Das geteilte Erbe - Gabriela Stein - E-Book

Das geteilte Erbe E-Book

Gabriela Stein

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "Fürstenkrone" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. Der Morgen stieg sanft über einen Landstrich empor, der zeitlos friedlich und traumschön sich dehnte bis hin zu den Ausläufern der Alpen. Ein Golfball durchschnitt wie ein Geschoss die frühmorgendliche Unberührtheit, übersprang die undurchsichtige Nebelsenke und traf punktgenau das anvisierte Wiesenstück dahinter. Einschätzung und Berechnung waren in diesem Sport alles, das wusste der Golf-Profi Alexander von Kaldern. Nicht von ungefähr hatten ständiges Bemühen und sportlicher Ehrgeiz ihn zum Weltklassespieler aufsteigen lassen. Und während die Sonne nun über den Bergrücken kam, ihr Licht heller wurde und die Nebelbank von ihren Strahlen aufgesogen wurde, streifte der frühmorgendliche Spieler automatisch die Erdkrumen von dem blanken Metall seines Schlägers und machte sich auf den Weg, dem Ball zu folgen. Seit nunmehr acht Tagen versuchte er sich auf diese Weise in Form zu halten. Dabei war das Gelände alles andere als ideal. Naturbelassen eben und wenig geschönt. Sein nächstes Turnier bestritt er in Schottland, im Mutterland des Golfspiels – und es war ein wichtiges, hochdotiertes Turnier. Seine Teilnahme war dem Veranstalter bindend zugesagt. An diesem Punkt seiner Gedanken spannte sich das hagere, wetterbraune Sportlergesicht. Ohnmächtig musste er sich eingestehen, dass das Bemühen, in Form zu bleiben, hier ins Leere lief. Seine weltweiten Trainingsplätze waren sonst vom Feinsten. Penibel gepflegte Anlagen mit ausgesuchten Schwierigkeitsgraden. Aber die Situation hielt ihn hier fest! Zwang ihn unter ein Diktat, welches er so schnell wie möglich abschütteln wollte. Mit kraftvollen Schritten durchlief er die Senke, sprang über einen naturbelassenen Bach – und stieg auf der anderen Seite den Hang wieder hinauf. Den Golfschläger trug er dabei wie ein Gewehr über der Schulter. Alexander von Kaldern stieg den Hang nun weiter hinauf, bis er eine Art Plateau erreichte. Eine Ebene, die sich überraschend weit dehnte und die Träume des leidenschaftlichen Golfspielers neu belebte.

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Fürstenkrone – 214 –

Das geteilte Erbe

Zwei Kampfhähne müssen sich auf Schöneich arrangieren …

Gabriela Stein

Der Morgen stieg sanft über einen Landstrich empor, der zeitlos friedlich und traumschön sich dehnte bis hin zu den Ausläufern der Alpen.

Ein Golfball durchschnitt wie ein Geschoss die frühmorgendliche Unberührtheit, übersprang die undurchsichtige Nebelsenke und traf punktgenau das anvisierte Wiesenstück dahinter.

Einschätzung und Berechnung waren in diesem Sport alles, das wusste der Golf-Profi Alexander von Kaldern. Nicht von ungefähr hatten ständiges Bemühen und sportlicher Ehrgeiz ihn zum Weltklassespieler aufsteigen lassen.

Und während die Sonne nun über den Bergrücken kam, ihr Licht heller wurde und die Nebelbank von ihren Strahlen aufgesogen wurde, streifte der frühmorgendliche Spieler automatisch die Erdkrumen von dem blanken Metall seines Schlägers und machte sich auf den Weg, dem Ball zu folgen.

Seit nunmehr acht Tagen versuchte er sich auf diese Weise in Form zu halten. Dabei war das Gelände alles andere als ideal. Naturbelassen eben und wenig geschönt.

Sein nächstes Turnier bestritt er in Schottland, im Mutterland des Golfspiels – und es war ein wichtiges, hochdotiertes Turnier. Seine Teilnahme war dem Veranstalter bindend zugesagt.

An diesem Punkt seiner Gedanken spannte sich das hagere, wetterbraune Sportlergesicht. Ohnmächtig musste er sich eingestehen, dass das Bemühen, in Form zu bleiben, hier ins Leere lief. Seine weltweiten Trainingsplätze waren sonst vom Feinsten. Penibel gepflegte Anlagen mit ausgesuchten Schwierigkeitsgraden.

Aber die Situation hielt ihn hier fest! Zwang ihn unter ein Diktat, welches er so schnell wie möglich abschütteln wollte.

Mit kraftvollen Schritten durchlief er die Senke, sprang über einen naturbelassenen Bach – und stieg auf der anderen Seite den Hang wieder hinauf.

Den Golfschläger trug er dabei wie ein Gewehr über der Schulter.

Alexander von Kaldern stieg den Hang nun weiter hinauf, bis er eine Art Plateau erreichte. Eine Ebene, die sich überraschend weit dehnte und die Träume des leidenschaftlichen Golfspielers neu belebte.

Ja, aus dem Gelände würde sich etwas machen lassen!

Mit einer gewissen Genugtuung dachte er das, während er den Blick schweifen ließ, und er dachte es mit einem Gefühl der Freiheit.

Eine exklusive Golfanlage schwebte ihm vor, eine, die sich weltweit mit den Topplätzen dieser Welt würde messen lassen können.

Jetzt, da er das Sagen hatte, stand diesen Plänen nichts mehr im Wege. Keine Vorschläge mehr, die ins Leere liefen – und keine Bitten, deren abschlägige Bescheide ihn stets verletzend getroffen hatten.

Er war endlich ein freier Mann!

Und doch! Die letzte Bestätigung hierzu hielt er noch nicht in seinen Händen. Eine Tatsache, welche ihn das Gefühl der Freiheit nicht so ganz auskosten ließ, ihn mit letzter Unsicherheit erfüllte.

Aber – was konnte laut Familiengesetz noch schiefgehen? Er war der rechtmäßige Erbe von Besitz und Titel. Daran würde auch die verstorbene Tante in ihrem Testament nichts geändert haben. Denn trotz aller Vorbehalte gegenüber seinem Leben und Tun blieb er der einzige Blutsverwandte der Dahingeschiedenen.

Nach dieser nüchternen Betrachtung seiner Situation hob sich seine Laune wieder, und er schritt bis in die Mitte des Plateaus. Dorthin, wo seitlich der Wald zurückwich und den Blick freigab auf das malerische Jagdschloss »Schöneich« – auf sein Schloss!

Flankiert von beeindruckenden Waldgebieten lag es da, das Schloss seiner Vorfahren, der Grafen von Kaldern. Seit Jahrhunderten im Familienbesitz, strahlte es eine unangreifbare Beständigkeit aus. Eine Erhabenheit, welche modischen Einflüssen stets widerstanden hatte.

»Auch das wird sich ändern, du unschöner Klotz!«, murmelte Alexander von Kaldern. »Wir werden ein exklusives Golfhotel aus dir machen! Wir werden deine ruppigen Wiesenflächen kultivieren und deinen finsteren Lebensnerv, den Wald, zurückdrängen. Ja, wir werden im großen Stil Flächen begradigen und umgestalten, um am Ende ein Golfgelände ohne Beispiel entstehen zu lassen.«

Regungslos stand er da, der hochgewachsene Graf und Nachfahre eines soliden Geschlechts, welches stets von der Holzwirtschaft gelebt hatte. Das Werden und Wachsen der Natur voller Respekt sehend – und nie die Zukunft außer Acht lassend.

Verantwortung lag in diesem Denken und Umsicht für die nächste Generation. Er, als Nachkomme, akzeptierte das ungeschriebene Gesetz dieser alten Familie bis zu einem gewissen Punkt. Nur da, wo die Pflichten kein Ende nahmen, da würde er die Regeln durchbrechen.

Noch immer hielt er den Golfschläger über der Schulter und sah zur Hausfahne hinauf, die auf dem stolzen First gehisst war.

Still hing sie, das farbige Wappen der Grafen von Kaldern nicht sichtbar, und sie hing auf halbmast. Im Angedenken an den Tod seiner Tante, der Gräfin Juliane von Kaldern, deren rechtmäßiger Erbe er war.

Alexanders durchtrainierter Körper streckte sich noch einmal und machte dadurch deutlich, dass nicht Trauer ihn erfüllte, sondern eine Art Erleichterung.

Nein, sie hatten einander nicht gemocht und auch nicht sonderlich geschätzt, seine Erbtante und er. Was sie aber über den Tod hinaus miteinander verband, war die Verpflichtung gegenüber dem Erbe und Namen.

Aus dieser Verantwortung entließen alte Familiengesetze keinen von ihnen. Die herrische Tante, welche ihre Bäume stets mehr geschätzt hatte als jeden Menschen, sie hatte diese Gesetze pflichtbewusster befolgt als jedes Familienmitglied vor ihr.

Kraftquell und Erfüllung waren sie ihr gewesen, die weiten Hochwälder. Das immerwährende Bemühen um sie der einzige Sinn ihres Lebens.

Arme Tante!, dachte der still Dastehende. Du hast keine Liebe gekannt und keine Freunde. Du konntest mich, deinen Neffen, nicht verstehen – und ich dich nicht! Für dich war ich lediglich der Spieler, verächtlich gedacht und auch gezeigt. Selbst ein brav abgeleistetes Studium der Forstwirtschaft hat daran nichts geändert. Nein, verehrte Tante, du wusstest nicht, was Leidenschaft ist. Daran haben auch die stolzen Siegprämien, die ich erhielt, nichts ändern können. In deinen Augen waren sie kein solide erarbeitetes Geld …

Immer noch sah er auf die Fahne, jetzt ein wenig ärgerlich. Wie lange sollte sie noch auf halbmast stehen? Musste er erst als Erbe ausgerufen werden?

Mit kraftvollen Schritten ging er jetzt auf das Schloss zu. Die Warterei musste ein Ende nehmen! Seit wann blockierte das Fernbleiben einer Angestellten eine Testamentseröffnung?

Die Tante war seit Tagen beerdigt. Aber gemäß ihrer Verfügung musste bei diesem Akt ihre langjährige Mitarbeiterin Isabella di Campa zugegen sein.

Diese Dame aber, schmucklos wie die Tante, nur wesentlich jünger, befand sich im Urlaub und war bis heute nicht zu erreichen gewesen.

Das stolze Männergesicht verhärtete sich erneut. Ohnmächtig musste er, der Erbe, sich in Geduld fassen und das Erscheinen dieser Dame abwarten. Dass ihm darüber vielleicht ein wichtiges Turnier verloren ging, wen interessierte das hier schon?

»Nichts als Schikane«, murmelte er. Als Erstes würde er jetzt die Fahne, dieses sichtbare Zeichen eines Trauerfalls, in ihre normale Position zurückziehen. Hieß es nicht: Der König ist tot, es lebe der König? Und um das zu unterstreichen, legte er sich den Ball vor und fixierte das stolze Schloss mit seiner Trauerbeflaggung.

Der Schläger traf die kleine weiße Kugel mit Wucht – und der Spieler sah ihr nach mit gewohnt scharfem Blick. Sein Ziel fest im Auge, würde ihn nichts aufhalten. Zumindest das hatte der Sport ihn gelehrt.

*

Isabella di Campa verhielt noch einmal den Schritt, bevor sie den Torbogen des ländlichen Anwesens passierte, vor dem ihr Wagen parkte.

»Und du bist dir sicher, Papa, dass du allein zurechtkommen wirst?«, fragte sie besorgt und betrachtete das zerfurchte Gesicht ihres Vaters mit ernsten Blicken.

»Aber ja, mein Kind, nun fahr schon, die Gräfin wird bereits ungeduldig auf dich warten. Ich habe hier Sophia und Tomaso. Sie werden auf mich achtgeben.« Seine dunklen Augen schauten voller Zuversicht.

Die junge Frau mit dem langen braunen Haar und der graziösen Figur war sich unschlüssig. Zwar wirkte ihr Vater jetzt wieder so knorrig wie die alte Korkeiche im malerischen Hof, aber besaß er auch deren Lebenserwartung?

Sein schlimmer Herzanfall hatte sie vor acht Tagen voller Angst um ihn ins Tessin fahren lassen. Ein Entschluss, welcher der ichbezogenen Gräfin auf Schloss Schöneich so gar nicht gefallen hatte.

»Für solche Fälle gibt es Ärzte, meine Liebe, was wollen Sie also dort?«, hatte sie in ihrer pragmatischen Art wissen wollen. Und: »War er nicht schon immer herzkrank?«

Zögernd hatte Isabella das bestätigt und damit das knappe »Na, also« Juliane von Kalderns herausgefordert.

Nur diesmal hatte sie sich dem kühlen Diktat ihrer Chefin nicht gebeugt, welche ihre Angestellten stets wie Leibeigene zu behandeln pflegte – und war noch am Abend trotz deren Protestes losgefahren.

Seitdem herrschte Funkstille zwischen ihr und dem Schloss. Isabella selbst hatte sich davor gehütet, den Kontakt von sich aus wieder aufzunehmen. Denn zweifelsohne hätte er den kühlen Befehl der Gräfin zur Folge gehabt, doch unverzüglich an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Menschliche Nöte lagen nun einmal außerhalb des Verständnisses der alten Dame.

Jetzt, da es ihrem Vater wieder besser ging, kehrten Isabellas Gedanken zunehmend zu ihrem Verantwortungsbereich auf Schloss Schöneich zurück. Immerhin war sie die rechte Hand der Gräfin – immer zur Stelle und immer erreichbar. So war auch an allen Tagen ihrer Abwesenheit ihr Handy eingeschaltet gewesen – ohne dass aber ein Anruf vom Schloss sie erreicht hätte.

Sollte sie ihre Rückkehr ankündigen? Nein, entschied sie dann. Wozu sich Vorhaltungen schon jetzt anhören müssen. Diese würden spätestens mit ihrem Eintreffen auf sie zukommen.

»Weißt du, Papa, der Gräfin ging es in letzter Zeit ebenfalls nicht besonders gut. Ich denke, ihr macht zunehmend die Situation zu schaffen, das Erbe einmal nicht in wirklich fähige Hände übergeben zu können.«

Der alte Herr nickte dazu, das graue Haupt schwer bewegend. Er kannte die Geschichte um den Neffen der Gräfin, einem erfolgreichen Golfspieler.

»Ja, es ist schlimm, wenn man das eigene Pflichtgefühl nicht weitervermitteln kann. Für gewöhnlich tragen ja die Mitglieder alter Adelshäuser diese Verantwortung in sich«, überlegte er.

Sein eigenes kleines ländliches Anwesen im sonnigen Tessin war gewiss nicht mit dem großen Forstbesitz der Grafen von Kaldern in Bayern zu vergleichen – und dennoch war es ihm stets Verpflichtung gewesen.

Außerdem hatte er auf ihm zumindest so viel erwirtschaftet, dass ein Studium der Betriebswirtschaft für seine Tochter dabei herausgekommen war, welches sie mit Erfolg anwendete, denn wie es schien, hielt die bayrische Gräfin große Stücke auf sie. Ein Profi im Holzgeschäft war sie geworden, in einem männlich-dominierten Geschäft, in dem das Wort Eitelkeit unbekannt war – was sich leider auf Isabellas schöne Weiblichkeit auswirkte.

Und während seine Blicke über ihre wenig attraktive Kleidung glitten, sagte er: »Wir hätten dir etwas Schönes kaufen sollen, weißt du …«

Seine Tochter lachte, an ihrer schmucklosen Kleidung herabsehend. »Es ist praktisch so, Papa, und den Bäumen ist’s egal.«

»Und die Gräfin – läuft sie auch so herum?«, fragte er zweifelnd.

Seine Tochter nickte. »Von ihr hab ich diesen Stil ja übernommen.«

»Du wirst auf diese Weise keinen Mann begeistern können«, meinte der alte Herr, der insgeheim von Enkeln träumte, wie jeder betagte Vater.

Isabella lachte nun wie über einen guten Witz. »Wer sagt denn, dass ich das möchte, Papa?«

»Aber Kind!«, rief er, sichtlich erschrocken. »Du willst doch nicht dein junges Leben nur unter Bäumen vertun?«

»Und warum nicht? Du ahnst nicht, wie wundervoll deren Gesellschaft ist.«

»Bis sie abgeholzt werden – und dann?«

»Es wachsen immer neue nach …« Ihr Lächeln verhieß Zuversicht, als sie ihn liebevoll umarmte. »Ich muss los, Papa. Grüß noch einmal Sophia und Tomaso von mir, deine treuen alten Gefährten.«

Der alte Herr nickte dazu und unterdrückte den Abschiedsschmerz. Gleich darauf verließ ihr Wagen das romantische alte Anwesen am Luganer See und strebte jenem Ziel zu, welches ihr heute mehr Heimat war als der zauberhafte Landstrich, in dem sie das Licht der Welt erblickt hatte.

Warum war das so? Wer tauschte schon das wundervoll milde Klima des Tessin gegen die rauen Einflüsse aus dem Norden ein? Oder war es dieses Schloss, welches all ihre Gefühle auf sich zog? Dessen Herrin war es jedenfalls nicht. Einen Menschen wie Gräfin Juliane achtete man, aber man liebte ihn nicht.

Zwar verdankte sie der alten Dame unendlich viel Wissen, aber ein wenig mehr menschliche Zuwendung wäre schön gewesen.

Die Fahrt über die Alpen war lang und ließ automatisch viel Spielraum für Gedanken zu. Wie würde es einmal weitergehen auf dem Besitz, wenn die Verantwortung auf den Neffen der Gräfin überging?

Der Neffe, dieser große, blendend aussehende Mann, der aber wenig Interesse an der Holzwirtschaft bekundete. Oder ging er lediglich seiner herrischen Tante aus dem Weg?

Doch auch ihm fehlte jeder liebenswerte Zug, dachte Isabella, und ihre Mundwinkel bogen sich nach unten. Arrogant kam er daher, beachtete die Menschen auf dem Schloss kaum – und sie, Isabella, schon gar nicht.

Unwillkürlich veränderte sich ihr hübsches, natürliches Gesicht mit den dunklen Augen. Es zeigte eine gewisse Ratlosigkeit.

Nein, die adlige Herrschaft auf Schloss Schöneich war alles andere als liebenswert. War das nun ein ­Wesenszug, der genetisch bedingt war?

In Gedanken ging Isabella die Reihe der zahlreichen Porträts auf den Gängen und Fluren, in den Salons und Festsälen durch. Glanzvolle Persönlichkeiten waren darunter, die jenen Genießer-Carme verströmten, welcher der aktuellen Herrschaft fehlte.

Gewiss, der heutigen Herrin auf dem Besitz hatte das Leben arg mitgespielt. Selbst kinderlos geblieben, hatte Gräfin Juliane auch ihren Mann noch früh verloren. Jahrzehnte war das her, und pflichtbewusst hatte sie die Verantwortung für das traditionsreiche, mächtige Geschlecht der Grafen von Kaldern auf die eigenen mageren Schultern geladen.

Aber da war die Sorge der Übergabe an die nächste Generation – und damit die Sicherung eines Erbes, welches eine starke Hand brauchte.

Ein Neffe hatte sich gefunden. Groß und stolz gewachsen, dazu intelligent und tüchtig. Ein Repräsentant, wie er wünschenswerter nicht sein konnte.

Bis jener Alexander von Kaldern die Leidenschaft für eine Sportart entdeckt hatte, welche in den Augen seiner Tante für den Müßiggang schlechthin stand: das Golfspiel!

Und an diese Sportart hatte sie ihn verloren. Schon bald war er zum Profi-Spieler aufgestiegen. Die Siege hoch prämiert, war er finanziell ein gemachter Mann – auch ohne Grund und Boden.

Ein Mann, der die langsam wachsenden Bäume im gräflichen Forst nicht zu seinem Lebensunterhalt benötigte. Das mühsame Geschäft der Aufzucht und Pflege sah er ebenso kritisch wie den späteren Einschlag. All das interessierte ihn nicht, das Leben ließ sich leichter bestehen. Zwar hatte er das Fach einmal studiert, aber seinen Lebensinhalt sah er nicht darin.

»Arme reiche Gräfin«, murmelte Isabella hinter dem Steuer ihres Wagens, während sie über Pässe und durch Täler fuhr – und sie verspürte Mitleid.

Isabella di Campa dachte viel auf dieser langen Fahrt. Und sie dachte im Interesse des Hauses Kaldern. Nach nur wenigen Jahren dort fühlte sie sich mit dem Besitz bereits so verwachsen, als hätte sie ihr ganzes bisheriges Leben dort verbracht.

Dominanz und Schönheit der Anlage nahmen sie dabei ebenso gefangen wie ihre eigene Aufgabe, die Forstverwaltung.

Meine geliebten Bäume, dachte sie, ihr stolzen dunklen Riesen!

Die Gedanken an ihre Schützlinge zauberten stets ein Lächeln auf ihr Gesicht, welches sonst so ernst war. Ein Lächeln, welches ihr die Gräfin, falls sie dessen ansichtig wurde, stets mit nüchterner Strenge zu nehmen versuchte.

»Der Wald ist keine romantische Einrichtung, mein Kind«, pflegte sie dann erzieherisch zu sagen, »er ist ebenso ein Geschäft, wie für den Menschen fast alles ein Geschäft ist.«