9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €
Weiße Häuser, blaues Meer und große Gefühle Es war der große Traum von Toni und ihrer Schwester Malina, zusammen auf Korfu in einem Hotel zu arbeiten: Toni als Eventplanerin, Malina als Köchin. Aber es kommt anders, als Toni ein Angebot für Santorini bekommt, das sie nicht ablehnen kann. Die Insel verschlägt ihr den Atem: verträumte Gassen, weiß-blaue Häuser und steile Klippen. Als sie dem Goldschmied Yanis begegnet und es sofort zwischen ihnen funkt, könnte alles so schön sein. Doch Toni hat ein Geheimnis, das die Liebe zwischen ihr und Yanis auf die Probe stellt. Und dann sind da noch ihre widersprüchlichen Gefühle für Model Damiano. Ein Sommer in Griechenland: Begleite Tonis Schwester Malina in Find Me at Sunset nach Korfu.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Text bei Büchern ohne inhaltsrelevante Abbildungen:
Mehr über unsere Autorinnen, Autoren und Bücher:
www.everlove-verlag.de
Wenn dir dieser Roman gefallen hat, schreib uns unter Nennung des Titels »Meet me at Sunrise« an [email protected], und wir empfehlen dir gerne vergleichbare Bücher.
© everlove, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2025
Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)
Vignette: icon blast, gefunden auf freepik.com
Redaktion: Isabelle Toppe
Covergestaltung: FAVORITBUERO, München
Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt
Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.
Wir behalten uns eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.
In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich der Piper Verlag die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.
Cover & Impressum
Widmung
1. Kapitel
Toni
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
Yanis
10. Kapitel
Toni
11. Kapitel
12. Kapitel
Damiano
13. Kapitel
Toni
14. Kapitel
Yanis
15. Kapitel
Toni
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
Yanis
19. Kapitel
Toni
20. Kapitel
21. Kapitel
Yanis
22. Kapitel
Toni
23. Kapitel
24. Kapitel
Yanis
25. Kapitel
Toni
26. Kapitel
Damiano
27. Kapitel
Yanis
28. Kapitel
Toni
29. Kapitel
30. Kapitel
Damiano
31. Kapitel
Toni
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
Yanis
41. Kapitel
Toni
42. Kapitel
43. Kapitel
44. Kapitel
Yanis
45. Kapitel
Toni
46. Kapitel
Damiano
47. Kapitel
Toni
48. Kapitel
Epilog
Danksagung
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Für meine beste Freundin Etta
Mit dir sind ein paar Stunden so erholsam wieeine Woche Urlaub auf Santorini
Endlich Sommer! Ich schob mir meine Sonnenbrille ins Haar, das ich zu einem hohen Zopf gebunden hatte, und reckte für einen Augenblick mein Gesicht gen Himmel. Ich genoss es, wie die wärmenden Strahlen auf meiner Nase kitzelten. Als ich den Blick wieder auf meine Umgebung richtete, nahm ich die Menschen um mich herum wahr. Eine Mutter mit Kinderwagen, eine junge Frau in einem bunten Kleid, ein kleines Mädchen in einem gepunkteten Top. Ich musste unweigerlich lächeln.
Wir hatten Anfang Juni, und Sommer in München war definitiv das beste Feeling, das es gab. Am meisten liebte ich es, morgens mit Malina auf dem winzig kleinen Balkon unserer Wohnung zu sitzen, gemeinsam zu frühstücken und dabei zuzusehen, wie die Stadt zum Leben erwachte. Und das war auch der erste To-do-Punkt für heute.
Ich verließ unsere Lieblingsbäckerei im Stadtteil Schwabing mit ein paar herrlich duftenden Zimtschnecken in der Hand und freute mich auf das Frühstück mit Malina, als mich plötzlich eine Stimme zurückhielt.
»Toni? Toni, bist du es?«
Verwundert drehte ich mich um, doch als ich die blonde Frau erkannte, gefror mir das Blut in den Adern. Für einen Wimpernschlag hatte ich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Mein Hals schnürte sich zu, und mein Brustkorb fühlte sich auf einmal so eng an, als hätte mir jemand ein straff sitzendes Korsett angelegt.
Erinnerungen kamen in mir hoch und drängten mit aller Macht an die Oberfläche. Panik stieg in mir auf.
Leyla kam einen Schritt näher. In ihrem hübschen Gesicht lagen Verwunderung und Neugierde gleichermaßen. »Wie lange ist es her, dass wir uns nicht mehr gesehen haben? Ich glaube, nicht mehr seit dem Unfall von …«
»Du, ich muss weiter. Sorry, hab gerade keine Zeit, zu quatschen, bin verabredet«, unterbrach ich Leyla hastig und deutete vielsagend auf die Bäckertüte. Dann wirbelte ich herum, sodass mein hoher brauner Zopf flog, und warf Leyla ein gehetztes »Schönen Tag noch!« über die Schulter zu.
Erst, als ich mich einige Meter von der Bäckerei entfernt hatte und mir sicher sein konnte, dass ich außerhalb von Leylas Sichtweite war, erlaubte ich mir eine kurze Verschnaufpause und lehnte mich mit dem Rücken an eine Hauswand. Meine Hände zitterten wie Espenlaub.
Ich atmete tief ein und langsam aus, so wie ich es schon ein paarmal mit Malina geübt hatte, und zwang mich dazu, mich zu beruhigen. Nach mehreren Atemzügen ging es mir tatsächlich ein wenig besser.
Den restlichen Weg zu Malinas und meiner Wohnung legte ich im Stechschritt zurück. Immer wieder blickte ich mich um, voller Sorge, ein weiterer Geist aus meiner schmerzhaften Vergangenheit könnte sich mir in den Weg stellen.
Als ich die Tür zu unserer WG im Dachgeschoss öffnete, drang mir der unvergleichliche Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee in die Nase.
Malina lugte mit dem Kopf aus der Küche hervor. Ihre erdbeerblonden Haare fielen ihr in sanften Wellen über die Schultern. »Du kommst genau richtig, das Rührei ist fertig«, begrüßte meine Schwester mich bestens gelaunt. Auch heute sah sie wieder aus wie der Sommer höchstpersönlich. Sie trug ein hübsches, bodenlanges Blümchenkleid, das ihrer weiblichen Figur perfekt schmeichelte. Dagegen kam ich mir in meinen ausgefransten Jeansshorts und meinem weißen, bauchfreien Oberteil fast ein wenig blass vor.
»Alles in Ordnung?«, fragte Malina mich, als wir kurz darauf auf unserem Balkon saßen und uns das Frühstück schmecken ließen. Wobei – mir war der Appetit spürbar vergangen, was mir umso mehr leidtat, da Malina den Tisch so schön gedeckt hatte und alles wirklich lecker aussah. Und ihr Rührei war legendär. Ihre Geheimzutaten waren saure Sahne und ein Hauch von Muskatnuss.
Ich zog mein rechtes Bein zu mir heran und umschlang es mit den Armen. Der Balkon reichte gerade mal so für einen kleinen Tisch mit zwei Stühlen, und man musste ein bisschen aufpassen, dass man nicht irgendetwas zu Boden fegte.
»Ich hab eben Leyla getroffen«, sagte ich leise. »Offenbar ist sie wieder in München.«
Malina wusste sofort, von wem ich sprach. Sie ließ ihre Hand mit der Kaffeetasse sinken und sah mich mitfühlend an.
»Wie geht es dir damit?«, fragte sie zaghaft. Mir fiel auf, dass sich die Sommersprossen auf ihrer Nase vermehrt hatten.
Ich schluckte und zuckte mit den Schultern. »Hat mich irgendwie total überrumpelt.«
Malina nickte. »Kann ich gut verstehen.«
Früher waren Leyla und ich gute Freundinnen gewesen, wenn nicht sogar sehr gute. Doch seit Leons Unfall hatte sich alles verändert. Ich hatte mich verändert.
Ich starrte eine Weile in meinen Kaffee. Malina musste mir ansehen, dass mich die Begegnung mit Leyla mehr mitnahm, als ich mir selbst eingestehen wollte. Sie knuffte mir in den Arm und strahlte mich aufmunternd an. Dann griff sie nach ihrem Handy, das vor ihr auf dem Balkontisch lag, tippte darauf herum und hielt es mir schließlich unter die Nase.
»Schau mal, ich hab schon geguckt, was wir alles Tolles unternehmen könnten, wenn es tatsächlich klappt mit Korfu! Sehen die Fotos nicht traumhaft aus? Da soll es richtig schöne Buchten geben!«
Ich beugte mich näher über das Display und schirmte es gegen die Sonne ab. »Zeig mal her.«
Malina und ich arbeiteten im Münchener Boutique Hotel White Oasis in der Innenstadt und hatten beide vor Kurzem unsere dreijährige Ausbildung abgeschlossen, Malina als Köchin und ich als Veranstaltungskauffrau. Obwohl ich ein Jahr vor Malina mein Abitur gemacht hatte, waren wir beide zeitgleich in unsere Hotelausbildung gestartet, denn ich hatte zuvor noch ein einjähriges, bezahltes Praktikum bei einer kleinen Eventfirma absolviert.
Malina war die Kreative von uns und voll und ganz in ihrem Element, wenn sie von Gewürzen und ausgefallenen Zutaten umgeben war.
Ich hingegen liebte es, Events zu planen und zu organisieren. Es war einfach mein Ding, weil ich den Überblick behalten konnte und es mochte, wenn alles an seinem Platz war. Wenigstens in diesem Bereich meines Lebens behielt ich die Kontrolle, und das schenkte mir ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität.
Die kleine Fünf-Sterne-Hotelkette, die den Namen B & W Boutique Hotels trug, war von einem deutsch-griechischen Ehepaar gegründet worden. Neben dem Standort in München gab es auch noch Hotels auf Santorini und Korfu. Malina war vor ein paar Wochen aus heiterem Himmel mit der Idee um die Ecke gekommen, dass wir beide doch für eine Weile auf Korfu arbeiten könnten, um ein bisschen Auslandserfahrung zu sammeln. Früher war mir kein Abenteuer zu groß erschienen, ich hatte spontane Aktionen geliebt. Inzwischen hatte sich das Blatt allerdings gewendet, und Malina hatte sich zu der Wagemutigeren von uns beiden entwickelt. Trotz allem schaffte Malina es immer wieder, mich mit ihren Ideen und ihrer positiven Lebenseinstellung mitzureißen – und dafür liebte ich sie.
Unsere Bewerbungen hatten wir bereits rausgeschickt, aber es stand noch aus, ob wir zwei auch jeweils eine Stelle bekommen würden.
Ich konzentrierte mich wieder auf das Bild, das Malina mir unter die Nase hielt. Es zeigte eine wunderschöne Bucht mit weißem Sandstrand. Beim Anblick des türkisblauen Wassers wurde mir jedoch etwas mulmig zumute, und ich seufzte.
Malina biss sich auf die Lippe. »Sorry, ich hätte vielleicht ein anderes Bild wählen sollen.«
»Du musst mich nicht in Watte packen, Malina. Es geht mir gut.«
Sie schien mir nicht recht zu glauben, da sie die Stirn runzelte. »Bist du dir sicher?«
Ich nickte.
Vielleicht wäre es gar nicht schlecht, wenn ich eine Zeit lang aus München rauskommen würde. Vor allem nach der Begegnung mit Leyla.
Malina strahlte mich erneut an. »Ein paar Restaurants, die bekannt für ihre traditionelle Küche sind, habe ich auch schon rausgesucht. Ich kann es gar nicht erwarten, all die griechischen Köstlichkeiten zu probieren. Das wird so cool, ich sag’s dir!«
Ihre Freude war ansteckend, und ich war machtlos gegen das Lächeln, das sich auf mein Gesicht legte.
Nachdem wir gefrühstückt hatten, machten Malina und ich uns beide auf den Weg ins Hotel. Meine Schicht begann zwar erst um 10 Uhr, während Malinas schon um 9 Uhr startete, doch ich würde in der Zeit einfach noch ein bisschen durch die Innenstadt schlendern. Die Altstadt versprühte im Sommer ein geradezu italienisches Flair mit den schattigen Viktualienmarkt-Markisen und den kleinen Cafés und Bars mit den Tischchen davor.
»Wir sehen uns später«, flötete Malina und hauchte mir einen Kuss auf die Wange, bevor sich unsere Wege vorerst trennten.
Ich genehmigte mir noch einen Cappuccino in einem schnuckeligen Café und nahm die Atmosphäre um mich herum auf, aber meine Gedanken schweiften unweigerlich zurück zu Leyla. Das Vibrieren meines Handys war eine willkommene Ablenkung. Ich zog mein Smartphone aus meiner weißen Handtasche. Mama stand auf dem Display, und ich nahm das Gespräch an.
»Hey, Ma«, grüßte ich sie. »Was gibt’s?«
»Hey, mein Schatz. Ich wollte nur schnell nachhaken, ob es heute Abend dabei bleibt? Malina und du kommt doch zu unserer Grillparty?«
Ich lächelte. Typisch Ma. Sie musste sich immer noch einmal vergewissern. Unsere Eltern hatten für heute ein paar Freunde eingeladen und einen gemütlichen Grillabend in ihrem Garten geplant.
»Klar kommen Malina und ich. 19 Uhr geht’s los, oder? Kann sein, dass es bei uns etwas später wird, ich weiß nicht, wie schnell wir heute im Hotel wegkommen. Sollen wir noch irgendwas mitbringen?«
»Nein, das braucht ihr nicht. Euer Vater und ich kümmern uns um alles. Und sag Malina, sie soll bloß nicht wieder irgendwas Aufwendiges vorbereiten. Ich kenne deine Schwester ganz genau. Diesmal wollen Pa und ich euch bekochen. Ihr habt auch so genug um die Ohren.«
Mein Lächeln wurde noch etwas breiter. »Ich geb mein Bestes, aber ich kann nicht versprechen, dass Malina nicht doch auf den letzten Drücker noch ihre berühmt-berüchtigten Datteln-im-Speckmantel- oder Erdbeer-Marshmallow-Spieße vorbereitet.«
Ma lachte. »Ihr zwei seid einfach unverbesserlich. Habt ihr eigentlich schon etwas wegen eurer Bewerbung auf Korfu gehört?«, fragte sie mich, nachdem ihr Lachen abgeklungen war.
»Nein, bisher noch nichts. Aber da wir ja schon letzte Woche unsere Vorstellungsgespräche hatten, gehe ich mal davon aus, dass wir bald eine Rückmeldung bekommen.« Ich nahm noch einen Schluck von meinem Cappuccino, als mir auffiel, dass einer der Kellner mir flirtende Blicke zuwarf. Ich wandte mein Gesicht etwas ab und konzentrierte mich auf das Gespräch mit Ma, doch ich konnte nicht verhindern, dass mein Puls ein wenig schneller ging.
»Na, dann bleiben wir mal gespannt. Hach, wie gern wäre ich noch mal in eurem Alter«, seufzte sie.
Hm, ich wusste nicht, ob ich mich selbst darum beneidete. Zweiundzwanzig war irgendwie ein schwieriges Alter. Man steckte gefühlt mittendrin im Erwachsenwerden, und das fand ich manchmal ziemlich anstrengend. An jeder Ecke lauerten irgendwelche Unsicherheiten und die Probleme, mit denen unsere Generation klarkommen musste. Die Schnelllebigkeit, das Unverbindliche, das Gefühl, im Leben noch nicht richtig angekommen zu sein …
Ma und ich wechselten noch ein paar Worte miteinander, wobei mein Blick meine roségoldene Armbanduhr streifte. »O verdammt, ich muss ins Hotel!«, sagte ich und nahm eilig den letzten Schluck Cappuccino. Ich klemmte einen Fünf-Euro-Schein für den Kellner unter die leere Tasse und stand auf, das Handy noch immer am Ohr.
»Dann hab einen schönen Arbeitstag, mein Schatz«, verabschiedete meine Mutter sich. »Und denk dran, deine Schwester daran zu erinnern, dass sie heute Gast ist.«
Ich lachte erneut. »Das mach ich. Bis später, Mama. Hab dich lieb.«
Nachdem wir aufgelegt hatten, verstaute ich das Handy in meiner Handtasche. Auf dem Weg Richtung Hotel glitten meine Gedanken zu Malina. Sie war nicht meine leibliche Schwester, dennoch gab es keinen Menschen in meinem Leben, mit dem ich mehr Verbundenheit spürte als mit ihr. Malina und ich konnten über alles reden, wirklich über alles. Sie war meine beste Freundin.
Malina war drei Jahre alt gewesen, als sie in unsere Familie kam. Ihre leibliche Mutter war bei der Geburt von Malina noch sehr jung und sowohl emotional als auch finanziell nicht in der Lage gewesen, sich ausreichend um ihr Kind zu kümmern. Doch für unsere Familie hatte es nie eine Rolle gespielt, ob wir gleichen Blutes waren. Meine Eltern hatten Malina von Anfang an wie ihr eigenes Kind geliebt, und ich hatte sie stets als meine Schwester gesehen. Kaum, dass Malina volljährig geworden war, hatte sie sich von meinen Eltern adoptieren lassen, sodass wir alle nun auch auf dem Papier ganz offiziell »Familie Breuer« waren.
Inzwischen war ich am Hotel angekommen. Es lag direkt am Viktualienmarkt, etwas versteckt in einem bepflanzten Innenhof, und bot einen spektakulären Blick auf die Heilig-Geist-Kirche, die zu den Wahrzeichen der Stadt zählte.
Ich ließ meinen Blick an der weißen Fassade hinaufgleiten. Das familiengeführte Hotel hatte nur vierzig Zimmer und war eine Ruheoase inmitten der Altstadt von München. Viele mochten sich vielleicht denken, dass das ein Widerspruch in sich war, aber das White Oasis Boutique Hotel Munich machte seinem Namen wirklich alle Ehre.
Das Hotel zeichnete sich insbesondere durch Nachhaltigkeit aus, was unter anderem bedeutete, dass in der hoteleigenen Küche stets auf regionale Produkte und Lieferanten aus der Gegend zurückgegriffen wurde. Es wurde – sofern möglich – auf Plastik verzichtet, und auch bei der Einrichtung des Hotels hatte man zwar viel Wert auf Stil und Design gelegt, jedoch waren überwiegend Naturmaterialien verwendet worden.
Wir hatten schon des Öfteren Auszeichnungen für die hervorragende Lage im Herzen Münchens, die ausgefallene Einrichtung und den individuellen Service erhalten. Werte wie Qualität, Transparenz und regionale Verbundenheit standen im White Oasis im Mittelpunkt.
Kaum, dass ich das Hotel durch einen Seiteneingang betreten hatte, überfiel mich augenblicklich ein Gefühl der Ruhe bei der Vorstellung, dass ich gleich wieder meiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen konnte: planen und organisieren.
Ich passierte die Rezeption, grüßte meine Kollegen und durchquerte die lichtdurchflutete Lobby, die durch eine Mischung aus Minimalismus, Naturmaterialien und geschickt gesetzten Farbakzenten bestach. Leinen, Holz und Stein prägten das Gestaltungsbild, die Farben waren dementsprechend gedeckt und naturverbunden. Kunstvolle Blumenarrangements verliehen der Lobby Lebendigkeit und Frische.
Die Designs der einzelnen B & W Boutique Hotels waren zwar von dem jeweiligen Standort inspiriert, Naturmaterialien und klare Linien standen jedoch bei allen im Vordergrund.
Hier in München war mehr der City-Aspekt berücksichtigt worden, während sich in den Hotels auf Santorini und Korfu ein romantisch-verträumter Charme zeigte. Die kleine Hotelkette strebte eine ruhige Gestaltung an, was auch den Grundsatz des Hotels widerspiegelte: Ruheoasen fernab des Alltags erschaffen, die Entschleunigung und Erholung versprachen.
In den Personalräumen wollte ich mein Alltagsoutfit gerade gegen meine Arbeitskleidung austauschen – schwarze Anzughose, weißes Shirt, schwarzer Blazer –, als plötzlich die Türklinke von außen heruntergerissen wurde und im nächsten Moment Malina im Türrahmen stand. Sie trug ihr übliches Küchenoutfit: weiße Hose, weiße Kochjacke und eine überdimensional große Kochmütze. Ihre Augen waren weit aufgerissen.
»Hast du schon deine Mails gecheckt?«, fragte sie mich atemlos und stürmte in den Raum.
»Solltest du nicht eigentlich in der Küche stehen?«, fragte ich irritiert.
Malina winkte ungeduldig ab. »Konstantin hat mir fünf Minuten gegeben, damit ich kurz mit dir sprechen kann. Also, hast du schon deine Mails geprüft? Wenn nicht, dann tu es jetzt! Jetzt sofort!«
So aufgebracht kannte ich Malina eigentlich gar nicht. Im nächsten Moment tippte sie auf ihrem Handy herum.
»Ich hab die Stelle als Köchin auf Korfu! Im August geht es los!«, kreischte sie. »Los, schau mal nach, vielleicht hast du deine Zusage auch schon bekommen!«
Mein Puls beschleunigte sich, und meine Hände begannen zu zittern. Wie wahrscheinlich war es, dass ich zeitgleich mit Malina eine Mail bekommen hatte? Als ich mein Handy kontrollierte, war jedoch keine neue Nachricht in meinem Posteingang. Enttäuscht zuckte ich mit den Schultern. »Noch nichts da.«
Das tat Malinas guter Laune keinen Abbruch. Überhaupt war sie der zuversichtlichste Mensch, den ich kannte. »Ach, was soll’s, dann kommt die Zusage bestimmt im Laufe des Tages, und wir können Mama und Papa später davon erzählen.«
Ich nahm ihre Worte in mich auf, und tatsächlich regte sich ein Hoffnungsschimmer in mir. Vielleicht hatte sie recht, und ich musste mich einfach noch etwas gedulden.
»Apropos Mama und Papa – Ma hat gesagt, du sollst dich hüten, heute Abend in letzter Sekunde noch irgendwas für den Grillabend vorzubereiten.«
Malina schürzte die Lippen. »Ach manno, sie weiß doch ganz genau, wie gern ich andere bekoche.«
Ich lachte. »Eben drum.«
»Na, mal schauen«, Malina zuckte mit den Achseln. »Jetzt muss ich aber schnell wieder in die Küche, bevor Konstantin böse mit mir wird und sich fragt, wo ich bleibe.« Im Türrahmen blieb sie stehen und drehte sich noch einmal zu mir um. »Mein Gott, Toni, du ahnst ja nicht, wie sehr ich mich auf Korfu mit dir freue!«
»Wieso wusste ich, dass du es nicht lassen kannst?«, fragte ich, als Malina und ich gegen 20:30 Uhr vor dem schnuckeligen Häuschen unserer Eltern standen. Es befand sich in Freimann an der Oberen Isarau und war nicht allzu weit vom Englischen Garten entfernt. Pa war Immobilienmakler, und Ma arbeitete als Zahnärztin, andernfalls hätten sie sich dieses Grundstück niemals leisten können.
Ich hatte mich für einen kurzen, mintfarbigen Jumpsuit entschieden, Malina trug ein Blümchentop und einen flatternden, bodenlangen Rock.
Meine Schwester umschloss ihre Tupperdose wie einen Schatz mit beiden Händen. »Wieso, die Erdbeer-Marshmallow-Spieße gingen doch jetzt superschnell. Ich hatte alles Notwendige sowieso zu Hause«, versuchte sie sich herauszureden.
»Erklär das mal unserer Mutter.« Ich lachte.
Wir liefen an der Außenseite des Hauses vorbei. Gelächter, Stimmengewirr und Musik drangen bereits zu uns, zusammen mit diesem würzigen Geruch, der nur an einem Grillabend entstehen konnte. Selbst um diese Uhrzeit war es noch angenehm warm, und eine laue Sommerbrise strich über meine Arme. Ich öffnete das hölzerne Gartentor, das die letzten Jahre über von der Witterung gezeichnet worden war.
Pa hantierte am Grill und hob mit einem breiten Lächeln im Gesicht seine Grillzange zur Begrüßung, neben ihm standen ein paar Freunde mit Biergläsern. Wir grüßten kurz in die Runde und brachten unsere Sachen auf die überdachte Terrasse, gerade als Ma mit einer Salatschüssel in den Händen aus dem Haus kam.
»Toni, Malina, wie schön, dass ihr es geschafft habt!«, sagte sie freudig. Sie umarmte zunächst mich und hielt dann verdutzt inne, als sie die Tupperdose erblickte. Malina grinste fast schon entschuldigend.
Ma wusste offenbar nicht, wen von uns beiden sie dafür verantwortlich machen sollte, dass Malina es sich mal wieder nicht hatte nehmen lassen, mit einem kulinarischen Mitbringsel auf der Party zu erscheinen. Sie stemmte die Hände in die Hüften und ließ ihren Blick gespielt empört zwischen uns hin- und hergleiten. »Malina, du solltest doch nichts mitbringen. Und, Antonia, hast du deiner Schwester etwa nicht ins Gewissen geredet?«
Ich zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Sorry, Mama, aber da waren mir die Hände gebunden. Du kennst Malina doch.«
»Hey, ich bin auch anwesend und kann euch hören!«, ging Malina spielerisch auf unser Geplänkel ein.
Ma schüttelte den Kopf. »Du sturer Esel, du!« Sie nahm Malina die Dose ab und stellte sie geöffnet auf dem Büfetttisch ab, bevor sie Malina ebenfalls in eine innige Umarmung zog.
»Sind auch nur ganz einfache Erdbeer-Marshmallow-Spieße«, nuschelte Malina an Mas Wange.
»Und sie sehen auch wirklich köstlich aus! Ich hoffe, ihr zwei habt wenigstens ordentlich Hunger mitgebracht?«, fragte unsere Mutter, nachdem Malina und sie sich voneinander gelöst hatten.
In dem Moment wurde das Gartentor geöffnet.
»Ach, da sind Rolf und Claudia, die muss ich doch direkt mal begrüßen. Wenn ihr mich kurz entschuldigt«, schob sie hinterher und eilte sogleich auf ihre neuen Gäste zu.
Malina sah ihr grinsend hinterher und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. »Die perfekte Gastgeberin. Man sieht, wo dein Organisationstalent herkommt, Toni.«
Ich spielte an meinen goldfarbenen Creolen, die mir fast bis zu den Schultern reichten.
»Tja, dafür ist unverkennbar, von wem du deine Begeisterung für Essen hast«, entgegnete ich und deutete auf Pa, der sich gerade klammheimlich ein kleines Würstchen vom Grill klaubte und mit einem verzückten Ausdruck in den Mund schob.
»Das kann ich wohl nicht ganz leugnen«, gestand Malina mit einem Stirnrunzeln, dann lachten wir beide.
Wir nahmen uns jeweils ein Bier aus der Kühlbox, die für jedermann auf der Terrasse stand, und mischten uns unter die Leute.
»Hey, meine beiden, schön euch zu sehen«, freute sich unser Vater und nahm uns etwas umständlich in den Arm, aus Sorge, er könnte uns mit seiner Grillschürze und der Zange in der Hand beschmutzen. »Tut mir leid, dass ich gerade nicht ganz so viel Zeit für euch habe. Macht es euch gemütlich, ja?«
Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Eine Weile später genehmigten Malina und ich uns ein paar Köstlichkeiten vom Grill; ich entschied mich für einen Fleischspieß, während Malina einen mit Gemüse wählte. Zusätzlich tat ich mir etwas Nudelsalat auf und schnappte mir ein Stück von dem ofenwarmen Kräuterbaguette. Ein Erdbeer-Marshmallow-Spieß von Malina durfte als Nachtisch selbstverständlich nicht fehlen. Mit voll beladenen Tellern suchten wir uns ein Plätzchen unter der Linde, unter der zwei Liegestühle standen.
»Köstlich«, seufzte Malina auf. »Mir fallen schon wieder ganz viele neue Rezeptideen ein. Hoffentlich habe ich in dem Küchenteam auf Korfu auch die Chance, meine eigenen Visionen zu verfolgen. Hast du inzwischen eigentlich endlich eine Mail bekommen?«
»Das hätte ich dir doch längst gesagt, wenn es so wäre, Malina.«
»Schau doch noch mal im Spam nach«, beharrte sie.
Ich verdrehte die Augen. »Wieso sollte die Mail denn bitte im Spam gelandet sein?«
»Na, daf kann vorkommn«, nuschelte meine Schwester mit vollem Mund.
Ich stellte das Bier und den Teller neben meinem Stuhl im Gras ab und fischte in meiner Handtasche nach meinem Handy. »Du kannst manchmal echt eine Nervensäge sein«, sagte ich mit einem liebevollen Unterton in der Stimme. »Aber bitte, für dein Seelenheil schaue ich auch in meinem Spam-Ordner nach.«
Ich öffnete mein Mailpostfach und wählte den Spam-Ordner aus. Fünfunddreißig Nachrichten. Oh, da hätte ich vielleicht mal aussortieren sollen. Das meiste davon waren Mitteilungen von ominösen – und vermutlich nicht existenten – Paketdiensten, die mir ihren Service anbieten wollten. Alles nur Müll. Ich scrollte gelangweilt durch die Nachrichten und hätte mein Handy fast schon wieder weggepackt, als ich mit meinem Finger bei einer Mail hängen blieb, die vor zwei Stunden eingegangen war. Der Betreff lautete: Ihre Bewerbung als Veranstaltungskauffrau im White Sands Boutique Hotel Corfu.
Mein Finger verharrte über der Nachricht, mein Mund wurde trocken.
»Und?«, fragte Malina. »Kam doch noch etwas?«
»Sieht ganz so aus«, murmelte ich, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen, die Mail zu öffnen. Auf einmal war ich wahnsinnig nervös.
»Nun mach es doch nicht so spannend!«, flehte Malina mich an. »Außerdem bin ich bei dir. Jetzt sag schon, was steht da?«
Ich stieß einen Schwall Luft aus. »Also gut.« Mit fahrigen Händen klickte ich auf die Mail.
Sehr geehrte Frau Breuer,
vielen Dank für Ihre Bewerbung und Ihr Interesse an unserem Haus. Leider haben wir uns nun doch dafür entschieden, die Stelle aufgrund interner Umstrukturierungen vorerst nicht zubesetzen. Bitte entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten.
Ich war allerdings so frei und habe Ihre Bewerbung an unser Hotel auf Santorini weitergegeben. Mit Freude kann ichIhnen mitteilen, dass dort bereits zu Anfang Juli eine Stelle im Veranstaltungsteam frei wird. Bitte beachten Sie daher die unten stehende Mail von Herrn Dimou.
Bei Fragen stehe ich Ihnen jederzeit gern zur Verfügung.
Freundliche Grüße
Elenia Poulos
Personalbereich
White Sands Boutique Hotel Corfu
Ich scrollte etwas weiter nach unten, wo ich den E-Mail-Verkehr zwischen Herrn Dimou und Frau Polous mitverfolgen konnte. Die Nachricht unter der von Frau Polous war von Herrn Dimou und direkt an mich gerichtet.
Sehr geehrte Frau Breuer,
meine Kollegin aus Korfu hat mir Ihre Bewerbungweitergereicht. Da wir für unser Eventteam dringend nach einer Veranstaltungskauffrau suchen, die sich sowohl um Veranstaltungen und Ausflüge für unsere Gäste kümmert als auch sämtliche Events im Hotel koordiniert, würden wir uns sehr freuen, wenn wir Sie zum 2. Juli in unserem Haus auf Santorini begrüßen dürften. Melden Sie sich doch gerneinmal telefonisch bei mir, damit wir alles Weiterebesprechen können. Sie können mich über die untenangegebene Durchwahl persönlich erreichen.
Herzliche Grüße von der Kykladeninsel Santorini
Antonios Dimou
Hoteldirektor
Blue Ocean Boutique Hotel Santorini
Noch immer trommelte mein Herz laut und ungezähmt in meiner Brust. Santorini. Ich schluckte, doch es kam mir so vor, als würde der Kloß in meinem Hals immer größer werden.
»Sie haben mir ein Angebot gemacht …«, setzte ich an, als Malina mir schon ins Wort fiel.
»Waaaah, ich wusste es, o mein Gott, Korfu, wir kommen!«
Ich zwang mich, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. »… für Santorini«, beendete ich meinen Satz leise. »Malina, sie bieten mir eine Stelle auf Santorini an. Nicht auf Korfu. Und es soll schon Anfang Juli losgehen.«
Malina verstummte schlagartig und starrte mich einfach nur an. »Was?«
Stimmen und Gelächter drangen aus dem Hintergrund zu uns herüber, doch das Einzige, das ich wirklich wahrnahm, war mein zentnerschweres Herz in der Brust.
Am nächsten Abend saß ich nach der Arbeit gemeinsam mit Malina auf den Terrassen des Augustiner-Kellers.
»Es geht doch nichts über einen lauen Sommerabend in einem Biergarten in München«, seufzte Malina und lächelte selig. Das Licht war um diese Uhrzeit fast golden und schimmerte wie flüssiger Honig zwischen den dichten Baumkronen der alten Kastanien hindurch. Wir hatten sogar ein wunderschönes Schattenplätzchen erwischt.
Die Münchener Biergärten gehörten im Sommer einfach zum Lebensgefühl. Ich mochte die Atmosphäre sehr. Sie vermittelte mir Heimat und Geborgenheit. Weckte Erinnerungen, die sich wie eine sanfte Umarmung anfühlten. Das hier war … Zuhause.
Eigentlich hätte ich unbeschwert sein sollen, aber da war dieses eine Thema, das wie ein Berg zwischen Malina und mir aufragte. Nachdem ich mich heute Morgen nach einigem Hin und Her doch dazu durchgerungen hatte, mich bei dem Hoteldirektor auf Santorini zu melden, stand meine Gefühlswelt kopf. Und bisher hatte sich noch keine Gelegenheit ergeben, mit Malina oder meinen Eltern darüber zu sprechen.
Ich merkte, wie ich wehmütig wurde.
»Prost«, sagte Malina und hob ihr Glas. »Auf uns.«
Ich tat es ihr gleich. »Prost!«
Anschließend nahm ich einen großen Schluck und genoss es, wie das kühle, herbe Nass auf meiner Zunge schmeckte und meine Kehle hinabrann.
Für einen Augenblick herrschte Stille zwischen uns, die nur von dem Gelächter der Menschen um uns herum durchbrochen wurde. Malina und ich saßen oft beieinander, ohne zu reden. Das war niemals unangenehm, aber gerade wusste ich, dass das Schweigen trügerisch war.
»Ich weiß nicht, ob ich mir das zutraue, allein nach Santorini zu gehen«, gestand ich leise, was mich selbst zornig werden ließ. Früher hatte ich keine Herausforderung gescheut, ich war mutig und selbstbewusst durchs Leben gegangen. Doch als vor knapp fünf Jahren Leon gestorben war … da war auch ein Teil von mir gestorben, und Angst hatte sich in mein Leben geschlichen. Wie ein lästiger Begleiter, der sich nicht abschütteln ließ.
Malina griff über den Tisch hinweg nach meiner Hand. »Jetzt noch mal ganz von vorne: Was genau hat der Hoteldirektor denn zu dir gesagt?«
»Er hat betont, wie sehr er sich freuen würde, wenn ich das Jobangebot annehme. Die Stelle wäre wie bei dir erst mal befristet auf ein halbes Jahr mit Option auf Verlängerung, und ich würde eine Unterkunft im Hotel gestellt bekommen. Bei der Arbeit hätte ich die Chance, eigene Ideen einzubringen und die Events im Hotel mitzugestalten. Ich würde unter anderem die Künstler buchen, Partys planen und so weiter, ähnlich wie hier in München. Hin und wieder kann es vorkommen, dass ich Ausflüge für die Gäste organisiere.«
»Also quasi Partyplanerin und Gästebetreuerin in einem«, fasste Malina zusammen.
Ich faltete meine Hände ineinander. »So in etwa. Offiziell lautet die Stellenbeschreibung Event & Guest Relation Manager. Ich wäre wohl auch dafür verantwortlich, mich um die Ehrengäste im Hotel zu kümmern. Dabei habe ich doch überhaupt keine Ahnung von so etwas. Events organisieren, ja, aber prominente Gäste betreuen …«
Malina zuckte mit den Schultern. »Macht das denn so einen großen Unterschied? Bei deinen Events musst du immerhin auch auf die spezifischen Wünsche der Kunden eingehen, und die können, wie wir beide wissen, manchmal sehr ausgefallen sein. Außerdem hast du Olivia Rodrigo im White Oasis geholfen, ihren Ohrring wiederzufinden.« Malina wackelte vielsagend mit den Brauen.
Ich verdrehte die Augen. »Ich glaub nicht, dass das unter prominente Gästebetreuung fällt …«
Wieder kehrte Stille zwischen uns ein, und ich spielte mit dem Henkel meines Bierkrugs.
»Und was machen wir beide jetzt?«, fragte Malina zaghaft.
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich hab keine Ahnung.«
Allein der Gedanke, dass Malina und ich bald nicht mehr wie gewohnt jeden Tag in unserer WG zusammensitzen würden, bedrückte mich. Und ich wollte keinesfalls, dass Malina aus Sorge um mich auf die Chance und ihren Traum, nach Korfu zu gehen, verzichtete. Sie brannte fürs Kochen, für ferne Länder und neue kulinarische Erfahrungen.
»Du musst die Stelle auf Korfu annehmen«, sagte ich mit Nachdruck. Ich wusste, dass es unfair von mir war, sie in diese Situation zu bringen, wo ich mich doch selbst so querstellte, ebenfalls eine neue Richtung in meinem Leben einzuschlagen. Aber ich würde Malina niemals im Weg stehen.
Sie blickte nachdenklich in ihr Bier. Ihre hellen Haare schimmerten im Licht der Sonne.
Meine Schwester hob ihren Blick und sah mich ernst an. »Und was ist mit dir? Du solltest diese Stelle ebenfalls annehmen. Du hast immer davon geträumt, eines Tages große Events zu organisieren und mehr Verantwortung zu übernehmen.«
»Das kann ich auch hier in München«, murmelte ich.
»Das kannst du nicht miteinander vergleichen«, warf Malina sanft ein.
Sie hatte recht. Auf Santorini würden mich vermutlich ganz andere Events und eine andere Klientel erwarten. Einerseits reizte es mich, über meinen eigenen Tellerrand hier in München zu blicken. Andererseits hatte ich wahnsinnig großen Respekt davor.
Als könnte Malina meine Gedanken lesen, sagte sie: »Es wäre doch auch nicht für immer. Wenn es dir dort nicht gefällt, dann kommst du zurück nach München.«
Nachdenklich grub ich meine Zähne in die Unterlippe.
»Okay, wir spielen Schere, Stein, Papier. Wenn ich gewinne, fliegen wir beide. Und wenn du gewinnst … dann kannst du entscheiden.«
Ich lächelte müde. »Vergiss es. Hast du echt gedacht, darauf falle ich rein? Du gewinnst immer.«
Malina wiegte den Kopf hin und her und grinste frech. »Schade, hätte ja klappen können.«
Da sich allmählich meine Blase zu Wort meldete, deutete ich auf das Lokal. »Bin gleich wieder da.«
Auf dem Rückweg von den Toiletten kam ich an zwei Männern vorbei, die in ein hitziges Gespräch vertieft waren.
»Und, wie fühlt es sich an, wenn man ständig alles von Daddy in den Arsch geschoben bekommt, hm? Biste heute mal ohne Begleitschutz unterwegs? Zu dumm, dass dir dein alter Herr jetzt nicht weiterhelfen kann.«
Ich wollte mich unauffällig an ihnen vorbeimogeln. Solche Auseinandersetzungen waren für mich in München nichts Neues, zumal die zwei Kerle hier wahrscheinlich auch schon einige Maß Bier intus hatten.
Der Größere der beiden begann, den anderen zu schubsen. Der kam mir mit seinen dunkelblonden Haaren irgendwie bekannt vor, aber mir wollte in dem Augenblick nicht einfallen, woher.
Da holte der Blonde auf einmal aus und verpasste dem anderen Kerl einen Kinnhaken.
»Du weißt gar nichts über meinen Vater oder mich, also halt deine verdammte Fresse!«
Dann ging alles plötzlich ganz schnell. Das Sicherheitspersonal des Brauhauses schnappte sich die zwei Kerle, woraufhin eine lautstarke Auseinandersetzung folgte.
Angewidert von der Szene ließ ich mich wieder gegenüber von Malina auf die Sitzbank fallen. Inzwischen waren auch andere Gäste auf das Spektakel aufmerksam geworden.
»Was ist denn da los?«, fragte Malina.
»Keine Ahnung. Sieht nach Balzverhalten aus.«
»Für euch ist hier jetzt Feierabend«, zischte der Wirt. »Ich dulde so etwas in meinem Lokal nicht. Raus hier!«
Als der Braunhaarige in die eine Richtung rauschte, der blonde Kerl mit wutverzerrtem Gesicht an unserem Tisch vorbeilief und sich eine dunkle Sonnenbrille vor die Augen schob, versteifte sich Malina plötzlich. »War … war das nicht Elyas Liebenberger?«
Ach, deshalb war er mir so bekannt vorgekommen! Elyas Liebenberger war Münchens bekanntester Hotelerbe und Junggeselle. In letzter Zeit zierte er aufgrund seiner Eskapaden nicht selten die Seiten der Klatschpresse. Ein paar junge Frauen hielten sofort aufgeregt ihre Handys in die Höhe.
Ich verdrehte die Augen, um deutlich zu machen, was ich von dem Kerl hielt. »Was für ein Lackaffe. Kaum zu glauben, dass der mal auf unsere Schule gegangen ist.«
Malina rutschte derweil unruhig auf der Bank hin und her. »So schlimm ist er bestimmt gar nicht.«
Ich überging Malinas Einwand, da es gerade viel Wichtigeres zu klären galt. Daher atmete ich tief durch und betete, dass ich die Worte, die jeden Moment meinen Mund verlassen würden, nicht binnen weniger Sekunden schon wieder bitter bereute.
Malina starrte diesem Elyas noch immer mit etwas verklärtem Gesichtsausdruck hinterher.
»Okay, wir machen’s. Wir ziehen das durch!«, entschied ich.
Jetzt hatte ich Malina anscheinend völlig aus dem Konzept gebracht, und sie richtete ihre volle Aufmerksamkeit wieder auf mich. »Ähm, was?«
»Wir machen es. Wenn wir das durchziehen, dann wir beide«, bekräftigte ich meine Worte. Da Malina mich immer noch wie das achte Weltwunder anstarrte, deutete ich zunächst auf sie, dann auf mich. »Du Korfu, ich Santorini«, sagte ich langsam und überdeutlich, als wäre Malina etwas schwer von Begriff. »Ehrlich, was hat dieser Elyas, was ich nicht habe?«
»Starke, definierte Oberarme?«, antwortete Malina verschmitzt, bevor sie sich zu mir herüberlehnte und erneut nach meinen Händen griff. »Aber jetzt mal im Ernst: Wir ziehen das tatsächlich durch?«
»Sieht ganz danach aus«, antwortete ich gedehnt, und in meinem Inneren vermengten sich die verschiedensten Gefühle zu einem einzigen großen Knäuel. Angst, Nervosität, Aufregung, aber auch … Neugierde und Stolz.
Kurz vergrub ich mein Gesicht in den Händen und lachte auf. »Ich kann nicht glauben, dass ich das gerade wirklich gesagt habe. Und was werden Ma und Pa dazu sagen?«
»O mein Gott, Toni, das wird einfach der Wahnsinn!«, quietschte Malina, bis ihr ein Gedanke zu kommen schien. »Aber was machen wir mit unserer Wohnung?«
»Wir könnten sie untervermieten«, schlug ich vor. »Was das viel größere Problem ist: Mit wem frühstücke ich denn dann morgens?«
Kurz war da wieder das Gefühl von Wehmut, das sich brennend in meiner Brust einnistete. Auch Malina wirkte auf einmal traurig. Doch schließlich zupfte ein Lächeln an ihren Mundwinkeln.
»Selbst wenn wir dann nicht mehr zusammen frühstücken können … Was hältst du davon, wenn wir beide uns ein anderes tägliches Ritual überlegen?«, überlegte sie, plötzlich Feuer und Flamme. »Eine Tagesaufgabe, wie eine Challenge. Zum Beispiel …« Sie legte den Kopf schief. »Zum Beispiel: Mach ein Foto zum Thema Rot. Und unsere Fotos schicken wir uns dann zu.«
»Mach ein Foto zum Thema Rot?«, wiederholte ich ihre Worte schmunzelnd und nahm noch einen Schluck von meinem Bier.
»Ja, nur als Beispiel«, winkte Malina ab. »Etwas, das uns dazu bringt, der jeweils anderen jeden Tag zumindest eine Nachricht zu schicken.«
»Klingt gut.« Ich nickte gerührt.
Malina lächelte mich an. »Nichts kann uns trennen, nicht mal das Mittelmeer.«
»Nichts«, bestätigte ich ihr und drückte ihre Hände.
Für einen Moment hingen wir beide unseren Gedanken nach.
»Meinst du, das ist er?«, fragte Malina auf einmal.
»Wer ist wer?«, hakte ich irritiert nach, da ich ihr nicht folgen konnte.
»Der Punkt, an dem wir erwachsen werden und Verantwortung für unser Leben und unsere Entscheidungen übernehmen müssen? Ich glaub, ich find Erwachsensein echt scheiße. Mir würd’s auch reichen, weiterhin Küchlein im Sandkasten zu backen.«
Ich grinste. »Nimm’s mir nicht übel, aber nachdem ich schon so viele bemerkenswerte Leckerbissen von dir gegessen habe, möchte ich ungern wieder auf Sandküchlein umsteigen. Die sind mir irgendwie zu … sandig.«
Wir grinsten einander an. Es tat gut, so herumzualbern, denn es nahm ein bisschen die Schwere aus dem Gespräch. Ich wollte nicht weiter darüber nachdenken, was in wenigen Wochen sein würde. Was es bedeutete, München, meine Eltern und Malina zu verlassen.
Ich griff nach meinem Handy. »Also, schicken wir beide unsere Zusage ab?«
Malina nickte und holte ebenfalls ihr Smartphone aus ihrer Tasche. Schweigend öffneten wir jeweils unser Mailprogramm und tippten eine Antwort.
»Bereit?«, fragte ich mit zitternder Stimme.
»Bereit«, antwortete Malina.
»Drei, zwei, eins …«, zählte ich langsam, dann drückten wir in derselben Sekunde auf Senden.
Dreieinhalb Wochen später …
Ich stand mit meinem Koffer, meiner Handtasche und schwerem Herzen am Flughafen von Santorini und wartete auf meinen Fahrer, der mich zum Hotel bringen würde. Der Abschied in München war tränenreich ausgefallen. Meine Eltern und Malina hatten mehrfach betont, wie stolz sie auf mich waren.
Ich hatte die Gelegenheit beim Schopf gepackt und war nach Griechenland geflogen. Auf einmal war es Wirklichkeit und fühlte sich gleichzeitig vollkommen surreal an.
Glücklicherweise hatte mein Chef – beziehungsweise jetzt ehemaliger Chef – mir bei sämtlichen Vorbereitungen und dem Papierkram unter die Arme gegriffen. Meiner Auslandserfahrung auf Santorini stand nun nichts mehr im Wege.
Na ja, außer ich mir selbst vielleicht.
Ich holte mir noch schnell einen Coffee to go, dann trat ich mit meinem Koffer nach draußen.
Ich blickte mich vor dem weiß leuchtenden Flughafengebäude um, aber mein Fahrer war noch nicht zu sehen. Allerdings war ich auch wirklich überpünktlich gelandet, da unsere Maschine mit Rückenwind geflogen war. Ich nutzte die Zeit und schickte eine Nachricht in die Familiengruppe, dass ich gut gelandet war.
Eine leichte Meeresbrise wehte zu mir herüber, und ich spürte den Geschmack von Salz auf der Zunge. Erneut erfasste mich Wehmut, wenngleich aus einem anderen Grund. Das Wasser war einst mein Leben gewesen, meine Leidenschaft. Doch dieser Mensch war ich nicht mehr. Würde sich daran jemals wieder etwas ändern? Ich glaubte es nicht. Hatte ich mir das eigentlich gut überlegt, allein auf eine Insel zu gehen? Eine Insel, die ringsherum von Wasser umgeben war und förmlich nach Baden und Strandurlaub schrie? Gerade zweifelte ich stark an meiner eigenen Courage. Woher war dieser Anfall von Größenwahn nur gekommen? Ach, wäre Malina doch bloß bei mir …
Ich nippte an meinem Kaffee. Er schmeckte gut, aber ich konnte gerade nicht sagen, ob meine innere Unruhe von dem tiefschwarzen Gebräu oder von meiner Aufregung herrührte. Ich strich meine weiße Bluse glatt. Es war mir wichtig, einen guten Eindruck zu machen, wenn ich von einem der Hotelmitarbeiter abgeholt werden würde. Ich mochte den Spruch »Kleider machen Leute« eigentlich nicht sonderlich, trotzdem hatte er einen wahren Kern. Insbesondere in der Hotelbranche war ein tadelloses Äußeres von großer Bedeutung.
Ich nahm noch einen Schluck Kaffee, um meine Nerven zu beruhigen, was angesichts des Koffeins irgendwie auch ein Widerspruch in sich war, als ich unsanft angerempelt wurde und mir der Kaffee über meine blütenweiße Bluse schwappte.
»Verdammt!«, rief ich aus, da ich mich leicht verbrüht hatte und nun ein riesiger Fleck auf meiner Brust prangte. Das durfte doch wohl nicht wahr sein!
Verärgert sah ich mich nach dem Grund für dieses Malheur um und erspähte hinter mir einen jungen Mann, der mit dem Rücken zu mir stand und wild gestikulierend in sein Handy redete. Was er sagte, konnte ich nicht verstehen, aber ich schnappte ein paar italienische Wortfetzen auf. Wieder breitete er seinen Arm aus, und ich konnte gerade noch ausweichen, bevor er mir zum zweiten Mal an diesem Tag eine Kaffeedusche verpasste.
Ich atmete tief ein und aus, bevor mich mein eigenes Temperament übermannte und ich dem Kerl auf die Schulter tippte. Er überragte mich um etwa einen Kopf.
Zunächst tat sich nichts. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und tippte ihm noch mal auf die Schulter, diesmal energischer.
Der Fremde hielt in seinem Gespräch inne, sagte noch ein paar letzte Worte, die nicht sehr nett klangen, und legte auf, bevor er sich mir zuwandte.
Sein Blick glitt an mir hinab, als wäre ich ein lästiges Insekt in seinem Sichtfeld. Er trug ein weißes Hemd, das sehr weit aufgeknöpft war und den Blick auf seinen trainierten Brustkorb freigab, der über und über mit dunklen Tattoos versehen war. Das pechschwarze Haar hatte er nach hinten gegelt, das Gesicht wurde von einer großen Sonnenbrille verdeckt. Eine graue Chinohose, braune Slipper und hängende Kreuzanhänger an den Ohren vollendeten sein Outfit.
»Sì?«, fragte er in gelangweiltem Tonfall.
Ich hätte vor lauter Frust und Wut überschäumen können, ähnlich wie mein Kaffee zuvor.
»Könntest du beim nächsten Mal vielleicht ein bisschen mehr auf deine Umgebung achten?«, fragte ich beherrscht auf Englisch, in der Hoffnung, dass er mich verstand. »Du hast gerade meine frische Bluse ruiniert!« Mit bedeutungsschwerem Blick zeigte ich auf den riesigen Kaffeefleck, der kaum zu übersehen war. Mal ganz davon zu schweigen, dass er an einer wirklich äußerst ungünstigen Stelle saß.
Der Kerl folgte meinem Zeigefinger und starrte auf meine Brust. »Was kann ich denn dafür, dass du deinen Kaffee nicht richtig trinken kannst? Ist das jetzt die neueste Masche? Ich hab ja schon viele Anmachsprüche gehört, aber so etwas ist mir tatsächlich noch nicht passiert.«
Ich wusste nicht, was ich mir von diesem Gespräch erwartet hatte, aber zumindest nicht das. Für ein paar Sekunden fehlten mir die Worte. Was zum Teufel faselte der Kerl da eigentlich? Masche? Anmachspruch? In mir erwachte die Wut, und ich hatte Mühe, sie in Zaum zu halten.
Der Kerl schob seine verspiegelte Sonnenbrille runter auf die Nasenspitze und schaute mich aus tiefdunklen, kajalumrandeten Augen an. »Hör mal, wir können das Ganze bestimmt mit einem Autogramm und einem Selfie klären, und dann dampfst du ab, okay? Ich hätte jetzt gern ein bisschen Me-Time, wenn du verstehst.«
Nee, ich verstand gar nichts mehr. Stattdessen starrte ich den Kerl wie vom Donner gerührt an. Hatte der irgendwelche Pillen eingeworfen?
Ich baute mich mit meinen zierlichen ein Meter fünfundsechzig bedrohlich vor ihm auf. Na ja, so bedrohlich man mit der Größe eben wirken konnte.
»Ich hab auch schon viel erlebt«, griff ich seine Worte auf, »aber so viel Arroganz ist mir tatsächlich noch nicht untergekommen.«
In diesem Moment trippelte ein völlig überfordert aussehender Mann auf uns zu, beladen mit einem überdimensionalen Koffer und drei Handtaschen, die er irgendwie zu halten versuchte. Außer Atem blieb er vor uns stehen und ließ seinen Blick hin- und hergleiten.
Inzwischen hatte sich der Sonnenbrillen-Fuzzi sein Gestell wieder zurück auf die Nase geschoben. Er seufzte genervt. Dann sagte er irgendetwas auf Italienisch. Der Koffer-Kerl hieß offenbar Paolo, mehr verstand ich jedoch nicht. Aber dem Blick nach zu urteilen, den dieser Paolo mir zuwarf, schien der Sonnenbrillen-Fuzzi irgendetwas über mich gesagt zu haben.
Ich stand da wie bestellt und nicht abgeholt. Zumal ich mir gerade wie ein bissiger kleiner Terrier vorkam, der krampfhaft am Bein hochzuspringen versuchte, jedoch immer wieder abgeschüttelt wurde.
»Ähm, hallo? Ich bin auch noch da?«, rief ich mich in Erinnerung.
Im nächsten Moment zückte Paolo seine Brieftasche und drückte mir einen Fünfzig-Euro-Schein in die Hand. Ich betrachtete das Papier, als wäre es Hundescheiße.
»Scusi«, sagte er.
»Was soll ich damit?«, fragte ich verstört.
»Damit kannst du die Reinigung für die Bluse bezahlen. Oder viel besser noch, kauf dir einfach eine neue«, wandte sich der arrogante Kerl wieder an mich. Ausgerechnet in diesem Augenblick fiel mir auf, wie stark sein Akzent war, wenn er Englisch redete.
Was bildete der Typ sich eigentlich ein? Was dachte er, wer er war? Ein verdammtes Supermodel, dem ich die Füße küssen sollte?
Ich hätte gern noch etwas äußerst Unfreundliches, wenn nicht gar Beleidigendes hinterhergesetzt, doch ich bekam nicht einmal mehr die Chance, da er mich einfach stehen ließ.
»Paolo!«, bellte er, woraufhin dieser zusammenzuckte. Leben kam in den kleinen, gestresst wirkenden Mann – welche Funktion hatte er überhaupt? Er machte noch eine zutiefst bedauernde Bewegung mit den Schultern, dann eilte er seinem »Herrchen« hinterher. Keine Ahnung, warum ausgerechnet dieses Bild in meinem Kopf erschien, aber eigentlich hätte nur noch ein Chihuahua in diesem Szenario gefehlt.
War das gerade ernsthaft passiert? In was für einem schrägen Film war ich hier gelandet?
Ich konnte nicht sagen, wann ich mich das letzte Mal so schäbig und gedemütigt gefühlt hatte. War es das, was Malina mir kurz vor meinem Abflug noch mit auf den Weg gegeben hatte? Dass Santorini nun mal als Insel der Reichen und Schönen galt? Sie hatte oberflächlich vergessen.
Ich sah nur noch, wie der Kerl und Paolo in einem schwarzen Van verschwanden, der schließlich davonbrauste. Mann, wieso war mir nicht noch ein saftiger Konter eingefallen? Gerade ärgerte ich mich ungemein darüber, dass ich mich von diesem Großmaul so hatte vorführen lassen. Unwirsch stopfte ich die fünfzig Euro in mein Portemonnaie.
Mein Puls raste immer noch, als ein Wagen mit der Aufschrift Blue Ocean vorfuhr und langsam vor dem Flughafengebäude zum Stehen kam. Im nächsten Moment stieg eine rothaarige Frau in etwa meinem Alter aus, die ihren Blick suchend über das Gelände schweifen ließ.
Ob das meine Mitfahrgelegenheit war?
Ich straffte die Schultern. Mit möglichst selbstbewusstem Gang schritt ich auf das Auto zu, als sich das Gesicht der Rothaarigen auch schon erhellte. Sie kam mir ein paar Schritte entgegen.