Das Herz der Fotografie - David duChemin - E-Book

Das Herz der Fotografie E-Book

David DuChemin

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Beschreibung

Was ist eigentlich ein gutes Bild?

  • Bildkritik für Fotografen ist nicht leicht, vor allem die kritische Analyse der eigenen Arbeiten
  • David duChemin stellt hierzu die richtigen Fragen
  • Der Wegweiser zu stärkeren und authentischeren Bildern

Ist dieses Bild gut? Nach welchen Kriterien bewerte ich eigentlich meine eigene Arbeit? Und wie sehen das Andere? Diese Fragen stellt sich wohl jeder Fotograf bei der Durchsicht seiner Bilder – und bleibt dabei oft ratlos. Bildkritik ist nicht leicht, eine kritische Analyse der eigenen Arbeiten noch schwerer. Regeln, Formeln oder Rezepte helfen nicht wirklich, um zum Kern der Frage vorzustoßen: Was genau ist ein gutes Bild?

David duChemin gibt in seinem Buch auch keine Antwort auf diese Frage, liefert keine Rezepte für das "gute Bild" – er stellt Fragen. Fragen wie "Wo ist die Geschichte?", "Wie sieht es mit Balance und Spannung aus?", "Welche Rolle spielt das Licht?", "Wie führen die Linien den Blick des Betrachters?", Fragen, die dem Fotografen helfen sollen, Bilder besser zu verstehen, ihre Qualität zu erkennen. Die ihm aber auch helfen sollen, den kreativen Prozess des Fotografierens bewusster zu steuern und die Qualität seiner Arbeit zu verbessern.

Doch duChemin stellt nicht nur Fragen. Er erklärt, er illustriert mit eigenen Bildern, welche Bedeutung seine Fragen haben, wohin der Weg führt, den er dem Leser mit diesem Buch weist: Zu stärkeren und authentischeren Bildern.

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David duChemin

Das Herz der Fotografie

Fragen und Ideen für ausdrucksstärkere Bilder

David duChemin

Lektorat: Gerhard Rossbach

Projektkoordinierung/Lektoratsassistenz: Anja Weimer

Copy-Editing: Claudia Lötschert, www.richtiger-text.de

Übersetzung & Satz: Tilly Mersin und Isolde Kommer, Großerlach, www.mersinkommer.de

Herstellung: Stefanie Weidner

Umschlaggestaltung: Helmut Kraus, www.exclam.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN:

Print978-3-86490-739-5

PDF978-3-96088-975-5

ePub978-3-96088-976-2

mobi978-3-96088-977-9

1. Auflage 2020

Translation Copyright für die deutschsprachige Ausgabe © 2020 dpunkt.verlag GmbH

Wieblinger Weg 17

69123 Heidelberg

© dpunkt.verlag 2020 Authorized translation of the English 1st edition of »The Heart of the Photograph« © 2020 by David duChemin. This translation is published and sold by permission of Rocky Nook, Inc., the owner of all rights to publish and sell the same.

Hinweis:

Der Umwelt zuliebe verzichten wir auf die Einschweißfolie.

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In Gedenken an meinen Vater

Richard Eric Duchemin (1942–2018)

Über den Autor

David duChemin ist ein Menschenfreund und fotografischer Globetrotter. Immer auf der Suche nach Schönheit und Abenteuer hat er schon auf allen sieben Kontinenten fotografiert. Er hat mehrere Bücher über die Technik und Kunst des Fotografierens verfasst, darunter Sehen und Gestalten, Das Handwerkszeug des Fotografen und Die Seele der Kamera. Es ergab sich, dass er Gründer von craftandvision.com wurde – einer Online-Plattform für fotografische Weiterbildung –, und er ist leidenschaftlicher Fürsprecher der Fotoamateure.

Davids Werke findet man unter davidduchemin.com, wo man auch seinen Blog verfolgen kann, dessen Anhängerschaft stetig wächst.

Inhaltsverzeichnis

Bessere Fragen stellen

Teil 1: Ein gutes Foto?

1Ist das gut?

2Der Betrachter ist gut

3Der Fotograf ist gut

Teil 2: Besser als gut

4Bessere Motive

Teil 3: Besserer Ausdruck

5Künstlerische Auseinandersetzung

6Was tut das Licht?

7Welchen Beitrag leistet Farbe?

8Welche Rolle spielen Linien und Formen?

9Welchen Blickwinkel wähle ich?

10Welche Qualität hat der Augenblick?

11Was hat das Bild zu erzählen?

12Wo ist der Kontrast?

13Was ist mit Gleichgewicht und Spannung?

14Welche Energie vermittelt das Bild?

15Wie kann ich Raum und Größenmaßstab nutzen?

16Kann ich den Tiefeneindruck verstärken?

17Was ist mit dem Format?

18Wiederholen sich die Elemente?

19Harmonie

20Was kann ich noch weglassen?

21Wohin führt uns das Auge?

22Wie fühlt es sich an?

23Wo liegt das Geheimnis?

24Erinnern Sie sich?

25Kann ich Symbole verwenden?

26Bin ich zu konkret?

Teil 4: Bessere Fotos

27Das Herz der Fotografie

Eine brillante Antwort erhält stets derjenige, der eine noch brillantere Frage stellt.

— E. E. CUMMINGS

Bessere Fragen stellen

Dieses Buch steckt voller Fragen, von denen viele absichtlich vage formuliert sind. Fragen, auf die Sie vielleicht niemals eine einzige Antwort finden können, und das sollten Sie auch nicht. Aber es ist wichtig, sie dennoch zu stellen, denn Ihre Suche nach möglichen Antworten – mit der Kamera in der Hand – wird Sie zu den besten Fotos Ihres Lebens führen. Ich meine damit die stärksten Bilder des Lebens, das Sie leben, der Erfahrungen, die Sie machen, und der Momente und Menschen, die Ihr Herz bewegen und die Ihrem Leben einen Sinn geben. Wenn Sie Fragen stellen und ergründen, welche Möglichkeiten sich für Sie ergeben, wenn Sie ernsthaft nach den Antworten suchen – dann können Sie dieses Handwerk am besten erlernen.

Bevor Sie anfangen, wollen wir ein wenig plaudern, ganz als säßen wir irgendwo auf dieser Welt in einem Café und tauschten bei einer Tasse Tee oder einem Glas Wein Geschichten aus. Irgendwann kommt das Thema auf die Art und Weise, wie wir unser Handwerk erlernen. Und das ist gar nicht so weit hergeholt – ich sitze hier mit einer Tasse Kaffee und stelle mir vor, was ich der Person sagen würde, der ich dies schreibe: Ihnen.

Der Weg zu Intuition und Instinkt beginnt mit der Absicht. Er beginnt damit, dass wir lernen, Dinge wahrzunehmen und auf neue Weise zu denken.

Vielleicht denken Sie, Sie könnten dieses Buch sehr leicht in einem Rutsch durchlesen, es auf der Suche nach ein paar magischen Formeln oder Beschwörungen durchforsten, die Ihnen hier und da einen Schubs geben, nach Geheimnissen, die Ihnen irgend eine neue Einsicht offenbaren, die alles verändert. Die werden Sie aber nicht finden. Aber die Schlüssel dazu sind da. Es sind die Fragen, die ich Ihnen stelle, und andere, die Ihnen beim Lesen selbst in den Sinn kommen. Stellen Sie diese Frage und finden Sie Ihre eigenen Antworten, ringen Sie mit ihnen – oftmals während des Fotografierens. So öffnen Sie Ihren Geist in neue Richtungen und für ein neues Verständnis.

Vielleicht wird Sie die Lektüre dieses Buchs auch etwas überfordern. Ich stelle mir vor, wie Sie besiegt zu Boden gehen, aufschauen und fragen, ob ich das alles ernst meine. Erwarte ich wirklich, dass Sie jede Frage in diesem Buch stellen, bevor Sie ein Foto machen? Das ist nicht möglich. Es ist nicht realistisch. Es ist wahrscheinlich nicht einmal menschlich!

Vor einigen Jahren kritisierte jemand meinen Ratschlag, bewusster und nachdenklicher zu fotografieren. Er schrieb: »Ich habe nicht zur Kamera gegriffen, um mir dermaßen den Kopf zu zerbrechen.« Das erklärt vielleicht, warum viele Fotos so absichts- und gedankenlos erscheinen und keine echte Wirkung vermitteln. Ich glaube, das können wir besser machen.

Ich glaube, die meisten Fotografen wünschen sich, intuitiv zu fotografieren, durch den Sucher zu blicken und gewissermaßen instinktiv zu reagieren: die Linien, das Licht, den Moment zu sehen und rasch genug zu reagieren, um ein fesselndes Bild zu fotografieren, das Emotionen oder Neugier weckt, bevor dieser Augenblick für immer verstrichen ist. Ich glaube, es ist diese Sehnsucht nach der Fähigkeit des intuitiven Schaffens, die meinen Kritiker zu seiner Aussage veranlasste. Er wollte einfach nur, dass der Ablauf eher dem »Zustand der Gnade« entspricht, von dem der chilenische Fotograf Sergio Larrain einmal sprach. Genau das will ich auch.

Aber Wünschen und Hoffen sind bekanntermaßen sehr schlechte Ansätze, um ein ersehntes Ziel zu erreichen. Der Weg zur intuitiven und instinktiven Fotografie beginnt mit der Absicht. Er beginnt damit, dass wir lernen, auf neue Weise zu sehen und zu denken. Er beginnt damit, dass wir Techniken und kreative Möglichkeiten verinnerlichen und sie uns dann wirklich zu eigen machen. Darum geht es beim Lernen. Und Fragen, das wussten schon Lehrer wie Sokrates und die Rabbiner der letzten Jahrtausende, bieten den besten Weg dorthin. Sie brauchen meine Belehrungen nicht. Sie brauchen bessere Fragen, um sich selbst zu unterrichten.

Bevor der Kaffee kalt wird, möchte ich Sie daher bitten, sich nicht zu überfordern und nicht nach Abkürzungen zu suchen. Das Handwerk braucht Zeit. Sie müssen sich über einen längeren Zeitraum bewusst darauf konzentrieren. Einigen von Ihnen wird es bereits enorm helfen, sich dieser Fragen bewusst zu werden, und es wird Ihnen mehr kreative Freiheit verschaffen. Andere von Ihnen müssen sich diese Fragen viele Male stellen – während Sie fotografieren, Ihre Fotos bearbeiten und die Bilder anderer studieren –, bevor Sie sie verinnerlicht haben. Aber wenn Sie sich daran gewöhnen, sie zu stellen, dann werden sie sich in Ihrem Unterbewusstsein verankern – genau wie einst Ihre Muttersprache, die nach und nach zu einem Teil von Ihnen wurde, bis es immer weniger bewusste Anstrengungen erforderte, sich an die richtigen Wörter zu erinnern. Dann werden Sie anfangen, die intuitiven oder instinktiven Momente zu entdecken, den Zustand der Gnade, wenn Sie sich im Augenblick befinden – empfänglich, bewusst und fähig, wie ein großer Musiker mit dem Instrument in Ihrer Hand zu improvisieren.

Es gibt eine Vielzahl von Dingen zu beachten, wenn Sie ein überzeugendes Foto schaffen möchten. Welche Elemente gibt es, und wie gehen Sie mit ihnen um? Worauf reagieren wir in einem Bild, und wie können wir diese Aspekte nutzen, damit unsere Fotos nicht nur gut sind, sondern auch von uns selbst stammen? Das sind wichtige Fragen. Mal sehen, ob wir Antworten finden können, indem wir noch ein paar weitere Fragen stellen.

Lassen Sie sich nicht überwältigen und suchen Sie nicht nach Abkürzungen. Das Handwerk braucht Zeit. Sie müssen sich über einen längeren Zeitraum bewusst darauf konzentrieren.

Über die Fotos

In letzter Zeit hat es sich in Fotobüchern – und gerade in solchen mit Anleitungscharakter – durchgesetzt, den Text mit Bildern zu unterlegen, zu denen in der Regel auch die Kameraeinstellungen notiert werden, manchmal auch noch mit Kreisen und Pfeilen ergänzt. In Büchern, die sich mit der Technik des Fotografierens beschäftigen, kann das hilfreich sein. Aber dies ist kein How-to-Buch, sondern ein Warum-Buch. Es geht eher darum, die richtigen Fragen stellen zu lernen, als um die Antworten. Die Fotos in diesem Buch sind meine Antworten auf meine persönlichen Fragen. Sie werden Ihre eigenen finden. Aber das bedeutet nicht, dass meine nicht hilfreich sein könnten. Wenn wir die richtigen Fragen stellen, kann uns jedes Foto etwas lehren. Und Fragen gibt es in »Das Herz der Fotografie« im Überfluss.

Nachdem ich den ersten Entwurf fertiggestellt hatte, kam der Vorschlag auf, alle Bilder zu nehmen und sie den Konzepten entsprechend zu ordnen: Bilder, bei denen die Momente wichtig sind, sollten etwa das Kapitel über die Bedeutung wohlüberlegter Momente begleiten. Aber in Wirklichkeit ist es doch so, dass ein Bild nur selten aufgrund eines einzigen Hilfsmittels oder einer einzigen Technik gelingt; meine »Momentauswahl« hing zugleich von meinem Standpunkt, dem Licht, dem gewählten Bildformat und auch davon ab, ob ich Farben gut einsetzen konnte oder nicht. Es ist ein Tanz. So war es schon immer und so wird es auch immer bleiben. Als ich meine Bilder entsprechend zuordnete, empfand ich das Ergebnis nicht nur als konstruiert, sondern auch als ein zufälliges Durcheinander. Schlimmer noch, die Fotos wurden dem Kontext entrissen, für den ich sie gemacht hatte. Da mir das harmonische Zusammenwirken meiner Fotografien immer wichtiger wird, empfand ich dies als einen Schritt in die falsche Richtung.

Deshalb habe ich die Bilder so zusammengestellt, wie ich sie der Welt präsentieren möchte, statt sie zu eindimensionalen Lehrmitteln zu simplifizieren. Das bedeutet nicht, dass sie kein wichtiger Bestandteil des Buchs wären. Ich halte sie in der letztendlichen Präsentation sogar für pädagogisch wertvoller. Denn wenn Sie sich auf sie einlassen, drängen sich Ihnen von alleine Fragen auf. Und genauso hoffe ich, dass Sie sie dazu bewegen werden, sich Fragen zu den von Ihnen fotografierten Szenen zu stellen.

Ich möchte Sie ermutigen, die Fotos auf diesen Seiten zu verwenden, um Ihrer Lektüre einen gewissen Rhythmus zu verleihen und natürliche Pausen zu schaffen, sie zu betrachten und dabei vielleicht einen Inspirationsfunken zu finden. Vor allem aber ermutige ich Sie, sie zu hinterfragen: Wie wirken die Linien in diesem Bild? Was trägt die Wahl des Bildausschnitts oder der Belichtungszeit oder des Augenblicks oder der Einsatz von Kontrast oder Perspektive oder eine der anderen in diesem Buch aufgeworfenen Fragen zu diesem Bild bei? Vergessen Sie für einen Moment, ob Ihnen das Foto gefällt oder nicht. Fragen Sie sich stattdessen, welche Entscheidungen mich zu diesem Ergebnis geführt haben und wie sie Ihre Reaktion beeinflussen.

Im Gegensatz zu vielen meiner früheren Bücher werden Sie hier keine Kreativitätsübungen finden, aber vielleicht betrachten Sie die Bilder als einen langen, pädagogisch durchdachten roten Faden, der Sie dazu auffordert, sich mit dem Gesehenen genau auseinanderzusetzen und diese wichtigen Fragen auszuprobieren. Wenn Sie anfangen, Ihre eigenen Antworten darauf zu finden, werden sie in Ihren Sprachschatz übergehen und in aller Ruhe Einzug in Ihren eigenen fotografischen Prozess halten – einen Prozess, der mehr und mehr zu Ihrem eigenen wird und Ihre ganz eigenen Bildern hervorbringt.

TEIL EINS

Ein gutes Foto?

Die Beherrschung des Handwerks ist notwendig, aber nicht ausreichend, und sie führt nicht unbedingt zu einem guten Foto.

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Ist das gut?

Ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit der Fotografie und unterrichte diese auch. In dem Zusammenhang beschäftige ich mich schon lange mit einer – wie man meinen könnte – einfachen Frage: Was macht ein gutes Foto aus?

Die fotografische Populärkultur legt nahe, dass es genügt, einfach einen bestimmten technischen Standard zu erreichen. Anfangs erscheint es uns schon wie ein Wunder, wenn wir eine gut fokussierte und belichtete Aufnahme hinbekommen. Das ist dann unser erster Standard, und oft (wenngleich mit mehr Perfektion ausgeführt) bleibt es auch dabei. Unsere Gedanken gehen in die Richtung: »Wenn ich nur die komplizierte Technik oder die Bedienung der Kamera beherrschen würde – dann könnte ich endlich ein gutes Foto machen«. Ich bin der Überzeugung, dass es besser geht.

Ich spiele weder die Notwendigkeit dieser Grundfertigkeiten noch den Stolz herunter, den wir empfinden, wenn wir endlich in den meisten Fällen scharfe und gut belichtete Bilder fotografieren können. Ich behaupte jedoch, dass diese Kompetenzen nur eine Eintrittskarte sind, die Grundlage, die wir schaffen, um in diesem Handwerk voranzukommen. Die Beherrschung des Handwerks ist notwendig, aber nicht ausreichend, und sie führt nicht unbedingt zu einem guten Foto. Und bis zu einem gewissen Grad muss man anerkennen, dass gute Fotos von jedermann und mit beliebigen Hilfsmitteln gemacht werden können – je nachdem, was »gut« für uns eigentlich bedeutet.

Fragen Sie andere, was ein gutes Foto ist, und Sie werden die unterschiedlichsten Antworten bekommen: Ein gutes Foto erzählt eine Geschichte. Ein gutes Foto zeigt Ihnen etwas auf eine neue Art und Weise. Ein gutes Foto lässt Sie etwas fühlen oder Fragen stellen oder … Nun, welche Antwort ist richtig? Vielleicht sind es sogar alle? Muss jedes Bild auf dieselbe Weise bewertet werden?

Gibt es eine sinnvollere Frage als »Ist es gut?« Wäre es stattdessen möglich, die Frage ganz neu zu formulieren?

Ich meine, ja. Und ich denke, dass diese Neuformulierung wichtig ist. Die Frage »Ist das ein gutes Foto?« ist zwar objektiv kaum zu beantworten. Fraglos ist jedoch der Anspruch, gute oder starke Fotos zu machen, die uns und unser Publikum ansprechen, genau der Antrieb, uns dieses Können zu erschließen und uns selbst als Künstler und Handwerker zu fordern.

Im Mittelpunkt dieses Buchs steht die Verbindung zum menschlichen Faktor. Dieser ist deshalb wichtig, weil erst wir Menschen entscheiden, warum ein Bild überhaupt fotografiert wird. Wir sind es, die das Bild interpretieren und auf unglaublich vielen Ebenen darauf reagieren. Wurde es fotografiert, um Ihnen etwas Bestimmtes zu zeigen, z. B. wie eine Blauflügelente aussieht? Soll es eine Erinnerung an einen flüchtigen Augenblick festhalten? Soll es eine bestimmte Geschichte erzählen, ein bestimmtes Gefühl vermitteln oder bestimmte Fragen aufwerfen? Soll es provozieren, erregen oder amüsieren?

Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir Fotografen uns fragen, was wir mit unserer Arbeit erreichen wollen. Und in der Tat könnte es sogar notwendig sein, überhaupt nicht mehr von »guten« Fotografien zu sprechen, um einen tieferen Sinn in unserem Handwerk zu finden.

Dieses Buch ist zum Teil eine Suche nach diesem tieferen Sinn, und bevor Sie die Augen verdrehen, bitte ich Sie, mir das folgende Versprechen abzunehmen: Diese Suche wird zutiefst pragmatisch. Ich habe ungefähr so viel Interesse daran, darüber zu diskutieren, was Kunst ist, wie an einer Debatte über die Anzahl Engel, die auf einem Stecknadelkopf tanzen können. Ich möchte eher herausfinden: Was macht ein Foto aus, das uns als seinem Schöpfer gefällt und eine Chance hat, dem Betrachter die gewünschte Erfahrung zu bieten?

Es scheint logisch, dass wir uns mindestens auf die grundlegenden technischen Standards beziehen und fragen: »Ist es scharf? Ist es gut belichtet?« Aber wenn die Schärfe gar nicht die Hauptsache ist? Wenn der eigentliche Ausdruck dieses speziellen Motivs oder Augenblicks reine Bewegung und Unschärfe, reine Impression oder Abstraktion ist? Die Frage, ob das Bild scharf ist, ist nicht sinnvoller als die Frage, ob es blau ist – es sei denn, die Schärfe oder das Blau selbst wären der eigentliche Kern des Bilds.

Und beim Stichwort »Belichtung« müssen wir uns fragen: Unter- oder Überbelichtung im Vergleich zu … was? Dem Belichtungsmesser der Kamera? Die Kamera hat keine Ahnung, welche Absicht Sie beim Fotografieren haben. Sie kann Ihnen maximal sagen, wie viel Licht vorhanden ist. Ob Sie auf die Tiefen belichten und Teile des Bilds blendend weiß darstellen möchten oder ob Sie auf die Lichter belichten und die Schatten als schwarze Löcher ohne jedes Detail darstellen möchten, ist Geschmackssache und hängt von Ihrer Absicht ab. In der Kunst gibt es kein »wir sollten« – und offen gesagt, hat es auch in Handwerk und Technik weniger Raum, als wir gerne annehmen.

Unsere fotografischen Entscheidungen hängen nicht davon ab, was wir tun sollten (wie von Ihrem Kamerahandbuch oder Ihrem örtlichen Fotoverein vorgegeben), sondern von unserer eigenen Absicht. Das ist der erste Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage »Ist das gut?«. Unsere erste Frage sollte deshalb vielleicht lauten: »Entspricht das Bild meinen Wünschen?«

Wenn Ihnen als Einsteiger nach vielen frustrierenden Erfahrungen endlich ein scharfes, gut belichtetes Foto gelingt, müsste ich ein Monster sein, um Ihnen zu sagen, dass es nicht gut sei. Ist es aber in dem Sinne »gut«, wie Ansel Adams den Begriff bei der Durchsicht seiner eigenen Arbeiten verwendet haben könnte? Ist es in der Hinsicht gut, wie ich die Arbeiten von Josef Koudelka gut finde? Wahrscheinlich nicht. Aber ich denke, das hat wenig mit den Arbeiten von Adams oder Koudelka oder gar Ihnen zu tun, sondern eher mit dem Standard, an dem wir die Ergebnisse messen. Manchmal ist ein Foto gut, zumindest in Bezug auf unser Handwerk, wenn es eine Entwicklung, die Beherrschung einer neuen Technik oder eine Steigerung darstellt. In diesem Fall würde das Streben nach mehr und das Überspringen der notwendigen handwerklichen Lektionen dem Prozess der Meisterschaft entgegenwirken. Manchmal ist ein Foto gut, wenn es einen Fortschritt zeigt, der nur für Sie messbar ist.

Haben Sie noch einen Augenblick Geduld mit mir und gestatten Sie mir die Vermutung, dass die Sprache, in der wir über die Fotografie sprechen, unterentwickelt ist. Und vielleicht, ja vielleicht haben die Akteure der fotografischen Populärkultur (vor allem die Kamerahersteller, denn dort ist das meiste Geld zu holen) ein großes Interesse daran, dass wir den Begriff des »guten« Fotos weiterhin in rein technischer Hinsicht verwenden. Warum? Weil wir auch weiterhin Geld ausgeben werden, wenn wir ein Ziel verfolgen, das immer in Bewegung bleibt. Wenn der neue Schärfestandard zum neuen Maßstab für »gut« wird, liegt die Annahme nahe, dass wir dieses Ziel nur erreichen können, wenn wir Geld ausgeben – was lächerlich ist. Nur weil Sie eine Leica besitzen, machen Sie keine besseren Bilder.

Wir sollten nicht mehr darüber sprechen, was gut oder nicht gut ist. Beschäftigen wir uns stattdessen lieber damit, ob ein Bild unsere Sichtweise ausdrückt, uns kreativ befriedigt und dem Betrachter die gewünschte Erfahrung vermittelt, und – ganz wichtig – wir müssen darüber sprechen, wie