In deinen Armen tanz ich ins Glück - Gabriela Stein - E-Book

In deinen Armen tanz ich ins Glück E-Book

Gabriela Stein

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Beschreibung

Nun gibt es eine exklusive Sonderausgabe – Fürstenkrone Classic In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. Charles Gilbert schaute auf die Uhr, streifte dabei die zartgrauen Handschuhe aus feinstem Leder über und griff nach der korrekten Mütze auf dem Beifahrersitz. Gleich achtzehn Uhr und somit Zeit, die Limousine zu verlassen, um den Fahrgast zu erwarten. Pünktlichkeit war nicht nur die Höflichkeit der Könige, nein, auch für ihn war diese Regel oberstes Gebot. So stand er dann, makellos gekleidet, graumeliert und beherrschten Gesichts neben dem eleganten Fahrzeug, den Blick prüfend über dessen glänzende Fläche gleitend lassend. Ein Stäubchen irgendwo? Ein unattraktiver Fleck oder gar ein Spritzer, welcher den verwöhnten Herrschaften ins Auge stechen konnte? Die VIPs waren zwar unterschiedlich anspruchsvoll, aber es war schon so – für viel Geld durfte auch große Leistung erwartet werden. Er, Charles Gilbert, der Chauffeur feiner Leute – oder auch nur von Leuten, die Geld hatten, kannte sich nach langen Berufsjahren da bestens aus. Langsam schritt er noch einmal um die teure Limousine herum, tupfte dabei doch noch ein Stäubchen auf – und behielt doch unverändert die Tür des »Adlon« im Auge, Berlins feine Adresse für Reisende. Und wie erwartet, erschien pünktlich auf die Minute der Fahrgast. Zeit, die Fondtür zu öffnen und dann abwartend stehen zu bleiben. Den ganzen Tag über hatte er den französischen Grafen, den Marquis Frédéric de Brion, von Termin zu Termin gefahren, darunter auch zu einer namhaften Anwaltskanzlei – und doch kaum einige Worte mit ihm gewechselt. Aber bei Geschäftsreisenden war das nicht selten so. Sie stiegen ein und vergruben sich sogleich wieder in ihre Geschäftsunterlagen. Im Fond sitzend und relativ ungestört, galt kein Blick ihrer Umgebung – und schon gar nicht dem Menschen, welcher in diesem Räderwerk der Betriebsamkeit die Dienstleistung des Fahrens übernahm. Das hatte keineswegs mit Mißachtung oder Ignoranz zu tun, glaubte Charles Gilbert zu wissen, sondern eher mit der Überzeugung, daß Zeit mit Geld gleichzusetzen war. Und welcher Geschäftsmann hatte davon schon zu verschenken? Schade, dachte der erfahrene Menschenkenner dennoch. Hätte er doch gerade bei diesem Fahrgast mit seinem Französisch brillieren können.

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Fürstenkrone Classic – 32 –

In deinen Armen tanz ich ins Glück

Wie Giselle dem Marquis de Brion begegnete

Gabriela Stein

Charles Gilbert schaute auf die Uhr, streifte dabei die zartgrauen Handschuhe aus feinstem Leder über und griff nach der korrekten Mütze auf dem Beifahrersitz.

Gleich achtzehn Uhr und somit Zeit, die Limousine zu verlassen, um den Fahrgast zu erwarten. Pünktlichkeit war nicht nur die Höflichkeit der Könige, nein, auch für ihn war diese Regel oberstes Gebot.

So stand er dann, makellos gekleidet, graumeliert und beherrschten Gesichts neben dem eleganten Fahrzeug, den Blick prüfend über dessen glänzende Fläche gleitend lassend.

Ein Stäubchen irgendwo? Ein unattraktiver Fleck oder gar ein Spritzer, welcher den verwöhnten Herrschaften ins Auge stechen konnte? Die VIPs waren zwar unterschiedlich anspruchsvoll, aber es war schon so – für viel Geld durfte auch große Leistung erwartet werden.

Er, Charles Gilbert, der Chauffeur feiner Leute – oder auch nur von Leuten, die Geld hatten, kannte sich nach langen Berufsjahren da bestens aus.

Langsam schritt er noch einmal um die teure Limousine herum, tupfte dabei doch noch ein Stäubchen auf – und behielt doch unverändert die Tür des »Adlon« im Auge, Berlins feine Adresse für Reisende.

Und wie erwartet, erschien pünktlich auf die Minute der Fahrgast. Zeit, die Fondtür zu öffnen und dann abwartend stehen zu bleiben.

Den ganzen Tag über hatte er den französischen Grafen, den Marquis Frédéric de Brion, von Termin zu Termin gefahren, darunter auch zu einer namhaften Anwaltskanzlei – und doch kaum einige Worte mit ihm gewechselt.

Aber bei Geschäftsreisenden war das nicht selten so. Sie stiegen ein und vergruben sich sogleich wieder in ihre Geschäftsunterlagen. Im Fond sitzend und relativ ungestört, galt kein Blick ihrer Umgebung – und schon gar nicht dem Menschen, welcher in diesem Räderwerk der Betriebsamkeit die Dienstleistung des Fahrens übernahm.

Das hatte keineswegs mit Mißachtung oder Ignoranz zu tun, glaubte Charles Gilbert zu wissen, sondern eher mit der Überzeugung, daß Zeit mit Geld gleichzusetzen war. Und welcher Geschäftsmann hatte davon schon zu verschenken?

Schade, dachte der erfahrene Menschenkenner dennoch. Hätte er doch gerade bei diesem Fahrgast mit seinem Französisch brillieren können. Denn wie dieser war Charles französischer Abstammung, und die elegante Sprache wurde in seiner Familie über Generationen hinweg hochgehalten, wenngleich er heute ›berlinern‹ konnte wie ein alter Preuße.

Aber das hugenottische Vermächtnis saß tief in ihm, und wurde gepflegt bis zum heutigen Tag.

»Palais Winterfeld, Monsieur?«, fragte Charles freundlich, als der elegante, hochgewachsene Graf herangekommen war.

Ein verbindliches Nicken, dann schloß sich hinter dem Fahrgast die Tür – und wenig später glitt die dunkle Limousine in den frühen Abend hinaus. Charles Gilbert war ein sicherer Fahrer, der sein Handwerk souverän beherrschte. Erfahrung floß ein in die Handhabung des Gefährts und ein gewisser Instinkt, auch kritische Situationen zu meistern.

Diskret blickte Charles Gilbert in den Rückspiegel. Was er sah, war bemerkenswert: Der Graf war ein blendend aussehender Mann, bestechend in Ausstrahlung und Wirkung.

Weltläufigkeit kam herüber und eine sichtbare innere Unabhängigkeit. Vielleicht ein wenig zu smart, zu kühl, befand der stille Beobachter. Aber war nicht gerade dies die Maske vieler Geschäftsreisender, welche sich nicht gleich in die Karten blicken lassen wollten?

Palais Winterfeld also! Wie es hieß, stand das historische Stadtschloß zum Verkauf. Gelegen in einer sehr feinen Gegend und voll morbiden Charmes, suchte es einen neuen Besitzer. Ein städtisches Kleinod, geschichtlich tief verwurzelt im Herzen Berlins und mit vergangenem preußischem Glanz belegt.

Wie es weiter hieß, erfolgte der Verkauf durch die jetzigen Besitzer nicht freiwillig. Familie Winterfeld sollte finanziell am Ende sein. Aber erging es nicht vielen alten Familien so? Besitz schuf nicht nur Sicherheit, es kostete auch.

In der Lobby des »Adlon« hatte Charles diese Nachricht aufgeschnappt. Eine Sensation, wenn man ein Gefühl für Historie besaß.

Ein französischer Graf und ein preußisches Barockschloß? Nun ja, Charles Gilbert besaß Vorstellungskraft, und er besaß den wachen Blick für fällige Veränderungen. Das Leben war ein einziger Wandel und nichts für die Ewigkeit geplant.

Und doch! Wie mußte eine alte Familie sich fühlen, wenn man ihr die eigene Geschichte unter den Füßen wegzog? Und wie mußte dies gerade einen alten Herrn treffen, der diese Tatsache am Ende seiner Tage verarbeiten mußte? Keine Anerkennung von Lebensleistung, sondern im Gegenteil das Wissen, das Ziel nicht erreicht zu haben, im Gegensatz zu all den Generationen vor ihm.

Aber wenn dem schon so war, mußte man dann nicht erleichtert sein, daß ein anderer sich fand, der zwar nicht das Geschlecht, aber immerhin die Immobilie rettete? Ein elegantes Gebäude, gesegnet mit der Kunst vergangener Jahrhunderte.

Ein erneuter Blick traf den französischen Adligen im Fond der Limousine.

Was mochte dieser Monsieur vorhaben mit dem alten und einmal glanzvollen Besitz, wenn er ihn denn gekauft hatte? Sein Titel paßte gewiß in dieses Haus, aber paßte auch der kühle, nüchterne Geschäftsmann heutiger Zeit in diese Welt von gestern, die das Haus verkörperte?

Sanft ließ Charles Gilbert die elegante Limousine nach etwa zwanzig Minuten Fahrt vor dem Portal des Stadtschlosses auslaufen, wandte nur unwesentlich den Kopf Richtung Fond, um zu melden: »Palais Winterfeld, Monsieur!«

Dann stieg er aus, um dem Fahrgast die Tür zu öffnen, aber der französische Graf kam ihm zuvor. Mit federnder Dynamik war er bereits dem Wagen entstiegen, dabei »Merci!« murmelnd, um dann in tadellosem Deutsch fortzufahren: »Es wird nicht lange dauern. Warten Sie hier auf mich.«

»Sehr wohl, Herr Graf«, bestätigte Charles Gilbert höflich.

Der Blick des lebenserfahrenen Chauffeurs wurde nachdenklich, als er den etwas verfallen wirkenden städtischen Palast nun vor Augen hatte.

Wie vertrugen sich heutige Hektik und gestrige Lebensqualität? Denn das Flüchtige der jetzigen Zeit war dem Haus so fremd, wie ihm Schönheit, Charme und Anspruch nah waren.

Zielgerichtet und erfolgsgewohnt nahm der französische Graf in diesem Moment die Stufen zum Portal. Etwas Konsequentes ging von seiner Art aus, etwas Kühles, Nüchternes. Ob dieser Mann wirklich die Nostalgie liebte – oder sie lediglich für seine Zwecke einsetzte? Letzteres traf wohl eher zu.

»Geschäftliches Kalkül trifft Beutestück«, murmelte Charles Gilbert dann auch, die Stimme leicht ironisch gefärbt, was sonst nicht seine Art war.

*

Marquis Frédéric de Brion schloß zügig die Portaltür auf. Am Morgen hatte er das fürstliche Palais Winterfeld erworben. Dem Kauf waren in den letzten Wochen längere Verhandlungen vorausgegangen, da der frühere Besitzer, Karl Ferdinand Fürst von und zu Winterfeld, utopische Preisvorstellungen gehabt hatte.

Wie aber immer in solchen Fällen hatten am Ende die Gläubigerbanken das Sagen – und nicht zuletzt der Käufer. Er war es, der Kosten und Nutzen im Auge behalten mußte. Gefälligkeiten oder gar Gefühle hatten bei solchen Geschäften außen vor zu bleiben.

So hatten ihn denn auch die Tränen des alten Fürsten wenig zu rühren vermocht. Der Mann hatte die Zeichen der Zeit nicht rechtzeitig erkannt, diesen Vorwurf mußte er sich gefallen lassen. Welcher Privatmann bewohnte heute noch solche Häuser? Ölmagnaten vielleicht – aber sonst?

Frédéric de Brion hatte in den letzten Jahren einige dieser Objekte erworben. Weltweit und in namhaften Metropolen gelegen, dienten sie seiner Hotelgruppe als Luxusdomizile für höchste Ansprüche.

Lediglich in Berlin hatte ihm ein solches Haus der Extraklasse noch gefehlt. Ein Regierungssitz zog zwangsläufig Internationalität auf hoher Ebene nach sich. Konferenzen und Tagungen, glanzvolle Veranstaltungen und festliche Anlässe aber erforderten auch einen entsprechenden Rahmen.

So würde denn dieses alte noble Palais nach seinem Umbau auch kein reines Hotel sein, sondern eine Stätte für exklusive Begegnungen im anspruchsvollen Ambiente.

Still verharrte er unter seinen Überlegungen in der hohen, prachtvollen Halle. Es stellte eine Mischung aus französischer Eleganz, italienischer Kunst und deutscher Zweckmäßigkeit dar.

Mit schwungvoller Grandezza liefen zwei bogenförmig angelegte Treppen in Höhen hinauf, die von lichter eleganter Heiterkeit waren. Fast schien es so, als strebten sie voller Ungeduld jener beschwingten Freskenwelt entgegen, welche sich wie ein himmlischer Bogen über allem spannte.

Die kühle Eleganz von Marmor, die feinsinnigen Stuckeinfassungen und verschwenderischen Vergoldungen machten diese Halle zu einem berauschenden Erlebnis.

Ja, das Geschlecht der Winterfelds hatte Kultur besessen und ein hohes Kunstverständnis. Der Name stand für höchstes Niveau, und das würde auch so bleiben.

So hatte man sich geeinigt, daß die Porträts besonders herausragender Persönlichkeiten dieses alten Geschlechts im Hause verblieben. Das Palais Winterfeld behielt so seine Authentizität.

Diese Regelung konnte nur beiden Parteien recht sein. Die Geschichte der alten preußischen Familie lebte weiter, und die Grandhotel-Gruppe de Brion zog ihren Nutzen daraus.

Bis es aber soweit war, galt es zu investieren. Dabei war die äußere Verschönerung noch das Geringste. Zimmerfluchten mußten in Suiten umgestaltet werden, Salons in Gesellschaftsräume, Säle in zeitgerechte Fest- und Konferenzstätten, ohne ihnen allerdings die historische Pracht zu nehmen.

All diese Umgestaltungen waren im vorhinein mit Architekten und Behörden abgesprochen worden. Ein historisches Haus zu übernehmen, hieß auch Genehmigungen einzuholen, um Wertvolles zu erhalten. Kulturgut war eben ein hohes Gut.

Sonst aber behielt er sich als oberster Manager seiner Hotels alle Planungen selbst vor. Nur so blieb die Handschrift seiner Häuser gewahrt, die Harmonie erhalten.

Langsam begann Graf Frédéric de Brion die wundervoll großzügig angelegten Treppen zu ersteigen, den Reiz des Besonderen auskostend und auch die Bestätigung, das Richtige getan zu haben.

Solche Stimmungen gestattete er sich als Geschäftsmann nur dann und wann, denn nichts war schlimmer, als sich in der Einschätzung reizvoller Objekte nur von Gefühlen leiten zu lassen.

Für den Moment aber gab er sich diesem Rausch hin. In diesem gleichsam schwebenden Zustand konnte er später nicht mehr sagen, wann die ersten Akkorde klassischer Musik sein Bewußtsein erreichten; schienen sie doch als Begleitung seiner Empfindungen so normal und aus Sphären zu kommen, die nichts mit der Realität zu tun hatten.

Dann aber stand er still, gewann seine gewohnte Nüchternheit zurück und jene wache Aufmerksamkeit, die ihm zu eigen war. Konzentriert lauschte er in das weitläufige Haus hinein, sich fragend, woher das dominierende Klavierspiel kommen mochte. Hörte sich das nicht nach Peter Tschaikowsky an?

Als er schließlich die erste Galerie erreichte, auf deren Ebene die Gesellschaftsräume und Säle an langen, kostbar bestückten Fluren lagen, da verhielt er erneut den Schritt.

Wieder lauschte er, um sich dann nach links zu wenden. Gleichzeitig aber begann er sich zu fragen, wer um alles in der Welt sich noch in dem Palais aufhalten mochte?

Die Schlüsselübergabe war am Morgen erfolgt, der alte Besitzer somit bereits ausgezogen. Nach eigenen Angaben befand sich der greise Fürst zur Zeit auf dem Weg nach Österreich. Seine Schwester bot ihm dort ein neues Zuhause auf einem Jagdschlößchen in der Steiermark.

Eine Enkeltochter sollte es noch geben. Sie hatte der Übergabe des Familienbesitzes allerdings nicht beigewohnt. Ob aus Gleichgültigkeit oder jugendlichem Unverständnis war dem alten Herrn nicht zu entlocken gewesen.

Zielstrebig schritt Frédéric de Brion nun den Flur entlang, umgeben von zunehmender Klangfülle wunderbarer Musik. Mit jedem Schritt drang sie berauschender auf ihn ein, erfaßte ihn gleichsam betäubend wie das ganze Haus.

Die hohe Flügeltür zum Spiegelsaal stand einen Spaltbreit offen. Goldenes Licht drang daraus hervor – und eben diese zu Herzen gehende musikalische Darbietung.

Entschlossen erweiterte der neue Hausherr den Spalt und stand starr unter dem Bild, welches sich seinen nüchternen Männeraugen bot.

Hunderte von Kerzen tauchten den Raum in ein Meer von Licht, verschwenderisch vervielfältigt noch durch kostbar verspiegelte Wände, durch gleißende Lichtreflexe prachtvoller Kristalleuchter.

Die rote Seidentapete zwischen den einzelnen Spiegelfeldern steigerte noch einmal die Wirkung ins Exquisite. Hatte er jemals etwas Berauschenderes als diesen Raum erlebt?

Minutenlang verharrte der nüchterne Geschäftsmann Frédéric de Brion wie verzaubert, bis seine kritische Distanz ihn wieder einholte.

Wer zum Teufel veranstaltete hier sein ganz privates Lichterfest? Seine Blicke wurden distanzierter, als er die theatergleichen Aufbauten inmitten des Saals registrierte.

Aus zierlichen Beistellmöbeln bestanden sie. Vergoldete kleine Tischchen und rotgepolsterte Wandbänkchen, locker gruppiert und wie zum Spiel arrangiert.

Wer aber spielte hier? Der atemberaubende Saal schien auf den ersten Blick menschenleer. Lediglich die Wirkung des stimmungsvollen Lichts und die berauschende Klangfülle der Musik erfüllten ihn mit Leben.

Dann aber flog eine der verspiegelten Seitentüren auf – und heraus kam punktgenau zur Musik ein Wesen wie aus einer anderen Welt.

Feengleich und von fliegender Leichtigkeit berührte das traumhafte Geschöpf kaum den Boden, während es mit kleinen trippelnden Schritten, ähnlich dem Pas couru, der Raummitte zustrebte.

Fiebrige Neugier schien den zarten Körper zu beherrschen.

Der still beobachtende Mann an der Tür hielt unter der folgenden Darbietung den Atem an, während er auf das zarte Geschöpf sah, welches an Unwirklichkeit kaum noch zu überbieten war.

Er hatte sich nie besonders für Ballett interessiert. Zwar liebte er das Ästhetische, aber mit einer gewissen Bodenhaftung.

Was aber erzählte ihm diese hochsensible Ballerina mit dem ratlos angespannten, feinen Gesicht? Welche Figur stellte sie dar? Ein Hauch von wehendem Kleid umgab sie wolkengleich.

Frédéric de Brion war Mann genug, um besonders diesen zarten Frauenkörper wahrzunehmen, seine berauschende Biegsamkeit und Aussagekraft. Ja, eine nahezu aristokratische Grazie ging von ihr aus.

Er war so fasziniert, daß er den festlich illuminierten Raum fast vergaß – und doch gehörte er mit zur Wirkung dessen, was er sah.

Das virtuose Klavierspiel vom Band untermalte die Geschichte, die sie tanzte, und die er nicht verstand. Rührende Wehmut drückte sie aus, träumerisch dargeboten und voller Poesie.

Hier schaute jemand zurück, wenn er das richtig deutete.

Das schöne Gesicht der Tänzerin sprach jetzt von erfahrenem Glück und innerer Zufriedenheit.

Dann schlug urplötzlich das Musikthema um. Die Akkorde jetzt härter, schneller, gnadenloser. Unbarmherzig trieben sie den Tanz der Ballerina voran, voll atemloser Dynamik und schicksalhafter Ausweglosigkeit.

In raschen aufeinanderfolgenden Pirouetten umwirbelte sie nun die Aufbauten in der Mitte. Verzweiflung machte sich breit in Ausdruck und Tempo.

Was aber sah sie in ihnen?

Die Rasanz des Tanzes steigerte sich von Minute zu Minute. In nahezu rasenden Sprüngen trieb es sie dahin und ließ das Licht der Kerzen in Bewegung geraten. Ja, der ganze goldfarbene Raum schien seines Friedens beraubt und in hellste Aufregung versetzt.

Fasziniert verharrte de Brion weiterhin an seinem Platz. Welche Geschichte, welche Gefühle wurden hier abgearbeitet? Leidenschaft oder Verzweiflung – oder beides?

Die Spitzen der feinen Satinschuhe erreichten kaum noch den Boden, die Augen geschlossen, trieb die Tänzerin dahin. Was fehlte dieser Tänzerin zum Glück?

Der stille Mann hätte es gern gewußt, und während er noch darüber nachdachte, tanzte sie wie zum Abschied an den langen Spiegel-Fronten entlang, bewegte die Vielzahl der Kerzen, stille Momente der Wehmut.

Die Musik schwieg, und längst auch schienen die Vorgaben der Choreographie aus dem Ruder gelaufen.

Ein letztes Mal drehte sie eine Pirouette, ließ sie in einem Pas couru auslaufen, lauter kleinen trippelnden Schritten, bevor sie leicht wie eine Feder zu Boden glitt. Die zarten Arme wie letzte Flügelschläge bewegend, den Kopf geborgen in deren Schutz.

Still lag sie da, ein hinreißend betörender Traum. Nichts an ihr rührte sich mehr, als sei das Leben aus ihrem Körper gewichen.

Frédéric de Brion stand wie benommen unter dem Erlebten, während der verschwenderisch beleuchtete Spiegelsaal sein festliches Strahlen unverändert zu ihm herüberschickte.