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Ein unverschämt gutaussehender französischer Austauschschüler, eine magische Gabe und mysteriöse Machenschaften …
„Wenn ich schon einen an der Waffel habe, dann wenigstens mit ordentlich Puderzucker drauf!“
Eine lustige Freundschaftsgeschichte für alle ab 10 Jahren, die ein Herz für Chaos, Humor und Schokolade haben! Das perfekte Geschenk für beste Freund:innen!
Mila ist 14 Jahre alt und hat von ihrer Großmutter die Gabe des Duftsehens geerbt. Immer wenn sie Schokolade riecht, kann sie in die Zukunft sehen. Was sie nicht vorhersieht, ist, dass sie beim Schüleraustausch in Frankreich ausgerechnet dem Sohn des französischen Präsidenten zugeteilt wird. Lou ist mit seinen blonden Haaren und den blauen Augen dazu verdammt süß! Alles geht drunter und drüber: In Paris riecht es an jeder Ecke nach Schokolade, sodass Mila andauernd wirre Zukunftsvisionen im Kopf hat. Zu allem Überfluss geht es auch noch dem Präsidenten schlecht und Mila wird verdächtigt, etwas damit zu tun zu haben … Zum Glück stehen ihr Lou und ihre beste Freundin Liz in all dem Chaos zur Seite!
Alle Bände der Reihe:
Band 1: Das Geheimnis der Schokomagie
Band 2: Das Vermächtnis der Schokomagie
Band 3: Die Macht der Schokomagie
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Mareike Allroch
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Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe München 2023
© 2023 arsEdition GmbH, Friedrichstraße 9, D – 80801 München
Alle Rechte vorbehalten
Text: Mareike Allnoch
Mareike Allnoch wird vertreten von Agentur Brauer
Bildmaterial: Nata_Alhontess/shutterstock.com
Covergestaltung: Frauke Schneider
ISBN eBook 978-3-8458-4838-9
ISBN Printausgabe 978-3-8458-4833-4
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Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.
Für Etta
Weil du die beste Freundin bist, die man sich
wünschen kann!
»Bei der Kakaobohne zauberhaftem Duft
liegt ein Hauch von Zukunft in der Luft.«
Gaston Dupont, Duftseher und Mitglied
des Chocolatiers-Zirkels
»Es war einmal ein junges Mädchen mit einem besonders ausgeprägten Geruchssinn«, begann meine Oma zu erzählen, während ich mich in die Bettdecke kuschelte und mit leuchtenden Augen zuhörte.
Meine Oma strich mir liebevoll durchs Haar und ich gluckste vergnügt. Ich drückte meine Plüschgiraffe noch ein wenig fester an mich und wartete gespannt darauf, dass Oma weitererzählte.
»Schon als kleines Kind hatte Leni Düfte geliebt. Oftmals war sie stundenlang durch Wälder und Wiesen gestreift und hatte an Blüten und Früchten geschnuppert. Jeder Duft erzählte für sie eine andere Geschichte und hatte einen ungemeinen Reiz. Sie liebte den intensiv erdigen Geruch nach einem warmen Sommerregen oder die süßen Duftnoten von Erdbeeren.«
»Wie du, Oma. Du liebst auch den Geruch von Erdbeeren, oder?«, redete ich dazwischen, woraufhin die Mundwinkel meiner Oma amüsiert zuckten. Sie nickte, dann fuhr sie mit ihrer Gutenachtgeschichte fort.
»Besonders der Geruch von Kakao übte geradezu eine magische Wirkung auf das Mädchen aus. Wann immer sie den aromatischen Duft – sei es in Form von purem Kakao oder in Verbindung mit Schokolade – wahrnahm und die damit einhergehenden Nebenaromen, die von nussig über blumig bis fruchtig reichten, in der Nase verspürte, schwebten zig bunte Bilder vor ihren Augen auf und ab. Als befände sie sich in einem Traum und der Kakao wollte ihr eine Geschichte erzählen. Erst später fand Leni heraus, dass es sich bei den Bildern um Visionen handelte und dass sie imstande war, einen Blick in die Zukunft zu werfen.«
»War das etwa ein Zauberkakao?«, fragte ich neugierig.
Meine Oma lächelte geheimnisvoll. »Ja, man könnte ihn in der Tat so bezeichnen.«
Sie machte eine kurze Pause und strich meine Bettdecke glatt. »Doch nicht jeder konnte die Magie des Zauberkakaos erkennen, über diese Gabe verfügten nur sehr wenige Menschen. Als Leni zu einer jungen Frau herangewachsen war, traf sie in Paris, der Stadt der Liebe, auf einen Mann, der ähnlich wie sie eine äußerst feine Nase besaß. Gemeinsam waren sie dem Rätsel des Zauberkakaos auf der Spur und gründeten einen geheimen Orden. Sobald sie etwas Neues über den Zauberkakao in Erfahrung gebracht hatten, schrieben sie ihre Entdeckungen in einem Notizbuch nieder.«
Ich dachte über Omas Worte nach. »Mussten die beiden den Zauberkakao verstecken, weil er sonst geklaut worden wäre?«
Meine Oma sah gedankenverloren aus dem Fenster. Die Nacht hatte sich bereits davorgelegt. An diesem Abend war weder der Mond noch ein einziger Stern am Himmel auszumachen.
»Ja, es gab auch andere Menschen, die die Magie des Zauberkakaos für sich in Anspruch nehmen wollten. Aber nicht jeder hatte damit Gutes im Sinn. Magie hat immer eine gute und eine schlechte Seite. Weißt du, mein Schatz, besonders zu sein, ist ein Segen. Doch es birgt auch viel Verantwortung, etwas Kostbares zu schützen und wie einen wertvollen Schatz zu hüten.«
»Wie ging es dann weiter mit dem Zauberkakao?«
Meine Oma lächelte nur zaghaft.
»Das erzähle ich dir vielleicht ein anderes Mal. Jetzt wird erst mal geschlafen, es ist schon spät.«
Sie deckte mich zu und gab mir einen Kuss auf die Wange.
»Bonne nuit, Mila. Schlaf gut.«
Und ich glitt sanft in einen Traum, in dem ich von zauberhaftem Kakao und magischer Schokolade eingehüllt wurde.
9 Jahre später …
»Votre attention, s’il vous plaît«, drang die Stimme meiner Französischlehrerin Madame Delacroix an mein Ohr. Meine beste Freundin Liz und ich hatten sie auf den Spitznamen Krähe getauft, da ihre Stimme mindestens genauso krächzig war. Davon abgesehen war Madame Delacroix jedoch völlig harmlos und hatte noch dazu die Güte einer Nonne.
Ich beobachtete Liz dabei, wie sie ihre Seite des Tisches in ihr persönliches Nagelstudio umfunktionierte. Das Federmäppchen hatte sie so hingestellt, dass es gut als Sichtschutz diente und die Krähe somit nicht sah, wie sich Liz ihre Fingernägel in einem schimmernden Blauton lackierte – passend zu ihrer neuen Haarfarbe.
Ich unterdrückte mühsam ein Grinsen.
Auch Liz’ Outfit war heute wieder der Oberknaller. Sie trug ein rosafarbenes Tutu, kombiniert mit einem breiten Gürtel und einer schwarzen Lederjacke darüber. Doch was ich an ihrem eigenwilligen Stil besonders cool fand: Liz schneiderte ihre Kleidungsstücke fast alle selbst. Ich hingegen war nicht mal in der Lage, einen Knopf anzunähen.
Liz hatte schon immer wenig auf Regeln oder die Meinung anderer gegeben, dafür besaß sie ein Herz aus Gold und war immer zur Stelle, wenn ich sie brauchte.
Als sie meinen Seitenblick bemerkte, grinste sie mich breit an und ich lächelte zurück.
Während die Krähe vorne am Lehrerpult redete und redete und offensichtlich nicht mitbekam, dass ihr niemand so richtig zuhörte, schweiften meine Gedanken ab.
Heute war der letzte Schultag vor den Sommerferien und am morgigen Samstag würde es für den Großteil meiner Klasse im Zuge eines vierwöchigen Schüleraustauschs nach Paris gehen. Paris! Schon seit Wochen fieberten Liz und ich dieser Reise entgegen. Der Austausch fand jährlich für die achte Klasse mit der Privatschule Saint-Clément in Paris statt. Wie ich mal erfahren hatte, war unsere Direktorin Frau Pumpernickel gut mit der Schulleitung der Saint-Clément befreundet (andernfalls hätte unser stinknormales Schiller-Gymnasium sicherlich niemals einen Austausch mit so einer renommierten Privatschule organisiert bekommen!).
In Frankreich ging das Schuljahr noch länger, sodass wir unsere französischen Gastpartner an manchen Tagen auch in den Unterricht begleiten würden.
Ob die Schüler da alle piekfein waren?
Dabei wirkte meine Gastschwester Lou wirklich total nett. Wir hatten vorab schon ein paarmal über WhatsApp hin- und hergeschrieben.
Ich malte mir in schillernden Farben aus, was ich alles Tolles mit ihr unternehmen würde. Ich sah mich bereits auf dem Eiffelturm stehen, durch die Gassen des Künstlerviertels Montmartre flanieren und auf den berühmt-berüchtigten Champs-Élysées entlang der teuren Läden spazieren. Hach …
Ich stutzte, als mir auf einmal ein intensiver Duft in die Nase stieg. Erst war es nur der Geruch von Max’ Wurstbrot drei Plätze weiter, der sich mit dem strengen Aroma von Liz’ Nagellack vermischte. Doch kurz darauf kam ein weiterer dazu. Er war aromatisch, leicht bitter und mir nur allzu vertraut.
Ich sah, wie meine Mitschülerin Fenja in der Reihe vor mir eine Tafel Schokolade auspackte und vorsichtig – ohne dass die Krähe Notiz davon nahm – hineinbiss.
Vor meinem inneren Auge bildeten sich sanft flackernde Nebelschleier. Sie wurden immer größer, formten sich zu einer Art Wolke, in der Bilder wie ein Kinofilm flimmerten.
O Gott, was ging hier vor sich? Was war das für eine seltsame Wolke? Meine Gedanken überschlugen sich, und Panik stieg in mir auf.
Ein Bürgersteig schob sich in dem Duftnebel des Kakaos in mein Sichtfeld. Jemand rannte in Sneakers über den Asphalt. Eine Taube flog durch das Bild. Und im nächsten Moment schiss der Vogel mir auf den Kopf.
»Geh weg! Du sollst weggehen!«
Ich versuchte, die Bilder energisch zu verscheuchen und den Geruch von Kakao aus meiner Nase zu verdrängen.
»Verdammt, ich will das nicht sehen!«
Und dann, urplötzlich, waren der duftende Kakaonebel und die Bilder wieder verschwunden, und ich kehrte ins Hier und Jetzt zurück.
Schlagartig wurde mir bewusst, dass ich diese Worte nicht nur gedacht, sondern vor versammelter Klasse laut ausgesprochen hatte.
Es war mucksmäuschenstill im Raum, selbst Madame Delacroix war an ihrem Lehrerpult verstummt. Sogar eine Stecknadel hätte man fallen hören können.
Alle Augen waren auf mich gerichtet. Manchmal hatte es auch seinen Nachteil, in der letzten Reihe zu sitzen.
Ich schluckte, meine Hände wurden schwitzig. Während ich darüber grübelte, was gerade mit mir passiert war, musterte meine Französischlehrerin mich mit ihrem Krähenblick.
»Warum soll ich denn weggehen?«, fragte Madame Delacroix verständnislos. »Das ist aber nicht sehr nett, Mila.«
Ich sackte noch ein wenig mehr auf meinem Stuhl zusammen. Erdboden, tu dich auf und verschling mich! Auf der Stelle! Leider hatte das Schicksal kein Erbarmen mit mir.
Meine Wangen wurden heiß und ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg.
»Ich, ähm …«, stammelte ich und wusste nicht, was ich sagen sollte.
»Mila meinte nur, dass die Hitze verschwinden soll«, ging Liz schnell dazwischen und fächerte sich übertrieben Luft zu. »Puh, finden Sie nicht auch, es ist ganz schön stickig hier drinnen?«
Die Krähe sah irritiert nach draußen. Ein paar Wattewölkchen standen am Himmel. Es waren heute höchstens dreiundzwanzig Grad.
Meine Lehrerin ließ ihren Blick wieder zu Liz und mir schweifen. »Merkwürdig, mir kommt es heute gar nicht so unerträglich warm vor … Aber Mila, du siehst tatsächlich sehr hitzig aus. Hast du Fieber? Geht es dir nicht gut, ma chérie?«
Sie kam einen Schritt näher und beäugte mich, als wäre ich krank. Und genauso fühlte ich mich auch.
Einige meiner Mitschüler begannen zu kichern.
Liz drückte unterm Tisch mitfühlend meine Hand.
»Nein, alles bestens. Ich, ich … habe bloß laut gedacht, entschuldigen Sie bitte, Krä–, ähm … Madame Delacroix«, korrigierte ich mich in letzter Sekunde. »Es wird nicht wieder vorkommen.«
Mein Gesicht brannte mittlerweile wie Feuer.
»Brauchst du etwa so dringend Aufmerksamkeit, Mila?«, ätzte meine gehässige Mitschülerin Charlotte vorne in der ersten Reihe. Dann wandte sie sich ihrer besten Freundin Tami zu und sagte so laut, dass es jeder im Klassenraum hören konnte: »Die hat doch einen Vogel.«
Obwohl sich die Jungs aus meiner Klasse bisher noch zurückgehalten hatten, grölten nun ein paar von ihnen. Blöde Affen! Max hätte ich sein stinkendes Wurstbrot am liebsten ins Gesicht geschmiert.
»An deiner Stelle würde ich mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, Charlotte. Wenn hier einer einen Vogel hat, dann bist das ja wohl du mit deinem Spatzenhirn«, brauste Liz auf, während ich mittlerweile darin geübt war, Charlottes Gemeinheiten zu ignorieren. Auch wenn sie mich insgeheim verletzten. Um genau zu sein, hatte ich einfach nicht den Mut, mich ihr zu widersetzen.
Ich wusste es daher zu schätzen, dass Liz für mich Partei ergriff, doch leider machte sie damit alles nur noch schlimmer.
Charlotte drehte sich ruckartig zu Liz um. »Wie hast du mich gerade bezeichnet, du Schlumpf? Leg du dir erst mal eine richtige Frisur zu!«
Die Krähe sah vollkommen überfordert zwischen Liz und Charlotte hin und her, ihr Blick schnellte von rechts nach links wie ein Pingpongball.
»Kinder, Kinder, arrêtez! Nun ist es aber genug! Solche Ausdrücke will ich in meinem Unterricht nicht hören! Schluss jetzt!«
Liz grummelte vor sich hin. Ich sah ihr an, dass ihr noch ein paar unschöne Bemerkungen auf der Zunge lagen, doch sie hielt sich zurück.
Charlotte warf uns beiden einen letzten bitterbösen Blick zu, bevor sie sich wieder nach vorne wandte.
Mein einziger Lichtblick: Weder Charlotte noch Tami würden am Schüleraustausch teilnehmen – vier Wochen Ruhe vor diesen Biestern!
Den Rest der Stunde verbrachte ich damit, mich unsichtbar zu machen.
Ich war erleichtert, als es endlich klingelte, und stürmte aus der Klasse. Bloß weg von hier!
Liz lief mir hinterher. »Mila, warte!«
Doch ich drosselte mein Tempo erst, nachdem ich genügend Abstand zwischen mich und die Schule gebracht hatte.
Als Liz zu mir aufgeschlossen hatte, hakte sie sich bei mir unter und strich sich eine blaue Haarsträhne hinters Ohr.
Meine beste Freundin wechselte ihr Aussehen so häufig wie manche Leute ihre Socken. Letzte Woche hatte Liz’ von Natur aus straßenköterblondes Haar noch in einem auffälligen Giftgrün geleuchtet. Da konnte ich mit meiner braunen Mähne nicht mithalten. Ich hatte meine Haare, wie so oft, zu einem unscheinbaren Zopf gebunden. Das einzig Auffällige an mir waren meine verschiedenfarbigen Sneakers, die ich immer wieder unterschiedlich miteinander kombinierte. Heute hatte ich mich für einen lilafarbenen und einen blauen Schuh entschieden.
Ich blieb abrupt stehen. »Liz, ich … ich glaube, ich hatte eben meine erste Vision«, stammelte ich und konnte es noch immer nicht fassen.
»Nein!«
»Doch!«
»Ooooh!«
Ich kam mir vor wie in einem dieser alten Schwarz-Weiß-Schinken mit Louis de Funès, die immer pünktlich zu Silvester über unseren alten Fernseher flimmerten. Mit dem winzigen Unterschied, dass ich dieser Situation gerade absolut keine Komik abgewinnen konnte. Liz starrte mich völlig entgeistert an, als wäre ich ein Alien mit nur einem einzigen großen Glubschauge. Ihr Griff um meinen Arm wurde fester. »Das heißt, ich bin soeben Zeugin deiner allerersten Kakaovision geworden?«
»Du und etwa zwanzig weitere unserer Mitschüler. Die Krähe nicht zu vergessen«, zählte ich trocken auf. Vermutlich konnte ich mich nie wieder in der Schule blicken lassen, ohne einen dummen Kommentar von Charlotte zu kassieren.
Ich hatte gewusst, dass dieser Tag kommen würde. Und dennoch war ich nicht bereit dafür. Absolut nicht. Abermals spürte ich die aufsteigende Panik, die mich wie ein grollender Zug zu überrollen drohte.
Liz schnappte so heftig nach Luft, dass ich Sorge hatte, sie könnte gleich in Ohnmacht fallen.
»O mein Gott!«, kreischte sie theatralisch. »Dann hatte deine Oma also recht. Das ist so cool, Mila! Welcher Teenager kann schon von sich behaupten, dass er durch den Duft von Kakao in die Zukunft blicken kann? Was hast du gesehen?«
Schon vor Wochen hatte Liz mir zu meinem vierzehnten Geburtstag ein Notizbüchlein geschenkt. (Liz bezeichnete es als »Duftdiarium«, da sie den Begriff »Tagebuch« nicht geheimnisvoll genug fand.) Sie sagte, wir müssten für alles gewappnet sein, schließlich konnte man nie wissen, wann sich meine Gabe zeigen würde. Zudem glaubte Liz, dass es hilfreich sein könnte, meine magischen Kakaoerlebnisse aufzuschreiben, um meine Gabe näher zu erforschen.
Tja, und nun war der Tag gekommen. Der Tag, an dem ich offiziell für irre erklärt werden würde. Wunderbar. Ich konnte mir nichts Schöneres vorstellen.
»Ich habe eine Taube gesehen, die mir auf den Kopf scheißt«, beantwortete ich Liz’ Frage mit Grabesmiene.
Ihre Mundwinkel begannen zu zucken. Sie versuchte erst, sich zurückzuhalten, dann war es mit ihrer Selbstbeherrschung jedoch vorbei. Sie prustete los.
Wenn überhaupt möglich, wurde meine Laune noch eine Spur schlechter.
»Haha, sehr witzig«, sagte ich und Liz beruhigte sich langsam wieder.
Eine Weile liefen wir schweigend nebeneinanderher.
»Liz, ich bin ein Freak, ein verdammter Freak!« Ich zog eine unglückliche Schnute.
Ich hatte noch nie unbedingt zu den coolen Leuten an meiner Schule gezählt, und das war auch okay für mich. Aber von einem schüchternen Mauerblümchen zu einer durchgeknallten Irren herabgestuft zu werden, war selbst für mich ein gewaltiger Abstieg. Auf der Beliebtheitsskala konnte ich mich zukünftig wahrscheinlich bei den seltsamen Nerds aus der Wissenschafts-und Forschungs-AG einreihen, die untersuchten, ob sie mit einer umgebauten Waschmaschinentrommel durch die Zeit reisen konnten. Ich meine, viel verrückter als Kakaowolken, die einem Schnipsel aus der Zukunft zeigten, war das auch nicht.
Gott, wie gerne wäre ich einfach wieder ein unscheinbares Mauerblümchen!
»Mila, jetzt mal ehrlich. Ich finde deine Gabe unglaublich. Vielleicht braucht das Ganze einfach eine Weile. Talente müssen sich entfalten. Deine Gabe könnte uns so viel nutzen.«
Ich sah Liz fest in die Augen. »Ach ja, und was?«
Liz legte den Kopf schief, als müsste sie überlegen. Und sie überlegte eindeutig eine Spur zu lange.
Doch plötzlich erhellte sich ihr Gesicht.
»Stell dir mal vor, du könntest das Thema unserer nächsten Klassenarbeit vorhersehen, das wäre doch total cool!«
»Liz, ich habe eine scheißende Taube in einer Kakaowolke gesehen. Das ist von cool ziemlich weit entfernt. Findest du nicht?«
»Ach, das ist bestimmt reine Übungssache, und bald kannst du die Bilder steuern«, überging Liz schlichtweg meinen Einwand.
Sie lächelte vor sich hin.
»Weißt du, Mila, ich hab das im Gefühl. Dass da noch was Großes auf dich zukommen wird. Eines Tages wirst du Weltbewegendes leisten und bedeutsame Dinge vorhersagen«, prophezeite mir meine beste Freundin mit felsenfester Überzeugung.
Ich nickte. »Sicher, und der Nobelpreis winkt mir auch schon an der nächsten Ecke.« Purer Sarkasmus schwang in meiner Stimme mit. »Wenn man es genau nimmt, dann hat die Menschheit eigentlich nur auf jemanden wie mich gewartet. Genauer gesagt, auf Mila Kornblum, die den Menschen vorhersagen kann, wann ihnen das nächste Mal ein Vogel auf den Kopf kackt.«
Liz grinste mich an. »Habe ich dir eigentlich schon mal gesagt, wie abgöttisch ich deinen trockenen Humor liebe?«
Damit entlockte Liz selbst mir an diesem Tag ein winziges Lächeln.
Mittlerweile hatten wir die Kreuzung erreicht, an der sich unsere Wege vorerst trennten.
Liz drückte mich an sich. »Ich würde gerne noch weiter mit dir quatschen, aber meine Mutter flippt aus, wenn ich zu spät zum Mittagessen komme. Du weißt ja, wie sie ist.«
Vielsagend verdrehte Liz die Augen.
»Apropos ausflippen«, nahm ich den Faden auf. »Was hat deine Mutter eigentlich zu der neuen Haarfarbe gesagt?«
»Elisabeth Hagelstein, SO kannst du doch nicht zur Schule gehen! Was sollen denn bloß die Leute denken?«, ahmte Liz, die nur von ihren Eltern mit ihrem vollen Namen Elisabeth angesprochen wurde, ihre Mutter täuschend echt nach. Sie zuckte mit den Schultern. »Den Satz musste ich mir auch schon bei den letzten zwanzig Haarfärbungen anhören. Sie wird sich nie damit abfinden können, dass ich nicht ihr kleiner perfekter Engel bin. Na ja, was soll’s.«
Meine beste Freundin tat möglichst unbekümmert, doch ich kannte Liz gut genug, um zu wissen, dass das Thema sie bedrückte.
Sie ließ sich davon jedoch nichts anmerken, sondern verpasste mir zum Abschied überschwänglich einen Schmatzer auf die Wange.
»Wir sehen uns morgen. Das wird mega! Denk nur an die vielen süßen Franzosen! Und ruf mich an, wenn sich ein Kakaovorfall der ganz besonderen Art ereignet! Ich will alles wissen!« Liz wackelte bedeutungsvoll mit den Augenbrauen und ich musste lachen.
Wir winkten einander zu, dann bog Liz nach links ab, während ich der Straße nach rechts folgte.
Den restlichen Heimweg über sah ich mich die ganze Zeit panisch in alle Richtungen um, in der Erwartung, dass mir jeden Augenblick eine Taube auflauerte und auf den Kopf schiss, genau so, wie es mir der Kakao prophezeit hatte. Es war zum Verrücktwerden! Irgendwann drehte ich tatsächlich noch durch.
Ich dachte an Oma. Sie wäre die Einzige gewesen, die etwas Licht ins Dunkel hätte bringen und mir sagen können, was es mit diesem ganzen Kakao-Wahrsager-Quatsch auf sich hatte. Zwei Jahre war es mittlerweile her, dass sie verstorben war. Und alles, was sie mir mit auf den Weg gegeben hatte, waren ein geheimnisvoller Ring und ein Rätsel, das allein zu lösen ich nicht imstande war.
Ich erinnerte mich so genau an den Tag, als wäre er erst gestern gewesen. Bei dem Gedanken daran, wie Oma geschwächt und blass in ihrem Bett gelegen hatte, zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Sie hatte sich bis zum letzten Atemzug vehement dagegen gewehrt, in ein Krankenhaus zu gehen, und darum gebeten, im trauten Kreis der Familie sterben zu dürfen. Die Ärzte hatten ihr mitgeteilt, dass sie den Krebs nicht besiegen konnte, da er schon zu weit fortgeschritten war.
Obwohl es sonst immer meine Oma gewesen war, die mir als kleines Kind Geschichten zum Einschlafen erzählt hatte, war diesmal ich diejenige, die an ihrem Bett hockte.
Mit Tränen in den Augen las ich stockend die Sätze aus dem Buch auf meinem Schoß, während die Buchstaben vor meinen Augen langsam verschwammen.
Ich kuschelte mich eng an Ma, die mir beruhigend über den Kopf streichelte. Nur Tante Claudi (eigentlich hieß sie Claudia) konnte nicht bei uns sein, um sich zu verabschieden, da sie ausgerechnet an jenem Tag auf einem Flughafen in Spanien festsaß. (Sie hatte zuvor drei Wochen abgeschottet im Kloster in einem Bergdorf verbracht und dort an einem Klangschalenkurs teilgenommen. Danach war sie ein völlig anderer Mensch, sagte sie. Ich würde behaupten, sie war genauso verrückt wie immer, wenn nicht sogar noch ein bisschen schräger.)
Schließlich drückte Oma mir einen kleinen, kühlen Gegenstand in die Hand und schloss meine Finger zu einer Faust.
»Mila«, krächzte sie schwach, ihre Stimme war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Doch Oma kämpfte mit aller Macht dagegen an, so als wären die nächsten Worte, die sie mir zuflüsterte, von allergrößter Bedeutung.
»Hör mir jetzt gut zu, meine Kleine.« Oma sprach angestrengt. Vielleicht ahnte sie, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb.
Ich erhob mich von meinem Stuhl und beugte mich über sie, damit ich sie besser verstand.
»Es gibt etwas, das du nicht weißt. Du bist besonders, ma chérie. Du bist eine Duftseherin. An deinem vierzehnten Geburtstag wird sich deine Gabe entfalten und du wirst im Laufe der Zeit dazu fähig sein, bei dem Geruch von Kakao in die Zukunft zu blicken. Lass dich von den bunten Bildern nicht verunsichern, es sind Visionen. Vertraue auf deine Sinne und lass dich von der Magie der Kakaobohne leiten, sie wird dir den Weg weisen. Trag den Ring immer nah an deinem Herzen«, hauchte Oma, bevor sie endgültig die Augen schloss.
»Aber Oma, was soll das bedeuten?«, fragte ich, doch ich erhielt keine Antwort mehr.
Eine Träne rollte langsam meine Wange herab. Ma deckte Oma mit feuchten Augen bis zum Kinn zu und gab ihr einen letzten Kuss auf die Stirn.
»Träum schön«, sagte sie mit belegter Stimme.
Als ich meine Hand öffnete, lag eine silberne Kette darin, an der ein Siegelring hing. In den Ring war eine Kakaobohne eingraviert.
Noch einmal sah ich zu Oma. Sie lag so friedlich da, dass ich mir einbildete, sie würde nur schlafen und jeden Moment zu uns zurückkehren. Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen.
Während Ma mich fest in den Arm nahm und mit sich aus dem Zimmer zog, war das Letzte, das ich wahrnahm, der Geruch von Kakao in meiner Nase.
Vertraue auf deine Sinne und lass dich von der Magie der Kakaobohne leiten, sie wird dir den Weg weisen, hallten Omas Worte in meinem Kopf nach und ich überlegte, was Oma damit gemeint haben könnte. Zurzeit hatte ich den Eindruck, dass mich diese Magie an der Nase herumführte.
Das Haus am Stadtrand von München, in dem Ma und ich in einer Mietwohnung lebten, trat langsam in mein Sichtfeld. Ich passierte das Gartentor und erschrak, denn eine Taube saß unmittelbar vor mir auf den Pflastersteinen. Sollte sich diese dämliche Kakaoprophezeiung etwa doch bewahrheiten?
»Hau ab, du blödes Vieh«, zischte ich erbost und wedelte mit den Händen, um die Taube zu verscheuchen. Die legte jedoch lediglich den Kopf schief und sah mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. So langsam begann auch ich mich zu fragen, wer von uns beiden einen Vogel hatte. Und die doofe Taube dachte gar nicht daran, ihr Revier zu räumen.
Frau Goldmann, die Nachbarin zu unserer rechten Seite, stand im Garten und pflanzte ein paar neue Blumensetzlinge ein. Als sie mein seltsames Rumgehampel mit den Armen bemerkte, runzelte sie verwundert die Stirn.
Ich setzte ein betont freundliches Lächeln auf und winkte unserer Nachbarin zu. »Hallo, Frau Goldmann!«
Frau Goldmann winkte jedoch nur bedingt euphorisch zurück und hatte es auf einmal sehr eilig, zurück ins Haus zu kommen.
Ich nahm wieder die Taube vor mir ins Visier und machte einen großen Bogen um sie. Um den Vogel jedoch nicht aus den Augen zu lassen, marschierte ich im Rückwärtsgang auf die Haustür zu.
»So, du blöder Vogel, du kannst heute wen anders anscheißen, aber nicht mich«, triumphierte ich, da ich bereits die erste Treppenstufe erreicht hatte, als plötzlich etwas Warmes, Weiß-Braunes meinen Arm hinunterlief.
O nein!
Wie in Zeitlupe blickte ich in die Baumkrone der alten Eiche über mir, auf deren Ast eine dicke Krähe hockte und hämisch krächzte.
Was für ein Scheißtag!
Schlecht gelaunt polterte ich die Treppenstufen zu unserer Wohnung in der dritten Etage hoch. Währenddessen schickte ich Liz eine kurze WhatsApp-Nachricht.
Ich: »Du glaubst nicht, was mir passiert ist … Mir hat tatsächlich ein Vogel auf den Arm geschissen!«
Meine beste Freundin antwortete binnen drei Sekunden.
Liz: »Nein, wie krass ist das denn?!«
Meine Finger verharrten über der Smartphone-Tastatur, doch Liz war schneller mit Tippen als ich.
Liz: »Mila, ich lass dich mit deiner Gabe nicht allein, wir schaffen das. Und dem blöden Vogel sage ich hiermit offen den Kampf an! Das versucht der nicht noch einmal!«
Ich musste grinsen, vor allem als Liz noch dieses lächelnde Emoji hinterherschickte, bei dem ich mich immer fragte, ob es zufrieden oder leicht angepisst war.
Im Türrahmen stieß ich fast mit Mamas Schwester, Tante Claudi, zusammen. Sie war meiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, mal davon abgesehen, dass Ma dunkle glatte Haare hatte (wie ich!) und Tante Claudi kleine Korkenzieherlocken, die wie drahtige Pinsel von ihrem Kopf abstanden. (Die Frisur hatte durchaus Ähnlichkeit mit der eines Wollschweins.)
Claudi arbeitete in einem kleinen Antiquariat in der Stadt. Dabei hatte ich mir unter einem Antiquar eigentlich immer einen etwas verschrobenen, kauzigen Professor vorgestellt, mit Nickelbrille, die die eigenen Augen wie zusammengekniffene Schweinsäuglein wirken ließ. Wobei verschroben und kauzig durchaus zwei Eigenschaften waren, die auch auf meine Tante zutrafen.
Claudi hatte schon immer eine Vorliebe für – sagen wir mal – Außergewöhnliches gehabt. (Das erklärte vermutlich auch den scheußlichen, selbst gestrickten Blümchenrock, den sie heute trug.)
»Mila, wie schön, dich zu sehen. Was ist denn los? Du ziehst ja ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter.«
Ich kam nicht dazu, Claudis Redeschwall zu unterbrechen, da sie mit einem Mal erstaunt meinen Arm musterte.
»Was ist das denn?«, fragte sie und rümpfte die Nase.
Da ich keinen Nerv hatte, jetzt noch muntere Konversation zu betreiben, und ich gerade vermutlich nicht die angenehmste Gesprächspartnerin war, schlüpfte ich mit einem kurz angebundenen »Hallo, Claudi« an ihr vorbei in die Wohnung.
»Bin zu Hause«, rief ich meiner Mutter zu, die ich in der Küche vermutete, schmiss meine Schultasche in mein Zimmer und stellte mich erst einmal unter die Dusche.
Das heiße Wasser prasselte auf meine Haut und spülte nicht nur den Dreck, sondern langsam auch die trüben Gedanken fort. Nach der Dusche fühlte ich mich auf jeden Fall viel besser.
In meinen flauschigen Bademantel gewickelt, tapste ich hinüber in die Küche. Meine Mutter summte gut gelaunt ein Lied aus dem Radio vor sich hin. Der Duft, der durch die Küche waberte, ließ mir augenblicklich das Wasser im Mund zusammenlaufen.
»Sind das etwa frische Waffeln?«, fragte ich und merkte, wie neue Lebensgeister durch mich hindurchströmten.
Ich ließ mich auf einen der schon leicht abgewetzten Küchenstühle plumpsen, während mein Blick an dem wunderschönen Blumenstrauß in der Tischmitte hängen blieb. Die bunten Gerbera sahen toll aus. Ma hatte wirklich ein Auge für Dekoration. Leider begann es in meiner Nase schon wieder verdächtig zu kribbeln. Blöde Pollenallergie!
»Hallo, mein Schatz«, begrüßte meine Mutter mich mit einem Lächeln und stellte einen Teller mit dem unwiderstehlich süßen Gebäck vor mich hin.
»Du bist einfach die Beste, Ma!« Ich biss herzhaft in die Waffel hinein. Gleich darauf legte sich mir ein feiner, buttriger Geschmack auf die Zunge und ich seufzte wohlig auf.
»Soll ich uns noch einen heißen Kakao zu den Waffeln machen?«, schlug Ma vor.
Energisch schüttelte ich den Kopf. »Tee wäre mir heute lieber.«
Ma hob überrascht die Augenbrauen, sagte jedoch nichts. Kurz darauf stellte sie jedem von uns eine heiße Tasse Früchtetee hin.
Normalerweise gab es immer Kakao bei uns. Ich liebte den intensiv schokoladigen Duft. Er erinnerte mich an zu Hause und verlieh dieses magische Wohlfühl-Feeling, das nur ein Kakao bei mir auslösen konnte. Doch an diesem Tag versetzte mich allein der Gedanke an die aromatischen, leicht bitteren Duftnoten eher in Panik, als dass sie irgendwelche Glücksgefühle bei mir auslösten. Die Sache mit der Krähe hatte mir gereicht. Und daher beschloss ich: Solange ich das Duftsehen, wie Oma es bezeichnet hatte, nicht besser im Griff hatte, würde ich vorerst einen Bogen um Kakao machen. So leid mir das auch tat …
»Ist Tante Claudi schon weg?«, nuschelte ich zwischen zwei Bissen.
Ma nickte und nahm einen Schluck von ihrem Tee. »Sie hatte noch etwas in der Stadt zu erledigen. Claudi hat dir einen Umschlag hiergelassen. Taschengeld für den Schüleraustausch. Und sie wünscht dir ganz viel Spaß in Paris.« Sie zwinkerte mir zu.
Plötzlich bekam ich ein schlechtes Gewissen, dass ich Tante Claudi so abgebügelt hatte.
»Was ist denn überhaupt los?«, wollte Ma wissen. »Du hast dich über eine halbe Stunde im Bad verschanzt.«
Ich schluckte und umklammerte meine Teetasse. Ich genoss die Wärme, die durch meine Hände strömte, und das angenehme Kribbeln auf meiner Haut.
»Ma … ich hatte heute meine erste Vision.«