Die Seele der Kamera - David duChemin - E-Book

Die Seele der Kamera E-Book

David DuChemin

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Beschreibung

In der Menge der fotografischen Bilder, die uns Tag für Tag begegnen, sind es nur wenige, die uns wirklich erreichen, die wir nicht nur wahrnehmen, sondern die uns berühren, packen, faszinieren. Technisch gut fotografiert sind sie fast alle – modernes Equipment sorgt für Schärfe und korrekte Belichtung. Was also macht den Unterschied zwischen einer technisch guten Aufnahme und einer, die heraussticht aus der Menge, die wir als besonders gelungene Fotografie erkennen? David duChemin, weltbekannter Fotograf und Autor, hat die Antwort: Es ist die Seele, die Stimmung eines Bildes, die den Betrachter emotional anspricht. Ohne Seele keine Kommunikation! David duChemin zeigt in seinem Buch und illustriert mit seinen Fotografien, wie solche Fotografien entstehen, und welche Qualitäten der Fotograf für eine gelingende Fotografie entwickeln sollte. Jenseits des Handwerklichen spielen dabei Begriffe wie Konzept, Disziplin, Achtsamkeit, aber auch Empathie und Authentizität die entscheidende Rolle. Ein Buch für jeden Fotografen, der ausdrucksstarke und authentische Bilder machen möchte und dafür etwas "Coaching" braucht. Aber auch eine Inspiration, um die Liebe zur Fotografie neu zu beleben.

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David duChemin

Die Seele der Kamera

… und die Rolle des Fotografen

David duChemin

Übersetzung: Volker Haxsen

Lektorat: Miriam Metsch, Gerhard Rossbach

Copy-Editing: Susanne Rudi

Satz: Ulrich Borstelmann, www.borstelmann.de

Herstellung: Susanne Bröckelmann

Umschlaggestaltung: Helmut Kraus, www.exclam.de

Druck und Bindung: Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG, Calbe (Saale)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN:

Print978-3-86490-469-1

PDF978-3-96088-232-9

ePub978-3-96088-233-6

mobi978-3-96088-234-3

1. Auflage 2017

Copyright © 2017 dpunkt.verlag GmbH

Wieblinger Weg 17

69123 Heidelberg

Authorized translation of the English 1st edition of »The Soul of the Camera« © 2017 by David duChemin, ISBN: 978-1681982021. This translation is published and sold by permission of Rocky Nook, Inc., the owner of all rights to publish and sell the same.

Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Abbildungen, auch auszugsweise, ist ohne die schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und daher strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

Es wird darauf hingewiesen, dass die im Buch verwendeten Soft- und Hardware-Bezeichnungen sowie Markennamen und Produktbezeichnungen der jeweiligen Firmen im Allgemeinen warenzeichen-, marken- oder patentrechtlichem Schutz unterliegen.

Alle Angaben und Programme in diesem Buch wurden mit größter Sorgfalt kontrolliert. Weder Autor noch Verlag können jedoch für Schäden haftbar gemacht werden, die in Zusammenhang mit der Verwendung dieses Buches stehen.

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Voller Dankbarkeit aus tiefstem Herzen gegenüber dem Team, dasdieses Buch ermöglicht hat, und meinen Freunden und meiner Familie,die mich lieben und unterstützen, sowie meinen Lesern, die immernoch Nutzen aus meinen Worten ziehen. Ohne Euch wären dieses unddie Bücher davor niemals entstanden, weil es auch keinen Grund dazugegeben hätte. Vielen Dank für Euer stetes Vertrauen. Einen Dankauch dafür, dass ich einen, wenn auch kleinen, Anteil daran habendarf, Euch auf Eurem Weg zu begleiten, und dafür, dass Ihr so einengroßen Anteil an meinem habt.

Über den Autor

David duChemin ist ein Menschenfreund und fotografischer Globetrotter. Er hat auf allen sieben Kontinenten fotografiert und hält überall nach Abenteuern und Schönheit Ausschau. Er hat mehrere Bücher über die Technik und Kunst des Fotografierens verfasst, darunter Sehen und Gestalten und Das Handwerkszeug des Fotografen. Es ergab sich, dass er Gründer von craftandvision.com wurde, einer Online-Plattform für fotografische Weiterbildung, und er ist leidenschaftlicher Fürsprecher der Fotoamateure.

Davids Werke findet man unter davidduchemin.com, wo man auch seinen Blog verfolgen kann, dessen Anhängerschaft stetig wächst.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Die Rolle der Technik

Die Entdeckung des Sehens

Achtsamkeit in der Sprache

Die Bereitschaft zur Interpretation

Die nötige Aufgeschlossenheit

Geduld

Den Moment erfassen

Respekt gegenüber dem kreativen Prozess

Die Bereitschaft zum Loslassen

Seien Sie neugierig!

Improvisation

Brechen Sie mit der Perfektion

Die Suche nach der Geschichte

Die Rolle des Publikums

Die Verweigerung von Vergleichen

Authentizität

Kritik

Ohne Liebe geht es nicht

Mut

Die Absage an Regeln

Ein (sich verändernder) Blick für das Schöne

Disziplin

Nach der Kamera

Das Streben nach Meisterschaft

Fazit

Index

Wir sind es, die das Menschsein, die Vorstellungskraft und die Poesie in unsere Fotos legen.

Einleitung

Während ich über die ersten Wörter für den Anfang dieses Buchs nachdenke, schaue ich mit einem Kaffee in der Hand auf 20 Kameras in meinem Büro. Einige der analogen Modelle auf dem Regal sind bereits 50 Jahre alt, lassen Erinnerungen an meine Anfänge in dieser Kunst hochkommen, werden aber heute viel zu selten benutzt. Darunter sind verlässliche Arbeitstiere, einige sind sogar für den Unterwassereinsatz konzipiert. Meine neueste Kamera kann fliegen und eine andere ist eigentlich ein Telefon. Je nachdem kommen bei mir im Jahr so etwa 100.000 Aufnahmen zusammen. Einige von ihnen sind gut, die meisten sind es nicht. Wenn man den Zahlen aus dem Internet trauen darf, so wurden im Jahr 2014 pro Tag 1,8 Milliarden Bilder in sozialen Medien wie Instagram und Facebook hochgeladen. Das macht 657 Milliarden Fotos pro Jahr, die aus einer ebenfalls erstaunlichen Anzahl von Kameras stammten. Dieser Umstand sagt mir zweierlei. Erstens: Es gibt ein unstillbares Verlangen nach dem Machen und Weitergeben von Bildern. Zweitens: Die nötigen Kenntnisse, eine komplizierte Kamera bedienen zu können, sind kein Hinderungsgrund mehr, diese Bilder auch erzeugen zu können.

Unter diesen hunderttausend Bildern, die ich in einem Jahr mache, sind nach meinem Dafürhalten nur ein Bruchteil als Erfolg zu bewerten. Der Rest ist ungenügend. Das liegt meist nicht daran, dass sie unscharf oder nicht korrekt belichtet wären; die Kamera nimmt mir vieles ab, was mir selbst nicht besser gelänge. Die Mehrzahl meiner Bilder ist ungenügend, weil ihnen die Seele fehlt. Wenn meine Bilder allerdings doch so funktionieren, wie ich mir das vorgestellt hatte, ist das umgekehrt auch nicht das Verdienst der Kamera.

Mit zunehmender Anzahl der weltweit täglich fotografierten und geteilten Bilder nimmt auch das so genannte Rauschen zu. Und je mehr es rauscht, desto schwerer wird man gehört. Diesem Rauschen mit noch mehr Rauschen zu begegnen, macht die Sache nicht besser. Die Antwort kann also nicht in noch mehr Fotos und damit noch mehr Rauschen liegen. Die Antwort kann nur in mehr Signal liegen. Die Antwort besteht also aus Fotos, die Verbindungen herstellen, die sich von Banalen, nur auf sich selbst bezogenen Selfies abheben. Die Antwort ist mehr Menschlichkeit, mehr Seele.

Sollen also die Kamera und die aus ihr stammenden Fotos diese Seele haben, so muss sie von uns kommen. Wir sind es, die diese Menschlichkeit, die Vorstellungskraft und die Poesie in unsere Fotos legen.

Ich verehre das Wunderwerk, das die Kamera darstellt. Schon als 15-Jähriger, der das Bild in der eigenen Dunkelkammer aus dem Nichts hat entstehen sehen, war ich von diesem Wunder fasziniert. Doch so wundersam das Zusammenwirken von Kamera, Objektiv und der jeweiligen Einstellungen auch sein mag, dieses Buch reduziert ihre Rolle auf den Status von stummen Dienern beim kreativen Tun. Meine Hoffnung besteht darin, mit diesem Buch den Einzelnen zu fördern, über die Anzahl der Megapixel, die Schärfe und die Freude über die neue Ausrüstung hinauszublicken und nach etwas Tieferem und zugegebenermaßen viel Schwierigerem zu suchen. Die Eigenschaften der neuesten Kamera oder des Objektivs fotografisch zu demonstrieren, ist sehr einfach. Viel schwerer ist es, im Foto seine Seele zu zeigen, Risiken einzugehen, etwas zu schaffen, das unsere Vorstellungskraft und Menschlichkeit zutage fördert.

Der Grund, warum ich all das auf mich nehme, besteht darin, dass ich die Fotografie mit all ihren Möglichkeiten liebe: Geschichten zu erzählen, die Fantasie anzuregen, Empathie in den Herzen auszulösen und Veränderungen zu bewirken. Ich glaube immer mehr, dass man mit den Rohstoffen Zeit und Licht mit seiner Kamera die Welt mit offeneren Augen sehen und mit ihr Momente festhalten und mit anderen teilen kann, die ansonsten in der Vielzahl der Eindrücke des Lebens untergehen würden. Wie gesagt, ist die Kamera bereits an sich ein Wunder, doch in der Hand des Poeten, des Geschichtenerzählers, des Veränderungswilligen oder des frustrierten Künstlers kann sie etwas Lebendiges erschaffen, das an unsere Menschlichkeit appelliert.

Ein Foto kann ein hervorragendes Mittel zur Schaffung von Verbindung und Kommunikation sein. Doch dafür müssen wir zunächst auch etwas zu sagen haben. Selbst wenn es nur für ein eiliges »Eh, schau Dir das mal an!« reicht, kann ein Foto auf Hunderte von Arten sagen: »Schau Dir das mal an!« Einige dieser vielen Möglichkeiten verlangen gewiss eine Portion technisches Verständnis, und wie ich später in diesem Buch noch ausführen werde, hat die Technik ihren Platz. Doch die meisten guten Fotos beruhen auf weit weniger technischen Aspekten, sondern darauf, wo wir beim Fotografieren stehen, in welchem Moment wir auslösen, was wir ins Bild nehmen und was nicht. Die besten gründen eher darauf, dass der Fotograf etwas gesehen hat, das der Rest von uns übersehen hat. Um solche Fotos zu machen, muss man aufgeschlossen bei der Sache sein und die Welt auf eine unnachahmliche Weise sehen.

Meine Bücherregale sind gefüllt mit Fotobüchern. Einige um mich herum stammen von Sebastião Salgado, Vincent Munier, Dorothea Lange, Vivian Maier, Edward Weston, Ara Güler und Gordon Parks, und von jedem Foto dieser Meister kann ich aufrichtig behaupten, dass ich es auch hätte machen können. Habe ich aber nicht. Ich bin nicht dabei gewesen. Ich habe es nicht gesehen. Und selbst wenn ich dort gewesen wäre, hätte ich es bestimmt anders gesehen. Auch wenn unsere Augen gleich gebaut sind, so unterscheiden sich unsere Gehirne, mit denen wir unsere Umwelt wahrnehmen, derart deutlich, dass selbst wir vor dem gleichen Motiv nebeneinanderstehend es unterschiedlich gesehen und fotografiert hätten. Die eigentlich Wahrheit lautet also: Nein und nochmals nein, ich hätte diese Fotos nicht machen können.

Die Werke der einstigen und jetzigen Meister der Fotografie haben kaum etwas mit deren verwendeten Kameras zu tun. In manchen Fällen ist das neben mir liegende iPhone den Kameras aus der Zeit dieser Fotografen weit überlegen. Nein, die von ihnen erzeugten Bilder entsprangen den Künstlern selbst – einzigartigen Menschen mit einzigartigen Sichtweisen und Gelegenheiten gepaart mit dem Mut, diese Fotos überhaupt zu machen, Fotos, in die sie ihre Seele haben einfließen lassen.

Viele Fotografen wünschen sich nichts mehr, als »bessere Fotos« zu machen, und ich glaube, dass dieses Buch diesem Anliegen zu Ehren entstanden ist. Doch viele Fotografen halten niemals inne, um sich zu fragen, was bei ihren eigenen Fotos nun eigentlich »besser« oder »gut« heißt. Die Fotowettbewerbe, die zu den Grundfesten von Fotoclubs und -verbänden gehören, nähren die Vorstellung, dass diese »besseren« Fotos anhand von bestimmte Kriterien punktemäßig bemessen werden könnten, so, als ob man die Seele bemessen könnte. Das können wir besser machen. Dieses Buch ist also ein weiterer Versuch herauszufinden, was es bedeutet, bessere Fotos zu machen. Wie bei allem anderen, das ich geschrieben habe, philosophiere ich zwar gern und viel, doch soll auch dieses Buch im besten Sinne pragmatisch sein. Wenn die hier vorgebrachten Ideen am Ende nicht noch mehr Fragen aufwerfen, bringen sie niemanden weiter. Dieses Buch ist allerdings keine Marschroute zu besagten besseren Fotos, sondern mehr ein Austausch darüber, was den Fotografen besser macht. Wir haben fast 200 Jahre damit verbracht, die Kameras von heute zu erfinden. Sie sind sehr weit entwickelt. Jetzt ist es an der Zeit, sich wirklich um das zu kümmern, was bessere Fotos bringt, den Fotografen selbst.

Über die Kunst

Es wird bei mir viel um Kunst gehen. Dabei betrachte ich mich selbst und andere als Künstler. Das meine ich in keiner Weise wertend und ich werde diesen Status auch nicht glorifizieren. Ohne eine klare Definition des Kunstbegriffs verfällt man nur allzu leicht in Diskussionen, was Kunst ist und was nicht. Viele Dinge sind mir egal; so auch die Definition von »Kunst«.

Auf jeden Fall möchte ich Kunst erschaffen, sie erleben. Ich möchte künstlerisch leben. Ich möchte aber nicht darüber diskutieren. Ich habe mich daher nie gefragt, ob etwas Bestimmtes Kunst sei. Stattdessen frage ich mich immer, ob es beseelt ist, ob es lebt. Kann ich darin etwas vom Künstler erkennen? Bewegt es mich? Regt es mich zum Nachdenken an? Fordert es mich heraus? Bereichert es mein Menschsein? Wenn ja, reicht mir das. Es gibt gute Kunst, schlechte Kunst, moderne Kunst, bildende Kunst. Doch gegen das aufgewogen, was mein Leben bereichert, bringen mich diese Einordnungen weder weiter, noch bereichern sie meine Fotos.

Wenn Sie sich also unter der Vorstellung, ein Künstler zu sein, winden und mit den Folgen dessen hadern, so möchte ich nur den Blick auf den Sinn unserer Arbeit lenken, das Einfließenlassen von Seele. Ganz gleich, ob es sich dabei um Hochzeits-, Werbe-, Reportage-, Natur- oder Sportfotografie handelt, das Ziel ist stets dasselbe. Wenn es das nicht ist, so ist es vielleicht an der Zeit zu fragen, ob wir uns nicht schon damit abgefunden haben, unter unseren Möglichkeiten zu bleiben. Die Leute reagieren schließlich auf die Seele, die Sie Ihren Bildern eingehaucht haben. Freunden Sie sich mit dieser Vorstellung an, und falls Ihnen das nicht gelingen will, setzen Sie sich mit ihr auseinander.

Über die Fotos

Ich habe beschlossen, Die Seele der Kamera mit Bildern zu illustrieren, die dem Grundgedanken dieses Buchs entsprechen, unsere Menschlichkeit. Manche dieser Bilder wurden bereits woanders veröffentlicht, und manche davon bisher nur in Farbe. Da es hier um die Seele geht, habe ich mich für Schwarz-Weiß-Fotos entschlossen, da schon der kanadische Fotograf Ted Grant sagte: »Fotografiert man die Menschen in Farbe, fotografiert man ihre Kleidung. Fotografiert man sie hingegen in Schwarz-Weiß, fotografiert man ihre Seelen.«

Die Bilder entstanden mit Kameras von Canon, Nikon, Leica, Fuji und Apple, wobei die Kameraeinstellungen und -brennweiten so unwichtig sind, dass ich zum ersten Mal entschieden habe, sie in einem Buch wegzulassen. Damit verbinde ich die Hoffnung, dass Ihr Vorstellungsvermögen angeregt wird, wie sie wohl entstanden sein mögen. Explizite Informationen können uns denkfaul machen und von der eigentlichen Sache, dem schwer zu beschreibenden Prozess des Sehens, des Erkennens von richtigem Licht und des entscheidenden Moments ablenken. Wenn es dann noch um Fotos von Menschen geht, sagen diese Daten zudem gar nichts über die in Beziehung stehenden Bildelemente aus, die über alles entscheiden.

Wenn Sie sich darüber Sorgen machen, dass auf den Bildern nur menschliche Themen zum Zuge kommen, und daraus schließen, dass es nur um diese Sujets geht, seien Sie beruhigt; dem ist nicht so. Jedes Foto hat das Potenzial, mit Seele, Geist, Verbindung oder wie Sie es auch immer nennen wollen, angereichert zu werden. Schauen Sie sich dazu nur die Tieraufnahmen von Paul Nicklen, die Stillleben von Edward Weston oder die Industrielandschaften von Edward Burtynsky an: allesamt erfüllt von Leben, Wundern, Menschlichkeit, ohne dass Personen darin vorkommen. Meine Bilder sollen daher nur diese Vorstellung unterstreichen, Seele und Menschlichkeit hochleben lassen und keine Einengung darstellen, auf welche Art und Weise man seine Ideen in Werken auszudrücken hat.

Jetzt ist es an der Zeit, sich wirklich um das zu kümmern, was bessere Fotos bringt: den Fotografen selbst.

Schlussendlich werden die Leute nicht über die Bildschärfe oder Ihre überwältigenden Histogramme sprechen.

Die Rolle der Technik

Zu erwähnen, dass die Kamera in der Fotografie eine wichtige Rolle spielt, mutet schon fast komisch an. Dass wir als Fotografen eine noch größere Rolle spielen, sollte ebenso klar sein. Ich persönlich liebe meine Kameras, oftmals mit solcher Inbrunst, dass sie manchen verwundert, der eine solche Verbundenheit mit seinen geliebten Werkzeugen nicht kennt. Doch den eigentlichen kreativen Prozess und die Fotos, die dabei herauskommen, liebe ich noch viel mehr. Das muss man wissen. Auf den folgenden Seiten lege ich dar, warum der Vorzug eher auf Letzterem als auf Ersterem liegen sollte. Man könnte sogar sagen, dass Ausrüstung gut, dass Sehen aber noch besser sei. Ich habe es schon so oft gesagt, dass es zu einer Art persönlichem Mantra geworden ist. Doch damit Sie nicht befürchten müssen, dass ich die totale fotografische Anarchie ausrufe, lassen Sie mich vorher noch ein paar Dinge klären.

Technik ist wichtig. Die Fotografie besteht zu einem gewissen Anteil aus Wissenschaft und Technologie, zumindest in ihrer Funktionsweise. Davon sollte man immerhin so viel verstehen, dass man seine Aufgaben lösen kann. Doch die Fotografie ist, zumindest nach meinem Verständnis, kein rein technisches Unterfangen. Sie ist vor allem ein ästhetisches unter Einsatz von technischen Mitteln. Schlussendlich werden die Leute nicht über die Bildschärfe oder Ihre überwältigenden Histogramme sprechen. Sie werden auch nicht daran zurückdenken, wie geschickt Sie die ISO-Einstellungen gemeistert haben. Wenn ich auf die Werke der Fotografen zurückschaue, die mich inspiriert haben, kann ich mich an keines erinnern, bei dem das technische Verständnis für mich eine Rolle gespielt hätte. Meistens weiß ich auch nicht, welche Kameras meine Idole verwendet haben, welche Objektive sie besaßen oder mit welchen Einstellungen sie am liebsten arbeiteten. Ich kann mich nur an das Erlebnis des Fotos oder des Gesamtwerks erinnern, das mich berührt hat.

Die Fotos, die uns am meisten inspiriert haben, die zu Ikonen geworden sind oder bei uns zuhause hängen, haben dies nicht erreicht, weil die Kameraeinstellungen perfekt waren, ebenso wenig wie uns die Verse von Rumi berühren, bloß weil er wusste, wie man liest und schreibt. Sie berühren uns wegen der Herzlichkeit und Menschlichkeit des Poeten und seiner Bereitschaft, sie vor uns in Worten auszubreiten. Dabei verstand er sein Handwerk aus Wörtern und Grammatik so gut, dass diese ihm nicht im Weg standen und seiner Weisung folgten.

Unser Handwerkszeug ist wichtig. Fehlt es uns, fehlt uns das Ausdrucksmittel, zumindest wenn wir fotografieren wollen. Zu verstehen, mit unserem Handwerkszeug umzugehen, ist ebenso wichtig, denn wenn wir das nicht tun, steht es uns im Weg. Das heißt nicht, dass wir gar kein Foto zustande bekämen; doch ein Foto, das andere berühren soll, gelingt uns dann nur schwer. Je umständlicher und kameraorientierter wir agieren, desto unwahrscheinlicher ist es, dass wir in einen Zustand geraten, den viele als Flow bezeichnen, den kreativen Zustand, in dem wir Zugang zu unserer Intuition und unserem Unterbewusstsein haben. Um noch einmal auf das Beispiel des Dichters Rumi zurückzukommen:

Je weniger wir unsere technischen Mittel beherrschen, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir zwar Sätze hervorbringen, aber keine Poesie erschaffen.

Sein Handwerk zu verstehen kann eine lebenslange Aufgabe sein, vor allem, da Kameras sich stetig weiterentwickeln, mehr Möglichkeiten bieten und mit diesen Möglichkeiten der Grad an Komplexität steigt. Damit möchte ich nicht gesagt haben, dass die Beherrschung der Technik unbedingte Voraussetzung zum Erschaffen von Kunst wäre. Sie ist bestenfalls Beiwerk. Ich hoffe jedenfalls, dass es stimmt, dass wir mit zunehmender Vertrautheit mit unserer Ausrüstung und den gesamten Arbeitstechniken immer etwas besser werden und uns diese Fertigkeit größere Freiheiten einräumt, die Dinge auszudrücken, die wir vermitteln wollen. Mit zunehmendem Wissen und tieferem Verständnis unserer Mittel können sich unsere Möglichkeiten nur erweitern.

Was allerdings auch stimmt, ist, dass die Kamera und alles andere Physische um sie herum bei Weitem nicht die einzigen Werkzeuge sind, mit denen wir uns vertraut machen müssen. Beschränken wir uns nur darauf, wird dies zum größten Hindernis auf dem Weg zu den Fotos, die wir uns erträumt haben. Schlussendlich ist die Kamera recht einfach zu bedienen. Man muss nur wissen, wie man die Belichtung für die gewünschte Bildstimmung den Lichtverhältnissen entsprechend wählt und schon geht es weiter. Das Gleiche gilt für das Thema Scharfstellung.

Beim großen Rest handelt es sich um die nicht greifbaren Werkzeuge der Bildsprache. Deren Funktionsweise zu verstehen ist sehr viel schwerer. Meiner Einschätzung versteht die überwiegende Mehrheit der Fotografen sie niemals völlig, da sie unter der Tyrannei von Bedienungsknöpfen und -rädern stehen oder gehorsam Regeln befolgen. Damit können sie bisweilen sogar einen Preis in einem Fotowettbewerb gewinnen, wie man auch einen Preis in einem Fleißwettbewerb in der Schule gewinnen kann. Doch werden Sie so niemals den viel größeren Preis gewinnen: den der Freude über etwas Wahrhaftes und Authentisches, etwas, das viel tiefer geht als die Anerkennung, dass Sie die Kamera beherrschen.

Lernen Sie Ihre Kamera und anderen Einsatzmittel, die Sie gerne einsetzen, wie Blitze und Filter, gut kennen. Eignen Sie sich neue Techniken an, sollte Ihre Neugier Sie dorthin führen. Lernen Sie die Technik so gut kennen, dass sie ein Teil von Ihnen wird, sie sich Ihnen nicht in den Weg stellt und Ihnen die so viel wichtigere Arbeit als Fotograf ermöglicht: präsent und aufnahmefähig zu sein, auf neue Arten zu sehen und mit den Elementen der Bildsprache zu spielen, um etwas zu erschaffen, das mehr als nur ein Schnappschuss ist.

Man muss wissen, wie man einen Stift richtig verwendet, doch wenn man ein Gedicht oder eine Geschichte damit aufschreibt, tritt er völlig in den Hintergrund. Es ist also nicht dieser Stift, der die Leser anspricht, sondern es sind Sie und Ihre Geschichten. Die Kamera und wir, die wir sie benutzen, müssen immer etwas Größerem dienen als der Technik, wenn wir uns Hoffnung auf Fotos machen wollen, in denen wir und andere Seele finden. Dieses Größere ist das Sehen.

Venedig, Italien, 2016

Florenz, Italien, 2016

Bologna, Italien, 2016

Rom, Italien, 2016

Wenn wir unsere Fotos anschauen und darin nicht den kleinsten Hauch von uns selbst wiederfinden, ist das ein deutliches Zeichen, dass unsere Bilder ihre Seelen verloren haben.

Die Entdeckung des Sehens

Ich habe in den letzten Jahren so viel über das Sehen geschrieben, dass ich mich etwas gehemmt fühle, noch mehr darüber zu schreiben. Ein Teil dieser Gehemmtheit rührt daher, dass ich des Öfteren schon um Worte zu diesem Thema gerungen habe, ein anderer aus dem Gefühl, dass, je mehr ich über fotografisches Sehen als Konzept nachdenke, es mir umso mehr entwischt. Es liegt in der Natur der Sache, dass es mit begrifflicher Unschärfe behaftet ist, und so bringt es mich in eine verzwickte Lage, als wollte ich einen Pudding an die Wand nageln.

Wir alle fotografieren aus unterschiedlichen Gründen, und diese Gründe sind untrennbarer Bestandteil unseres Sehens. Von daher bin ich nicht versessen darauf, so lange meinen Kopf auf die Tastatur zu hauen, bis ich mir eine Definition abgerungen habe. Ich schätze, dass Sie wissen, was damit gemeint ist: Sehen, Absicht, die Dinge, die wir, wie unperfekt auch immer, mit der Kamera in unserer Hand ausdrücken wollen.

Viel wichtiger als eine Definition des Sehens ist, es herauszufinden, es zu entdecken. Dabei ist noch nicht einmal entscheidend wie man es entdeckt, sondern zu erfahren, dass