Das geheime Leben der Tiere (Ozean) - Ein Seehund findet nach Hause - Antonia Michaelis - E-Book

Das geheime Leben der Tiere (Ozean) - Ein Seehund findet nach Hause E-Book

Antonia Michaelis

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Beschreibung

Zwischen Riesenkraken, Tiefseefischen und Blauwalen schwimmt Seehund Minik durch den Atlantischen Ozean. Er hat eine geheimnisvolle Silberkiste aus dem Wasser gefischt, die einem Menschenkind gehört. Der Seehund setzt alles daran, dem Kind die Kiste wieder zurückzubringen. Sein neuer Freund, der Oktopus Sieben, weicht Minik dabei nicht von der Seite. Vor den Beiden liegt eine waghalsige Reise durch das weite Meer, die sie an einen ganz besonderen Ort führt. Miniks Reise durch die Ozeane geht zu Ende Aufregende Abenteuer, erstaunliche Wunder der Natur und das spannende Leben der Tiere – diese Kinderbuch-Reihe entführt Jungen und Mädchen ab 8 Jahren in die verschiedenen Lebensräume der Erde. Ob im tiefen Meer oder im dichten Wald: In diesen Geschichten erleben Tiere wunderschöne und zugleich bewegende Abenteuer. Die Kinder tauchen in die Welt der Tiere ein, werden für die Vielfalt der Natur begeistert und lernen viel Neues auf den Wissensseiten. Mit berührenden und coolen Schwarz-Weiß-Illustrationen. Lehrreich wie ein Sachbuch und berührend wie ein Disney-Klassiker! Für Fans von Peter Wohlleben und Karsten Brensing. Die Titel sind auf Antolin.de gelistet. Alle Bände dieser Reihe: Das geheime Leben der Tiere (Ozean) - Minik - Aufbruch ins weite Meer Das geheime Leben der Tiere (Ozean) - Minik - Der Ruf der Arktis Das geheime Leben der Tiere (Ozean) - Abenteuer im Korallenriff Das geheime Leben der Tiere (Ozean) - Ein Seehund findet nach Hause

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Für alle Kinder,die die Welt verändern.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Nachwort

1

Das Meer war unendlich und blau, der Himmel wölbte sich unendlich und blau darüber und mitten in dieser Unendlichkeit trieb ein Feld aus Seegras. Darin wuselten ein paar kleine Schildkröten umher. Ab und zu fraßen sie etwas Seegras. Für den Rest ließen sie sich von dem warmen Strom tragen.

Er hatte sie von der Küste Mittelamerikas mitgenommen. Der Strom durchströmte den ganzen Atlantischen Ozean, er würde die Schildkröten bis vor die afrikanische Küste bringen und weiterfließen, weiter nach Norden, nach Europa …

Moment. Da war jetzt ein runder grauer Kopf mit schwarzen Knopfaugen, mitten im Strom. Er sah sich an der Oberfläche um, neugierig, mit zitternden Tasthaaren, und tauchte wieder unter. Das war doch keine Schildkröte gewesen?

„Ich sage dir, dieses Ding gehört nicht in den Golfstrom“, erklärte eine der winzigen Schildkröten einer anderen. Ohne Worte, nur in Gedanken. „Der Golfstrom gehört uns! Die Alten haben das gesagt. Es darfFische darin geben, aber das große Graue ist verkehrt!“

„Es ist ein Seehund“, antwortete die andere kleine Schildkröte. „Und er ist auf der Reise, genau wie wir. Er will nach Hause.“

„Er wird uns auffressen!“, sagte die erste Schildkröte.

„Nö!“, sagte die andere. „Ich kenne ihn. Wir haben eine Menge zusammen erlebt.“

Und dann rief sie den Seehund. Denn er hatte einen Namen. Er war ein Weitgereister, ein Abenteurer, ein Ausnahme-Seehund. „Minik!“

Der Seehund kehrte um, schwamm zurück zu der kleinen Schildkröte. „Nö?“

„Die hier glaubt, du frisst Schildkröten und bist gefährlich.“

„Ich bin gefährlich“, sagte Minik. „Ein Raubtier.“ Er öffnete das Maul und zeigte seine Zähne. „Aber ich fresse keine Schildkröten. Viel zu hart. Und außerdem … fresse ich keine Freunde. Nö ist meine Freundin“, erklärte er der anderen Schildkröte. „Ich habe ihr den Namen gegeben.“

„Namen? Unnützer Kram. Wer braucht denn so was!“, meinte die meckrige Schildkröte. „Und was ist überhaupt dieses glänzende Ding um deinen Hals?“

„Es gehört einem Menschen“, antwortete Minik. „Einem Menschenkind. Es ist … ein Freund. Und dieses Kind braucht das glänzende Ding. Darin wohnt ein Zauberklang. Ich habe das Kind gerettet und es hat mich gerettet.“

„Menschen retten nicht“, behauptete die Schildkröte. „Bestimmt ist das Glanzding gefährlich. Eine Falle für Schildkröten.“

Sie paddelte mit ihren großen, breiten Vorderflossen davon.

„Ach, die!“, meinte Nö. „Die ist langweilig, wie alle Schildkröten! Gut, dass ich einen Seehund zum Freund habe.“

„Aber du musst lernen, mit den anderen Schildkröten zu leben“, sagte Minik.

„Nö“, sagte Nö. „Du bist auch nicht bei den anderen Seehunden geblieben. Du bist weggeschwommen, um die Welt zu sehen. Du hattest einen Buckelwal zum Freund, oder?“

„Ja. Und einen Papageitaucher und nun eine Schildkröte. Trotzdem. Irgendwann möchte ich die anderen Seehunde wiederfinden. Wer weiß? Vielleicht schon bald.“

Damit tauchte er tiefer, um zu jagen, denn sein Magen knurrte.

Es war ein Tag wie alle Tage im Strom. Aber Minik ahnte noch nicht, dass es ein einzigartiger Tag werden würde. Ein Tag, der alles änderte. Der Beginn eines neuen, verrückten Abenteuers.

Zunächst fand er nur einen Schwarm von braun gefleckten, irgendwie eckigen Fischen. Sie waren ein bisschen hässlich, aber vielleicht schmeckten sie gut?

Minik schoss in den Schwarm hinein, um einen der Fische zu schnappen … Da verwandelte sich der Fisch ganz plötzlich. Er wurde auf einen Schlag kugelrund. Und von seinem Körper standen Stacheln in alle Richtungen ab. Pieksig.

Minik fuhr zurück.

Um ihn herum schwebten nur noch Kugeln! Lauter stachelige Kugeln im Wasser.

„Oje“, sagte die vorderste mit ihren Glubschaugen. „Wir haben uns aufgeblasen. Schon wieder.“

„Ups!“, sagten alle anderen Stachelwesen im Chor.

„Was seid ihr?“, fragte Minik.

„Igelfische“, erklärten die Stachelwesen. „Wenn wir älter sind, müssen wir zur Küste. Aber solange wir jung sind, dürfen wir hier draußen im offenen Meer schwimmen. So viel Blau! So viel Platz! Abenteuer!“

Langsam wurden sie wieder kleiner und flacher.

„Pumpt ihr Luft in euch?“, fragte Minik, der an die Bälle am Strand dachte, mit denen die Menschen spielten. Damals, an der Ostsee. Wie schön es gewesen war, mit den Bällen zu spielen …

„Luft? Nein!“, antworteten die Igelfische, alle durcheinander. „Wir pumpen Wasser in unsere Mägen! Und keiner kann uns erbeuten. Haha! Keiner! Wir pieksen alle, bis sie uns loslassen!“

„Nur leider finden uns die Menschen zu schön“, sagte ein anderer. „Sie finden uns so schön, dass sie uns mit Netzen fangen. Und dann dekorieren sie ihre Wohnhöhlen mit uns. Tja, niemand ist eben sooo rund und igelig wie wir …“

Minik seufzte und schwamm durch den Schwarm hindurch. Sofort blähten sich die Igelfische vor Schreck wieder auf. Plöpp! Er seufzte erneut und fand eine Schule von jungen Thunfischen, die ebenfalls mit dem Strom schwammen. Jetzt, jetzt würde er satt werden, endlich! Doch da passierte schon wieder etwas. Ein anderer Jäger des Meeres schoss an ihm vorbei und schnappte Minik einen Thunfisch vor der Schnauze weg: ein Barrakuda, blausilbern glänzend, mit ein paar dunklen Flecken und einem bläulich durchsichtigen Schwanz. Minik knurrte innerlich. Na toll! Die übrigen Thunfische waren geflohen.

Da drehte der Barrakuda um. Er hatte den Thunfisch verschluckt – und nun kam er direkt auf Minik zugeschossen. Minik wich im allerletzten Moment aus. Der Barrakuda wendete, schoss erneut auf ihn zu – und öffnete das Maul, um nach Miniks Hals zu schnappen. Er wollte kämpfen.

Wieso? Nur weil sie beide gern Thunfische fraßen?

Wieder wich Minik aus, wieder wendete der Barrakuda und raste ein drittes Mal auf Minik zu. Ein Sonnenstrahl drang schräg durchs Wasser und ließ den Gegenstand leuchten, den Minik an einer Schnur um den Hals trug. Auf einmal begriff er: Es war das Glänzen, das den Barrakuda anzog. Der Barrakuda hielt die Zauberkiste für einen glänzenden Fisch, den er fressen wollte.

„Hör auf! Das ist ein Klangding! Kein Fisch!“, sagte Minik, doch der Barrakuda konzentrierte sich nicht auf das, was er sagte. Er fühlte die Worte nicht. Mit einem Schnappen schlossen seine scharfen Zähne sich … um die Zauberkiste.

Minik spürte die Überraschung des Barrakudas, als der merkte, wie hart sie war. Doch er ließ nicht los. Und dann riss die Schnur.

Miniks Herz setzte beinahe aus vor Schreck: Der Barrakuda hatte die Kiste nun doch losgelassen und sie sahen beide zu, wie sie in die Tiefe trudelte. Die Sonnenstrahlen ließen sie noch einmal erstrahlen, dann tauchte sie ins Dunkel.

Der Meeresgrund war weit, weit entfernt, das wusste Minik. Er hatte versucht hinabzuschwimmen, doch das Meer war an dieser Stelle tiefer, als er tauchen konnte.

Manchmal hatte er in den letzten Tagen von dort unten Lichter heraufleuchten sehen, lebende Lichter, schwach und tanzend: Fische, die ihre eigenen kleinen Sonnen trugen. Sie lebten in einer Welt jenseits der seinen, einer lichtlosen Welt voller Geheimnisse.

Und nun war die Zauberkiste dort.

Er musste sie finden. Das Kind brauchte sie. Es wartete auf ihn, irgendwo jenseits dieses Ozeans. Das Kind selbst war übers Meer gebracht worden, weil es verletzt war. Und vielleicht konnte es nur gesund werden, wenn es die Kiste wieder in den Händen hielt.

Minik sammelte all seinen Mut und schoss hinab in die Tiefe. Sah weniger und weniger. Der Barrakuda war oben zurückgeblieben. Minik schoss weiter … und weiter … merkte, wie ihm keine Luft mehr blieb, wie sein Körper zurück nach oben wollte. Der Druck hier unten war zu stark, zu viel Wasser lastete auf ihm. Doch er zwang sich, weiter abwärts zu schwimmen. Da! Da unten glänzte etwas!

Und dann war da ein komisches, unförmiges Ding, eine Art Pflanze oder schwimmender Stein, gefleckt, mit seltsamen Warzen. Es war ganz plötzlich da, erschien wie aus dem Nichts.

Einen Moment lang bestand es nur aus einer schwarzen Mundöffnung – dann verschluckte es die Zauberkiste und ließ sich nach oben treiben. Minik starrte ihm nach. Das Ding hatte eine Art bewegliches Horn voller schlabberiger Stacheln über dem Mund, komische Auswüchse und keine Schuppen. Stattdessen sah seine Haut irgendwie schleimig aus. Hätte Minik Farben besser gesehen, hätte er „gelborange“ gedacht. Der ganze Fisch – wenn es einer war – sah aus wie eine verfaulte Frucht, auf der sich Algen angesiedelt hatten.

Oder wie Müll.

„Was … Was bist du?“, fragte Minik. Doch da war der Fisch schon vorüber.

Minik folgte ihm zurück nach oben zu den Tangfeldern, die der warme Strom mit sich übers Meer schob. Und dort, unterhalb des größten Tangfeldes, krallte sich der Fisch mit seinen komischen plumpen Flossen fest und begann, in den Tang hineinzuklettern. Wie eine Ratte auf einem Schiff.

Minik fand ihn beinahe nicht wieder.

Aber dann sah er ein metallisches Blitzen: Es blitzte hinter den Zähnen des Fisches hervor.

Er hatte die Zauberkiste also doch nicht verschluckt.

„Gib das her!“, bat Minik. „Das ist meins.“

Der komische Fisch öffnete das Maul wieder – wieder unglaublich rasch, zack!, es war wie ein Trick. Die Zauberkiste fiel heraus. Minik schnappte sie sich und nahm sie behutsam zwischen seine Zähne.

„Das war sowieso nichts“, sagte der Krabbelfisch aus dem Tang heraus. „Bäh! Hart! Also eigentlich sollte Beute vorbeikommen, die meine Antenne toll findet. Manche Antennenfische leuchten. Oder sie tun so, als wäre die Antenne ein kleiner, leckerer Fisch, und dann kommt Beute und will den Fisch fangen und schnapp! Sehr praktisch. Ich lebe meistens hier oben unter dem Tang … Nimm du das harte Dingsbums mit. Eklig!“

„Danke“, sagte Minik. „Für mich bedeutet es viel.“

Er schwamm mit der Metallkiste zur Wasseroberfläche, um endlich aufzutauchen und zu atmen. Doch etwas schwamm jetzt neben dem Rand des großen Tangfeldes im freien Wasser. Etwas Großes. Er erschrak. Heute passierte aber auch alles.

Das Was-auch-immer schwamm neben dem Tangfeld her. Im Strom. Minik spürte, dass es etwas suchte. Vielleicht waren die kleinen Schildkröten die Beute dieses neuen Tieres? Etwas Merkwürdiges ging von dem Lebewesen aus: ein Gefühl zwischen großer Angst und großer Neugier. Wie das, was er selbst manchmal fühlte.

Aber das Lebewesen war kein Seehund.

„Was bist du?“, fragte Minik.

Es antwortete nicht.

Minik schwamm ein wenig näher, vorsichtig, fluchtbereit.

Das Wesen besaß einen blauen Schwanz – „blau“, das hatte er gelernt, sagten die Möwen zu dem, was das Wasser an Sonnentagen war. Die Möwen gaben immer damit an, dass sie Farben sahen. Einen blauen Schwanz also, wie ein Fisch, jedoch glich sein Oberkörper dem eines … Menschen. Aber Menschen hatten Beine. Dieses Wesen hatte einen Schwanz. Mit einer sehr großen Flosse, größer noch als die des Barrakudas.

„Wer bist du?“

Wieder keine Antwort.

Minik sah eine winzige Schildkröte aus dem Tang gucken. Es war Nö. Er hätte ihr Panzermuster immer und überall erkannt. Sie war so neugierig wie er. Und wie das Wesen. Das Wesen streckte die Hand aus, seine fünf Finger griffen nach Nö –

Und Nö sagte: „Nö, du kriegst mich nicht“, und verschwand im Tang.

Minik atmete auf.

Jetzt drehte das Wesen sich um und sah ihn an.

Seine Augen waren groß und dunkel und sanft und befanden sich hinter einer harten, durchsichtigen Scheibe, wie bei Menschen, wenn sie tauchten. Es sprach nicht mit den Augen wie Seehunde, doch als es Minik ansah, wusste er, dass es ihm nichts tun würde.

Es schlug mit dem Schwanz und schwamm in einem eleganten Bogen fort. Minik folgte ihm. Überholte es.

Und dann geschah etwas Seltsames und Wunderbares: Minik tanzte mit dem Wesen.

Sie schwebten zusammen über der endlosen dunklen Tiefe im freien Wasser. Schlugen Purzelbäume, schwammen umeinander herum.

Das Wesen war etwas langsamer als Minik, doch es glitt wunderbar durchs Wasser und er spürte, dass es glücklich war. Seltsam, plötzlich war auch er glücklich – seit langer Zeit vollkommen glücklich. So musste es sein, mit einem anderen Seehund zu schwimmen.

Es war wie Nachhausekommen, auch wenn er dieses Wort nicht kannte.

Minik war nie nach Hause gekommen. Er war immer nur von überall weggegangen.

Dann kam ihm etwas in die Quere gepaddelt, etwas Kleines, Grünes. Nein, zwei. Und sie schickten wilde, laute Gedanken ins Meer hinaus: „Gefahr, Gefahr, Gefahr! Dieses Wesen lässt dich alles vergessen! Es kommt aus der Tiefe, kommt aus der ewigen Nacht! Es ist böse! Es ist hungrig! Es wird dich fressen!“

Minik sah die beiden kleinen Schildkröten an.

„Ihr habt euch also doch angefreundet.“

„Nö“, sagte Nö. „Aber diesmal hat sie recht! Komm weg da! Versteck dich mit uns im Tang!“

„Ich bin zu groß, um mich im Tang zu verstecken.“ Minik lachte.

Das Wesen neben ihm schlug Räder im Wasser. Ab und zu tauchte es auf, um zu atmen, wie er. Konnte es eine besondere Art Seehund sein, die es nur hier gab?

Minik trug noch immer die silberne Zauberkiste im Maul, was etwas lästig war. Das Wesen nahm sie ihm behutsam ab und hielt sie mit seinen fünf Fingern fest. Es hatte Finger wie ein Mensch. Als es fortschwamm, hinterließ es eine glitzernde Spur aus Licht.

„Es hat deine Kiste gestohlen!“, sagte Nö neben Minik.

„Sie war sowieso sehr lästig“, sagte Minik. „Ich –“

Doch in diesem Moment jagte etwas von der Seite auf sie alle zu. Die Schildkröten sausten in den Tang, waren fort. Das Etwas war der Barrakuda. Oder ein anderer Barrakuda. Und wie alle Barrakudas zog das Glitzern der Silberkiste ihn an. Er schoss auf das Fischschwanzwesen zu, öffnete das Maul …

Doch diesmal war Minik schneller. Er erreichte das Wesen einen Moment vor dem Barrakuda, stieß es beiseite – und die Kiefer des Barrakudas schlossen sich nur um Luft.

„Blödmann, das ist eine Kiste“, sagte Minik, aber Barrakudas hören nie zu.

„Beißen, beißen, beißen!“, dachte der Barrakuda. Er schwamm eine Kurve und kam wieder auf das Wesen zugeschossen.

„Weg hier!“, rief Minik. Das Fischschwanzwesen konnte offenbar nicht sprechen, verstand ihn aber. Es folgte Minik zur Oberfläche, dicht hinter sich den Barrakuda mit seinen tödlichen scharfen Zähnen.

Minik tauchte auf – und erschrak.

Auf dem Wasser lag ein Schiff. Ein großes Schiff. Ganz nah.

Gewöhnlich roch er Schiffe schon von Weitem, schmeckte oder hörte sie: Sie machten das Meerwasser bitter und ölig und dröhnten ohrenbetäubend. Aber dieses Schiff war einfach da, es roch nicht, es schmeckte nicht, es machte keinen Lärm. Es hatte sich angeschlichen mit seinen weißen Flügeln und war plötzlich da.

Minik kannte Flügelschiffe, aber sie waren immer winzig gewesen. Dieses war riesig, so groß wie ein Buckelwal, seine Flügel reichten bis zur Sonne.

Und als der Barrakuda zum zweiten Mal angriff, streckte das Fischschwanzwesen den freien Arm aus und griff nach etwas, das von dem Schiff herabhing. Einem Ding aus lauter Stöcken und Seilen.

Es hangelte sich mit den Armen daran hoch und verschwand über die Reling. Dann tauchte sein Gesicht wieder auf, es hatte die Scheibe entfernt und sah Minik mit seinen dunklen Augen an. In der erhobenen Hand hielt es noch immer die Zauberkiste.

Hatte es sie gestohlen? Hatte Nö recht gehabt?

Minik musste da hinauf, auf das Schiff. Er versuchte, aus dem Wasser zu springen wie ein Delfin, aber Seehunde sind keine Delfine. Da flog etwas durch die Luft und landete neben ihm: ein Ring mit einem Seil.

Er schwamm darauf zu und steckte von unten den Kopf hindurch, weil Seehunde neugierig sind und gern Neues ausprobieren.

Er zog sich auf den Ring wie auf eine schwimmende Insel.

Und der Ring hob sich wieder in die Luft. Minik schwebte. Er spürte, wie er abrutschte, versuchte, sich panisch mit seinen Krallen festzuhalten … Höher und höher schwebte er und das Wasser mit seinen tausend kleinen glänzenden Wellen blieb unter ihm zurück. Er sah das Tangfeld als großen Schatten, sah Nö ihren Kopf hinausstrecken.

„Alles ist gut“, sagte Minik zu ihr. „Ich komme gleich wieder.“

Schließlich landete er auf dem Deck des Schiffes, ließ sich von dem Ring gleiten und sah sich um.

Vor ihm saß das Fischschwanzwesen auf dem Boden. Es hatte den Fischschwanz ausgezogen und hatte Beine. Komische Beine. Der untere Teil fehlte.

Aber es war ein Mensch. Eindeutig. Er war mit einem Menschen geschwommen. Einer Menschin, wie es aussah. Sie wrang eben ihr nasses Fell auf dem Kopf aus, meistens waren die Langhaarigen die Weibchen.

War es eine Falle gewesen? Hatte Nö recht gehabt? Minik bleckte die Zähne und knurrte.

Jetzt war da ein zweiter Mensch, kräftiger. Er hob die Menschin hoch und setzte sie in ein komisches Ding mit Rädern. Minik kannte Räder, die Landschiffe der Menschen hatten auch Räder, sie waren wie Füße. Diese Räder ersetzten die Beine der Menschin.

Sie konnte nicht laufen, wie Menschen es taten, doch mit dem Fischschwanz konnte sie schwimmen wie ein Seehund.

Die Welt war ein eigenartiger Ort.

Jetzt streckte die Menschin die Hand mit der Zauberkiste aus und legte sie vorsichtig auf den Boden vor Minik. Sah ihn mit ihren sanften Augen an.

Minik robbte hin und nahm sie ins Maul, was unpraktisch war. Er sah zu der Menschin auf.

„Ich brauche etwas“, sagte er mit seinen Augen, „um die Kiste festzumachen. Der Barrakuda hat sie losgebissen. Ich muss sie noch weit, weit tragen, über ein ganzes Meer. Wenn ich das schaffe … Ich glaube, dann komme ich an. Endlich.“

Die Menschin verstand ihn nicht, er sah es. Aber sie dachte angestrengt darüber nach, was er wollte. Sie bellte leise und der andere Mensch nickte und ging weg.

Und kam mit einem dünnen Seil zurück.

Dann rollte die Menschin ihr Räderding näher und Minik wollte fliehen, zwang sich aber zu bleiben. Die Menschin beugte sich zu ihm hinab und befestigte die kleine Zauberkiste mit dem Seil an seinem Hals.

Sie machte Geräusche dabei, freundliche, leise Geräusche.

„Es ist wirklich schade, dass die meisten Menschen nicht sprechen können“, sagte Minik zu ihr. „Mein Kind kann es. Es ist eine Ausnahme. Aber ich danke dir.“

Die Menschin lächelte. Und streichelte ganz behutsam seinen Kopf. Doch das ging ihm zu weit, er zog sich zurück. Da hatte sie eine wundervolle Idee. Sie griff in einen Eimer neben sich und – zog einen Fisch heraus. Eine schöne, große, längs gestreifte Meeräsche.

Miniks Magen knurrte. Hier draußen gab es weniger Fische, das war ein Problem, die meisten Fische mochten lieber Küsten.