Das geheime Leben der Tiere (Ozean) - Abenteuer im Korallenriff - Antonia Michaelis - E-Book

Das geheime Leben der Tiere (Ozean) - Abenteuer im Korallenriff E-Book

Antonia Michaelis

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Beschreibung

Minik ist weit weg von zuhause: Der geheimnisvolle Klang hat den Seehund auf eine sonnige Insel in der Karibik geführt. Die Tiere dort begrüßen den Neuankömmling voller Neugier, denn jemanden wie ihn haben sie noch nie gesehen. Schon bald schließt Minik Freundschaft mit den Meeresschildkröten Nö und Halbmond. Gemeinsam müssen sie sich an Land und im Wasser vielen Bedrohungen stellen. Als plötzlich ein Kind in Not gerät, riskiert der mutige Seehund alles, um ihm zu helfen. Komm mit auf eine Reise in die Tiefen des Meeres! Aufregende Abenteuer, erstaunliche Wunder der Natur und das spannende Leben der Tiere – diese Kinderbuch-Reihe entführt Kinder ab 8 Jahren in die verschiedenen Lebensräume der Erde. Ob im tiefen Meer oder im dichten Wald: In diesen Geschichten erleben Tiere wunderschöne und zugleich bewegende Abenteuer. Die Kinder tauchen in die Welt der Tiere ein, werden für die Vielfalt der Natur begeistert und lernen viel Neues auf den Wissensseiten. Mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Illustrationen. Lehrreich wie ein Sachbuch und berührend wie ein Disney-Klassiker! Alle Bände dieser Reihe: Das geheime Leben der Tiere (Ozean) - Minik - Aufbruch ins weite Meer Das geheime Leben der Tiere (Ozean) - Minik - Der Ruf der Arktis Das geheime Leben der Tiere (Ozean) - Minik - Abenteuer im Korallenriff Das geheime Leben der Tiere (Ozean) - erscheint August 2023 Die Titel sind auf Antolin gelistet.

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Für alle Kinder,die helfen,die Meere zu retten

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1

Minik erwachte davon, dass es wärmer wurde.

Es war sehr kalt gewesen.

Er schüttelte den Kopf mit den aufgeregt vibrierenden Tasthaaren und versuchte, sich zu erinnern: Er war in etwas hineingekrochen. Aus Eis und Schnee in etwas hinein, das ihn vor dem Wind schützte. Etwas, das die Menschen gemacht hatten.

Etwas wie eine Höhle.

Dann war es sehr dunkel geworden und ein Mensch hatte eine Klappe geschlossen. Es war laut gewesen; etwas hatte gedröhnt wie ein Bootsmotor. Der Boden hatte gezittert und Miniks Magen hatte einen Satz gemacht – als stiegen sie rasend schnell nach oben. Höher und höher … Aber wie war das möglich?

Befand er sich in einem fliegenden Boot? Im Himmel? In einem Vogelboot?

Es gab wirklich nichts, was die Menschen nicht erfanden.

Und dann musste der Seehund eingeschlafen sein.

Jetzt war er wach, die Klappe war wieder offen, das Vogelboot stand auf dem Boden.

Draußen hatte jemand die Landschaft ausgetauscht: Eis und Schnee waren weggenommen und stattdessen war Sonne hingelegt worden. Minik legte den Kopf mit den glänzenden Knopfaugen schief: Die Bäume waren ganz gerade und dünn und hatten oben Flossen, mit denen sie im Lufthauch wedelten. Darunter hingen runde Kugeln, wie die Blasen von Blasentang, nur viel größer.

Minik schüttelte sich und robbte aus der Höhle.

Tatsächlich: Das Ding, in das er in einer eisigen polaren Nacht gekrochen war, besaß silberne Flügel. Doch es lebte nicht und als er probeweise hineinbiss, sagte es nichts.

„Wo bin ich?“, fragte Minik es. „Ich bin mit dir durch den Himmel geflogen, aber wo hast du mich hingebracht?“

Jemand bellte und er fuhr herum. Ein paar Seehundlängen entfernt stand ein Mensch und sah sehr erstaunt aus, Minik hier zu sehen.

Minik war auch erstaunt. Alles war plötzlich so anders. Alles war warm und die Luft schmeckte süß und würzig, unbekannt, unerklärlich, nach Abenteuer.

Hinter der leeren Straße, die offenbar nur für landende Vogelboote da war, gab es einen Streifen Gras und dahinter sah Minik etwas Glitzerndes: das Meer.

Er musste ins Meer.

Doch der Mensch war im Weg. Es war der Mensch mit dem Fell im Gesicht, der Mensch, dessen Kind Minik im Land voller Schnee und Eis gerettet hatte. Eigentlich war er keiner von den Tötern. Dennoch raste Miniks Herz.

Er musste an dem Menschen vorbei.

Mit einem Jaulen stürzte er vorwärts und robbte über die Vogelboot-Straße auf die Wedelbäume zu. Da streckte der Mensch die Arme aus und war mit zwei Sätzen bei Minik, versuchte, ihn zu greifen. Minik drehte den Kopf und schnappte zu, hörte den Menschen aufheulen, robbte weiter, im Seehundsgalopp: Er musste weg hier! Weg!

Er robbte über Stein, über Gras und endlich über feinen weißen Sand, endlich ins Wasser. Es nahm ihn auf, umschloss ihn, begrüßte ihn. Und Minik schlug einen Purzelbaum unter Wasser, drehte Pirouetten, aalte sich.

„Gerettet“, sagte das Meer.

Das Meer: lichtdurchflutet, hell, voller winziger Wellen. Hätte Minik Farben gesehen, hätte er „türkis“ gedacht. Unter ihm in der Tiefe schwammen gemusterte Fische aller Größen und Formen zwischen Korallen hin und her. Minik sah Seesterne auf Felsen sitzen und Blumen unter Wasser blühen, die er nie zuvor gesehen hatte. Es war atemberaubend schön. Es war wie ein Traum. Er schwamm ganz nahe an den Korallen vorüber, so nahe, dass er die einzelnen kleinen Tierchen darin und ihre Münder sehen konnte, die fleißig Wasser in sich hinein- und aus sich herausstrudelten, um es zu filtern. Diese Korallen waren ganz anders als die Kaltwasserkorallen des Polarmeeres. Sie waren üppiger, verschiedener – sie waren wie ein ganzer Wald. Er schwamm über ihnen entlang, ohne Eile, weiter und weiter, sammelte all die neuen Eindrücke um sich: neue Arten von Fischen, prächtig und gemustert, neue Wasserpflanzen, neue Strudel, die seine Tasthaare erfühlten.

Ein Schwarm gestreifter Fische kreuzte seinen Weg. Er schnappte sich einen von ihnen und kehrte zur Wasseroberfläche zurück, um ihn in die richtige Längsposition zu bringen und ihn zu verschlucken. Doch als er wieder abtauchen wollte, dröhnte auf einmal etwas heran. Minik erschrak: Da war ein Boot. Ein Menschenboot.

Es hielt direkt auf ihn zu. Zuerst dachte er, der Mann mit dem Fell im Gesicht wäre an Bord, dann sah er, dass es ein anderer war. Minik tauchte weg und jetzt bremste das Boot und blieb plötzlich auf dem Wasser liegen, beinahe reglos. Sekunden später fiel etwas von diesem Boot ins Wasser. Er war zu verblüfft, zu neugierig, um zu fliehen.

Was ins Wasser gefallen war, war ein Fisch – der seltsamste Fisch, den Minik je gesehen hatte. Er besaß Hinterflossen an langen Beinen wie ein Landtier. Auf dem Rücken saß ein rundes Ding, wie ein länglicher Felsen, von dem ein schlanker, gebogener Ast zum Gesicht des Fisches führte. Das Gesicht war flach vorne, so als sei der Fisch ärgerlicherweise zuvor gegen eine Felswand geschwommen und plattgedrückt worden.

Die glatte Fläche spiegelte das Licht. Und der Fisch schwamm auf die merkwürdigste aller Arten. Er hing senkrecht im Wasser, ließ die Flossen nach unten hängen und wedelte mit den Armen – er machte einem zweiten und einem dritten Fisch Zeichen, die auch plötzlich von oben ins Wasser fielen. Dann streckte er einen Arm nach Minik aus.

An dem Arm war eine Hand mit fünf Fingern.

Und endlich verstand Minik.

Das waren keine Fische.

Es waren Menschen, die sich als Fische verkleidet hatten. Minik machte kehrt und schoss davon. Sie folgten ihm, sie waren schnell mit ihren künstlichen Flossen, unangenehm schnell. Was wollten sie? Wollten sie ihn nur berühren, so wie Menschen immer alles anfassen wollten? Er sah, wie einer von ihnen eine Hand ausstreckte und vorsichtig über die Korallen strich. Ganz vorsichtig, es sah aus, als wollte der Mensch nichts Böses. Aber da brachen die Korallen ab und schwebten langsam auf den Meeresgrund.

„O nein“, dachte Minik, „mich fassen sie nicht an.“ Wer weiß, ob nicht auch ein Stück von mir abbricht. Da! Da war eine dunkle Nische zwischen den Felsen, dort unten! Er tauchte senkrecht hinab und quetschte sich hinein. Es ging gerade so und da verharrte er und wartete darauf, dass die Menschen vorüberschwammen. Sein Herz raste. Minik brauchte Luft. Er musste nach oben, um zu atmen, sein Kopf dröhnte, schmerzte, schrie nach Sauerstoff. Aber noch waren die verkleideten Fischmenschen da oben, sie hatten es nicht eilig.

Und als sie endlich, endlich abdrehten und davonschwammen, näherte sich etwas Neues.

Etwas sehr Großes, Braunes, mit plumpem, langem Kopf, großen Seitenflossen und zwei spitzen Rückenflossen ganz hinten. Als das Etwas den Kopf leicht drehte und das Maul einmal kurz öffnete, sah Minik viele Reihen glänzender scharfer Zähne.

Ein Hai!

Dies war ein echter Hai. Kein kleiner Winzlingshai, wie es ihn in der Nordsee oder der Ostsee gibt. Ein richtiger, echter Hai, einige Male so groß wie der junge Seehund! Er war jetzt ganz nah. Und er schwamm genau auf Miniks Felsspalte zu. Ein Seeigel neben Minik bewegte sich ein Stück weiter, seine schwarzen Stacheln wie die Strahlen einer kleinen Sonne. Zwei Seesterne krochen über den Felsen, auf der Jagd nach Muscheln, über die sie sich stülpen würden, um sie zu knacken und zu fressen. Ein Krebs spazierte ohne Eile an den Seesternen vorbei.

Und jetzt war der Hai da. Minik versuchte, rückwärts noch tiefer in die Spalte zu gelangen. Es ging nicht. Weder rückwärts noch vorwärts. Er steckte fest. Wenn er nicht bald atmete, würde sein Kopf explodieren, er spürte es.

Jetzt schwamm der Hai genau vor der Spalte. Und er tat etwas sehr Seltsames. Er machte sein Maul breiter, stülpte es über die Spalte, sodass alles dunkel wurde. Minik spürte einen Sog. Da war etwas, ja, ein schlürfendes Geräusch. Sekunden später gab es wieder Licht. Der Seeigel, der Krebs und einer der Seesterne waren fort. Der Hai schwebte im Wasser vor der Felsspalte.

Minik sah jetzt seine Augen und der Blick des Hais zeigte dasselbe Erstaunen, das Minik bei den Menschen gesehen hatte. „Oh“, sagte er mit diesem Blick. „Was tust du hier? Was bist du? Ich habe mich verspätet, ich sollte nachts jagen, aber im Moment sind zu viele Taucher hier unterwegs, Menschen. Sie haben Lichter, nachts haben sie mich ganz durcheinandergebracht, sie sind neugierig … ich war auf Saugjagd … und du?“

Minik schoss aus der Spalte nach oben, rang nach Luft und ließ sich dann wieder hinabsinken. Der Hai schwamm noch immer im Wasser, träge.

„Saugjagd?“, fragte Minik außer Atem.

„Ganz genau“, sagte der Hai. „Wir Ammenhaie machen das so. Maul über die Spalte stülpen, Sauger an und all das kleine Zeug, das sich versteckt, wird eingeschlürft. Mmh!“

„Ähm“, sagte Minik. „Ich dachte … du würdest mich fressen.“

„Viel zu unpraktisch“, sagte der Hai. „Aber ich verstehe nicht … woher kommst du?“

„Aus einem Meer, sehr, sehr weit weg“, sagte Minik. „Ich weiß nicht genau, wie weit.“

„Dann bist du wohl eine Schildkröte“, überlegte der Hai.

„Ach“, sagte Minik. Er wusste nicht, was eine Schildkröte war.

„Du bist gekommen, um deine Eier zu legen“, meinte der Hai.

„Das ist mir neu“, sagte Minik.

„Ich glaube, du bist eine sehr komische Schildkröte. Du solltest grün oder braun sein. Und hart außen. Und du solltest doch wissen, dass du Eier legen willst. Wir Ammenhaie machen das ja anders. Wir bekommen unsere Jungen lebendig. Ohne Eier.“

„Wir auch“, sagte Minik. „Und sie trinken Milch am Anfang.“

„So ein Unsinn“, sagte der Hai eigensinnig. „Schildkröten trinken keine Milch. Delfine und Wale, ja, aber Schildkröten doch nicht.“ Und damit drehte er ab und schwamm davon. Minik blieb verwirrt zurück.

„Bin ich eine Schildkröte?“, fragte er sich selbst. „Nennen sie alles Schildkröte, was von weit her kommt?“

Er schwamm ohne Ziel weiter, ohne Eile. Er fraß Fische, wenn er hungrig war, und ließ sich von der einen oder anderen sanften Strömung treiben, wenn er müde wurde. Nie hatte er so viele verschiedene Fische gesehen oder gejagt. Es gab Fische in den seltsamsten Formen und Farben.

Ihre Körper waren mit vielerlei Mustern von der Natur verziert. Die Fische waren gefleckt, gestreift, gepunktet. Quallen schwebten durchs Wasser, zerbrechliche Schönheiten, denen Minik lieber nicht zu nahe kam, denn er kannte die Feuerquallen der Ostsee. Doch diese Quallen waren komplizierter gebaut, hatten lange, hauchdünne Tentakel, wiegten sich und tanzten im Wasser. Zusammen waren sie wunderschön.

Gegen Mittag geriet Minik in eine Gruppe riesiger Rochen mit weißen Flecken, die wie Vögel durchs Wasser flogen.

„Woher kommst du denn?“, fragten sie und Minik sagte: „Ich komme von weit, weit weg.“

„Aha, dann bist du eine Schildkröte“, stellten die Rochen fest.

Gegen Nachmittag traf er einen Feilenfisch, der so etwas wie ein Horn auf der Stirn trug, und er sagte: „Ehe du fragst, ich komme von weit, weit weg“, und der Feilenfisch sagte: „So, so, dann bist du eine Schildkröte.“

Am Abend sah Minik eine weitere Insel. Er sehnte sich nach einem Strand, um auszuruhen und seine Gedanken zu entwirren, und er schwamm darauf zu – und da geschah es. Im wunderschönen, glühenden Licht des Sonnenuntergangs trieb etwas vor ihm, das nicht lebte. Er dachte: „Plastiktüte“, und: „Aha, die gibt es hier auch.“

Kurz darauf schwamm jemand an ihm vorbei, grazil, rasch, mit vier Flossen, von denen jemand anderes gesagt hätte, sie wären braun. Das Tier trug einen harten, ovalen Panzer, fast sah es aus wie ein Landboot der Menschen. Aus dem Panzer ragten Arme, Beine, ein kurzer Schwanz und ein kleiner Kopf auf einem faltigen Hals.

„He!“, rief Minik. „Kommst du von weit, weit weg?“

„Möglich, möglich“, sagte das Tier und schwamm unbeirrt weiter, auf die Küste der Insel zu. „Ich bin lange, lange geschwommen. Viele Sonnenaufgänge, viele Sonnenuntergänge. Viele Tage, viele Nächte. Ich bin müde.“

„Bist du gekommen, um deine Eier hier abzulegen?“, fragte Minik.

„Möglich, möglich“, antwortete das Tier noch einmal. Und Minik wollte gerade sagen: „Dann bist du eine Schildkröte“ – da sagte es: „Ich bin hungrig. Da vorne schwimmt eine leckere große Qualle.“

Auf einmal schoss das Tier vorwärts, öffnete das Maul – und schnappte nach der Plastiktüte.

„Nein!“, rief Minik. „Das darfst du nicht fressen!“

„Warum?“ Es hatte das Maul bereits voller Plastik.

„Das … das ist keine Qualle! Es sieht nur ähnlich aus. Das ist eine Tüte. Ich kenne die Dinger, die sind gefährlich! So eine hat sich einmal um meinen Kopf gewickelt und wollte mich nicht mehr loslassen. Fast wäre ich erstickt! Die Dinger sind heimtückisch, sie tun so, als wollten sie nur spielen, aber wenn du nicht aufpasst, schlagen sie zu …“

„Fmeckt aber fo wie Qualle“, sagte die Schildkröte.

„Wie schmecken denn Quallen?“

„Nach nichpf“, sagte die Schildkröte. „Ich fluck daf jepf rumper.“

„Tu das nicht!“

Minik packte das Stück Plastik am anderen Ende, das noch aus dem Schildkrötenmaul heraushing, und zog daran. Die Schildkröte zog am anderen Ende. Beide zerrten, der Kampf ging hin und her, hin und her, die Schildkröte war groß, fast so groß wie der Seehund.

Und schließlich riss die Tüte durch und die Schildkröte verschluckte nur ein kleines Stück. Minik ließ die eine Hälfte los, die Wellen trugen sie davon. Mit der anderen Hälfte schwamm Minik in Richtung Küste.

Er robbte auf den warmen Sand, hinter dem die Wedelbäume begannen, und alles war schön, alles war friedlich. Auf dieser winzigen Insel schien es nicht einmal Häuser zu geben. Aber in seinem Maul hielt er ein Stück Gefahr. Und er sah mehr – da waren mehr Plastikdinge am Strand verteilt; eine künstliche Pfote der Menschen, auf denen sie liefen, zwei Flaschen … Der Wind würde all das wieder ins Meer blasen, da war er sich sicher. Und dumme Tiere wie die Schildkröte würden es fressen.

Sie kam jetzt aus dem Wasser, hinter Minik, und sah ihm mit schief gelegtem Kopf dabei zu, wie er mit den Krallen seiner rechten Flosse im Sand grub. Wie er den Plastikfetzen mit den Zähnen hinein- und den Sand wieder darüberschob.

„Quallen mögen keinen Sand“, sagte sie.

„Das ist keine Qualle“, sagte Minik.

Wäre die Schildkröte ein Mensch gewesen, hätte sie vermutlich geseufzt. „Ich habe so was wie dich noch nie gesehen“, meinte sie. „Was bist du überhaupt?“

„Wenn man denen hier glauben darf, eine Schildkröte. Denn ich komme von weit, weit weg.“

„Warte“, sagte die Schildkröte. „Du hast keinen Panzer. Und du kennst dich nicht mit Quallen aus. Du kannst keine Schildkröte sein.“

„Bin ich ja auch nicht, ich bin ein Seehund“, sagte Minik und jetzt hätte er gerne geseufzt.

„Guck mal, noch etwas zu essen“, sagte die Schildkröte plötzlich abgelenkt. „Rot! Sehr hübsch! Rot können wir am besten sehen. Sehr hübsch.“

Sie beugte ihren Hals und schnappte nach einem länglichen Röhrchen, das auch nach Plastik roch.

„Dadurch trinken die Menschen“, erklärte Minik.

„Ich habe das schon gesehen. Manche von ihnen können nicht mit dem Mund trinken, sie brauchen so ein Röhrchen. Das kann man nicht essen.“

Er packte das Röhrchen und schob es ebenfalls unter den Sand.

„Du bist komisch“, sagte die Schildkröte. „Ich gehe jetzt meine Eier legen.“

Sie schob sich mit ihren Schwimmflossen ein Stück den Sand hinauf, ein wenig ungelenk. Im Wasser bewegte sie sich eleganter.

Ganz oben, wo die Wedelbäume begannen, hielt die Schildkröte inne und begann zu graben. Die Sonne war jetzt untergegangen, die Sterne leuchteten am Himmel. Minik lag im Sand und sah hinauf. Und erschrak.

„Die … Sterne“, sagte er. „Es müssen welche heruntergefallen sein, während ich in dem Menschenvogel durch die Luft geflogen bin. Es fehlen welche. Aber … da sind andere, die ich nicht kenne …“

„Wozu brauchst du die Sterne?“, fragte die Schildkröte. „Willst du die auch vergraben, damit sie niemand frisst?“

„Nein, ich … ich brauche sie, um nach Hause zu finden“, antwortete Minik.

„Ich habe gerade nach Hause gefunden“, sagte die Schildkröte. „Wir kehren zum Eierlegen immer an den Ort unserer Geburt zurück.“

„Warum?“

„Himmel, woher soll ich das wissen?“, fragte die Schildkröte und eine Weile schwiegen sie beide.

Schließlich verließ die Schildkröte ihr Sandloch. „Sieh mal, sind das nicht wunderschöne Eier?“ Jetzt klang sie nicht mehr schnippisch und besserwisserisch, sondern einfach glücklich.

Minik betrachtete das Gelegte im Schein des Mondes, der jetzt aufgegangen war: eine Menge kleiner runder heller Gebilde. Die Schildkröte schaufelte Sand darüber.

„Die Sonne wird sie ausbrüten“, sagte sie zufrieden. „Hier liegen schon eine Menge Eier von anderen Schildkröten. Wir kommen immer alle her. Du hast gefragt, warum. Es ist … eine innere Kraft, die uns zieht.“

„Komisch, in mir … ist auch so ein Ziehen“, meinte Minik und sah zum Mond empor, der groß und halb am schwarzen Himmel hing. „Aber das Ziehen hat keine Richtung. Ich hatte … einen guten Freund zu Hause. Lottazwei. Er ist ein Wal. Und später einen Papageitaucher. Puffling. Ich frage mich, was sie jetzt wohl gerade tun.“

„Wahrscheinlich sehen sie denselben Mond an und fragen sich, was du tust“, schlug die Schildkröte vor. „Ist es schön, einen Freund zu haben?“

„O ja“, sagte Minik.

„Könnte ich dein Freund sein? Ich hatte noch nie Freunde. Ich könnte dir Dinge zeigen. Ich meine, ich weiß alles und du bist neu und weißt nichts.“

Minik dachte an die Tüte und sagte lieber nichts. Vielleicht war es gut, auch hier, an diesem Ort, einen Freund zu haben. Selbst, wenn es ein etwas besserwisserischer Freund war. Freundschaft konnte Leben retten.