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Leonhard Horowski

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Beschreibung

Als Europas Herrscher eine große Familie waren – das schwungvoll erzählte Panorama einer Zeit, die sich uns faszinierend fremd und doch seltsam vertraut darstellt. Ein eigenartiger Kontinent ist das Europa der Könige: Hier kann ein König von England, der kein Englisch spricht, auf die Idee kommen, die Pläne eines kein Spanisch sprechenden Königs von Spanien zu durchkreuzen, indem er dem kein Polnisch sprechenden König von Polen anbietet, König von Sizilien zu werden. Hier residiert die Macht in überfüllten Schlössern, deren Höflingsbewohner sich den ganzen Winter über um das Recht streiten, in Gegenwart der Königin auf einem Hocker sitzen zu dürfen, bevor sie im Sommer losziehen, um an der Spitze knallbunt uniformierter Truppen direkt in das Musketenfeuer der Kriegsgegner hineinzumarschieren. Hier lebt eine Gesellschaft, in der ein Edelmann, der erst mit dreiundzwanzig Jahren feststellt, keinen Vornamen zu haben, weniger auffällt als einer, der seine Frau mit ihrem Vornamen anredet. Hier schart sich der höfische Adel um Herrscher, die in einem dichten Netz aus diplomatischen Beziehungen, Intrigen und Verschwörungen gefangen sind: Nationalität und Ideologie sind ihnen nichts, die eigene Dynastie dagegen alles. Leonhard Horowski führt uns kenntnisreich und unterhaltsam durch untergegangene Welten, deren Bewohner er auf die Schlachtfelder des Krieges wie auf die der Heiratspolitik begleitet; er folgt Edelleuten und Prinzessinnen durch labyrinthische Palastkorridore und sieht zu, wie mit Duellen und Zeremonien Politik gemacht wurde. Er zeichnet ein schillerndes Porträt des Adels in jener Epoche, als er noch keine natürlichen Feinde kannte – im Europa der Könige, das an sich und seinem dynastischen Denken schließlich gescheitert ist.

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Seitenzahl: 1808

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Leonhard Horowski

Das Europa der Könige

Macht und Spiel an den Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts

 

 

 

Über dieses Buch

Als Europas Herrscher eine große Familie waren – das schwungvoll erzählte Panorama einer Zeit, die sich uns faszinierend fremd und doch seltsam vertraut darstellt. Ein eigenartiger Kontinent ist das Europa der Könige: Hier kann ein König von England, der kein Englisch spricht, auf die Idee kommen, die Pläne eines kein Spanisch sprechenden Königs von Spanien zu durchkreuzen, indem er dem kein Polnisch sprechenden König von Polen anbietet, König von Sizilien zu werden. Hier residiert die Macht in überfüllten Schlössern, deren Höflingsbewohner sich den ganzen Winter über um das Recht streiten, in Gegenwart der Königin auf einem Hocker sitzen zu dürfen, bevor sie im Sommer losziehen, um an der Spitze knallbunt uniformierter Truppen direkt in das Musketenfeuer der Kriegsgegner hineinzumarschieren. Hier lebt eine Gesellschaft, in der ein Edelmann, der erst mit dreiundzwanzig Jahren feststellt, keinen Vornamen zu haben, weniger auffällt als einer, der seine Frau mit ihrem Vornamen anredet. Hier schart sich der höfische Adel um Herrscher, die in einem dichten Netz aus diplomatischen Beziehungen, Intrigen und Verschwörungen gefangen sind: Nationalität und Ideologie sind ihnen nichts, die eigene Dynastie dagegen alles.

Leonhard Horowski führt uns kenntnisreich und unterhaltsam durch untergegangene Welten, deren Bewohner er auf die Schlachtfelder des Krieges wie auf die der Heiratspolitik begleitet; er folgt Edelleuten und Prinzessinnen durch labyrinthische Palastkorridore und sieht zu, wie mit Duellen und Zeremonien Politik gemacht wurde. Er zeichnet ein schillerndes Porträt des Adels in jener Epoche, als er noch keine natürlichen Feinde kannte – im Europa der Könige, das an sich und seinem dynastischen Denken schließlich gescheitert ist.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, März 2017

Copyright © 2017 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Lektorat Kristian Wachinger

Stammtafeln Peter Palm

Umschlaggestaltung ANZINGER und RASP, München

Umschlagabbildung bpk/RMN – Grand Palais/Christophe Fouin

ISBN 978-3-644-04341-1

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Inhaltsübersicht

Vorbemerkung

Kapitel 1 «Ein polnischer Prinz, dessen Namen ich vergessen habe …»

Kapitel 2 Hoffentlich hat Madame de Monaco wenigstens Glück im Spiel

Kapitel 3 Danckelmann spürt die Kugel nicht

Kapitel 4 Der Mann mit der Eisernen Maske wird unangenehm überrascht

Kapitel 5 Grumbkow tanzt

Kapitel 6 Wenigstens habe ich noch das Große Kronsiegel in den Fluss werfen können

Kapitel 7 Die Lubomirskis wollen den Orden dann lieber doch nicht

Kapitel 8 Grumbkow heiratet

Kapitel 9 «I really believed there would be no battle at all»

Kapitel 10 Saint-Simon zieht um

Kapitel 11 Die alte Dame reist ab

Kapitel 12 Marthon legt sich einen Vornamen zu

Kapitel 13 Die junge Dame reist ab

Kapitel 14 Grumbkow trinkt

Kapitel 15 Georg II. mag seine dicke Venus viel lieber als all die anderen

Kapitel 16 «Ich bin euer ältester Bruder, ihr Halunken, und ich werde immer als Erster kommen»

Kapitel 17 Poniatowski rettet seine Locken

Kapitel 18 Ferdinand III. und IV. sieht trotzdem nicht vollkommen abstoßend aus

Kapitel 19 «Da sehen Sie, was für eine hübsche Pariser Dame ich bin»

Kapitel 20 Beginnt es schon, das Weltgericht?

Berlin, 11. Dezember 1797

Neapel, 17. Juni 1798

Paris, 9. November 1799

Epilog

Anhang

Feudal- und Amtstitel

Herrschafts-, Feudal- und Adelstitel

Wichtigste männliche Hofämter

Wichtigste weibliche Hofämter

Offiziers-Dienstgrade des Ancien Régime

Nachweis der Quellen und Literatur

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Epilog

Nachweis der Bildquellen

Tafelteil I

Tafelteil II

Tafelteil III

Tafelteil IV

Dank

Namenregister

Tafelteile

Tafelteil 1

Tafelteil 2

Ludwig XIV. mit seinem ...

Tafelteil 3

Friedrich Wilhelm von ...

Tafelteil 4

Stanisław II. von Polen. ...

Stammtafeln

Vorbemerkung

Das Europa der Könige war ein eigenartiger Kontinent. Ein König von England, der kein Englisch sprach, konnte hier auf die Idee kommen, die Pläne eines kein Spanisch sprechenden Königs von Spanien zu durchkreuzen, indem er dem kein Polnisch sprechenden König von Polen anbot, König von Sizilien zu werden. Der Herrscher über zwanzig Millionen Menschen trug währenddessen Mädchenkleider und wurde von einer alten Dame an einer seidenen Leine geführt, weil er erst fünf Jahre alt war; als Elfjährigen verlobte man ihn mit einer Dreijährigen, bevor man ihm dann als Fünfzehnjährigem doch lieber eine sieben Jahre ältere Prinzessin zur Frau gab. Die Macht residierte in überfüllten Schlössern, deren Höflings-Bewohner sich den ganzen Winter über um das Recht stritten, in Gegenwart der Königin auf einem Hocker zu sitzen, bevor sie im Sommer loszogen, um an der Spitze knallbunt uniformierter Truppen direkt in das Musketenfeuer der Kriegsgegner hineinzumarschieren. In einem Staat, dessen Amtssprache Latein war, konnte ein Hochadeliger Gerichtspräsident werden, der im Alter von zwölf Jahren nur deswegen lesen gelernt hatte, weil man ihn von den Bäumen des Schlossparks mit der Pistole Bleibuchstaben herunterschießen ließ. Es war eine Gesellschaft, in der ein Edelmann, der erst mit dreiundzwanzig Jahren feststellte, keinen Vornamen zu haben, weniger auffiel als einer, der seine Frau mit ihrem Vornamen anredete; Kinder sagten ‹Mama› zur Gouvernante, ‹Madame› zur Mutter und ‹Sie› zu den Geschwistern. Und doch präsentieren Schulbücher die Geschichte dieses 17. und 18. Jahrhunderts, diese so reiche Landschaft voller überraschender Aussichten, noch immer als Hochgeschwindigkeits-Autobahn zum einzig relevanten Heute.

Das Eintauchen in etwas weiter zurückliegende Epochen ist aber nicht nur reicher an Überraschungen als der Blick auf jüngere, vertrautere Vergangenheiten; es kann uns manchmal gerade dadurch die Augen öffnen, dass es eben keine offensichtlichen Botschaften transportiert. Man erfährt in der Beschäftigung mit den Monarchien der Frühneuzeit viel über die Geschichte der Staatsbildung, der Diplomatie, des Krieges, der Familienstrukturen oder der Geschlechterbeziehungen, und also werden auch die Leser dieses Buches am Ende mehr über all das wissen. Aber man kann es genauso gut lesen, um einfach herauszufinden, warum beispielsweise ein französischer König gut beraten war, Affären nur mit verheirateten Frauen anzufangen, welchen Monarchenkollegen der Römisch-Deutsche Kaiser im Jahr 1769 huckepack auf den Schultern trug, wie gut der erste am französischen Hof erzogene Irokese Querflöte spielen lernte, weshalb Kavallerieattacken im 18. Jahrhundert nur noch psychologisch wirkten, wer der Mann mit der Eisernen Maske war oder was die Leibärzte des Jahres 1688 als gesündere Alternative zur Muttermilch empfahlen. Und so soll denn dieses Buch unterhaltend sein, ohne deswegen auf Erklärung und Analyse zu verzichten: eine Reise durch vergangene Welten, die sich strikt an das historisch Rekonstruierbare hält und die man dennoch wie eine Erzählung lesen kann.

Die vergangene Welt, um die es in den folgenden zwanzig Kapiteln gehen soll, ist die der europäischen Monarchen der ausgehenden Frühneuzeit sowie jener höfischen Aristokraten, die sie mal als Rivalen, mal als Helfershelfer und oft genug als gehobene Kindermädchen umgaben. Für diese anderthalb Jahrhunderte zwischen 1642 und 1799 biegen wir also bewusst von der großen Fortschrittsautobahn ab, um auf der damals einzig beleuchteten Hauptstraße zu fahren, die man rückblickend meistens wie ein Nebengleis oder gar eine Sackgasse behandelt. Tatsächlich hat ja auch kaum eine der Personen, die wir näher betrachten werden, etwas nach heutigen Maßstäben Nützliches oder Zukunftsweisendes bewirkt. Dieses Buch gilt bewusst nicht den großen Schriftstellern, Philosophen, Künstlern oder Wissenschaftlern jener Zeit, über die sonst am ehesten geschrieben wird. Hier dagegen geht es weder um die Berühmtesten noch auch um komplett von A bis Z auserzählte Biographien. Die Biographie ist fast das einzige Genre, in dem die höfische Gesellschaft bisher einigermaßen zugänglich behandelt worden ist, und sie vermag viel zu leisten, was hier nicht möglich wäre. Eines jedoch kann sie nicht, und genau das soll in diesem Buch versucht werden – eine fast vergessene Welt zugleich erklären und erzählen, indem man zwanzig über eine lange Zeitspanne verteilte Momente schildert und zusieht, wie die zu ihnen gehörenden Lebensläufe ineinandergreifen.

Dabei wird bewusst nicht scharf zwischen Neben- und Hauptfiguren unterschieden, wie das sonst sowohl Romane oder Filme als auch Biographien zu tun pflegen. Schon bei der Rekonstruktion eines einzigen realen Lebens ist ja diese Trennung einigermaßen künstlich, erst recht bei der Darstellung einer ganzen Gesellschaft – und nirgendwo so irreführend wie hier, wo es um eine internationale Herrschaftselite geht. Denn auch das soll ja unser Text sein: eine Einladung, anhand nur scheinbar verjährter Beispiele über die Art nachzudenken, in der Macht ausgeübt wird, in der Eliten sich abgrenzen, sich rechtfertigen und vor lauter alternativloser Selbstgewissheit immer wieder scheitern, ohne deswegen notwendigerweise dumm oder gar böse zu sein. Viele Einzelne können wir zwar, weil wir ihre Briefe, Tagebücher und andere sehr präzise Quellen haben, einigermaßen kennen. Nicht wenige andere aber haben, obwohl sie große Hauptrollen spielten, fast keine solchen Spuren hinterlassen, während wieder andere sich uns nur für einen kurzen Augenblick offenbaren. Schon deswegen kann ein Buch wie dieses sich nicht darauf beschränken, Personen vorzustellen, die wir ganz durchschauen – oder auch nur durchschauen müssten. Wohl kein Missverständnis über Machteliten ist nämlich größer, keines wohl auch mehr schuld an der Entstehung von Verschwörungstheorien als die Vorstellung, dass die Mächtigen und gesellschaftlich Hochgestellten nur etwa so viele Sozialbeziehungen hätten wie der Normalbürger. Macht ist ein Schachspiel auf einem riesigen Brett; sie funktioniert nur durch Netzwerke und wird von Eliten betrieben, die gar nicht anders können, als von Anfang an möglichst viele der anderen Schachfiguren im Auge zu behalten. Dies gilt immer und überall, am meisten aber in der Welt der Höfe und Aristokratien, deren Akteure in ihre Netzwerke schon hineingeboren wurden. Von Individualität hielten sie noch fast ebenso wenig wie von Privatleben, und so kann man ihre Welt überhaupt nur dann einigermaßen vorstellbar machen, wenn man auch in der historischen Darstellung nicht gleich alle Nebenfiguren herauswirft. Im Gegenteil: Die ständig präsenten Höflinge, die über die Generationen immer wiederkehrenden Namen der großen Familien gehören zum Mobiliar unserer Erzählung, die von den Verbindungen zwischen ihnen nicht weniger zusammengehalten wird als vom Hauptstrom der Ereignisse.

Und vor dieser Kulisse spielt sich nun das größte Drama ab, die eigentliche Tragikomödie dieser versunkenen Welt: das Zusammenleben und -arbeiten der geborenen Herrscher mit ihren geborenen Helfern, das mehr oder weniger gelungene Hineinwachsen der Mächtigen in die Rollen, die ihnen der Zufall zugewiesen hatte, all die Dramen von Aufstieg und Fall in einem Mikrokosmos, von dem oft gesprochen wird, als wäre er ein willenloses Uhrwerk gewesen, und der doch in Wahrheit ein Schlachtfeld ebenso wie ein Ameisenhaufen war. Es macht wenig aus, dass die speziellen Strukturen dieser Macht längst vergangen sind, und für manche Beobachtungen mag es geradezu von Vorteil sein, sich eine Epoche näher anzusehen, in der es mangels Massenmedien, Pressefreiheit oder gar Demokratie und angesichts der Geheimhaltung aller Staatsangelegenheiten durch eine viel kleinere und viel inzestuösere Machtelite ungleich leichter gewesen wäre als heute, riesige Verschwörungen durchzuführen – und am Ende festzustellen, dass derartige Pläne nahezu immer schiefliefen.

Aber auch ganz ohne so spezifische Fragen lohnt sich die Beschäftigung mit der Frühneuzeit schon deshalb, weil sie in Abwandlung eines Wortes von Uvo Hölscher nun einmal das «nächste Fremde» unserer eigenen Gesellschaft ist – nah genug, um nicht außerirdisch zu sein, und doch zugleich fremd genug, um uns daran zu erinnern, wie wenig selbstverständlich unsere Selbstverständlichkeiten sind. Wer sich einmal näher angesehen hat, wie lauter individuell vernünftige Menschen mit der größten Überzeugung Dinge tun, die uns nach bloß drei Jahrhunderten wie der reine Irrsinn vorkommen, der mag es sich danach auch zweimal überlegen, etwas nur deswegen für richtig zu halten, weil das im Hier und Heute alle anderen tun.

Alles in diesem Buch ist so konzipiert, dass es für die Leser auch an Ort und Stelle nachvollziehbar sein sollte – jedenfalls so nachvollziehbar, wie es eben geht, wenn man eine oft bizarre Gesellschaft beschreibt. Auf welche Quellen sich unsere Darstellung stützt und wie wir die belegbaren Fakten gelegentlich (und höchstens!) um das ergänzen, was sich plausibel herleiten lässt, kann für jedes Kapitel im Quellenanhang am Ende des Buches nachgelesen werden. Die hier folgenden Erläuterungen dagegen sind einfach ein Angebot für den Fall, dass der Leser oder die Leserin die Logik hinter den hier verwendeten Namen und Daten genauer nachvollziehen möchte.

 

Der richtige Umgang mit Personennamen ist einer der wichtigsten Testfälle für die Qualität von Geschichtsbüchern und historischer Erzählung, weil wenig so viel über eine Gesellschaft sagt wie ihre Namenskonventionen – wer nicht weiß, wie die historischen Figuren einander mit Namen nannten, der hat ihnen nicht gründlich genug zugehört. Erst recht gilt das für die Beschäftigung mit Herrschern und Aristokraten, die mit gutem Grund für ihre ornamental komplizierten Namen berüchtigt sind; in ihren Namenssystemen steckt eine ganze Weltsicht, und so erscheint es nur konsequent, wenn die moderne Geschichtsschreibung solche Namen oft genug unserem ganz anderen Verständnis vom Individuum angepasst hat. Tatsächlich geht es denn auch kaum ohne eine gewisse Adaptation. Wenn man beispielsweise vom spanischen Botschafter am Hof Ludwigs XV. sprechen will, kann man schlecht jedes Mal Don Fernando de Silva y Álvarez de Toledo Beaumont Portocarrero Enríquez de Ribera Manrique Méndez de Haro Guzmán Enríquez de la Cerda Acevedo y Zúñiga Fonseca y Ayala, Duque de Huescar, Conde de Galve etc. sagen, zumal diese Auflistung beerbter Familien letztlich ja ohnehin eher ein Grundbucheintrag als ein Name ist.

Aber nicht nur praktische Gründe sprechen dafür, die Namen etwas mehr anzupassen, als das zum Beispiel viele Drehbuch- oder Romanautoren tun, bei denen Personen immer schön ordentlich «im Namen Seiner Majestät König Ludwig XV. von Frankreich» ernannt oder verhaftet werden. Für Kenner der Materie klingt dergleichen genauso authentisch, wie es ein Gespräch der Gegenwart wäre, in dem jemand von «der Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland Dr. Angela Dorothea Merkel geb. Kasner (CDU)» spräche. Das heißt natürlich nicht, dass man vollständige Titel oder Namen überhaupt nie anführen sollte – es ist ja oft schon zum Zweck der historischen Erklärung nötig und kommt also auch in diesem Buch vor.

Der Alltagsgebrauch der Namen war jedoch in allen Epochen etwas ganz anderes als das Auflisten der vollständigen Version. Diesen Alltagsgebrauch zu kennen ist daher keineswegs bloß für diejenigen nützlich, die solche Personen in zeitgenössischen Texten wiederfinden wollen. Er sagt uns vor allem auch enorm viel darüber, welche Eigenschaften einer Person man zu welcher Zeit wie wichtig oder unwichtig fand – und also erwähnte oder wegließ. Wie dementsprechend die Aristokratie der frühen Neuzeit feudale und funktionale Titel immer viel wichtiger fand als etwa Vornamen (und welche exzessiven Formen das annehmen konnte), wird in Kapitel 12 ausführlicher erklärt.

Hier reicht es festzuhalten, dass wir die unvermeidliche Vereinfachung der Namen in diesem Buch bewusst im Einklang mit dem damaligen Alltagsgebrauch vornehmen, statt die Namen wie so viele Autoren an unsere modernen Formen anzupassen. Um noch einmal Angela Merkel als Beispiel zu bemühen, stelle man sich einfach vor, wie modernisierende Geschichtsbücher sie wohl in hundert Jahren nennen werden. Angela Kasner, weil der Sieg moderater Feministinnen inzwischen den Gebrauch von Ehenamen völlig abgeschafft hat? Angela Herlindstochter, weil etwas radikalere Feministinnen die Macht übernommen haben? Oder ganz im Gegenteil Frau Prof. Dr. Joachim Sauer, weil es ein Comeback des Patriarchats gegeben haben wird? Für unsere Frage ist das zum Glück egal, denn eines haben alle drei Varianten gemeinsam, so unterschiedlich sympathisch wir sie ansonsten finden mögen – sie geben ein falsches Bild von der Gesellschaft, in der die Kanzlerin lebte.

Um vergleichbare Fehler zu vermeiden, nennen wir daher im Folgenden alle historischen Personen spätestens ab der zweiten Erwähnung mit der kürzesten Version desjenigen Namens oder Titels, den man auch zu Lebzeiten als ihren Kurznamen verwendete. Bei den vielen Aristokraten, die vor allem in Westeuropa geographische Feudaltitel trugen, verwenden wir diese – nennen also beispielsweise Henri-Charles de La Trémoïlle, Prince de Talmond einfach ‹Talmond›, Charles Fitzroy, Duke of Grafton einfach ‹Grafton› und Stéphanie-Félicité du Crest de Saint-Aubin, Comtesse de Genlis ‹Madame de Genlis›. Familiennamen verwenden wir als Kurznamen nur da, wo die Zeitgenossen das auch taten, weil die Feudaltitel wie z.B. in Deutschland mit den Familiennamen identisch waren. Die vollständigen Namen all dieser Personen erscheinen dementsprechend nur ausnahmsweise im Text, können aber jeweils im Namenregister am Ende des Buches nachgeschlagen werden, wo sich zugleich alle Lebensdaten, die Seitenzahlen aller Auftritte und die Geburtsnamen der Frauen finden. (Wenn für eine Titelträgerin kein separater Geburtsname angegeben wird, dann ist der einzige angegebene Familienname bereits dieser Geburtsname, weil die Frau wie z.B. in Frankreich den Familiennamen ihres Mannes gar nicht führte.) Bei den nicht wenigen Personen, die im Lauf ihres Lebens mehrfach die Feudaltitel wechselten, verwenden wir normalerweise denjenigen Titel, den sie zur uns interessierenden Zeit trugen. Eine Ausnahme machen wir nur für den großen Lauzun, den wir aus rein pragmatischen Gründen schon im 1665 spielenden Kapitel 2 so nennen, obwohl er erst ab 1668 Comte de Lauzun war und zuvor Marquis de Puyguilhem geheißen hatte.

Die einzigen Personen schließlich, die wir mit ihren Vornamen nennen, sind Angehörige von Herrscherhäusern, die entweder schon damals so genannt wurden (Prinz Heinrich) oder für die es keine retrospektiv praktikable Namensform gibt (also etwa Ludwig XV., den seine Untertanen einfach ‹der König› nannte, weil sie ja wussten, dass sie den aktuellen meinten, oder den brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, den wir schlecht nach Art der Zeit- und Standesgenossen ‹Kurbrandenburg› nennen können). Die Vornamen der Herrscher und ihrer Ehefrauen geben wir gemäß einer sinnvollen Konvention der Historiker in ihrer deutschen Form, wo das nicht geradezu absurd wirken müsste; wir schreiben also z.B. Georg III. und Ludwig XV., aber Iwan VI. statt Johann VI. und Stanisław I. statt Stanislaus I. Die Vornamen der übrigen Angehörigen von Herrscherhäusern finden sich dagegen ebenso in der jeweiligen Landessprache wie auch die Namen aller übrigen Personen. Das eigentliche Titelelement, also etwa Earl, Duc oder Principe, übersetzen wir nur dort als Graf, Herzog oder Fürst ins Deutsche, wo das machbar und stilistisch sinnvoll ist; die im Anhang zu findende Übersicht über die Hierarchie der Feudal- und Amtstitel übersetzt auch die deutschen Versionen in andere Sprachen. Die Titel britischer Peers außer der Herzöge verkürzen wir, wie das offiziell erlaubt ist, meistens zu Lord. Die Schreibweise aller Namen und Titel richtet sich nicht nach der völlig willkürlichen Orthographie der Zeit, sondern nach der heute von Nachkommen und Historikern verwendeten Standardversion. Russische Namen haben wir möglichst so aus dem Kyrillischen transkribiert, dass eine deutsche Aussprache dieser Schreibweise die korrekte Namensform ergibt (das s in Subow ist also z.B. stimmhaft wie in ‹sanft›, während z immer für tz steht). Ein Sonderzeichen verwenden wir dabei lediglich für das russische ж, das kein deutsches Äquivalent hat, sich wie J in Journalist spricht und hier als ž wiedergegeben wird.

 

Die geographischen Namen sind wesentlich leichter zu handhaben als die Personennamen. Prinzipiell werden im Text alle Länder, Regionen und Städte mit den Namen benannt, die sie (wenn sie denn noch existieren) auch heute tragen. Eine Ausnahme machen lediglich solche Namen, deren heutige Form sich aufgrund massiver ethnischer oder sprachlicher Verschiebungen ganz radikal von der damaligen unterscheidet. In solchen Fällen haben wir statt Krosno Odrzanski oder Kaliningrad bewusst Crossen an der Oder und Königsberg geschrieben, weil beide Städte zum relevanten Zeitpunkt deutschsprachig und Teil deutschsprachiger Staaten waren. Wir schreiben französisch Pignerol statt italienisch Pinerolo, da die norditalienische Stadt damals zu Frankreich gehörte und in der entsprechenden Episode ausnahmslos nur Franzosen auftreten, und nennen Ansbach natürlich nicht in der noch im 18. Jahrhundert vorherrschenden Form Onolzbach. Das heutige Belgien nennen wir mit diesem Namen, weil seine zeitgenössische Bezeichnung als Spanische (bis 1714) und dann Österreichische Niederlande (1714–1793) ebenso unhandlich wie verwirrend ist. Wenn in Kapitel 7 von Preußen die Rede ist, ist damit gemäß dem Sprachgebrauch von 1690 ausschließlich das Herzogtum Preußen gemeint, das man erst ab 1772 als Ostpreußen zu bezeichnen anfing; den von 1454 bis 1772 zu Polen gehörenden westlichen Teil des ehemaligen Deutsch-Ordens-Staats nennen wir dagegen Westpreußen, weil sein damaliger Name ‹Preußen Königlichen Anteils› für praktisch alle Leser irreführend wäre. In allen folgenden Kapiteln bezeichnet ‹Preußen› dagegen den Staatenkomplex der Hohenzollern-Herrscher, der sich seit Schaffung des preußischen Königtums (1701) noch bis 1815 selbst nur ‹die königlich preußischen Staaten› nannte. Analog dazu benutzen wir den Begriff Österreich nicht bloß für das Erzherzogtum dieses Namens, sondern im Einklang mit zeitgenössischer Praxis zur Bezeichnung des gesamten habsburgischen Staatenkomplexes, der bekanntlich auch z.B. Böhmen und Ungarn umfasste. Das heutige Tschechien nennen wir mit dem damals universell gebräuchlichen Namen Böhmen.

Die bundesstaatliche Organisation des deutschsprachigen Raums, heute in allen Schulbüchern liebevoll ‹Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation› genannt, wurde damals genauso selten mit ihrem vollen Namen genannt, wie das heute dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland, der Russischen Föderation oder den Vereinigten Staaten von Amerika widerfährt. Wir sprechen daher im Einklang mit Zeitgenossen wie Historikern meistens vom Römisch-Deutschen Reich bzw. Römisch-Deutschen Kaiser sowie (ebenfalls nach dem Vorbild beider Gruppen) einfach vom Reich, ohne dass das als Nostalgie für die damit nichts zu tun habenden Reichsbildungen späterer Zeiten missverstanden werden möge. Von Deutschland sprechen wir wie die damaligen Menschen, wenn wir nicht die politische Organisation, sondern den deutschen Sprach- und Kulturraum meinen. Wenn ohne Zusatz oder offensichtlich russischen Kontext einfach vom Kaiser oder von der Kaiserin die Rede ist, ist immer das Römisch-Deutsche Kaisertum gemeint. Den bis 1804 einzigen anderen Kaiser, nämlich den russischen Herrscher, der 1721 den Titel ‹Imperator› angenommen hatte, nennen wir zur Vermeidung von Verwechslungen immer mit dem auch zeitgenössisch weiterhin dominanten Titel Zar. Schließlich verwenden wir den Begriff ‹Briten› schon während des 17. Jahrhunderts, um die Gesamtheit der Engländer, Schotten und Waliser zu bezeichnen, obwohl der Staat Großbritannien erst 1707 aus der Vereinigung der Königreiche Schottland und England entstand; die englisch-schottischen Könige der Zeit davor nennen wir Könige von England.

 

Zuletzt ein Wort zu den Daten. Die einzige Komplikation resultiert hier daraus, dass der 1582 vom Papsttum entwickelte gregorianische Kalender von den protestantischen Ländern zuerst abgelehnt wurde. Sie behielten folglich den bisherigen julianischen Kalender bei, wodurch ihre Datumsangaben im gesamten 17. Jahrhundert jeweils zehn Tage hinter denen der katholischen Länder herhinkten; das Duell, mit dem unsere Erzählung beginnt, fand daher aus der Perspektive der protestantisch dominierten Niederlande am 17., aus der des mehrheitlich katholischen Frankreich dagegen am 27. Juli 1642 statt. Erst im Jahr 1700, in dem die Differenz sich auf elf Tage erhöhte, nahmen alle protestantischen Länder mit Ausnahme Großbritanniens den gregorianischen Kalender an. Gleichzeitig führte jedoch ironischerweise im bisher nach byzantinischem Muster datierenden Russland Peter der Große den julianischen Kalender ein, von dessen nahezu universaler Abschaffung er nicht mehr rechtzeitig erfahren hatte; er blieb bis 1918 in Gebrauch, weswegen russische Daten im 18. Jahrhundert nunmehr elf Tage hinter denen des gregorianischen Europa hinterherhinkten.

Großbritannien nahm den gregorianischen Kalender 1752 an; bis dahin praktizierte es allerdings nicht nur die besagten zehn bzw. ab 1700 elf Tage Datumsverspätung, sondern auch (als ebenfalls letztes Land Europas) den altrömischen Jahresanfang am 25. März. Was daher für Kontinentaleuropa der Februar 1733 war, wurde in Großbritannien noch als Februar 1732 verbucht; das Jahr 1733 begann erst am 25. März, sodass der von den Briten als Februar 1733 bezeichnete Monat derselbe war, den alle anderen den Februar 1734 nannten. Da diese Diskrepanz schon damals allerhand Komplikationen verursachte, pflegten Briten alle zwischen 1. Januar und 25. März fallenden Daten als 11. Februar 1732–33 zu schreiben, was heutzutage oft so missverstanden wird, als gebe es zwei einander widersprechende Jahresangaben. Da es in diesem Buch ganz maßgeblich um die übernationalen Beziehungen innerhalb Europas geht und das Erkennen von Gleichzeitigkeiten nicht unnötig erschwert werden sollte, sind hier ausnahmslos sämtliche Daten in den am ehesten universalen und heutzutage konkurrenzlosen gregorianischen Kalender umgerechnet worden. Wer einzelne hier angeführte Daten mit den Angaben anderer Darstellungen oder zeitgenössischer Quellentexte vergleicht, darf daher nicht erschrecken, wenn sie je nach Ort und Zeit um zehn bzw. elf Tage oder im Falle der englischen Jahresdaten scheinbar um ein Jahr abweichen.

Kapitel 1«Ein polnischer Prinz, dessen Namen ich vergessen habe …»

Rheinberg, 27. Juli 1642

Talmond sah die Reiter als Erster. Zwar konnte man hier, wo das Land so flach war wie in seiner Heimat, alles schon aus großer Entfernung erkennen, aber viel Zeit blieb doch nicht mehr; bei diesem Tempo würden sie ihn und Radziwiłł sehr bald erreichen. Umso klarer wurde ihm, was er jetzt tun musste. Ein drittes Mal würde er sich das Schwert nicht mehr aus der Hand nehmen lassen. Vor einem Jahr hatte ein Cousin ihn noch wie einen kleinen Jungen behandeln können, ganz als sei er nicht schon zwanzig gewesen und als habe er nicht extra noch den perfekten Vorwand für ein Duell gefunden; vor einem halben Jahr hatte ausgerechnet ein Sekundant ihn und Radziwiłł verhaften lassen, bevor sie einander töten konnten, wie es die Ehre ihrer Häuser verlangte. Wenn sie heute wieder am Duell gehindert würden, stand es in den Sternen, wann sie die nächste Gelegenheit fänden. Vier feindliche Armeen bewegten sich aufeinander zu durch dieses gottverlassene Flachland. Erst vor drei Wochen war Radziwiłł das Pferd unterm Leib erschossen worden, als seine Leute eine spanische Kolonne entdeckt hatten, und beinahe hätte irgendein Bauernkerl mit einem Knüppel Talmond um den ehrenvollen Kampf gebracht, den der arrogante Pole ihm schuldete. Unmöglich also, noch länger zu warten.

Das andere, was Talmond sehr klar und deutlich empfand, während er Radziwiłł zuschrie und auf die Reiter zeigte, während er seine Jacke wegwarf und im weißen Hemd aufs Pferd stieg, war der Wert dessen, was er allein heute schon wieder gelernt hatte. Es lohnte sich, den richtigen Sekundanten auszuwählen. Er hatte Espinay gewollt, aber weil die Sekundanten meistens am Schluss selbst mitkämpften, hatte Radziwiłłs Sekundant Raymond darum gebeten, einen anderen zu wählen, denn er möge Espinay zu gern. Am Ende war seine Wahl auf Haucourt gefallen, der nun mit Radziwiłłs Mann aushandelte, wie und wo sie kämpfen sollten und mit was für Waffen; Haucourt war es, dem erst hier draußen auffiel, dass Talmonds Säbel einen halben Fuß kürzer war als der Degen seines Gegners und dass er keinen Schutz am Griff hatte. Der Pole hatte gut reagiert, das musste man ihm lassen, aber sein Angebot, einfach zu tauschen, konnte man als Edelmann doch nicht annehmen, und so hatten sie Strohhalme gezogen: Natürlich hatte Talmond den kürzeren in der Hand behalten und hält jetzt, während sie aufeinander zugaloppieren, den zu kurzen Säbel in der Rechten. Als ihre Pferde nebeneinander zum Stehen kommen, schlägt Talmond zu und zerfetzt Radziwiłł das Hemd. Erst während er die Klinge zurückzieht, spürt er, wie ihm die Waffe des Feindes den ganzen rechten Arm aufschlitzt. Schon ist er hinter Radziwiłł, erinnert sich an seinen Unterricht: die perfekte Position zum Zuschlagen. Aber merkwürdig, der Säbel ist gar nicht mehr in seiner Hand, und während Radziwiłł auf seinem durchgegangenen Pferd schon hundert Schritt weit weg ist, während Radziwiłłs Diener auf Talmond zurennen, um ihn aus dem Sattel zu heben und ihm die zerrissene Arterie zu verbinden, spürt er diese seltsame Leichtigkeit: Ob das die Ehre ist?

Sie waren von entgegengesetzten Enden Europas aufgebrochen, um hier aufeinanderzutreffen. Von der französischen Atlantikküste kam Henri-Charles de La Trémoïlle, Prince de Talmond, Oberst über ein Regiment zu Ross im Dienst der Generalstaaten und Erbe zahlloser Ländereien zwischen Poitou und Bretagne. Sein Gegner war Fürst Bogusław Radziwiłł, Herzog von Birsen und Dubinki, Fürst von Sluzk und Kopyl, Groß-Bannerträger von Litauen und Starost von Poszyrwinty. Er hatte seinen riesigen Besitz zwar vor allem in Weißrussland, das damals zu Litauen gehörte. Weil aber der litauische Staat schon lange mit Polen vereint und der litauische Adel ganz polnisch geworden war – und weil hier im Westen ohnehin niemand gewusst hätte, was oder wo Weißrussland war –, nannte alle Welt ihn und nannte er selbst sich einen Polen. Mit 95 Prozent aller Polen, Litauer oder Weißrussen hatte er dennoch so wenig gemeinsam wie Talmond mit 95 Prozent aller Franzosen.

Nicht einfach, weil sie Adelige waren: Adel war damals schon kein sehr genauer Begriff und ist es heute erst recht nicht mehr, seit die meisten dabei nur noch an die Königshäuser denken. Könige aber und ihre Familien sind gerade keine Adeligen, sondern höchstens die logische Verlängerung des Adels nach oben, seine Arbeitgeber, Schiedsrichter und Beherrscher, je nach Wetterlage seine Idole, Rivalen oder Todfeinde. Natürlich brauchten beide Seiten einander, natürlich waren sie einander meistens näher als irgendwem sonst – aber wehe dem Adeligen, der den Unterschied vergaß. Gerade in der Zeit unserer beiden Duellanten verschoben sich in fast ganz Europa die Gewichte endgültig zugunsten der Herrscher, ob sie nun Kaiser, Könige, Kurfürsten waren oder souveräne Herzöge und Fürsten. Jahrhundertelang mochten sie sich von den hohen Adeligen nur unterschieden haben wie ein großer Landbesitzer von einem mittleren. Langsam aber waren ihre Staats- und Militärmaschinen so gewachsen, dass auch der hohe Adel nicht mehr mithalten konnte, und wenn man sich wieder einmal in die Haare geriet, dann kam es immer öfter vor, dass der König seinem rebellischen Adel nicht mehr nur das heilige Salböl auf seiner Stirn, den purpurnen Krönungsmantel oder den Charme seiner Persönlichkeit entgegenzusetzen hatte, sondern notfalls auch fünfzigtausend Berufssoldaten und eine kleine Armee bissiger Juristen. Noch größer war nur ein letzter Vorteil der Monarchen. Außerhalb Europas kam es regelmäßig vor, dass ein talentierter General oder Rebellenführer das Herrscherhaus stürzte und wie aus dem Nichts eine ganz neue Dynastie begründete, und noch die Römer und Byzantiner hatten es genauso gehalten. Im europäischen Mittelalter aber hörte das auf; Brüder, Onkel und Cousins mochten einander bis aufs Blut bekämpfen, die Kronen blieben doch über Jahrhunderte immer in denselben Familien, und nur die Namen änderten sich manchmal, wenn eine Erbtochter ihrem Mann den Thron einbrachte. Wo aber jede Dynastie seit Jahrhunderten herrschte, da arbeitete auch das mächtigste Grundprinzip der Zeit für sie, die Überzeugung nämlich, dass alles Alte richtig sei und das allzu Neue verdächtig. Selbst da, wo man die Könige noch wählte – und das wurde jetzt immer seltener, weil Böhmen 1627, Dänemark 1660 und Ungarn 1687 jeweils mit etwas militärischer Nachhilfe die Erbmonarchie einführten –, war der Respekt vor der Tradition so groß, dass die Wahl am Ende doch immer den natürlichen Erben des letzten Königs traf. Kein Wunder also, dass die Herrscherhäuser sich selbst ihren adeligen Untertanen gegenüber fast wie eine andere Spezies vorkamen.

Auch wenn man ihn als Stand der privilegierten Untertanen versteht, blieb der Adel uneinheitlich genug. Die juristische Definition war zwar überall in Kontinentaleuropa recht klar, und so wusste man an sich von jedem, ob er adelig oder bürgerlich war. Weil aber die ganze Idee des Adels sich ohne Ungleichheit nicht denken lässt, wird es niemanden überraschen, dass auch die Adeligen untereinander alles andere als gleich waren – lediglich Polen-Litauen tat noch so, als seien sie es. Schon immer hatte es eine feudale Kaskade der Verachtung gegeben, in der Herzöge auf Grafen herabsahen, Grafen Barone bemitleideten und diese sich untitulierten Adeligen überlegen fühlten. Adelige mit viel Land übertrumpften solche, bei denen es nur noch für ein größeres Bauernhaus, ein altes Pferd und ein verrostetes Schwert reichte, während elegante Höflinge in der Hauptstadt sich über Krautjunker aus der Provinz amüsierten und alle zusammen als alter Adel auf den neuen schimpften. Der wurde trotzdem immer zahlreicher, weil zwar der Adel keine Könige mehr machen konnte, die Könige sehr wohl aber neue Adelige. Ein Jurist nach dem anderen erhielt das Adelsdiplom, kaufte Land und heiratete nach oben. Der alte Adel mochte darüber spotten – wird eine Maus adelig, wenn sie das Adelsdiplom auffrisst? –, reagieren musste er doch. Zum Glück wurde aber mit dem Problem bereits die Lösung mitgeliefert, denn dieselbe Maschinerie von Staat und Militär, die die Macht des Monarchen stärkte, bot auch dem Adel ungeahnte neue Aufstiegschancen. Diejenigen Nachkommen des alten Ritteradels, die zum Einstieg in den neuen Apparat bereit waren, konnten nun gewissermaßen als leitende Angestellte des Königsprojekts an bisher ungeahnter Macht und unvorstellbarem Steuer-Reichtum teilhaben und sich nicht nur über ihre altadeligen Standesgenossen, sondern auch über die meisten Emporkömmlinge erheben. Bis vor kurzem waren die meisten Angehörigen dieses niederen Adels Grundbesitzer gewesen, die sich dem König nur nach Aufforderung als anarchische Einzelkämpfer zur Verfügung stellten und nach einer Saison Krieg wieder zu ihren Feldern zurückkehrten; jetzt wurden Offiziere aus ihnen, die die immer größeren Heere ihrer Herrscher kommandierten, zugleich Hofwürdenträger, Diplomaten, Statthalter oder Gerichtspräsidenten. Natürlich waren die Karrieren unterschiedlich aussichtsreich und riskant; im Krieg war am meisten zu gewinnen, aber auch am meisten zu verlieren, und so kamen auf jeden Glücklichen, der zum millionenschweren Feldmarschall, Fürsten und Statthalter aufstieg, Hunderte mit stagnierenden Karrieren und all die Sechzehnjährigen, die in ihrer ersten Schlacht blieben. Wer Verbindungen hatte, platzierte seine Kinder in Hofkarrieren, wer genug Geld besaß, bezahlte den Söhnen das Studium und die Bildungsreisen, die Administratoren und Diplomaten brauchten. Aber das Prinzip war doch überall das gleiche, und weil in dieser Gesellschaft niemand für sich allein und jeder als Vertreter seines Clans handelte, infiltrierten, kolonisierten und übernahmen alte und neue Adelige das königliche Staatsprojekt. Es wurde zur großartigsten Eliten-Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der europäischen Geschichte.

Anders sah das nur für eine Gruppe aus, womit wir auch zu Radziwiłł und Talmond zurückkommen. Was sollte bei dieser Entwicklung aus dem Hochadel werden, den Adelsfamilien also, die schon vor Jahrhunderten mit oder ohne Könige aufgestiegen waren, die daher schon seit langem Fürsten oder Herzöge waren und selbst über Hunderte, ja Tausende niederadelige Vasallen herrschten? In manchen Teilen Europas half ihnen das Fehlen einer Zentralmacht; so konnten sie im Römisch-Deutschen Reich als fast unabhängige Herrscher kleiner Staaten überleben und all die Universitäten und Hoftheater gründen, von denen wir bis heute zehren. In England andererseits fiel der alte Hochadel erst den Rosenkriegen und dann den Henkern der Tudor-Könige zum Opfer und wurde ziemlich vollständig durch jene Nachkommen erfolgreicher Schafzüchter ersetzt, die heute noch an der Spitze des britischen Adels stehen. In Böhmen erlaubte der Dreißigjährige Krieg es den Habsburgern, den alten tschechischen Herrenstand fast komplett zu vertreiben und die enteigneten Ländereien zu Spottpreisen an deutsche, belgische und italienische Söldnerkommandeure weiterzureichen, deren Erben dann bis 1945 den böhmischen Hochadel ausmachten. Die meisten Länder blieben zwischen diesen Extremen; überall aber mussten Grandseigneurs wie Talmond oder Radziwiłł sich entscheiden, ob sie sich der wachsenden Kronautorität unterordnen oder sie auf die Hörner nehmen wollten. Durch Verwandtschaft und Reichtum den Monarchen ähnlich und wie sie mehr ans Befehlen als ans Gehorchen gewöhnt, waren sie zu guten Untertanen denkbar ungeeignet – ganz gleich, ob sie nun wie in Frankreich einem König und seinem Kardinal-Minister gehorchen sollten oder wie in Polen-Litauen einer egalitären Adelsrepublik, die sich ihren König bloß als Präsidenten auf Lebenszeit hielt. In filigranen, unübersichtlichen und schwankenden Staatsgebäuden lebten wie nur halb gezähmte Raubtiere diese Männer, die mit einer Handbewegung einen Bürgerkrieg auslösen konnten.

Diese Welt der Hochadeligen war international; sie musste es ja sein, denn in jedem Land gab es nur wenige von ihnen, die meistens Rivalen waren, und so bot sich schon zum Heiraten der Blick über die Grenze an: Aus solchen Heiraten wuchsen Verwandtschaften, Erbschaften und Feindschaften in ganz Europa. Radziwiłł und Talmond aber hatten eine zusätzliche Gemeinsamkeit, die diese Internationalität noch einmal zuspitzte. Nicht zufällig wichen beide in einer der damals wichtigsten Lebensfragen von der Mehrzahl ihrer Landsleute ab, nämlich der Religion, und ohne Übertreibung wird man sagen dürfen, dass Familien wie ihre buchstäblich schon aus Trotz und Widerspruchsgeist Protestanten waren. Da sowohl in Frankreich als auch in Polen-Litauen zwar formale Religionsfreiheit herrschte, der Katholizismus der großen Mehrheit jedoch immer dominanter wurde, hätte das allein schon gereicht, um unangenehm aufzufallen. Weil beide aber Calvinisten waren, gehörten sie zum radikalsten Teil des Protestantismus und hatten so die Garantie, auch mit fast allen anderen Protestanten religiös über Kreuz zu stehen. Besonders kümmern musste sie das nicht, denn zu Hause beschützten sie den Glauben ihrer Untertanen, die selbstverständlich ebenso Calvinisten waren wie sie. Auch im Ausland waren ihr Rang und ihre Macht immer wichtiger als ihr Glaube, und so hätte niemand gewagt, sie wegen des Letzteren zu belästigen. Aber weil sie als Mitglieder der kleinsten und elitärsten Konfession auch automatisch einem europaweiten Netzwerk von Kriegern und Geistlichen angehörten, war von vornherein klar, dass ihre große Bildungsreise sie nicht irgendwohin führen würde – und dass sie einander treffen mussten.

Das intellektuelle Zentrum der calvinistischen Welt war Genf, aber was interessierte das Talmond und Radziwiłł? Der Hochadel war zwar alles andere als ungebildet, akademische Bildung aber war ihm entschieden suspekt. Unsere beiden Fürsten hatten immerhin das Gymnasium besuchen dürfen – üblicher waren Hauslehrer. Radziwiłł studierte dann noch einige Monate lang an zwei niederländischen Universitäten die Art von Geometrie, die man brauchte, um die korrekte Flugbahn der Kanonenkugeln zu berechnen und bei Belagerungen den Tunnel in die richtige Richtung zu graben; Talmond dagegen machte wie der gesamte französische Militäradel einen Bogen um jede Universität, weil das Studium zu sehr mit den neuadeligen Juristen assoziiert war. Seine Bildungsreise begann damit, dass er sich als Siebzehnjähriger eigenmächtig aus der Schule absetzte und in Begleitung eines treuen Kammerdieners nach England zu seiner Tante Lady Strange floh, um von dort in die Niederlande zu gehen und endlich «den Beruf von Leuten meiner Art» lernen zu können: das Kriegführen. Dass er dafür den Segen seiner Mutter hatte, während der Vater ihn bis an den Kanal verfolgen ließ, hatte weniger mit unterschiedlichen Graden des Militarismus zu tun als mit jenem großen Handicap, das Talmond sein Leben lang genauso belasten würde wie seine schwache Gesundheit. Er mochte geboren sein, um über Tausende zu befehlen: Solange sein Vater lebte und Herzog von La Trémoïlle war, war Talmond nur Sohn und zu absolutem Gehorsam verpflichtet. Das wäre schon schwer genug gewesen, aber immerhin noch ein übliches Problem in Familien, deren Oberhäupter es sich leisten konnten, jung zu heiraten und also früh Söhne zu haben, die dann lange auf die Nachfolge warten mussten. Für Talmond jedoch kam hinzu, dass sein Vater, als Talmond sieben Jahre alt war und Kardinal Richelieu die letzte große Hugenottenfestung La Rochelle eroberte, den Zeichen der Zeit folgend zum Katholizismus konvertiert war und seine beiden Söhne ins Jesuitengymnasium gegeben hatte, um sie im neuen Glauben erziehen zu lassen. Seine Frau allerdings blieb Protestantin, und weil ihr Stand, ihr Reichtum und ihre mächtigen Verwandten sie schützten, konnte sie den Sohn zur Flucht ermutigen; sie wusste, dass ihn in den Niederlanden nicht nur die kompetentesten Militärs der Zeit erwarteten, sondern auch rechtgläubige und vornehme Verwandte. Nur hier konnte er dem Dilemma entgehen, dass er jetzt innerhalb seiner Familie als calvinistischer Erbsohn eines katholischen Vaters genauso schief dastand wie vorher schon als protestantischer Hochadeliger im Frankreich des Kardinals Richelieu.

Die Niederlande jener Zeit waren das Land der reichen Bürger, die uns aus Rembrandts Bildern anschauen, aber es waren nicht sie, die Talmond anzogen. Seit fast achtzig Jahren kämpfte diese Republik gegen die katholischen Spanier, die vom heutigen Belgien aus immer wieder versuchten, die abtrünnige Kolonie zurückzuerobern. An der Spitze dieses Kampfes standen als Generalstatthalter die deutschstämmigen Prinzen von Oranien, die im Laufe der Zeit Europas größte Experten für die neuartige Kriegführung mit Feuerwaffen und für den Festungsbau wurden; schon deshalb war das Land mit seinem endlosen Krieg eine wichtige Station auf der großen Reise vieler Adelssöhne. Talmond aber, dessen beide Großmütter Schwestern des Prinzen Friedrich Heinrich von Oranien waren, fand in diesem Großonkel einen regelrechten Ersatzvater und ging auch sofort ganz in seinem militärischen Dienst auf. Wie immer im Hochadel war dieser Dienst eine eigenartige Mischung aus lebensgefährlicher Ernsthaftigkeit und grotesker Vetternwirtschaft. Talmond trug in seinem ersten Gefecht eine Pike – die gefährlichste Art zu kämpfen, weil die Träger dieser fünf Meter langen Spieße im Nahkampf praktisch wehrlos waren –, wurde dann aber, nachdem er die ersten drei freiwerdenden Posten immer sehr galant niederadeligen Freunden überlassen hatte, fast ohne Übergang zum Obristen über mehrere hundert Reiter ernannt. Großonkel Oranien war stolz auf ihn, und nichts lag näher für Talmond, als diese Wahlverwandtschaft zu vervollständigen, indem er sich in Oraniens älteste Tochter Luise Henriette verliebte. Es war immer klar gewesen, dass Talmond eines Tages eine Cousine heiraten würde, aber diese hier gefiel ihm, was ein unerwarteter Bonus war. Dass sie eine recht enge Verwandte oder genau genommen: seine doppelte Halbtante zweiten Grades war, wurde nicht bloß von allen Zeitgenossen als Vorteil verstanden: So kannte man sich wenigstens schon und musste später bei den Erbschaften nicht so viele verschiedene Leute berücksichtigen. Es änderte auch nichts daran, dass sie trotzdem erst fünfzehn und sympathisch war. Wer hätte da geahnt, dass Talmond sein Leben gleich darauf für eine ganz andere Prinzessin riskieren würde?

Der Hof und das Heer des Prinzen von Oranien waren das adelige Machtzentrum der Niederlande; direkt nebenan in Den Haag aber gab es einen Königshof, den der Dreißigjährige Krieg hierhergeweht hatte und der aussah wie aus einem Shakespeare-Stück herausgefallen. Seit dreizehn Jahren residierte hier Elisabeth, verwitwete Königin von Böhmen und Königstochter von England, und wartete samt Kindern und Gefolge geduldig darauf, dass ihr Sohn seine Erblande zurückerhalten würde, wie das in einer grundsätzlich vernünftigen Welt ja irgendwann geschehen musste. Ihr Mann war Kurfürst Friedrich von der Pfalz gewesen, den die böhmischen Rebellen 1619 zu ihrem König gewählt hatten und der einen Winter lang regiert hatte, bevor kaiserliche Truppen ihn nicht nur aus Böhmen vertrieben, sondern ihm auch die Pfalz und die Kurwürde abnahmen; John Donne dichtete damals wohl auch deshalb «No man is an island, every man is a piece of the continent», weil er den englischen König dazu ermutigen wollte, dem Winterkönig – also seinem Schwiegersohn – zu helfen. Daraus wurde nun freilich nichts; so viel Geld aber konnte die britische Krone doch immerhin erübrigen, dass die gestrandete Königin und ihre dreizehn Kinder sich davon eine ordentliche Hofhaltung leisteten. Weil die Mutter des Winterkönigs eine Schwester des Prinzen von Oranien und der beiden Großmütter Talmonds gewesen war, waren der oranische und der böhmisch-pfälzische Hof eng miteinander verbunden – eine Verbindung, die bald noch durch eine englisch-oranische Kinderheirat verstärkt wurde; Talmond war also auch hier ein gern gesehener Gast und Verwandter. Beim winterlichen Ballett der Königin, wo dieselben jungen Männer tanzten, die im Sommer in den endlosen Krieg zogen, war er nach eigener Ansicht der beste Tänzer, und so schien für kurze Zeit alles gut.

Fürst Bogusław Radziwiłł mochte nicht ganz so direkt wie Talmond zur calvinistischen Hochadelsfamilie gehören, aus ähnlichem Stoff war er dennoch gemacht. Sein Vater und die Onkel waren zwar die einzigen Calvinisten im litauischen hohen Adel, aber da ihnen der größere Teil des Landes gehörte, störte sie das nicht weiter. Bogusławs Mutter Elisabeth Sophie war eine brandenburgische Kurfürstentochter aus dem Haus, das man erst sehr viel später Hohenzollern genannt hat, und weil ihr Neffe 1613 für eine Erbschaft zum Calvinismus übertrat und seinen Sohn mit einer Schwester des Winterkönigs verheiratete, war auch Elisabeth Sophies Sohn Radziwiłł mit dem hochadeligen Kern der calvinistischen Welt eng genug verschwägert, um ein Patensohn des Winterkönigs zu werden. Sein Vater hatte gerade noch Zeit, den wenige Monate alten Bogusław auf ein Ritterpferd zu setzen, um damit anzudeuten, welchen Beruf er ergreifen solle. Dann starb er und hinterließ dem Sohn eine Lebenslage, die das genaue Gegenteil von der Talmonds war: Schon im Alter von einem halben Jahr wurde er nomineller Herrscher über Hunderttausende Leibeigene und Beschützer des wahren Glaubens in Litauen. Da zur brandenburgischen Mutter bald ein deutscher Stiefvater, der Umzug in die Oberpfalz und dann das Gymnasium im deutschsprachigen Danzig hinzukamen, ist es kein Wunder, dass Radziwiłł sein Leben lang kaum weniger deutsch als polnisch war – er sprach mit einem berlinischen Tonfall, der ihn och statt auch schreiben ließ, und soll vor seinem Tod sogar noch die Weiße Frau gesehen haben, die als Haus-, also Dynastie-Gespenst sonst bloß den echten Hohenzollern ihr baldiges Lebensende ankündigte. So ging auch er in die Niederlande, um dort das Kriegshandwerk zu lernen. Allerdings stieg er im Unterschied zu Talmond nicht regulär in die Armee der Generalstaaten ein und beteiligte sich vielmehr wie die meisten reisenden Adeligen als sogenannter Volontär nur informell am Kampf. Die Lebensgefahr wurde dadurch, wie wir gesehen haben, keineswegs geringer, aber man musste wenigstens nicht mit kleinadeligen Habenichtsen um Kommandoposten konkurrieren und konnte in den winterlichen Kampfpausen auch schon mal in die Hauptstadt der Kriegsgegner verreisen, weil man ja formal bloß Tourist war. Da Radziwiłł sich auf diese Weise schöne Stunden mit seiner katholischen Brüsseler Geliebten Madame de Gonzaga verschaffte, war eigentlich auch er nicht in Gefahr, sich wegen einer anderen Prinzessin mit Talmond schlagen zu müssen, und so kam ihr erster Zusammenstoß tatsächlich noch ganz ohne weibliche Nachhilfe aus.

Schuld war wie so oft der Rang. So wie Adel heute gerne mit Königshäusern verwechselt wird, benutzen wir auch den Begriff Rang meistens ungenau und etwa als Synonym für Prestige, Status oder gar Beliebtheit. Dies freilich sind unscharfe Eigenschaften, die niemand eindeutig messen kann – und vor allem kein Nullsummenspiel. In einer echten Rangordnung steht dagegen jede Person A prinzipiell entweder eindeutig höher oder eindeutig niedriger als Person B, was natürlich nur möglich ist, wenn vorher verbindlich festgelegt wurde, welches Kriterium dafür den Ausschlag geben soll. Im Europa der Könige war man sich weitgehend einig, dass auf den höchsten Ebenen die vornehme Abstammung – die sogenannte Geburt – am wichtigsten war und erst weiter unten auch die Staatsämter eine Rolle spielen durften: Der vierjährige Großneffe des Herrschers hatte einen höheren Rang als der Premierminister. Besitz spielte nur dann eine Rolle, wenn er mit feudalen Herrschaftsrechten verbunden war – Landbesitz konnte also den Rang manchmal beeinflussen, Geldvermögen dagegen nie. Man darf diese Feststellung nicht mit dem verbreiteten Irrtum verwechseln, wonach Geld damals insgesamt noch nicht wichtig gewesen wäre, denn das ist ebenso falsch wie die gegenteilige Annahme, es habe schon in der frühen Neuzeit der Kapitalismus alles dominiert. Geld war auch für den Adel und die Staaten des 17. Jahrhunderts immer ein extrem wichtiges Mittel zum Zweck, und es war ein Fürst und Feldmarschall dieser Zeit, der erklärte, dass man zum Kriegführen bloß drei Dinge brauche: Geld, Geld und Geld. Prestige verlieh Geld jedoch nur, wenn man es für etwas Substanzielles, nämlich Landbesitz, ausgab; wer dagegen ‹nur› Geld besaß, war der Gesellschaft latent verdächtig und riskierte, als stilloser Neureicher verspottet oder als Blutsauger gehasst zu werden.

Der Teufel steckte aber natürlich im Detail, und so war es schon innerhalb jedes einzelnen Landes schwer genug, eine wirklich klare Hierarchie der Ränge durchzusetzen. Überall stritten sich daher beispielsweise Staatssekretäre mit Herzögen, Feldmarschalls-Ehefrauen mit außerordentlichen Gesandten und regierende Grafen mit nicht regierenden Grafen um das Recht, als Erster durch eine Tür zu gehen, in Begräbnisprozessionen direkt hinter dem Sarg zu laufen oder auch bloß in einer Namensliste an erster Stelle genannt zu werden. In vieler Hinsicht vereinte diese Welt alle Nachteile der Ordnung mit allen Nachteilen der Unordnung: Der Rang war allen extrem wichtig, ohne jedoch unumstrittenen Regeln zu folgen. Die Notlösung für dieses Problem war, dass man mit so vielen Beispielen und Präzedenzfällen argumentierte wie möglich, was erst recht ins Ranginferno hineinführte – jede noch so banale Einzelsituation wurde dadurch nämlich zu Munition für zukünftigen Rangstreit, und jedes kleine Zugeständnis zum Verrat an den Rechten des Kollektivs, dem man angehörte. Je ranghöher man ohnehin schon war und je symbolisch wichtiger der Anlass, desto explosiver wurde auch die Rangfrage, und so lässt sich schon ahnen, wie entspannt wohl das Abendessen am Tisch einer Königin verlaufen konnte. Als Radziwiłł und Talmond bei einem Bankett im Jagdschloss Rhenen an den Tisch der Winterkönigin gebeten wurden, trafen nicht einfach zwei temperamentvolle und auf einen gewalttätigen Ehrenkodex trainierte Zwanzigjährige aufeinander; unsichtbar und anfeuernd standen hinter ihnen zugleich die Geister aller Radziwiłł- und La-Trémoïlle-Ahnen, die hypothetischen Gewerkschaften der Titular-Reichsfürsten, Pairs von Frankreich und Princes étrangers sowie letztlich der ganze französische und polnisch-litauische Hochadel.

Fast will man bedauern, dass Radziwiłł sich bei Tisch noch gerade zurückhielt und nur innerlich kochte, nachdem Talmond ihm den Platz direkt neben den Königskindern weggenommen hatte. Hätte er ihn direkt angesprochen, wäre die Art von Unterhaltung entstanden, die es oft genug gab und die das Wesen des ganzen Systems anschaulicher machen kann als jede lange Erklärung. Wie hätten sie miteinander gesprochen? Man befand sich zwar in den Niederlanden, die Umgangssprache des oranischen wie des pfälzisch-böhmischen Hofes war jedoch Französisch, wozu am Letzteren noch ein paar Leute kamen, die etwas so Exotisches wie Englisch konnten. Unsere beiden Kontrahenten hätten sich notfalls aber auch auf Latein streiten können, das beide fließend sprachen, weil es die Amtssprache sowohl des Jesuitengymnasiums als auch des polnisch-litauischen Staats war. Jedenfalls hätte Radziwiłł Talmond fragen können, ob er, dessen Fürstentitel ja doch offenbar ganz selbstgemacht sei, ernsthaft nicht wisse, dass sein Gegenüber ein Fürst des Heiligen Römischen Reichs sei. – Ohne einen einzigen Untertanen oder ein einziges Stück Land im Heiligen Römischen Reich, soweit ich weiß. – Meine Agenten halten ständig Ausschau nach akzeptablen Verkaufsangeboten; inzwischen herrsche ich halt über einige hunderttausend Leibeigene in Weißrussland. – Wo immer das ist. Wir sind am französischen Hof als auswärtige Prinzen anerkannt. – Ach. Gibt’s das auch schriftlich? – Das gibt es nie schriftlich, Monsieur. Meine Schwester und meine Tanten haben aber, wie jeder einigermaßen wohlinformierte Mensch wissen könnte, schon als kleine Mädchen in Gegenwart der Königin auf einem Hocker gesessen. Das ist ja nun bekanntlich der Testfall. Außerdem hat mein Vater nachweislich vor dreißig Jahren bei der Audienz des spanischen Botschafters seinen Hut aufbehalten. – Wie schön. Unsereiner lässt bloß Goldmünzen schlagen, auf denen der eigene Name steht. Aber sagen Sie, wieso denn auswärtige Prinzen? All Ihre Ländereien stehen doch unter der Krone Frankreichs? – Entschuldigen Sie mal, mein Vater ist immerhin der rechtmäßige König von Neapel. – Sehen Sie, Monsieur, und ich hätte gedacht, dass Neapel dem König von Spanien gehört. Weiß denn das noch jemand außer Ihnen? – Wir haben da einen sehr guten Mann, der eine Abhandlung mit erschöpfenden urkundlichen Beweisen schreibt, die wird demnächst in allen guten Buchhandlungen zu haben sein. Lassen Sie sich das dann doch einfach vorlesen, falls es in Ihrem Land Leute gibt, die so was können. – Wir sollten diese Unterhaltung wohl besser an einem Ort fortsetzen, wo wir weniger Gesellschaft haben. – Nichts lieber als das. Schicken Sie mir Ihren Sekundanten, dann arrangieren wir einen Spaziergang.

So etwa hätte im Interesse optimaler Exposition das Gespräch der beiden aussehen sollen; leider nahm Radziwiłł darauf keine Rücksicht und vereinfachte die Dinge, indem er Talmond auch ohne Aussprache gleich seinen Sekundanten schickte. Das mag schon deshalb eine gute Idee gewesen sein, weil bei weiterer Diskussion als Nächstes zu klären gewesen wäre, ob denn der Hockersitz der La-Trémoïlle-Töchter wirklich als Beweis für den Prinzenrang ausreichte; die gängigere Meinung war die, dass es außerdem auch noch Beweise für einen Hockersitz der Ehefrauen jüngerer Söhne brauchte. Da aber im Hause La Trémoïlle die letzte Heirat eines zweiten Sohnes schon 78 Jahre zurücklag – schließlich kostete so was nur unnötig Geld und erzwang lästige Erbteilungen – und man doch Neapel erst vor 36 Jahren ‹geerbt› hatte, ließ sich da nichts testen. Und hätte denn ein auswärtiger französischer Prinz wirklich Vorrang vor einem Reichsfürsten haben sollen? Auch nicht ganz einfach zu klären, weil die anderen Familien, die diesen Rang neben den La Trémoïlle unumstritten besaßen, gleichzeitig alle auch Reichsfürsten waren und man also jeden Hocker, jede Armlehne und jeden guten Platz, den diese Leute je an einem zeremoniellen Esstisch gehabt haben mochten, genauso gut aus dem einen wie dem anderen Rang erklären konnte. Dies alles natürlich nur als kleine Vorüberlegung dazu, was die böhmische Hofetikette zu dieser Frage sagte, an die sich leider kein Anwesender mehr so genau erinnerte – man war ja in jenem Winter vor 22 Jahren schon ganz gut damit beschäftigt gewesen, den Dreißigjährigen Krieg in die Wege zu leiten. Letztlich dürfte daher die korrekte Lösung für das Rangproblem unserer beiden Helden dieselbe gewesen sein, die Zeremonienmeister in ganz Europa ihren Chefs immer wieder erklären mussten: Zwei solche Personen dürfen einander einfach nicht begegnen.

Ein ordentliches Duell wurde damals nur deswegen nicht daraus, weil zwar Talmond mit seinem Sekundanten Espinay am Treffpunkt erschien, Radziwiłł aber allein kam; seinen Sekundanten Schomberg hatte er im letzten Moment abgehängt, weil er ihn im Verdacht hatte, ein Spielverderber zu sein, der sie beide wegen des illegalen Duells verpfeifen und verhaften lassen würde. So kam es, wie es kommen musste. Schomberg begriff, dass und warum man ihn versetzt hatte, empörte sich nicht wenig über diese ungerechte Unterstellung und rächte sich, indem er die jungen Prinzen wegen des illegalen Duells verpfiff und verhaften ließ. Die Königin von Böhmen schimpfte sie elegant aus, versöhnte sie dann miteinander – an ihnen lag’s ja nicht, dass sie ihren Mut nicht mehr hatten beweisen können – und befahl ihnen, sich zu umarmen; im Hinterkopf wird sie sich die in solchen Fällen übliche Notiz gemacht haben, diese beiden in Zukunft immer nur separat einzuladen. Talmond ging zurück an den oranischen Hof und Radziwiłł in die Arme der Marquise Gonzaga, und dabei wäre es wohl geblieben, wenn nicht nun endlich die obligatorische hübsche junge Prinzessin auf den Plan getreten wäre.

Die pfälzisch-böhmische Prinzessin Elisabeth hieß als älteste Tochter nach ihrer Mutter, der Winterkönigin, und blickt auf dem Bild, das ihre Schwester etwa um diese Zeit von ihr malte, trotz fröhlich mythologischer Aufmachung durchaus melancholisch. Die verlässlich sexistischen Zeitgenossen hätten darin vermutlich ihre schlechten Aussichten auf eine akzeptable, also ranghohe Heirat gespiegelt gesehen, denn solange dieser Hof im Exil lebte, gab es keine Untertanen und damit keine Mitgift für die allzu vielen Töchter; selbst als sie später die vom Krieg völlig verwüstete Pfalz zurückerhielten, blieb die Dynastie noch lange so arm, dass Elisabeths jüngere Schwester froh sein musste, wenigstens den Fürsten von Transsylvanien abzubekommen (immerhin war der auch Calvinist). Andererseits korrespondierte Elisabeth mit Descartes intelligent über Philosophie und musste sich kaum lange umschauen, um überall lebhafte Argumente gegen die von ihrem Stand und ihrer Zeit praktizierte Art der Ehe zu finden. Auch an ihrem Blick auf den nahen Cousin Talmond und den fernen Cousin Radziwiłł war nichts Romantisches, und wenn diese beiden sie dennoch interessierten, dann bloß deshalb, weil sie ja beinahe den Oberstallmeister Espinay in ein Duell mit hineingezogen hätten. Ebendieser Espinay aber war der Prinzessin Elisabeth ein Dorn im Auge, weil er ihrer Meinung nach viel zu viel und viel zu unguten Einfluss auf ihre winterkönigliche Mutter ausübte und angeblich über alle Standesgrenzen hinweg sogar ihre Schwester Luise Hollandine verführt hatte. Um diese Schande zu tilgen, wäre also das erfahrungsgemäß auch für die Sekundanten lebensgefährliche Duell gerade recht gekommen, zumal selbst der Tod eines der Prinzen schon gereicht hätte, Espinay so zur Flucht zu zwingen, wie es an seinem letzten Hof eine überkreuzte Liebesgeschichte getan hatte. Zum Glück war es noch nicht zu spät, um den Kampfgeist aller Beteiligten wiederzubeleben. Talmond war ohnehin seit Jahren auf der Suche nach der Heldentat, die seiner Familie gezeigt hätte, dass auch aus einem ewig kranken Kind ein großer Krieger werden konnte. Dem abgereisten Radziwiłł andererseits musste die Prinzessin nur ausrichten lassen, ganz Holland lache über die Feigheit, mit der er die erzwungene Versöhnung akzeptiert habe und die sicher auch Madame de Gonzaga peinlich sein werde, schon buchte er die nächste Kutsche ins Kriegsgebiet bei Rheinberg, wo eben die Armeen der Niederlande, Frankreichs, Spaniens und Bayerns sich aufeinander zubewegten, um den niederländischen Unabhängigkeitskrieg und den Dreißigjährigen Krieg endgültig ineinander zu verschränken.

Als Talmond am 30. Juli 1642 aus dem Zelt kam, in dem der calvinistische Gottesdienst des niederländischen Heeres abgehalten worden war, erwartete ihn Radziwiłłs neuer Sekundant Raymond und überbrachte ihm die Duellforderung «eines polnischen Prinzen, dessen Namen ich vergessen habe»; zum Glück konnte Talmond sich aus dem Zusammenhang erschließen, wer da wohl gemeint war. Was er nicht wissen konnte, als Raymond ihm ausredete, den gemeinsamen Freund Espinay als Sekundanten zu wählen, war, dass damit der einzige reale Anlass für das Duell sich bereits erledigt hatte, denn nur um Espinays Verderben war es ja der Prinzessin Elisabeth gegangen: Alles, was noch folgte, war also selbst nach den Maßstäben dieser Zeit einigermaßen sinnlos. Der Wunsch der Prinzessin sollte sich erst vier Jahre später erfüllen, als Espinay von ihrem neunzehnjährigen Bruder Pfalzgraf Philipp getötet wurde. Nachdem es im Duell nicht gelungen war, ließ er Espinays Kutsche anhalten und sah zu, wie zehn Engländer über diesen herfielen; die Übermacht war so groß, dass ihre Degen sich in Espinays Leib getroffen haben sollen. Dafür immerhin musste selbst ein Prinz wie Pfalzgraf Philipp zuerst in venezianische und dann französische Kriegsdienste fliehen, die noch einmal vier Jahre später ihn selber das Leben kosteten. Seine Schwester Elisabeth aber verließ den Hof der über die Tat empörten Mutter und zog sich zu den brandenburgischen Verwandten zurück. Mehrere Jahre lang lebte sie nun abwechselnd in Berlin und im kurfürstlichen Witwenschloss zu Crossen an der Oder, wo sie bereits ihre Kindheit verbracht hatte und das wir später unter ganz anderen Vorzeichen besuchen werden. 1661 schließlich wurde die inzwischen Zweiundvierzigjährige zur protestantischen Fürstäbtissin von Herford gewählt; während der ihr verbleibenden neunzehn Jahre konnte sie daher als Herrscherin aus eigenem Recht die beste Art von Leben leben, die für unverheiratete Hochadelstöchter realistisch denkbar war.

Wie Radziwiłłs Duell mit Talmond verlief, haben wir gesehen. Die Sekundanten gingen übrigens tatsächlich aufeinander los. Raymond zwang Haucourts Pferd zum Drehen, indem er ihm mit dem Säbel auf die Nase schlug, konnte so Haucourt von hinten angreifen und hätte ihn getötet, wenn nicht im letzten Moment Radziwiłł ihn davon abgebracht hätte, weil Talmond ja schon besiegt war. Talmond selbst verdankte sein angesichts der schweren Verletzung ganz unwahrscheinliches Überleben nur einem zufällig vorbeikommenden Militärchirurgen sowie mehreren Notoperationen; den rechten Arm konnte er nie wieder ganz problemlos bewegen. Seine Militärkarriere aber gab er keineswegs auf, sondern setzte sie vielmehr so enthusiastisch fort, dass er sich 25 Jahre später in seinen Memoiren sogar zu erinnern glaubte, schon einen Monat nach der Verwundung an einem Gefecht teilgenommen zu haben, das in Wahrheit nachweislich eine Woche vor dem Duell stattgefunden hatte.

Im folgenden Winter war wieder Hofsaison in Den Haag, wohin inzwischen auch die englische Königin vor einem Bürgerkrieg geflüchtet war; beim großen Ballett zu ihren Ehren tanzten Radziwiłł und der Sohn des Prinzen von Oranien, während Talmond erfolgreich mit seiner fünfzehnjährigen Lieblingscousine Luise Henriette von Oranien flirtete. Als seine Eltern ihn mit Frankreichs einziger calvinistischer und reicher Hochadelstochter verheiraten wollten, rettete ihn noch deren Lieblings-Hofdame, die ihn nicht mochte und daher das Projekt zum Scheitern brachte. Aber während er weiterhin Krieg führte und mit viel Glück überlebte, musste er sich mit Luise Henriette immer häufiger darüber absprechen, wie man die Bewerber um ihre Hand unauffällig abwehren könne. Den Prinzen von Wales wurden sie noch erfolgreich los, weil die Revolution in seinem Heimatland ihn unübersehbar im Wert sinken ließ. Als jedoch Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg ihr seinen Antrag machte, ließen sich Luise Henriettes Eltern nicht länger hinhalten. Dieser neue Bewerber, ein gleichaltriger Cousin Talmonds, Radziwiłłs, der Braut und der Winterkönigskinder, sah zwar unbestreitbar wie ein holländischer Gemüsebauer aus und sprach bezeichnenderweise auch besser Niederländisch als Französisch. Andererseits verfügte er nicht nur über einen raschen Verstand, sondern auch über die richtige Konfession und obendrein große Territorien, die noch vom Krieg verwüstet waren, aber Potenzial besaßen; für seine Botschafter hatte er gerade die Anrede Exzellenz erkämpft und damit bewiesen, dass er im Rang höchstens den Königen nachstand.