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Drei rätselhafte Todesfälle weisen nur eine einzige Verbindung auf. Die Opfer waren Mitglieder eines medienkritischen Forums gewesen. Und so hat das inoffizielle Ermittlerteam bei seiner Arbeit auch das hohe Gut der Pressefreiheit zu wahren. Joseph Pulitzer: "Das größte Problem des Journalismus liegt darin, einem Auflageninstinkt ohne Rücksicht auf Wahrheit und Gewissen zu widerstehen."
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Seitenzahl: 293
Veröffentlichungsjahr: 2022
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„Es ist nicht wichtig, wer Du bist, sondern was sie denken, wer Du bist.“ (Andy Warhol, Künstler und Verleger)
„Erinnerung .... ist Vergangenheit in der Gegenwart.“ (Karin Jahnke, Realschullehrerin)
„Die Wahrheit ist das Kind der Zeit, nicht der Autorität.“ (Bertold Brecht, Dramatiker und Lyriker)
Das Schlimme... ist, dass die Dummen todsicher und die Intelligenten voller Zweifel sind.“ (Bertrand Russel, Philosoph und Religionskritiker)
„Niemand ist weiter von der Wahrheit entfernt als derjenige, der alle Antworten weiß.“ (Zhuangzi, Dichter, 365 bis 290 v.Chr.)
„Ein Irrtum ist umso gefährlicher, je mehr Wahrheit er enthält.“ Teufel nicht verärgert.“ (Thomas Fuller, Historiker)
„Politik besteht darin, Gott so zu dienen, dass man den Teufel nicht verärgert.“ (Thomas Fuller, Historiker)
„Hinter jedem Idioten steckt eine große Frau.“ (John Lennon, Musiker und Komponist)
„In einem gut regierten Land ist Armut eine Schande, in einem schlecht regierten Reichtum.“ (Konfuzius, Philosoph, um 500 v. Chr.)
„Die Unwissenheit kommt der Wahrheit näher als das Vorurteil.“ (Wladimir Iljitsch Lenin, Revolutionär)
„Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen.“ (Friedrich Nietsche, Sprachforscher und Philosoph)
„Die Krux der Wahrheit ist, dass die Lüge ihre Mitarbeiter besser bezahlt.“ (Thom Renzie, Lehrer und Autor)
„Seit die Mathematiker über die Relativitätstheorie hergefallen sind, verstehe ich sie selbst nicht mehr.“ (Albert Einstein, Physiker)
„Das Fernsehen wurde nicht für Idioten erschaffen – es erzeugt sie.“ (Neil Postman, Medienwissenschaftler)
„Das größte Problem des Journalismus liegt darin, einem Auflageninstinkt ohne Rücksicht auf Wahrheit und Gewissen zu widerstehen.“ (Joseph Pulitzer, Journalist)
„Wer auf Fakten und Zahlen achtet, kann Menschen mit den Ohren sehen.“ (Helmut Eppmann, Regionalstatistiker)
„Die Zeit mag Wunden heilen, aber sie ist eine miserable Kosmetetikeirn (Mark TwaIn)
Die Dummheit von Regierungen sollte niemals unterschätzt werden. (Helmut Schmidt, Politiker)
„Erst wirbeln wir den Staub auf und behaupten dann, dass wir nichts sehen können.“ (George Berkeley, Philosoph und Sensualist)
„Niemand ist weiter von der Wahrheit entfernt als derjenige, der alle Antworten weiß.“ (Zhuangzi, Philosoph und Dichter, 365 bis 290 v.Chr.)
„Wer hastig alles glaubt, was ein Verleumder spricht, ist ein Dummkopf oder Bösewicht.“ („Johann Heinrich Voß, Dichter)
„Nicht die Tatsachen, sondern die Meinungen über Tatsachen beunruhigen die Menschen und bestimmen ihrer Zusammenleben.“ (Epiktet, 135 n.Chr.)
Epilog
„Glaubst Du eigentlich an Gespenster?“ Meine Cousine Lisa wirkt ernsthaft besorgt. „So wie Du durchs Haus geisterst, wirst Du bald selbst eins sein. Du musst dringend wieder unter Leute.“
Sie lässt nicht locker. Und so lerne ich nicht nur ihren Mann Wesley kennen, sondern auch Sana und Karl Hoffmann.
Während sie noch für das LKA aktiv ist, hat er seinen wohlverdienten Ruhestand erreicht. Sicher nicht ganz leicht für ihn. Die beiden sind soweit ganz okay und gehen mir kaum mal auf die Nerven.
Das ändert sich schlagartig als eine alte Bekannte von Karl bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt. „Sylvia ist keltisch und steht für Waldfee.“ Na ja, Rentners Hang zur Nostalgie. Ich verkneife mir das „Holla, die...!“
Und weil er spekuliert, welche bösen Mächte hinter ihrem Unfall stecken könnten, artet das Ganze auch noch in Arbeit aus. Denn plötzlich finde ich mich als Mitglied einer privaten Mordkommission wieder.
Als 'Tatort' geschulter Krimi-Konsument bin ich von Karls ersten Fragen kein bisschen überrascht. Von den Antworten schon eher.
Mögliche Motive? Die freie Auswahl! Sylvia hatte sich ja so ziemlich mit jedem, sogar mit Leuten vom Fernsehen angelegt.
Ihr Umfeld? Alles dabei. Persönliche Beziehungen, eine wissenschaftliche Community, ministeriale Krawattenträger, Kollegen einer Fernseh-Redaktion und aus ihrem Kellnerjob.
Und dann ist da noch diese unmögliche Frau, die sich als Sylvias beste Freundin ausgibt und mich partout nicht leiden kann.
Zumindest geht sie mir meistens aus dem Weg und ignoriert mich dermaßen, dass ich mich beinahe belästigt fühle. Wäre ich doch nur zu Hause geblieben!
„Es ist nicht wichtig, wer Du bist, sondern was sie denken, wer Du bist.“ (Andy Warhol, Künstler und Verleger)
Sylvia. „Adam Smith hat schon im 18. Jahrhundert festgestellt, dass Wohlstand am besten durch Arbeitsteilung erreicht wird. Das berühmte Stecknadelbeispiel. Selbst bei der Produktion von Stecknadeln sollte jeder einen anderen Arbeitsschritt machen“, belehrt der Grauhaarige eine junge Frau, die ihm gegenüber sitzt.
Sie ist blond und hat ein Fragezeichen im Gesicht: „Na ja. So richtig geklappt hat es ja wohl nicht?“
„Das ist Sylvia Gonzales“, sagt Karl zu mir. Wesley habe ich selbst erkannt, trotz seines albernen Rauschebarts.
Er schwafelt über internationale Arbeitsteilung, die rasante Entwicklung der Mobilität und Folgen der Globalisierung. „Sehr viele Länder, ganze Kontinente, kamen da nicht mit und sind heute auf Entwicklungshilfen angewiesen.“
Dann Thomas Robert Malthus. Anfang des 19. Jahrhunderts sei er der Inhaber des weltweit ersten Lehrstuhls für politische Ökonomie gewesen. Das menschliche Geschlecht folgte demnach blind dem Gesetz der unbegrenzten Vermehrung.
So lange, bis die Nahrung nicht mehr für alle ausreicht. Dann würden Elend, Hunger, Krankheit und Tod so wenige Menschen übrig bleiben lassen, dass wieder alle satt werden können.“
Sylvia:„Da sind wir heute weiter. Wir vermehren uns wie die Karnickel und jeder Einzelne konsumiert auf Teufel komm raus. Mal sehen, ob überhaupt welche von uns übrig bleiben.“
Wes: „Bisher haben wir jede Heuschreckenplage und Pandemie überstanden. Und Umweltschutz steht doch bei allen Parteien ganz oben auf der Agenda.“
Sie seufzt: „Ach ja? Der Tanz ums goldene Kalb geht weiter. Als gläubige Liberale legen wir doch nur die Hände in den Schoß und beten zur Wirtschaft, dass sie uns von allem Übel erlöse. Dafür bringen wir ihr Steuergeschenke als Opfer dar.“
Wes neigt den Kopf zur Seite. Bevor er ihn schütteln kann, redet Sylvia schon weiter. „Jeder dreht sich um sich selbst und seine Klientel. Und die Medien senden nur noch für gegebene oder gewünschte Mehrheiten!“
Sie beklagt in allen Einzelheiten und mit mehr oder weniger absurden Beispielen wie ärmere Leute vom Wählen abgehalten würden. Irgendwann verheddert sie sich und verliert den Faden am Ende ganz.
„Das Forum hat das ja an den Pranger gestellt?“, nutzt Wesley die Gelegenheit. Sie nickt: „Da muss man sich was einfallen lassen und den Fernsehjournalisten den Spiegel vorhalten!“
Wes gibt sich verständnisvoll. „Kaum zu glauben, wie schnell die Medien die beiden Morde wieder zu den Akten gelegt haben. Über andere Sachen reden die monatelang!“
„Richtig. Aber nicht mal mit dem Forum der Nichtwähler hatten wir eine Chance!“ Sylvias Mundwinkel hängen herunter.
Wes: „Da muss man kein schlechtes Gewissen haben. Die beim Fernsehen mauscheln ja auch!“
Sie nickt. „Genau! Wir sind doch die Einzigen, die überhaupt noch dafür kämpfen, dass man in den Medien nicht nur die Argumente der Konzerne hört!“
Wes legt seine Hand auf ihre Schulter. „Mit deiner Aktion hast Du ja immerhin für Öffentlichkeit gesorgt!“ Sie schüttelt den Kopf: „Das stimmt nicht so ganz!“ „Wie war es denn dann?“
Sylvia: „Erst die Todesfälle haben uns in die Medien gebracht. Aber jetzt habe ich Schiss! Wäre ich doch bloß ausgestiegen.“
Wes nickt ihr aufmunternd zu: „War das alles deine Idee oder die von Daniel van Haaren?“
Sie lacht: „Ach, der Daniel. Anfangs hat er sich doch nur seine alten Sendungen angesehen und sich gefreut, wenn meine Gäste ihn erkannt haben.“
„Das heißt, du hast ihn erst auf die Idee gebracht?“, brummt er anerkennend.
Ihre Schultern gehen nach oben. „Nee! Es hat mich ohnehin gewundert, dass er das machen wollte. Eigentlich war der doch viel zu geizig! “
Auftakt. „So, das war es schon. Der Rest tut nichts zur Sache.“ Karl klappt seinen Laptop zusammen und schaut uns an.
„Also. Noch mal der Reihe nach. Der Fake-Talk ist tatsächlich ausgestrahlt worden?“ Ich kann es immer noch nicht glauben: „ARD und ZDF haben das gesendet? Kritik an der eigenen Arbeit?“
Karl: „Natürlich nicht freiwillig. Aber nachdem Kemal und Alfred getötet worden waren, blieb ihnen nichts anderes übrig. Sonst hätten die Privaten das ausgeschlachtet.“
„Okay. Und wie ging es dann weiter?“ Karl: „Nach dem Sana diesen van Haaren überführt hatte wurde klar, dass es eine reine Fake-Veranstaltung war. Von da an hat sich niemand mehr für das Forum der Nichtwähler interessiert. Auch über van Haaren wurde kaum noch etwas berichtet. Der hatte das Ganze ja nur organisiert, um wieder mal ins Fernsehen zu kommen.“
Wes schaut aus dem Fenster: „Wo ist Sana eigentlich?“ Karl folgt seinem Blick. „Die ist im Job. Da stehen Veränderungen an.“
Mir fällt auf, wie ähnlich sich die beiden sind; schmale Gesichter, hohe Stirnen unter dünnen, beinahe unsichtbaren Haaren. Opa-Typen?
Okay. Glashaus? Ich bin ja auch schon in Rente, aber noch Junggeselle. Eine „deprimierende Kombination!“ war mir gestern gegenüber dem Kellner meiner Stammkneipe heraus gerutscht.
Nein, er hat nicht gelacht, sondern glaubte mich aufmuntern zu müssen: „Jung und Geselle klingt doch besser als Ehemann. Verstehst Du? Ehemann, also ehemaliger Mann? Jemand, der vor seiner Heirat mal ein Mann gewesen ist.“
Wes sieht Karl irritiert an: „Du glaubst nicht an einen Unfall?“ Hmh? Ich habe den beiden doch nur einen kurzen Moment nicht zugehört, aber wohl etwas Wichtiges verpasst.
Die beiden sehen sich an. Nachdenklich. Ein wenig zu lange.
„Wie kommt ihr denn auf so was?“, unterbreche ich ihr Schweigen.
Karl nickt zögernd: „Klar, das Forum war Fake. Aber Leute, bei denen die Sendungen so ankommen, wie bei den Nichtwählern des Forums, gibt es tatsächlich.“
Wes: „Du meinst, weil die ersten Toten ja Wortführer in den Talkshows waren und Sylvia in der dritten Show die Hauptrolle spielte, ist sie jetzt auch tot?“
Anna. Sie ist so hübsch und blond wie Sylvia, aber um einiges älter. Mit ihrer zierlichen Statur hätte ich sie deutlich jünger eingeschätzt und nicht für Ende fünfzig gehalten. Ihre kleinen Falten fangen das Licht ein und verleihen ihrem Gesicht eine beinahe überirdische Aura. Daran ändert auch ihr komisches Schlabberkleid mit den großen Blumen nichts. Ich fühle mich in die 80er Jahre zurück versetzt.
Nach einem kurzen Nicken zur Begrüßung führt Karl wenig charmant ein: „Sie haben mit Sylvia zusammen studiert? Aber Sie arbeiten an ihrer Doktorarbeit. Wie habe ich das denn zu verstehen?“
Sie lächelt süffisant: „Weil ich schon eine alte Frau bin? Na ja. Ich muss nicht arbeiten. Und mein Ex wollte, dass ich schnell fertig werde.“ Es stellt sich heraus, dass Anna trotz ihrer ganz anderen Lebensumstände tatsächlich eine enge Freundschaft mit Sylvia verbunden hat. „Sie war echt taff. Zwanzig Stunden kellnern, im Studium das volle Programm. Und über was sie sich alles Gedanken gemacht hat“, schwärmt sie uns vor.
Karl, skeptisch: „Über was alles? Können Sie mir ein Beispiel nennen?“
Sie breitet ihre Arme aus. „Dass die Konservativen den Klimawandel unterschätzt oder sogar ignoriert haben. Die vielen Toten im Westen. Und die Medien? Die machen täglich neue Schuldige aus. Eigentlich müsste das den Grünen in die Hände spielen.“
Hmh? Das war nicht die Frage. Auch Karl ist irritiert: „Da war ihre Freundin doch schon tot?“
Anna: „Ja, ja. So, wie ich Sylvia verstanden habe, geht es um die prinzipielle Frage, ob die Wähler wollen, das etwas dagegen getan wird oder ob es ihnen wichtiger ist so lange wie möglich weiter machen zu können, wie bisher.“
Karl, abfällig: „Und so etwas hat die junge Frau Gonzales beschäftigt?“
Sie bläst die Backen auf. „Pfft. Wenn in einer Sendung zu den Folgen des Klimawandel über den Lebenslauf und das Buch der Baerbock und dann erst über die Umweltkatastrophe berichtet wird, muss man sich schon fragen, was unsere Medien da eigentlich machen.“
Ich bleibe höflich: „Worauf wollen Sie hinaus?“ Anna sieht Karl mitleidig an. „Einfältige Menschen wie ihr Begleiter vermuten dann einen Zusammenhang.“
Karl verdreht die Augen: „Zwischen dem Buch und den Überflutungen?“
Sie nickt: „In einem Internetforum hat eine Frau Annalena Baerbock als grüne Hexe betitelt. Und behauptete, beweisen zu können, dass auch schon mal ein Urahn von ihr auf dem Scheiterhaufen gelandet wäre.“
Sie seufzt: „Die Frage ist doch, warum die Medien nicht mehr über die Risiken eines 'weiter so' berichten, sondern die notwendige Klimapolitik als Schreckgespenst an die Wand malen.“
Karl schüttelt den Kopf: „Und? Was glauben Sie?“ Anna:
„Sylvia meinte, dass die Reportagen von ARD und ZDF zwar korrekt und auch differenziert informieren.“
Ihre Miene verfinstert sich. „Das schlägt sich aber in den Talkshows und Nachrichtensendungen kaum nieder.“
„Warum sollte das so sein?“ Anna: „In ein paar Wochen sind doch Wahlen.“ Karl, ironisch: „Die Bündnis-Grünen werden also benachteiligt?“
Anna: „Die Wahlergebnisse sind doch nur für die Parteien wichtig. Egal ob schwarz-grün, rot-grün oder grün–rot mit oder ohne gelb koalieren. Die Politik wird bei ihrem Klein-Klein bleiben.“
Karl, interessiert: „Und eine große Koalition schließen Sie aus?“ Sie zuckt mit den Achseln: „Wer weiß. Bevor es zu rotrot-grün kommt oder zu schwarz-gelb-braun.“ „Braun?“ „Na AfD.“ „Das ist unmöglich!“
Anna: „Zur Zeit machen die Öffentlich-rechtlichen doch eine Castingshow auf dem Niveau von 'Germanys nextTopmodell'.“
Ich wundere mich schon einige Zeit. Wieso duldet Karl, dass sie seine Fragen zu einem politischen Diskurs nutzt.
Das ist ihm wohl auch bewusst geworden: „Können wir das Thema jetzt bitte lassen?“ „Ist vielleicht besser. Nachher gehen Sie noch auf mich los“, lächelt sie zuckersüß.
Er atmet durch: „Sind ihnen weitere Kommilitonen bekannt mit denen Sylvia befreundet war?“ Sie denkt kurz nach und schüttelt dann den Kopf.
„Mit wem hat sie denn gemeinsam das eine oder andere Seminar besucht oder in einer AG zusammengearbeitet?“, gibt er nicht auf.
„Hmh. Einige. Vielleicht ein knappes Dutzend. Ich glaube nicht, dass davon jemand eine engere Verbindung zu Sylvia hatte“, antwortet sie zögernd.
Karl: „Und andersherum? Ist jemand dabei, der sich ihr gegenüber besonders distanziert oder abweisend gegeben hat?“
Anna sieht ihn erstaunt an. „Eigentlich war sie sehr beliebt. Na ja, die Nadja vielleicht.“
Sie lacht: „Eine Streberin vor dem Herrn. Vor dem Herrn Professor, genau genommen. Sie wollte unbedingt eine der Assistentenstellen ergattern.“
„Ist die denn gut? Ich meine Noten mäßig.“ „Ja, ziemlich. Noch besser als Sylvia. Trotzdem war sie eifersüchtig.“
Karl: „Woran machen Sie das fest?“ „Sie hat blöde Anspielungen gemacht. Zum Beispiel auf Sylvias Kellnerjob. So nach dem Motto: „Wie ist das mit dem Trinkgeld? Wackelst Du mit dem Hintern und zeigst Deine Möpse? Oder machst Du noch mehr dafür?“ Sie schüttelt sich angewidert.
Er: „Sonst noch jemand?“ „Hmh? Der Niklas vielleicht. Einerseits tut er so als würde er sie gut kennen und andererseits gibt er sich ihr gegenüber sehr distanziert.“
„Kannten die sich denn von früher?“ „Scheint so. Vielleicht von einem Ferienjob oder so. Sylvia hat mal erwähnt, dass sie sich vor gut zwei Jahren mal bei einem Projekt begegnet sind.“ Und so geht es weiter. Nichts besonderes. Oder doch?
Karl: „Sie haben kein Alibi, aber jede Menge Gelegenheiten. Und ein Motiv lässt sich sicher noch finden.“
Das klingt nicht gerade freundlich, gehört aber wohl zu seinem Job. Auch, dass er nun hartnäckig darauf herumreitet, muss wohl so sein.
Doch dann geht er eindeutig zu weit. „War sie vielleicht das Schneewittchen und hat Ihnen täglich vor Augen geführt, dass sie zu alt sind und nicht mehr mithalten können?“
Anna sieht ihn mit aufgerissenen Augen an und presst ihre Lippen zusammen. Nein, sie weint nicht. Doch wie sie darum kämpft ihre Tränen zurückzuhalten, macht mich wütend.
„Sag mal spinnst Du, Karl? Was hat die Frau Dir denn getan?“, platzt mir dann auch der Kragen.
Er sieht mich an. Irritiert? Verlegen? „Okay, ich habe da wohl ein bisschen übertrieben.“
„Ein bisschen ist gut! Du machst das nicht noch mal! Hast Du mich verstanden!“, schnauze ich ihn an. Er sieht mich an. Hält er mich für zu empfindlich?
Nein, er nickt nur. Der Anpfiff kommt von der anderen Seite. Ausgerechnet Anna nimmt ihn in Schutz: „So können Sie nicht mit ihm reden. Er macht doch nur seinen Job. Ich denke, Sie sind Freunde?“ Das darf doch wohl nicht wahr sein.
Karl sieht sie erstaunt an, schüttelt den Kopf und wendet sich mir zu: „Ulrich. Bitte geh doch schon mal vor. Ich komme nach.“
Muss ich das jetzt verstehen? Die beiden warten offenbar darauf, dass ich gehe und sie allein lasse. Okay, das können sie haben. „Gerne. Nichts lieber als das!“, zische ich und verschwinde.
Der Korridor passt zu meiner Laune. Die grauen Wände sind vergammelt, die Reste der Farbe blättern ab oder sind von Schmierereien überdeckt.
Okay. Ein Studentenwohnheim. Trotzdem. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, das Anna hier zu Hause sein soll.
Obwohl er schräg gegenüber von ihrer Zimmertür steht, bemerke ich ihn erst jetzt. Ein Student und Mitbewohner? Sein Gesicht von mir abgewandt.
Die breiten Schultern in dem dunklen Anzug deuten eher auf einen Bodyguard oder Banker hin, der sehr viel Kraftsport treibt.
Egal. Ich gehe an ihm vorbei in Richtung Ausgang. „Lass bloß die Finger von ihr!“, glaube ich ein leises Knurren zu hören. Ich sehe mich nicht um. Wahrscheinlich kam das ja aus einem der angrenzenden Räume, wo die Tür nur angelehnt ist.
„Erinnerung .... ist Vergangenheit in der Gegenwart.“(Karin Jahnke, Realschullehrerin)
Niklas. Zu Hause haben wir ihn nicht angetroffen. In der Uni klappt es schließlich. Anna sei Dank. Denn wir wussten ja nicht mal wie der Typ aussieht.
Er sitzt in der Mensa an einem Tisch. Karl bittet Anna uns allein zu lassen. Weil ihre Anwesenheit den Typen irritieren könnte? Sie geht dann auch. Widerwillig. Nachdem sie ihm noch einen vielsagenden Blick zu geworfen hat.
Karl sitzt schon neben dem gesuchten Studenten, der sich darüber nicht gerade freut. So interpretiere ich zumindest seine abweisend blasierte Miene. Niklas ist ein hübscher Kerl; schmales Gesicht und dunkle Haare.
Ich ziehe einen Stuhl heran und nehme ihm gegenüber Platz. „Also, woher kennen Sie Sylvia?“, fragt Karl offenbar nicht zum ersten Mal. Die Antwort kommt amüsiert und schnöselig: „Kennen geht nicht. Da sie tot ist kann ich sie nur gekannt haben.“ Karl patscht mit der Hand auf den Tisch. „Und?“
Niklas zieht die Mundwinkel nach unten. „ich weiß zwar nicht, was Sie das angeht. Aber ich will Sie ja nicht dumm sterben lassen.“
Er verschränkt die Arme vor der Brust. „Wir haben beide mal gemeinsam an einer Diskussion teilgenommen. Das wissen Sie sicher.“ „Ja und?“
„Da haben wir sogar ein paar Euro für bekommen. Sylvia brauchte die Kohle.“ „Und weiter?“ „Nichts weiter. Ich kannte sie ja vom Sehen. So groß ist unsere Uni ja auch wieder nicht.“
„Wie war das denn? Ich meine die Diskussion. Haben Sie sich da mit ihr gefetzt?“
Niklas verdreht die Augen. „Gefetzt? Wo haben Sie denn den Ausdruck her? Klar, wir haben unterschiedliche Positionen vertreten, sonst wären wir ja nicht eingeladen worden.“ „Und Sie? Brauchten Sie auch das Geld?“
„Pfft. Die paar Euro. Nee, nicht wirklich. Das macht mein Taschengeld nicht fett.“ „Und warum haben Sie dann mitgemacht?“
Seine Schultern heben sich ein Stück. „Ach. In einem Seminar hat sie damit geprahlt, dass sie in so einem Forum wäre. Sie hat uns eine Aufzeichnung davon vorgespielt. Na, ja ein Stück davon.“ „Ja und?“
„Primitiv, grob und dumm. Das habe ich ihr auch gesagt. Dann hat sie mich provoziert, ich sollte es doch besser machen, wenn ich könnte.“ „Und haben Sie?“ „Ja klar.“
„Das ist doch sicher aufgezeichnet worden. Können Sie mir das mal zeigen? Oder mir Ihren Nicknamen nennen unter dem Sie teilgenommen haben?“
„Nee, kann ich nicht. Und mein Nickname geht sie nichts an.“ Niklas Arme sind wieder vor der Brust.
Karl: „Okay. Frau Gonzales hat sich ja sehr engagiert. Dafür gab es doch sicher auch noch andere Gründe?“
Niklas zuckt mit den Achseln: „Keine Ahnung. Ideologisch und sozialistisch war sie ja schon immer. Die Medien hatte sie erst später auf dem Kieker. Etwa zu der Zeit als sie diese Doktorandin kennen gelernt hatte.
Karl: „Und die Aufzeichnung?“ Niklas grinst mitleidig: „Sylvia hat mir eine angeboten. Ich habe aber dankend abgelehnt.“
„Hat sie den Mitschnitt denn sonst irgendjemandem gezeigt? Einer Freundin? Einem Freund?“
Niklas lacht verächtlich. „Vielleicht der Anna. Jonny wohl eher nicht. So eifersüchtig, wie der ist. Sie hat sich ja in der Diskussion ziemlich in den Vordergrund gespielt. Würde mich nicht wundern, wenn da noch mehr gelaufen wäre.“
Verloren. Ich habe es sofort bemerkt und wollte auch schon wieder einsteigen. Doch die U-Bahn fuhr gerade los. Mit meinem Portemonnaie, das mir aus der Tasche gefallen war.
Und damit auch Personalausweis, Führerschein, Kredit-, Versicherungskarten, ein Zettel mit den Pin-Codes und gut hundert Euro in bar.
Stellen Sie sich vor, Sie tragen seit fünfzig Jahren ihre ganze Identität mit sich rum, immer in der rechten Gesäßtasche ihrer Hose. Und plötzlich ist da nichts mehr.
Phantomschmerz wäre übertrieben, aber unwillkürlich fasse ich immer wieder dahin, kann nicht glauben, dass da nichts mehr sein soll.
Die Telefonate mit der Bahngesellschaft, der Bank und der Polizei verhinderten, dass ein unehrlicher Finder sich an meinem Konto bedienen konnte. Eine Suchanzeige beim Fundbüro blieb ergebnislos. Schade, ich hätte mich gerne mit ein paar hundert Euro bedankt.
Um die gewichtslose Leere auszufüllen, habe ich mir ein altes ausrangiertes Portemonnaie in die Hose gesteckt.
Eigentlich kein Problem. Bis auf die Tatsache, dass sich darin noch das Bild eines lachenden Mädchens befindet. Ich weiß nicht, ob sie mich auslacht oder provozieren will.
Obwohl es mich stört, kann ich mich nicht überwinden, es herauszunehmen und wegzuwerfen. Nostalgie?
Mit Anne-Mona war ich früh zusammen gekommen. Ein schönes Mädchen, das zu mir gehörte, wie ich zu ihr. In meiner jugendlichen Überzeugung war ich sicher gewesen, das sich das auch niemals ändern würde.
Und da sie das genau so sah, waren wir sogar schon zum Amt gegangen und hatten bereits die Sondergenehmigung für unsere Heirat erhalten. Die Volljährigkeit galt damals ja erst ab 21. Doch wir wollten nicht abwarten bis auch sie so alt war, sondern sofort mit dem Rest unseres Lebens beginnen.
Wie war das noch? Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. So war es dann auch bei uns gewesen.
Es begann mit einem Zeitungsartikel über die Karnevals-Party in der örtlichen Diskothek. Das war Ende der 80er ja noch ein berichtenswertes Ereignis.
Und wir legten auch großen Wert darauf, nicht so spießig wie unsere Eltern zu erscheinen.
Tja, wie war das mit den Geistern, die ich rief? Jedenfalls artete das Ganze in ein ausschweifendes Tanzgelage aus, bei dem wir uns alle Mühe gaben, möglichst unanständig zu erscheinen.
Gegen Mitternacht musste ich los, weil das Vaterland mich rief und ich am nächsten frühen Morgen meinen Wehrdienst antreten musste.
Der Dienst an der Waffe stand in unserer Clique nicht gerade hoch im Kurs. Und so hatte Anne-Mona nur ihrer besten Freundin davon erzählt.
Und die ließ mich das an diesem Abend auch spüren.
„Schlimm, dass Du Dich dafür entschieden hast, Deinen Kadaver zu opfern. Aber dass Du Anne-Mona auch noch die Party versaust, ist das allerletzte.“
Klar, Moni, wie ich sie nannte, wollte mich natürlich zum Zug bringen. Doch um souverän zu erscheinen, heute würde man sagen cool, bat sie doch noch ein Stündchen oder so zu bleiben: „Du kannst doch Deine Freundin nicht alleine lassen.“ Sie wehrte sich mit Händen und Füßen, aber ich blieb hart und machte mich schweren Herzens allein auf den Weg.
Tja. Als ich am übernächsten Wochenende zurückkam, stand meine kleine Welt auf dem Kopf. In unserer Tageszeitung zeigten mehrere Fotos eine strahlende Anne-Mona. Sie hielt ein Bierglas in die Kamera. Und sie war nicht allein. Der Arm eines Mannes lag um ihre Hüfte und ihr Kopf an seiner Schulter.
Hmh? Deshalb nannte man die Überschrift zu einem Artikel wohl auch Schlagzeile. Denn die „jungen Partyluder außer Rand und Band“ hauten mich regelrecht um.
Und so verbrachte ich die Nacht in meinem Elternhaus anstatt sofort zu ihr zu fahren. Ich musste den Schock erst mal verdauen, bevor ich mit ihr reden konnte.
Aus der 'Bravo' wusste ich ja auch, dass Eifersucht kein guter Ratgeber ist und eine beleidigte Leberwurst Gift für die Gefühle.
Keine Ahnung, warum es überhaupt nicht mehr zu einem Gespräch gekommen ist. Ich erinnere mich nur noch daran, dass meine Bekannten aus Kneipe und Nachbarschaft mich in den darauf folgenden Tagen mit Zeitschriften versorgten.
Bei aller Unterschiedlichkeit hatten die eines gemeinsam; Berichte über die Party in besagter Diskothek, die inzwischen von einem regional bekannten Jugendtreff zu einer berühmt, berüchtigten Örtlichkeit geworden war.
In einigen Artikeln waren Anne-Monas Fotos mit anderen Bildern zur knallbunten Kollage vermengt. So sollte wohl das ausschweifende Nachtleben der ´heutigen´, also damaligen, Jugend dokumentiert werden.
Peinlich berührt wartete ich darauf, das sich das Thema bald von selbst erledigt haben würde.
Vom Sommerloch bei den Medien redete damals ja noch niemand. Aber es gab es schon und ließ mich nicht zur Ruhe kommen.
In den regionalen Zeitungen wurde jedenfalls in Ermangelung von Fakten über alles mögliche spekuliert. Zum Beispiel, ob nicht einige der Damen auf den Fotos dem horizontalen Gewerbe nach gingen.
Oder darüber, welche Rolle Manni, der Diskothekenbesitzer dabei spielen könnte.
Von nun an drehten sich meine Gedanken um Anne-Mona und die hemmungslose Partyszene. Nein, nicht immer, aber doch so regelmäßig, als hätte ich sie abonniert.
Im Laufe der Zeit verschwamm meine Erinnerung und wurde lückenhaft. Andererseits fielen mir Szenen ein, bei denen ich mir anfangs gar nichts gedacht hatte. Zum Beispiel sah ich Anne-Mona so nah und vertraut bei Manni stehen, dass sie sich nicht mal anschauen mussten. Moni und Manni? Darüber stand natürlich nichts in der Zeitung. Aber ganz ohne Grund würden die ja solche Artikel nicht ausgerechnet neben einem Foto von ihr platzieren.
Das Gesicht unkenntlich gemacht? Von wegen! Der Balken über ihren Augen war eher eine schmale Maske, wie bestimmte Damen sie bei ihrer Arbeit tragen.
Mein kleiner Bekanntenkreis stand mir zu Seite. Die Schulter klopfende Anteilnahme für mich, den Hampelmann, was alles andere als schön.
Nein. Ich habe Anne-Mona nie darauf angesprochen. Was hätte das schon gebracht? Außer, dass sie sich über mich auch noch lustig gemacht hätte. Naives Landei oder so.
Christian1. Vielleicht hätte ich Wes nichts davon erzählen sollen, denn mein sonst so nüchterner Kumpel wurde ein wenig emotional: „Vierzig Jahre! Wenn man jemanden so lange kennt gehört der quasi zur Familie. Das kann man sich nicht mehr aussuchen.“
„Wie kommst Du denn jetzt darauf?“, frage ich erstaunt. Er zuckt mit den Schultern. „Ach, es gibt da jemanden mit dem ich solange befreundet bin oder war.“ Soll vorkommen, denke ich mir, sehe aber dass es ihn beschäftigt und frage nach.
„Wir haben mal in der gleichen Behörde gearbeitet. Da waren wir jung, haben mit anderen Kollegen so einiges unternommen. Auch für verlängerte Wochenenden weggefahren. Trainingslager haben wir das genannt.“
Er lacht: „Dreikampf. Fußball, Tennis und einarmiges Reißen, also Saufen. Gewandert sind wir auch.“ „Okay?“ Ich frage mich, warum er mir das erzählt. Das erklärt er mir dann auch. Dieser Freund, Kollege oder alter Bekannter namens Christian wohnte inzwischen weit weg.
Als sie noch in der selben Behörde arbeiteten, hätten sie viel Kontakt gehabt. Gemeinsame Mittagspause und die gleichen Kneipen.
Eigentlich habe er, Wes, manche Sozialkontakte erst über Christians Freundin Gertrud gefunden.
Ich verdrehe die Augen. „Und Christian selbst?“ „Ach, der kam mir vor allem in den ersten zehn Jahren sehr souverän vor, ja manchmal sogar arrogant. Während ich froh war in der nachgeordneten Behörde untergekommen zu sein, sprach er schon davon bald in ein Ministerium zu wechseln. Dazu kam es dann auch. Doch da er weiterhin in der Nähe wohnte änderte sich nicht viel. Er war und blieb der kluge Gesprächspartner, der sich mit meinen Ansichten ernsthaft auseinandersetzte.“
Er verzieht das Gesicht. „Entweder hat er meine Gedanken weiter fundiert oder ihre Konstruktion zum Einsturz gebracht. Dafür bin ich ihm heute noch sehr dankbar.“
„Und da gab es nichts, was Dich gestört hat?“ „Selten“, weicht er aus. Ich hake nach: „Zum Beispiel?“
Ich weiß nicht, ob er wirklich so lange überlegen muss oder ob er nur widerwillig darüber reden will. Es dauert jedenfalls.
„Na, ja, das ist schon ziemlich lange her. Anfang oder Mitte der 90er Jahre. Ich war ein paar Jahre schon in einer Clique, der die Segelei sehr wichtig war.“
Er zögert: „Ich war sicher nicht der große Crack wie Alex, der schon als Kind mit einer Jolle unterwegs war. Aber ich war auch kein Anfänger mehr, so dass wir ein paar Mal über Pfingsten mit mehreren Jollen in Friesland unterwegs waren. Alex war immer souverän und tolerant; er sparte auch nicht mit Anerkennung für uns normal sterbliche Skipper.“
„Ich dachte, es geht um Christian und nicht um diesen Alex?“ „Ja, ja. Ich war nur so begeistert, dass ich mit einem kleinen Boot, einem Stück Segel und dem Wind durch die Seen und Kanäle so fahren konnte. Ich war ein bisschen stolz darauf, so eine Jolle zu führen.“
„Was hat das mit diesem Christian zu tun?“ „Tja, einmal ist der mitgekommen. Er war ja auch mit Alex befreundet. Wurde aber meiner Crew zugeteilt. Keine Ahnung, was mit ihm los war. Lustlos wäre untertrieben.“
Wes atmet aus: „Er ignorierte meine Hinweise für beinahe jedes Manöver, maulte nur herum, dass das doch alles blöd wäre, er auch keine Lust hätte und lieber auf dem Boot von Alex wäre, der wenigstens Segeln könnte.“
Sein Versuch zu lachen scheitert. So deprimiert habe ich ihn noch nicht erlebt. Ich frage nach: „Hatte Christian denn so viel Erfahrung. Dass er das beurteilen konnte?“
„Soweit ich weiß, war er zum ersten Mal auf so einer Jolle.“ „Und wie war das sonst mit den Mitseglern auf Deinem Boot. Ich meine bei anderen Törns?“
„Klar, ich war nicht perfekt, aber machte meinen Job ganz ordentlich. Und die anderen hatten Spaß dabei, unterstützten mich als Skipper und wenn wir angekommen waren, gab es immer ein gegenseitiges Schulterklopfen.“
Hmh? „Warum ist Christian denn überhaupt mitgekommen, wenn es ihm keinen Spaß macht?“ Wes sieht mich erstaunt an. „Keine Ahnung.“
„Tja, wenn das tatsächlich so war, dann ging das gegen Dich. Oder er war sauer, weil er nicht auf dem Boot von diesem Alex war. Das läuft letztlich aufs gleiche raus“, stelle ich fest und hake nach. „War das nur dieses eine Mal so, das er Dich, äh, so abgetan hat?“
Er zuckt mit den Schultern. „Na ja, schon ein paar Mal, aber das habe ich nicht so ernst genommen. Bei der Segelei war ich wohl sehr empfindlich. Ich glaube, die meisten Segler sind da recht eitel.“
Hmh? Vielleicht muntert ihn ja ein anderes Thema auf: „Und seine Freundin Gertrud?“ „Die ist jetzt seine Ehefrau. Sie war schon immer 'a class of its own'.
„Eine ungewöhnliche Beschreibung.“ Er nickt heftig: „Ist sie ja auch. Wir waren selten einer Meinung, denn ihre Sicht auf die Welt steht in einem zirkular reziproken Verhältnis zur Logik und Realität.“
Kopfschüttelnd fährt er fort: „Eine Frau, die es eigentlich nicht geben kann. Eine altruistische, egomane Prinzessin für die Naturgesetze nicht gelten. Sie war missionarisch und ließ andere kaum zu Wort kommen. Andererseits habe ich es selbst erlebt, dass sie sofort bemerkt, wenn es jemandem nicht gut geht. Dann hört sie nicht nur zu, sondern stellt auch Fragen, die Deine Perspektive positiv verändern. Für mich war das immer sehr hilfreich. Sie scheut sich auch nicht in aller Öffentlichkeit jemandem beizustehen, selbst wenn sie dafür selbst Ärger bekommen könnte.“
„Geht es Dir um Christian oder um Gertrud?“ Wesley: „Um Chris. Der Name bedeutet übrigens 'der Steinharte, der aus dem Sumpf kam'.“ „Und Du meinst, das passt?“
Er lehnt sich zurück. „Na ja, auf seiner Hochzeit habe ich auch seine Mutter kennen gelernt, eine starke Frau, die ihm viel Wärme gegeben hat.“ „Warum betonst Du das so?“
Wes: „Keine Ahnung. Vielleicht, weil ich das selbst nicht erfahren habe.“
Er zögert: „Wenn meine Eltern mir nahe kamen, dann hatte ich etwas ausgefressen und es gab Haue. Was meinem Vater noch unangenehmer war als mir selbst. Also haben wir uns Mühe gegeben, uns nicht in die Quere zu kommen.“
„Ungeliebtes Kind?“ „Eher ungeliebte Eltern. Die hatten es nicht leicht. Stell Dir vor, Du wärst 1945 Teenager gewesen.“
Nachdenklich fährt er fort: „Manchmal denke ich, dass mein Vater so viel Pech hatte, weil er das Quentchen Glück, das jedem zusteht, mir überlassen hat.“
Mein Blick ist wohl Frage genug. Er nickt: „Ich lebe schon zehn Jahre länger als er, bin gesund trotz meines Lebenswandels, habe eine akademische Laufbahn gehabt und dass bei einem Volksschulzeugnis, das nicht mal für eine Lehrstelle gereicht hatte und vieles mehr. “
Ich versuche den Überblick zu behalten: „Und deshalb....?“ Wes nickt bekümmert. „...fehlt mir emotionale Kompetenz und Selbstbewusstsein.“
Hmh? Keine Ahnung, was er damit sagen will. „Und da war Chris anders?“ „Ich glaube, er hat gemerkt, das bei mir etwas nicht stimmt. Trotzdem hat er mich zu seinem Trauzeugen gemacht.“
„Darüber hast Du Dich sicher gefreut?“ „Nein. Ich war stolz darauf. Wusste aber nicht, wie ich mich verhalten sollte.“
„Und dann?“ Wes: „Keine Ahnung. Er war ja mit Gertrud zusammen und ich immer noch unterwegs. Ich weiß nicht, was davon schwieriger war. Für mich habe ich rückblickend eingesehen, dass ich für viele Frauen ein ideales Objekt war, um das 'Frösche-an-die-Wand-klatschen' zu üben.“
Hmh? Frösche. Eigentlich kein schlechtes Symbol, aber im Bett für Frauen der Albtraum schlecht hin. Okay. „Und das hat er kritisiert?“ „Na ja, zu recht.“ „Aber?“
„Na ja, vor zwanzig Jahren glaubte ich, die Frau fürs Lebens gefunden zu haben.“
Er atmet durch: „Im Überschwang der Gefühle habe ich dann Chris angerufen, um mein Glück mit ihm zu teilen.“ „Ja und?“
„Er fühlte sich belästigt. Jedenfalls würgte er mich sofort ab: 'Und für so was rufst Du mich an?' Ich habe mich dann nicht mehr getraut meine Verlobung zu erwähnen.“ „Okay?“
„Tja, da wurde mir bewusst, was er wirklich von mir hält.“ „Und dann?“
„Keine Ahnung. Ich habe es wohl vergessen. Denn irgendwie hat er ja recht behalten.“
„Die Wahrheit ist das Kind der Zeit, nicht der Autorität.“ (Bertold Brecht, Dramatiker und Lyriker)
Sana. „Ich musste mir von meinem Chef so einiges anhören. Er meinte, ich hätte es ja selbst erlebt, dass die Kritik an den öffentlich-rechtlichen Sendern nur eine Fake-Veranstaltung gewesen war. Von den Russen finanziert. Dabei hat dieser Doktor, Doktor Wegener, mich von oben herab angesehen. Nicht nur, weil er größer ist als ich“, knurrt Sana gereizt. Karl nickt ihr beruhigend zu.
Sie streckt ihm ihre rechte Hand entgegen: „Natürlich habe ich ihn korrigiert. Schließlich waren es nicht die Russen sondern ein Amerikaner, der sich rächen wollte. Aber das war ihm egal.“
Ihre Ellenbogen auf den Tisch gestützt äfft sie ihn nach: „Es geht doch nur darum, dass das Forum der Nichtwähler ein Fake gewesen war.“
Sie seufzt: „Ich habe ihn dann darauf hingewiesen, dass es die Sendungen, die kritisiert wurden, ja tatsächlich gegeben hat.“ Karl: „Was wollte er eigentlich von Dir?“ Sie nickt: „Das habe ich ihn auch gefragt. Er hätte mich ja wohl nicht zu sich zitiert, um diese alte Geschichte aufzuwärmen.“ „Eben!“
Sana: „Tja, er meinte dann, ich wäre ja in den Medien hoch gelobt worden, weil ich die Hintergründe dieses Fake-Forums entlarvt hätte. Und jetzt meine der Innenminister, dass ich zu höherem berufen sein könnte.“
Karl: „Hmh? So etwas vom Wegener? Das ist ihm sicher schwer gefallen. Und was heißt das jetzt?“
Sie hebt ihre Schultern an und lässt sie wieder fallen. „Im ZOK soll ein neues Dezernat eingerichtet werden.“ „Hmh?“
„Na, der Forums-Fall hätte ja gezeigt, dass Korruption sogar bei den Medien und in der Politik nicht völlig auszuschließen wäre.“ „Ja und?“ „Du kennst Wegener doch. Natürlich musste er sich wichtig machen.“ Sie lacht: „Er gab den Nikolaus, der seinen Rucksack mit den Geschenken öffnet.“
Karl: „Und was war drin?“ „Es geht um die Leitung des neuen Dezernates. Die Stelle soll mit einem Regierungsdirektor, vielleicht so gar einem leitenden, besetzt werden.“