Irrlicht 35 – Mystikroman - Gabriela Stein - E-Book

Irrlicht 35 – Mystikroman E-Book

Gabriela Stein

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Beschreibung

Der Liebesroman mit Gänsehauteffekt begeistert alle, die ein Herz für Spannung, Spuk und Liebe haben. Mystik der Extraklasse – das ist das Markenzeichen der beliebten Romanreihe Irrlicht: Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen erzeugen wohlige Schaudergefühle. Cecile erkannte nicht die Gefahr, in der sie sich befand. Sie hatte nur einen Wunsch, fort von diesem Mann. Doch da fühlte sie sich ins Boot gezerrt. Sie schrie auf. Die Wellen ließen das Boot wie ein Spielzeug gegen die Steinwände schlagen. Das ist das Ende, dachte Cecile. Tessa war unehelich geboren worden. Sie hatte ihren Vater weder gekannt, noch vermißt. Cecile Finley, ihre Mutter, war vor neunzehn Jahren verlobt gewesen. Diese Verlobung hatte nur kurze Zeit bestanden. Als sie merkte, daß sie ein Kind erwartete, hatte sie den Ort verlassen und war nach Edinburgh zurückgekehrt. Später hatte sie die Stelle bei Dr. Hutton aufgegeben und war nach London gegangen. Hier war sie unter dem Mädchennamen ihrer Mutter untergetaucht. Seither hatte sie nie wieder etwas von Dr. James Denniston, ihrem ehemaligen Verlobten, den sie heute noch liebte, gehört. Nie hatte sie körperliche Beziehungen zu ihm gehabt. Cecile war sich nicht bewußt, mit irgendeinem anderen Mann jemals intime Beziehungen gehabt zu haben. Damals hatte sie auf geheimnisvolle Weise Lord Darwin kennengelernt, von dem sie annahm, daß er Captain Wratt gewesen war. Die Sage, die damals am Kap Wratt kursierte, stammte aus dem fünfzehnten Jahrhundert und besagte, daß dieser Captain Wratt über Jahrhunderte hinweg gelebt hatte, weil er einmal einem großen Fisch das Leben schenkte und dafür ewiges Leben erhielt, solange er es wollte.

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Irrlicht – 35 –

Über den Tod hinaus

… begehrte Captain Wart seine letzte große Liebe

Gabriela Stein

Cecile erkannte nicht die Gefahr, in der sie sich befand. Sie hatte nur einen Wunsch, fort von diesem Mann. Doch da fühlte sie sich ins Boot gezerrt. Sie schrie auf. Die Wellen ließen das Boot wie ein Spielzeug gegen die Steinwände schlagen. Das ist das Ende, dachte Cecile.

Tessa war unehelich geboren worden. Sie hatte ihren Vater weder gekannt, noch vermißt.

Cecile Finley, ihre Mutter, war vor neunzehn Jahren verlobt gewesen. Diese Verlobung hatte nur kurze Zeit bestanden. Als sie merkte, daß sie ein Kind erwartete, hatte sie den Ort verlassen und war nach Edinburgh zurückgekehrt. Später hatte sie die Stelle bei Dr. Hutton aufgegeben und war nach London gegangen. Hier war sie unter dem Mädchennamen ihrer Mutter untergetaucht.

Seither hatte sie nie wieder etwas von Dr. James Denniston, ihrem ehemaligen Verlobten, den sie heute noch liebte, gehört. Nie hatte sie körperliche Beziehungen zu ihm gehabt. Cecile war sich nicht bewußt, mit irgendeinem anderen Mann jemals intime Beziehungen gehabt zu haben.

Damals hatte sie auf geheimnisvolle Weise Lord Darwin kennengelernt, von dem sie annahm, daß er Captain Wratt gewesen war. Die Sage, die damals am Kap Wratt kursierte, stammte aus dem fünfzehnten Jahrhundert und besagte, daß dieser Captain Wratt über Jahrhunderte hinweg gelebt hatte, weil er einmal einem großen Fisch das Leben schenkte und dafür ewiges Leben erhielt, solange er es wollte. Dieser Mann war in Ceciles Armen gestorben.

Nach ihrer Meinung war es möglich, daß Tessa von ihm stammte, obwohl sie sich nicht erinnerte, je mit ihm näher zusammengewesen zu sein. Aber da gab es einige rätselhafte dunkle Punkte, die sie zweifeln ließen.

Es blieb Cecile nichts weiter übrig, als Tessa zu gestehen, daß sie ihren Vater nicht kenne. Ihre Unruhe wuchs, je älter Tessa wurde, die jetzt achtzehn Jahre alt war. Würde sich ihre Tochter nicht eines Tages von ihr abwenden? Dazu kam, daß nichts im Aussehen des Mädchens auf den Vater schließen ließ. Sie war ganz das Ebenbild ihrer immer noch schönen Mutter.

*

An einem sanften Frühlingstag war Cecile gegen Abend zu Fuß heimgegangen. Überall begann es in der Natur zu grünen. Krokusse drängten aus noch blassem Rasen heraus. In den Gärten blühte der Ginster.

Sie war den ganzen Nachmittag von einer inneren Unruhe befallen gewesen, die sich bis zum Abend noch nicht gelegt hatte. Zuerst glaubte sie an eine nahende Krankheit. Aber das war es nicht. Sie war nicht krank, und auch Tessa erfreute sich bester Gesundheit. Ihre Gedanken forschten nach einer möglichen Ursache für diesen sonderbaren Zustand – vergebens.

Cecile hatte weder den Frühlingsduft verspürt noch war ihr bewußt geworden, daß sie schon eine ganze Weile unterwegs war. Daher war sie überrascht, als sie jetzt vor dem Haus angelangt war, in dem sie wohnte. Zögernd stieg sie die zwei Stockwerke hinauf.

Schon, als sie ihre Wohnungstür aufschloß, sah die den Zettel, der unter dem Spiegel auf einer Ablage lag.

»Tessa!« rief sie, aber sie erhielt keine Antwort. Sie ging verwundert hinüber in das Zimmer ihrer Tochter, das gegen deren sonstige Gewohnheit heute unaufgeräumt wirkte. Was mochte Tessa veranlaßt haben, so plötzlich die Wohnung zu verlassen?

Cecile zog ihren Mantel aus und hängte ihn im Flur auf, dann griff sie nach dem Zettel.

Liebe Mutti, Tomy hat mich abgeholt. Er will mich heute seinen Eltern vorstellen. Es kann also etwas später werden.

Tessa.

Die Nachricht war in aller Eile geschrieben worden. Cecile stand ganz still. »Tomy Beyerton also«, murmelte sie leise. Sie ging mit dem Zettel in der Hand ins Wohnzimmer und setzte sich. Sie fühlte, wie sich die Spannung noch verstärkte. Sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen, bemühte sich um mehr Gelassenheit und atmete tief durch. Obwohl sie sich lange auf diesen Tag vorbereitet hatte, war er doch so plötzlich gekommen, daß sie keines folgerichtigen Gedankens fähig war.

Es ging bereits auf einundzwanzig Uhr zu, als Cecile unten ein Auto vorfahren hörte. Sie stand hinter den Gardinen und spähte durch den Nebel, der die zwei Gestalten auf der Straße aufzulösen schien. Trotzdem erkannte sie, daß sich Tomy von Tessa mit einem Kuß verabschiedete. Zuerst hatte Cecile befürchtet, daß er mit hinaufkommen würde. Aber er fuhr ab, was sie mit einem erleichterten Seufzer feststellte.

Kurz darauf schloß ihre Tochter die Korridortür auf. Cecile rührte sich nicht, sie war voller Spannung. Es erschien ihr unendlich lange, bis Tessa ins Zimmer kam. Sie knipste das Licht an und erschrak, als sie ihre Mutter sah.

»Du bist hier?« fragte sie überrascht. »Warum machst du kein Licht?« Aber sie wartete gar nicht ab, was ihre Mutter sagen würde. Sie flog auf sie zu und umarmte sie stürmisch. Ihre Augen strahlten vor Glück. »Mutti!« rief sie erregt. »Wir wollen uns in vier Wochen offiziell verloben. Seine Eltern sind ganz reizende Leute.«

Cecile hatte sich langsam gefaßt. »So?« fragte sie einsilbig. Doch es fiel Tessa nicht auf, daß ihre Mutter recht schweigsam war.

»Ich habe schreckliche Angst gehabt, aber es war wirklich nicht nötig. Ich glaube, sie mögen mich.«

Cecile verzog etwas spöttisch ihre Lippen. »Du meinst, sie akzeptieren dich, Tessa?«

Verwundert schaute Tessa jetzt auf. Über ihr Gesicht huschte ein enttäuschter Schatten. »Warum sagst du das? Wenn es nicht der Fall gewesen wäre, hätten sie mich wohl kaum eingeladen. Außerdem hätte ich es bestimmt gleich bemerkt.«

Cecile lächelte etwas wehmütig. »Haben sie keine Fragen gestellt?«

»Was ist los?« wollte Tessa wissen, die jetzt bemerkte, daß ihre Mutter ziemlich blaß aussah. »Bist du krank, Mutti?« fragte sie mitfühlend.

Cecile schüttelte den Kopf. »Es ist deine Nachricht, sie kommt mir so plötzlich. Ihr kennt euch doch noch nicht so lange.«

»Aber lange genug, um zu wissen, daß wir uns lieben. Die Eltern von Tomy haben sich auch nicht sehr lange gekannt, als sie sich verlobten. Sie haben es uns erzählt. Ich denke, das ist ein gutes Zeichen.«

»Gutes Zeichen«, wiederholte Cecile. »Haben sie Fragen gestellt, unsere Familie betreffend?«

»Ja.«

»Das dachte ich mir.«

»Sie fragten nach meinem Vater.«

»Und was hast du ihnen gesagt?«

Das Leuchten in Tessas Augen war nicht mehr so intensiv, und auch ihre Hochstimmung ebbte langsam ab. Sie glaubte zu fühlen, daß ihre Mutter mit ihrer Wahl nicht einverstanden war. Sie warf den Kopf zurück. »Ich habe ihnen gesagt, daß Vater tot sei, und daß ich ihn gar nicht gekannt habe.«

»Und?Wie haben sie reagiert?« Tessa stemmte die Arme in die Seite. »Du fragst aber merkwürdig.«

»Ich frage nicht ohne Grund, Tessa. Sicher wollen diese Leute einen Stammbaum von dir haben.«

Tessa lachte übermütig auf. »Ich bin doch kein Hund, Mutti, der einen Stammbaum nachweisen muß, damit man weiß, daß er auch reinrassig ist.«

Cecile, die sonst auf jeden Scherz ihrer Tochter eingegangen war, blieb heute ernst. Ein leichtes Beben ihrer Lippen verriet, daß sie innerlich sehr erregt war.

Unwillig sagte Tessa: »Morgen kommt Tomy, um deine Einwilligung zu erbitten. Du bist doch mit ihm einverstanden, Mutti?«

Cecile wandte sich ab, um ihrer Tochter nicht in die Augen sehen zu müssen. »Er ist ein sehr netter junger Mann«, flüsterte sie. »Ich mag ihn, er ist offen und ehrlich, und er wird in seinem Beruf bestimmt eine Menge erreichen. Bist du aber auch ganz sicher, daß er der Richtige für dich ist?«

»Natürlich ist er der Richtige, Mutti!« rief Tessa unwillig.

»Und sein Vater? Ich meine, was macht er eigentlich?«

»Soviel ich weiß, ist er im Parlament und seit einigen Monaten in den Adelsstand erhoben worden. Sie haben ein ganz tolles Haus. Ich habe mich zuerst richtig gefürchtet hinzugehen, aber Tomy ist nicht von meiner Seite gewichen, das hat mir sehr geholfen.«

Cecile hatte sich mit einem Ruck umgedreht. Jetzt starrte sie ihre Tochter aus großen Augen an. Lord Beyerton würde keine Schwiegertochter akzeptieren, deren Vater unbekannt war. Ein heißes Mitgefühl mit ihrer Tochter machte ihr das Atmen schwer.

»Morgen, sagst du, wird Tomy Beyerton kommen?«

»Ja, Mutti. Ich kann es gar nicht erwarten.«

Cecile taumelte zurück, ihre Knie waren so zittrig, daß sie sich setzen mußte. Das war es also, deswegen war sie den ganzen Nachmittag voller Unruhe gewesen. Als ob sie es geahnt hätte.

Wie aus weiter Ferne hörte sie die Stimme ihrer Tochter.

»Tomy sagt, das Haus habe seine Mutter mit in die Ehe gebracht. Sie ist eine wirkliche Lady, überaus vornehm in der Wahl ihrer Worte, dabei aber liebenswürdig und warmherzig.«

»Soso«, murmelte Cecile, stand auf und ging hinüber in die Küche, um Teewasser aufzusetzen. »Das Abendessen ist gleich fertig, Tessa, du könntest mir helfen, damit es schneller geht. Ich bin müde und möchte mich früh schlafen legen.«

»Für mich brauchst du nichts zu machen, Mutti. Ich habe bei den Beyertons gegessen. Ganz toll, mit Butler und so.«

»Dann solltest du schlafen gehen, damit du morgen ausgeruht ins Büro kommst.«

»Hast du schlafen können, als Vater um deine Hand angehalten hat?« Tessa bekam keine Antwort, aber sie sah auch nicht, wie Cecile zusammenzuckte. »Übrigens wollen dich Tomys Eltern kennenlernen. Mach dich auf eine Überraschung gefaßt. Ich hoffe, daß du dich mit Lady Beyerton gut unterhalten wirst.«

»Sofern wir einen gemeinsamen Gesprächsstoff finden, Tessa. Wir leben beide in so verschiedenen Welten, daß sie eine arbeitende Frau kaum als gleichberechtigt ansehen dürfte.« Cecile konnte einen gewissen Sarkasmus nicht unterdrücken, der wohl mehr aus ihrer unglücklichen Lage kam.

»Du machst dir eine ganz falsche Vorstellung von ihr. Sie ist wirklich ganz reizend und freut sich, dich kennenzulernen.«

Cecile biß sich auf die Lippen. Selbst wenn Tomys Eltern sich darüber hinwegsetzten, eine Schwiegertochter zu bekommen, die nicht ihren Kreisen entstammte, über die Tatsache, daß der Vater Tessas unbekannt war, würden sie nicht hinwegsehen. Das Mädchen war nun einmal unehelich. Das würde die Kluft zwischen ihnen nur noch vergrößern. Engländer waren in diesen Dingen sehr konservativ. Ihrer Tochter stand eine große Enttäuschung bevor, die Cecile ihr gern erspart hätte.

Als Cecile nicht antwortete, trat Tessa dicht an die Mutter heran. »Du hast nie über meinen Vater gesprochen, Mutti! Erzähl mir von ihm! Wie war er? Es war mir unangenehm, daß ich nicht einmal seinen Beruf nennen konnte.«

Cecile verzog spöttisch ihre Lippen. »Sie haben danach gefragt?«

»Ja, sie wollten wissen, was er war.«

»Und, was hast du geantwortet?«

»Die Wahrheit, ich habe gesagt, daß ich das nicht wisse.«

Cecile nickte heftig. »Wie haben sie darauf reagiert?«

Tessa wurde nachdenklich. »Lord Beyerton sah seine Frau an und sie ihn, dann hat sie mich angelächelt, und Lord Beyerton läutete nach dem Butler. Tomy meinte, du würdest all diese Fragen beantworten. Ich nehme an, daß er dir morgen eine Einladung seiner Eltern mitbringt.«

Cecile stellte das Geschirr in den Schrank zurück, das in ihren Händen leicht klirrte. Ihr war der Appetit vergangen. Ihre Gedanken arbeiteten fieberhaft. »Ich werde nicht hingehen, Tessa!« sagte sie so fest, daß ihre Worte keinen Widerspruch duldeten.

Völlig entgeistert starrte das junge Mädchen ihre Mutter an. »Du willst meine zukünftigen Schwiegereltern nicht kennenlernen?«

Ceciles Atem ging schwer, sie wich dem Blick ihrer Tochter aus. »Ich kann nicht«, antwortete sie leise.

»Ich verstehe dich nicht«, rief Tessa ärgerlich. »Du hast doch nicht etwa Angst vor ihnen?«

»Wenn es nur das wäre, Tessa, das könnte ich überwinden. Schließlich muß Lord Beyerton seinen Unterhalt ebenso verdienen wie ich.«

»Dann – dann begreife ich nicht, warum du mir das antun willst. Aber du wirst es dir überlegen, nicht wahr? Bitte, sage, daß du es dir überlegen wirst«, bettelte Tessa.

»Morgen, Tessa!« wich Cecile aus. »Morgen will ich versuchen, dir einiges zu erklären.« Wie sie das aber bewerkstelligen sollte, wußte Cecile selbst noch nicht. Wie konnte sie in einigen Stunden eine plausible Erklärung finden, wenn sie es in neunzehn Jahren nicht geschafft hatte, den Vater ihrer Tochter zu nennen.

*

In dieser Nacht lag Cecile schlaflos in ihrem Bett. Sie hörte vom Nebenzimmer her die gleichmäßigen Atemzüge ihrer Tochter. Als sie die Stille nicht mehr ertrug, stand sie auf und ging ins Wohnzimmer hinüber. Hier zündete sie den Kamin an und setzte sich zusammengekauert davor. Es war eine kalte Nacht. Die Räume erwärmten sich nur schwer, trotzdem fand sie nicht die Ruhe, die sie brauchte, um noch einmal ins Bett zu gehen.

Sie hätte so gern gesagt: Schau, dein Vater ist tot, er war der vornehmste, warmherzigste Mensch, den ich kannte, aber er hat mich… Das Wort ließ sie erzittern. Sie mußte damals ohnmächtig gewesen sein, als es geschah. Gern hätte sie gesagt: Dein Vater ist Lord Darwin. Dann hätte sie auch sagen müssen, daß er bereits fünfhundert Jahre alt war. Nein, das würde ihr niemand glauben, sie würden sie für geistesgestört halten. Es änderte sich nichts, Cecile wußte nichts, gar nichts. Über diese Lücke in ihrem Gedächtnis hatte sie damals bald den Verstand verloren.

Erst gegen Morgen kroch Cecile endlich ins Bett zurück. Ihre Glieder waren steif, aber der Schlaf blieb aus. Da erinnerte sie sich plötzlich eines Ringes, den ihr Lord Darwin gegeben hatte, bevor er starb. Sie hatte ihn bei Pfarrer Chrayg in Wratt in Verwahrung gegeben und nie wieder daran gedacht. Ganz heiß wurde ihr bei diesem Gedanken. Sie fuhr im Bett hoch.

Das Ereignis auf dem Kap stand bedrückend deutlich vor ihren Augen, als sei es erst gestern gewesen. Gab es eine Möglichkeit, Tessa zu helfen? Sollte sie zurückkehren nach Wratt? Würde sie das Geheimnis noch lösen können? Diese bange Frage dröhnte in ihren Ohren. Sie sah das Gesicht Dr. Dennistons vor sich. Sicher war er längst verheiratet und erinnerte sich kaum noch an sie, die ihn so plötzlich verlassen hatte, ohne Gründe zu nennen, ohne Abschied.

James Denniston war ein verständnisvoller Mann gewesen. Warum nur hatte sie nicht den Mut gefunden, mit ihm zu sprechen? Sie war voller Panik davongelaufen.

Cecile schlug die Bettdecke zurück und ließ die Beine über die Bettkante hängen. Ihre Gedanken arbeiteten jetzt ganz klar und nüchtern. Sie mußte herausfinden, was damals geschehen war. War es überhaupt möglich, nach so vielen Jahren das Problem zu lösen, das sie so lange erschreckt und geängstigt hatte? Aber – hatte sie noch eine andere Wahl? Heute bekam sie die Rechnung präsentiert, die sie begleichen mußte – nicht für sich, für Tessa, ihre Tochter.

*

Es war ein sonniger Morgen, als Cecile Finley in Wratt eintraf, trotzdem fror sie bis ins Innerste. Ein eisiger Wind wehte vom Atlantik her. Ihre Gedanken gingen um neunzehn Jahre zurück. Damals war sie mit einem Fischerboot von Durness nach Wratt gekommen. Es war eine stürmische Überfahrt geworden, mit Sturm und Regengüssen. Sie würde nie vergessen, was sie empfunden hatte, als das Kap auftauchte, auch die Angst der Fischer hatte sie deutlich vor Augen.

Cecile atmete tief durch und sah sich dann auf dem kleinen Bahnsteig um. Sie war die einzige, die hier ausgestiegen war. Ein junger Mann fiel ihr auf, der einen Fotoapparat in der Hand hielt und sich bemühte, ein Bild von ihr einzufangen. Überrascht riß sie die Augen auf und blickte ihn fragend an. Er winkte ihr zu, einen Moment still zu stehen. Unbewußt kam Cecile dieser Aufforderung nach. In ihrem Gesicht spiegelten sich Erstaunen und Überraschung.

Er kam mit schnellen Schritten näher. Sein Gesicht war sehr jung, er wirkte sympathisch. Er trug verwaschene Jeans und eine lange Wolljacke, die offen um seinen schmalen Körper wehte. Seine Haare waren gelockt und von einem seidigen Schimmer.

»Finden Sie keine lohnendere Objekte?« fragte Cecile ein wenig spöttisch.

»Ich habe Sie doch damit nicht belästigt?« Es klang ängstlich.

Cecile winkte ab, für sie schien das Gespräch beendet. Aber er blieb an ihrer Seite. »Es ist mein Hobby«, sagte er mit einem schüchternen Lächeln. »Es kommen so selten Fremde nach Wratt.«

Cecile nickte zustimmend. Ja, das kannte sie noch. Wer in diesen abgelegenen Fischerort fuhr, kannte sein Ziel. Es gab nichts Aufregendes in Wratt, das Fremde anlocken konnte.

»Sie sind mir doch nicht böse?« wollte er zutraulich wissen.

»Nein, nein, ich war nur so überrascht über Ihren Empfang.«

»Werden Sie erwartet?« fragte er, sich suchend umsehend.

»Ich glaube nicht.«

»Kann ich Sie irgendwo hinbringen?«

Cecile schaute den jungen Mann genauer an. Irgend etwas in seinem Gesicht erinnerte sie an jemanden, aber sie wußte nicht an wen. Sie konnte ihn gar nicht kennen, dafür war er zu jung und bestimmt noch nicht geboren worden, als sie damals hier weilte.

»Ich möchte zu Pfarrer Chrayg«, antwortete sie schnell entschlossen. »Aber ich kenne den Weg, bemühen Sie sich nicht.«

»Schade, ich hätte Sie gern begleitet. Ich habe Sie noch nie gesehen. Wann waren Sie denn das letzte Mal hier?«

Unnötigerweise errötete Cecile. »Vor neunzehn Jahren«, erwiderte sie fast gegen ihren Willen.

»Oh! Dann wollen Sie sicher in die Kirche?«

»Nein, nicht in die Kirche, zu Pfarrer Chrayg persönlich.«

»Wissen Sie nicht, daß er längst pensioniert ist? Er wohnt schon lange Jahre in einem kleinen Haus am Rande des Ortes.« Der junge Mann deutete mit dem Arm die Straße hinunter. »Wußten Sie das nicht?«

In Cecile kroch ein Gefühl der Unsicherheit hoch. »Geht es da nicht zu den Kapfelsen?« erkundigte sie sich verwundert, während ihre Stimme seltsam belegt klang.

»Da geht es zum Leuchtturm!« Er lachte.

Cecile blieb stehen. »Zum Leuchtturm?« wiederholte sie. »Ich kann mich nicht erinnern, daß ein Leuchtturm auf dem Kap stand, als ich das letzte Mal hier war.«

»Er steht schon einige Jahre.«

Cecile schüttelte den Kopf. »Ich war in der Tat lange nicht hier«, murmelte sie versonnen. »Anscheinend hat sich doch einiges geändert.«

»Das kann ich nicht beurteilen«, entgegnete der junge Mann. »Soviel ich weiß, hat man ihn vor zehn Jahren gebaut.«

Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her, dann fragte Cecile: »Sie sind aus Wratt?«

»Nein, nicht direkt. Ich wohne ein ganzes Stückchen weiter südlich, aber ich bin oft hier, weil ich in Wratt Freunde habe.«