkeit eines Schiffes durchs Wasser misst“, erkläre ich ihr und dass es sich um ein Tagebuch der Seefahrt handelt, in dem die Fahrt durchs Wasser, der Kurs, die versegelten Strecken, wichtige Manöver, sonstige Maßnahmen und Vorkommnisse festgehalten werden.

Sana: „Was ist mit Willy? Macht der das auch?“ Ich kann mir das Grinsen nicht verkneifen: „Ja, klar. Der schreibt sowieso alles auf, was auch nur irgendwie mit Segeln zu tun hat.“

Sie nickt: „Ich habe übrigens so eine Ahnung, wer der dritte Mann bei Willy an Bord sein könnte!"

"Ja und?" "Willy und Karlheinz haben sich in den letzten Tagen öfter mit Otto Wagner, einem alten Bekannten von Karlheinz getroffen. Der ist jetzt auch verschwunden!"

„Also noch ein weiterer Zeuge mit seiner subjektiven Wahrnehmung“, grinse ich.

Sie wirft mir einen amüsierten Blick zu: „Du meinst, dass mehrere subjektive Erinnerungen eine objektive ergeben können? Und wenn sie sich widersprechen?“

Ich sehe da nicht ganz so schwarz: „Schlimmstenfalls wird man später eben gemeinsam überlegen müssen, was der oder die Logbuch führende mit den Notizen gemeint haben könnte. Im Großen und Ganzen wird dabei schon das wahre Geschehen herauskommen.“

Sana ist sich da nicht so sicher. „Dann bleibt aber immer noch der- oder diejenige im Vorteil, der oder die an diesem Tag das Logbuch geführt hat.“

Das ist sicher richtig. Andererseits: „Vorteil? Kennst Du das nicht selbst? Wenn Dein Gedächtnis erst mal etwas ausgegraben hat, dann kommt das eine zum anderen. Und in so einer Erinnerungskette melden sich auch Momente zurück, an die Du lieber gar nicht denken möchtest.“

Logbuch der Baltic Bird

6. April ....AthenSana

Unsere Crew. Beeindruckend, was Lisa auf die Beine gestellt hat. Es ist sicher nicht leicht gewesen, so kurzfristig weitere Crew-Mitglieder zu gewinnen. Schon gar nicht solche.

Heiner ist dabei, der laut Willy ein hervorragender Segler ist. Ein durchschnittlich großer und gut aussehender Mann mit einem kleinen Alkoholproblem. Oder wie er selbst meint: „Jeder Segler hat schlechte Laune, wenn er auf dem Trockenen sitzt.“

Unser viertes Crew-Mitglied heißt Manuela. Angeblich trinkt nicht ganz so oft, aber wenn, dann so, als gäbe es kein Morgen. Ansonsten ist sie mit ihren roten Locken und einem freundlich losen Mundwerk das Gegenteil von Heiner.

Sie war einige Jahre mit ihm liiert. Nach einer sehr romantischen Anfangszeit kam es häufig zu Streitereien. Vor allem, weil die beiden sich oft nicht darauf verständigen konnten, wie der vorherige Abend nach Erreichen eines bestimmten Alkohol-Pegels tatsächlich abgelaufen war.“

Vom Segeln versteht Manuela nichts, ist aber sprachbegabt und kann sogar ein wenig griechisch. Ihre jahrelange Tätigkeit für einen Verkaufssender macht sich immer noch bemerkbar.

Jedenfalls fällt es schwer, ihr gegenüber distanziert zu bleiben oder ihr einen Wunsch abzuschlagen .

Ich bin froh, dass wir nun nicht mehr allein mit einem fremden Skipper unterwegs sein müssen. Das wird mir noch mal bewusst, als wir in Athen die Marina erreichen, von der aus Willy vor ein paar Tagen losgesegelt ist.

Kalamaki. Die Marina ist groß, sehr groß. Mehr als hundert Yachten sind hier an den Stegen festgemacht. Besonders gepflegt wirkt der Hafen nicht. Die sanitären Anlagen sind geschlossen. Unklar, ob wegen der frühen Jahreszeit, in der wir hier kaum Menschen antreffen oder ob sie dauerhaft außer Betrieb sind.

Der strahlend blaue Himmel macht einiges wett und so finden wir es hier ganz schön. Wir gehen über breite Betonstraßen, die die Kaimauer bilden und halten Ausschau nach unserem Steg.

Er befindet sich in dem Teil des Hafens, der nahe an der Ausfahrt liegt. Ganz schön weit zu laufen.

Endlich erreichen wir ihn, biegen ein und rumpeln mit unseren Trollis über die hölzernen Planken.

Die Baltic Bird. Wir kommen an einigen Yachten vorbei. Hmh? Ich war ja noch nie auf einem Segelboot. Mein Blick klammert sich regelrecht an Lisa, die kaum wieder zuerkennen ist. Allein ihre Haltung ist anders als sonst, beinahe Respekt einflößend.

Da erreichen wir auch schon das Heck unserer 44er Baltic´. Sie sieht so aus, wie im Prospekt, aber auch anders. Größer?

Jedenfalls macht es mir Angst so nah davor, gleich auf ihr drauf und in ihr drin zu sein.

"Denk einfach daran, welche Eindrücke du am Abend in das Logbuch schreiben wirst!", schlägt Lisa vor.

Sie blinzelt, als wolle sie eine Träne verdrücken. "Das ist wichtig, denn dein Gedächtnis ist ein Datenspeicher, der in bestimmten Zeitabständen überschrieben wird. "

Skipper fürs Auge. Im Cockpit steht Adonis persönlich, Mitte 40, nur mit Shorts bekleidet. Gut einen Meter siebzig groß, durchtrainierter muskulöser Oberkörper und sehnige Arme.

Unter den langen schwarzen Haare mit einigen grauen Strähnen blickt uns ein ebenmäßig Wetter gegerbtes Gesicht mit dunkelbraunen Augen erwartungsvoll entgegen.

Er begrüßt Lisa, Manuela und mich herzlich in einem perfekten Deutsch, das ein wenig kehlig klingt, aber nicht unangenehm. "Schön, dass ihr da seid. Wer ist der offizielle Skipper?" Sein Blick streift Heiner aus den Augenwinkeln.

Manuela strahlt ihn an, sagt aber nichts. Das macht Lisa: "Ich! Ich gebe die Richtung vor. Sie sind für das laufende Geschäft, also das Segeln und die Manöver zuständig!"

Sie bemüht sich ihrer Stimme einen festen Klang zu geben, was ganz gut gelingt.

Sie hat mir erklärt, dass es zwar den gemieteten Skipper gäbe, es aber offiziell meist einer aus der Chartercrew sei, der im Vertrag als Skipper geführt wird. Das hätte versicherungstechnische Gründe.

Duzerei. Der Adonis scheint froh zu sein, dass es nicht Heiner ist. Na ja. Vielleicht sind seine Erfahrungen durch das übliche Kompetenzgerangel unter Männern ja nicht so gut.

"Du!", lächelt er, "an Bord duzen wir uns. Ich heiße Christos!" "Manuela!", flötet der Rotschopf neben mir. Ich hasse diese verlogene Duzerei. Aber was soll ich machen? „Sana!“

Nach dem sich auch der Rest der Crew vorgestellt hat, holt Christos ein Tablett mit fünf gefüllten Sektkelchen aus der Messe nach oben. Jeder nimmt sein Glas und hebt es hoch.

Er schaut uns der Reihe nach an und kippt einen Schluck aus seinem Glas ins Wasser.. "Auf die Crew, einen guten Törn und möge Poseidon mit uns sein!"

Keine Zeit. "Wisst ihr schon, wann ihr ablegen wollt und wohin?", fragt er leichthin, so als rechne er damit, dass wir es letztlich ihm überlassen werden.

Lisa nickt: "Ich gehe davon aus, dass die bestellten Vorräte an Bord sind und das Schiff klar ist. Wir bringen jetzt unser Gepäck in die Kabinen und legen in einer halben Stunde ab!"

Christos öffnet irritiert den Mund, sagt dann aber doch nichts. Heiner und ich grinsen.

"Wir haben dann noch fünf Stunden Tageslicht, können bis Kap Sounion segeln und wenn wir schnell genug sind bis Kythnos. Und zwar nach Loutron!", fährt Lisa fort.

Heiner grinst noch breiter und tauscht einen Blick mit mir. Unser griechischer Skipper wirkt alles andere als begeistert, sammelt aber die leeren Gläser ein und bringt sie nach unten. Heiner geht zu der Persenning und beginnt sie loszumachen.

Wir schnappen uns auch sein Gepäck, gehen nach unten und belegen drei der vier Kabinen. Lisa und ich wollen uns eine teilen.

Kabinenfrage. In der Messe gibt es noch einen kleinen, aber lebhaften Disput zwischen Lisa und Christos, der unbedingt in der Messe schlafen will. Das sei üblich, damit jedes Crewmitglied seine Einzelkabine hätte. Er meint das ernst.

Lisa lässt sich nicht beirren. "Ich will nicht, dass Du hier liegst, wenn wir nachts mal raus müssen." Die ´Baltic´ hat zwar zwei Toiletten, die aber beide nur von der Messe aus zu erreichen sind.

Klar zum Ablegen. Kaum sind wir wieder oben an Deck, wirft Heiner schon den Motor an und geht nach vorn zum Bug.

Er öffnet den Ankerkasten und holt das Kabel mit der Bedienung für die elektrische Winch heraus.

Der Grieche wirft ihm einen bösen Blick zu, stellt sich aber hinters Ruder und zeigt uns, wer der Skipper ist. "Lisa, machst Du die Heckleine an Backbord klar zum Ablegen! Und Sana, machst Du die an Steuerbord ab? Die kann als erstes ganz weg!"

Hmh? Steuerbord? Ich sehe mich um. Heiner räuspert sich, nickt zur rechten Seite des Hecks und deutet mit dem Kinn auf das Tau zu meinen Füßen.

Zu meiner Überraschung verstehe ich ihn sofort und löse die Leine von der Klampe. Da sie nur einfach um den Poller am Ufer gelegt ist kann ich sie von Bord aus hereinziehen.

Manuela steht mit hängenden Armen neben Christos und schaut ihn vorwurfsvoll an. "Und? Was soll ich tun?"

Christos: "Äh..., kannst Du für uns alle die Lifebelts heraufholen. Die liegen in der Bugkabine unter den Matratzen!" Den Mund zu einem Flunsch verzogen, dreht sie sich langsam weg zum Niedergang, greift den Handlauf und poltert die Stufen herunter.

Unter Deck knallt eine Tür. Es folgt ein leises Schaben und Geklapper. Minutenlang.

Dann wird es laut. Noch bevor sie im Niedergang auftaucht, hören wir schon die Karabiner der Lifebelts wütend über die Stufen klackern.

Wir laufen aus. Ohne den frischen Wind, der mir ins Gesicht bläst hätte ich die Ausfahrt aus dem Hafen möglicheweise verpasst.

Es weht von West, also auflandig. "Vier oder fünf Beauforts!", meint unser Skipper. Den Blick erwartungsvoll auf ihn gerichtet, lehnt sich Heiner gegen den Mast.

Christos: "Okay, dann setz mal das Groß, kein Reff. Und dann die Fock!" Der nickt und macht sich an die Arbeit. Die ist nicht so federleicht, wie ich es mir vorgestellt habe. Heiner erinnert mich eher an einen Bauarbeiter der schwere Säcke wuchtet.

Ein paar Minuten später sind die Segel gesetzt und der Motor aus. Der Grieche steht am Ruder und segelt die Yacht bei halbem Wind mit leichter Krängung die Küste entlang.

Flott unterwegs. Unser Boot macht gute Fahrt. So, wie der Bug durch das Wasser pflügt und die Wellen an uns vorbei rauschen, kommt es mir jedenfalls ziemlich flott vor.

"Sechs, sieben Knoten!", beantwortet Christos meine Frage. Das klingt doch ganz ordentlich.

Ich kann erst gar nicht glauben, als Lisa mir lächelnd erklärt, dass wir nicht schneller sind als auf einer gemütlichen Fahrradtour.

Nun sitzen wir also zu viert auf der Bank im Cockpit, je zwei auf jeder Seite. Lisa bemerkt meine Aufregung natürlich und zwinkert mir zu. Schon gut. Ich habe es ja nicht anders gewollt.

Gefahrenlage. War es erst vorgestern, dass mein Kollege mir von dem Telefonat eines Anwalts des Angeklagten berichtet hat?

Leider hat er nur Bruchstücke mitbekommen. Willy's Name war gefallen und der von Karlheinz. Das man ja „sicher bald fündig“ würde und zwar „zu Lande, zu Wasser und in der Luft.“

Meine Sorge konnten oder wollten die Kollegen „beim besten Willen nicht nachvollziehen“. Dabei finde ich es überhaupt nicht abwegig, dass Karlheinz und Willy als lästige Zeugen eventuell beseitigt werden sollen.

Hmh? Das Schwanken unseres Schiffes und ein flaues Gefühl in meinem Magen fragen mich im Moment allerdings, ob meine Sorge um Karlheinz nicht doch ein wenig übertrieben ist.

Logbuch der Red Pony

1. April....AthenWilly

Schiff übernehmen. Ich bin froh, dass der Mitarbeiter des Vercharterers endlich auftaucht. Er stellt sich als ´Ralph´ vor. Ein älterer Grieche, der einen Kopf kleiner, kräftiger und rundlicher ist als wir Crewmitglieder. Soweit meine bescheidenen Sprachkenntnisse das beurteilen können, ist sein Englisch ziemlich gut.

Die Schiffsübernahme läuft nahezu wie immer ab. Wenn man mal davon absieht, dass Ralph irgendwie genervt wirkt. Aus meiner Sicht klappt alles beinahe reibungslos. Manchmal brauchen wir nur etwas länger. Vielleicht hätten Karlheinz und Otto nicht zeigen sollen, dass sie nicht so ernsthaft bei der Sache sind.

Nach dem wir die Inventarliste abgearbeitet haben, sieht Ralph uns skeptisch an. "You really have been here bevor?" Karlheinz und Otto schütteln den Kopf, während ich nicke. "You chartered already six times by us? I saw it in our Lists!" Er mustert mich so abschätzig von oben bis unten, dass ich unsicher werde. Na ja! Meine schmale Gestalt mit dem ausgeprägten Bauchansatz passt wohl eher zu einem Buchhalter als zu einem Seebären.

Identitätsfrage. "And your name is Willy Olten?" Das immerhin kann ich guten Gewissens bestätigen.

Ralph ist offenbar noch nicht davon überzeugt, dass ihm jemand gegenüber steht, der alles in allem mehrere Monate hier als Skipper gesegelt war.

Das ist ihm nicht nur anzusehen, er fragt mich sogar nach dem ´Passport´. Das habe ich in all den Jahren noch nicht erlebt. Wo ist der ´No Problem Grieche´ geblieben, der uns so entspannt begrüßt hat?

Kopfschüttelnd zücke ich die Brieftasche und ziehe meinen Personalausweis heraus; schaue erst noch mal selbst auf das Passfoto. Der Mann darauf ähnelt mir nur entfernt.

Ralph vergleicht das Passfoto sorgfältig mit dem Gesicht aus Fleisch und Blut. Hmh? Derart misstrauisch beäugt zu werden ist nicht besonders angenehm.

"Have a good turn!" Besonders glücklich wirkt der Grieche nicht, als er uns mit dem Schiff allein lässt. Bevor er geht, wirft er noch mal einen langen Blick auf die ´Red Pony'. So, als nehme er Abschied und würde das Boot nie wieder sehen.

Manöver für Senioren. "Sag mal Willy! An Land gehen ist ja schon eine Kletterei, wenn das Schiff bereits festgemacht ist. Wie machen wir das denn, wenn wir ankommen und anlegen?" Otto schaut besorgt auf die Kaimauer.

Ich verstehe nicht, worauf er hinaus will.. "Na ja, einer geht eben mit den Leinen an Land!"

"Mhm? Und wer geht als erster?" Sein Blick ist wieder auf die Kaimauer gerichtet. Jetzt weiß ich, was er meint.

Für den, der mit den Leinen zum Festmachen des Bootes als erster an Land muss, heißt gehen wahrscheinlich springen. Es liegt ja noch keine Planke aus, das Schiff ist noch ein Stück weit von der Mauer entfernt und befindet sich noch in langsamer Fahrt. Oder es steht nur kurz bevor es wieder abgetrieben wird.

Oft liegt der Kai um einiges höher oder niedriger als das Bootsdeck und die etwa vierzig Zentimeter hohe Reling ist ja auch noch zu überwinden.

Als erster an Land gehen heißt also, im richtigen Moment einen Sprung oder großen Schritt zu machen. Und zwar mit einer oder zwei Leinen in der Hand, deren anderes Ende am Schiff belegt ist. Dabei muss eine Distanz von etwa einem halben Meter in der Breite und in die Höhe oder Tiefe überwunden werden.

Okay. Ich soll ja beim Anlegemanöver am Ruder stehen. Das ist von den beiden so entschieden worden. Otto hat zwar vor fünfzehn Jahren einen Motorbootschein gemacht, aber seitdem kein Schiff betreten. Der Schein war ja der Grund, aus dem ich ihn gefragt habe. In Griechenland kann man ja nur chartern, wenn zwei Crewmitglieder einen Bootsführerschein haben.

Also muss entweder Otto oder Karlheinz als erster mit den Leinen an Land gehen. Letzterer ist mit 65 der ältere der beiden, aber Otto auch schon dreiundsechzig.

Ja klar. Uns fehlt der sportliche junge Mann, der fit genug ist für den Sprung und die unverletzte Landung.

Wir haben noch nicht einmal abgelegt und stehen schon vor einem Problem.

Das Abrollen. Wie erwartet, erklären beide sich bereit, diese Aufgabe zu übernehmen. Also muss der Skipper entscheiden. Hmh? Das bin ich.

Meine Frage nach den letzten sportlichen Bestleistungen wird von beiden ehrlich, aber wenig zufriedenstellend beantwortet.

Schließlich gewinnt Karlheinz die Auswahl. In dem er uns die Falltechnik aus seinem Kampfsport demonstriert, sich vor uns auf den Boden wirft und unverletzt wieder aufsteht.

Ludwig Börne. Ob Otto ein schlechter Verlierer ist oder ob er sich ernsthaft mit solchen Fragen beschäftigt, weiß ich nicht. Jedenfalls zitiert er einen gewissen Carl Ludwig Börne, der schon vor hundertachtzig Jahren gestorben ist. „Regierungen sind Segel, das Volk ist Wind, der Staat ist Schiff, die Zeit ist See!“

Karlheinz sieht ihn verständnislos an. „Hmh? Worauf willst Du hinaus?“

Otto zuckt mit den Achseln. „Na ja. Was machen wir denn jetzt? Segelurlaub kann ja alles mögliche bedeuten.“

Er verzieht das Gesicht. „Hängen wir nur saufend in den Häfen ab, lassen wir uns einfach treiben, trimmen wir die Segel auf Geschwindigkeit oder haben wir ein Ziel?“

4. April...Kap Sounion Willy

Ankern, unsicher. Am Kap Sounion haben wir gestern wegen des schlechten Ankergrundes - viele Felsplatten – sowohl den Bug- als auch den Heckanker raus gebracht.

Um es kurz zu machen: Es hat nicht allzu viel genützt. Unsere Red Pony muss sich in der Nacht mehrfach um die eigene Achse gedreht haben, denn Ankerkette und Leine für den Heckanker sind vertörnt. Vielleicht hätte ich ja doch Wachen einteilen sollen. Immerhin ist das Boot nicht ans Ufer getrieben.

Na gut, da kommt es auf ein Stündchen nicht mehr an. Klar Schiff machen können wir ja auch noch vor dem Auslaufen .

Tempel des Poseidon. Zuerst wollen wir den Tempel auf dem Berg besichtigen. Es kann ja nicht schaden, dem Gott des Meeres unsere Aufwartung zu machen.

Der Aufstieg ist länger und anstrengender als ich es erwartet habe. Doch schließlich stehen wir schwer atmend oben auf dem Berg und schauen herunter. Unsere Yacht ist die einzige in der großen Bucht und wirkt von hier aus winzig klein.

"Ganz schön einsam!", murmelt Karlheinz während wir den Tempel oder das was davon übrig ist besichtigen.

Wir gehen näher heran, umrunden ihn und versuchen die Schriftzeichen auf den Stufen zu entziffern. Vielleicht sind die Riefen und Löcher ja nur durch Erosion entstanden. Jedenfalls ist nichts mehr davon zu sehen, dass Lord Byron sich hier einmal verewigt haben soll.

"Willy schau mal, da ist noch einer!", höre ich Otto schnaufen. Ich folge seinem Blick. Tatsächlich fährt eine Yacht, auch eine Bavaria, langsam auf das Ufer zu.

Ich wende mich bereits ab, stutze aber dann. Wo ist eigentlich die Red Pony abgeblieben?

Ein Wettlauf. Hmh? Die Yacht sieht nicht nur so aus, wie unser Boot. Sie ist es. "Scheiße! Die Anker halten nicht mehr!", rufe ich den beiden zu und renne los.

Schon nach wenigen Schritten formt sich In meinem Kopf ein dramatisches Bild. Drei ältere Männer, die einen steilen Berg hinunter rennen, als sei der Leibhaftige hinter ihnen her.

Wenn ich dem Wind glaube, der mir ins Gesicht bläst, bin ich höllisch schnell unterwegs.

Auch Otto neben mir gibt hörbar sein Bestes. Ich schaue kurz zur Seite. Ja, da ist er. Hmh? Was macht er da eigentlich?

Er läuft ja gar nicht, sondern setzt wie bei einem Spaziergang nur einen Fuß vor den anderen. Wie beim Nordic walking pendeln seine Arme hektisch durch. Nur die Stöcke fehlen.

Ich beiße die Zähne zusammen und renne weiter. Es geht schließlich um Sekunden. Dem Keuchen nach kann wenigstens Karlheinz mein Tempo mithalten. So leid es mir auch tut, wir müssen Otto zurück lassen.

Die Augen auf die Yacht gerichtet, geht es weiter. Der Pfad führt durch eine Mulde. Ich sehe mich hektisch um. Wo ist die Bucht geblieben? Habe ich mich verlaufen?

Es folgt ein kurzer, steiler Anstieg. Ich bekomme kaum noch Luft. Ach, da ist die Bucht ja wieder. Der Weg macht eine scharfe Biegung. Ich lege mich in vollem Lauf auf die Seite.

Bewegt sich da etwas neben mir? Ich reiße ungläubig die Augen auf. Nein, das ist nicht möglich! Wild herum schlenkernde Arme. Ein Mann, der einen Fuß vor den anderen setzt? Ist das Otto? Ein physikalisches Phänomen?

Ich schaue an mir herunter. Aber da ist nur braun-grüner Felsen, der ab und zu durch etwas dunkel-graues verdeckt wird. Zeitlupenbilder aus einem Naturfilm?

Mein Blick pendelt zwischen Otto und meinen Füßen hin und her. Es dauert bis ich es akzeptieren kann. Dass nämlich meine Beine sich mit der gleichen, quälenden Langsamkeit bewegen, wie die von Otto.

"Was ist denn los?", höre ich ihn neben mir Japsen. Mit einer Handbewegung in Richtung Bucht wende mich ab und ´renne´ weiter.

Dingi mit Zopf. Mit dem Schlauchboot erreichen wir die Red Pony wenige Meter vor dem flachen Strand; belegen erst mal die Leine und geben Vollgas mit unserem Außenborder. So läuft die Yacht nicht weiter auf das Ufer zu.

Die Kraft des kleinen Motors reicht allerdings nicht aus, um sie von dort weg zu ziehen. Und so klettere ich über die Badeplattform in das Cockpit der Yacht. Na ja, genau genommen halte ich mich nur an der Leiter fest und werde von den beiden hochgeschoben.

Ich werfe den Motor an. Otto und Karlheinz bleiben im Dingi sitzen und lassen sich von der Yacht wieder zurück ins tiefere Wasser ziehen. Die Anker ruckeln ein wenig, bieten aber keinen wirklichen Widerstand.

Bald haben wir unseren alten Ankerplatz erreicht und schauen uns die Bescherung in Ruhe an. Die Kette des Bugankers und die Leine des Heckankers haben sich miteinander zu einem dicken Zopf verflochten.

Die beiden brauchen eine knappe Stunde, um alles auseinander zu törnen und sind nachher völlig durchgeschwitzt.

Wir ziehen das Schlauchboot an Bord und legen es vor dem Mast quer über das Schiff. Na ja. Das knallrote Ding sieht nicht nur scheußlich aus, es versperrt uns auch den Weg zum Bug.