Essentielle Werke des Heiligen Ambrosius von Mailand, Band 2 - Ambrosius von Mailand - E-Book

Essentielle Werke des Heiligen Ambrosius von Mailand, Band 2 E-Book

Ambrosius von Mailand

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Beschreibung

Ambrosius von Mailand war römischer Politiker, als er zum Bischof von Mailand gewählt wurde. Er ist nicht nur einer der vier lateinischen Kirchenlehrer der Spätantike der Westkirche, sondern seit 1295 auch den Ehrentitel Kirchenvater. In diesem Band sind die folgenden seiner Werke enthalten: Über die Buße Über die Wittwen Über die Jungfrauen Über die Jungfräulichkeit

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Essentielle Werke des Heiligen Ambrosius von Mailand Band 2

 

DIE SCHRIFTEN DER KIRCHENVÄTER

 

 

 

 

 

 

Essentielle Werke des Hl. Ambrosius von Mailand, Band 2

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849659653

 

Cover Design: Basierend auf einem Werk von Andreas F. Borchert, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35892522

 

Der Text dieses Werkes wurde der "Bibliothek der Kirchenväter" entnommen, einem Projekt der Universität Fribourg/CH, die diese gemeinfreien Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Die Bibliothek ist zu finden unter http://www.unifr.ch/bkv/index.htm.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Über die Buße.

Einleitung.

Erstes Buch.

Zweites Buch.

Fußnoten.

Über die Wittwen.

Einleitung.

Fußnoten.

Über die Jungfrauen.

Einleitung.

Erstes Buch.

Zweites Buch.

Drittes Buch.

Über die Jungfräulichkeit (De virginitae)

Einleitung.

Fußnoten.

 

 

 

Über die Buße

(De paenitentia)

 

Bibliographische Angaben:

 

Titel Version: Über die Buße (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: Über die Buße (De paenitentia) In: Ausgewählte Schriften des heiligen Ambrosius, Bischofs von Mailand. Übersetzt von Dr. Franz Xaver Schulte. (Bibliothek der Kirchenväter, 1 Serie, Band 13), Kempten 1871. Unter der Mitarbeit von: Dominik Prinz und Rudolf Heumann

 

 Einleitung

 

Das von dem römischen Presbyter Novatian herbeigeführte Schisma hatte schon in seiner Entstehung Grund und Veranlassung zu einer besonderen Behandlung der lapsi gegeben. Gegen die Novatianer war deßhalb auch der Beschluß der carthagischen Synode, welche unter Cyprian’s Vorsitz im Mai 251 gefeiert wurde, gerichtet: „daß in Rücksicht auf die neue bevorstehende neue Verfolgung alle in der früheren Verfolgung Abgefallenen, welche jetzt aufrichtige Reue gezeigt hätten, wieder in die Kirche aufgenommen werden sollten, damit sie durch die heiligen Sakramente zum bevorstehenden Kampfe gestärkt würden, denn: idoneus esse non potest ad martyrium, qui ab ecclesia non armatur ad proelium.“ Dieser Beschluß wurde auf einer römischen Synode unter Papst Cornelius bestätigt. Die Novatianer blieben aber bei ihrer Lehrmeinung: „es sei unerlaubt, Jemand, der Christum verleugnet habe, wieder in die Kirchengemeinschaft aufzunehmen; man solle ihn zwar zur Buße ermahnen, die Vergebung aber Gott überlassen, der allein das Recht dazu habe.“ In der Folge, sicher zur Zeit des Concils von Nicäa, hielten sie die Pflicht zur fortgesetzten Ausschließung nicht bloß den lapsi gegenüber aufrecht, dehnten sie vielmehr auf Alle aus, welche eine schwere Sünde begangen hatten. Damit leugneten sie eines der wesentlichsten Rechte, welche Christus seiner Kirche gegeben hatte: das Recht, schwere Sünden nachzulassen. – Gegen diese Irrlehre tritt Ambrosius in der Schrift „de poenitentia“ auf und führt schlagend den Beweis, daß Christus allerdings den Aposteln und ihren Nachfolgern die Macht, Sünden nachzulassen, verliehen habe. Die katholische Lehre vom Bußsakramente wird in der Schrift mit aller nur wünschenswerthen Präcision vorgelegt und aus der heiligen Schrift als durchaus wahr bewiesen. Darin wird denn auch der Grund liegen, warum einzelne protestantische Stimmen gegen die Autorschaft des heil. Ambrosius sich haben vernehmen lassen. Wir werden an den betreffenden Stellen darauf hinweisen, wie nicht zu beseitigende innere Gründe zur Anerkennung des heiligen Ambrosius als des Verfassers dieser wichtigen Schrift zwingen. Darnach bedarf es kaum besonderer Erwähnung, daß auch der heil. Augustinus in dem zweiten Theile der Schrift „de gratia Christi et de peccato originali“, wo er seine Lehre durch Berufung auf den hl. Ambrosius stützt, ausdrücklich unserer Schrift als einer Ambrosianischen gedenkt: De pecc. orig. n. 47; deßgleichen contra Julian. lib. 4. n. 29 Als ungefähre Zeit der Abfassung ist von den Maurinern mit gewohnter kritischer Schärfe das Jahr 384 nachgewiesen.

 

 

 

Erstes Buch

 

Cap. 1

 

 Wenn das letzte und höchste Ziel aller Tugend dahin geht, dem geistigen Nutzen des Nebenmenschen in möglichster Ausdehnung zu dienen, so darf man als eine der schönsten Tugenden das milde Maßhalten bezeichnen, welches nicht einmal diejenigen verletzen will, die seiner Verurtheilung unterliegen, während es dieselben gleichzeitig gerade durch die Verurtheilung wieder der Lossprechung würdig zu machen strebt. Diese Milde ist es einzig, welcher die Kirche, die der Herr in seinem Blute gestiftet hat, ihre Ausbreitung verdankt. Sie ahmt den himmlischen Wohlthäter nach; indem sie auf die Rettung Aller bedacht ist, verfolgt sie jenes heilbringende Ziel mit einer Milde, daß die Herzen nicht zurückweichen, die Geister nicht erschrecken können.

In der That muß ja auch derjenige, welcher die Fehler menschlicher Schwäche bessern will, diese Schwäche selbst ertragen; er muß sie gewissermaßen auf seine Schultern legen, nicht aber verdrießlich abwerfen. Lesen wir doch auch, daß jener Hirt des Evangeliums das verirrte, müde Schaf heimgetragen, aber nicht abgeworfen habe. Darum  sagt auch Salomon: „Sei nicht allzu gerecht“, denn weises Maßhalten muß die Gerechtigkeit sänftigen. Wie möchte sich sonst Jemand dir zur Heilung anvertrauen, wenn du ihm Widerwillen entgegenbringst, wenn er glauben muß, daß er seinem Arzte nicht Mitleid, sondern Verachtung einflößt?

Deßhalb hat der Herr Jesus Mitleid mit uns getragen, um uns nicht abzuschrecken, sondern zu sich zu rufen. Er kam voll Sanftmuth und Demuth, und so sprach er: „Kommet zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ Der Herr Jesus erquickt die Mühseligen, er weis’t sie nicht zurück; darum hat er denn auch solche Jünger sich erwählt, die im richtigen Verständnisse seines göttlichen Willens das Volk Gottes sammeln, aber nicht zurückstoßen. Es erhellt somit, daß diejenigen nicht als Christi Jünger gelten können, welche der Meinung sind, daß man harten und stolzen Grundsätzen statt milder und demüthiger folgen müsse. Sie verweigern ja Anderen die Barmherzigkeit des Herrn, während sie selbst sie suchen: so sind die Lehrer der Novatianer, welche sich als „die Reinen“ bezeichnen.

Kann es denn ein stolzeres Treiben geben, da doch die Schrift sagt: „Niemand ist rein von Schuld, nicht einmal das Kind von einem einzigen Tage;“ während David  ausruft: „Von meiner Missethat reinige mich!“ Sind denn diese Menschen etwa heiliger als David, aus dessen Geschlecht der Herr im Geheimniß der Menschwerdung hat wollen geboren werden? dessen Tochter jenes himmlische auserwählte Gefäß ist, das im jungfräulichen Schooße den Heiland der Welt empfangen hat? Gibt es denn etwas Härteres, als Buße aufzulegen, ohne Nachlaß zu gewähren? Nimmt man denn nicht den Antrieb zur Buße hinweg, wenn man immerfort die Verzeihung versagt? Kann doch füglich keiner Buße thun, der nicht auf Verzeihung hofft!

  

Cap. 2

 

Diese Irrlehrer bestreiten, daß diejenigen zur kirchlichen Gemeinschaft wieder dürfen zugelassen werden, welche durch Verleugnung ihres Glaubens gefallen sind. Wenn sie lediglich das Verbrechen des Sacrilegiums ausnähmen und ihm die Verzeihung versagten, so wäre das zwar hart und würde auch durch göttliche Aussprüche als durchaus falsch verworfen: es stimmte aber doch wenigstens mit ihren eigenen sonstigen Behauptungen überein. Der Herr, welcher alle Sünden vergeben hat, nahm kein Verbrechen aus. Da Jene aber nach Art der Stoiker annehmen, daß alle Sünden hinsichtlich ihrer Schwere als unter sich gleich zu betrachten seien, und daß also Jemand, der einen Haushahn, ebenso wie derjenige, welcher seinen Vater erdrosselt, für immer von den heiligen Geheimnissen fern zu halten sei: wie greifen sie jetzt ein einziges Verbrechen heraus, während sie doch selbst nicht leugnen können, daß es geradezu unerträglich sein würde, wenn die Strafe einiger Weniger — der Abgefallenen nämlich — auf Viele sich ausdehnte?

Sie sagen freilich, daß sie dem Herrn eine ganz besondere Verehrung entgegenbringen, wenn sie ihm  ausschließlich die Macht, Sünden zu vergeben, vorbehalten. In Wirklichkeit kann aber Niemand Gott größere Schmach anthun, als derjenige, welcher Gottes Aufträge einschränken und das von ihm übertragene Amt wirkungslos machen möchte. Wenn der Herr Jesus selbst gesagt hat: „Empfanget den heiligen Geist; denen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten;“ wer ehrt ihn dann mehr: derjenige, welcher seinen Weisungen Folge leistet, oder derjenige, welcher sich denselben widersetzt?

Die Kirche übt nach beiden Seiten den rechten Gehorsam, sowohl wenn sie bindet, als wenn sie löset. Der Irrthum dagegen zeigt sich in dem einen Falle hart, in dem anderen ungehorsam: er will binden, was er nicht lösen mag; er will nicht lösen, was er gebunden hat, und so richtet er sich durch seinen eigenen Urtheilsspruch. Der Herr wollte, daß das Recht zu lösen und zu binden neben einander bestehe, und darum hat er beides unter der gleichen Voraussetzung der Gegenseitigkeit verliehen. Wer darnach nicht das Recht hat, zu lösen, der hat auch nicht das Recht, zu binden. So erstickt denn die Lehre jener Irrlehrer sich in sich selbst: da sie sich das Recht zu lösen absprechen, so müssen sie sich auch das Recht zu binden versagen. Oder wie kann das Eine ihnen gestattet, das Andere verwehrt sein? Es ist doch unzweifelhaft sicher, daß denjenigen, welchen Beides übertragen wurde, entweder beides oder keines zusteht. So ist es: der Kirche steht beides, dem Irrthum steht keines zu, weil das Recht einzig den Priestern verliehen wurde. Die Kirche nimmt darnach mit Recht beides für sich in Anspruch, weil sie wahre Priester hat: der Irrthum, der keine Priester Gottes hat, kann Nichts  beanspruchen. Gerade dadurch, daß er keine von beiden Vollmachten beansprucht, bekennt er aber von sich selbst, daß er, eben weil er keine Priester hat, auch nicht berechtigt ist, ein priesterliches Amt für sich zu beanspruchen. So tritt uns in schamloser Verstocktheit ein recht schämiges Bekenntniß entgegen.

Dabei ist noch besonders zu beachten, daß derjenige, welcher den heiligen Geist empfing, auch die Vollmacht erhielt, Sünden zu vergeben und zu behalten. So sprach der Herr: „Empfanget den heiligen Geist; denen ihr die Sünden nachlasset, denen sind sie nachgelassen; denen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Wer also die Lösegewalt nicht besitzt, der hat auch den heiligen Geist nicht. Das Amt des Priesters ist eine Gabe des heiligen Geistes, und dessen Recht besteht gerade im Nachlassen oder Behalten der Sünden: wie können nun diejenigen die Gabe des heiligen Geistes beanspruchen, die dem Rechte und der Macht desselben mißtrauen?

Kann es denn nun anmaßendere Menschen geben? Obwohl der Geist Gottes geneigter zum Erbarmen als zum Strafen ist, wollen sie doch das nicht, was er nach seinem eigenen Worte will, während sie das, was er nicht will, thun. Und doch ist es Sache der Gerechtigkeit, zu strafen, während der Barmherzigkeit Verzeihen geziemt. Immerhin also, Novatian, wäre es erträglicher, wenn du statt der Binde- die Lösegewalt dir beilegtest: einmal würde die Anmaßung und in Folge dessen das Vergehen geringer sein, zum Anderen wäre zu beachten, daß du eben durch Mitleiden mit der Niederlage des Sünders dich zur Gewährung der Verzeihung hättest bestimmen lassen.

  

Cap. 3

 

 Die Novatianer sagen nun, daß sie, mit Ausschluß freilich der schwereren Verbrechen, den leichteren Verzeihung gewähren. In diesem Punkte kann aber Novatian, der bekanntlich annahm, daß Niemand zur Bußübung zuzulassen sei, nicht als Urheber des Irrthums gelten, antworte ich ihnen. Er ging von der Betrachtung aus, daß er da nicht binden dürfe, wo er nicht lösen könne, um es zu vermeiden, daß Jemand eben wegen der Zulassung zur Buße auch die Lossprechung von ihm zu erlangen hoffe. Darin also verurtheilt ihr eueren Vater durch euere eigene Meinung, nach welcher ein Unterschied der Sünden derart zulässig erscheint, daß ihr die einen nachlassen zu dürfen glaubt, während ihr die anderen keines Heilmittels fähig erachtet. Gott aber, der seine Erbarmung Allen erweiset, und der den Priestern die Macht, Sünden nachzulassen, ohne jede Einschränkung gegeben hat, — Gott macht keinen derartigen Unterschied bei den Sünden. Wer freilich die Sünden anhäuft, der muß auch die Buße mehren, und größere Vergehen werden auch durch reichere Ströme der Bußthränen abgewaschen. So findet weder Novatian Bestätigung, der Allen die Verzeihung verschließt; noch findet ihr, die ihr seine Nachfolger und Verurtheiler zugleich seid, Zustimmung: denn ihr vermindert den Bußeifer, wo er müßte vermehrt werden, da Christi Barmherzigkeit es so geordnet hat, daß schwerere Sünden auch härter gebüßt werden.

Was ist das aber doch für eine Verkehrtheit, daß ihr für euch dasjenige herausnehmt, was vergeben, und daß ihr Gott das belasset, was nicht vergeben werden kann? Das heißt ja, für sich die Gegenstände des Erbarmens vorwegnehmen und Gott die Rolle des strengen Bestrafers  überlassen. Und wie verhält es sich denn mit jenem Worte der Schrift: „Gott ist wahrhaftig, jeder Mensch aber ein Lügner, wie geschrieben steht: Auf daß du gerecht befunden werdest in deinen Worten und den Sieg erhaltest, wenn du gerichtet wirst?“ Damit wir selbst wohl erkennen, daß Gott mehr zum Erbarmen neigt, als er an der Strenge festhält, hat er gesagt: „Barmherzigkeit will ich lieber als Brandopfer.“7 Wie kann denn nun euer Opfer Gott wohlgefällig sein, da ihr seine Barmherzigkeit leugnet; während er doch selbst sagt, daß er nicht den Tod des Sünders, sondern seine Bekehrung wolle?

Der Apostel erklärt uns das: „Gott sandte seinen Sohn in der Aehnlichkeit des Fleisches der Sünde und zwar wegen der Sünde, und so verurtheilte er die Sünde im Fleische, damit die Rechtfertigung des Gesetzes in uns erfüllt würde.“ Er sagt nicht: „in der Aehnlichkeit des Fleisches“, weil Christus die Wirklichkeit, nicht bloß die Aehnlichkeit des menschlichen Fleisches angenommen hat; er sagt auch nicht, „in der Aehnlichkeit der Sünde“, weil der Herr nie eine Sünde begangen hat, sondern zur Sünde für uns geworden ist. Nein, er kam „in der Aehnlichkeit des Fleisches der Sünde“, d. h. er nahm die Aehnlichkeit des sündigen Fleisches an: die „Aehnlichkeit“ aber, weil geschrieben steht: „Es ist ein Mensch, und wer wird ihn erkennen?“9 Er war Mensch im Fleische nach  Menschenart, so daß er erkannt wurde. Aber er war an Kraft weit über den Menschen hinaus, so daß er nicht erkannt wurde. So hat er also hier unser Fleisch angenommen, aber die Sünden dieses Fleisches hat er nicht angenommen.

Nicht wie jeder andere Mensch ist ja der Herr geworden; nein, er ist geboren vom heiligen Geiste aus der Jungfrau Maria, und so hatte er einen makellosen Leib empfangen, den nie eine Sünde befleckt hat, der auch in seinem Entstehen nicht von der leisesten Makel des Fleisches berührt ist. Alle Menschen werden sonst unter dem Gesetze der Sünde geboren, wie David gesagt hat: „Siehe in Ungerechtigkeit bin ich empfangen, in Sünden hat mich geboren meine Mutter.“ Deßhalb spricht Paulus von dem Leibe des Todes, wenn er sagt: „Wer wird mich retten aus dem Leibe dieses Todes?“ Christi schuldloses Fleisch hat also die Sünde verurtheilt, die bei der Geburt ihn nicht berührte, die er sterbend gekreuzigt hat, so daß nun in unserem Fleische die Rechtfertigung durch die Gnade war, während vorher der Augenblick unseres Werdens nicht ohne Schuld war.

Was anders sollen wir nun dazu sagen, als was der Apostel gesagt hat: „Wenn Gott für uns ist, wer ist wider uns? Er, der selbst seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben hat; wie sollte er uns nicht Alles mit ihm geschenkt haben? Wer wird die Auserwählten Gottes anklagen? Gott, der gerecht macht? Wer wird verurtheilen? Christus Jesus, der gestorben ist, ja, der auch auferstanden ist, der zur rechten Hand Gottes sitzet, der auch fürbittet für uns?“ Diejenigen, für welche  Christus Fürbitte einlegt, klagt also Novatian an. Diejenigen, welche Christus zum Leben erlöst hat, die verurtheilt Novatian zum Tode. Denjenigen, zu welchen Jesus gesagt hat: „Nehmet mein Joch auf euch, und lernet von mir, denn ich bin sanftmüthig,“ ruft Novatian zu: „Ich bin ohne Erbarmen, ohne Sanftmuth.“ Denjenigen, zu welchen Christus sagt: „Ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen, denn mein Joch ist sanft und meine Bürde ist leicht,“ legt Novatian ein schweres und hartes Joch auf.

  

Cap. 4

 

Obgleich das Gesagte uns schon hinreichend belehrt, wie sehr der Herr Jesus zum Erbarmen geneigt ist, so möge er doch mit jenen Worten uns belehren, mit denen er uns dem Schreckenseindruck der Verfolgung gegenüber unterweisen wollte. „Fürchtet nicht diejenigen,“ sagt er, „welche den Leib tödten, die Seele aber nicht tödten können: fürchtet vielmehr denjenigen, der Leib und Seele zugleich in die Hölle stürzen kann.“ Und weiter: „Jeden, der mich bekennen wird vor den Menschen, den werde auch ich bekennen vor meinem Vater, der im Himmel ist. Wer aber mich vor den Menschen verleugnet hat, den werde auch ich verleugnen vor meinem Vater, der im Himmel ist.“

Wo er sagt: „Ich werde bekennen,“ da tritt er für Alle ein, da umfaßt er Alle; wo er sagt: „Ich werde verleugnen,“ da schließt er nicht Alle ein. Da er zuerst sagt: „Jeden, der mich bekennet, den werde ich bekennen,“ sollte man erwarten, daß er auch ferner sagte: „Jeder, der mich verleugnet.“ Damit es nicht den Anschein gewänne, als meine er auch hier Alle, so fügt er weniger bestimmt hinzu: „Wer aber mich verleugnet, den werde ich verleugnen.“ Die Gnade verspricht er Allen, aber er droht keineswegs Allen die Strafe an. Das Erbarmen dehnt er aus, das Rächen schränkt er ein.

Dabei ist zu bemerken, daß das nicht allein in dem Evangelium des heiligen Matthäus, sondern auch in dem  des heiligen Lukas sich aufgezeichnet findet: wir sollen eben erkennen, daß beides nicht obenhin, ohne Grund gesagt ist.

Haben wir so das Wort der Schrift uns vorgeführt, so erfassen wir jetzt den Sinn der Worte! „Jeder, der mich bekennen wird,“ sagt er, d. h.: „In welchem Alter, in welcher Lebensstellung mich Jemand bekennen wird, der wird der Vergeltung, daß ich auch ihn bekenne, nicht entbehren.“ Wenn er sagt: „Jeder“, so wird Keiner von der Belohnung ausgeschlossen, der ihn bekannt hat. Dagegen wird keineswegs in gleicher Weise Jeder, der ihn verleugnet hat, auch wieder verleugnet; kann es ja doch geschehen, daß Jemand, überwältigt durch die Qualen, mit dem Munde ihn verleugnet, während er ihn im Herzen anbetet.

Ist denn die Sachlage ganz gleich bei demjenigen, der aus sich selbst, so ganz ohne äußere Veranlassung den Herrn verleugnet, und demjenigen, den die Qualen, nicht der eigene Wille zu diesem Verrathe gegen Gott gebracht haben? Wie unzulässig wäre das, wenn bei den Menschen milde Nachsicht im Kampfe gelten sollte, während Gott dem Herrn gleiche Milde abgesprochen wird? Pflegt doch oftmals das Volk bei den Gladiatorenkämpfen auch die Besiegten, wenn ihr Kampf Billigung fand, zugleich mit den Siegern mit dem Siegeskranze zu belohnen; zumal dann, wenn man erkannt, daß sie durch List oder Betrug des Sieges verlustig wurden. Wird denn nun Christus zugeben, daß seine treuen Kämpfer, die er unter wuchtigen Qualen für einen Augenblick erliegen sah, ganz ohne Verzeihung bleiben?

Sollte der Herr, der selbst die, welche er verstößt, nicht für ewig verstößt, ihr Mühen und Kämpfen denn nicht in Anschlag bringen? Sagt doch David: „Nicht ewiglich wird der Herr verstoßen“ und der Irrthum sagt dagegen: „Er wird doch ewiglich verstoßen?“ „Nicht für immer wird er sein Erbarmen zurückziehen von Geschlecht zu Geschlecht, nicht für immer wird Gott vergessen gnädig zu sein.“  So der königliche Sänger, und es gibt Menschen, die Gottes Erbarmen eindämmen wollen?

  

Cap. 5

 

Die Irrlehrer behaupten freilich, daß sie nur um deßwillen ihre Meinung aufrecht halten, damit sie den Schein vermeiden, Gott als wandelbar hinzustellen, sofern er nämlich denjenigen Verzeihung gewähre, denen er doch vorher gezürnt habe. Aber wie? sollen wir die ewigen Gottessprüche zurückweisen und den Meinungen dieser Menschen folgen? Gott ist doch nicht nach fremden Meinungen, sondern nach seinen eigenen Worten zu beurtheilen. Welches sprechendere Zeugniß seines Erbarmens können wir anführen, als daß er selbst beim Propheten Osee denen, welchen er in seinem Zorne Strafe androhte, alsbald wieder versöhnt Verzeihung ankündigt? Zuerst sagt er: „Was soll ich dir thun, Ephraim? was soll ich dir thun, Juda? da eure Liebe ist wie Morgengewölk und wie der Thau, der frühe davon geht.“ Dann aber sagt er später: „Wie könnte ich dich hingeben, Ephraim, dich preisgeben Israel? ich könnte dich hingeben, wie Adama und Seboim.“ Mitten in seinem Zorne hält er inne, wie überwältigt von väterlichem Erbarmen, und erwägt, wie er den Irrenden zur Buße führen möchte. Wie sehr Juda auch schuldig ist, geht Gott doch mit sich selbst zu Rathe. Er sagt: „Ich könnte dich hingeben, wie Adama und Seboim,“ wie jene Städte, welche, Sodoma benachbart, auch gleiches Schicksal, gleichen Untergang erlitten; aber er fügt alsbald hinzu: „Umgewandt hat in mir sich mein Herz, mit eins ist erregt mein  Mitleiden. Nicht werde ich ausführen meines Zornes Gluth.“

Scheint es nicht, als ob der Herr Jesus uns sündigen Menschen nur deßhalb zürnt, um uns durch die Furcht vor seinem Zorne zu bekehren? So ist denn sein Unwille nicht die Ausführung seiner Rache, sondern vielmehr die Vorbereitung der Verzeihung: denn so hat er gesagt: „Wenn du umkehrest und in Reueschmerz seufzest, wirst du gerettet werden.“ Er erwartet unser Seufzen hier in der Zeit, damit er es in der Ewigkeit uns erlassen, er erwartet unsere Thränenströme, damit er seine Milde über uns ergießen kann. So hat er im Mitleid mit den Thränen jener verwittweten Mutter im Evangelium den Sohn derselben wieder erweckt. Er erwartet unsere Umkehr, damit er selbst sich wieder zur Gnade wende. In uns würde die Gnade dauernd bleiben, wenn kein Sündenfall sich in unsere Seele einschliche; da wir aber durch unsere Sünden ihn beleidigen, zeigt er sich unwillig, damit wir gedemüthigt werden. Wir werden aber gedemüthigt, damit wir mehr der Erbarmung als der Strafe würdig erscheinen.

Auch das Wort des Propheten Jeremias möge zur Belehrung dienen: „Nicht auf ewig verwirft der Herr; denn wenn er auch betrübet hat, so erbarmt er sich doch nach der Menge seiner Erbarmungen; nicht mit Lust demüthigt und verwirft er die Menschenkinder.“ Aus dem, was auf diese Worte folgt, dürfen wir dann schließen, daß gerade deßhalb der Herr „alle Gefangenen des Landes unter seine Füße erniedrigt“, damit wir seinem Strafurtheile entgehen. Wahrlich nicht freudig und mit Lust erniedrigt er den Sünder bis zur Erde, da er ja von der Erde aufrichtet den Schwachen und aus dem Staube erhebt den Armen.  Nicht mit Lust erniedrigt derjenige, der sich die Verzeihung vorbehält.

Wenn er nun überhaupt nicht mit Lust den Sünder demüthigt, um wie viel mehr trifft das bei demjenigen zu, der gleichfalls nicht mit voller Herzenshingabe gesündigt hat! Wenn er von den Juden sagte: „Dieses Volk ehret mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit von mir entfernt,“ dann sagt er vielleicht von manchen Gefallenen: „ Sie haben mit den Lippen mich verleugnet, aber im Herzen sind sie mit mir vereint. Die Qual hat diese Armen überwältigt, keineswegs hat Treulosigkeit sie verführt.“ Und doch verweigern Manche diesen die Verzeihung, während ihr Verfolger selbst für ihren treuen Glauben Zeugniß abgelegt hat, indem er durch Marter und Qualen ihn zu brechen versuchte. Sie haben einmal den Herrn verleugnet, aber seitdem bekennen sie ihn tagtäglich; einmal haben sie ihn verleugnet im Worte, aber seitdem bekennen sie ihn mit ihren Seufzern und Klagerufen, mit ihren Thränen und mit Worten, die freiwillig dem Herzen entströmen, die nicht erzwungen sind. Sie sind freilich auf kurze Zeit der Versuchung des Teufels erlegen: aber bald nachher hat der Teufel wieder von ihnen weichen müssen, da er sie als sein Eigenthum nicht erwerben konnte. Er hat vor ihren Thränen, ihrer Buße weichen müssen; er hatte sich in sie hineingeschlichen, da sie ihm nicht gehörten, er hat sie wieder verloren, nachdem sie sein gewesen.

Verhält sich das nicht genau so, als wenn ein Eroberer die Bewohner einer bezwungenen Stadt gefangen hinwegführt? Sie werden gefangen hinweggeführt, aber gegen ihren Willen. Gezwungen wandern sie dem fremden Lande zu, aber ihr Herz zieht nicht mit, es eilt zur Heimat zurück und sinnt auf Mittel, dorthin den Weg wieder zu finden. Und wenn sie nun heimkehren, wer kann dann rathen, sie nicht wieder  aufzunehmen? Ihre Ehre mag in etwas gemindert sein, aber ihr Eifer ist nur um so größer und hingebender, Alles zu vermeiden, was der Feind gegen sie ausbeuten könnte. Während du dem Bewaffneten, der noch kämpfen konnte, verzeihest, willst du dem nicht verzeihen, in dem einzig der Glaube kämpfte.

Und wenn wir die Meinung des Teufels selbst über diese Gefallenen erforschen wollten, scheint es nicht, als müßte er sagen: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit von mir entfernt. Wie kann es mit mir halten, während es von Christus nicht gewichen ist? Die scheinen zu Unrecht mich zu ehren, welche die Lehre Jesu befolgen: ich aber glaubte, daß sie meine Lehre verkündigten“? Sie verurtheilen in der That nur noch mehr und schärfer, wovon sie sich nach trauriger Erfahrung abgewandt haben. Wenn Jesus sie bei ihrer Rückkehr wieder aufnimmt, so wird er in ihnen nur um so mehr verherrlicht. Alle Engel jubeln; denn es ist im Himmel mehr Freude über einen Sünder, der Buße thut, als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen. „Ueber mich“, muß der Teufel bekennen, „wird so im Himmel, wie auf Erden triumphirt. Nichts geht doch Christus verloren, da diejenigen, welche in den Thränen ihrer Martern zu mir kamen, sehnsuchtsvoll zur Kirche zurückeilen. Durch ihr Beispiel laufe ich obendrein noch Gefahr, auch die zu verlieren, welche sich mir verschrieben haben, und welche nun zu der Einsicht gekommen sind, daß hier, wo die Menschen mit Belohnung der Gegenwart verlockt werden, doch eigentlich Nichts ist; daß dort aber gar viel sein muß, wo Seufzen, Thränen, Fasten und Abtödtungen meinen Ueppigkeitsmahlen vorgezogen werden.“

  

Cap. 6

 

Diese nun schließet ihr Novatianer aus? Oder ist das etwa nicht ausschließen, wenn ihr ihnen die Hoffnung auf Verzeihung versagt? Aber der Samaritaner ging doch an  dem Menschen, den die Räuber halbtodt hatten liegen lassen, nicht mitleidslos vorüber! Nein, er träufelte Oel und Wein in seine Wunden, Oel zuerst, um sie zu erquicken. Dann lud er den Verwundeten auf sein Lastthier: so trug er stets alle Seelenwunden der Sünder hinweg. Auch der gute Hirt verachtete nicht das verirrte Schaf.

Ihr aber saget: „Rühre mich nicht an!“ Ihr, die ihr euch gerne gerecht machen wollet, ihr saget: „Es ist nicht unser Nächster.“ So seid ihr noch stolzer, als jener Gesetzesgelehrte, der den Herrn versuchen wollte und sprach: „Wer ist mein Nächster?“ Dieser fragte doch nur, ihr leugnet es geradezu. Jenem Priester vergleichbar schreitet ihr einher, wie jener Levit geht ihr vorüber an dem, welchen ihr zur Heilung aufnehmen müßtet; ihr nehmet in die Herberge, der Christus die beiden heiligen Münzen zurückließ, den nicht auf, dessen Nächster ihr sein sollt, damit ihr an ihm Barmherzigkeit übet. Gerade der ist euer Nächster, den nicht bloß gleiche Natur, sondern auch das Erbarmen mit euch verbunden hat. In eurem Stolze erachtet ihr euch als fremd gegen ihn, und indem ihr euch ganz ohne Grund in eurem fleischlichen Stolze erhebet, haltet ihr nicht Gemeinschaft mit dem Haupte. Hieltet ihr an diesem fest, so müßtet ihr wissen, daß ihr den nicht verlassen dürft, für welchen Christus gestorben ist; ihr müßtet dann wissen, daß der ganze Leib mehr durch innigeres Zusammenschließen, als durch Ablösen zur Ehre Gottes durch das Band der Liebe, durch die Erlösung des Sünders wächst.

Wenn ihr nun so jede Frucht der Buße hinwegnehmt, was sagt ihr dann anders, als dieses: „Keiner von den Verwundeten mag in unsere Herberge eintreten? In unserer Kirche wird ja Niemand geheilt. Bei uns genesen keine Kranke; wir sind allesammt gesund und bedürfen keines Arztes, ganz so wie der Herr selbst gesagt hat: „Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken.“

  

Cap. 7

 

 So komme denn du, Herr Jesu, ganz zu deiner Kirche, da Novatian Ausreden vorbringt. Er sagt: „Ich habe ein Joch Ochsen gekauft;“ er nimmt das sanfte Joch Christi nicht auf und legt seinem Halse eine schwere Last auf, die er nicht tragen kann. Novatian hielt deine Diener, von welchen er eingeladen wurde, zurück, that ihnen Schmach an und tödtete sie, weil er ihnen die Beleidigung einer wiederholten Taufe zufügte. Sende also an die Ausgänge der Wege und rufe Gute und Böse herbei; führe Schwache, Blinde, Lahme in deine Kirche. Laß dein Haus sich füllen, rufe Alle zu deinem Mahle: du wirst ja den, welchen du rufst, auch würdig machen, wenn er nur dir folgt. Jener wird freilich verworfen, der kein hochzeitlich Kleid trägt, d. h. der das Kleid der Gnade, den Mantel der Liebe nicht besitzt: Sende denn, sage ich, zu Allen!

Deine Kirche, Herr! bleibt nicht von deinem Mahle zurück, wie Novatian das thut. Deine Familie sagt nicht: „Ich bin gesund und bedarf keines Arztes.“ Wohl aber sagt sie: „Heile mich, Herr, so werde ich geheilt werden; hilf mir, so ist mir geholfen!“ Das Bild deiner Kirche ist jenes Weib des Evangeliums, das rückwärts hinzutrat und den Saum deines Gewandes berührte, indem sie bei sich sprach: „Wenn ich nur sein Gewand berühre, werde ich gesund werden.“ So bekennt die Kirche ihre Wunde, aber sie gibt auch dem Wunsche Ausdruck, geheilt zu werden.

Auch du, Herr! wünschest ja, Alle zu heilen, aber nicht Alle wollen geheilt werden. Novatian will es nicht, da er  sich für gesund hält. Du, o Herr, der du in dem Geringsten unsere Schwäche fühlest, sagst selbst, daß du in uns krank seiest: „Ich war krank und ihr habt mich besucht.“ Novatian unterläßt es, jenen Geringsten zu besuchen, in dem du, o Herr, besucht zu werden verlangst. Du sagst dem Petrus, der sich die Füße von dir nicht wollte waschen lassen: „Wenn ich dir die Füße nicht wasche, hast du keinen Theil an mir.“ Wie können dann jene Theil an dir haben, o Herr, welche die Schlüssel des Himmelreiches nicht annehmen, weil sie leugnen, daß sie Sünden nachlassen dürften?

Begründet ist freilich dieses Bekenntniß; denn sie haben keinen Theil an Petri Erbe, weil sie den Stuhl Petri, von dem sie in gottloser Spaltung sich losgerissen, nicht fest halten. Verwerflich aber ist die fernere Behauptung, daß auch in der Kirche die Sünden nicht könnten vergeben werden. Und doch hat der Herr zu Petrus gesagt: „Dir will ich die Schlüssel des Himmelreiches geben; was immer du auf Erden binden wirst, das soll auch im Himmel gebunden sein; was aber du auf Erden lösen wirst, das soll auch im Himmel gelöset sein.“ Der Apostel aber, der als das Gefäß der Auserwählung bezeichnet wird, sagt ausdrücklich: „Wem ihr verziehen habt, dem habe auch ich verziehen; was ich aber vergeben habe, das geschah um euretwillen an Christi Statt.“ Warum lesen nun Jene noch die Briefe Pauli, wenn sie glauben, daß derselbe in so gottloser Weise geirrt habe, daß er sich das Recht seines Herrn anmaßte? Nein, der Apostel nahm in Anspruch, was er empfangen hatte; keineswegs maßte er sich Ungebührliches an.

  

Cap. 8

 

Der Herr will, daß seine Jünger volle Gewalt haben; er will, daß in seinem Namen von seinen Jüngern alles  das vollbracht werde, was er selbst gewirkt, so lange er auf der Erde weilte. Hat er ihnen ja sogar gesagt: „Ihr sollet noch Größeres thun, als dieses.“ Er gab ihnen die Macht, Todte zu erwecken. Obwohl er selbst dem Saulus das Augenlicht wieder herstellen konnte, sandte er ihn doch zu seinem Diener Ananias, damit durch dessen Segnung das geschwundene Augenlicht wieder erschlossen würde. So hieß er auch den Petrus auf dem Meere wandeln, und nur als er bange zitterte, da tadelte er ihn, daß er die Gnadengabe des Glaubens durch Kleingläubigkeit verminderte. So verlieh er auch den Jüngern, daß sie das Licht der Welt sein könnten, wie er selbst das Licht der Welt war. Da er aus dem Himmel auf die Erde herabsteigen und wieder zum Himmel zurückkehren wollte, hat er auch den Elias zum Himmel erhoben, um auch ihn zur gegebenen Zeit wieder auf die Erde herabzusenden. Da er selbst im Feuer und dem heiligen Geiste taufen wollte, hat er durch Johannes die Geheimnisse der Taufe zum Voraus angedeutet.

Ja, Alles hat er seinen Jüngern gegeben, da er zu ihnen sagt: „In meinem Namen werden sie Teufel austreiben, sie werden in neuen Sprachen reden, Schlangen aufbeben, und wenn sie Tödtliches trinken, wird es ihnen nicht schaden; den Kranken werden sie die Hände auflegen und diese werden genesen.“ Alles hat er ihnen also verliehen; aber da ist nicht von menschlicher Macht und Gewalt die Rede, wo nur die Gnade des göttlichen Geschenkes gilt.

Warum leget ihr denn nun die Hände auf und glaubet an den Erfolg der Segnung, ob etwa der Kranke doch vielleicht genese? Warum nehmt ihr an, daß Einige von dem Einfluß des Teufels durch euch könnten befreit werden? Warum taufet ihr. wenn durch Menschen überhaupt keine Sünden dürfen nachgelassen werden? In der Taufe findet doch auch der Nachlaß aller Sünden statt: was ist denn für ein Unterschied vorhanden, ob die Priester im Sakramente der Buße oder im Sakramente der Taufe dieses  ihnen verliehene Recht für sich in Anspruch nehmen? Dasselbe Geheimniß ist hier, wie dort.

Du entgegnest mir, daß im Bade der Wiedergeburt die Gnade der Geheimnisse wirkt. Was wirkt denn in der Buße? Oder wirkt dort nicht auch der Name und die Kraft Gottes? Wie nun? laßt ihr die Gnade da eintreten, wo es euch gefällt, während ihr sie zurückweiset, wenn es euch beliebt? Aber das ist doch unerträgliche Anmaßung, nicht heilige Furcht, wenn euch diejenigen zuwider sind, welche Buße thun wollen. Ihr könnet wohl die Thränen der Büßenden nicht ertragen? Eure Augen werden wohl verletzt durch die Armuth der Bußgewänder, durch den Schmutz des Trauerkleides? Stolzen Auges, hochmüthigen Herzens saget ihr zarten Seelen mit unwilliger verächtlicher Stimme: „Rühre mich nicht an; denn ich bin rein.“

Der Herr sagt freilich zu Maria Magdalena: „Rühre mich nicht an;“ aber er, der doch ganz rein war, setzt nicht hinzu: „denn ich bin rein.“ Und du, Novatian, du wagst es, dich rein zu nennen? Wärest du rein in deinen Handlungen, dieses hochmüthige Wort allein machte dich unrein. Isaias rief einst: „Weh mir armen zerschlagenen Manne! ich bin ein Mensch, habe unreine Lippen und soll in der Mitte eines Volkes wohnen, das auch unreine Lippen hat.“ Du sagst: ich bin rein; und doch ist nach den Worten der Schrift nicht das Kind von einem einzigen Tage rein. David flehte: „Von meiner Missethat, Herr, reinige mich;“ und doch hat ihn, da er barmherzig war, die Gnade des Herrn so oft gerechtfertigt. Du willst rein sein und bist doch so ungerecht, daß du kein Erbarmen fühlst, daß du vielmehr den Splitter im Auge deines Bruders siehest, während du den Balken im eigenen Auge nicht beachtest? Jeder, der unbillig handelt, ist aber bei Gott unrein. Und was kann es Unbilligeres geben, als wenn man die Nachlassung der eigenen Sünde beansprucht, während man Anderen die Bitte abschlagen zu müssen glaubt. Was gibt es Ungerechteres, als dich selbst gerechtfertigt zu erachten,  während du den Nächsten verurtheilst, obwohl du schwerere Verbrechen begehst.

Uebrigens wollte der Herr Jesus die Verzeihung unserer Sünden auch damals deutlich genug kundgeben, als er dem Johannes auf dessen Ausruf: „Ich sollte von dir getauft werden, und du kommst zu mir?“ antwortete: „Laß es nur geschehen, denn es geziemt uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.“ So kam der Herr zu einem Sünder, da er doch selbst ganz ohne Sünde war; er wollte getauft sein, obwohl er keiner Reinigung bedurfte. Wer kann denn nun euch ertragen, die ihr keiner Reinigung durch die Buße zu bedürfen glaubt, weil ihr durch die Taufgnade gereinigt zu sein behauptet, gleichsam als wenn es für euch unmöglich wäre, zu sündigen?

  

Cap. 9

 

Freilich wendest du ein, daß geschrieben steht: „Wenn Mensch gegen Mensch sündigt, so wird man Fürbitte für ihn einlegen bei Gott; wenn aber ein Mensch wider Jehovah sündigt, wer mag dann bittend für ihn eintreten?“ Zunächst wiederhole ich, daß ich diesen Einwurf (von deinem Standpunkte aus) allenfalls würde hingehen lassen, wenn du lediglich die Abgefallenen von der Verzeihung ausschlössest. Dann aber frage ich: welche Bedenklichkeit bringt denn jene Frage? Es steht ja nicht geschrieben: „Niemand  wird für ihn bitten,“ sondern: „Wer wird bittend eintreten?“ Damit wird nur die Frage aufgeworfen, wer in solchem Falle sich finden würde, der bittend eintreten könnte; keineswegs wird diese Möglichkeit ausgeschlossen.

So liesest du im vierzehnten Psalm [Hebr. Ps. 15]: „Herr, wer wird wohnen in deinem Zelte, oder wer wird ruhen auf deinem heiligen Berge?“ Damit ist nicht gesagt, daß Keinem dieses Loos zu Theil werde, sondern lediglich, daß nur der Bewährte, nur der Auserwählte dort wohnen und ruhen werde. Um zu beweisen, daß das der wahre Sinn der Worte ist, genügt es, die folgenden Worte des dreiundzwanzigsten Psalmes [Hebr. Ps. 24] anzuführen: „Wer wird hinaufsteigen den Berg des Herrn? oder wer wird stehen an seinem heiligen Orte?“ Der Psalmist will sagen: Nicht jeder gewöhnliche Mensch aus dem großen Haufen, sondern nur ein Mann von hervorragendem Lebenswandel und besonderem Verdienste wird hinaufsteigen. Das „Wer?“ ist nicht gleichbedeutend mit „Keiner,“ sondern mit „Irgend ein bestimmter.“ Darum antwortet David auf die Frage: „Wer wird hinaufsteigen?“ auch sofort: „Derjenige, welcher unschuldig an Händen und rein von Herzen ist.“ Anderswo heißt es: „Wer ist weise und versteht dieses?“ Soll denn damit gesagt werden, daß Keiner es verstehe? Im Evangelium aber heißt es: „Wer ist der treue und kluge Haushalter, den der Herr setzen wird über sein Gesinde, damit er zur rechten Zeit ihnen den angemessenen Unterhalt reiche?“ Und um zu zeigen, daß er hier von Jemanden rede, der allerdings vorhanden sei, fügt der Heiland hinzu: „Selig ist derselbe Knecht, den der Herr, wenn er kommt, also thun findet.“ Dahin gehört, meines Erachtens, auch jenes Wort: „Wer, o Gott, ist dir gleich?“ Darauf ist nicht zu antworten: schlechthin Keiner; denn der Sohn ist ja der Abglanz des Vaters.

 In gleicher Weise ist auch das Wort zu fassen: „Wer wird bittend für ihn eintreten?“ Es heißt: Jemand muß von besonders heiligmäßigem Lebenswandel sein, wenn er für den eintreten will, der gegen den Herrn gesündigt hat. Je größer die Schuld ist, desto würdigere Fürsprecher muß man suchen. Nicht irgend ein Beliebiger aus der Menge, sondern Moses selbst bat für das Volk der Juden, als sie uneingedenk des geschlossenen Bundes das goldene Kalb anbeteten. Befand sich nun Moses damals im Irrthum? Gewiß nicht, denn er hat das, um was er bat, verdient und erhalten. Was sollte auch eine solche Liebe nicht erlangen, die sich selbst für das Volk darbietet, mit den Worten: „Wenn du ihnen die Sünde verzeihest, wohl dann; wenn nicht, dann tilge mich aus dem Buche des Lebens.“ Da sehet ihr, daß er nicht als ein gezierter ängstlicher Fürsprecher mit sich zu Rathe geht, ob darin etwa eine Beleidigung liege: was Novatian zu fürchten behauptet. Er denkt an das ganze Volk, an sich denkt er nicht, und so fürchtet er auch nicht, Gott dadurch zu beleidigen, daß er das Volk von der Gefahr der Beleidigung Gottes befreit.

Mit Recht steht also geschrieben: „Wer wird bittend für ihn eintreten?“ d. h. Jemand, wie Moses, der sich selbst für die Schuldigen darbot; Jemand, wie der Prophet Jeremias, dem der Herr gesagt hatte: „Bitte nicht für jenes Volk,“ und der doch bat und Verzeihung erwirkte. Auf die Fürbitte des Propheten nämlich, und bewegt durch das Flehen des erhabenen Sehers, wendete sich der Herr wieder zu Jerusalem, das inzwischen auch Buße für seine Vergehungen gethan hatte, da es flehte: „Und nun, allmächtiger Herr, Gott Israels, eine Seele in Aengsten und ein beklommener Geist rufet zu dir! Höre, o Herr, und erbarme dich; du bist ja ein barmherziger Gott, erbarme dich unser, denn wir haben gesündigt.“ Der Herr befahl dann, die Trauergewande abzulegen und den Bußthränen zu wehren.  So steht ja geschrieben das Wort des Herrn: „Zeuch aus, Jerusalem, das Kleid deiner Trauer und Qual und thue an die Zier und Ehr’ jener ewigen Herrlichkeit, die Gott dir verleiht.“23

  

Cap. 10

 

Solche Fürsprecher muß man also bei dem schwersten Vergehen suchen. Wenn dagegen gewöhnliche Menschen aus dem Volke bittend eintreten, so werden sie freilich keine Erhörung finden.

Deßhalb kann die fernere Frage, die ihr aus dem Briefe des heiligen Johannes herübernehmt, keinerlei Bedenken erregen. „Wer da weiß,“ sagt der Apostel, „daß sein Bruder sündige, aber nicht zum Tode, der bitte, und es wird dem, der nicht zum Tode sündiget, das Leben gegeben werden. Es gibt eine Sünde zum Tode, und nicht für diese sage ich, daß Jemand bitten solle.“ Er redet nicht zu Moses und Jeremias, sondern zu dem Volke, welches für seine Sünden einen anderen Fürsprecher haben mußte. Ihm, dem Volke, mußte es genug sein, für die leichteren Vergehen bei Gott Fürbitte einzulegen, während es sich überzeugt halten mußte, daß nur die Gebete der Gerechten Gnade für die schwereren Sünden erwirken könnten. Wie sollte sonst Johannes behaupten können, man dürfe für schwerere Vergehen nicht bittend auftreten, da er doch wußte, daß Moses bei seiner Fürbitte Erhörung gefunden, als es sich um einen ganz freiwilligen Abfall handelte? Nicht minder wußte er, daß Jeremias mit gleichem Erfolge gebeten hatte.

Wie sollte nun Johannes behaupten können, man dürfe  nicht für die Sünde, welche zum Tode ist, eintreten, da er doch in der geheimen Offenbarung jenes Gebot an den Engel der Kirche von Pergamos schrieb? „Du hast daselbst Einige, welche die Lehre Balaams halten, der den Balak lehrte, ein Aergerniß anzurichten vor den Kindern Israels, Götzenopfer zu essen und Hurerei zu treiben: so hast auch du, welche die Lehre der Nicolaiten halten. Thue auch du Buße: wo nicht, so komme ich dir schnell.“ Seht ihr, wie Gott, der die Buße fordert, auch Verzeihung zusagt? Er fügt nämlich hinzu: „Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt: wer überwindet, dem will ich von dem verborgenen Manna zur Speise geben.“

Hatte etwa Johannes nicht erfahren, daß Stephanus für seine Verfolger betete, obwohl diese nicht einmal den Namen Christi hören konnten? Für diejenigen, welche ihn steinigten, flehte er: „Herr, rechne es ihnen nicht zur Sünde.“ Wie wirksam dieses Gebet war, zeigt uns der Apostel. Es wurde ja Paulus, der die Kleider der Steiniger bewacht hatte, nicht lange nachher durch die Gnade Christi ein Apostel des Herrn, wie er vorher sein Verfolger gewesen war.

  

Cap. 11

 

Da wir nun einmal des Briefes Johannis erwähnt haben, so wollen wir auch betrachten, was in seinem Evangelium geschrieben steht, um zu erkennen, ob das mit eurer Auslegung übereinstimmt. Hier erzählt er, daß der Herr gesagt habe: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn dahin gab, so daß Jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern das ewige Leben habe.“ Wenn du nun einen Gefallenen zurückzuführen wünschest, wirst du ihn ermahnen, daß er glaube, oder daß er nicht glaube? Sicher, daß er glaube. Aber wer glaubt, der hat nach dem Worte des Herrn das ewige Leben. Wie willst denn du nun wehren, für den bittend einzutreten, dem das ewige Leben zu Theil werden soll? da doch der  Glaube ein Geschenk der göttlichen Gnade ist, wie das der Apostel, wo er von der Vertheilung der Gnadengaben spricht, ganz ausdrücklich lehrt. So flehen auch die Jünger: „Mehre uns den Glauben.“ Wer also den Glauben hat, der hat das Leben; wer aber das Leben hat, der ist doch wahrhaftig nicht ausgeschlossen von der Verzeihung. „Jeder, der an mich glaubt,“ sagt der Herr, „wird nicht verloren gehen.“ „Jeder" sagt er: so ist denn Keiner zurückgewiesen, Keiner ausgeschlossen. Der Herr schließt auch denjenigen nicht aus, der gefallen ist, wenn er nur nachher zum vollen Glauben gelangt.

Wir wissen aus eigener Erfahrung, daß gar Viele nach ihrem Falle sich wieder gebessert und für den Namen Gottes gelitten haben: Können wir nun diesen die Gemeinschaft der Martyrer verweigern, da der Herr Jesus selbst sie ihnen nicht weigert? Wagen wir zu behaupten, daß denen das Leben nicht zurückgegeben sei, denen Christus den Siegeskranz verliehen hat? Wie nun so Manchen, wenn sie nach dem Falle Martern ertragen, der Siegeskranz zu Theil wird, so erhalten sie auch, wenn sie vertrauensvoll zum Herrn sich wenden, die Gnade des Glaubens wieder. Dieser Glaube ist ja ein Geschenk Gottes. Denn so steht geschrieben: „Euch ist in Beziehung auf Christum gegeben, nicht nur an ihn zu glauben, sondern auch für ihn zu leiden.“ Kann nun der, welcher vom Herrn diese Gnadengabe besitzt, nicht auch Verzeihung erlangen?

Diese Gnadengabe ist aber eine doppelte: einmal an den Herrn Jesus zu glauben, dann für ihn zu leiden. Derjenige, welcher glaubt, besitzt die eine Gnade; die andere besitzt er, wenn sein Glaube durch Martern und Leiden verherrlicht wird. So war Petrus, ehe er litt, keineswegs ohne Gnade; aber in seinem Leiden ward er auch der anderen theilhaftig. Und gar Viele gibt es, die die Gnade, für  Jesus zu leiden, nicht erlangten; gleichwohl hatten sie die Gnade, an ihn zu glauben.

Deßhalb heißt es auch: „Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht verloren gehen.“ „Jeder,“ d. h. in welchem Stande er sein mag, von welchem Falle er sich erheben muß, er darf nicht fürchten, verloren zu gehen, wenn er glaubt. Es kann ja geschehen, daß Jemand von Jerusalem nach Jericho wieder hinabsteigt, d. h. daß Jemand von dem Kampfe des Martyriums wieder in die Lust dieses Lebens, in die Freuden, die die Welt bietet, sich verliert, daß dieser von den Räubern, d. h. hier von den Verfolgern verwundet und halbtodt liegen gelassen wird. So findet ihn dann jener Samaritan des Evangeliums, welcher der Hüter unserer Seelen ist, — heißt ja doch Samaritan so viel als Wächter; — er geht nicht vorüber, nein, er sorgt für ihn und heilt ihn.

Wohl mir! deßhalb geht der Samaritan nicht vorüber, weil er noch Leben in dem Verwundeten erkennt, so zwar, daß er das volle Leben wieder erlangen kann. Scheint nun derjenige, welcher gefallen ist, nicht halbtodt, wenn der Glaube noch einen Lebensfunken bewahrt hat? Wer Gott gänzlich aus seinem Herzen vertreibt, nur der ist todt. Wer aber nur unter der Wucht der Martern zeitweise ihn verleugnet hat, der ist nur halbtodt. Oder aber, wenn er ganz todt ist, wie kannst du ihm, der nicht mehr geheilt werden kann, auflegen, Bußwerke zu übernehmen? Wenn  er halbtodt ist, dann gieße Oel und Wein in seine Wunden; Oel und Wein zugleich: zum Heilen, aber zum schmerzhaften Heilen. Ja, lade ihn nur auf dein Lastthier, übergib ihn dem Wirthe, wende die beiden Münzen auf seine Heilung und beweise dich ihm als Nächster. Das kannst du aber nicht sein, wenn du nicht Barmherzigkeit an ihm übst: nur der kann als Nächster gelten, der nicht tödtet, sondern heilt. „Willst du sein Nächster sein,“ sagt Christus, „so gehe hin und thue deßgleichen.“

  

Cap. 12

 

Ein anderes Wort sagt: „Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben; wer aber dem Sohne nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.“ Was nun bleibt, das hat doch sicher irgendwo angefangen, und zwar hier bei der Sünde, vorher nicht geglaubt zu haben. Sobald nun Jemand glaubt, weicht der Zorn Gottes und das Leben kehrt zurück. An Christus glauben, ist also Gewinn des Lebens: denn wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet.

Hier bemerken die Gegner, daß derjenige, welcher an Christus glaube, auch sein Wort bewahren müsse nach dem Ausspruche des Herrn: „Ich bin als das Licht in die Welt gekommen, damit Jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsterniß bleibe; wenn aber Jemand meine Worte hört und sie bewahrt, den werde ich nicht richten.“ Er richtet also nicht, und du willst richten. Er sagt: „Damit, wer an mich glaubt, nicht in der Finsterniß bleibt“, d. h. damit er,  wenn er in der Finsterniß war, nicht in ihr bleibe, sondern seinen Fehler bessere, seine Schuld gutmache und meine Gebote darnach beachte. Ich habe ja gesagt: „Ich will nicht den Tod des Sünders, sondern seine Bekehrung;“ und ferner: „Wer an mich glaubt, der wird nicht gerichtet.“ Ich halte fest an meinem Worte: „Ich bin nicht in die Welt gekommen als ihr Richter, sondern daß die Welt durch mich selig werde.“ Ich verzeihe gerne, bereitwillig erweise ich mein Erbarmen; ich will ja lieber Barmherzigkeit, als Brandopfer. Durch das Opfer empfiehlt sich der Gerechte; aber durch die Barmherzigkeit wird der Sünder gewonnen; „ich bin ja gekommen, nicht die Gerechten zu berufen, sondern die Sünder.“ Im Gesetze galt das Opfer, im Evangelium gilt Barmherzigkeit; das Gesetz ist durch Moses gegeben, durch mich aber ist die Gnade vermittelt. Kann es nun etwas Deutlicheres geben, als diese Worte?

Der Herr fährt fort: „Wer mich verachtet und meine Worte nicht annimmt, der hat seinen Richter.“ Scheint dir denn nun, daß derjenige die Worte Christi annimmt, der sich nicht bekehrt? Sicherlich scheint es dir nicht so. Aber wer sich bekehrt, der nimmt das Wort des Herrn an; jenes Wort, nach welchem „ein Jeglicher sich abwenden soll von seiner Schuld.“ Entweder mußt du diesen Ausspruch des Herrn aus seinen Worten tilgen, oder wenn du ihn nicht leugnen kannst, mußt du dich dabei beruhigen.

Darnach muß also doch auch derjenige wohl die Gebote des Herrn beobachten, der zu sündigen aufhört, der von seinen Vergehungen abläßt. Du darfst somit den Ausspruch Christi nicht so auslegen, als habe er gesagt: „Wer mein Wort allezeit