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Die wahren Geschichten dieses Buches zeigen die alltägliche Arbeit einer Pflegedienstleitung ohne Schminke und doppelten Boden: beratungsresistente Mitarbeiter, katatastrophale Arbeitsbedingungen, Zeitdruck, Stress, Ärger mit Angehörigen, Probleme mit Ärzten und Patienten – kurzum: „Das geheime Tagebuch der P.D.L.“ zeigt den deutschen Pflegealltag, wie er häufig genug ist. Nichts wurde erfunden, nichts beschönigt. Die Hauptperson, Paula Dorothea Ludowich, ist eine Pflegedienstleitung wie aus dem Bilderbuch: hervorragend ausgebildet, leistungsbereit, führungsstark und teamfähig. Das Buch ist keine reine Zustandsbeschreibung, sondern auch ein hilfreicher Begleiter für jede PDL. Zeigt es doch, wie sich dieser Arbeitsalltag bestehen lässt, welche Hilfen es gibt, welche Lösungen, welche Möglichkeiten, aus dem „Schleudersitze PDL“ zumindest einen guten Bürosessel zu machen. Prädikat: Unbedingt empfehlenswert!
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Seitenzahl: 257
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Paula Dorothea Ludowich (Pseud.)
Paula Dorothea Ludowich (Pseud.)
Das geheime Tagebuch der P.D.L.
Roman
Paula Dorothea Ludowich ist ein Pseudonym für die Autorin dieses Buches. Sie kennt die Arbeit einer Pflegedienstleitung aus eigener Anschauung. Aus Gründen der Diskretion bleibt sie anonym.
© 2010 Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannover
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden.
Titelgestaltung: Michael Fröhlich, Hannover
Satz: PER Medien + Marketing GmbH, Braunschweig
Druck: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza
ISBN 978-89993-126-6
Für Pflegedienstleitungen, kurz PDL, ist schon vieles geschrieben worden: Wie sie besser werden, was sie wissen müssen, was sie lassen sollten etc. Über Pflegedienstleitungen ist auch schon einiges geschrieben worden: Warum sie oft so wenig fortschrittlich sind, weshalb ihre Stelle ein Schleudersitz ist etc.
Von Pflegedienstleitungen wurde natürlich auch schon einiges geschrieben, aber noch nie hat eine PDL es gewagt, wirklich aus ihrem Alltag zu berichten. Ungeschminkte Geschichten von miesen Zuständen, unmöglichen Chefs, widerborstigen Mitarbeitern und herausfordernden Bewohnern. Wahre Geschichten aus der Altenpflege, die alltäglich passieren. Nicht immer schöne Geschichten, aber ehrliche.
Ich finde: Genau diese alltäglichen Geschichten sind der Stoff, aus dem wir PDLer uns Rettungsfallschirme nähen sollten! Deshalb habe ich dieses Tagebuch geschrieben. Ich möchte klar machen, warum die Stelle einer Pflegedienstleitung so schwierig, so herausfordernd und oft auch so ermüdend ist. Es geht mir aber nicht nur um die alltäglichen Krisen, sondern auch um den Umgang damit. Denn jede PDL hat es schwer – das liegt in der Natur ihres Jobs.
Wir PDLer sind das stets gefährdete Bindeglied zwischen Einrichtungsleitung und Mitarbeiterstab, bedrängt von Angehörigen, Bewohnern, der Öffentlichkeit, den Partnern; dem eigenen Anspruch an Perfektion ausgeliefert; unterhöhlt vom schlechten Gewissen wegen unserer beruflichen Kompetenz, der Gesundheit und, ach ja, der eigenen Familie.
Wie hilft man sich also, wenn man PDL ist und es bleiben will? »Paula Dorothea Ludowich« ist PDL und sie will es bleiben. Also kämpft sie sich durch Krisen, Katastrophen und Kalamitäten immer wieder nach oben. Ich habe in dieser erfundenen Paula meine eigenen Erfahrungen beschrieben. Meinen wirklichen Namen möchte ich nicht nennen. Nicht, weil ich Angst um meine Stelle hätte, sondern weil es manchmal einfacher ist, ungeschminkte Wahrheiten zu schreiben, wenn niemand weiß, um welche Einrichtungen es sich handelt.
Lesen Sie also ein Jahr im Leben der Paula Dorothea Ludowich. Sie werden wahrscheinlich verblüfft feststellen, dass es in Ihrem Haus auch nicht so viel anders ist.
Übrigens: Diese Aufzeichnungen stammen aus dem Jahr 2008.
15. Januar
Ich bin seit drei Wochen PDL in der Altenpflege. Ehrlich gesagt, erscheinen mir diese drei Wochen eher wie drei Monate! Nein, diese Anstellung ist wirklich nicht das, was ich mir darunter vorgestellt habe – und bei Weitem nicht das, was sie uns in der Weiterbildung erzählt haben!
Da hieß es, die Pflegedienstleitung sei »eine anspruchsvolle Aufgabe, die in hohem Maße die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen, die Pflegequalität, die Umsetzung und Verwirklichung betrieblicher und pflegerischer Ziele beeinflusst«. Genau das wollte ich auch machen! Und natürlich fühlte ich mich mehr als berufen, »Verantwortungsbereiche wie Qualitätssicherung, Entwicklung von neuen Pflegekonzepten, Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und nicht zuletzt die Mitverantwortung der Gesamtbetriebsführung« umzusetzen. Ja, ja, ja …
Drei Wochen nach meinem mit Feuereifer errungenen Zertifikat könnte ich eher sagen, dass die Pflegedienstleitung »die anspruchsvolle Aufgabe hat, schweigsame Mitarbeiter zu schützen, die Pflegequalität wenigstens auf dem minimalen Niveau zu halten und irgendwie dafür zu sorgen, dass die betrieblichen Ziele nicht den pflegerischen widersprechen«.
Um es kurz zu sagen: PDL ist ein Knochenjob und ehe er mich vollends in die Knie zwingt, greife ich zu einem Mittel, das in unserer Fortbildung keine Erwähnung fand: Dieses Tagebuch soll mir helfen, in meinem Job zu überleben. Denn dafür gibt es keine Checkliste, kein PC-Programm, keine Verfahrensanleitung. Ich mache meinen eigenen Expertenstandard: mein Tagebuch!
Wobei das nicht meine Idee war, sondern Connys, meine Lieblingskollegin aus der PDL-Weiterbildung. »Schreib auf, was Dich bedrückt«, hatte sie mir gleich zu Anfang gesagt. »Dann kannst Du Deine Gedanken sortieren, Dir über manches klar werden – außerdem kannst Du wirklich gut schreiben! Also: Nutze Dein Talent!« Conny hat in vielen Dingen wesentlich mehr Routine als ich. Schließlich ist sie schon 44 Jahre alt, während ich gerade mal die 30 hinter mir habe. Obwohl ich mich heute eher wie 60+ fühle.
Schuld daran ist, wie eigentlich immer in letzter Zeit, Cleopatra. Der Name ist schräg und ich fand es anfangs unpassend, Cleo Richard, unsere Einrichtungsleiterin, nach einer ägyptischen Königin zu nennen. Aber in jedem Gespräch mit den Mitarbeitern wurde sie einfach »Cleopatra« genannt. Inzwischen habe ich diesen Namen wie selbstverständlich im Kopf (glücklicherweise nie auf den Lippen) und will ihn deshalb auch hier im Tagebuch benutzen: »Lies es, Cleopatra und weine!«
Cleopatra residiert weit ab vom Leben und Zentrum des Hauses in ihrem schick ausgestatteten Büro. Da kann sie schalten und walten und bleibt im Zweifelsfall unerreichbar. Bis irgendein unzufriedener Angehöriger zu ihr vorgedrungen ist, ist seine Wut auf dem Weg durch die vielen Flure und Etagen längst verraucht.
Ich lege diesen langen Weg inzwischen häufig zurück, schließlich muss ich mich mit Cleopatra besprechen. Heute zum Beispiel wollte ich mit ihr über die Einführung von Pflegevisiten sprechen. Ich hatte kürzlich auf pflegen-online.de darüber gelesen, fand die Sache effektiv und ideal für jede Einrichtung. Das könnte mein Einstiegsprojekt werden, dachte ich. Also, auf nach »Ägypten«!
Ich klopfte also an Cleopatras Tür und nahm ganz automatisch eine Ehrerbietung signalisierende gebückte Haltung ein. Drei Wochen Cleopatra-Erfahrung wirken sich bei mir offensichtlich bereits aufs Rückgrat aus … Ich weiß noch, dass ich dachte: Pflegevisite einführen? Paula, das ist doch eine klassische PDL-Aufgabe – eigentlich musst Du Cleopatra gar nicht fragen.
Hätte ich vor drei Wochen auch noch nicht.
Da war ich frisch, fromm, fröhlich, frei hier angetanzt. Bereit, Verantwortung zu übernehmen, die Strukturen dieser Einrichtung mit- und auszugestalten. Mit munterem Schritt rannte ich mit voller Wucht geradewegs gegen Beton, gegen Cleopatra. In ihrem Reich sehen die Aufgaben einer PDL ganz anders aus. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man wirklich darüber lachen. »Sie haben hier zwei wesentliche Aufgabengebiete«, hatte sie mir gleich zu Beginn mitgeteilt:
»1. Die Bestellung von Trauergestecken, wenn Bewohner verstorben sind.
2. Die Anmeldung von neuen Bewohnern beim Ordnungsamt.«
Dafür hatte ich also zwei Jahre lang, jeden Monat eine Woche, die Schulbank gedrückt! Dafür hatte ich eine 1 in meiner Weiterbildung »Leitung Pflegedienst« bekommen! Es war demütigend, degradierend, geradezu unverschämt. Ich konnte gar nicht begreifen, dass dieselbe Frau mit mir sprach, die mir beim Einstellungsgespräch gegenüber gesessen hatte. »Ich freue mich«, hatte sie höflich lächelnd gesagt, »endlich kommt mal jemand mit Sachverstand und Knowhow!«
Hätte ich es wissen können? Ja, das hätte ich. Meine Kollegen aus der Weiterbildung hatten mich gewarnt. »Geh nicht in diese Einrichtung. Die verschleißen PDLer am Fließband.« »Mich nicht«, hatte ich getönt. »Ich bin jung, ich bin stark!« Schließlich war ich die erste aus meinem Kurs, der eine Stelle angeboten wurde. Alle anderen ließen sich Zeit mit der Suche. Ich aber fand, dass es geradezu Schicksal war, dass ich in meinem Wohnort eine Stelle fand. Und jetzt? Jetzt löffele ich die bittere Suppe, die ich mir eingebrockt habe, Löffel für Löffel fein aus.
Aber zurück zum Drama mit der Pflegevisite. Ich stand also fünf vor drei vor Cleopatras Tür und klopfte. Genau in diesem Moment hob offensichtlich die Schicksalsgöttin warnend eine Hand. Jedenfalls blieb meine Armbanduhr stehen. Auf einmal stoppte der Sekundenzeiger! Ich trage diese Uhr seit Jahren und das war noch nie vorgekommen. Ob die Uhr meine innere Anspannung spürte? Wollte mir das Schicksal irgendetwas sagen? Ehrlich gesagt, hatte ich schon seit Stunden Angst. Mir war elend, mein Herz klopfte und mein Magen war wie zugeschnürt.
Cleopatra gewährte mir nur einen kurzen Blick, den ich als Aufforderung verstand, mein Anliegen zu präsentieren. Ich legte vehement los, während sie hinter ihrem Designer-Schreibtisch saß und Papiere sortierte. Selbstverständlich stand ich vor ihrem Schreibtisch, denn zum Sitzen hatte sie mich nicht aufgefordert. Es gab nicht mal einen Stuhl vor ihrem Schreibtisch, auf dessen spiegelnder Oberfläche nicht das kleinste Stäubchen lag. Das ganze Büro wirkte so aus dem Ei gepellt wie Cleopatra selber. Der Erfinder des Twinsets muss ihre Statur vor Augen gehabt haben: hoch gewachsen, nicht zu üppiger Busen, wohlgeformte Hüften. Um ihren erstaunlich faltenlosen Hals lag eine lange, mehrfach gewundene Kette. Ihre blonden Haare waren sorgfältig frisiert, ihr Teint geradezu makellos.
Ihre Augenfarbe müsste ich erraten, denn sie schaute nicht ein einziges Mal hoch, als ich meine Ideen hervorsprudelte. Sorgfältig arrangierte sie ihre Papiere, als ich mit meiner Rede fertig war. Eine Pause trat ein, in der ich die Vögel draußen zwitschern hörte und das leise Gluckern in der Heizung. Schließlich sagte sie lapidar: »Legen Sie es mir ins Fach.« Ein schwacher Wink mit der linken Hand signalisierte, dass das Gespräch für sie beendet war. Ich war so baff, dass ich nicht einmal versuchte, sie direkt zu bitten, mir zuzuhören.
Nach dem Gespräch ging meine Uhr dann wieder. Schräg, oder?
Cleopatra hatte mir durch schlichtes Nichtreagieren den Wind aus den Segeln genommen. Offensichtlich war es ihr egal, dass Pflegevisiten auf den Wohnbereichen ein sinnvolles Instrument sind. Mein Konzept sah vor, dass die einzelnen WBLer mit einbezogen werden, sie somit die Pflegevisiten als Werkzeug nutzen, um die Pflege vor Ort in den Bewohnerzimmern zu verbessern.
Aber in dem Vorschlag steckte ein Hauch von Basisdemokratie und ich hätte mir denken können, dass Cleopatra nie und nimmer zustimmen würde. Immerhin hätte sie Kontrolle abgeben, ihren Mitarbeitern etwas zutrauen, sie eigenverantwortlich arbeiten lassen müssen – all das sprach gegen ihr ehernes Gesetz, das da lautet: »Nichts mit mir, aber vor allem nichts ohne mich! «
Dabei weiß doch verflixt noch mal jeder, dass Pflegevisiten zum kleinen Einmaleins des Qualitätsmanagements gehören! Wahrscheinlich kommt Cleopatra in zwei, drei Monaten selbst mit dem Vorschlag, Pflegevisiten einzuführen. Ich sehe sie schon vor mir, wie sie erhobenen Hauptes an mir vorbeirauscht und meine Idee in einem wohl formulierten Vortrag als ihre verkauft. Die Mitarbeiter haben mich gewarnt, dass Cleopatra gern Ideen klaut.
Mittlerweile habe ich ohnehin den Eindruck, dass sie mich am liebsten wieder los wäre. Unfreundlicher und geringschätziger als sie mich behandelt kann man Mitarbeiter kaum traktieren. Argumente braucht sie nicht, denn sie hat die Fülle ihrer Macht als Alleinherrscherin über ganz Ägypten, pardon: die Einrichtung.
Alle Mitarbeiter haben enorme Angst vor ihr, wenn sie sich unters Volk begibt. Cleopatra ist bestimmt gute einsachtzig und beherrscht jeden Raum, den sie betritt. Gespräche ersterben, Gelächter verstummt, wenn sie ihre Blicke schweifen lässt. Stattdessen heißt es »Ja, Frau Richard, sehr gern …« – »Aber natürlich, mache ich sofort …« Wie eine Schar eifriger Dienstboten hasten alle davon, wenn sie etwas will. Man munkelt, dass sie verheiratet ist, aber wahrscheinlich hat sie den kleinen Cäsar längst in die Flucht geschlagen …
Auf jeden Fall ist eine stets präsente Chefin das Letzte, was wir brauchen. Viele Mitarbeiter schämen sich, wenn sie pünktlich Feierabend machen, und fürchten sich davor, Cleopatra auf dem Parkplatz in die Hände zu laufen. »Die hat so eine Art, auf die Uhr zu schauen, wenn sie einen sieht, dass es einen graust«, verriet mir neulich eine Mitarbeiterin. Ich habe natürlich nichts dazu gesagt. Was sollte ich als PDL auch sagen? Ich kann mich wohl kaum vor meine Mitarbeiter stellen und stöhnen: »Oh Gott, hilf mir! Ich komme mit Cleopatra nicht klar!« Also höre ich mir schweigend die Kommentare an, die ich nebenbei mitbekomme (keiner tratscht offen über Cleopatra, wenn ich dabei bin), aber mir schlägt das von Woche zu Woche mehr auf den Magen.
Jeden Abend falle ich völlig erschöpft ins Bett, finde nachts keinen Schlaf und bin jeden Morgen total gerädert.
Wie komme ich aus diesem Teufelskreis heraus? Wie bremse ich meine negativen Gedanken? Soll ich abends mal meditieren? Wirklich einen Stopp mache, zu Hause ganz bewusst meine Kleidung wechseln, mir einen Tee kochen (oder ein Glas Rotwein nehmen) und erst einmal eine halbe Stunde an gar nichts denken – einfach nur meine Atemzüge zählen und entspannen? Ich suche – da bin ich ganz Frau – die Schuld zuallererst bei mir. Ich gehe nicht in die Konfrontation mit Cleopatra, sondern lasse mir den Schneid abkaufen und gebe klein bei. Eine PDL, die Blumen bestellt – wo gibt’s das denn? Bei mir, möchte ich kleinlaut sagen, bei mir. Ich bin ja auch noch eine Anfängerin und längst nicht das taffe Weib, das ich sein möchte. Schade, sehr schade.
21. Januar
Gestern Abend ist es mir immerhin gelungen, die Arbeit auszublenden. Der sonntägliche Tatort im Ersten erwies sich als mildes Einschlafmittel. Der Nachmittag war allerdings fürchterlich. Martin tat sein Bestes, um mich aufzuheitern. »Lass uns doch ins Kino gehen«, schlug er vor, als ich unruhig durch unsere Wohnung tigerte und ungewohnt schweigsam war. Aber was er auch vorschlug, ich schüttelte den Kopf. Nein, dachte ich immer, ich will nicht abschalten, ich will mich gar nicht an etwas freuen. Umso schlimmer wird es morgen im Dienst. Martin verzog sich schließlich zu seinem besten Kumpel und ich war froh, dass ich allein war und ihn nicht auch noch nervte.
Als er kurz vor acht wiederkam, freute ich mich auf den Tatort, und wir kuschelten uns gemütlich auf das gute alte Sofa, das meine Eltern uns vor fünf Jahren zum Einzug geschenkt hatten. Mein Vater hatte es extra für uns aufpolstern lassen und er war sehr stolz auf das dunkelrote Prachtstück. »Das habt ihr noch, wenn ich mal nicht mehr bin«, hatte er gesagt. Wenn ich heute über den samtenen Stoff streichele, denke ich oft an meinen Vater. Er war ein freundlicher kleiner Mann, stets hilfsbereit, ein liebevoller Vater und ein guter Ehemann. Die Zeit nach seinem plötzlichen Tod erscheint mir immer noch unwirklich und schwarz. Wie muss das für Mutti gewesen sein, als sie morgens aufwachte und er tot neben ihr lag? »Was für ein schöner Tod!«, hatten viele gesagt.
Wenn ich bedenke, dass ich eines Tages auch sterbe, dann kommt es mir immer dämlicher vor, meine kostbare Lebenszeit mit einer Person wie Cleopatra zu vergeuden. Allmählich denke ich, dass sie verdammtes Glück hat: Kein Mitarbeiter traut sich, den Mund aufzumachen. Alle bleiben ruhig (oder scheinen zumindest so), auch wenn ihnen der Kragen platzt vor lauter Demütigung oder Ungerechtigkeit. Und was heißt hier: Mitarbeiter? Ich bin leider selbst nicht besser – ich habe mich noch nicht ein einziges Mal gegen Cleopatra gewehrt. Meinen Frust kriegen andere ab. Nicht nur Kollegen, sondern auch Bewohner. Ich schäme mich, es zuzugeben, aber letztens habe ich einen Bewohner einfach nur mies behandelt, weil ich selbst zuvor von Cleopatra angeraunzt worden war. Mein Verhalten gegenüber dem Bewohner war ein Verstoß gegen jede Ethik und Moral. Mindert es meine Schuld, dass ich aus purer Verzweiflung so gehandelt habe? Herrn Kubitschek ist es sicherlich einerlei, welchen Grund ich für mein Verhalten hatte.
Die Kubitscheks sind vor gut drei Jahren hier eingezogen und die Kinder wollten damals unbedingt ein gemeinsames Zimmer für ihre Eltern – »Was sollen denn die Leute sagen?« Bereits nach wenigen Tagen war allerdings dem gesamten Personal klar, dass das gemeinsame Zimmer keine gute Idee war. Die Kubitscheks sind wie Feuer und Wasser und begegnen sich seit Jahren mit beißender Kritik. Er ist ihr Haar in der Suppe und sie sein natürlicher Blutdrucksteigerer.
Mittlerweile wohnen beide auf zwei verschiedenen Wohnbereichen und sehen sich glücklicherweise nicht allzu oft. Trotzdem nutzen sie fast jede Gelegenheit, um einander zu traktieren. Wer weiß, wie Martin und ich im Alter miteinander umgehen? Ob wir uns dann auch nichts mehr zu sagen haben? Werde ich auch so eine ungemütliche Alte wie die Kubitschek, die jedes Mal genervt ist, wenn er wieder in seinem alten Pullover auf dem Flur sitzt. »Kauf Dir doch endlich einen neuen«, keift sie dann. »Du hast doch so viel Geld!« – »Du musst es ja wissen«, raunzt er zurück, »hast ja genug davon ausgegeben!« Im Normalfall treten dann Pflegekräfte zwischen die beiden und führen jeden ab in seine Ecke – »Auszeit!«
Herr Kubitschek ist störrischer als ein alter Esel, absolut unbeeinflussbar durch andere. Dabei ist er normalerweise ein schweigsamer alter Mann, der sich klaglos in die tägliche Routine fügt. Tag für Tag sitzt er im Ohrensessel neben dem Aquarium und schaut den bunt gestreiften Fischen dabei zu, wie sie ihre Runden drehen. Manchmal setze ich mich für einen kurzen Moment neben ihn, weil mir seine stoische Ruhe so gut tut. Ich wünschte mir ein bissen mehr davon, gerade im Umgang mit Cleopatra. Herrn Kubitschek ist es scheinbar völlig egal, was andere von ihm halten. Für mich ist es immer eine ganz besondere Herausforderung, ihm ein kleines Lächeln zu entlocken. Manchmal gelingt es mir und ich ziehe Kraft daraus für den ganzen Arbeitstag.
An diesem Tag war das anders. Ich war so aufgekratzt, dass ich mich zwar neben ihn setzte, aber in einer ganz anderen Stimmung als sonst. Ich wollte unbedingt irgendetwas in Gang setzen, so sehr fühlte ich mich von Cleopatra und diesem ganzen Blumenschmuckgedöns in die Ecke gedrängt. Also fragte ich ihn, ob er sich nicht doch mal einen neuen Pullover kaufen wolle. »Der hier stinkt, finde ich.« Meine Äußerung reichte, um Herrn Kubitschek aus seiner Aquariums-Trance zu reißen. Er riss die Augen auf, starrte mich an und – spuckte mir ins Gesicht. »Hau ab, Du alte Ziege!«, blaffte er mich an und das tat ich auch. Erschrocken, geknickt und unglaublich ärgerlich über mich selbst. Was war das für ein dummes Spiel, wie unprofessionell, Herrn Kubitschek als Ventil für meinen Frust zu nehmen! Seine Reaktion hatte ich verdient, und ich fühlte mich noch schlechter als vorher.
Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll, oder wie ich mich verhalten kann. Sogar an Kündigung habe ich schon gedacht. Aber das ist doch keine Lösung! Ich kann doch die Mitarbeiter hier nicht hängen lassen. Außerdem sieht das in meinem Lebenslauf ja wohl auch nicht gut aus: die erste Stelle schon nach ein paar Wochen aufgegeben.
Zudem hab ich ja auch schon was erreicht! Jawohl! Die WBLer haben sich mit mir schon wegen der Dokumentationen zusammengesetzt. Im Dienstplan zeichnet sich tatsächlich auch eine kleine Veränderung in Richtung Bezugspflege ab. Und die anderen Einrichtungen, etwa die beiden Krankenhäuser hier am Ort, kennen mich auch schon.
Vermutlich hat Cleopatra noch gar nicht mitbekommen, dass ich mich da vorgestellt habe. Allein wegen des Entlassungsmanagements muss ich doch die Ansprechpartner kennen! Also bin ich – unter dem Vorwand, den Blumenschmuck für die Beerdigung von Frau Büttner zu bestellen – in eines der Krankenhäuser marschiert. Das andere habe ich mit einem Besuch beim Ordnungsamt verbunden. Ja, auch hier wieder Heimlichkeiten. Ich musste glatt die Königin austricksen, um meinen Job zu machen.
Wahrscheinlich wäre es besser, Cleopatra direkt die Wahrheit zu sagen. Wenn sie herausfindet, dass ich mal eben in die Krankenhäuser marschiert bin, wird das sicherlich Folgen haben. Vielleicht ist es sogar besser, ihr direkt ins Gesicht zu sagen, dass ich kompetent bin! Zu kompetent und zu teuer für Blumenschmuck und Ordnungsamt!
Ich muss unbedingt noch mal auf meine Stellenbeschreibung gucken. Da wurden doch jede Menge Aufgaben genannt, die auf mich warten, für die ich eingestellt worden bin. Dummerweise liegt meine Stellenbeschreibung immer noch bei Cleopatra. Damit ich auch ja nicht tue, wofür ich eigentlich eingestellt wurde.
Dabei ist dieses Haus ein Paradies für schaffensfreudige PDLer: Die Pflegequalität ist unter aller Kanone. So schlimm, wie ich mir das nie hätte träumen lassen. Wahrscheinlich hat mir Frau Grütz, die Geschäftsführerin, deshalb diese Stelle so schmackhaft gemacht. Vielleicht wollte sie, dass hier mal scharf durchgegriffen wird. Oder hat sie einfach dringend eine neue PDL gesucht und die erste Dumme genommen, die des Weges kam? Weil es nicht so aufs Haus zurückfällt, wenn die nach ein paar Monaten schon wieder geht? »Ach, ja, die Frau Ludowich …«, heißt es dann bestimmt, »das war ja ihre erste Stelle hier und es war alles ein bisschen viel für sie …«
Okay, ich bin eine Anfängerin in diesem Job. Aber ich weiß doch, was ich gelernt habe! Das ernüchternde Ergebnis meiner bisherigen Stichproben bei Bewohnern und in den Dokus ist schlicht und einfach: Die Umsetzung der Expertenstandards hat nicht stattgefunden. Ich bin ziemlich sicher, dass die Geschäftsführung davon nichts weiß, denn im Vorstellungsgespräch hörte sich das ganz anders an.
Es ist schon erstaunlich, wie Cleopatra bisher verbergen konnte, dass in diesem Haus keine gute Pflege stattfindet. In der Öffentlichkeit ist davon nichts bekannt, denn sonst wäre die Auslastung nicht so gut. Sollte in diesem Haus allerdings jemals undercover ermittelt werden und Günter Wallraff sich als Pflegekraft einschmuggeln, dann gnade uns Gott. Cleopatras Reich würde mit Pauken und Trompeten untergehen. Vielleicht rührt daher ihr enormer Kontrollzwang und dieses Drangsalieren, was mich angeht. Vermutlich ahnt sie, dass ich viel tiefer blicke, als ihr lieb ist.
Und was ist mit meinem Reich? Wenn ich mich hier so umgucke, dann ist es höchste Eisenbahn, mal Ordnung in mein Büro zu bringen. Kaum bin ich drei Wochen hier, ist das totale Chaos ausgebrochen. Ich hasse es aufzuräumen! Das war noch nie meine Stärke. Aber ein Schreibtisch, der unter Akten und Formularen kaum zu sehen ist, Mappen auf den Fensterbänken, leere Sprudelflaschen in einer Zimmerecke und Kartons in der anderen sind kein Aushängeschild für mich. Schlimm, wenn das äußere Chaos dem inneren entspricht …
22. Januar
Der Lichtblick heute? Ich habe mit Peter, unserem Hausmeister, in seinem Kellerstübchen Kaffee getrunken. Da unten ist es so schön ruhig und Peters Gegenwart tut mir gut, weil er einen einfachen und unverstellten Blick auf die Dinge hat. Manchmal würde ich wirklich gern mit ihm tauschen. Ich glaube, er genießt unter allen Mitarbeitern des Hauses den größten Freiraum.
23. Januar
Gestern fand ich in meinem Taschenkalender einen Spruch, den ich erst überblätterte, aber die Seite schlug sich dann doch von ganz allein wieder auf – Zufall? »Humor ist, wenn man trotzdem lacht!« Ich hätte heulen können. Traurig bin ich, angreifbar und verletzlich. Mir fehlt der klare Kopf, um strategisch vorzugehen. Martin ist schon richtig besorgt um mich, denn natürlich bin ich auch zu Hause anders als sonst. Vielleicht ist es gut, über Humor nachzudenken.
Bis morgen, liebes Tagebuch! Ich hab mich schon richtig an Dich gewöhnt. Es tut gut, am Ende eines Tages meine Gedanken aufzuschreiben. (Dass ich das auch in der Einrichtung, an meinem dienstlichen Schreibtisch mache, wissen nur du und ich!)
Heute mache ich pünktlich Schluss und gehe zur Gymnastik: Bauch, Beine, Po mit Mike. Er ist ein echter Trainer: motivierend, freundlich und oft genug auch tröstlich.
24. Januar
Im Internet gibt es eine ganze Menge über Humor. Mehr zu lachen würde mir gut tun. Am besten schon auf dem Weg zur Arbeit! Heute Morgen lächelte ich mich selber im Autospiegel an. Sah vielleicht komisch aus, aber andere Leute machen ja auch merkwürdige Sachen im Auto. Heute an der Ampel hielt neben mir ein roter Golf, der mir bekannt vorkam. Dann sah ich, dass Frau Heinze, unsere Hauswirtschaftsleitung, am Steuer saß. Sie drückte sich einen Pickel aus und war so versunken in diese Tätigkeit, dass sie mich nicht bemerkte. Es war eklig-lustig.
Das Lächeln hilft tatsächlich. Wenn ich mich selber anlächle, werde ich glücklicher – zumindest für einen kleinen Moment. Sogar das Gesicht von Cleopatra wirkt weniger bedrohlich, wenn ich dabei von innen lächle. Dieses Lächeln bringt Energie. Es gibt sogar eine Wissenschaft vom Lachen, die Gelotologie. Da heißt es, dass Lachen gut sei gegen Stress, gegen Schmerzen und fürs Immunsystem. Die inzwischen bekannten Klinikclowns sind also nicht nur ein lustiger Zeitvertreib, sondern haben einen messbaren Einfluss auf die Menschen.
Andere zum Lachen zu bringen – auch so eine neue Idee von mir, die ich heute in der Frühstückspause umgesetzt habe. Die Kollegen guckten allerdings irritiert aus der Wäsche, denn ich hatte mir eine Scherzfrage gemerkt, die ich zum Besten gab:
»Ein Butterbrot fällt immer mit der Butterseite nach unten. Eine fallende Katze landet immer mit den Füßen auf dem Boden.
Frage: Was passiert, wenn man der Katze ein Butterbrot auf den Rücken bindet?«
Es gab zumindest etwas Gelächter, aber noch mehr verwunderte Blicke. Das kennen sie gar nicht von mir, dass ich mal für einen Scherz sorge. Auch das sollte mir zu denken geben.
Heute Nachmittag nahm ich mir ein weiteres Mal das Konzept der Pflegevisiten vor. Es geht hier nicht nur um den guten Eindruck beim MDK. Ich bin von diesem Konzept überzeugt und während meiner PDL-Ausbildung hatte das Thema einen großen Stellenwert. Einige Mitschüler schrieben darüber ihre Abschlussarbeiten. Vielleicht sollte ich mir diese Arbeiten mal besorgen? Ich muss das Rad doch nicht neu erfinden! Dann kann ich auch endlich mal gucken, wo der nette Andreas abgeblieben ist, der einer meiner liebsten Mitschüler war.
Oh, jetzt meldet sich WB 2 wegen des neuen Bewohners. Petra, die WBL, kommt eben vorbei. Muss weg.
Später
Zoogeschichten aus dem Altenheim: Im Zimmer von Herrn Klaasen, dem neuen Bewohner, waren mehr als zehn Tauben! Mitten im Zimmer! Cleopatra stand zwischen den flatternden Viechern – es sah beinahe aus wie auf dem Markusplatz in Venedig – und drohte Herrn Klaasen damit, den Kammerjäger zu rufen. Herr Klaasen hörte nicht mal zu. Er saß friedlich auf seinem Bett, zerkrümelte trockenes Brot und lockte die Tauben, die auf seinem Bett landeten und leise gurrten. Cleopatra kapitulierte schließlich und rauschte an mir und Petra vorbei zur Tür hinaus. »Sie«, sagte sie zu Petra, »sorgen hier für Ordnung!«
Herr Klaasen macht es uns wirklich nicht leicht. Seit gut zwei Wochen wohnt er jetzt hier und lockt ganz gewöhnliche Straßentauben in sein Zimmer. Es ist ein ganz verrückter, fast surrealer Anblick, wenn man zu ihm ins Zimmer kommt. Mindestens drei Tauben flattern hoch, wenn die Tür aufgeht. Sie schwirren ab in Richtung Fenster und zurück bleibt ein wahres Krümellager, was Herrn Klaasen aber nicht stört. Er stibitzt heimlich Brot aus der Teeküche, damit er immer genug Futter für die Tauben hat. Leider hat sein Hobby einen echten Nachteil: Das ganze Zimmer stinkt, denn stubenrein sind die ollen Viecher natürlich nicht. Das nervt die Pflegekräfte, das nervt die Reinigungskräfte und es ist ein Hygieneproblem. Tauben sind nun mal nicht die saubersten Tiere. »Ratten der Lüfte«, äußerte sich Petra kürzlich pikiert.
Humor ist, wenn man trotzdem lacht? Das gelingt mir in diesem Fall nicht. Ich ekle mich vor Herrn Klaasen, vor dem Geruch und dem ganzen Zimmer. Hut ab vor den Mitarbeitern, die hier Bezugspflegekräfte sind. Sie stehen jeden Tag vor demselben Problem: Herr Klaasen möchte nicht gewaschen, geduscht oder gebadet werden. Wenn ich bedenke, dass er früher Tauben gezüchtet hat, sind die Tiere ja eigentlich eine Ressource. Wir finden sein Verhalten aber absolut herausfordernd und wünschen uns alle, dass er einfach sauberer wäre.
Apropos Ressource: Ich muss doch gleich mal in die Pflegeplanung und seine Biografie schauen, ob die vom WB das dort überhaupt aufgeführt haben. Vielleicht ist Herr Klaasen auch genau der Bewohner, bei dem wir exemplarisch mit der Pflegevisite starten können? Ich muss morgen mit Petra darüber sprechen, denn Interesse hat sie ja signalisiert. Bestimmt gibt ihr das auch wieder Auftrieb, denn sie ist total frustriert, weil sich ihr Freund von ihr getrennt hat. Das hat sie mir anvertraut, als ich sie vergangene Woche auf ihre traurige Miene ansprach. Für sie war er die große Liebe und sie hatte sich gemeinsame Kinder gewünscht. Bin ich froh, dass bei Martin und mir diesbezüglich alles in Ordnung ist!
Später, zu Hause
Auf dem Rückweg vom Heim war ich noch schnell einkaufen. Beim Essen merkte ich dann aber, dass ich gar keinen Appetit hatte. Mein Ekel wegen Herrn Klaasen kam wieder hoch und ich musste mich sogar übergeben. Immerhin gab es dann noch einen witzigen Film im Fernsehen – extra für meinen Humortag!
25. Januar
PFLEGEDOKU!! Ich kann es einfach nicht fassen. Die Mitarbeiter haben es immer noch nicht geschnallt. Ich könnte mir die Haare ausreißen, so ärgert mich das. Da steht Nicole am Nachmittag vor mir und mault: »Ich weiß einfach nicht, wie ich mit dem Pflegebericht umgehen soll! Keine Ahnung, was da reingehört!« Ich habe mit ihr bestimmt schon mehr als 20 Mal wegen des verdammten Pflegeberichts zusammen gesessen. Sie raubt mir echt den letzten Nerv. So begriffsstutzig kann man doch gar nicht sein!
Sie schreibt tatsächlich solche Einträge wie:
»Bew. war aggressiv«
»Bew. wehrte sich gegen die Pflege«
»Bew. sagte wieder das … Wort«.
»Bew. o. B.«
Wäre sie nicht die Nichte von Cleopatra, hätte sie – zumindest von mir – schon lange eine Abmahnung bekommen. Aber mit Personalentscheidungen habe ich hier ja nichts zu tun. Das macht alles Cleopatra.
Also habe ich Nicole für eine erneute Fortbildung zum Thema Pflegedoku angemeldet. Es ist ihre dritte! Sie zuckte nur matt mit den Schultern, was sonst? Aber dann fand ich doch noch einen Weg, der sie (und mich) ein wenig erheiterte: Wir formulierten gemeinsam am Beispiel ihrer Bewohner die Einträge für den heutigen Pflegebericht. Hinterher bedankte sie sich sogar. Ein schönes Gefühl – gerade in meinem Ärger über sie.
Humor? Gab es dazu etwas heute? Das Lächeln im Auto hat wieder geklappt, und über einen Witz der Zivis habe ich auch gelacht. Ich selbst habe nichts Lustiges hingekriegt. Vielleicht sollte ich versöhnlicher mit mir umgehen. Schwer gestresste Menschen verdienen auch mal Mitgefühl und ich bin schwer gestresst.
28. Januar
Dieses Haus ist eine Katastrophe! Heute fand ich bei der Kontrolle des Materiallagers eine Sammlung mit alten Mercurochrom-Flaschen. Ich hatte gleich in der ersten Woche gesagt, dass dieses Zeug verbannt werden sollte. Schließlich enthält es noch Quecksilber und außerdem verfärbt es die Haut derart, dass sich der Zustand nicht mehr richtig beurteilen lässt. Ich dachte, eine einmalige Aufforderung würde reichen. Nichts da. Jahrelang war es wohl egal, was sie zur Wundversorgung nahmen. Warum sollten sie jetzt, wo ich da bin, etwas ändern? Aber ich fühlte mich regelrecht hintergangen. Was für ein Frust!
Leider kam mit dem Frust auch der Verlust jeglicher Haltung. Ich habe richtig rumgetobt, mit Worten, von denen ich bisher nicht wusste, dass sie zu meinem Wortschatz gehören. Vollkommen daneben! Wie ein HB-Männchen bin ich über den Wohnbereich gerast. Glücklicherweise erschien Peter dann auf dem Flur und hatte »eine ganz wichtige Frage«. Ich stoppte also ab und folgte ihm. Fakt war: Seine wichtige Frage lautete: »Hätten Sie gern einen Kaffee, Frau Ludowich?«
Nach dem Kaffee ging’s mir besser und Peter, der die Kollegen auf eine ganz andere Art kennt, ermutigte mich, eine zweite Runde über die Wohnbereiche zu drehen und mich zu entschuldigen. Dank Peters Intervention konnte ich mein Ansehen einigermaßen restaurieren. Es war gut, zu meinem Fehlverhalten zu stehen. Ein Punkt für mich!
Auf jeden Fall gehe ich jetzt zum Sport, offensichtlich habe ich zu viel Energie.
4. Februar
Ein Montag wie viele. 9.00 Uhr Sitzung mit der Leitungsebene. Cleopatra muss schon Schwielen an den Händen haben, so fest hält sie das Zepter. Drei Stunden hat die Sitzung gedauert, rausgekommen ist das Übliche: Es kreist der Berg und gebiert eine Maus. Mit anderen Worten, es kam nicht viel dabei raus.