Das Glück ist mit den Realisten - Oliver Burkeman - E-Book

Das Glück ist mit den Realisten E-Book

Oliver Burkeman

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Beschreibung

Lassen Sie uns über Realismus sprechen Selbsthilfebücher scheinen nicht zu funktionieren, und nur wenige der Vorteile des modernen Lebens sind tatsächlich in der Lage, unsere Stimmung zu heben. Wir können uns nicht einmal darauf einigen, was »Glück« bedeutet. Streben wir also vergeblich danach, oder gehen wir einfach nur den falschen Weg? Oliver Burkeman hinterfragt unser ständiges Bemühen, glücklich zu sein, und zeigt anhand verschiedener Gruppen, die eine überraschende Denkweise teilen, dass es einen alternativen Weg zu Zufriedenheit und Erfolg gibt. Ein kluger Leitfaden, um die missverstandene Idee des Glücks zu verstehen.

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Aus dem Englischen von Henning Dedekind und Heide Lutosch

Für meine Eltern

Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel The Antidote bei Canongate Books, Edinburgh & London

© Oliver Burkeman, 2012

Für die deutsche Ausgabe:

© Piper Verlag GmbH, München 2023

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Motto

1 Wenn man sich zu sehr bemüht, glücklich zu sein

2 Was würde Seneca tun?

3 Die Ruhe vor dem Sturm

4 Zielbesessen

5 Ist da jemand?

6 Die Sicherheitsfalle

7 Das Museum des Scheiterns

8 Memento mori

Epilog

Dank

Hinweis zu den Anmerkungen

Stichwortverzeichnis

Anmerkungen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Register

Das Gesetz von Wirkung und Gegenwirkung hat mich schon immer fasziniert. Manchmal nenne ich es das »Gesetz der Umkehrung«. Wenn du versuchst, an der Wasseroberfläche zu bleiben, so versinkst du; wenn du jedoch zu sinken versuchst, so trägt dich das Wasser … Unsicherheit ist das Resultat des Versuches, sicher sein zu wollen, und im Gegenteil dazu bestehen Erlösung und geistige Gesundung letztlich nur in der grundlegenden Einsicht: Es gibt keinen Weg, uns selbst zu retten.

Alan Watts, Weisheit des ungesicherten Lebens

Ich wollte mir ein Exemplar von Die Kraft positiven Denkens kaufen, doch dann dachte ich: »Wofür zum Teufel soll das gut sein?«

Ronnie Shakes

1 Wenn man sich zu sehr bemüht, glücklich zu sein

»Versuchen Sie, sich diese Aufgabe zu stellen: Denken Sie nicht an einen Eisbären, und Sie werden sehen, dass Ihnen das verfluchte Ding jede Minute in den Sinn kommt.«

Fjodor Dostojewski, Winterliche Aufzeichnungen über sommerliche Eindrücke

 

Der Mann, der behauptet, er wolle mir das Geheimnis menschlichen Glücks verraten, ist 83 Jahre alt und hat einen beängstigend orangefarbenen Teint, der seiner Glaubwürdigkeit nicht gerade zuträglich ist. Es ist kurz nach acht Uhr an einem Dezembermorgen in einem abgedunkelten Basketballstadion am Rande von San Antonio in Texas, und dem orangefarbenen Mann zufolge werde ich gleich »die eine Sache, die Ihr Leben für immer verändern wird« erfahren. Ich bin skeptisch, doch nicht so sehr, wie ich es normalerweise wäre, denn ich bin einer von mehr als 15 000 Menschen bei Get Motivated!, Amerikas »beliebtestem Motivationsseminar für Unternehmen«, und die Begeisterung der anderen Teilnehmer wird langsam ansteckend.

»Sie wollen es also wissen?«, fragt Dr. Robert H. Schuller, altgedienter Selbsthilfeguru, Autor von mehr als 35 Büchern über die Kraft positiven Denkens und im Nebenberuf Gründungspastor der größten Kirche der Vereinigten Staaten, die vollständig aus Glas erbaut wurde. Die Menge brüllt begeistert ein »Ja«. Leicht in Verlegenheit zu bringende Briten wie ich brüllen im Allgemeinen bei Motivationsseminaren in texanischen Basketballstadien nicht mit, aber die Atmosphäre überwältigt zumindest teilweise meine Zurückhaltung. Ich brülle leise.

»Hier kommt es also«, verkündet Dr. Schuller und schreitet steif über die Bühne, die mit zwei riesigen Bannern mit den Aufschriften »MOTIVATE!« und »SUCCEED!«, 17 amerikanischen Flaggen und unzähligen Topfpflanzen dekoriert ist. »Hier ist die Sache, die Ihr Leben für immer verändern wird.« Dann bellt er ein einziges Wort – »Streichen« – und macht eine dramatische Pause, bevor er seinen Satz vollendet: »… Sie das Wort ›unmöglich‹ aus Ihrem Leben. Streichen Sie es! Streichen Sie es für immer!« Das Publikum tobt. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass ich enttäuscht bin, aber was hätte ich auch anderes von Get Motivated! erwarten sollen, einer Veranstaltung, bei der die schiere Kraft der positiven Einstellung alles bedeutet. »Sie sind Herr Ihres Schicksals!«, fährt Schuller fort. »Denken Sie groß, und träumen Sie größer!«

»Lassen Sie Ihre verlorene Hoffnung wieder aufleben … Positives Denken funktioniert in jedem Bereich des Lebens!« Die Logik von Schullers Philosophie, der Lehre des positiven Denkens in ihrer reinsten Form, ist nicht gerade komplex: Entscheiden Sie sich dafür, glückliche und erfolgreiche Gedanken zu denken – verbannen Sie die Gespenster der Traurigkeit und des Versagens –, und Glück und Erfolg werden sich einstellen. Man mag einwenden, dass nicht jeder Redner, der in der Hochglanzbroschüre für das heutige Seminar aufgeführt ist, einen unstrittigen Beweis für diese Sichtweise liefert: Die Hauptrede wird in wenigen Stunden von George W. Bush gehalten, einem Präsidenten, der keineswegs allgemein als erfolgreich angesehen wird. Doch wenn man diesen Einwand gegenüber Dr. Schuller äußerte, würde dieser ihn vermutlich als »Negativitätsdenken« abtun. Die Macht der Positivität zu kritisieren zeigt, dass man sie nicht wirklich begriffen hat. Wäre das der Fall, würde man nicht mehr über solche Dinge meckern, und auch sonst über nichts.

 

Die Organisatoren von Get Motivated! bezeichnen es als Motivationsseminar, doch erfasst dieser Begriff – mit seiner Aura von halbseidenen Lebensberatern in schmuddeligen Hotelsälen – kaum die Dimensionen und die Großartigkeit dieser Veranstaltung. Das Seminar, das etwa einmal im Monat in Städten in ganz Nordamerika stattfindet, steht an der Spitze der globalen Industrie für positives Denken und kann sich einer beeindruckenden Liste prominenter Redner rühmen: Michail Gorbatschow und Rudy Giuliani gehörten und gehören ebenso zu den Stammgästen wie General Colin Powell und – vielleicht etwas unpassend – William Shatner. Sollte Ihnen jemals auffallen, dass sich eine ehemals prominente Persönlichkeit der Weltpolitik (oder William Shatner) in den letzten Monaten aus unerklärlichen Gründen stark zurückgenommen hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Sie ihn oder sie bei Get Motivated! wiederfinden, wo er oder sie das Evangelium des Optimismus predigt.

Wie es sich für solche Prominenz gehört, ist auch die Inszenierung alles andere als schäbig, mit schwenkbaren Scheinwerfern, Soundanlagen, aus denen Rockhymnen ertönen, und aufwendiger Pyrotechnik. Jeder Redner wird mit Funkenregen und Rauchschwaden auf der Bühne begrüßt. Diese Spezialeffekte tragen dazu bei, die Begeisterung des Publikums immer weiter zu steigern, wobei es auch nicht schadet, dass ein Besuch bei Get Motivated! für viele von ihnen einen zusätzlichen freien Tag bedeutet: Viele Arbeitgeber stufen das Event als Fortbildung ein. Sogar das US-Militär, wo mit »Schulung« in der Regel etwas Strengeres gemeint ist, schließt sich dieser Auffassung an; in San Antonio sind zahlreiche Sitze im Stadion mit uniformierten Soldaten des örtlichen Armeestützpunkts besetzt.

Technisch gesehen bin ich undercover hier. Tamara Lowe, die sich selbst als »weltweit führende Motivationsrednerin« bezeichnet und zusammen mit ihrem Ehemann die Firma Get Motivated! leitet, wurde vorgeworfen, Pressevertretern den Zutritt zu verweigern, einer Berufsgruppe, die bekanntermaßen zu negativem Denken neigt.[1] Lowe streitet die Vorwürfe ab, aber um auf Nummer sicher zu gehen, habe ich mich als »selbstständiger Geschäftsmann« angemeldet – eine Kriegslist, die mich, wie ich jetzt feststelle, nur gerissen erscheinen lässt. Obendrein hätte ich mir die Mühe sparen können, denn ich bin viel zu weit von der Bühne entfernt, als dass mich das Sicherheitspersonal beim Kritzeln in mein Notizbuch beobachten könnte. Auf meiner Eintrittskarte ist mein Sitzplatz als »Premier Seating« angegeben, was sich jedoch als weiterer Fall von übertriebener Positivität entpuppt: Bei Get Motivated! gibt es nur »Premier Seating«, »Executive Seating« und »VIP Seating«. In Wirklichkeit sitze ich im hintersten Block, auf einem harten Plastiksitz, der im Gesäß schmerzt. Aber ich bin dankbar dafür, denn dadurch sitze ich zufällig neben einem Mann, der, soweit ich erkennen kann, einer der wenigen Zyniker im Stadion ist – ein liebenswürdiger, breitschultriger Parkwächter namens Jim, der sporadisch aufspringt und in sarkastischem Tonfall ruft: »Ich bin so motiviert!« Er sagt, dass er von seinem Arbeitgeber, dem United States National Park Service, zur Teilnahme verpflichtet wurde. Als ich ihn jedoch frage, warum seine Organisation möchte, dass ihre Ranger bezahlte Arbeitszeit auf diese Weise nutzen, gibt er fröhlich zu, er habe »keinen blassen Schimmer«.

Die Predigt von Dr. Schuller nimmt derweil Fahrt auf. »Als ich ein Kind war, war es für einen Menschen unmöglich, den Mond zu betreten, es war unmöglich, ein menschliches Herz herauszuschneiden und es in die Brust eines anderen Menschen einzusetzen … das Wort ›unmöglich‹ hat sich als ausgesprochen dummes Wort erwiesen!« Er verliert nicht viel Zeit damit, weitere Beweise für seine Behauptung anzuführen, dass jeder die Wahl habe, zu scheitern oder nicht: Es ist offensichtlich, dass Schuller, Autor von Entdecke deine Möglichkeiten – und lebe sie oder Harte Zeiten vergehen, starke Menschen bestehen, Inspiration dem Argument um Längen vorzieht. Trotz allem ist er aber nur der Aufwärmer für die Hauptredner des Tages. Nach 15 Minuten schreitet er unter Beifall und Feuerwerk davon, die Fäuste siegessicher in Richtung Publikum geballt, das Abbild des positiv denkenden Erfolgsmenschen. Erst Monate später, als ich zu Hause in New York beim Morgenkaffee die Schlagzeilen lese, erfahre ich, dass die größte Kirche der Vereinigten Staaten, die ganz aus Glas erbaut wurde, Konkurs angemeldet hat – offenbar hatte es Dr. Schuller versäumt, dieses Wort aus seinem Vokabular zu streichen.[2]

 

Für eine Zivilisation, die so sehr auf das Streben nach Glück fixiert ist, erscheinen wir dabei bemerkenswert inkompetent. Eine der bekanntesten allgemeinen Erkenntnisse der »Glücksforschung« ist die Feststellung, dass die zahllosen Vorzüge des modernen Lebens nur wenig zur Verbesserung unserer kollektiven Stimmung beigetragen haben. Die unangenehme Wahrheit ist offenbar, dass ein höheres Wirtschaftswachstum[3] nicht zwangsläufig zu glücklicheren Gesellschaften führt, ebenso wenig, wie ein höheres persönliches Einkommen oberhalb eines bestimmten Grundniveaus die Menschen glücklicher macht.[4] Auch eine bessere Bildung ändert nicht viel, zumindest einigen Studien zufolge.[5] Dasselbe gilt für eine größere Auswahl an Konsumgütern[6] und für größere und schönere Wohnungen, deren Privileg vor allem darin zu bestehen scheint, dass sie mehr Raum zum Trübsalblasen bieten.[7]

Vielleicht braucht man nicht extra darauf hinzuweisen, dass Selbsthilfebücher, die moderne Apotheose des Strebens nach Glück, zu den Dingen gehören, die uns nicht glücklich machen. Die Forschung legt jedenfalls nahe, dass sie nur selten hilfreich sind.[8] Aus diesem Grund sprechen manche Selbsthilfe-Verleger untereinander von der »Achtzehn-Monats-Regel«, welche besagt, dass diejenigen, die am ehesten ein beliebiges Selbsthilfebuch kaufen, in den vorangegangenen 18 Monaten bereits ein Selbsthilfebuch gekauft haben – eines, das offensichtlich nicht all ihre Probleme gelöst hat.[9] Wenn man das Angebot an Selbsthilfebüchern mit nüchternem, unvoreingenommenem Blick betrachtet, ist das nicht sonderlich überraschend. Dass wir uns nach handlich im Buchformat verpackten Lösungen für das Problem des Menschseins sehnen, ist verständlich. Entfernt man jedoch die Verpackung, stellt man fest, dass die Botschaften solcher Werke meistens banal sind. Die sieben Wege zur Effektivität rät im Wesentlichen dazu, sich zu überlegen, was einem im Leben am wichtigsten ist, und es dann zu tun; Wie man Freunde gewinnt. Die Kunst, beliebt und einflussreich zu werden rät seiner Leserschaft, angenehm statt unausstehlich zu sein und die Menschen häufig mit Vornamen anzusprechen. Fish!, eines der erfolgreichsten Managementhandbücher der letzten Jahre, das dabei helfen soll, Glück und Produktivität am Arbeitsplatz zu steigern, schlägt vor, die fleißigsten Mitarbeiter mit kleinen Spielzeugfischen zu belohnen.

Wenn die Botschaften konkreter werden, neigen Selbsthilfegurus oft dazu, Behauptungen aufzustellen, die sich nicht mehr auf seriöse Forschungsergebnisse stützen – wie wir noch sehen werden. Beispielsweise gibt es keine Hinweise darauf, dass man seine Wut loswird, wenn man sie abreagiert, oder dass man seine Ziele eher erreicht, wenn man sie sich vor Augen führt.[10] Man mag von den länderspezifischen Erhebungen zum nationalen Glück, die inzwischen regelmäßig veröffentlicht werden, halten, was man will, doch ist es auffällig, dass die »glücklichsten« Länder nie diejenigen sind, in denen sich die meisten Selbsthilfebücher verkaufen, und auch nicht diejenigen, in denen Psychotherapeuten am häufigsten konsultiert werden. Die Existenz einer florierenden »Glücksindustrie« reicht also eindeutig nicht aus, um landesweites Glück zu erzeugen. Es ist vielmehr zu vermuten, dass sie die Lage eher verschlimmert.

Allerdings ist die Wirkungslosigkeit moderner Glücksstrategien tatsächlich nur ein kleiner Teil des Problems. Es spricht einiges dafür, dass die ganze Vorstellung vom »Streben nach Glück« von vornherein fehlerhaft ist. Wer sagt denn, dass Glück überhaupt ein legitimes Ziel ist? Die Religionen haben es nie besonders hervorgehoben, zumindest nicht, was diese Welt betrifft; auch in der Philosophie wird es keineswegs einhellig befürwortet. Evolutionspsychologen wiederum würden darauf hinweisen, dass die Evolution nur ein geringes Interesse daran hat, dass wir glücklich sind, solange wir nicht so lustlos oder traurig sind, dass wir den Willen zur Fortpflanzung verlieren.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass Glück ein lohnenswertes Ziel ist, hat das Ganze einen bösen Haken, denn offenbar schmälert das Streben nach Glück die Chancen, es jemals zu erreichen. »Fragen Sie sich, ob Sie glücklich sind«, bemerkte der Philosoph John Stuart Mill, »und Sie hören auf, es zu sein.« Es hat den Anschein, als könne man das Glück bestenfalls aus dem Augenwinkel erahnen, aber nicht direkt ansehen. (Wir neigen dazu, uns viel häufiger daran zu erinnern, dass wir in der Vergangenheit glücklich waren, als dass wir uns bewusst sind, in der Gegenwart glücklich zu sein.) Erschwerend kommt hinzu, dass sich das, was Glück eigentlich ist, unmöglich in Worten definieren lässt; selbst wenn man es könnte, käme man vermutlich auf so viele verschiedene Definitionen, wie es Menschen auf diesem Planeten gibt. All das verleitet zu der Schlussfolgerung, dass »Wie können wir glücklich sein?« schlichtweg die falsche Frage ist – dass wir uns ebenso gut damit abfinden könnten, niemals eine Antwort zu finden, und uns stattdessen mit etwas Produktiverem beschäftigen sollten.

Aber gibt es vielleicht noch eine dritte Möglichkeit, außer sich vergeblich um Lösungen zu bemühen, die offensichtlich nie funktionieren, oder einfach aufzugeben? Nachdem ich mehrere Jahre lang als Journalist über das Gebiet der Psychologie berichtet hatte, wurde mir schließlich klar, dass es eine solche Möglichkeit geben könnte. Ich erkannte, dass die Gedanken vieler ernst zu nehmender Psychologen und Philosophen (und sogar des ein oder anderen Selbsthilfegurus) etwas miteinander verband. Die verblüffende Schlussfolgerung, zu der sie alle auf unterschiedliche Weise gelangt waren, lautete, dass das Streben nach Glück oft genau das ist, was uns unglücklich macht. Und dass unser ständiges Bemühen, das Negative – Unsicherheit, Ungewissheit, Versagen oder Traurigkeit – zu beseitigen, die Ursache dafür ist, dass wir uns so unsicher, ängstlich, zweifelhaft oder unglücklich fühlen. Sie empfanden diese Schlussfolgerung jedoch nicht als bedrückend. Stattdessen sahen sie darin einen alternativen Ansatz, einen »negativen Weg« zum Glück, der eine radikal andere Haltung gegenüber allem erfordert, was die meisten von uns ihr ganzes Leben lang zu vermeiden suchen. Dazu gehört, dass man Ungewissheit genießen lernt, Unsicherheit akzeptiert, nicht mehr versucht, positiv zu denken, sich mit dem Scheitern anfreundet und sogar lernt, den Tod zu schätzen. Kurz gesagt, all diese Leute sind sich offenbar einig, dass wir, um wirklich glücklich zu sein, bereit sein müssen, mehr negative Emotionen zuzulassen – oder wenigstens aufhören, vor ihnen davonzulaufen. Das ist ein verwirrender Gedanke, der nicht nur unsere Methoden zum Erlangen von Glück infrage stellt, sondern auch unsere Annahmen darüber, was »Glück« eigentlich bedeutet.

Heutzutage findet dieser Gedanke zweifellos weniger Beachtung als die Mahnung, immer positiv zu bleiben. Doch ist es eine Sichtweise mit einer überraschend langen und respektablen Geschichte. Man findet sie in den Werken der Stoiker im antiken Griechenland und Rom, die hervorhoben, dass es vorteilhaft sei, stets darüber nachzudenken, wie schlecht alles laufen könnte. Sie liegt dicht am Kern des Buddhismus, der dazu rät, dass wahre Sicherheit in der uneingeschränkten Akzeptanz von Unsicherheit liegt – in der Erkenntnis, dass wir nie wirklich auf festem Boden stehen und es auch nie können. Sie steckt hinter der mittelalterlichen Tradition des Memento mori, mit der die lebensbejahende Wirkung des Gedenkens an den Tod gefeiert wurde. Und es ist das, was New-Age-Autoren wie den spirituellen Lehrer und Bestsellerautor Eckhart Tolle mit neueren Arbeiten der kognitiven Psychologie über die selbstzerstörerische Wirkung positiven Denkens verbindet. Dieser »negative« Ansatz in Bezug auf das Glück erklärt auch, warum viele Menschen die Achtsamkeitsmeditation als so wohltuend empfinden; warum eine neue Generation von Wirtschaftsexperten den Unternehmen rät, ihre obsessive Zielsetzung aufzugeben und stattdessen die Ungewissheit zu akzeptieren; und warum manche Psychologen in den letzten Jahren zu dem Schluss gekommen sind, dass Pessimismus oft ebenso gesund und produktiv sein kann wie Optimismus.

Alldem liegt das Prinzip zugrunde, das der Gegenkultur-Philosoph der 1950er- und 1960er-Jahre, Alan Watts, in Anlehnung an Aldous Huxley als »Gesetz der umgekehrten Anstrengung« oder »Gesetz der Umkehrung« bezeichnete: der Gedanke, dass in allen möglichen Zusammenhängen, von unserem Privatleben bis zur Politik, der Versuch, alles richtig zu machen, einen großen Teil dessen ausmacht, was falsch ist. Oder, um Watts zu zitieren: »Wenn du versuchst, an der Wasseroberfläche zu bleiben, so versinkst du; wenn du jedoch zu sinken versuchst, so trägt dich das Wasser … Unsicherheit ist das Resultat des Versuches, sicher sein zu wollen.«[11] In vielen Fällen, so schrieb Huxley, sei man umso erfolgloser, je mehr man sich bewusst bemühe, etwas zu tun.[12]

Der negative Weg zum Glück ist kein Argument für stures Gegenhalten um jeden Preis: Man tut sich keinen Gefallen, wenn man beispielsweise vor einen herannahenden Bus läuft, anstatt zu versuchen, ihm auszuweichen. Es sollte auch nicht so verstanden werden, dass Optimismus zwangsläufig etwas Schlechtes wäre. Vielmehr sollte man ihn als dringend notwendiges Gegengewicht zu einer Kultur betrachten, die auf die Vorstellung fixiert ist, dass Optimismus und Positivität die einzig möglichen Wege zum Glück sind. Natürlich stehen viele Menschen dem positiven Denken bereits mit einer gesunden Skepsis gegenüber. Aber es ist bemerkenswert, dass selbst diejenigen, die den »Kult des Optimismus« (wie ihn der Philosoph Peter Vernezze nennt) ablehnen, ihn letztlich stillschweigend gutheißen.[13] Da sie sich mit dieser Ideologie nicht anfreunden können oder wollen, vermuten sie, dass ihre einzige Alternative darin besteht, sich stattdessen in Trübsinn oder eine Art ironische Griesgrämigkeit zu flüchten. Auf dem »negativen Weg« geht es darum, diese Dichotomie abzustreifen und stattdessen das Glück zu suchen, das aus dem Negativen erwächst, anstatt zu versuchen, das Negative mit unablässiger Fröhlichkeit zu überdecken. Wenn die Fixierung auf das Positive die Krankheit ist, dann ist dieser Ansatz das Gegengift.

Der »negative Weg«, und das muss betont werden, ist dabei keine alleinige, umfassende, hübsch verpackte Philosophie; das Gegenmittel ist kein Allheilmittel.

Das Problem des positiven Denkens und vieler verwandter Ansätze zum Glücklichsein besteht zum Teil darin, dass man die großen Fragen auf einheitliche Selbsthilfetricks oder Zehnpunktepläne reduzieren will. Im Gegensatz dazu bietet der negative Weg keine solche Einzellösung. Manche seiner Vertreter betonen, dass sie negative Gefühle und Gedanken zulassen, während andere eher für eine gewisse Gleichgültigkeit ihnen gegenüber plädieren. Einige konzentrieren sich auf radikal unkonventionelle Techniken für das Streben nach Glück, während andere den Begriff des Glücks neu definieren oder gänzlich auf das Streben nach Glück verzichten. Das Wort »negativ« hat auch hier oft eine doppelte Bedeutung. Es kann sich auf unangenehme Erfahrungen und Emotionen beziehen, doch lassen sich bestimmte Glücksphilosophien deshalb am treffendsten als »negativ« bezeichnen, weil sie das Erlernen eines »Nicht-Tuns« beinhalten, also die Fähigkeit, positiven Gefühlen nicht so aggressiv hinterherzujagen.

Hier gibt es viele Paradoxe, und je mehr man sich damit beschäftigt, desto ausgeprägter werden sie. Ist zum Beispiel eine Emotion oder eine Situation wirklich »negativ«, wenn sie letztlich zu Glück führt? Wenn »positiv denken« nicht glücklich macht, ist es dann richtig, es überhaupt »positiv denken« zu nennen? Wenn man das Glück umdefiniert, um dem Negativen Rechnung zu tragen, ist es dann noch Glück? Und so weiter. Keine dieser Fragen lässt sich eindeutig beantworten. Das liegt zum Teil daran, dass die Befürworter des negativen Weges statt strenger Überzeugungen lediglich eine allgemeine Lebensauffassung teilen. Ein weiterer Grund ist, dass eine wesentliche Säule ihres Ansatzes gerade darin besteht, dass Glück Paradoxe beinhaltet; dass es unmöglich ist, sämtliche Probleme zu lösen, ganz gleich, wie verzweifelt wir uns das auch wünschen mögen.

Dieses Buch ist das Protokoll einer Reise durch die Welt des »Gesetzes der Umkehrung« und der lebenden und toten Menschen, die den negativen Pfad zum Glück beschritten haben. Meine Reisen führten mich in die abgelegenen Wälder von Massachusetts, wo ich eine Woche an einem stillen Meditationsort verbrachte; nach Mexiko, wo der Tod nicht gemieden, sondern gefeiert wird; und in die bitterarmen Slums vor den Toren Nairobis, wo Unsicherheit die unausweichliche Realität des täglichen Lebens ist. Ich traf moderne Stoiker, Spezialisten für die Kunst des Scheiterns, professionelle Pessimisten und andere Verfechter der Macht des negativen Denkens, von denen sich viele als überraschend fröhlich erwiesen. Aber ich begann in San Antonio, weil ich den Kult des Optimismus in seiner extremsten Form erleben wollte. Wenn es stimmte, wie ich mittlerweile glaubte, dass Dr. Robert Schullers Variante des positiven Denkens in Wirklichkeit nur eine übertriebene Version jener einseitigen Überzeugungen war, zu denen wir alle beim Thema Glück neigen, dann war es sinnvoll, das Problem zunächst einmal in seiner reinsten Form zu erleben.

So kam es, dass ich mich in einem dunklen Randbereich des Basketballstadions widerwillig erhob, weil die begeisterte Zeremonienmeisterin von Get Motivated! einen »Tanzwettbewerb« angekündigt hatte, an dem alle Anwesenden teilnehmen mussten. Wie aus dem Nichts tauchten riesige Strandbälle auf, die über die Köpfe der Zuschauer hinweghüpften, während aus der Musikanlage Wham! dudelte. Der Hauptpreis, eine Gratisreise nach Disney World, wartete nicht auf den besten Tänzer, sondern auf den motiviertesten, aber das machte für mich keinen Unterschied: Ich fand das Ganze zu anstrengend, um mehr zu tun, als nur leicht zu wippen. Der Preis wurde schließlich an einen Soldaten vergeben. Ich hatte den Verdacht, dass diese Entscheidung aus Lokalpatriotismus getroffen wurde und nicht als Anerkennung für einen besonders motivierten Tanz.

Nach dem Wettbewerb, während einer Pause vor dem Eintreffen George Bushs, verließ ich das Hauptstadion, um mir einen überteuerten Hotdog zu kaufen, und kam dabei mit einer anderen Teilnehmerin ins Gespräch, einer elegant gekleideten pensionierten Lehrerin aus San Antonio, die sich als Helen vorstellte. Das Geld sei knapp, erklärte sie, als ich sie fragte, warum sie an der Veranstaltung teilnehme. Sie sei widerstrebend zu dem Schluss gekommen, dass sie aus dem Ruhestand zurückkehren und wieder arbeiten müsse, und sie habe gehofft, dass Get Motivated! sie motivieren würde. »Die Sache ist allerdings die«, sagte sie, als wir uns über die Redner unterhielten, die wir gesehen hatten, »es ist ziemlich schwer, ständig diese guten Gedanken zu denken, wie sie es einem sagen, stimmt’s?« Einen Augenblick lang wirkte sie bedrückt. Dann fasste sie sich wieder und wedelte lehrerhaft mit einem Finger, als wollte sie sich selbst zurechtweisen. »Aber so darf man nicht denken!«

 

Einer der wichtigsten Experten auf dem Gebiet des positiven Denkens und seiner Probleme war ein Psychologieprofessor namens Daniel Wegner, der das Mental Control Laboratory an der Harvard University leitete. Dies ist, auch wenn der Name es vielleicht vermuten lässt, keine von der CIA finanzierte Einrichtung, die sich der Wissenschaft der Gehirnwäsche widmet.

Wegners geistiges Terrain war die sogenannte »ironische Prozesstheorie«, die untersucht, auf welche Weise unsere Bemühungen, bestimmte Gedanken oder Verhaltensweisen zu unterdrücken, ironischerweise dazu führen, dass sie sich stärker ausprägen. Ich hatte einen schlechten Start mit Professor Wegner, weil ich seinen Nachnamen in einer Zeitungskolumne versehentlich als »Wenger« tippte. Verärgert schickte er mir eine E-Mail (»Schreiben Sie meinen Namen richtig!«) und schien für das Argument, dass mein Versehen ein interessantes Beispiel für genau die Art von Fehlern war, die er erforschte, nicht besonders empfänglich zu sein. Der Rest unserer Kommunikation erwies sich als etwas angespannt.

Die Probleme, denen Wegner einen Großteil seiner Karriere gewidmet hat, haben ihren Ursprung allesamt in einem einfachen und äußerst irritierenden Gesellschaftsspiel, das mindestens auf die Zeit von Fjodor Dostojewski zurückgeht, der damit seinen Bruder gequält haben soll. Es ist eine Art Aufgabe: Schaffen Sie es – so wird das Opfer gefragt –, eine ganze Minute lang nicht an einen Eisbären zu denken? Sie können die Antwort natürlich erraten, aber es ist trotzdem lehrreich, den Versuch zu wagen. Warum versuchen Sie es nicht selbst? Schauen Sie auf Ihre Uhr oder suchen Sie eine Uhr mit Sekundenzeiger, und versuchen Sie, ab jetzt zehn Sekunden lang nicht an einen Eisbären zu denken. Los geht’s!

Mein Beileid zu Ihrem Scheitern.

Wegners erste Untersuchungen zur ironischen Prozesstheorie bestanden lediglich darin, amerikanischen Universitätsstudierenden diese Aufgabe zu stellen und sie dann zu bitten, ihre inneren Monologe laut zu führen, während sie den Versuch unternahmen. Dies ist eine recht plumpe Methode, um in die Gedankenwelt eines Menschen einzudringen, aber ein Auszug aus einer typischen Mitschrift demonstriert dennoch eindrucksvoll die Aussichtslosigkeit des Versuchs:[14]

Natürlich ist das Einzige, woran ich jetzt denken werde, ein Eisbär … Denk nicht an einen Eisbären. Hmm, woran habe ich vorher gedacht? Wissen Sie, ich denke oft an Blumen … Okay, also, meine Fingernägel sind wirklich schlimm … Jedes Mal, wenn ich … hmm, reden, denken, nicht an den Eisbären denken will, muss ich noch mehr an den Eisbären denken …

An dieser Stelle fragen Sie sich vielleicht, warum es bestimmten Sozialpsychologen anscheinend erlaubt ist, das Geld anderer Leute auszugeben, um das Offensichtliche zu beweisen. Natürlich ist es praktisch unmöglich, das Spiel mit dem Eisbären zu gewinnen. Aber Wegner stand erst am Anfang. Je mehr er das Feld erforschte, desto mehr gelangte er zu der Vermutung, dass der innere Mechanismus, der unsere Bemühungen zunichtemacht, den Gedanken an den Eisbären zu unterdrücken, ein ganzes Gebiet mentaler Aktivitäten und äußerer Verhaltensweisen beherrschen könnte. Das Spiel mit dem Eisbären scheint eine Metapher für vieles zu sein, was im Leben schiefläuft: Allzu oft ist das Ergebnis, das wir zu vermeiden suchen, genau das, das uns magnetisch anzuziehen scheint. Wegner nannte diesen Effekt den »genau kontraintuitiven Irrtum«, der, wie er in einem Aufsatz erklärte, »darin besteht, dass wir es schaffen, das Schlimmste zu tun, den Fehler, der so ungeheuerlich ist, dass wir im Voraus darüber nachdenken und beschließen, ihn nicht geschehen zu lassen. Wir sehen eine Spurrille auf der Straße vor uns und lenken unser Fahrrad direkt hinein. Wir notieren uns, dass wir im Gespräch keinen wunden Punkt erwähnen wollen, und zucken dann entsetzt zusammen, wenn wir genau das ausplaudern. Wir tragen das Glas vorsichtig quer durchs Zimmer und denken die ganze Zeit: ›Bloß nichts verschütten‹, und dann kippen wir es vor den Augen unseres Gastgebers auf den Teppich.«[15]

Die Fähigkeit zum ironischen Irrtum ist keineswegs nur eine gelegentliche Abweichung von unserer ansonsten tadellosen Selbstbeherrschung, sondern scheint tief in der Seele zu schlummern, fast wie ein Wesenskern unserer Persönlichkeit. Edgar Allan Poe nennt sie in seiner gleichnamigen Kurzgeschichte den »Geist des Bösen«: jenen namenlosen, aber ausgeprägten Drang, sich in die Tiefe zu stürzen, den man mitunter verspürt, wenn man an einer steilen Klippe entlanggeht oder auf die Aussichtsplattform eines hohen Gebäudes klettert – nicht aus einer selbstmörderischen Motivation heraus, sondern eben weil es so verhängnisvoll wäre, dies zu tun. Der Geist des Bösen plagt auch soziale Interaktionen, wie jeder weiß, der schon einmal über eine Folge von Lass es, Larry! gelacht hat.

Laut Wegner liegt dies an einer Fehlfunktion der dem Menschen eigenen Fähigkeit zur Metakognition, des Denkens über das Denken. Metakognition finde dann statt, »wenn das Denken sich selbst zum Gegenstand macht«.[16] In erster Linie ist dies eine äußerst nützliche Fähigkeit: Sie ermöglicht es uns zu erkennen, wenn wir unvernünftig sind, in eine Depression abgleiten oder von Ängsten geplagt werden, und dann etwas dagegen zu unternehmen. Wenn wir jedoch metakognitives Denken direkt dazu anwenden, unsere anderen, alltäglichen Gedanken auf der »Objektebene« zu steuern – indem wir beispielsweise Bilder von Eisbären unterdrücken oder düstere Gedanken durch fröhliche ersetzen –, bekommen wir Probleme. »Metagedanken sind Anweisungen, die wir uns selbst über unser Denken auf Objektebene geben«, wie Wegner es formuliert, »und manchmal können wir unsere eigenen Anweisungen schlichtweg nicht befolgen.«[17]

Wenn Sie versuchen, nicht an einen Eisbären zu denken, gelingt es Ihnen unter Umständen, alternative Gedanken in Ihren Kopf zu zwingen. Gleichzeitig wird jedoch ein metakognitiver Überwachungsprozess in Gang gesetzt, der Ihren Verstand nach Anzeichen dafür absucht, ob Sie bei der Aufgabe erfolgreich sind oder daran scheitern. Und hier wird es gefährlich, denn wenn Sie sich zu sehr anstrengen – oder, wie Wegners Studien nahelegen, wenn Sie müde, gestresst oder deprimiert sind, wenn Sie versuchen, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen, oder wenn Sie anderweitig unter »geistiger Belastung« stehen –, geht die Metakognition häufig schief. Auf der kognitiven Bühne nimmt der Überwachungsprozess dann mehr als nur einen Teil des Rampenlichts ein. Er drängt sich in den Vordergrund des Bewusstseins – und plötzlich können Sie nur noch an Eisbären denken und daran, wie schlecht es ihnen gelingt, nicht an sie zu denken.

Könnte es sein, dass die ironische Prozesstheorie auch Aufschluss darüber gibt, was mit unserem Streben nach Glück falsch läuft und wie es kommt, dass unsere Bemühungen um eine positive Einstellung anscheinend oft das Gegenteil bewirken? In den Jahren seit Wegners ersten Eisbär-Experimenten haben seine Forschungen und die anderer immer mehr Beweise für diese These geliefert. Ein Beispiel: Wenn Versuchspersonen von einem unglücklichen Ereignis erfahren, dann aber angewiesen werden, zu versuchen, nicht traurig darüber zu sein, fühlen sie sich am Ende schlechter als Personen, die zwar von dem Ereignis erfahren, aber keine Anweisungen bezüglich ihrer Gefühle erhalten.[18] In einer anderen Studie schlugen die Herzen von Panikpatienten, die sich Entspannungskassetten anhörten, schneller als die von Patienten, die sich Hörbücher ohne explizit »entspannenden« Inhalt anhörten.[19] Trauernde, die sich am meisten bemühen, ihre Trauer zu unterdrücken, brauchen Studien zufolge am längsten, um ihren Verlust zu verarbeiten.[20] Auch im sexuellen Bereich scheitern unsere Bemühungen um mentale Unterdrückung: Menschen, die aufgefordert werden, nicht an Sex zu denken, zeigen – gemessen an der elektrischen Leitfähigkeit ihrer Haut – eine stärkere Erregung als diejenigen, die nicht angewiesen werden, solche Gedanken zu unterdrücken.[21]

Aus dieser Perspektive betrachtet erweisen sich viele der von der Selbsthilfeindustrie propagierten Techniken zum Erreichen von Glück und Erfolg – vom positiven Denken über das Visualisieren von Zielen bis hin zur »Motivation« – als äußerst zweifelhaft. Jemand, der sich vorgenommen hat, »positiv zu denken«, muss seinen Geist ständig nach negativen Gedanken absuchen, denn anders kann man seinen Erfolg bei dieser Aufgabe gar nicht messen. Doch lenkt dieses Absuchen die Aufmerksamkeit auf die Präsenz negativer Gedanken. (Schlimmer noch: Wenn die negativen Gedanken überwiegen, kann es zu einem Teufelskreis kommen, da das Unvermögen, positiv zu denken, der Auslöser für einen neuen Strom selbstzerstörerischer Gedanken darüber sein kann, dass man nicht positiv genug denkt.) Nehmen wir an, Sie beschließen, Dr. Schullers Vorschlag zu befolgen, und versuchen, das Wort »unmöglich« aus Ihrem Wortschatz zu streichen, oder – etwas allgemeiner – sich ausschließlich auf erfolgreiche Ergebnisse zu konzentrieren und nicht mehr an Dinge zu denken, die nicht gelingen. Wie wir noch sehen werden, gibt es bei diesem Ansatz eine ganze Reihe von Problemen. Das grundlegendste ist jedoch, dass Sie sehr wohl scheitern können, und zwar genau dadurch, dass Sie ständig Ihren Erfolg im Auge behalten.

Dieses Problem der Selbstsabotage durch Selbstüberwachung ist nicht die einzige Gefahr des positiven Denkens. Ein weiterer Aspekt wurde 2009 aufgedeckt, als die in Kanada ansässige Psychologin Joanne Wood die Wirksamkeit von »Affirmationen« untersuchte, jenen schwungvollen, selbstgefälligen Phrasen, die durch ständige Wiederholung die Stimmung ihrer Anwender heben sollen.[22] Affirmationen haben ihren Ursprung im Werk des französischen Apothekers Émile Coué aus dem 19. Jahrhundert, eines Wegbereiters der zeitgenössischen Positivdenker, der die bis heute berühmteste Affirmation prägte: »Es geht mir mit jedem Tag in jeder Hinsicht immer besser und besser!«

Die meisten Affirmationen klingen ziemlich billig, und man möchte meinen, dass sie wenig Wirkung zeigen. Dann sind sie doch bestimmt auch ganz harmlos? Wood war sich da nicht so sicher. Ihre Argumentation stimmt zwar mit der von Wegner überein, stützt sich aber auf eine andere psychologische Tradition, die sogenannte »Theorie des sozialen Vergleichs«. Diese Theorie besagt, dass wir zwar gern positive Botschaften über uns selbst hören, uns aber noch mehr nach dem Gefühl sehnen, überhaupt ein kohärentes, konsistentes Selbst zu sein. Botschaften, die diesem Selbstverständnis widersprechen, verunsichern uns, weshalb wir sie oft ablehnen – selbst, wenn sie positiv sind, und sogar dann, wenn die Quelle der Botschaft wir selbst sind. Woods Vermutung war, dass Menschen, die Affirmationen anwenden, per definitionem ein geringes Selbstwertgefühl besitzen – dass sie aber genau aus diesem Grund gegen die Botschaften der Affirmationen reagieren, weil sie mit ihrem Selbstbild in Konflikt geraten. Botschaften wie »Es geht mir mit jedem Tag in jeder Hinsicht immer besser und besser« stehen im Widerspruch zu ihrer geringen Selbsteinschätzung und werden daher abgelehnt, um die Kohärenz des eigenen Selbstbildes nicht zu gefährden. Als Folge davon kann sich ihr geringes Selbstwertgefühl sogar verschlechtern, da die Menschen sich bemühen, ihr bestehendes Selbstbild gegenüber den eintreffenden Botschaften zu behaupten.

Genau das passierte bei Woods Studien. In einer Reihe von Experimenten wurden Menschen in Untergruppen mit niedrigem und hohem Selbstwertgefühl eingeteilt und dann gebeten, Protokoll zu führen: Jedes Mal, wenn eine Glocke läutete, sollten sie den Satz »Ich bin ein liebenswerter Mensch« laut zu sich selbst sagen. Anhand verschiedener ausgeklügelter Stimmungsmessungen zeigte sich, dass diejenigen, die den Prozess mit einem geringen Selbstwertgefühl begannen, deutlich weniger glücklich wurden, wenn sie sich einredeten, dass sie liebenswert seien. Sie fühlten sich von vornherein nicht besonders liebenswert – und der Versuch, sich etwas anderes einzureden, verstärkte lediglich ihre negative Einstellung. Das »positive Denken« hatte ihre Stimmung noch verschlechtert.

 

Der Auftritt von George Bush auf der Bühne in San Antonio wurde durch das plötzliche Erscheinen seiner Geheimdienstleute angekündigt. Es handelte sich um Männer, die in ihren dunklen Anzügen und mit ihren Ohrstöpseln wahrscheinlich überall aufgefallen wären – bei Get Motivated! allerdings stachen sie mit ihrem starren Stirnrunzeln doppelt so stark heraus. Der Schutz ehemaliger Präsidenten vor potenziellen Attentätern war offenbar kein Job, bei dem es sich lohnte, das Positive zu sehen und darauf zu vertrauen, dass alles glattlief.

Bush selbst hingegen betrat die Bühne mit einem Grinsen. »Wissen Sie, der Ruhestand ist gar nicht so übel, vor allem, wenn man sich in Texas zur Ruhe setzen kann«, begann er, bevor er in eine Rede einstieg, die er offensichtlich schon mehrmals gehalten hatte. Zunächst erzählte er eine volkstümliche Anekdote darüber, wie er die erste Zeit nach seiner Präsidentschaft damit verbracht habe, hinter seinem Hund aufzuräumen (»Mir wurde klar, dass ich mich acht Jahre lang davor gedrückt hatte!«). Dann schien es einen seltsamen Augenblick lang so, als wäre das Hauptthema seiner Rede, wie er einmal einen Teppich für das Oval Office aussuchen musste (»Ich dachte mir, als Präsident muss man ganz schön viele Entscheidungen treffen!«). Doch sein eigentliches Thema, so stellte sich bald heraus, war der Optimismus. »Ich glaube nicht, dass man eine Familie, eine Schule, eine Stadt, einen Staat oder ein Land leiten kann, wenn man nicht optimistisch ist, dass die Zukunft besser wird«, sagte er. »Und ich kann Ihnen versichern, dass ich selbst in den finstersten Tagen meiner Präsidentschaft optimistisch war, dass die Zukunft für unsere Bürger und die Welt besser würde als die Vergangenheit.«

Man braucht keine bestimmte politische Meinung über den 43. Präsidenten der Vereinigten Staaten zu haben, um zu erkennen, dass seine Worte eine grundsätzliche Merkwürdigkeit am »Kult des Optimismus« verdeutlichen. Bush machte keinen Hehl aus den zahlreichen Kontroversen seiner Amtszeit – eine Strategie, die man bei einem Motivationsseminar vor einem wohlwollenden Publikum und ohne das Risiko feindseliger Fragen vermuten könnte. Stattdessen hatte er beschlossen, sie als Beweis für seine optimistische Haltung umzudefinieren. Für Bush waren die glücklichen und erfolgreichen Phasen seiner Präsidentschaft selbstverständlich ein Beleg für die Vorzüge einer optimistischen Einstellung – doch dasselbe galt für die unglücklichen und erfolglosen Zeiten. Wenn es schlecht läuft, braucht man den Optimismus schließlich umso dringender. Oder anders ausgedrückt: Wenn Sie sich erst einmal entschlossen haben, die Ideologie des positiven Denkens zu verinnerlichen, können Sie praktisch alles als Rechtfertigung für positives Denken interpretieren. Sie brauchen keine Zeit darauf zu verwenden, sich zu überlegen, ob Sie das Richtige tun.

Könnte diese seltsam unwiderlegbare Ideologie der Positivität um jeden Preis – Positivität ohne Rücksicht auf die Ergebnisse – ernsthaft gefährlich sein? Gegner der Außenpolitik unter Präsident Bush könnten Grund zu dieser Annahme haben. Dies ist auch Teil der Argumentation von Gesellschaftskritikerin Barbara Ehrenreich in ihrem 2009 erschienenen Buch Smile or Die. Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt. Eine unterschätzte Ursache für die globale Finanzkrise der späten 2000er-Jahre war ihrer Meinung nach eine amerikanische Unternehmenskultur, in der bereits der Gedanke an die Möglichkeit des Scheiterns – geschweige denn das Aussprechen dieses Themas in Meetings – als peinlicher Fauxpas empfunden wurde.

Die Banker, deren Narzissmus durch eine Kultur geschürt wurde, die großartige Ambitionen über alles stellte, verloren die Fähigkeit, zwischen ihren ichbezogenen Träumen und konkreten Ergebnissen zu unterscheiden. In der Zwischenzeit gingen die Hauskäufer davon aus, dass sie alles bekommen könnten, was sie wollten, wenn sie es nur genug wollten (viele von ihnen hatten Bücher wie The Secret – Das Geheimnis gelesen, in dem genau das behauptet wird), und nahmen entsprechende Hypotheken auf, die sie nicht zurückzahlen konnten. Der Finanzsektor war von irrationalem Optimismus durchdrungen, und die professionellen Optimismus-Prediger – die Redner, Selbsthilfegurus und Seminarveranstalter – förderten diesen Optimismus nur zu gern. »Im gleichen Maße, wie das positive Denken selbst zu einem Wirtschaftszweig wurde«, schreibt Ehrenreich, »wurde die Wirtschaft sein wichtigster Kunde und griff begierig die Verheißung auf, mithilfe mentaler Anstrengungen sei alles möglich.« Dies sei »eine nützliche Botschaft für die Arbeitnehmer [gewesen], die an der Wende zum 21. Jahrhundert gezwungen waren, für weniger Geld und bei sinkender Arbeitsplatzsicherheit immer länger zu schuften«, aber auch »eine befreiende Ideologie für die Führungskräfte auf höchster Ebene. Weshalb sollte man sich mit Bilanzen und langweiligen Risikoanalysen befassen, warum sich Sorgen wegen der schwindelerregenden Verschuldung und möglichen Zahlungsausfällen machen, wenn für die Optimisten, die daran glauben, ohnehin alles gut werden wird?«[23]

Ehrenreich führt die Ursprünge dieser Philosophie auf das Amerika des 19. Jahrhunderts zurück, insbesondere auf die quasireligiöse Neugeist-Bewegung. Diese entstand in Auflehnung gegen die vorherrschende düstere Lehre des amerikanischen Calvinismus, die besagte, dass unermüdliche harte Arbeit die oberste Pflicht eines jeden Christen sei – mit dem zusätzlichen Nachteil, dass man dank der Prädestinationslehre möglicherweise ohnehin schon dazu verdammt war, die Ewigkeit in der Hölle zu verbringen. Die Neugeist-Bewegung hingegen verkündete, dass man durch die Kraft des Geistes Glück und weltlichen Erfolg erlangen könne. Gemäß der aus der Neugeist-Bewegung heraus entstandenen Lehre der Christlichen Wissenschaft vermag diese Geisteskraft sogar körperliche Leiden zu heilen. Doch wie Ehrenreich deutlich macht, führte die Neugeist-Bewegung ein eigenes strenges Wertesystem ein und ersetzte die obligatorische harte Arbeit des Calvinismus durch obligatorisches positives Denken. Negative Gedanken wurden heftig angeprangert – eine Botschaft, in der sich die Verurteilung der Sünde durch die alte Religion widerspiegelte, ergänzt durch ein Beharren auf »der unausgesetzten inneren Arbeit der Selbstprüfung«. Unter Berufung auf die Soziologin Micki McGee zeigt Ehrenreich, wie unter dieser neuen Orthodoxie des Optimismus »die unausgesetzte, nie endende Arbeit am Ich […] nicht nur als Weg zum Erfolg, sondern auch als eine Art säkularer Erlösung« angeboten wurde.

George Bush stand also in einer altehrwürdigen Tradition, als er die Bedeutung von Optimismus in allen Lebenslagen beschwor. Doch seine Rede bei Get Motivated! war fast so schnell vorbei, wie sie begonnen hatte. Eine Prise Religion, eine wenig erhellende Anekdote über die Terroranschläge vom 11. September 2001, ein paar lobende Worte für das Militär, und schon winkte er zum Abschied – »Danke, Texas, es ist gut, zu Hause zu sein!« –, während sich seine Leibwächter um ihn scharten. Unter dem Jubel hörte ich, wie Jim, der Parkranger auf dem Nebensitz, einen Seufzer der Erleichterung ausstieß. »Okay, ich bin motiviert«, murmelte er vor sich hin. »Ist es jetzt Zeit für ein Bier?«

 

»Man kann auf vielerlei Weise unglücklich sein«, sagt eine Figur in einer Kurzgeschichte von Edith Wharton. »Zufriedenheit stellt sich hingegen nur ein, wenn man aufhört, dem Glück hinterherzujagen.«[24] Diese Bemerkung bringt das Problem des »Optimismuskults« auf den Punkt – den ironischen, selbstzerstörerischen Kampf, der die Positivität untergräbt, wenn wir uns zu sehr anstrengen. Sie verweist aber auch auf die Möglichkeit einer hoffnungsvolleren Alternative, einer radikal anderen Herangehensweise an das Thema Lebensglück. Der erste Schritt besteht darin, dass man lernt, dem Positiven nicht mehr so verbissen hinterherzulaufen. Viele Befürworter des »negativen Wegs« zum Glück gehen noch weiter und argumentieren – widersprüchlich, aber überzeugend –, dass das bewusste Eintauchen in das, was wir als negativ empfinden, eine Vorbedingung für wahres Glück sein könnte.

Die vielleicht anschaulichste Metapher für diese ganze seltsame Philosophie ist ein kleines Kinderspielzeug, das als »chinesische Fingerfalle« bekannt ist, wenngleich vieles darauf hindeutet, dass es wahrscheinlich gar nicht chinesischen Ursprungs ist. Die »Falle« ist eine Röhre aus dünnen geflochtenen Bambusstreifen mit einer Öffnung an jedem Ende, die etwa so breit ist wie ein menschlicher Finger. Der Psychologe Steven Hayes, ein ausgesprochener Kritiker des kontraproduktiven positiven Denkens, bewahrt in seinem Büro an der Universität von Nevada eine Schachtel davon auf; er verwendet sie, um seine Argumente zu veranschaulichen. Das ahnungslose Opfer wird aufgefordert, seine Zeigefinger in die Röhre zu stecken, und sitzt dann in der Falle: Als Reaktion auf den Versuch, die Finger wieder herauszuziehen, verengen sich die Öffnungen an beiden Enden der Röhre und umschließen die Finger nur noch fester. Je stärker man zieht, desto mehr ist man gefangen. Nur wenn man nachlässt und die Finger weiter hineinschiebt, lassen sich die Enden der Röhre weiten, sodass sie abfällt und man wieder frei ist.

Wie Hayes feststellt, ist es bei der chinesischen Fingerfalle somit kontraproduktiv, das vermeintlich Vernünftige zu tun.[25]

Auf dem negativen Weg zum Glück geht es darum, stattdessen das andere zu tun – das vermeintlich Unlogische.