Das Hexaemeron - Ambrosius von Mailand - E-Book

Das Hexaemeron E-Book

Ambrosius von Mailand

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Beschreibung

Ambrosius von Mailand war römischer Politiker, als er zum Bischof von Mailand gewählt wurde. Er ist nicht nur einer der vier lateinischen Kirchenlehrer der Spätantike der Westkirche, sondern seit 1295 auch den Ehrentitel Kirchenvater. Sein Hexaemeron ist eine exegetische Abhandlung der Geschichte des sechstägigen Schöpfungswerkes, wie es im ersten Kapitel der Genesis enthalten ist.

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Das Hexaemeron

 

AMBROSIUS VON MAILAND

 

DIE SCHRIFTEN DER KIRCHENVÄTER

 

 

 

 

 

Das Hexaemeron, Ambrosius von Mailand

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849659660

 

Cover Design: Basierend auf einem Werk von Andreas F. Borchert, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35892522

 

Der Text dieses Werkes wurde der "Bibliothek der Kirchenväter" entnommen, einem Projekt der Universität Fribourg/CH, die diese gemeinfreien Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Die Bibliothek ist zu finden unter http://www.unifr.ch/bkv/index.htm.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Der erste Tag. Erste und zweite Homilie (Gen 1,1-5)

Der zweite Tag. Dritte Homilie (Gen 1,6-10)

Der dritte Tag.  Vierte und fünfte Homilie. (Gen 1,11-13)

Der vierte Tag. Sechste Homilie. (Gen 1,14-19)

Der fünfte Tag. Siebte und  achte Homilie. (Gen 1,20-23)

Der sechste Tag. Neunte Homilie. (Gen 1,24-26)

Fußnoten.

 

 

Das Hexaemeron

 

Bibliographische Angaben:

 

Titel Version: Exameron (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: Exameron In: Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand Exameron. Aus dem Lateinischen übersetzt von Dr. Joh. Ev. Niederhuber. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 17) München 1914. Unter der Mitarbeit von: Rudolf Heumann.

 

 

Der erste Tag. Erste und zweite Homilie (Gen 1,1-5)

 

I. Kapitel.

Die heidnischen Kosmologien.

 

1.

 So großem Wahne denn konnten Menschen verfallen, daß einige von ihnen drei Prinzipien alles Seienden aufstellten: Gott, die Idee und die Materie! So Plato und seine Schule. Dieselben seien, versichern sie, unvergänglich, ungeschaffen und anfangslos. Und Gott habe nicht als Schöpfer der Materie, sondern nur als Bildner, dem ein Bild, d. i. die Idee vorschwebte, die Welt aus der Materie, Hyle genannt, gemacht. Diese habe, behaupten sie, für alle Dinge die Entstehungsursache abgegeben. Sogar auch die Welt halten sie für unvergänglich und nicht für geschaffen oder gemacht. Wieder andere ― Aristoteles und seine Schule glaubten diese Anschauung vertreten zu sollen ― nahmen zwei Prinzipien an, Materie und Form, und in Verbindung damit ein drittes, das „wirkende“ genannt, hinlänglich genug das zu verwirklichen, was nach seinem Ermessen ins Werk zu setzen sei.

 

2.

Was wäre nun so ungereimt als ihre (der Philosophen) Verquickung der Ewigkeit der Schöpfung mit der Ewigkeit des allmächtigen Gottes, oder ihre Identifizierung der Schöpfung mit Gott1, so daß sie dem Himmel und der Erde und dem Meere göttliche Ehre erwiesen? Die Folge war, daß sie in den Teilen der Welt Gottheiten erblickten2, wiewohl über die Welt  selbst nicht geringe Meinungsverschiedenheit unter ihnen besteht.

 

3.

[Forts.  ] Pythagoras nimmt nur eine Welt an. Andere behaupten das Dasein zahlloser Welten, wie Demokrit in seinen Schriften, dem das Altertum die größte Autorität in der Naturwissenschaft zuerkannte. Aristoteles eignet sich den Satz an: Die Welt war und wird immerfort sein. Dem stellt Plato die Behauptung entgegen: Sie hat nicht immer bestanden, wird aber immer fortbestehen. Gar viele Autoren3 aber treten in ihren Schriften für die Anschauung ein: Sie hat nicht immer bestanden und wird nicht immer bestehen.

 

4.

[Forts.  ] Wie ließe sich bei diesen widersprechenden Ansichten der wahre Sachverhalt ermitteln? Geben doch die einen die Welt selbst, insofern ihr nach ihrem Dafürhalten anscheinend göttlicher Geist innewohne, für Gott aus, andere die Bestandteile derselben, wieder andere beides zugleich. Da läßt sich doch unmöglich eine Vorstellung gewinnen von der Gestalt der Götter, von deren Zahl, von deren Wohnsitz oder Leben und Treiben. Nach der Welt zu urteilen müßte man sich ja die Gottheit füglich rotierend, rund4, lohend, in gewisse Bewegungen versetzt, bewußtlos und fremder Bewegung, nicht der eigenen folgend denken.

 

II. Kapitel.

 

Der Fundamentalsatz der mosaischen Kosmologie. Moses.

 

5.

Folgenden Satz stellte der heilige Moses, da er im göttlichen Geiste5 voraussah, daß solche  menschliche Irrtümer hervortreten würden und vielleicht schon hervorzutreten anfingen, an die Spitze seines Berichtes: „Im Anfang hat Gott den Himmel und die Erde geschaffen“6. Er spricht damit den Anfang der Dinge, den Urheber der Welt und die Erschaffung der Materie zugleich aus. Man sollte daraus ersehen: Gott war vor dem Anfange der Welt da, bezw. er gerade ist der Anfang des Alls gemäß der Antwort, die der Gottessohn im Evangelium auf die Frage: „wer bist du?“ gegeben hat: „Der Anfang, der ich auch zu euch rede“7; und er gerade hat den Dingen den Anfang ihres Entstehens gegeben und er ist der Schöpfer der Welt, nicht aber gleichsam nur an der Hand einer Idee der Nachformer der Materie, aus der er nicht nach seinem freien Ermessen, sondern nach gegebenem Muster seine Werke gestaltete. Zutreffend gebrauchte er desgleichen die Wendung: „Im Anfang hat er geschaffen“. Er wollte damit, daß er in seiner Darstellung gleich das Ergebnis der vollendeten Schöpfung der folgenden Aufzeigung der anfangenden voranstellte, die unbegreifliche Schnelligkeit der Schöpfung zum Ausdruck bringen.

 

6.

Wer es spricht, müssen wir beachten. Doch Moses8, der in jeglicher Weisheit der Ägypter wohlbewanderte, den die Tochter des Pharao aus dem Flusse heben ließ und wie ihr Kind lieb gewann9 und auf königliche Kosten in allen Lehren der Weltweisheit unterweisen und ausbilden zu lassen wünschte. Obschon nach dem Wasser benannt10, glaubte er dennoch nicht  behaupten zu dürfen, daß alles aus Wasser bestehe, wie Thales behauptet. Und obschon am Königshofe erzogen, wollte er aus Liebe zur Gerechtigkeit eher das Brot freiwilliger Verbannung essen, denn als hoher Würdenträger der Zwingherrschaft in weichlicher Genußsucht in den Dienst der Sünde treten. Bevor er noch zur Aufgabe berufen wurde, sein Volk zu befreien, setzte er sich dadurch, daß er im Übereifer seines natürlichen Rechtlichkeitssinnes einen ungerecht behandelten Volksgenossen rächte, der Ungnade aus, riß sich vom Genußleben los, floh das ganze unruhige Treiben am Königshofe, suchte die Einsamkeit Äthiopiens auf und versenkte dort seinen Geist, fern allen sonstigen Beschäftigungen, ganz in die Erkenntnis des Göttlichen, so daß er die Herrlichkeit Gottes von Angesicht zu Angesicht schaute. Ihm gibt die Schrift das Zeugnis, daß „kein Prophet fürder aufstand in Israel gleich Moses, welcher den Herrn kannte von Angesicht zu Angesicht“11. Nicht im Gesicht und nicht im Traum, sondern von Mund zu Mund durfte er mit Gott dem Allerhöchsten sprechen und ward der Gnade gewürdigt, Gottes Gegenwart nicht nur im Bilde oder im Rätsel, sondern in Klarheit und Wahrheit zu schauen12.

 

7.

Er (Moses) nun öffnete seinen Mund und goß aus die Worte, welche der Herr zu ihm redete gemäß der Verheißung, die er ihm gegeben hatte, da er ihn zu König Pharao sendete: „Zieh hin! Und ich werde deinen Mund öffnen und dich lehren, was du sprechen sollst“13. In der Tat, wenn er schon die Worte, die er zur Entlassung seines Volkes vorbringen sollte, von Gott empfangen hatte, wieviel mehr jene, die er über den Himmel aussprechen sollte! „Nicht in Überredung  menschlicher Weisheit“14, nicht in philosophischen Trugschlüssen, „sondern in Erweisung von Geist und Kraft“15, gleichsam als Zeuge der göttlichen Schöpfung, wagte er denn zu sprechen: „Im Anfange hat Gott den Himmel und die Erde geschaffen“. Er wartete nicht erst den langwierigen und vergeblichen Prozeß ab, wonach die Welt aus Atomverbindungen sich zusammenfügte, und (wartete) nicht sozusagen auf einen Schüler der Materie, der letztere erst studieren mußte, um die Welt formen zu können, sondern glaubte gleich Gott als ihren Urheber aussprechen zu sollen. Ein Mann voll Weisheit, merkte er wohl, daß allein in Gottes Geist Wesen und Grund der sichtbaren und unsichtbaren Dinge beruhten, und nicht, wie die Philosophen lehren, eine nachhaltige Verbindung der Atome ihre stetige Fortdauer bedinge. Ihm dünkte es, als spännen sie nur ein Spinngewebe16, sie, die so kleinliche und wesenlose Prinzipien für Himmel und Erde ansetzten. Müßten doch diese, wie zufällig verbunden, so auch zufällig und aufs Geratewohl sich auflösen, hätten sie nicht in der göttlichen Macht ihres Lenkers den festen Bestand. Kein Wunder übrigens, wenn die, welche Gott nicht kennen, auch vom Lenker (der Welt), der alles leitet und regiert, nichts wissen. So folgen wir also dem, der sowohl den Schöpfer als auch den Lenker kannte, und lassen wir uns nicht von eitlen Meinungen irreführen!

 

 

III. Kapitel.

 

Die zeitlose Schöpfung und der zeitlose Schöpfungsakt. Gott der Schöpfer der Welt. Der zeitliche Anfang der Welt. Dem Anfang entspricht notwendig das Ende der Welt.

 

8.

„Im Anfang“ so beginnt (Moses). Eine treffliche Anordnung!17 Erst betont er, was man zu leugnen  pflegt18; (erst) sollte der Mensch erkennen, daß die Welt einen Anfang hatte, damit er die Welt nicht für anfangslos halte. Darum hebt auch David, da er vom Himmel und der Erde und dem Meere redete, hervor: „Alles hast du mit Weisheit gemacht“19. Er (Moses) sprach sonach der Welt einen Anfang, sprach desgleichen der Schöpfung Unzulänglichkeit zu, daß wir sie nicht für ἄναρχος [anarchos] (anfangslos), nicht für ungeschaffen und göttlicher Wesenheit teilhaftig hielten. Und dazu das treffliche „hat geschaffen“, womit der Annahme eines zeitlichen Verlaufes des Schöpfungsaktes vorgebeugt werden sollte. So doch wenigstens sollten die Menschen einsehen, wie unvergleichlich der Schöpfer ist, der ein so gewaltiges Werk in einem so winzig kurzen Augenblick seines Wirkens vollführte, daß die Ausführung seiner Willenstat jedem merklichen Zeitverlauf vorausging. Niemand sah ihn schaffen, er sah vielmehr nur das geschaffene Werk vor sich. Wo könnte auch von einer Zeitfrist die Rede sein, wenn man liest: „Er sprach und es ward, er befahl und es war erschaffen“?20 Nicht also eines Kunst-, nicht eines Kraftaufwandes bedurfte es für den, der im Nu mit seinem Willensakte die majestätische Pracht eines so gewaltigen Werkes vollendete, so daß er das Nichtseiende plötzlich so ins Dasein setzte, daß weder die Schöpfung dem Willensakte noch der Willensakt der Schöpfung vorausging.

 

9.

Du staunst über das Werk, fragst nach dem Meister: wer dem so gewaltigen Werke den Anfang gegeben, wer es so plötzlich ins Dasein gerufen? Da fügte er (Moses) auch schon die Antwort bei: „Gott hat den Himmel und die Erde geschaffen“. Du hast den Schöpfer vernommen, darfst nicht zweifeln. Dieser ist’s, in welchem Melchisedech den Abraham, den Stammvater der vielen Völker, gesegnet hat mit den Worten: „Gesegnet  sei Abraham von Gott dem Höchsten, der geschaffen hat den Himmel und die Erde!“21 Und es glaubte Abraham und sprach: „Ich hebe meine Hand auf zu Gott dem Höchsten, der geschaffen hat den Himmel und die Erde“22. Du siehst, das ist nicht eines Menschen Einfall, sondern Gottes Botschaft. Gott nämlich ist der Melchisedech; denn er ist „der König des Friedens und der Gerechtigkeit“23, „ohne Anfang und Ende seiner Tage“24. Kein Wunder also, wenn Gott, der Anfangslose, allen Dingen den Anfang gegeben hat, so daß sie, die Nichtseienden zu sein anfingen. Kein Wunder, wenn Gott, der alles mit seiner Macht umfängt und alles mit unbegreiflicher Hoheit in sich begreift, die sichtbare Welt geschaffen hat, nachdem er auch die unsichtbare Welt geschaffen hat. Wer möchte aber leugnen, daß dem Unsichtbaren der Vorzug vor dem Sichtbaren gebührt? Ist doch „das Sichtbare zeitlich, ewig hingegen das Unsichtbare“25. Wer möchte zweifeln, daß Gott dies geschaffen hat, der durch den Mund des Propheten gesprochen: „Wer maß mit der Hand das Wasser und mit der Spanne den Himmel und mit der geschlossenen Hand die ganze Erde? Wer wog die Berge nach dem Gewicht und die Felsmassen nach der Wage und das Gelände nach dem Joch? Wer nahm Einsicht in den Geist des Herrn, oder wer war ihm Berater, oder wer unterwies ihn?“26 Auch an einer anderen Stelle lesen wir von ihm: „Er hält den Umkreis der Erde und hat die Erde wie ein Nichts geschaffen“27. Und Jeremias ruft aus: „Die Götter, welche den Himmel und die Erde nicht geschaffen haben, sollen verschwinden von der Erde und unter dem Himmel dort! Der Herr ist’s,  der geschaffen die Erde in seiner Macht und geordnet den Erdkreis in seiner Weisheit und in eigener Einsicht ausgespannt den Himmel und die Menge des Wassers am Himmel“28. Und er fügte bei: „Betört ward der Mensch von seinem Wissen“29. Wie sollte denn einer, der den vergänglichen Dingen der Welt folgt und aus diesen die Wahrheit über Gottes Natur erfahren zu können glaubt, nicht durch die Kniffigkeit der gewandten Sophistik betört werden?

 

10.

So viele Aussprüche also vernimmst du, worin Gott bezeugt, daß er die Welt geschaffen hat: halte sie nicht für anfangslos, weil sie kugelförmig sein soll30, so daß anscheinend jeder Anfang an ihr fehlt; und weil alles, wenn sie erdröhnt, rings im Unkreis erbebt, so daß sich Anfang und Ende an ihr unmöglich wahrnehmen läßt; den Anfang eines Kreises sinnenfällig zu bestimmen, gilt ja als ein Ding der Unmöglichkeit. Auch an einer Kugel läßt sich der Anfangspunkt nicht ausfindig machen: wo etwa die Mondscheibe anfängt, wo sie nach der monatlichen Abnahme des Mondes aufhört. Doch wenn du’s auch selbst nicht merkst, folgt daraus nicht, daß sie überhaupt keinen Anfang und keinerlei Ende hat. Wenn du eigenhändig einen Kreis mit Tinte oder Stift ziehst oder mit dem Zirkel beschreibst, wirst du’s nach einiger Zeit unmöglich mehr mit den Augen merken oder dich geistig erinnern, wo du angefangen und wo du aufgehört hast. Und trotzdem bist du dein eigener Zeuge, daß du angefangen und aufgehört hast. Denn wenn es auch dem Auge entgeht, die Wahrheit stößt’s nicht um. Was aber einen Anfang hat, hat auch ein Ende, und was ein Ende nimmt, hat auch, das steht fest, einen Anfang genommen. Daß aber die Welt ein Ende nehmen wird, lehrt der Heiland selbst in seinem  Evangelium mit den Worten: „Denn die Gestalt dieser Welt vergeht“31; ferner: „Himmel und Erde werden vergehen“32; und im folgenden: „Siehe, ich bin bei euch bis an das Ende der Welt“33.

 

11.

[Forts.  ] Wie können sie also die Welt für gleichewig mit Gott erklären, die Schöpfung mit dem Schöpfer des Alls auf dieselbe Stufe stellen und für gleichartig mit ihm ausgeben sowie die materielle Körperwelt mit der unsichtbaren und unnahbaren göttlichen Natur34 vermengen zu dürfen glauben, nachdem sie doch ihrer eigenen Anschauung gemäß nicht in Abrede stellen können, daß ein Ding, dessen Teile der Vergänglichkeit und Veränderlichkeit unterliegen, notwendig auch als Ganzes den nämlichen Einflüssen wie seine Teile ausgesetzt und unterworfen ist?

 

 

IV. Kapitel.

“Im Anfang” (Gen 1,1). Der Schöpfungsanfang ein Schöpfungsfrühling, die Osterzeit. Christus, der mystische Anfang. Anfang gleichbedeutend mit Inbegriff.

 

12.

Daß es nun einen (Welt-) Anfang gibt, lehrt der, welcher spricht: „Im Anfang hat Gott Himmel und Erde geschaffen“. „Anfang“ kann entweder auf die Zeit oder auf die Zahl oder auf das Fundament bezogen werden, wie bei einem Hausbau das Fundament den Anfang bildet35. Daß man auch von dem Anfang einer Bekehrung, einer Entartung reden kann, wissen wir auf Grund der Schrift. Desgleichen hat die Kunst ihren Anfang gerade im Können, von dem in der Folgezeit das Schaffen der verschiedenen Künstler seinen Ausgang nahm. Es haben ebenso die guten Werke ihren  Anfang, (nämlich) den guten Endzweck. So besteht der Anfang der Barmherzigkeit darin, es möchte dein Tun Gott gefallen: der stärkste Beweggrund zur Hifeleistung an die Menschen. Es gibt übrigens auch eine Eigenschaft Gottes, die man so bezeichnet. ― Eine Zeitbeziehung liegt vor, wenn man ausdrücken wollte, in welchem Zeitpunkte Gott den Himmel und die Erde geschaffen hat, d. i. im Augenblicke der Weltentstehung, als sie zu werden anfing. So spricht die Weisheit: „Als er bereitete den Himmel, war ich mit ihm“36. ― Falls wir aber die Beziehung auf die Zahl machen wollten, würde man’s am besten so verstehen: Zuerst hat er den Himmel und die Erde geschaffen37, sodann die Anhöhen, das Gelände, die bewohnbaren Gegenden; oder so: Vor allen anderen sichtbaren Geschöpfen, vor dem Tage, der Nacht, den Fruchtbäumen, den verschiedenen Tierarten, hat er den Himmel und die Erde geschaffen. ― Macht man aber die Beziehung auf das Fundament, so beruht, wie du gelesen, der Erde Anfang in einer Grundfeste; denn so spricht die Weisheit: „Als er schuf die starken Grundfesten der Erde, war ich ordnend bei ihm“38. ― Auch eine tüchtige Schulung hat ihren Anfang. Darauf bezieht sich das bekannte Wort: „Der Weisheit Anfang ist die Furcht des Herrn“39. Wer nämlich den Herrn fürchtet, meidet die Sünde und lenkt seine Wege nach der Tugend Pfad; wer Gott nicht fürchtet, vermag ja der Sünde nicht zu entsagen.

 

13.

Wir könnten dies ebenso auch von der folgenden Stelle annehmen: „Dieser Monat (Nisan) soll euch der Anfang der Monate sein“40. Sie muß freilich auch zeitlich verstanden werden, weil eben vom Pascha des Herrn die Rede war, dessen Feier in den Frühlingsanfang fällt41. An diesem „Anfang der Monate“ nun hat  Gott den Himmel und die Erde geschaffen; denn die Entstehung der Welt sollte zu der Zeit statthaben, da allen Dingen warmer günstiger Frühlingshauch wehte. So spiegelt denn das Jahr das Bild der werdenden Welt wider: Auf Winterfrost und Winternacht erstrahlt freundlicher denn sonst des Frühlings Pracht. Ein Bild der künftigen Jahresläufte also bot das erste Entstehen der Welt: Demselben Gesetze folgend ziehen im Wechsel die Jahreszeiten herauf und sproßt zu Beginn jedes Jahres die Erde neue keimende Saat hervor, seitdem zum ersten Mal Gott der Herr gesprochen hatte: „Es sprosse die Erde das Grün des Grases, Samen treibend nach seiner Art und nach seiner Beschaffenheit, und fruchttragende Fruchtbäume. Und sogleich brachte die Erde das Grün des Grases hervor und die Fruchtbäume“42. Sowohl die göttliche Vorsehung, die ewig lenkende, als auch die rasch sprossende Erde sprechen für unsere Deutung auf die Frühlingszeit. Denn wenn es auch zu jedweder Zeit Gott zugestanden hätte, zu gebieten, der Erdennatur, zu gehorchen, so daß sie auch bei Wintereis und Winterfrost unter dem belebenden Hauche des himmlischen Gebotes geknospet und Frucht getrieben haben würde, so lag es doch nicht im ewigen Ratschlusse, vor eisiger Kälte starrende Flächen mit einem Mal zu grünen Fruchtgefilden auftauen zu lassen und in rauhen Frost zarte Blüten zu streuen. Um also die Frühlingszeit bei der Erschaffung der Welt anzuzeigen, spricht die Schrift: „Dieser Monat ist euch der Anfang der Monate, der erste ist er euch unter den Monaten des Jahres“, mit dem „ersten Monat“ die Frühlingszeit bezeichnend. Denn füglich sollte der Schöpfung Anfang mit dem Jahresanfang zusammenfallen und die Schöpfung selbst durch linder Lüfte Wehen befruchtet werden. Sonst wären nämlich der Dinge zarte Anfänge nicht imstande gewesen, sei es den Druck allzu rauher Kälte zu ertragen, sei es die Unbill versengender Hitze zu überstehen.

 

14.

Zugleich mag man, weil es mit Recht hierher gehört, beachten, daß der gnadenvolle Eintritt in diese  Schöpfung und in diese Lebenssphäre sichtlich zu der Zeit erfolgen sollte, da auch der ordnungsmäßige Übergang von dieser Welt (generatio) in die Welt der Wiedergeburt (regeneratio) statthat43. Hielten doch auch die Kinder Israels zur Frühlingszeit den Auszug aus Ägypten und den Durchzug durch das Meer, „getauft in der Wolke und im Meere“, wie der Apostel sich ausdrückte44. Und zu dieser Jahreszeit wird auch das Pascha des Herrn Jesus Christus gefeiert, d. i. der Übergang der Seelen vom Sündenleben zur Tugend, von den Leidenschaften des Fleisches zur Gnade und zur Enthaltsamkeit des Geistes, vom „Sauerteig der Bosheit und Verderbtheit“ zur „Wahrheit und Lauterkeit“45. Auf die Wiedergeborenen geht sonach das Wort: „Dieser Monat ist euch der Anfang der Monate, der erste ist er euch unter den Monaten des Jahres“. Es verläßt und flieht nämlich der Täufling den Pharao im geistigen Sinn, den Fürsten dieser Welt, indem er spricht: „Ich widersage dir, Teufel, und deinen Werken und deiner Herrschaft“46. Und er wird ihm nicht mehr frönen, noch den irdischen Leidenschaften dieses Leibes, noch den Verirrungen des verderbten Geistes, vielmehr versenkt er alle Bosheit wie mit Bleigewicht in die Tiefe, wappnet sich zur Rechten und zur Linken mit guten Werken: so bemüht er sich, ungehemmten Schrittes durch das Meer dieser Welt hindurchzuschreiten. Auch die Schrift spricht im Buche Numeri: „Der Erstling der Völker ist Amalek, und seine Nachkommenschaft wird untergehen“47. Gewiß ist Amalek nicht an sich das erste unter allen Völkern, wohl aber, insofern man Amalek verdolmetscht für „König der Gottlosen“48 nimmt. Die Gottlosen aber sind die Heiden. Sieh also, ob wir nicht den Fürsten dieser Welt darunter zu verstehen haben,  der über die Heidenvölker herrscht, die ihm zu Willen sind. „Seine Nachkommenschaft wird untergehen“. Seine Nachkommenschaft aber sind die Gottlosen und Ungläubigen, denen des Herrn Wort gilt: „Ihr habt den Teufel zum Vater“49.

 

15.

[Forts.  ] Es gibt auch einen mystischen Anfang, so wenn es heißt: „Ich bin der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende“50, und insbesondere, wenn der Herr im Evangelium auf die Frage, wer er sei, erwiderte: „Der Anfang, der ich auch zu euch rede“51. Er ist in Wahrheit seiner Gottheit nach der Anfang von allem, weil niemand vor ihm ist, und das Ende, weil niemand nach ihm ist. Nach dem Evangelium ist er der Anfang der Wege des Herrn zur Vollbringung seiner Werke52: durch ihn soll das Menschengeschlecht die Wege des Herrn gehen und die Werke Gottes vollführen lernen. In diesem Anfang also, d. h. in Christus, hat Gott den Himmel und die Erde geschaffen; denn „durch ihn ist alles geworden und ohne ihn ist nichts geschaffen, was geschaffen ist“53; aber auch in ihm, weil „alles in ihm besteht“54. Und er ist „der Erstgeborene der ganzen Schöpfung“55, sei es weil er vor aller Schöpfung ist, sei es weil er der Heilige ist; denn die Erstgeborenen sind heilig56, so Israel, „der Erstgeborene“57, nicht weil es vor allen (Völkern) war, sondern weil es vor allen übrigen heilig war. Der Herr aber ist heilig vor jedem Geschöpfe, auch der Menschheit nach, die er angenommen hat; denn er allein ist sündelos, er allein unvergänglich, „die ganze Schöpfung aber der Vergänglichkeit unterworfen“58.

 

16.

 Wir können’s auch so verstehen: „Im Anfange hat Gott den Himmel und die Erde geschaffen“, d. i. vor der Zeit. So ist der Anfang eines Weges noch nicht der Weg, und der Anfang eines Hauses noch nicht das Haus. So haben denn auch andere die Lesart * ἐν κεφαλαίῳ* [en kephalaio], gleichsam „im Haupte“, wodurch angedeutet wird, daß der Hauptinhalt der Schöpfung in einem kurzen, winzigen Augenblick vollendet war59. Es gibt sonach auch Autoren, welche das Wort Anfang nicht zeitlich, sondern vorzeitlich, und * κεφάλαιον* [kephalaion] oder caput, wie wir lateinisch sagen, als den Inbegriff des Schöpfungswerkes fassen. Himmel und Erde sind ja der Inbegriff der sichtbaren Dinge. Diese aber scheinen nicht allein die Ausschmückung dieser Welt, sondern auch die Versinnbildung der unsichtbaren Dinge und sozusagen „die Beglaubigung jener Dinge, die nicht in die Sichtbarkeit treten“60, zu bezwecken. So lautet auch des Propheten Wort: „Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes und die Werke seiner Hände verkündet das Firmament“61. Und daran anknüpfend spricht der Apostel mit anderen Worten den gleichen Gedanken aus, wenn er versichert: „Was an ihm unsichtbar ist, wird durch die geschaffenen Dinge erkennbar“62. Als den Schöpfer der Engel und Herrschaften und Gewalten nämlich erkennen wir leicht denjenigen, der im Nu mit seinem gebieterischen Worte diese so wunderbare Schönheit der Welt, die nicht da war, aus dem Nichts ins Dasein rief, und die Dinge oder Ursachen, die nicht existierten, in den Besitz ihrer Wesenheit setzte.

  

V. Kapitel.

Die Schöpfung, ein Spiegelbild der Größe Gottes, kündet des Schöpfers Lob. Die Welt kein Schatten, kein Abglanz Gottes; Bild und Abglanz des Vaters der Sohn Gottes.

 

17.

 Es ist diese Welt ein Spiegelbild des göttlichen Schaffens: das Schauen des Werkes führt zum Lobe des Meisters. Es verhält sich da ähnlich wie mit den Künsten. Diese sind teils praktischer Art, beruhend in Körperbewegung oder im Ton der Stimme ― die Bewegung oder der Ton geht vorüber, und nichts bleibt den Zuschauern oder Zuhörern hiervon übrig und zurück ―; teils theoretischer Art, die ihre Anforderungen an die geistige Kraft stellen; teils derart, daß das Werk als solches, wenn auch der Akt des Wirkens vorübergeht, noch wahrnehmbar bleibt, wie ein Bau, ein Gewebe63. Schweigt auch der Künstler, geben diese doch Kunde von seinem Können, so daß das Werk den Meister lobt. Ähnlich ist auch diese Welt ein Spiegel der göttlichen Majestät, aus welchem Gottes Weisheit widerstrahlt. Sie betrachtete der Prophet und richtete zugleich das Auge seines Geistes zum Unsichtbaren empor: da rief er aus: „Wie erhaben sind deine Werke, o Herr! Alles hast du in Weisheit gemacht“64.

 

18.

Nicht umsonst sicherlich lesen wir: „geschaffen“; denn65 gar manche Heiden, welche die Welt gerne als den Schatten der göttlichen Kraft, gleichewig mit Gott hinstellen möchten, behaupten, sie subsistiere von selbst. Wiewohl sie zugestehen, daß sie ihren Grund in Gott hat, wollen sie doch diesen Grund nicht aus seinem Willen und Walten hergeleitet wissen, sondern nach Analogie des Schattens, der seinen Grund in einem Körperding hat. Der Schatten folgt ja dem Körper, und der Strahl dem Lichte mehr infolge einer  natürlichen Zugehörigkeit als einer freien Willensbestimmung. Mit feiner Berechnung also betonte Moses: „Gott hat den Himmel und die Erde geschaffen“. Er sagte nicht: Er hat sie subsistieren gemacht; er sagte nicht: er hat der Welt die Ursache des Seins mitgeteilt, sondern: er schuf als der Gütige, was da frommte, als der Weise, was ihm als das Beste dünkte, als der Allmächtige, was er als das Erhabenste voraussah. Wie aber hätte die Welt ein Schattenwurf sein können, nachdem kein Körperding da war? Von der unkörperlichen Gottheit konnte doch kein Schatten fallen. Wie könnte desgleichen von einem immateriellen Lichte ein materieller Glanz ausstrahlen?

 

19.

Doch wenn du nach dem Abglanze Gottes fragst: Der Sohn ist das Bild des unsichtbaren Gottes. Wie also Gott, so auch das Bild: Unsichtbar ist Gott, unsichtbar auch das Bild. Es ist nämlich der Sohn der Abglanz der Herrlichkeit des Vaters und das Bild seiner Wesenheit66. „Im Anfang“, heißt es, „hat Gott den Himmel und die Erde geschaffen.“ Geschaffen also ward die Welt, und zu sein angefangen hat sie, die nicht war; das Wort Gottes aber war am Anfange67 und war immerdar. Aber auch die Engel, Herrschaften und Gewalten, die zwar einmal zu sein anfingen, waren bereits da68, bevor diese Welt geschaffen wurde. Denn „alles ist erschaffen und gemacht worden, das Sichtbare und das Unsichtbare, seien es Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Gewalten: Alles, heißt es weiter, ist durch ihn und für ihn erschaffen worden“69. Warum „für ihn erschaffen“? Weil er der Erbe des Vaters ist, indem vom Vater das Erbe auf ihn übergegangen ist, wie es der Vater beteuert: „Verlange von mir, und als dein Erbe will ich dir die Völker geben“70. Indes vom Vater ging dieses Erbe auf den Sohn über, und auf den Vater fällt es vom Sohne zurück.  Nachdrucksvollst bezeichnet also der Apostel einerseits an der obigen Stelle den Sohn als den Urheber aller Dinge, dessen Majestät alles umfaßt; andrerseits schreibt er an die Römer von dem Vater: „Denn aus ihm und durch ihn und für ihn ist alles“71: „aus ihm“ der Anfang und Ursprung der Wesenheit aller Dinge, d. i. aus seinem Willen und seiner Macht ― aus seinem Willen nämlich nahm alles seinen Anfang; denn der eine Gott ist der Vater, aus dem alles ist; aus dem Seinigen gleichsam schuf er, der da schuf, woraus er wollte ― „durch ihn“ der Fortbestand, „für ihn“ das Endziel: „aus ihm“ also der Stoff, „durch ihn“ die Kraft, die das All in bindende und zwingende Gesetze fügte, „für ihn“ alles, weil es, solange er will, durch seine Kraft fortdauert und fortbesteht und sein Endziel, zu dem es zurückstrebt, in Gottes Willen hat und nach dessen freiem Belieben der Auflösung anheimfällt.

  

VI. Kapitel.

Die vier Elemente. Der Himmel ätherisch und gewölbartig. Die Erde “im Nichts hängend” kraft des göttlichen Willens. Keine Quintessenz als Himmelssubstanz.

 

20.

Am Anfange der Zeit hat Gott den Himmel und die Erde geschaffen72. Eine Zeit gibt es nämlich erst seit dieser Welt, nicht vor der Welt; der Tag aber ist ein Teil, nicht der Anfang der Zeit. Wir könnten nun zwar an der Hand des verlesenen Schrifttextes dartun, wie der Herr zuerst den Tag und die Nacht, den Wechsel der Zeiten, schuf, und am zweiten Tage sodann eine Feste schuf, durch welche er das Wasser unter dem Himmel und das Wasser über dem Himmel schied. Doch für die gegenwärtige Erörterung genügt vollauf der Hinweis, daß Gott am Anfang den Himmel schuf mit dem (zeitlichen) Vorrecht der Hervorbringung (der Dinge am Himmel) und der Ursache hiervon, und die  Erde schuf mit dem Grundstoff zur Hervorbringung (der Dinge auf der Erde)73. In ihnen wurden nämlich die vier Elemente erschaffen, aus welchen alle diese Dinge in der Welt bei ihrem Werden bestehen. Die vier Elemente aber sind: Himmel, Feuer, Wasser und Erde, die in allen Dingen vermischt vorhanden sind74. So findet sich in der Erde Feuer vor, das sich häufig aus Gestein und Eisen schlagen läßt; auch ist es wohl begreiflich, daß im Himmel, nachdem er eine feurige, von funkelnden Sternen schimmernde Zone ist, Wasser vorhanden ist, das teils über dem Himmel ist, teils von jener höheren Region in häufigem, reichlichem Regen niederströmt. Wir könnten dies noch an vielen Erscheinungen erhärten, wenn uns solches irgendwie zur Erbauung der Kirche ersprießlich dünkte75. Da es aber ein fruchtloses Mühen wäre, sich damit zu beschäftigen, wollen wir unseren Geist lieber auf jene Wahrheiten lenken, die für das ewige Leben förderlich sind.

 

21.

Es mag also genügen, über die Beschaffenheit und Substanz des Himmels das vorzubringen, was wir bei Isaias [Jesaia] niedergeschrieben finden, der in schlichten und gebräuchlichen Wendungen die Beschaffenheit der Himmelsnatur mit den Worten zum Ausdruck brachte: (Gott) habe den Himmel „wie Rauch gefestigt“76. Er wollte damit erklären, daß dessen Substanz von feiner, nicht kompakter Art sei. Auch die Gestalt desselben wird genugsam durch das angedeutet, was er von der Himmelsfeste aussagte: Gott habe den Himmel „wie ein Gewölbe geschaffen“77, insofern nämlich alles, was im Meere oder auf dem Lande sich regt, vom weiten Himmelsraume umschlossen wird. Das wird in ähnlicher Weise auch angedeutet, wenn man liest, Gott habe „den Himmel ausgespannt“78. Ausgespannt ist er nämlich: sei es wie ein Fell zu Gezelten,  den Wohngezelten der Heiligen, sei es wie eine Buchrolle zur Einschreibung der Namen jener Ungezählten, die Christi Gnade durch Glaube und Frömmigkeit sich verdienten, denen die Versicherung gilt: „Freuet euch, denn eure Namen stehen eingeschrieben im Himmel!“79

 

22.

Auch von der Erde Beschaffenheit oder Lage zu handeln80, würde in betreff der Zukunft nichts frommen. Es mag genügen zu wissen, daß der Text der heiligen Schriften die Bemerkung enthält: „Er hing die Erde auf im Nichts“81. Was hätten wir von langen Untersuchungen, ob er sie in der Luft oder über dem Wasser82 aufhing? Es würde sofort die Frage entstehen, wie denn die leichte und weichere Luftnatur die schwere Erdenmasse tragen könne? Oder, wenn über den Wassern, wie die Erde nicht in jähem Sturz ins Wasser versinke? Oder wie die Meeresflut derselben nicht weiche und die seitlich angrenzenden Teile, sobald sie von ihrer Stelle gewichen, überströme? Viele behaupteten auch, die Erde schwebe mitten in der Luft und beharre unbeweglich mit ihrer Masse, weil sie sich so nach allen Seiten erstrecke, daß eine Bewegung hier- und dorthin sich paralysiere. Hierzu genügt, wie ich glaube, des Herrn Äußerung an seinen Diener Job, da er durch eine Wolke sprach und fragte: „Wo warst du, da ich grundlegte die Erde? Sage es mir, wenn du Einsicht hast! Wer setzte fest ihr Maß, wenn du’s weißt? Oder wer ist’s, der über sie ausgespannt die Meßschnur? Oder worauf werden ihre Zonen befestigt?“83 Und im folgenden: „Ich schloß mit Toren ein das Meer und sprach: Bis hierher sollst du kommen und nicht weiter dringen, sondern in dir sollen sich brechen deine Wogen“84. Hat Gott damit nicht klar gezeigt, daß alles in seiner Größe gründet, nicht in Zahl, Gewicht  und Maß? Denn das Geschöüf gibt kein Gesetz, sondern empfängt es, bezw. wahrt das empfangene. Nicht wegen ihrer zentralen Lage schwebt also die Erde im Gleichgewicht, sondern weil Gottes Majestät durch das Gesetz seines Willens sie zwingt, daß sie über dem unsteten Gewoge, bezw. im leeren Raume stetig beharre. So bezeugt es auch der Prophet David mit den Worten: „Er hat gegründet die Erde auf ihre Festigkeit; sie wird nicht wanken in alle Ewigkeit“85. Da wird doch Gott nicht bloß als Künstler, sondern als der Allmächtige gefeiert, der die Erde nicht kraft einer gewissen Zentralität, sondern seines Gebotes in Schwebe hält und nicht ins Wanken geraten läßt. Nicht die zentrale Lage, sondern Gottes Ermessen müssen wir für das Maßgebende halten: nicht Kunst, sondern die Macht ist da maßgebend, die Gerechtigkeit ist maßgebend, das Wissen ist maßgebend; denn das All übersteigt nicht als etwas Unermeßliches sein Wissen, sondern unterliegt als etwas Endliches seinem Erkennen. Wenn wir lesen: „Ich festigte ihre Säulen“86, können wir doch nicht glauben, sie ruhe wirklich auf Säulen, sondern auf jener Kraft, welche der Erde Substanz trägt und erhält. Wie sehr der Bestand der Erde in der Macht Gottes gründet, folgere endlich auch daraus, daß geschrieben steht: „Er, der anblickt die Erde und sie erzittern macht“87; und an einer anderen Stelle: „Noch einmal erschüttere ich die Erde“88. Nicht also unbeweglich beharrt sie infolge ihres Gleichgewichtes, sie wird vielmehr häufig auf Gottes Wink und Willen erschüttert, wie auch Job es ausspricht: „Der Herr schüttert sie weg von ihren Grundfesten, ihre Säulen aber wanken“89; und an anderer Stelle: „Nackt ist das Totenreich vor ihm, und keine Hülle deckt den Tod. Er spannt den Nord aus vor dem Nichts, hängt die Erde auf im Nichts, bindet die Wasser in seinen Wolken. . . Des Himmels Säulen fahren empor und erbeben vor seinem Dräuen. Durch seine Kraft besänftigt er das Meer,  durch seine Zuchtrute streckt er hin des Meeres Ungeheuer, des Himmels Tore aber fürchten ihn“90. Durch Gottes Willen also beharrt sie unbeweglich und „steht in Ewigkeit“ nach des Predigers Spruch91, und kraft Gottes Willen bewegt sie sich und schwankt. Nicht weil auf ihre Grundfesten gestützt, besteht sie, und nicht weil auf ihren Säulen ruhend, beharrt sie sonder Wanken, sondern der Herr gibt ihr Bestand und Halt mit der Festigkeit seines Willens, „denn in seiner Hand sind alle Enden der Erde“92. Und dieser schlichte Glaube geht über alles Vernünfteln. Mögen andere beifällig der Ansicht beipflichten, die Erde senke sich deshalb an keinem Punkte, weil sie von Natur ihre Lage in der Mitte habe, sie beharre eben mit Notwendigkeit in dieser Lage, ohne nach einer anderen Seite sich zu neigen, solange sie sich nicht naturwidrig, sondern naturgemäß bewege; mögen sie des göttlichen Bildners, des ewigen Meisters Erhabenheit rühmen ― welcher Künstler verdankte denn nicht ihm seine Begabung, oder wer „gab den Frauen die Kenntnis der Webekunst oder das Verständnis für Stickerei?“93 ―: ich, der die Tiefe seiner Majestät und die Erhabenheit seiner Kunst nicht zu fassen vermag, verlasse mich nicht auf Gleichgewicht und Maß in der Wissenschaft, sondern halte dafür, daß alles in Gottes Willen beruht, insofern sein Wille die Grundfeste des Alls ist und seinetwegen diese Welt fortbesteht. Zum Beweise hierfür mag beispielsweise auch des Apostels Autorität angezogen werden; denn so steht geschrieben: „Der Vergänglichkeit ward die Schöpfung unterworfen, nicht freiwillig, sondern um dessen willen, welcher sie unterworfen hat, auf Hoffnung hin. Indes wird auch die Schöpfung befreit werden von der Knechtschaft des Verderbens“94, wenn das Gnadenlicht der göttlichen Vergeltung aufleuchten wird.

 

23.

Was soll ich aber der Reihe nach das anführen,  was die Philosophen in ihren Erörterungen über die Natur und Beschaffenheit des Himmels ersonnen haben. „Die einen nämlich behaupten eine Zusammensetzung des Himmels aus den vier Elementen. . ., andere führen zu dessen Konstitution eine fünfte Wesenheit von neuer körperlicher Art ein“95 und stellen sich dieselbe als ätherische Körpersubstanz vor, frei von Vermischung mit Feuer, Luft, Wasser und Erde96. Diese Weltelemente hätten nämlich ihre bestimmte natürliche Richtung und Betätigung und Bewegung, so daß die schwereren niedersänken und zu Boden fielen, die leeren und leichten nach oben strebten ― jedes folgt eben seiner eigenen Bewegung ―, an der Peripherie der Weltkugel aber gingen sie ineinander über und verlören die Fähigkeit zur Einhaltung ihrer Richtung; denn die Kugel drehe sich im Kreise und das obere kehre sich zu unterst, das untere zu oberst. Dinge aber, deren naturmäßige Bewegung verändert werde, erlitten damit, sagen sie, in der Regel auch eine Veränderung ihrer Wesenseigenschaften. Was brauchen wir für das Vorhandensein einer ätherischen Körpersubstanz eintreten, damit sie nicht der Vergänglichkeit verfallen erscheine? Was nämlich aus vergänglichen Elementen sich zusammensetzt, verfällt notwendig der Auflösung. Schon dadurch, daß eben diese Elemente entgegengesetzter Natur sind, können sie nicht eine schlechthin unveränderliche Bewegung haben; muß sich doch ihre entgegengesetzte Bewegung gegenseitig hemmen. Es kann nämlich nicht eine Bewegung für alle passen und für so verschiedenartige  Elemente sich eignen: ist sie den leichten Elementen angepaßt, ist sie das für die schwereren nicht. Soll eine Bewegung zu des Himmels Höhen statthaben, leidet sie unter dem Schwergewicht des Irdischen; will man die Richtung nach unten nehmen, zerrt man das Kraftelement des Feuers gewaltsam nieder, indem es wider seine gewohnte Natur nach abwärts gezwungen wird. Alles aber, was nicht der Natur, sondern dem Zwange unterworfen, gewaltsam in sein Gegenteil verkehrt wird, fällt rasch der Auflösung und Zersetzung in jene Elemente anheim, aus welchen es zusammengesetzt ist, und von denen jedes in sein Bereich zurückkehrt. Die Erwägung nun, daß diese (Elemente) nichts Beharrendes sein können, brachte jene anderen Autoren zur Annahme eines ätherischen Stoffes für den Himmel und die Gestirne, indem sie eine fünfte Wesenheit materieller Art einführten, kraft welcher ihrer Ansicht nach die Himmelssubstanz eine ewig dauernde sein wird.

 

24.

Doch diese Annahme vermochte dem Ausspruch des Propheten nicht zu derogieren, der noch dazu durch die göttliche Majestät des Herrn Jesus Christus, unseres Gottes, im Evangelium seine Bestätigung fand. Es sprach nämlich David: „Im Anfange hast Du, o Herr, die Erde gegründet, und Deiner Hände Werk sind die Himmel. Sie werden vergehen, Du aber bleibst. Und alles wird altern wie ein Kleid, und wie ein Gewand wechselst Du es, und es ist gewechselt. Du aber bist derselbe, und Deine Jahre werden kein Ende nehmen“97. Und das bestätigte nun der Herr im Evangelium so bestimmt, daß er erklärte: „Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen“98. Nichts denn bezwecken jene, welche, um die Ewigkeit des Himmels behaupten zu können, eine fünfte ätherische Körpersubstanz einführen zu sollen glaubten; müssen sie doch ebenso (wie wir) merken, daß ein Fremdkörper auch nur in einem Gliede dem Organismus gewöhnlich mehr nachteilig ist. Beachte zugleich, wie David  auch dadurch, daß er die Erde an erster Stelle nannte und dann erst den Himmel, letzteren als Geschöpf Gottes erklären zu sollen glaubte; denn wenn „er sprach, und sie waren geschaffen“99, ist es (an sich) belanglos, was man zuerst nennt, da ja beide zugleich geschaffen wurden ― ‚zugleich‘, damit es nicht den Anschein gewänne, als sei dem Himmel wenigstens in der Form die Prärogative göttlicher Substanz zugesprochen, daß er wegen seines Vorrechtes als Erstlingsgeschöpf für vorzüglicher gehalten werden müsse. Überlassen wir denn jene (Weltweisen), die sich selbst gegenseitig in ihren Streitreden widerlegen, ihren Streitigkeiten. Uns aber genügen zum Heile nicht strittige Meinungen, sondern wahre Lehren, nicht sophistische Begründungsweise, sondern der gläubige Sinn, um lieber als einem Geschöpfe dem Schöpfer dienstbar zu sein, der da ist „Gott hochgelobt in Ewigkeit“100.

  

VII. Kapitel.

Die “unsichtbare” Erde (Gen 1,2). Eine ewige Hyle ein Nonsens. Sinn von “unsichtbar”. Warum geht die Schöpfung nicht in voller Ausstattung aus des Schöpfers Hand hervor?

 

25.

101* „Die Erde aber war unsichtbar und ungestaltet“*102. Ein tüchtiger Baumeister legt zuvor das Fundament, dann, wenn er das Fundament gelegt, führt er die Teile des Baues, einen nach dem andern, auf und fügt dazu die Ausschmückung. Erst also nachdem die Grundfeste der Erde gelegt und des Himmels Bau gefestigt war103 ― diese beiden sind ja das Grundwesentliche des Alls ― folgt die Bemerkung: „Die Erde aber war unsichtbar und ungestaltet“. Warum „war“? Daß man nur nicht etwa seine Meinung überspanne bis  zu einer End- und Anfangslosigkeit und sage: Sieh, die Materie, d. i. nach philosophischer Ausdrucksweise die Hyle, nahm auch nach der göttlichen Schrift keinen Anfang. Denen, die das behaupten, kann man entgegenhalten, daß auch geschrieben steht: „Es ‚war‘ aber Kain ein Ackerbauer“104; und von Jubal, so heißt er, sagt die Schrift: „Er ‚war‘ der Vater, welcher Psalter und Zither aufzeigte“105; ferner: „Ein Mann ‚war‘ im Lande Hus namens Job“106. Mögen sie also den Streit um Worte lassen, zumal Moses im vorausgehenden bereits hervorhob, daß Gott die Erde geschaffen habe. Sie „war“ also von der Zeit an, da sie geschaffen wurde. Denn ist sie, wie sie behaupten, anfangslos, ist eben ihrer Behauptung zufolge nicht bloß Gott, sondern auch die Hyle anfangslos. Dann aber mögen sie angeben, wo sie denn war? Wenn im Raume, dann folgt, daß auch der Raum, worin der anfangslose Grundstoff der Dinge war, anfangslos gewesen ist. Scheint diese Auffassung vom Raume widersinnig, seht zu, ob wir uns die Erde nicht vielleicht mit Flügeln denken müssen, so daß sie in Ermangelung einer Grundfeste mit der Fittiche Schwungfedern sich in Schwebe hielt. Aber wo sollen wir denn die Fittiche für sie hernehmen? Wir müßten denn jenen prophetischen Ausspruch so deuten und hierher beziehen: „Vor den Schwingen der Erde vernahmen wir Unheilvolles, und jenes Wehe der Erde war wie Ruderschlag der Schiffe“107. Doch um es so zu verstehen: in welchem Luftkreis schwebte dann die Erde? Ohne Luft konnte sie ja nicht schweben. Luft aber konnte es noch nicht geben, weil es unterschiedliche Elemente unabhängig vom Stoff der Dinge nicht gab; waren doch die Elemente überhaupt noch nicht geschaffen. Wo befand sich also diese Hyle, von der Fittiche Schwungkraft getragen? In der Luft war sie nicht, weil die Luft etwas Körperliches innerhalb der Welt ist. Daß aber die Luft etwas Körperliches ist, lehrt die Schriftlesung: denn  sobald der Pfeil nach dem Punkte, nach welchem der Schütze zielt, abgeschnellt ist, schließt sich sofort auch die Luft, die er durchschnitten108. Wo also befand sich die Hyle? Es müßte denn etwa die fast verrückte Antwort lauten: In Gott war sie. Also Gott mit seiner unsichtbaren und unverweslichen Natur, der „in unnahbarem Lichte wohnt“109, der unfaßbare und reinste Geist, war der Raum für die Weltmaterie? Und in Gott ruhte ein Teil der Welt?110 Ist doch nicht einmal der Geist seiner Diener von dieser Welt, wie wir es geschrieben finden: „Sie sind nicht von dieser Welt, wie auch ich nicht von dieser Welt bin“111.

 

26.

Welche Verquickung also des Unsichtbaren mit dem Sichtbaren, des Ungestalteten mit dem, der allem Ordnung und Schönheit gab! Es müßte denn sein, daß man deshalb, weil es heißt: „die Erde aber war unsichtbar“, diese ihrer Substanz nach für unsichtbar hielte112, und nicht deshalb, weil sie von den Wassern bedeckt, dem leiblichen Auge nicht sichtbar sein konnte, wie ja gar manche Dinge in der Tiefe der Wasser dem scharfen Blick des Auges sich entziehen. Für Gott gibt es nichts Unsichtbares; vielmehr wird die Weltschöpfung (an der obigen Stelle) lediglich vom geschöpflichen Standpunkt aus beurteilt. Unsichtbar war die Erde auch insofern, als noch kein Licht da war, das die Welt erhellte, noch keine Sonne; denn erst nachher wurden die Leuchten am Himmel erschaffen113. Wenn nun schon der Sonne Strahl vielfach auch die vom Wasser bedeckten Gegenstände aufhellt und durch seinen Lichtglanz die Dinge in der Tiefe aufdeckt, wer dürfte zweifeln, daß es für Gott keine unsichtbaren Dinge geben kann? Wir müßten denn die „unsichtbare Erde“ so verstehen, daß sie doch noch nicht der Heimsuchung des  Wortes Gottes und seines Schutzes erfreute, indem sie noch keinen Menschen trug, um dessentwillen Gott zur Erde herabgeblickt hätte; denn so steht geschrieben: „Der Herr schaut vom Himmel auf die Menschenkinder, zu sehen, ob ein Weiser sei oder ein Gottsuchender“114. Und an einer anderen Stelle: „Vom Himmel schleudertest Du Dein Gericht, die Erde erzitterte und ward still“115. Sodann mit Recht auch „unsichtbar“, weil noch ungestaltet; noch hatte ja (die Erde) von ihrem Schöpfer nicht die ihr gebührende Gestalt und Schönheit empfangen.

 

27.

Vielleicht möchte man einwenden: Warum hat denn Gott ― entsprechend dem: „Er sprach und es ward“116 ― den Dingen bei ihrem Entstehen nicht zugleich die gebührende Ausstattung verliehen?117 Konnte etwa der Himmel nicht im Augenblick seiner Erschaffung im Glanze der Sterne erstrahlen, die Erde nicht in den Schmuck der Blumen und Früchte sich kleiden? Gewiß, sie konnten es. Doch die Feststellung, sie seien zuvor geschaffen, dann erst ausgestattet worden, dient dazu, daß man sie nicht im Ernst für unerschaffen und anfangslos hielte, wenn die Arten der Dinge, als wären sie von Anfang an ursprungslos, nicht augenscheinlich später hinzugekommen wären. „Ungestaltet war die Erde“, steht zu lesen, und doch wird sie von den Philosophen mit denselben Ewigkeitsprivilegien ausgezeichnet wie Gott: was würden sie erst sagen, wenn ihre Schönheit gleich anfänglich in voller Pracht erblüht wäre? Im Wasser versunken, wird sie beschrieben, als wäre sie bestimmt gewesen, gleichsam in ihren Anfängen Schiffbruch zu leiden, und immer noch wird sie von einigen nicht für geschaffen gehalten: was erst, wenn ihr (die Schrift) ursprüngliche Wohlgestalt zuschriebe? Dazu kommt, daß uns Gott zu seinen Nachahmern haben wollte: wir sollten zuerst etwas fertigen, dann erst  ausschmücken, damit wir nicht, wenn wir beides zugleich in Angriff nähmen, keines vollenden könnten. Unser Glaube erfährt so ein stufenweises Wachstum. Gott ließ darum die Erschaffung vorausgehen, die Ausstattung folgen, damit wir glauben, daß der nämliche, der die Schöpfung, auch die Ausschmückung, und der die Ausschmückung, auch die Schöpfung vollführte, und nicht meinen, einer habe die Ausschmückung, ein zweiter die Schöpfung vollzogen, sondern ein und derselbe habe beides vollbracht, erst die Schöpfung, dann die Ausschmückung, so daß eines durch das andere beglaubigt wird. Im Evangelium hast du ein klares Zeugnis hierfür. Da nämlich der Herr daran ging, den Lazarus aufzuerwecken, hieß er die Juden den Stein vom Grabe wegnehmen, damit sie sich erst mit eigenen Augen von dessen Tod überzeugten, hernach an dessen Auferweckung glaubten118. Darauf rief er den Lazarus mit Namen; er stand auf und kam mit den Binden an Händen und Füßen heraus119. Hätte der, welcher einen Toten zu erwecken vermochte, nicht auch einen Stein zu beseitigen vermocht? Und hätte der, welcher einem Verstorben das Leben zurückzugeben vermochte, nicht auch der Bande Knoten zu lösen vermocht? Hätte er dem, welchen er trotz den Fesseln an den Füßen gehen machte, nicht durch Zerreißen der Binden das Schreiten ermöglichen können? Doch wir sehen eben, wie es ihm darum zu tun war, zuerst den Toten (als solchen) zu zeigen, damit die Juden ihren Augen trauten, sodann ihn aufzuerwecken, endlich sie selbst die Leichenbinden lösen zu heißen, damit sich ihrem Unglauben während dieser Vorgänge der Glaube mitteilte und ihre Glaubenswilligkeit gleichsam stufenweise entwickelte.

  

VIII. Kapitel.

Die “ungestaltete” Erde (Gen 1,2). Was heißt “ungestaltet”? Der Geist Gottes über den Wassern der Heilige Geist: die Schöpfung das Werk der Trinität. Die “Finsternis über dem Abgrunde” nicht die bösen Geister das Böse überhaupt nichts Erschaffenes, nichts Substanzielles, sondern ein sittlicher Defekt, das einzige wahre Übel sondern der Schattenwurf des Himmels auf die Erde.

 

28.

 So schuf also Gott zuerst den Himmel und die Erde ― doch nicht für ewig; er wollte vielmehr, daß sie, eine vergängliche Schöpfung, ein Ende hätten. Darum spricht er im Buche des Isaias [Jesaja]: „Erhebet zum Himmel euere Augen und blicket hin zur Erde unten! Denn der Himmel ist gefestigt wie Rauch, die Erde aber wird morschen wie ein Kleid“120. Das ist die Erde, die ehedem „ungestaltete“121. Es gab ja noch keine durch eigene Abgrenzung in sich abgesonderten Meere, und die Erde war eben darum noch über und über von unstet wogender Flut und abgrundtiefem Wasser bedeckt122. Bedenke, wie auch jetzt noch die Erde häufig von Sumpfschlamm starrt und dort, wo zu reichliche Flüssigkeit in den Boden gesickert ist, keine Pflugschar trägt. Sie war sonach „ungestaltet“, weil ungepflügt für die Aussaat des emsigen Landmannes, indem ein Bebauer noch nicht da war. Sie war „ungestaltet“, weil brach an Erzeugnissen und ohne Pflanzenwachstum an schwellenden Ufergeländen und nicht umgürtet von dunklen Hainen, und nicht saatenfroh und nicht beschattet von Bergesgipfeln und nicht  blumenduftend und nicht rebenwinkend; mit Recht „ungestaltet“, da sie allen Schmuckes entbehrte, da sie der sprossenden Rebengewinde mangelte. Es wollte nämlich Gott zeigen, daß die Welt an sich ohne Reiz gewesen wäre, wenn kein Bebauer sie mit mannigfacher Anpflanzung geschmückt hätte. Selbst der bewölkte Himmel pflegt beim Anblick Grauen und Angst in der Seele zu wecken, die von Regen aufgeweichte Erde Widerwillen; und das von Stürmen gepeitschte Meer: welchen Schrecken jagt es nicht ein! Wunderschön ist der Dinge Gestalt. Doch was wäre sie ohne das Licht? Was ohne die Wärme? Was ohne Sammlung der Wasser, in deren Tiefen vordem die Anfänge unseres Weltkörpers versenkt lagen. Nimm der Erde die Sonne, nimm dem Himmel die Sternenbälle: alles starrt vor Finsternis. So war es, bevor der Herr dieser Welt das Licht eingoß. Darum sagt die Schrift: „Finsternis lag über dem Abgrunde“. Finsternis lag darüber, weil der Glanz des Lichtes erst folgte. Finsternis war, weil die Luft an sich finster ist. Selbst das Wasser unter der Wolke ist finster; denn „finsteres Wasser ist im Gewölke der Luft“123. ― „Finsternis lag über den Abgründen der Wasser.“ Ich glaube nämlich nicht, daß man an die bösen Mächte zu denken hat, als hätte der Herr ihre Bosheit erschaffen; ist doch die Bosheit sicherlich nichts Wesenhaftes, sondern etwas Zufälliges, bestehend im Abweichen vom sittlich Guten der Natur.

 

29.

Bei der Erschaffung der Welt nun möge unsere Auffassung vom Bösen einstweilen noch zurückgestellt werden124, um nicht den Anschein zu wecken, mit Häßlichem Gottes Werk und der Schöpfung Schönheit zu entstellen, zumal da es im folgenden heißt: “Und der Geist Gottes war über den Wassern schwebend“125. Mögen auch einige Autoren ersteren von der Luft verstehen, andere vom  Hauche des Lebensodems, den wir aus- und einatmen, so verstehen wir doch im Einklange mit der Auffassung der Heiligen und Gläubigen den Heiligen Geist darunter, so daß also bei der Weltschöpfung das Wirken der Trinität aufleuchtet126. Voraus ging nämlich: „Im Anfang hat Gott den Himmel und die Erde geschaffen“, d. i.: In Christus hat Gott geschaffen, oder: der Sohn Gottes hat als Gott geschaffen, oder: durch den Sohn hat Gott geschaffen, indem „alles durch ihn geschaffen ist und ohne ihn nichts geschaffen ist“127