Das Google-Imperium - Lars Reppesgaard - E-Book

Das Google-Imperium E-Book

Lars Reppesgaard

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Beschreibung

Google ist immer und überall. In nur zehn Jahren hat sich das Start-up aus dem Silicon-Valley zu einem der mächtigsten Unternehmen der Welt entwickelt. Mit steigender Macht wächst auch die Verantwortung - oder unser Misstrauen. Lars Reppesgaard, Google-Kenner der ersten Stunde, hat das "Raumschiff" Google unter die Lupe genommen. Er zeigt, wie das Unternehmen weltweit agiert und Google unser Leben und Arbeiten nachhaltig verändert.

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Lars Reppesgaard

Das Google-Imperium

Für Brigitte und Henning

Inhalt

Einführung

Von der Suchmaschine zum Internet-Imperium

Willkommen auf dem Planeten Google

Wie Google wirklich tickt

Im Elfenbeinturm

Die Googler

Der Kampf um die ersten Plätze

Geldmaschine Onlinewerbung

Ein Algorithmus lernt Chinesisch

Google weltweit

Das Herz des Informationsriesen

Die Rechenzentren

Optimierer, Hacker, Klickbetrüger

Googles Feldzug gegen Manipulation

Die dunkle Seite der Macht

Google wird zum Imperium

Unstillbarer Datenhunger

Was Google wirklich weiß

Was Google macht

Ein Konto beim Giganten

Personalisierte Dienste

Der Globus auf dem Bildschirm

Satellitenbilder, Stadtpläne, Straßenansichten

Millionen gehen auf Sendung

Google kauft das Videoportal Youtube

Der Körper im Netz

Krankenakten und Genanalysen

Tausend Jahre Wissen

Google scannt die Bücherwelt

Software aus der Leitung

Angriff auf Microsoft & Co.

Android versus Nokia

Freeware für den Mobilfunk

Reklame um jeden Preis?

Google steigt in die bunte Bannerwerbung ein

Ausblick

Der Klick in die Unabhängigkeit

Abschied vom Planeten Google?

Anhang

Register

Über den Autor

Impressum

Verlagsanzeige John Kao

Einführung

Von der Suchmaschine zum Internet-Imperium

Willkommen auf dem Planeten Google

Oliver ist ein niedliches Kind, das schon nach zehn Monaten laufen konnte, gerne Ball spielt und viel lacht. Die blauen Augen hat er von seiner Mutter Carol Kai. Von seinem Vater Elias kommt der mehr als ungewöhnliche zweite Vorname: Google. Sogar einen Strampelanzug, auf dem dieser in blauen, grünen, roten und gelben Buchstaben prangt, hat er für den Kleinen gekauft. Dank seines Sohnes nennen seine Freunde ihn jetzt »Abu Google«: Vater von Google. Elias Kai ist auf den neuen Spitznamen stolz, er ist mit Haut und Haaren GOOGLE-Fan. Kein anderes Unternehmen prägt sein Leben so wie der kalifornische Betreiber der erfolgreichsten Internetsuchmaschine der Welt. Kai benutzt GOOGLE täglich, um im weltweiten Datennetz die Internetseiten zu finden, die ihn interessieren. Über GOOGLEs E-Mail-Programm bleibt er mit Freunden und Geschäftspartnern in Kontakt. Und sein Geld verdient Elias Kai, indem er Unternehmen zum Thema GOOGLE berät. Der Marketingspezialist mit den libanesischen Wurzeln hat in den Vereinigten Staaten studiert und lebt heute in Stockholm. Dort berät er Firmen, wie sie ihre Webseiten aufbauen müssen, damit die Suchmaschine sie findet.

Doch GOOGLE hilft ihm nicht nur, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. »GOOGLE ist für mich ein Synonym für den freien Austausch von Informationen«, sagt er. »GOOGLE steht für Vernetzung und für Verständigung rund um die Welt.« Als seine Frau im September 2005 ihr gemeinsames Kind zur Welt brachte, hatte er deshalb eine feste Vorstellung, wie es heißen sollte. »Als klar war, dass Carol schwanger ist, sagte ich, wir werden unser Kind Google nennen. Alle haben gelacht, keiner nahm mich ernst«, erinnert er sich. »Mein Bruder meint, das nächste Kind nennst du dann wohl Yahoo Fuji Nikon. Aber Carol spürte, dass es mir ernst war. Sie weiß, wie sehr ich das Unternehmen GOOGLE bewundere.«

Vielen Menschen geht es so wie dem Vater von Oliver Google Kai – auch wenn nicht jeder gleich sein Kind nach der Suchmaschine benennt. So gut wie jeder, der Computer und Internet nutzt, kennt und verwendet GOOGLE. Mehr noch: GOOGLE fasziniert. Das dynamische Technologieunternehmen aus Kalifornien hat die Welt im Sturm erobert. Wie kaum eine andere Firma prägt es die Art und Weise, wie Menschen Informationen nutzen. GOOGLE INC. feierte im September 2008 erst seinen zehnten Geburtstag – und ist doch schon jetzt maßgeblich daran beteiligt, dass aus der Idee vom Informationszeitalter Wirklichkeit wird.

Durch die weltweite Verbreitung der Internettechnologie seit Mitte der 1990er Jahre sind Millionen von Computern rund um die Welt miteinander verbunden. Die Menge an Information in den weltweiten Datennetzen ist gigantisch. Und sie wächst Tag für Tag. Unermüdlich werden Zeitungsartikel, Vorträge, Fotos, Videofilme, Wetter- oder Börsendaten ins Internet gestellt – von Firmen, Medienunternehmen und Privatpersonen. Im Jahr 2007 bestand das digitale Universum aus 281 Milliarden Gigabyte an Daten. Rein rechnerisch ist pro Kopf auf diesem Planeten eine Informationsmenge gespeichert, die etwa 45000 Digitalfotos, mehr als acht Millionen Seiten Text oder 45 Spielfilmen in Kinolänge entspricht.

Die Menge an Informationen, die ein Mensch sich erschließen kann, ohne dass ihn Entfernungen, Grenzzäune oder Öffnungszeiten dabei bremsen, ist größer denn je. Zu fast allem, was die Menschheit weiß und was sie geschaffen hat, sind irgendwo in irgendeiner Datei online Informationen zu finden. Das digitale Gedächtnis der Welt umfasst so gut wie alle Werke der Weltliteratur, Zeitungsarchive, Wirtschaftsdaten, Musikstücke, Lexika sowie Foto- und Filmaufnahmen von allen bedeutenden Menschen, Tieren, Pflanzen, Bauwerken, Erfindungen und Landstrichen. Praktisch alle Ideen, die die Menschheit hatte – gute wie schlechte –, werden irgendwo im weltweiten Datennetz dokumentiert und diskutiert.

Suchmaschinen wie GOOGLE helfen den Nutzern, online an ihr Ziel zu gelangen. »Sie sind unumgänglich, um sich im Internet zurechtzufinden«, sagt Wolfgang Sander-Beuermann von der Universität Hannover, einer der profiliertesten Forscher zum Thema Suchmaschinen. Durch Suchmaschinen wird das enorme Wissen, das in den weltweiten Datennetzen aufbewahrt wird, so strukturiert, dass die Informationsgesellschaft darauf zugreifen kann. Nur jeder Zehnte findet seinen Weg zu einer Internetseite ganz ohne eine Suchmaschine.

Auf dem GOOGLE GEODISPLAY kann man sehen, wie eine Welt aussieht, in der die Suche nach digitalisierten Informationen über eine Suchmaschine zum Alltag geworden ist. In der Eingangshalle des Gebäudes Nummer 43 im GOOGLEPLEX, dem Hauptquartier von GOOGLE INC. im Silicon Valley in Kalifornien, wird eine Animation der Erde auf eine Leinwand projiziert. Der ganze Planet ist übersät mit kleinen blinkenden Punkten. Jeder steht für eine Suchanfrage, und seine Farbe zeigt die Sprache, in der gesucht wird. Aus ihnen schießen wie aus einem Springbrunnen farbige Lichtstrahlen hervor. Die Blüten aus Licht, die sich in Sekunden öffnen und wieder vergehen und die an die Verzweigung der Hirnströme erinnern, zeigen, von wo die Anfragen bei den verschiedenen Rechenzentren von GOOGLE eingehen.

Das Leuchten bedeckt die Fläche der Vereinigten Staaten fast völlig. Kein Wunder, hier stand die Wiege des Internets, das Militärcomputernetz APRA ist hier entwickelt worden. Bis heute haben die USA eine Vorreiterrolle beim Ausbau der Informationsgesellschaft. Apple, Microsoft, Ebay, Yahoo, Amazon und nicht zuletzt GOOGLE – die großen Firmen, die die Entwicklung geprägt haben, kommen aus den Staaten. Die meisten Rechenzentren von GOOGLE, in denen die Anfragen verarbeitet werden, befinden sich hier. Die Mehrheit der Lichter blinkt in Rot, das für englische Anfragen steht. Doch auch etliche gelbe Lichter sind zu sehen. Sie stehen für spanische Suchanfragen. Der Anteil der Menschen mit lateinamerikanischen Wurzeln im Schmelztiegel USA ist in den letzten Jahren enorm gewachsen. Unterhalb der Vereinigten Staaten blitzt und blinkt es hauptsächlich gelb. Das ist Mexiko. Von hier führen manche Lichtstrahlen quer über den Atlantik zu den Datenzentren in Spanien. In der Alten Welt sorgen die vielen europäischen Muttersprachen dafür, dass es in allen Regenbogenfarben schillert. Neben den gelben Lichtern gibt es blaue für französische Anfragen, Purpur steht für Niederländisch, Dunkelgrün für Deutsch, Limettengrün für Portugiesisch.

Darunter liegt ein ganzer Kontinent fast völlig im Dunkeln: Afrika – schon heute abgehängt von der Informationsgesellschaft. Etwas weiter im Osten, im Süden von Indien, pulsieren die Lichter. Bangalore und Hyderabad haben sich zu den neuen Lieblingsstandorten der digitalen Wirtschaft entwickelt. Auch Japan erscheint als blinkendes violettes Lichtermeer. Die digitale Kluft wird noch größer werden. Denn dort, wo die Drähte glühen, beschleunigt sich auch die wirtschaftliche Entwicklung.

Wissen ist Macht. Das gilt erst recht im Zeitalter der digitalen Beschleunigung. Computernutzer wie Elias Kai stellen weltweit fast 49 Milliarden Suchanfragen pro Monat an Onlinedienste, rund 3,2 Milliarden Informationssuchen davon entfallen auf Deutschland. Und das zentrale Verzeichnis für alle, die wissen wollen, wo man eine bestimmte Information findet, ist GOOGLE. Zwar ist es weder das älteste noch das einzige Recherchewerkzeug für die Onlinewelt; es gibt über 5500 andere Suchseiten, die man benutzen könnte. Trotzdem entfällt das Gros der Klicks auf GOOGLE. GOOGLE ist für viele nicht irgendeine, sondern die Suchmaschine schlechthin.

Aufstieg zur Nummer eins

Die ersten Nutzer überzeugte GOOGLE dadurch, dass die Software von der Stanford University bessere Suchergebnisse lieferte als kommerzielle Konkurrenten. In den Jahren 1996 und 1997 war GOOGLE kaum mehr als ein wissenschaftliches Projekt von zwei computerbegeisterten Elitestudenten. Einer der GOOGLE-Gründer, Larry Page, hatte sich für seine Doktorarbeit vorgenommen, die Struktur des World Wide Web zu untersuchen. Dazu begann er, die Links, mit denen Webseiten aufeinander verweisen, auszuwerten. Zusammen mit dem zweiten Kopf hinter GOOGLE, seinem Studienkollegen Sergey Brin, entwickelte er erste mathematische Verfahren, um die Verlinkung der Seiten als Hinweis auf ihre Bedeutung zu verwenden – so wie der wissenschaftliche Text eines Forschers in der Fachwelt als besonders bedeutsam gilt, wenn viele andere Wissenschaftler aus ihm zitieren.

Die Ergebnisse, die dieses Recherchewerkzeug bei der Suche nach Internetinhalten lieferte, überzeugten die ersten GOOGLE-Nutzer: Mitstudenten, Lehrpersonal und Verwaltungsangestellte. Durch Mund-zu-Mund-Propaganda wurde die neue Suchmaschine zuerst in amerikanischen Universitätskreisen populär. Die Herzen der rasch wachsenden Onlinegemeinschaft gewannen die Suchmaschinentüftler auch, weil sie ihre Rechner selbst zusammenbauten und weil sie auf das freie Betriebssystem Linux für ihre Software setzten. Im September 1998 gründeten Page und Brin das Unternehmen GOOGLEINC. Andy von Bechtolsheim, aus Deutschland ins Silicon Valley übergesiedelter Computerexperte, hatte ihnen einen Scheck über 100000 Dollar ausgestellt, damit sie ihre Technologie weiterentwickeln konnten. Im Juni 1999 investierten die Risikokapitalfirmen Sequoia Capital und Kleiner Perkins 25 Millionen Dollar in das Start-up-Unternehmen. Drei Monate später ging GOOGLEs Suchseite, die den Nutzern bis dahin als unfertige Betasoftware präsentiert worden war, offiziell an den Start.

Noch im Betastadium begann GOOGLE sich gegen die kommerzielle Konkurrenz durchzusetzen. Der damalige Marktführer Altavista hatte rund um seine Suchfunktion ein ausuferndes, buntes Onlineportal aufgebaut, dass vor blinkenden Werbebannern strotzte. Auch Yahoo und Lycos nervten die Nutzer mit einem hohen Anteil an schriller Onlinereklame auf dem Bildschirm. GOOGLE dagegen bot eine nüchterne, zurückhaltende, fast minimalistische Startseite, weil es ihnen um die Suche ging, nicht um das Verkaufen.

Werbung wird bei GOOGLE erst seit dem Jahr 2000 eingeblendet: dezent am Rand der Ergebnisseiten. Und sie hat in der Regel etwas mit der Suchanfrage zu tun. »Das war eine einzigartige Idee. Bei Yahoo und anderen gab es damals fette Werbebanner und Imagewerbung, die aber nicht spezifisch auf die Bedürfnisse des Users ausgerichtet waren«, erinnert sich Andy von Bechtolsheim. Altavista, Yahoo, Lycos und Co. blendeten die Banner jener Anzeigenkunden ein, die am meisten bezahlten. »Bei GOOGLE wurden die Bildschirme der Leute dagegen nicht mit Werbung zugepflastert«, erklärt Professor Mario Fischer vom Institut für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Würzburg den Erfolg der Newcomer. »Werbung soll keine nervende Unterbrechung darstellen«, lautet eine Grundregel des Unternehmens, die 2004 vor dem Börsengang von GOOGLE im Anlegerprospekt veröffentlicht wurde. Die Suchergebnisse sind wie der redaktionelle Teil einer Zeitung streng von den Werbeanzeigen getrennt. Eine Topplatzierung bei den GOOGLE-Suchergebnissen kann sich bis zum heutigen Tag niemand kaufen.

GOOGLEs Konzept setzte sich durch. Die Internetnutzer wechselten in Scharen zur Webseite der Kalifornier. Auch technisch blieb GOOGLEs Suchtechnologie überlegen. »Damals war ich fasziniert davon, dass es tatsächlich eine Suchmaschine gibt, die die Ergebnisse in weniger als einer Sekunde anzeigt, die wirklich für mich besten Ergebnisse findet und dann auch noch werbefrei ist«, erinnert sich Jens Minor, Gründer der Internetseite Googlewatchblog.de, auf der Fans und Benutzer von GOOGLE-Software die neuesten Nachrichten über ihr liebstes Suchmaschinenunternehmen zusammenfassen. »Von Lycos und Yahoo war man ja drei bis fünf Sekunden Wartezeit gewohnt.« Außerdem hat es GOOGLE immer verstanden, sein Image als Rebell und Outlaw auszuspielen. Vor allem die Rivalität gegenüber Microsoft, dem größten Softwareunternehmen der Welt, pflegte das Unternehmen innig. Nach und nach verwendete die gesamte Onlinegemeinschaft GOOGLE – immer mit dem wohligen Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen und mit jedem Klick wenigstens ein kleines bisschen dazu beizutragen, dass die Guten gewinnen.

Wer heute seine ersten Gehversuche im weltweiten Datennetz unternimmt, bekommt als Erstes den Tipp, GOOGLE zu benutzen. Die große Mehrheit derer, die im Internet surfen, findet das, was sie suchen, indem sie auf GOOGLEs Startseite oder in einem kleinen Eingabefeld ihres Webbrowsers Begriffe eintippen, um dann auf den als Ergebnis angezeigten Link zu klicken. Sie googeln. So wie es den Marken Tempo, Maggi, Jeep oder Whirlpool gelungen ist, ganze Produktgattungen zu beschreiben, hat auch GOOGLE es geschafft, zum Teil der Alltagssprache zu werden. GOOGLE ist zum Synonym für die Informationssuche über das Internet geworden. Schüler googeln sich Stoff für ihre Hausaufgaben, Personalchefs Hintergrundinformationen über Bewerber, Schnäppchenjäger googeln Produkte und Lkw-Fahrer ihre Anfahrtsrouten. Auch in der Popmusik wird gegoogelt. »Google me« heißt ein Song der New Yorker Soulsängerin Teyana Taylor. »Wenn du mich finden willst, weißt du, wo dein Mädchen ist«, singt sie. »Baby, du kannst mich googeln.«

Unser bester Freund

Wenn ein Unternehmen in Popsongs verewigt wird und Kinder nach ihm benannt werden, dann ist es wirklich populär. Tatsächlich hat sich GOOGLE in nur zehn Jahren zur wertvollsten Marke der Welt entwickelt. Selbst Coca Cola, Microsoft, Apple oder Nokia sind hinter der Strahlkraft des Namens GOOGLE zurückgefallen.

Dabei ist es eher einem Zufall zu verdanken, dass GOOGLE überhaupt GOOGLE heißt. Zumindest wenn es stimmt, was man sich an der Stanford University erzählt. Eigentlich hatten Larry Page und Sergey Brin an das Wort Gogool gedacht, die Bezeichnung für eine Zahl mit 100 Nullen. Ein Gogool ist eine gigantische Summe, größer als die Anzahl der Atome im sichtbaren Universum. Als der amerikanische Mathematiker Edward Kasner im Jahr 1938 ein Wort für eine sehr große Zahl suchte, fragte er seinen neunjährigen Neffen Milton, wie sie heißen sollte, und Milton dachte sich das Fantasiewort aus. Im Dezember 1997 diskutierten Page und Brin in ihren Räumen im Gates Computer Science Building mit anderen Studierenden über einen zündenden Namen für ihre Suchsoftware, die damals noch »Backrub« hieß. Brin schlug mit Blick auf Miltons Riesenziffer Googol als Namen für den geplanten riesengroßen Webkatalog vor. Einer der Anwesenden tippte den Begriff in den Computer, um die entsprechende Internetadresse für das Projekt zu reservieren. Ob er sich dabei vertippte oder ob die Internetadresse Googol.com schon vergeben und die Schreibweise GOOGLE die einzig verbleibende Alternative war, ist unter denen, die dabei waren, umstritten. Auf jeden Fall wird heute gegoogelt, nicht gegogoolt.

Mit Millionen von Surfern, die heute die Webadresse GOOGLE.COM – oder ihre lokalen Ableger wie GOOGLE.DE in Deutschland, GOOGLE.FR in Frankreich oder GOOGLE.CN in China – ansteuern, ist GOOGLE zu einer der Antriebsmaschinen des Informationszeitalters geworden. Seit dem kometenhaften Aufstieg von Microsoft hat kein Unternehmen in so kurzer Zeit so großen wirtschaftlichen Erfolg verbucht und gleichzeitig durch die von ihm entwickelte Technologie Arbeitsalltag und Lebenswelt von Menschen rund um die Welt so nachhaltig verändert. »GOOGLE ist die revolutionärste Erfindung seit der Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg«, sagt der amerikanische Journalist David A. Vise, Autor von Die Google-Story, dem Klassiker zur GOOGLE-Geschichte. »Das hört sich gewaltig an, aber GOOGLE hat das Verhalten von Milliarden Menschen auf der Welt verändert, was den Zugang zu Information betrifft.« Allein in den Vereinigten Staaten, wo GOOGLE zwei Drittel aller Suchanfragen anzieht, nutzen im Monat mehr als 100 Millionen Besucher GOOGLEs Webseiten, um etwas im Internet zu finden.

Das Unternehmen gehört deshalb inzwischen nicht nur zu den bekanntesten, sondern auch zu den wertvollsten, profitabelsten und reichsten der Welt. Zwei Drittel aller Suchanfragen weltweit laufen über die Rechner der Kalifornier. Der Anteil vom schärfsten GOOGLE-Konkurrenten Yahoo an den Rechercheaufträgen beträgt gerade mal 13 Prozent. Weit abgeschlagen dahinter liegen die chinesische Suchmaschine Baidu.com und Microsoft mit seinem Suchangebot MSN Search. Die Marktanteile der übrigen vielen tausend Anbieter sind noch weit kleiner. In Deutschland, Österreich und der Schweiz hat GOOGLE im Bereich der Internetsuche beinah Monopolstatus: 89 Prozent aller Suchanfragen laufen über diese Suchseite. Weil GOOGLEs Suchtechnologie auch hinter Ergebnissen steht, die T-Online, Web.de oder AOL auf ihren Seiten liefern, gehen Fachleute davon aus, dass mehr als 95 Prozent aller Suchen auf dem deutschsprachigen Markt über GOOGLE verarbeitet werden.

Der Suchdienst ist für die Benutzer kostenlos. GOOGLE verdient dennoch sehr viel Geld – durch die Anzeigen, die neben den Ergebnissen von Suchanfragen platziert werden. 2009 setzte der Internetgigant mehr als 23 Milliarden Dollar um. Die GOOGLE-Aktionäre konnten sich über mehr als 6,5 Milliarden Dollar Gewinn freuen – allen voran die Firmengründer Larry Page und Sergey Brin, die einen Großteil der Aktien besitzen. 2010 wird das Ergebnis aller Voraussicht nach ähnlich gut sein. Im ersten Viertel des Jahres setzte GOOGLE in jeder Stunde mehr als drei Millionen Dollar um. Das ist eine fantastische Bilanz für ein verhältnismäßig kleines Unternehmen, das weltweit nur knapp 20 000 Mitarbeiter beschäftigt. GOOGLEs Börsenwert übertrifft heute den von DAX-Größen um ein Vielfaches. Alle GOOGLE-Aktien zusammen kosten etwa drei Mal so viel wie der gesamte Aktienbestand von Daimler und doppelt so viel wie der von Siemens. »Ich glaube nicht, dass irgendjemand, die GOOGLE-Gründer eingeschlossen, sich jemals vorstellen konnte, dass die Firma so schnell so viel wert sein würde«, sagt David Vise.

So wie viele Konkurrenten erst langsam erfassen, wie erfolgreich GOOGLE eigentlich ist, kristallisiert sich auch der immense Einfluss gerade erst heraus, den Suchmaschinen wie GOOGLE als zentrale Vermittlungsstellen der Informationsgesellschaft auf die reale Welt haben. GOOGLE hilft nicht nur Informationssuchenden bei ihren Recherchen, sondern prägt auch das reale Leben seiner Nutzer. Wer in Urlaub fahren will, sucht per GOOGLE Informationen über das Ziel, über Verkehrsverbindungen, Reiseveranstalter und Übernachtungsmöglichkeiten. Einiges bucht er vermutlich auch gleich online. Es ist selbstverständlicher Teil des Alltags geworden, den Veranstaltungsort eines Konzerts und Tipps für die Autoreparatur zu googeln oder sich via Onlinesuche über Symptome und Heilungsansätze zu informieren, wenn man sich krank fühlt. »Im digitalen Zeitalter ist es wahrscheinlich, dass wir uns genauso oft an Suchmaschinen wenden, wie wir den vertrauensvollen Rat von Freunden suchen«, erklärt Bill Tancer, der Chef des amerikanischen Marktforschungsunternehmens Hitwise. In der Deutschlandzentrale von GOOGLE in Hamburg erzählt man die Geschichte, dass sich eines Tages eine alte Dame am Empfang meldete und zur Röntgenabteilung wollte. Ihr Arzt hatte ihr gesagt, sie solle ihr Beckenleiden bei GOOGLE recherchieren. Sie suchte im Telefonbuch die Adresse von GOOGLE heraus und machte sich auf den Weg. Die Empfangsmitarbeiter klärten das Missverständnis auf und halfen ihr beim Googeln.

Monat für Monat fragen etwa 4,2 Milliarden Mal Menschen in der Bundesrepublik GOOGLE um Rat. Mehr als drei Viertel aller Internetsurfer in Deutschland nutzen regelmäßig die Technologie der Kalifornier. Mit ihrer Hilfe können sie vom Schreibtisch aus in Büchern, Fachzeitschriften, Zeitungen, Bilddatenbanken und Archiven rund um den Globus recherchieren. Sie erhalten Informationen zu den günstigsten Call-by-Call-Vorwahlen und deutschen Stadtplänen oder sehen, wie ihre Aktien stehen. Sie können verfolgen, wo der Kurier mit ihrem Paket gerade steckt oder wann der nächste Zug nach Berlin fährt.

Der größte Rechner der Welt

Hinter der nüchternen Suchmaske, die man unter GOOGLEs Internetadresse findet, steckt eine Rechnerinfrastruktur, die weltweit einmalig ist. Mit ihr schafft es der neue Gigant des Onlinezeitalters, die gewünschten Informationen bereitzustellen, und zwar für mehr als 34 000 Menschen, die in jeder Sekunde auf die Computer von GOOGLE zugreifen. In der Regel dauert es weniger als eine Sekunde, bis GOOGLE antwortet, obwohl es mitunter für einen Suchbegriff mehrere Millionen Treffer gibt. Und meist finden sich die Verweise auf die Internetseiten mit den allerbesten Antworten ganz oben auf der Liste.

Das funktioniert, weil GOOGLE weiß, was auf vielen Milliarden Webseiten steht. Denn in jeder Sekunde startet das GOOGLE-Netzwerk selbst Tausende von Anfragen. Es schickt eine spezielle Gruppe von kleinen Softwareprogrammen, die sogenannten CRAWLER, auf die Reise durch den Cyberspace. Die CRAWLER steuern unermüdlich eine Netzadresse nach der anderen an. Eine Kopie jeder besuchten Webseite wird auf den Rechnern von GOOGLE gespeichert. Dann analysieren GOOGLEs Computersysteme den Inhalt der Seite. Dabei erkennen sie nicht nur jedes Wort, unabhängig davon, in welcher Sprache die Texte auf der Webseite verfasst wurden, sondern auch den Zusammenhang, in dem die einzelnen Begriffe stehen. Sie erfassen, ob es auf einer Seite, auf der sich das Wort »Golf« findet, um Sport, Autos oder eine Region am Meer geht, und katalogisieren sie dementsprechend. Wenn jemand einen Suchbegriff an GOOGLE sendet, ermittelt GOOGLE anhand von über 100 Bewertungskriterien in Sekundenbruchteilen nicht nur, welche Webseiten zu dieser Suchanfrage passen, sondern auch, in welcher Reihenfolge sie angezeigt werden. Danach verfolgt die Software, auf welche Links der Suchende klickt. So weiß GOOGLE, ob die angezeigten Ergebnisse hilfreich waren. Waren sie es nicht, wird die Formel, die ermittelt, was angezeigt wird, automatisch ein kleines bisschen verändert.

Wie das Bewertungsverfahren genau funktioniert, hält GOOGLE ebenso geheim wie die Zahl der Internetseiten, die es kopiert hat. Anfangs veröffentlichte GOOGLE noch in einem Wettrennen mit Konkurrenten wie Yahoo die Zahl der indexierten Seiten. So erklärte Larry Page im Juni 2000, als GOOGLE 560 Millionen vollständig katalogisierte Webseiten meldete: »GOOGLEs neuer, gigantischer Index bedeutet, dass wir in weniger als einer halben Sekunde eine Datenmenge durchsuchen können, die einem Stapel bedruckter Seiten entspricht, der mehr als 110 Kilometer hoch ist.« Heute beschränkt sich das Unternehmen auf die Mitteilung, dass man über »den größten und umfassendsten Index an Webseiten und anderen Online-Inhalten« verfügt. Sicher ist, dass GOOGLE weit mehr als eine Milliarde Bilder und acht Milliarden Netzseiten erfasst hat. Der Papierstapel, von dem Larry Page sprach, wäre damit fast 1600 Kilometer hoch. Ob GOOGLE inzwischen zehn oder sogar 25 Milliarden Seiten indexiert hat, wie manche Branchenkenner glauben, bleibt Spekulation. Fest steht, dass der Index durch die unermüdliche Arbeit der CRAWLER beständig weiter wächst – und dass GOOGLEs Software in der Lage ist, die Datenberge schneller zu durchsuchen als jeder andere Superrechner auf der Welt.

Wie groß dieses riesige Computernetzwerk ist, verrät GOOGLE nicht. Seine Ingenieure bauen es jedenfalls fortlaufend weiter aus. Experten schätzen, dass es im Sommer 2007 eine Million einfacher Personal Computer umfasste und dass jährlich 400000 neue Rechner hinzukommen. »GOOGLE wird meist lediglich als dominierende Suchmaschine gesehen, dabei ist das Unternehmen weit mehr: Dort gibt man jedes Jahr mehr als 2 Milliarden Dollar aus, um enorm schnelle Rechenzentren rund um den Globus zu errichten«, sagt der amerikanische Technologieexperte und Buchautor Nicholas Carr. »Im Grunde baut GOOGLE den größten Computer der Welt.«

Das GOOGLE-Netz spielt nicht nur für GOOGLE selbst eine zentrale Rolle. Es ist inzwischen so groß, dass es sich zu einem wichtigen Baustein der weltweiten Informationsnetze entwickelt hat. Die Welt sucht mit GOOGLE und ist dadurch auch ein Stück weit von GOOGLE abhängig geworden. In den GOOGLE-Rechnern werden an einem Tag 20 Millionen Gigabyte an Daten verarbeitet. »Wenn GOOGLE abgeschaltet würde, wäre das eine Katastrophe. Keine andere Suchmaschine hat eine vergleichbare Infrastruktur aufgebaut«, meint Suchmaschinenforscher Sander-Beuermann. Schon wenn GOOGLE nur kurze Zeit nicht erreichbar ist, geraten die Rechner der Suchmaschine Metager, die er im Regionalen Rechenzentrum für Niedersachsen in Hannover betreibt, angesichts der vielen Anfragen an ihre Kapazitätsgrenzen. Bei den anderen Suchmaschinenanbietern sieht es ähnlich aus. Würden alle Computer, über die GOOGLE verfügt, auf einmal abgeschaltet, könnten auch die Rechnerparks der großen GOOGLE-Konkurrenten Microsoft und Yahoo sie nicht von heute auf morgen ersetzen.

Dank seines weltweit einzigartigen Rechnersystems ist GOOGLE in der Lage, dem Ansturm von Milliarden Suchanfragen standzuhalten, der in jeder Sekunde auf das Netzwerk einprasselt. Damit ist GOOGLE tatsächlich maßgeblich verantwortlich dafür, dass das Internet, so wie wir es heute kennen, funktioniert. Doch der größte Computer der Welt kann noch weitaus mehr, als nur riesige Mengen von Webseiten und anderen Daten zu speichern und auszuwerten. Nebenher stellt dieses System Rechenleistung und Speicherplatz für eine Flut von weiteren Anwendungen bereit, die zusätzlich zu GOOGLEs Suchfunktion Computernutzer begeistern.

Der Planet Google

Die Netzsuche, offiziell GOOGLE WEB SEARCH betitelt, ist unbestritten das Kernangebot des Suchmaschinenriesen. Es ist aber nur eines von derzeit mehr als 60 Onlineprodukten, die das Unternehmen anbietet. Rund um seine Webseitensuche hat GOOGLE im Laufe der Zeit weitere Suchdienste aufgebaut: Zum GOOGLE-Imperium gehören auch die Bildersuche GOOGLE IMAGE SEARCH; der Büchersuchdienst BOOK SEARCH; GOOGLE SCHOLAR, eine Suchmaschine für akademische Literatur und Forschungsergebnisse; GOOGLE FINANCE für Börseninformationen; GOOGLE DESKTOP, ein Programm, das hilft, auf dem eigenen Computer Dateien wiederzufinden; GOOGLE NEWS, ein Dienst, der Nachrichten rund um die Welt zusammenfasst; und GOOGLE READER, mit dem man Online-Nachrichtenticker, die sogenannten Feeds, verfolgen kann.

Jenseits der Suchwerkzeuge hat GOOGLE etliche weitere Produkte veröffentlicht. Auch sie sind in der Regel kostenlos – und werden millionenfach genutzt. GOOGLE TRANSLATE liefert automatisch grobe Übersetzungen von deutschen, chinesischen, russischen, portugiesischen oder japanischen Texten ins Englische. Sogar Hindi versteht die Übersetzungsmaschine seit einiger Zeit. Bei PICASA kann man Fotos online speichern. Wer über GOOGLEs Server chatten oder mit Computer, Kopfhörer und Mikrofon telefonieren will, kann das mit GOOGLE TALK tun. Und wer den E-Mail-Dienst GMAIL beziehungsweise GOOGLE MAIL oder die Online-Textverarbeitung GOOGLE DOCS verwendet, muss auch dafür auf dem eigenen Rechner keine teure Software installieren; er kann die Programme umsonst online benutzen. Vor allem amerikanische Universitäten bieten ihren Studenten inzwischen diese Onlinesoftware an. Beliebt ist auch der GOOGLE-Dienst BLOGGER.COM. Durch den Kauf von BLOGGER wurde GOOGLE einer der größten Anbieter von Software und Speicherplatz für Webtagebücher, die sogenannten Blogs. Mehr als 90 Millionen Menschen weltweit nutzen diesen Dienst.

Zu den spektakulärsten Teilen dieses Software-Imperiums gehört zweifellos YOUTUBE. Das Videoportal ist die Erfindung einer kleinen Firma, die GOOGLE 2006 gekauft hat – und eine der populärsten Internetseiten überhaupt. YOUTUBE hat reichlich Abgedrehtes zu bieten. Unter anderem gibt es kleine Animationsfilme und Ausschnitte aus Fernsehshows zu sehen. Besonders beliebt sind Eigenproduktionen, bei denen fröhliche Dilettanten vor laufender Kamera in ihrem Zimmer zu Popsongs tanzen und mitsingen, mit Hilfe von in Cola light aufgelösten Mentos-Bonbons gigantische Fontänen erzeugen oder sich Schreibtischstuhlrennen liefern. Unternehmen versuchen, mit selbst gemachte Videos Bewerber anzulocken. Politische Aktivisten werben mit Propagandaclips für ihre Sache. Bands vermarkten ihre Musik; auch ein Video zu Teyana Taylors GOOGLE-Song gibt es hier zu sehen. Das Videoportal definiert die Grenze zwischen privat und öffentlich neu. Hier findet man in der Regel keine professionellen Filme, sondern das, was zufällig mit der Kamera im Mobiltelefon mitgeschnitten oder in Heimarbeit mit billigen Videokameras aufgenommen wird. Die Ehefrau des New Yorker Theaterimpresarios Philip Smith drehte beispielsweise einen kleinen Schmähfilm über ihren Gatten für YOUTUBE, weil er sie betrogen hatte. Rund 150000 Netznutzer wollten ihn anschauen.

YOUTUBE boomt. YOUTUBE-Filme werden mehr als zwei Milliarden Mal am Tag von Zuschauern gesehen. Damit ist GOOGLE bei den Onlinevideos ähnlich übermächtig wie bei der Internetsuche. Das Videoportal allein ist für zehn Prozent des gesamten Internetdatenverkehrs verantwortlich. Drei Viertel aller Internetzuschauer verfolgen Clips über YOUTUBE. Konkurrenten wie Yahoo Video, Clipfish oder Myvideo hat GOOGLE längst abgehängt.

Doch auf GOOGLEs Superrechnernetz laufen noch weitere spektakuläre Programme: Mit GOOGLE MAPS erkennt man auf einem interaktiven Stadtplan, ob sich in der Nähe ein Kino befindet, ob es im Umkreis von einem Kilometer eine Pizzeria gibt und wie man dorthin kommt. Auch dieses Programm begeistert Millionen. Der Autohersteller BMW hat GOOGLE MAPS in sein Assistenzsystem im Auto integriert. Die Anzeige der Webseiten erfolgt im Display in der Armaturentafel.

Mindestens ebenso erfolgreich ist GOOGLE EARTH, ein Programm, mit dem man sich am Monitor durch Luftaufnahmen und Satellitenbilder zoomen kann. Über 350 Millionen Menschen weltweit nutzen es. Der Geobrowser ist in 25 Sprachen abrufbar. Neben einer englischen und einer deutschen Version gibt es ihn in Finnisch, Hebräisch, Indonesisch, Norwegisch, Portugiesisch, Rumänisch, Schwedisch, Thailändisch und Türkisch. Bei den virtuellen Flügen über die Landschaften und Städte der Welt entdeckt man nicht nur, dass im Innenhof der Firmenzentrale in Mountain View Sonnenschirme in den GOOGLE-Farben Gelb, Blau, Grün und Rot aufgestellt sind. Man kann am Bildschirm Ground Zero, die Chinesische Mauer, den Eiffelturm oder die Amazonasmündung von oben betrachten und virtuelle dreidimensionale Modelle von über 40 Großstädten, darunter Hamburg und Berlin, wie im Telespiel durchfliegen. Mit GOOGLE EARTH sieht man, auf welchem Militärflugplatz Düsenjets stehen, ob eine Immobilie gut gelegen ist oder wie groß die Entfernung vom Ferienhotel zum angepriesenen Traumstrand tatsächlich ist.

Was die vielen Millionen Nutzer im Einzelnen mit den Werkzeugen tun, die GOOGLE bereitstellt, ist für das Unternehmen nicht mehr zu überblicken. Sie werden in Internetseiten eingebaut und mitunter in Eigenregie weiterentwickelt. Zwar kooperiert GOOGLE auch mit Anwendern, vor allem, wenn sich ein Dienst erst noch durchsetzen muss. Und wenn das Unternehmen Projekte für sinnvoll hält, greifen GOOGLE-Fachleute gemeinnützigen Organisationen unter die Arme. Beispielsweise beim »Literacy-Projekt«: Die Homepage der Alphabetisierungsinitiative stellt – unter anderem mit Hilfe von YOUTUBE-Videos – innovative Projekte vor. Über GOOGLEs Hard- und Software werden Webtagebücher zum Thema Analphabetismus verfasst, Online-Diskussionsgruppen organisiert und eine interaktive Weltkarte mit statistischen Informationen gefüttert.

Mitunter sitzen die GOOGLE-Manager aber selbst überrascht vor den Bildschirmen, wenn sie mitbekommen, für was ihre Technologie genutzt wird. Mit der Software SPREADSHEETS tauschen Projektmanager über Kontinente hinweg Entwürfe aus. Die Pop- und Country-Sängerin Faith Hill nutzt GOOGLE CALENDAR, um ihre Touren zu planen und ihre Fans zu informieren. Die Heilsarmee in North Carolina setzt den Onlinekalender ein, um auf Basketballturniere der eigenen Jugend hinzuweisen. Wo Hillary Clinton und Barack Obama gerade um ihre Präsidentschaftskandidatur kämpften, ließ sich im Frühjahr 2008 auf einem von der New York Times gepflegten GOOGLE-Kalender verfolgen.

Die Bürgerrechtsbewegung Sokwanele aus Simbabwe setzte den Landkartendienst GOOGLE MAPS ein, um den Verlauf der Wahl im eigenen Land zu überwachen, während die Behörden der argentinischen Provinz Buenos Aires GOOGLE-Software nutzen, um Steuersündern auf die Spur zu kommen. Mit Hilfe von GOOGLE MAPS und GOOGLE EARTH ermitteln sie, ob jemand die Größe seines Grundstücks auf dem Papier verkleinert hat oder Anbauten verschweigt, um bei der Steuer zu sparen. Exil-Tibeter und Internetaktivisten veröffentlichten im Vorfeld der Sommerolympiade 2008 in Beijing Videofilme auf YOUTUBE, um auf die chinesische Besetzung der Region und die Unterdrückung der Tibeter hinzuweisen. Die Vereinten Nationen setzen auf den Geobrowser, um über die Situation in Flüchtlingslagern zu informieren. Greenpeace Deutschland klärt mit Hilfe der Software über den Raubbau am Regenwald auf.

Das Imperium und die dunkle Seite der Macht

Solche Projekte passen gut zu der Unternehmensphilosophie, die Manager und Mitarbeiter von GOOGLE gerne auf die Formel »Don’t be evil« – »Sei nicht böse« beziehungsweise »Tu nichts Schlechtes« – herunterbrechen. Dieses Motto soll nicht nur im direkten Umgang mit den GOOGLE-Kunden und -Nutzern Gültigkeit haben, sondern »es geht darum, ganz allgemein das Richtige zu tun«, wie es in einer Selbstdarstellung des Unternehmens heißt. Dazu gehört nicht nur, »Gesetze zu beachten, sich ehrenhaft zu verhalten und einander mit Respekt zu behandeln«, sondern: »Alles, was wir in Verbindung mit unserer Arbeit bei GOOGLE tun, wird an den höchstmöglichen ethischen Standards gemessen.«

Die allermeisten GOOGLER, also die Menschen, die bei GOOGLE arbeiten, sehen sich als Idealisten. Wie viele GOOGLE-Nutzer sind sie von der Vorstellung einer Welt beseelt, in der Informationen und Ideen frei fließen. »Bei GOOGLE glauben wir, dass mehr Informationen mehr Auswahl bedeuten, mehr Freiheit und letztendlich mehr Macht für die Menschen«, beschreibt ein Projektteam des Nachrichtendienstes GOOGLE NEWS dieses Selbstverständnis. Die Mehrheit der GOOGLER ist davon überzeugt, dass es wichtig und richtig ist, alles bislang Unauffindbare, das noch nicht katalogisiert wurde und abseits des Zugriffs der Netzöffentlichkeit schlummert, auffindbar zu machen.

Zu diesem Selbstbild als Weltverbesserer passen auch die kleinen, ganz praktischen Umweltinitiativen in Mountain View. So werden die Busse, die Mitarbeiter aus San Francisco und anderen Orten im Silicon Valley zur Firmenzentrale bringen, mit Biodiesel angetrieben, und die 9212 auf den Dächern des GOOGLEPLEXes installierten Solarzellen decken immerhin ein Drittel des Strombedarfs vor Ort. Ausrangierte Rechner, Keyboards oder Kabel kommen dort selbstverständlich in blaue Recyclingtonnen.

Tatsächlich ist der Zugang zu Informationen durch das Internet und die Suchmaschinen, die es erschließen, demokratisiert worden. Die Welt ist dank GOOGLE & Co. transparenter. Wenn Politiker lügen oder Unternehmen mit falschen Zahlen an die Öffentlichkeit gehen, wird das meist schnell bekannt. Dank GOOGLE kann jeder, der Zugang zu einem Computer mit einer Internetanbindung hat, sich heute blitzschnell grenzenlos informieren. Und eine Welt ohne die vielen praktischen Programme, die GOOGLE online bereitstellt, mögen sich viele Internetnutzer gar nicht mehr vorstellen. »Ich benutze die Software mittlerweile täglich und könnte gar nicht mehr ohne leben«, gesteht Googlewatchblog-Gründer Jens Minor. Er schätzt, dass er 80 Prozent seiner Onlinezeit nur auf GOOGLE-Seiten surft oder mit ihnen arbeitet. »Ich nutze eigentlich alle Dienste, die GOOGLE mir anbietet. Ich habe meinen Urlaub mit den GOOGLE MAPS geplant, schreibe Mails über GMAIL, lese Feeds nur über den GOOGLE READER, verwalte alle Termine per CALENDAR und schreibe Dokumente nur noch über die GOOGLE DOCS.« Auch seine Fotos und Videos speichert er online im Superrechnernetz von GOOGLE. »Das alles ist kostenlos. Und es funktioniert. Das erstaunt mich bis heute.«

Allerdings hat die brillante Technologie, die GOOGLE der Welt zur Verfügung stellt, auch eine dunkle Seite. Denn die Werkzeuge, die GOOGLE zur Informationsgewinnung bereitstellt, werden nicht nur zur Wissensmehrung und Alltagsbewältigung eingesetzt, sondern natürlich auch für destruktive und kriminelle Vorhaben. So wie Briefe und Telefonanrufe nicht nur für Liebesschwüre, sondern auch für Drohung und Erpressung verwendet werden, so wie ein Auto nicht nur zum Besuch bei Verwandten dienen kann, sondern auch zur Flucht nach einem Bankraub, nutzen Einzelne die Anwendungen von GOOGLE, um Verbrechen vorzubereiten und auszuführen. Immer wieder setzen beispielsweise Computerhacker GOOGLEs Suchmaschine ein, um Schwachstellen in fremden Rechnersystemen zu finden. In der Suchmaske kann man nicht nur ganze Worte, sondern auch Codezeilen eintippen, die findige Informatiker auf die Spur schlecht programmierter Datenbankserver bringen, die an das Internet angeschlossen sind.

Doch auch dort, wo GOOGLE für legale Zwecke eingesetzt wird, sind die Folgen mitunter problematisch. Voyeurismus und Denunziation kommen durch GOOGLE-Technologien zu neuer Blüte. Auf der US-amerikanischen Webseite Rottenneighbors.com etwa vermerkten Anwohner auf Stadtplänen, welche Nachbarn ihnen auf die Nerven gehen. Wer in ihren Augen zu laut Musik hörte, störende Kinder oder Haustiere hatte oder sonst wie Ruhe und Ordnung beeinträchtigte, wurde an den Onlinepranger gestellt, bis die Seite im Sommer 2009 von den Betreibern vom Netz genommen wurde. Auf einer detaillierten GOOGLE-EARTH-Karte waren solche Häuser rot markiert. Mit Hilfe einer GOOGLE-Suchfunktion sollten Umzugswillige erkennen, wie es um die Gegend bestellt ist, in die sie ziehen wollten.

Als Folge der neuen Transparenz erhält der Internetnutzer Einblick in vieles, das früher privat war. GOOGLE ersetzt manchmal den Privatdetektiv – und das hat für diejenigen, über die man sich informiert, mitunter Folgen. So ist es heute in den Personalabteilungen üblich, nach Bewerbern zu googeln. Die Suchmaschine entdeckt – vorurteilslos und gnadenlos – alles, was über den Einzelnen im Netz zu finden ist. Und das ist inzwischen bei vielen Menschen einen ganze Menge. Schließlich reichen ein paar Klicks aus, um eine eigene Homepage oder ein Blog zu betreiben, private Bilder hochzuladen oder in Onlineforen mitzudiskutieren.

Immer mehr Menschen nutzen – oft mit naiver Sorglosigkeit – die weltweiten Datennetze, um sich selbst darzustellen und über das Öffentlichmachen von persönlichen Vorlieben und Einstellungen mit anderen in Kontakt zu kommen. Wenn Intimes sorglos irgendwo im Datennetz gespeichert wird, ist das nur der erste Schritt. Fatal wird es dadurch, dass alles auffindbar ist. Ohne GOOGLE würde vermutlich kein Personalchef all die peinlichen Schnappschüsse, intimen Bekenntnisse oder unbedachten Meinungsäußerungen je zu sehen bekommen. So aber fließen sie inzwischen allzu oft in die Bewerberwahl ein. Mehr als die Hälfte der Personalberater in Deutschland gibt an, sich bereits aufgrund von dem, was sie im Internet fanden, gegen einen Kandidaten entschieden zu haben.

Nicht nur GOOGLE-Anwender sind angesichts der Informationsmengen, die heute erschlossen sind, über Gebühr neugierig. Auch GOOGLE selbst wird von Kritikern vorgeworfen, zu viel über die Nutzer wissen zu wollen. Die Anwendungen, die GOOGLE bereitstellt, sind zwar kostenlos, ganz umsonst gibt es sie aber nicht, sagt Suchmaschinenforscher Sander-Beuermann: »Der Preis, den wir für die Nutzung bezahlen, sind die Daten, die von jedem Nutzer gesammelt werden.« GOOGLEs Rechnersystem ist nicht nur deshalb so riesig, damit Millionen von Surfern gleichzeitig darauf zugreifen können, sondern auch, damit GOOGLE alles speichern kann, was die Nutzer tun. Beim Betrieb des Videodienstes YOUTUBE etwa hat GOOGLE, wie in einem Gerichtsverfahren bekannt wurde, in den ersten vier Jahren satte 12 000 Gigabyte an Daten über die Benutzer des Dienstes gesammelt. Sie enthalten zum Beispiel die Netzadresse des Rechners, mit der ein Nutzer ein Video betrachtet hat, den Zeitpunkt des Starts des Films und den Login-Namen des Anwenders.

GOOGLE kann nicht nur alles, was im Internet zu finden ist, aufspüren; auch nichts von dem, was auf den GOOGLE-Rechnern geschieht, wird vergessen. Wer GOOGLEs E-Mail-Dienst, das Online-Fotoalbum oder die Büroprogramme nutzt, legt seine Nachrichten nicht auf dem eigenen Computer ab, sondern irgendwo im Supernetz von GOOGLE. Das gilt nicht nur für YOUTUBE. Jeder Begriff, der in das Suchfeld der GOOGLE-Webseite eingetippt wird, wird irgendwo in dem riesigen Rechnerpark aufbewahrt – zusammen mit der Information, von wo diese Anfrage kam. Ob sich Menschen, die Suchbegriffe wie »Schulden nicht bezahlen« oder »schmutziger Latex-Sex« eingeben, dessen immer bewusst sind?

Wer über das Instant-Messaging-System von GOOGLE TALK chattet, hinterlässt ebenso seine Spur im GOOGLE-System wie derjenige, der bei GOOGLE MAPS nach einer Route sucht oder per Suchmaschine nach Therapien für seine Krankheit googelt. Die persönlichen Vorlieben – Filme, Musikinterpreten, Lieblingsbücher –, die Blogger in ihre Profile tippen, landen ebenso im GOOGLE-Gedächtnis wie die Termine aus dem GOOGLE CALENDAR, die Faith Hill-Fans sich online ankreuzen, oder die Nachrichtenauswahl, die man morgens bei GOOGLE NEWS aufruft. Indem GOOGLE so viele Internetdienste bereitstellt und Millionen Internetsurfer sie nutzen, häuft das Unternehmen auf seinen Computern eine Informationsmenge an, die weltweit einzigartig ist. Dieser geheime Datenschatz ist dafür verantwortlich, dass GOOGLE nicht nur als faszinierendes und innovatives Unternehmen gilt, sondern vielen inzwischen unheimlich und bedrohlich erscheint.

In seiner kurzen Geschichte hat das Unternehmen es mit Hilfe kluger Schachzüge wie dem Verzicht auf nervige Banner und dem Aufbau seines Images geschafft, einen großen Teil der Onlinewelt zu erobern. Bei der Internetsuche gibt es mittlerweile kaum noch jemanden, der dem Giganten GOOGLE Konkurrenz macht, und das GOOGLE-Imperium wächst immer weiter: In der realen Welt ist GOOGLE dank der reichlich sprudelnden Geldquellen an unterschiedlichsten Projekten beteiligt – vom Aufbau von drahtlosen Funknetzen und Investments in Genanalyse, regenerative Energien und Tiefsee-Datenkabel bis hin zur Förderung von absonderlichen Forschungsvorhaben wie dem Lunar X Prize, bei dem Forscher Roboter auf den Mond schicken sollen.

Der Onlinegigant erschließt zugleich immer weitere Teile der digitalen Welt. Die Kalifornier betreiben ein soziales Internetnetzwerk, ORKUT, über das sich Menschen vernetzen und austauschen, so wie es viele über andere angesagte Internetplattformen wie Myspace, StudiVZ oder Facebook tun. GOOGLE plant außerdem, mit Hilfe von kleinen Zusatzprogrammen die GOOGLE-Startseite im Internet zu einer Konkurrenz für Facebook und die anderen Onlinenetzwerke auszubauen. GOOGLE entwickelt Software für Mobiltelefone und für die Speicherung von Gesundheitsdaten und fotografiert inzwischen ganze Städte, um seine Landkartendienste auszubauen. Kurz: Es gibt kaum einen Bereich der digitalen Lebenswelten, in dem GOOGLE sich nicht machtvoll engagiert.

Alle diese Daten fließen in die Riesenspeicher, die GOOGLE aufgebaut hat. Viele GOOGLE-Nutzer ahnen überhaupt nicht, dass GOOGLE so viele Informationen über sie sammelt. Wer erfährt, wie intensiv der Suchriese jeden beobachtet, der in die Reichweite der GOOGLE-Anwendungen kommt, dem mag es angesichts der ungeheuren Wissensmengen, die auf den Rechnern angehäuft werden, schaudern. Was wie im Detail gespeichert wird, weiß außerhalb von GOOGLE niemand. Auch was GOOGLE genau mit diesem ungeheuren Datenschatz anstellt, verrät das Unternehmen nicht.

Datenschützer halten GOOGLEs Informationsbestand bereits jetzt für die weltweit größte Sammlung privater Daten. Die Kalifornier könnten mit ihnen umfangreiche Profile einzelner Netznutzer anlegen, die nahezu alles über sie verraten. Wenn sie das täten, könnten sie in ein paar Jahren in jedem Moment wissen, ob Oliver Google Kai gerne liest und welche Bücher er bevorzugt, wo er sich aufhält, welche Freunde er hat, wie es um sein Vermögen und seine Familie bestellt ist, wohin er gerne reist oder was er gerne isst. Bislang hat das Unternehmen den Schritt in diese Richtung nicht getan. Mit den Daten, die GOOGLE zur Verfügung stehen, wäre das aber schon heute möglich.

Zweifel ist deshalb der ständige Begleiter von allen, die das Software-Imperium beobachten. Erliegt dort irgendjemand irgendwann der Versuchung, die Macht, die in diesem Datenschatz schlummert, zu missbrauchen? Lockt die GOOGLER nicht doch die »dunkle Seite der Macht«, wie es in der »Star Wars«-Trilogie heißen würde? Oder entwickeln die Daten irgendwann ein unverhofftes Eigenleben und werden an anderer Stelle benutzt als bei GOOGLE? YOUTUBE-Nutzerdaten etwa werden im Zuge des Prozesses eines Fernsehsenders gegen GOOGLE als Beweismittel ausgewertet, ohne dass diejenigen, deren Netzaktivitäten dort dokumentiert sind, dagegen Einspruch erheben können.

Allein das Potenzial, dass der immense Datenpool von GOOGLE selbst oder von irgendeinem anderen missbraucht werden könnte, alarmiert die Fachleute. Wer über diese Datenmassen verfügt, weiß gefährlich viel über sehr viele Menschen, kennt ihre Ängste und ihre Bedürfnisse. Deshalb kann er sie sehr genau und treffsicher informieren. Er könnte sie aber auch verführen, sie manipulieren, sie erpressen, betrügen oder ausrauben. Dafür ist nicht einmal nötig, dass GOOGLE sich zu einem »dunklen« Imperium entwickelt. Weit realistischer ist eine andere Gefahr: Jemand Drittes könnte sich in den Besitz der Daten bringen und damit tun, was er will. Für den amerikanischen Computerwissenschaftler Edward Felten von der Princeton University ist der GOOGLE-Datenschatz wegen dieses Gefahrenpotenzials »das vielleicht heikelste Thema rund um die Privatsphäre in der gesamten Menschheitsgeschichte«.

Wie Google wirklich tickt

Im Elfenbeinturm

Die Googler

Die Menschen, die den heiklen Datenschatz angesammelt haben, wirken außerordentlich sympathisch. Die meisten GOOGLER, die man in der Deutschlandzentrale in Hamburg, im großen europäischen Forschungszentrum von GOOGLE in Zürich oder im GOOGLEPLEX, der Firmenzentrale im kalifornischen Mountain View trifft, sind offen und freundlich. Viele von ihnen sind jung und tragen schicke lässige Streetwear. Man hört isländischen Elektropop des Künstlerkollektivs Gus Gus oder coole Alternativrockbands wie die Killers und die Smashing Pumpkins. Anzüge tragen höchstens die Geschäftsleute, die GOOGLE besuchen. Krawatten sucht man vergeblich. »Sie behindern die Blutzufuhr zum Gehirn«, erklärt GOOGLEs Datenschutzfachmann Peter Fleischer. »Unser inoffzielles Motto lautet: Sei seriös auch ohne Anzug.«

Corin Anderson ist ein Paradebeispiel des typischen GOOGLERs. Seine langen Haare sind zu einem Zopf zusammengebunden, auf seinem weißen T-Shirt prangt ein GOOGLE-Schriftzug. Anderson ist einer der rund 8000 GOOGLER, die im GOOGLEPLEX arbeiten. Das sonnendurchflutete Büro, das er sich mit zwei Kollegen teilt, sieht aus, als hätte eine Rasselbande im Kinderzimmer Stofftiere, Knobelspiele und buntes Plastikspielzeug durcheinandergeworfen und wäre dann abgehauen, ohne aufzuräumen. Vor allem der Chaos Tower, ein Bausatz für aufwendige Murmelbahnen, hat es dem Software-Entwickler angetan. Sein Schreibtisch mit zwei Flachbildschirmen ist hinter dem immer aufs Neue wahnwitzig zusammengesteckten Glaskugelparcours versteckt.

Während des Studiums an der University of Washington hat Anderson an einem Toaster gearbeitet, der die menschliche Sprache versteht und Brotscheiben auf Befehl röstet. Viele GOOGLER beschäftigen sich neben der Arbeit mit ähnlich exzentrischen Themen. T.V. Raman, den sein Blindenhund Hubble durch den GOOGLEPLEX führt, arbeitet an Systemen für die Sprachsteuerung von Computern und bringt sich in seiner Freizeit Fremdsprachen bei. Mehr als ein Dutzend Idiome beherrscht der Mathematiker bereits. »Gerade lerne ich Mandarin«, sagt er in bestem Deutsch. Andy Rubin, der Manager hinter GOOGLEs Handy-Software ANDROID, war früher Robotik-Ingenieur. In seinem Haus im Silicon Valley schlägt statt einer Klingel ein selbst gebauter Roboterarm auf einen Gong. In Finnland hat GOOGLE Petri Kokko eingestellt, den früheren Eiskunstlauf-Europameister. Dylan Casey, einer der Produktmanager, die in Mountain View arbeiten, fuhr im Radrennteam von Lance Armstrong und nahm an den Olympischen Spielen in Sydney im Jahr 2000 teil. Sein Kollege Andrew Maxwell macht Schlagzeilen, weil er als Freizeit-Discjockey einer Radiostation das Silicon Valley vor allem mit Rockmusik aus Burma beschallt. Früher arbeitete der Projektmanager, der neun Sprachen spricht, als Filmvorführer in einem Kino.

Sie alle haben sich irgendwann dafür entschieden, ihre Kreativität und ihre Expertise für GOOGLE einzusetzen. Und das ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren des Unternehmens, glaubt Professor John Sullivan, der an der San Francisco State University Management lehrt und Untersuchungen zu GOOGLEs Personalpolitik veröffentlicht hat. »Das Geheimnis von GOOGLEs Wachstum ist das permanente Anwerben von außerordentlich talentierten Menschen.« Sullivan hat ausgerechnet, dass jeder 15. Mitarbeiter bei GOOGLE ein aktiver Rekrutierer ist. Bei anderen Firmen spielt das Anwerben von talentierten Mitarbeitern bei weitem nicht so eine bedeutende Rolle. In der Regel liegt das Verhältnis zwischen den Anwerbern in den Personalabteilungen und den übrigen Mitarbeitern bei 1:100. GOOGLE steckt mehr als die Hälfte des Budgets im Personalwesen in die Mitarbeitersuche. Das ist sehr viel mehr als bei anderen Unternehmen, aber Professor Sullivan hält das Geld für gut angelegt. Andere Firmen müssen viel dafür ausgeben, die eigenen Mitarbeiter weiterzubilden. GOOGLE kann sich das sparen, sagt er, »denn sie stellen Leute ein, die von sich aus ständig weiter lernen«.

Während man anderswo Innovationsoffensiven ausruft und Belegschaften mühsam für Weiterbildungsprogramme zu gewinnen sucht, werden bei GOOGLE gute Ideen am laufenden Band produziert, weil die Mitarbeiter gerne tüfteln, sich in Fachdiskussionen die Köpfe heißreden und ständig Lust haben, etwas Neues auszuprobieren. »Hat jemand eine neue Idee, ist die übliche Reaktion darauf enthusiastisches Interesse und ein gemeinsames Brainstorming. Firmenpolitik oder die Frage, wer für welchen Bereich eigentlich zuständig ist, spielen hier kaum eine Rolle«, berichtet Joe Beda. Der Software-Entwickler arbeitet für GOOGLE in Seattle und hat unter anderem GOOGLE TALK mitentwickelt. Der Programmcode, den GOOGLE über das gesamte Unternehmen hinweg benutzt, ist überall der gleiche, egal, ob er in Suchanwendungen zum Einsatz kommt oder in Software, um das riesige Rechnersystem zu verwalten. Wer das Team oder die Arbeitsgruppe wechselt, muss sich nicht lange einarbeiten. Und wer kleine Ergänzungsprogramme schreibt, kann das, solange er sich an die Standardvorgaben hält, tun, »ohne dass er dafür eine spezielle Erlaubnis braucht oder Formulare in dreifacher Ausführung ausfüllen muss«, erklärt Joe Beda.

Wenn die Software-Entwickler bei GOOGLE arbeiten, sitzen sie vor riesigen Bildschirmen, auf denen endlose weiße Codekolonnen vor schwarzem Hintergrund zu sehen sind. Scheinbar wahllos verändern sie hier ein paar Zeichen, tippen dort etwas ein, klicken mit der Maus und lehnen sich zurück, um zu beobachten, welche Auswirkungen ihre Änderung auf das System hat. Wie in dem gleichnamigen Film scheinen die Programmierer die »Matrix« zu durchschauen und mit Zauberhand zu manipulieren. Der Suchalgorithmus und alle anderen kleinen Bausteine, aus denen das Software-Imperium GOOGLE besteht, werden fortlaufend getestet und verbessert. Die übliche Vorgehensweise ist dabei, einfach etwas auszuprobieren und zu sehen, welche Auswirkungen das hat. Versuch und Irrtum – so lässt sich das wichtigste Prinzip von GOOGLEs Innovationsstrategie zusammenfassen.

Neben den Programmierern sind die Anzeigenverkäufer die zweite große Gruppe der GOOGLER. Ununterbrochen telefonieren sie oder schreiben Mails, um Kunden für GOOGLEs Online-Werbeprogramme zu gewinnen und zu erklären, wie sie funktionieren. Sie sind dafür verantwortlich, dass GOOGLE in Geld schwimmt.

Wann und wie GOOGLE-Mitarbeiter ihre Kernaufgaben erledigen, bleibt ihnen selbst überlassen. Ein Fünftel ihrer Arbeitszeit können und sollen sie aber an eigenen Projekten arbeiten. GOOGLE NEWS, GOOGLE MAIL und das Anzeigensystem ADSENSE sind aus derartigen Nebenprojekten hervorgegangen. Diese 20-Prozent-Regelung ist einer der Innovationsmotoren des Unternehmens – und damit eine Garantie dafür, dass GOOGLE auch in Zukunft erfolgreich bleibt. Als reiner Anbieter eines Suchdienstes mit angeschlossenem Kleinanzeigenprogramm wäre GOOGLE leicht austauschbar. Die nächste Internetsuchmaschine ist für Computernutzer im weltweiten Datennetz »nur einen Klick« entfernt. GOOGLEs Suchergebnisse sind zwar gut, aber prinzipiell können Internetnutzer auch mit anderen Suchmaschinen finden, was sie brauchen. Neue und aufregende Onlineprodukte wie die Spezialsuchdienste oder GOOGLE EARTH tragen dazu bei, dass GOOGLE auch dann einzigartig bleibt, wenn andere Unternehmen in Bereichen aufholen, in denen GOOGLE führend ist, etwa in der Suchtechnologie.

GOOGLE tut viel, damit diejenigen, die für den kontinuierlichen Strom an neuen Ideen verantwortlich sind, vergessen können, dass sie für ein börsennotiertes Unternehmen arbeiten. So ersetzt GOOGLE das eigene Firmenlogo im Internet an bestimmten Tagen durch neue Schriftzüge, die sogenannten DOODLES. Zu Leonardo da Vincis Geburtstag lächelt etwa die Mona Lisa aus dem Logo, am Schweizer Nationalfeiertag ziert es eine kleine rot-weiße Fahne. An den 125. Geburtstag des Bauhausgründers Walter Gropius im Mai 2008 erinnerte GOOGLE mit einem DOODLE aus bunten »Bauhäuschen«. Zum 1. April jeden Jahres bieten die Presse- und Karriereseiten des Unternehmens regelmäßig Platz für aberwitzige Zukunftsprojekte. Am 1. April 2004 fand man dort die Personalsuche für die angeblich 2007 geplante Mondbasis Copernikus. 35 Ingenieure, 27000 Computer, zwei Masseure und ein Sushi-Koch sollten dort untergebracht werden. 2008 verkündete man augenzwinkernd, zusammen mit dem Virgin-Gründer Richard Branson eine Kolonie auf dem Mars errichten zu wollen.

DOODLES und Aprilscherze sind für das Image Gold wert. Sie tragen dazu bei, dass GOOGLE nicht nur eifrig genutzt, sondern als Kultfirma geliebt wird. Nach innen demonstriert das Management ein anderes Selbstverständnis als die steifen Firmen der »Old Economy«. Dass Siemens, UBS, BMW oder die Deutsche Bank mit ihren für viel Geld entwickelten Firmenlogos spielen, ist undenkbar. GOOGLE tritt lässig, intelligent, souverän und selbstironisch auf. Genau das macht das Unternehmen für viele kluge Köpfe als Arbeitgeber attraktiv.

Die Kalifornier verstehen sich auf allen Ebenen meisterhaft darauf, das Potenzial von brillanten Technik-Assen zu fördern. GOOGLE setzt auf Kommunikation und Austausch. Mehrere Mitarbeiter teilen sich gemeinsame Büros. Selbst eine Topmanagerin wie Marissa Mayer, die durch ihre GOOGLE-Aktien zur Millionärin geworden ist, sitzt im GOOGLEPLEX noch immer in einem winzigen Büro zusammen mit drei Kolleginnen. In den Arbeitszimmern der GOOGLER stapelt sich Spielzeug, überall stößt man auf Plastikpalmen, Lavalampen und Aquarien. Hunde laufen in der Deutschlandzentrale in Hamburg ebenso frei herum wie auf dem Gelände des GOOGLEPLEXes. Im europäischen Forschungszentrum in Zürich werden Meetings in einem eleganten Salon abgehalten, der an ein englisches Kaminzimmer mit altehrwürdiger Bibliothek erinnert. Wer sich zum Telefongespräch, für eine Videokonferenz oder für ein Zweiertreffen zurückziehen will, findet dafür in einer ausrangierten Seilbahnkabine Platz. In Hyderabad im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh spielen die GOOGLER in ihren Pausen entspannt Billard und Tischfußball. Die Wände der Großraumbüros sind bunt bemalt, die Stellwände über und über mit Luftballons geschmückt.

Stechuhren gibt es bei GOOGLE