Das Jahrhundert Ludwigs XIV. - Lothar Schilling - E-Book

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Lothar Schilling

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Beschreibung

Zwischen dem Edikt von Nantes (1598) und dem Tod Ludwigs XIV. im Jahr 1715 liegt der beispiellose Aufstieg Frankreichs zur führenden Macht Europas. Regierungsform und Hof, Kultur und Sprache Frankreichs wurden Vorbild für andere Staaten des Kontinents. Durch seinen Sieg im Dreißigjährigen Krieg und seine Expansion im Devolutionskrieg und im Holländischen Krieg beweist Frankreich seine militärische Stärke und festigt seine europäische Vormachtstellung. Lothar Schilling untersucht alle Aspekte der widersprüchlichen Geschichte dieses Landes: Bevölkerungsentwicklung und Gesellschaftsstruktur, Wirtschaft und Kultur, die aggressive Außenpolitik wie die Herrschaftspraxis unter Heinrich IV., Ludwig XIII. und Ludwig XIV.

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Lothar Schilling

Frankreich im Zeitalter Ludwigs XIV.

Frankreich im Grande Siécle 1598-1715

Impressum

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-534-17428-7

© 2010 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt

Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.

Einbandgestaltung: schreiberVIS, Seeheim

Redaktion: Christina Kruschwitz, Berlin

Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH, KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

eBook ISBN 978-3-534-70597-9 (epub)

Als epub veröffentlicht 2010.

www.wbg-wissenverbindet.de

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Inhaltsverzeichnis

Informationen zum Buch

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Inhaltsverzeichnis

Geschichte kompakt

I. Die Grundlagen

1. Frankreich 1598–1715: Gegenstand und Epoche

a) Wahrnehmung und „Erfahrbarkeit“ Frankreichs im 17. Jahrhundert – Raum, Territorium, Staat

b) Darstellungsebenen und zeitlicher Rahmen

2. Die Bevölkerung Frankreichs im 17. Jahrhundert

3. Frankreich als politischer Körper – Gesellschaft und ständische Ordnung

a) Der Klerus

b) Der Adel

c) Der Dritte Stand

d) Ständische Repräsentativorgane – Generalstände, Notabelnversammlungen und Provinzialstände

4. Die französische Wirtschaft im 17. Jahrhundert

a) Nachfrage und Verbrauch

b) Die landwirtschaftliche Produktion

c) Die gewerbliche Produktion

d) Warenaustausch, Handel, Bankwesen

5. Der Kampf um die Überzeugungen: Bildung, Medien und Öffentlichkeit

a) Strategien und Erfolge der katholischen Reform

b) Das Bildungswesen

c) Druckmedien und Zensur

d) Die Informationspolitik der Krone

6. Monarchie, Institutionen, „Staat“

a) Das Königtum

b) Der königliche Hof

c) Die Zentralbehörden

d) Der „Staat“ in der Fläche: Die mittleren und unteren Verwaltungsbehörden

e) Die Finanzen der Monarchie

II. Frankreich im europäischen Mächtesystem (1598–1715)

1. Dynastizismus, Staatsbildung und Bellizismus: Strukturen der europäischen Mächtebeziehungen im 17. Jahrhundert

2. Die „habsburgische Frage“

3. Phasen der französischen Außenpolitik

a) Zwischen Friedensbereitschaft und Eindämmungspolitik (1598–1630)

b) Der Weg in den Krieg (1630–1659)

c) Eroberungspolitik und Hegemonieanspruch (1659–1685)

d) Frankreich und die europäische Koalition (1685–1715)

III. Innere Politik und Herrschaftspraxis

1. Das Erbe der Renaissancemonarchie (1598–1630)

a) Heinrich IV., der Wiederaufbau Frankreichs und die Stärkung der monarchischen Autorität

b) Reform, Religion und Politik

2. Das Regiment der Kardinalminister (1630–1661)

a) Staatsräson und Diktatur des Fiskus

b) Die Delegitimierung der Monarchie: populäre Revolten und Fronde

c) Die Überwindung der „Unordnung“

3. Der Glanz des Sonnenkönigs (1661–1685)

a) Persönliches Regiment und ,travail du roi’

b) Colbert und der Colbertismus

c) Inszenierung, Stilisierung, Übersteigerung: Der König als kulturelle Konstruktion

4. Die Last einer langen Regierung (1685–1715)

a) Die Einheit des Glaubens und ihre Grenzen

b) Wirtschaftskrise, Verlust der kulturellen Hegemonie, Kritik

IV. Zusammenfassung

Auswahlbibliographie

Personenregister

Geschichte kompakt

In der Geschichte, wie auch sonst,

dürfen Ursachen nicht postuliert werden,

man muss sie suchen. (Marc Bloch)

Das Interesse an Geschichte wächst in der Gesellschaft unserer Zeit. Historische Themen in Literatur, Ausstellungen und Filmen finden breiten Zuspruch. Immer mehr junge Menschen entschließen sich zu einem Studium der Geschichte, und auch für Erfahrene bietet die Begegnung mit der Geschichte stets vielfältige, neue Anreize. Die Fülle dessen, was wir über die Vergangenheit wissen, wächst allerdings ebenfalls: Neue Entdeckungen kommen hinzu, veränderte Fragestellungen führen zu neuen Interpretationen bereits bekannter Sachverhalte. Geschichte wird heute nicht mehr nur als Ereignisfolge verstanden, Herrschaft und Politik stehen nicht mehr allein im Mittelpunkt, und die Konzentration auf eine Nationalgeschichte ist zugunsten offenerer, vergleichender Perspektiven überwunden.

Interessierte, Lehrende und Lernende fragen deshalb nach verlässlicher Information, die komplexe und komplizierte Inhalte konzentriert, übersichtlich konzipiert und gut lesbar darstellt. Die Bände der Reihe „Geschichte kompakt“ bieten solche Information. Sie stellen Ereignisse und Zusammenhänge der historischen Epochen der Antike, des Mittelalters, der Neuzeit und der Globalgeschichte verständlich und auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung vor. Hauptthemen des universitären Studiums wie der schulischen Oberstufen und zentrale Themenfelder der Wissenschaft zur deutschen, europäischen und globalen Geschichte werden in Einzelbänden erschlossen. Beigefügte Erläuterungen, Register sowie Literatur- und Quellenangaben zum Weiterlesen ergänzen den Text. Die Lektüre eines Bandes erlaubt, sich mit dem behandelten Gegenstand umfassend vertraut zu machen. „Geschichte kompakt“ ist daher ebenso für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung geeignet, als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte.

Die Autorinnen und Autoren sind in Forschung und Lehre erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Jeder Band ist, trotz der allen gemeinsamen Absicht, ein abgeschlossenes, eigenständiges Werk. Die Reihe „Geschichte kompakt“ soll durch ihre Einzelbände insgesamt den heutigen Wissensstand zur deutschen und europäischen Geschichte repräsentieren. Sie ist in der thematischen Akzentuierung wie in der Anzahl der Bände nicht festgelegt und wird künftig um weitere Themen der aktuellen historischen Arbeit erweitert werden.

Kai Brodersen

Martin Kintzinger

Uwe Puschner

Volker Reinhardt

I. Die Grundlagen

1. Frankreich 1598–1715: Gegenstand und Epoche

Wer eine Überblicksdarstellung über Frankreich im 17. Jahrhundert vorlegt, kann schwerlich Anspruch auf Originalität erheben. Publikationen, die sich mit der Geschichte einer Nation oder eines Landes befassen, sind verbreitet und gut eingeführt. Doch die Selbstverständlichkeit, mit der Historiker über die „Geschichte Frankreichs im 17. Jahrhundert“, die „Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation“ oder die „Britische Geschichte im 18. Jahrhundert“ sprechen, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Gegenstand der Geschichtswissenschaft nie selbstverständlich, sondern stets Ergebnis einer Konstruktion ist, die auch dann der Reflexion und Begründung bedarf, wenn sie sich allgemeiner Verbreitung erfreut.

Nationalgeschichte

Dies gilt zumal für jede Form der Nationalgeschichte. Die Entstehung dieser Gattung ist verknüpft mit der Etablierung der Geschichte als Wissenschaft im 19. Jahrhundert, einer Epoche, in der vielerorts der Nationalstaat zur politischen Leitidee erhoben wurde. Der Erfolg der Geschichtswissenschaft in dieser Zeit hing maßgeblich damit zusammen, dass die Auseinandersetzung mit der Geschichte als Chance begriffen wurde, nach dem durch die Französische Revolution bedingten Zerfall der überkommenen Ordnung neue Ordnungsvorstellungen herzuleiten. Unter den Ordnungsvorstellungen, die man mit Hilfe der Geschichtswissenschaft zu untermauern suchte, spielte das Konzept der durch gemeinsame Geschichte und Kultur konstituierten, in einem gemeinsamen Staat vergesellschafteten Nation eine entscheidende Rolle. Die im 19. Jahrhundert etablierte Gattung der Nationalgeschichte war also der Versuch einer Antwort auf die Legitimations-, Herleitungs- und Identitätsstiftungsbedürfnisse der zeitgenössischen Nationalstaaten bzw. der einen Nationalstaat anstrebenden Gruppen.

Die Beschäftigung mit der Geschichte einer Nation ist deshalb nicht obsolet. Die heutige politische Ordnung Europas ist noch immer in erheblichem Maße von nationalstaatlichen Strukturen geprägt, deren Überwindung nicht einfach ist. Dass die nationalstaatlich geprägte politische Ordnung Europas unsere Fragen an die Geschichte prägt, ist selbstverständlich. Mit Blick auf die europäische Integration ist neben dem Versuch, transnationale historische Perspektiven aufzuzeigen, die Auseinandersetzung mit den nationalen Geschichten unserer europäischen Nachbarn auch deshalb unverzichtbar, weil deren Selbstverständnis in starkem Maße historisch fundiert ist. Dies gilt besonders für Frankreich, dessen politische Kultur und dessen öffentliches Leben durch die Präsenz der (anders als in Deutschland auch die Vormoderne einbeziehenden) nationalen Geschichte bestimmt sind.

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte einer Nation darf allerdings nicht in teleologischer Perspektive erfolgen. Viele Historiker des 19. Jahrhunderts erblickten im Hervortreten von Nationen einen historisch notwendigen Prozess und in der Bildung von Nationalstaaten den Fluchtpunkt der Geschichte. Sie versuchten, die Wurzeln dieses Prozesses möglichst weit in die Vergangenheit zurückzuverfolgen. Heute gehen wir von der Historizität und Relativität von Nation und Nationalstaat aus und sind bestrebt, ihre Entwicklung distanziert zu analysieren und dabei die Problematik, die Nachteile und die Kosten dieser Entwicklung nicht auszublenden. Dabei ist es notwendig, nichts an der Herausbildung von Nationalstaaten a priori als selbstverständlich zu beurteilen, sondern sich einen fremden Blick zu bewahren – auch dies übrigens ein Argument für die Auseinandersetzung mit der Geschichte anderer Nationen.

Die Geschichte einer Nation ist stets das Ergebnis einer Konstruktion, die auf dem Herauspräparieren einzelner Facetten vergangener Wirklichkeit und dem Ausblenden beinahe unendlich vieler anderer Facetten beruht. Dies bedeutet, dass die Geschichte einer Nation nur einer unter vielen möglichen Zugängen zur Vergangenheit sein kann und dass auch für die Untersuchung des Zusammenlebens in größeren räumlichen Zusammenhängen andere Konzepte angemessener sein können. Über lange Zeitspannen war die Nation womöglich nicht der Selbstverständnis und Lebensbedingungen der Menschen entscheidend prägende Faktor; es ist überhaupt zu prüfen, ob (und wenn ja für welche Gruppen) von einem Nationalbewusstsein ausgegangen werden kann.

Auch die Begriffe, die wir zur Bezeichnung der Gegenstände der Geschichte verwenden, stellen Konstruktionen dar, die eine vergangene Wirklichkeit nicht einfach abbilden, sondern sie ordnen und perspektivieren. Dies gilt nicht nur für die Begriffe und Konzepte, die Historiker seit der Etablierung der Geschichtswissenschaft entwickelt haben, sondern ebenso für jene, die wir in den Quellen finden. Hier handelt es sich meist nicht um unschuldige, quasi objektive Beschreibungen, sondern um Konzeptualisierungen, die aufs Engste mit Überzeugungen, Werten und Idealen verknüpft sind. Selbst wenn in der Vergangenheit verwendete Begriffe uns heute noch geläufig sind, bedeutet dies nicht, dass wir ihnen denselben Sinn zuschreiben wie jene, die sie zu früheren Zeiten verwendet haben. Umso wichtiger ist es, die zeitgenössische Bedeutung der verwendeten Begriffe zu klären und ihre Implikationen zu bedenken, ehe man sich ihrer bedient. Dies gilt auch für geographische Begriffe – mögen sie noch so selbstverständlich erscheinen wie „Frankreich“.

a) Wahrnehmung und „Erfahrbarkeit“ Frankreichs im 17. Jahrhundert – Raum, Territorium, Staat

Was ist im 17. Jahrhundert Frankreich? Zunächst, und dies ist keineswegs selbstverständlich: Für die meisten Zeitgenossen des 17. Jahrhunderts gab es Frankreich, sie verknüpften Vorstellungen mit diesem Begriff, die zudem bereits recht klar umrissen waren – klarer etwa als jene von bzw. über Deutschland. Frankreich ist also nicht nur eine Rückprojektion der Historiker, sondern Bestandteil der Vorstellungswelt der Zeit. Versucht man, die zeitgenössischen Vorstellungen von Frankreich zu ordnen, kann man vereinfachend drei Ebenen der Repräsentation unterscheiden. Sie betreffen erstens Landschaft, Geographie und Grenzen; sie betreffen zweitens einen sozialen Körper (I.3) und schließlich eine Macht, eine puissance unter anderen europäischen Mächten (II).

Geographischräumliche Repräsentationen

Was die räumlichen Repräsentationen anbelangt, verfügten die Gebildeten bereits über ein recht genaues Bild der Geographie Frankreichs. Nachdem der Verlauf der französischen Küsten bereits auf Seekarten des Spätmittelalters verzeichnet war, entwickelten italienische und bald auch französische Mathematiker und Kartographen seit dem Übergang zum 16. Jahrhundert zunehmend genaue Karten, die zunächst freilich noch – im Geist der Renaissance – das antike Gallien darstellten. Sehr rasch wurde dann der Druck von Frankreichkarten, seit 1594 ergänzt durch ein von Maurice Bouguereau publiziertes gesamtfranzösisches Kartenwerk (Théâtre françoys), zu einem verbreiteten, ungemein wirkungsvollen Medium der Vermittlung dessen, was man unter Frankreich verstand. Das so vermittelte Frankreichbild war bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts recht differenziert.

Der Präzision der geographisch-räumlichen Repräsentationen war zuträglich, dass sich in Frankreich bereits im Spätmittelalter die Vorstellung eines von einer linearen Grenze eingefassten Herrschaftsgebietes auszuprägen begann. So sind seit König Philipp dem Schönen (gest. 1314) Versuche feststellbar, an den Außengrenzen des Königreichs Zollstationen und Kontrollposten einzurichten, die als Punkte einer Linie vorgestellt wurden. Wichtiger noch war eine militärische Entwicklung seit dem Hundertjährigen Krieg, im Zuge derer die befestigten Orte im Innern des Königreichs an Bedeutung verloren. Im Laufe des 17. Jahrhunderts wurden schließlich die meisten Festungen im Landesinnern geschleift, während andererseits die Grenzen des Territoriums – zumal nach Osten und Norden hin – durch einen Festungsgürtel gesichert und zugleich deutlich sichtbar gemacht wurden.

Neben der Kartographie konnten gebildete Europäer des 17. Jahrhunderts auch aus der Fülle landeskundlicher Literatur eine detaillierte Vorstellung von Frankreich gewinnen, denn seit dem Übergang zur Neuzeit erlebten Landesbeschreibungen eine Blüte. In Reiseberichten, gelehrten Abhandlungen und diplomatischen Korrespondenzen wurden zunehmend differenzierte Informationen über die Geographie und Landesbeschaffenheit der europäischen Länder publiziert. In diesen Beschreibungen bildeten sich bereits im 16. Jahrhundert festgefügte Stereotype und Topoi aus, die europaweit bis ins 18. Jahrhundert (und z. T. darüber hinaus) zum Grundbestand des gebildeten Diskurses über Frankreich wurden.

Zeitgenössische Topoi

Zu den wichtigsten Topoi der Landesbeschreibungen gehörten durchweg bewundernde Aussagen zur Ausdehnung des Landes. Tatsächlich herrschten die französischen Könige über ein Gebiet, das zu Beginn des 17. Jahrhunderts ca. 460.000 km2, um 1715 ca. 500.000 km2 groß war (zum Vergleich: das heutige französische Staatsgebiet in Europa umfasst ca. 550.000 km2, das der Bundesrepublik Deutschland seit 1990 kaum 360.000 km2). Damit war Frankreich (abgesehen vom Heiligen Römischen Reich) das bei weitem größte Gemeinwesen in Europa.

Mit der Größe Frankreichs verknüpft wurden in der Regel Fruchtbarkeit und Reichtum des Landes, das oft als lieblich (la douce France) bezeichnet wurde. Dies war ein Topos, der in erster Linie für Jahre mit guten Ernten zutraf. Denn die Fruchtbarkeit des Landes verhinderte nicht, dass es während des 17. Jahrhunderts mehrfach zu schweren Versorgungskrisen kam (I.2), die umso gravierender waren, als Frankreich mit zeitweise mehr als 20 Millionen Einwohnern nicht nur das bevölkerungsreichste Land Europas war, sondern mit über 40 Einwohnern pro km2 für frühneuzeitliche Verhältnisse auch sehr dicht besiedelt.

Natürliche Grenzen?

Einem weiteren, bereits in den Landesbeschreibungen des 16. Jahrhunderts begegnenden Topos zufolge verfügte Frankreich über gesicherte natürliche Grenzen – eine Vorstellung, die oft mit der Überzeugung einherging, Frankreich sei ein von der Natur bzw. von Gott in dieser Weise „gewolltes“ Gemeinwesen. Dem stand in den meisten Texten der Zeit der Hinweis auf die enorme Vielfalt des Landes gegenüber. Beide Vorstellungen sind bis heute wirksam, für das 17. Jahrhundert trifft die erstere allerdings nicht uneingeschränkt zu. Gewiss – auch die Vorstellung der natürlichen Grenzen drängt sich auf. Die Außengrenzen des von den französischen Königen um 1600 regierten Herrschaftsgebiets wurden zu mehr als der Hälfte vom Meer gebildet. Auch mit Blick auf die Pyrenäengrenze zu Spanien erscheint die Vorstellung der natürlichen Grenze plausibel, wenn auch mehrere Grafschaften nördlich des Pyrenäenhauptkamms erst im 17. Jahrhundert definitiv an Frankreich kamen. Das kleine Königreich Navarra, bis 1589 ein souveräner Staat, wurde erst mit dem Regierungsantritt Heinrichs von Navarra als französischer König in Personalunion mit dem Königreich Frankreich verbunden, ehe diese Verbindung 1620 in eine Realunion überführt wurde.

Auch hinsichtlich der Alpengrenze sind Abstriche zu machen. Zwar hatte Frankreich die Grafschaft Provence und die an der Isère gelegene Dauphiné bereits im Spätmittelalter erworben (1246/1481 bzw. 1349), die Gebiete östlich der Rhône gehörten aber im Prinzip weiterhin zum Heiligen Römischen Reich. Zudem wurde Savoyen bis ins 19. Jahrhundert von einer Dynastie beherrscht, die auch in der Grafschaft Nizza und in Piemont regierte und schließlich die Könige des geeinten Italien stellte. Die „natürliche“ Alpengrenze hinderte die französische Politik im Übrigen nicht an dem Versuch, während des 17. Jahrhunderts (wie schon in den „Italienischen Kriegen“ zwischen 1494 und 1559) über den Alpenhauptkamm nach Piemont auszugreifen.

E

Als Dynastie wird ein Herrschergeschlecht bezeichnet, das eine Machtposition aufgrund erblicher Besitzansprüche über längere Zeit innehat. Die Bezeichnung einer Dynastie leitet sich von ihrem Begründer (z. B. „Karolinger“), vom Stammsitz des Geschlechts (z. B. „Bourbonen“) oder von dessen Familiennamen (z. B. „Wasa“) ab.

Auch mit Blick auf den Nordosten Frankreichs ist die These von den natürlichen Grenzen problematisch. Sicher – die bereits im 16. Jahrhundert in Landesbeschreibungen genannten Flüsse Saône, Maas und Somme beschreiben die Grenzen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts näherungsweise, doch eine leicht zu verteidigende Linie bildeten sie keineswegs, wie zahllose Grenzverschiebungen und Besitzwechsel seit dem Mittelalter zeigen. Vergleicht man die Situation des Jahres 1400 mit jener des Jahres 1600, hat Frankreich in Flandern erhebliche, wirtschaftlich bedeutende Gebiete verloren, dafür aber 1552 die drei Bistümer Metz, Toul und Verdun, 1559 das zwischenzeitlich an England verlorene Calais und 1601 das Gebiet zwischen Genfer See und Saône hinzugewonnen. Ansonsten war die Lage in diesem Grenzgebiet unübersichtlich. So leistete der Herzog von Lothringen dem König von Frankreich seit dem 14. Jahrhundert für den westlichen Teil des Herzogtums Bar, das Barrois mouvant, den Lehnseid. Ähnliche lehnsrechtliche Verbindungen bestanden auch für andere Herrschaften. Die sich überlagernden Herrschaftsbeziehungen nutzte das französische Königtum im 17. Jahrhundert, um im Norden und Nordosten zu expandieren – wobei es nun auf das Ideal der „natürlichen Grenze“ rekurrierte, die im Rhein gesehen wurde (II.3.d).

Ungeachtet der skizzierten Einschränkungen ist der Topos von den sicheren Grenzen Frankreichs bereits im 16. und erst recht im 17. Jahrhundert nicht unbegründet, zumal, wenn man den zeitgenössischen Vergleichshorizont berücksichtigt. Denn in dieser Zeit verfügten nur der englische und der spanische König über Herrschaftsbereiche, die in ihrer Geschlossenheit mit Frankreich vergleichbar, aber auch deutlich kleiner waren.

Regionale und kulturelle Vielfalt

Was das in den Landesbeschreibungen begegnende Stereotyp von der Vielfalt Frankreichs angeht, so war es in der Frühneuzeit mindestens so zutreffend wie heute. Frankreich war (und ist) ein Land großer landschaftlicher und klimatischer Gegensätze – mit entsprechenden Konsequenzen für Fruchtbarkeit und landwirtschaftliche Nutzung. Es umfasste (und umfasst) nicht nur ausgedehnte, ihrerseits ganz unterschiedliche Küstenlandschaften, weite, fruchtbare Ebenen und Flussniederungen, Mittelgebirge und Hochgebirge, sondern auch ganz unterschiedliche Klimazonen (I.4.b).

Doch auch in kultureller Hinsicht wies Frankreich große Unterschiede auf, die in der Frühneuzeit ausgeprägter waren als heute. So sprachen nicht alle Untertanen des französischen Königs dieselbe Sprache. Neben dem aus der langue d’oïl hervorgegangenen Französischen sprach man (in weiten Teilen des südlichen Frankreich) die langue d’oc, eine dem heutigen Katalanisch nicht unähnliche Sprache, daneben das Bretonische, das Baskische, ganz im Süden um Perpignan das Katalanische und in den nördlichen Grenzregionen teilweise das Flämische. Andererseits setzte bereits im 16. Jahrhundert eine gezielte Förderung des Französischen durch das Königtum ein. Seit 1539 Gerichtssprache (ordonnance de Villers-Cotterêts), wurde es im 17. Jahrhundert, vereinheitlicht und fortentwickelt unter der Ägide der neu gegründeten Académie française, gezielt als Instrument der kulturellen Integration eingesetzt und zur einzig zulässigen Amtssprache erklärt.

Die markanten kulturellen Unterschiede im Frankreich des 17. Jahrhunderts waren der Niederschlag einer wechselvollen Geschichte, in der dieses Gebiet entgegen dem zeitgenössischen Mythos nicht immer politisch geeint war. So gehörte der Südosten (die Gallia Narbonensis) bereits früher (seit ca. 120 v. Chr.) zum Römischen Reich als der unter Caesar 58–51 v. Chr. eroberte Rest Galliens. In der Völkerwanderungszeit wurden auf dem Boden der gallischen Provinzen verschiedene Reiche gegründet, ehe die Franken vom 6. Jahrhundert an ihre Herrschaft über das heutige Frankreich und große Teile des heutigen Deutschland ausdehnten. Aus den Teilungen des Karolingerreiches im 9. Jahrhundert ging westlich von Rhône, Saône und Maas ein Königreich hervor, in dem der König bis ins 12. Jahrhundert gegenüber den großen Herren nur über begrenzte Macht verfügte. Der mächtigste dieser großen Herren war von der Mitte des 12. Jahrhunderts an nicht nur Herzog der Normandie, der Bretagne, von Aquitanien und der Gascogne, Graf von Anjou, Poitou, der Marche und dem Périgord, sondern auch König von England. Erst im Laufe der folgenden drei Jahrhunderte gelang es den französischen Königen, u. a. im Hundertjährigen Krieg mit England (1337–1453), die großen Herren weitgehend zu entmachten und ihren eigenen Einfluss nach und nach auszubauen.

Frankreich als „Produkt“ der Kapetinger

Frankreich war also kein naturgegebenes politisches Gebilde, sondern das Ergebnis der über Jahrhunderte erfolgten Konzentration, Ausweitung und Durchsetzung von Herrschaftsansprüchen und -rechten eines Herrscherhauses, der Kapetinger. Das Frankreich des 17. Jahrhunderts ist das Produkt dieser Dynastie und der mit ihr verbundenen Eliten (I.6.a). Ihnen ist es gelungen, historisch, kulturell, geographisch und ethnisch unterschiedliche Gebiete unter einer Herrschaft zusammenzufassen. Dieser Prozess war zu einem erheblichen Teil das Ergebnis dynastischer Zufälle, die etwa im 16. Jahrhundert den Heimfall aller großen Kronlehen mit Ausnahme des Herzogtums Nevers mit sich brachten. Er war z. T. aber auch das Ergebnis gezielter Politik, wie im Falle der bis ins 15. Jahrhundert unabhängigen Bretagne, deren Erbin Anne (1477–1514) nacheinander von zwei französischen Königen, Karl VIII. (1470–1498) und Ludwig XII. (1462–1515), geehelicht wurde, um die Bretagne dem Krongut einzuverleiben – ein Schritt, dessen Tragweite deutlich wird, wenn man bedenkt, dass Anne 1490 bereits eine rasch wieder annullierte Ehe mit Kaiser Maximilian geschlossen hatte.

Doch der von den Kapetingern vorangetriebene Einigungsprozess hatte bis ins 17. Jahrhundert kein politisch einheitliches Territorium geschaffen, und dieser Heterogenität entsprachen regional unterschiedliche Erfahrungen der Bevölkerung mit dem „Staat“ Frankreich. So gab es nicht nur Unterschiede im Zoll- und Steuerwesen (I.6), das Land verfügte auch über keine einheitliche Rechtsordnung – zumal in jenem Bereich, den man heute als Privatrecht bezeichnet. Hier galten im Norden des Landes unterschiedliche Gewohnheitsrechte (coutumes), die vor 1789 nur teilweise vereinheitlicht wurden. Im Süden Frankreichs wurden zivilrechtliche Fälle nach dem droit écrit entschieden, einem im Mittelalter schriftlich fixierten Recht, das auf das römische Recht zurückging. Was das Gerichtswesen angeht, galt der König zwar als oberster Gerichtsherr (suprême justicier), von dem alle Gerichtsbarkeit herrührte, doch verfügten die Feudalherren (seigneurs) für ihre Domänen meist über eigene Gerichtsrechte, die auch die hohe Gerichtsbarkeit einschließen konnten. Ebenso verfügte die Kirche über eine eigene Gerichtsbarkeit, die sich auch – wenige schwere Straftaten ausgenommen – mit allen Strafverfahren gegen Geistliche befasste.

Vormoderne Staatlichkeit und Staatsbildung

Diese Beispiele verdeutlichen, dass sich das Frankreich des 17. Jahrhunderts in mancher Hinsicht von einem Staat nach heutigem Verständnis unterschied. Nach diesem Verständnis, das erst im 19. Jahrhundert eine exakte juristische Definition erfahren hat, verfügt ein Staat über (a) ein einheitliches Staatsgebiet mit klar definierten Grenzen, (b) ein einheitliches (und rechtlich gleichgestelltes) Staatsvolk und (c) eine einheitliche Staatsgewalt, die nach innen über ein Gewaltmonopol und nach außen über Souveränität verfügt. Was das Staatsgebiet angeht, bestanden im Frankreich des 17. Jahrhunderts nach innen hin verschiedene Grenzen fort; die Grenzen nach außen zeichneten sich zwar zunehmend deutlich ab, doch blieben wegen bestehender lehnsrechtlicher Bindungen Unklarheiten. Von einer Einheitlichkeit der durch den König verkörperten Staatsgewalt nach innen hin kann – wie am Beispiel der Gerichtsrechte von adligen seigneurs und Kirche verdeutlicht – nur mit Einschränkungen die Rede sein. Was das einheitliche Staatsvolk angeht, stand dem die Ständeordnung des Ancien Régime entgegen.

E

Der Begriff „Ancien Régime“ wurde zuerst im Zuge der Französischen Revolution für die Zeit der monarchischen Herrschaft der Bourbonen vor der Revolution gebraucht, später wurde seine Bedeutung auch über Frankreich hinaus auf andere Länder ausgeweitet. Dabei liegt der Akzent auf den vor 1789 vorherrschenden politischen und sozialen Strukturen.

So wichtig es ist, diese Unterschiede, die im Übrigen mit Abstufungen für alle frühneuzeitlichen Gemeinwesen gelten, zu bedenken, so unangemessen wäre es, die Staatlichkeit dieser Gemeinwesen als defizitär zu beschreiben. Stattdessen versucht die historische Forschung mit Hilfe des Konzepts der „Staatsbildung“ die sich seit dem Spätmittelalter herausbildenden staatlichen Strukturen zu identifizieren, nach den Instanzen zu fragen, die sie hervorbrachten, und den durch sie angestoßenen Prozess systematisch zu untersuchen. Auch dieser Ansatz birgt die bereits angesprochene Gefahr einer teleologischen Perspektivierung, die den Staat des 19. und 20. Jahrhunderts implizit zum Zielpunkt einer sinnhaften historischen Entwicklung erklärt. Dies kann man vermeiden, wenn man den souveränen Staat des 19. und 20. Jahrhunderts nicht als normative Kategorie versteht, sondern als Typus eines Gemeinwesens, der seinerseits mit zahlreichen Hypotheken belastet und heute auf vielen Feldern überfordert ist, weshalb wir ihn historisieren und relativieren sollten, unter dieser Voraussetzung aber durchaus als empirische Kategorie verwenden können.

b) Darstellungsebenen und zeitlicher Rahmen

Versteht man Frankreich nicht als naturgegebene politische Einheit, sondern als Produkt von Herrschaft und Politik, kommt man kaum umhin, jenen Faktoren besonderes Augenmerk zu schenken, die diese Entwicklung vorangetrieben haben. Eine Geschichte Frankreichs in der Frühneuzeit kann zumal die königliche Politik schwerlich aussparen. Nun bedeutet politische Geschichte weder die ausschließliche Konzentration auf die Hauptakteure noch die Beschränkung auf die Oberfläche der Ereignisse. Daher sollen im ersten Teil zunächst Grundlagen der politischen, sozialen und institutionellen Ordnung Frankreichs vorgestellt und dabei auch Faktoren der longue durée einbezogen werden, ehe im zweiten und dritten Teil die Rolle Frankreichs im sich formierenden europäischen Staatensystem und die Hauptphasen der inneren Entwicklung behandelt werden.

E

Der Begriff der longue durée wurde von den Historikern der französischen Annales-Schuleeingeführt. Er bezeichnet langfristig wirksame strukturelle Gegebenheiten, deren Bedeutung gegenüber den mittelfristig wirksamen Konjunkturen und den punktuellen Ereignissen betont werden soll.

Das „lange“ 17. Jahrhundert

Den zeitlichen Rahmen der Darstellung bildet das „lange“ 17. Jahrhundert. Es beginnt 1598, als mit dem Edikt von Nantes nach fast vier Jahrzehnten des religiösen Bürgerkriegs Frankreich im Innern vorläufig befriedet wurde. Das Edikt von Nantes war zugleich Ausdruck der Konsolidierung der Herrschaft Heinrichs IV., eines Königs, der als ehemaliger Führer der protestantischen Partei erst 1593, vier Jahre nach seinem Regierungsantritt, zum katholischen Glauben übergetreten war. Mit Heinrich IV. gelangten die Bourbonen auf den französischen Königsthron, jene Linie der Kapetinger, die Frankreich bis zum Ende der Monarchie 1792 regierte. Die Konsolidierung der Regierung Heinrichs IV. markiert zudem den Beginn einer zwar mehrfach durch Krisen unterbrochenen, aber doch langfristig wirksamen Stärkung der monarchischen Autorität, die schließlich in den ersten Jahren der persönlichen Regierung Ludwigs XIV. ihren Höhepunkt erreichte. Der Tod dieses Königs im Jahre 1715 stellt einen Einschnitt dar, in dessen Gefolge die politische Ordnung der französischen Monarchie erheblichen Veränderungen unterworfen war – u. a. deshalb, weil sie sich nun bald einer aufgeklärt-kritischen Öffentlichkeit gegenübersah.

„Zeitalter des Absolutismus“?

Für viele geschichtsbewusste Franzosen ist die hier behandelte Zeit bis heute das Grand Siècle, das große Zeitalter, in dem Frankreich zur führenden Macht Europas aufstieg, in dem ein bis heute als „klassisch“ bezeichneter Kunststil entwickelt und zahllose Repräsentationsbauten errichtet wurden, die den Glanz dieses Zeitalters sinnfällig zu machen scheinen. Diese Deutung geht im Übrigen bereits auf das Zeitalter der Aufklärung zurück, auf Voltaires 1751 zuerst in Berlin veröffentlichtes Werk „Das Jahrhundert Ludwigs XIV.“ (Le siècle de Louis XIV), das bis heute als Gesamtdarstellung dieser Zeit unverzichtbar ist – der Titel des vorliegenden Buches versteht sich als Reverenz gegenüber diesem großen Werk. Freilich bleibt zu fragen, auf welchen ökonomischen, sozialen und politischen Voraussetzungen dieser Erfolg beruhte und wie teuer er erkauft war. Ähnlich verhält es sich mit einem weiteren prägenden Kennzeichen der hier behandelten Epoche, ohne das die Vorstellung des Grand siècle kaum denkbar ist: dem zwar an ältere Traditionen anknüpfenden, aber doch neu akzentuierten Anspruch des französischen Königs, als absoluter Monarch nicht nur von der Zustimmung ständischer Repräsentativorgane, sondern auch von den Gesetzen entbunden zu sein. Die historische Forschung hat aus diesem Befund lange gefolgert, die genannte Zeit könne gerade mit Blick auf Frankreich als „Zeitalter des Absolutismus“ gedeutet werden. In jüngerer Zeit haben Historiker gegen diesen Ansatz massive Einwände erhoben. Die folgende Darstellung verzichtet bewusst darauf, die Epoche a priori im Zeichen des Absolutismus zu behandeln; stattdessen soll am Ende die Frage nach der absolutistischen Signatur dieses Zeitalters bilanziert werden.

E

Als Absolutismus bezeichnet man in der Geschichtswissenschaft eine Regierungsform, in der ein Herrscher dem Anspruch nach über unumschränkte Gewalt verfügt. Der Begriff im engeren Sinne ist an die monarchische Staatsform gebunden und bezeichnet v. a. eine auf Zentralisierung und Intensivierung der Herrschaft angelegte Ausprägung des frühneuzeitlichen europäischen Fürstenstaates sowie die durch sie geprägte Epoche des 17. und 18. Jahrhunderts. In jüngerer Zeit wurde auf die unklare zeitliche Abgrenzung und die Unschärfe des Begriffs sowie auf die begrenzte Wirksamkeit des Absolutismus jenseits der Zentralsphäre hingewiesen. Kritisiert wird ferner die Unterschätzung der Handlungsautonomie von Untertanen und Eliten wie auch der Abhängigkeit frühmoderner Herrschaft von Konsens und Kooperation. Dennoch besteht weitgehend Einigkeit, dass vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert in Europa in großer Breite Diskurse und Performanzen zu beobachten sind, die auf die Überhöhung des Monarchen abzielten und dessen Ungebundenheit in den Vordergrund rückten; vgl. IV.

2. Die Bevölkerung Frankreichs im 17. Jahrhundert

Fast alle Autoren des 17. Jahrhunderts, die sich zu den Grundlagen der Macht eines Gemeinwesens äußerten, erachteten eine zahlreiche Bevölkerung als Voraussetzung wirtschaftlicher Prosperität; ihre Vergrößerung galt als wichtiges Ziel der Politik. Den Hintergrund dieser Bestrebungen bildete die Tatsache, dass angesichts einer vorwiegend agrarischen Wirtschaftsstruktur und einer geringen Mechanisierung bzw. Technisierung der Arbeit die wirtschaftliche Leistungskraft in hohem Maße mit der Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte korrelierte. Andererseits waren immer wieder erhebliche Teile der Bevölkerung durch Hunger, Krieg und Seuchen bedroht; die Möglichkeiten der Politik, ein langfristiges Wachstum der Bevölkerung zu erreichen, waren hier begrenzt. Gleichwohl ist zu beobachten, dass das Bewusstsein für die Bedeutung der Bevölkerung und die Bestrebungen, sie zu mehren, im politischen Kalkül der Zeit immer wieder in den Hintergrund traten – zumal dann, wenn über Kriegführung entschieden wurde. Bei diesen Entscheidungen spielte in der Regel die Frage nach den Konsequenzen für die Bevölkerung nur eine nachgeordnete Rolle.

Demographisches Wissen der Zeitgenossen

Was wussten die Zeitgenossen über die Bevölkerung des Königreichs Frankreich? Diese Frage mag überraschen, waren doch in den frühen Hochkulturen und in der griechisch-römischen Antike Volkszählungen durchaus üblich. Im Mittelalter beobachtet man indes neben praktischen Problemen eine eigentümliche Scheu vor Volkszählungen. Sie lässt sich erklären durch die lange Zeit vorherrschende Lesart einer Passage des Alten Testaments (2. Samuel, 24, 1 – 15), in der berichtet wird, König David habe mit einer Zählung der wehrfähigen Männer Israels den Zorn Gottes erregt, der Israel daraufhin eine schwere Plage auferlegt habe.

In Frankreich verblasste dieses Tabu freilich seit dem Spätmittelalter; bereits 1328 wurde ein erster „Zustandsbericht über die Pfarreien und Herdfeuerstellen“ (état des paroisses et des feux) erstellt. Im 17. Jahrhundert unternahm die Krone aus fiskalpolitischen Gründen große Anstrengungen, sich ein Bild von der eigenen Bevölkerung zu verschaffen. 1630 etwa ließ der Leiter der königlichen Finanzverwaltung, Marquis d’Effiat, eine umfassende Erhebung durchführen, die alle Pfarreien und deren Bewohner sowie weitere wirtschaftliche und finanzpolitische Daten erfasste. Unter Ludwig XIV., der die Ressourcen Frankreichs in einem bis dahin nicht gekannten Maße in den Dienst seiner expansiven Außenpolitik stellte, wuchs das Interesse an demographischen Daten weiter. 1664 ließ ein Nachfolger d’Effiats, Jean-Baptiste Colbert, einen Atlas über die Salzsteuer (atlas des gabelles) anfertigen, in dem auch umfassende Daten über die Bevölkerung zusammengetragen waren. 1693 veranlasste dessen Nachfolger, Louis Phélypeaux de Pontchartrain, in einigen Regionen erneut eine Volkszählung. Diese und einige weitere Erhebungen lieferten jedoch in der Regel nur ungenaue Zahlen, denn es wurden Haushalte, also Herdfeuerstellen (feux), nicht aber die Anzahl der in einem Haushalt lebenden Personen erfasst, oder es dienten Steuerlisten als Grundlage, in denen Mittellose nicht auftauchten. Verlässliche Volkszählungen, die alle Einwohner zu einem gegebenen Zeitpunkt erfassten, hat es dann tatsächlich erst im revolutionären Frankreich gegeben.

Angesichts der Schwierigkeiten, sich ein Bild von der Bevölkerung zu machen, hatte die Krone bereits 1539 in der ordonnance de Villers-Cotterêts den Pfarrern der Kirchengemeinden die jährliche Ablieferung von Zivilstandsregistern auferlegt. Dies lag insofern nahe, als die Kirche bereits im Spätmittelalter begonnen hatte, Taufregister zu erstellen, die seit dem Beginn der Neuzeit um Heirats- und Sterberegister ergänzt wurden – auf dem Konzil von Trient (I.5.a) wurden 1563 schließlich genaue Vorschriften für die Führung dieser Register erlassen, um eine exakte Erfassung und Kontrolle der Gläubigen zu ermöglichen. Es dauerte, bis diese Regelungen übernommen wurden und die Führung der Register einigermaßen funktionierte. Auch verzeichneten diese Register lediglich Taufen, Heiraten und Sterbefälle und nicht etwa die Anzahl und Zusammensetzung der Bevölkerung. Gleichwohl ist mit Blick auf die Erfahrungswelt der Menschen interessant, dass existentielle Wendepunkte des Lebens zuerst im Rahmen der Kirche vollzogen, erfasst und registriert wurden. Ganz buchstäblich gehörten die Menschen zuerst einer Kirchengemeinde an, ehe sie als Untertanen des französischen Königs fassbar wurden. Andererseits ist bemerkenswert, dass der sich herausbildende französische Staat kirchliche Strukturen nutzte, um Informationen über die Bevölkerung zu gewinnen. Die enge Verbindung zwischen Staat und Kirche im Frankreich des Ancien Régime hat dies erheblich erleichtert.

Nur wenige hohe Angehörige der staatlichen Verwaltung hatten Zugang zu den als Geheimwissen eingestuften bevölkerungsstatistischen Daten. Immer ging es bei diesen Erhebungen vorrangig um fiskalische Fragen – um den wachsenden Geldbedarf des im Ausbau befindlichen Staates und um die Frage, wie diese Last am besten zu verteilen war. Die Bevölkerung geriet also v. a. als Abschöpfungsobjekt in den Blick.

Ergebnisse der demographischen Forschung

Die demographische Forschung geht für den Beginn des 17. Jahrhunderts (bezogen auf das französische Territorium des Jahres 1700) von einer Gesamtbevölkerung von 18 bis 21 Mio. Personen aus. Die Zahlen der Historiker differieren, was angesichts der Ungenauigkeit der Quellen nicht überrascht; in jüngerer Zeit sind sie eher nach oben korrigiert worden. Bis etwa 1640 dürfte die Bevölkerung noch etwas gewachsen sein, auf ca. 19 bis 22 Mio. In den folgenden Jahrzehnten bis 1715 sind starke Schwankungen festzustellen, wobei eine Obergrenze, die bei 20 bis 24 Mio. liegt, nicht überschritten, wohl aber kurzfristig deutlich unterschritten wurde. Erst nach dem Tod Ludwigs XIV. setzte dann ein relativ kontinuierlicher Bevölkerungsanstieg ein, im Rahmen dessen die bis dahin nie überschrittene Grenze der 20 bis maximal 24 Mio. deutlich überschritten wurde.

Mit seiner Bevölkerung übertraf Frankreich die meisten anderen zeitgenössischen Gemeinwesen. Einzig das Heilige Römische Reich hatte um 1700 mit 19 bis 22 Mio. eine vergleichbare Bevölkerung; ganz Europa zählte ca. 120 Mio., Spanien etwa 7,5 Mio., England mit Schottland und Irland ca. 9,5 Mio. Die 18 bis 24 Mio. Einwohner Frankreichs entsprachen bei einem Territorium von 500.000 km2 einer Bevölkerungsdichte von etwa 40 Einwohnern/km2. Dies war unter den ökonomischen, sozialen und politischen Bedingungen der Frühneuzeit ein sehr hoher Wert. Die Bevölkerung war freilich unterschiedlich verteilt. Während die Bevölkerungsdichte in stärker urbanisierten Regionen wie der Ile de France, der Normandie und im Norden 50 Einwohner/km2 z. T. deutlich überstieg, waren die Champagne, das Zentrum und die südlich an die Loire angrenzenden Gebiete relativ dünn besiedelt.

Der Großteil der französischen Bevölkerung, etwa 85%, lebte im 17. Jahrhundert auf dem Lande, nur knapp 15% in Städten, mit im Laufe des Jahrhunderts leicht steigender Tendenz. Damit war Frankreich im Vergleich zu den Niederlanden und England ein relativ wenig urbanisiertes Land. Allerdings sind solche Zahlen nicht unproblematisch, da das Stadtrecht nichts über die Anzahl der Bewohner und die Art ihres Zusammenlebens aussagt. Unter den Städten des Königreichs kam Paris eine Ausnahmestellung zu. Um 1700 zählte es bereits ca. 530.000 Einwohner, gefolgt von Lyon mit 97.000, Marseille mit 75.000, Rouen mit 60.000 und Lille mit 55.000 Einwohnern (zum Vergleich: Wien hatte damals etwa 115.000 Einwohner, Hamburg 70.000, Köln kaum 40.000). Es folgten mit über 40.000 Einwohnern Bordeaux, Nantes, Orléans und Toulouse sowie mit über 30.000 Einwohnern Caen, Amiens, Angers, Dijon, Tours und Metz. Bemerkenswert ist dabei die Kontinuität zum heutigen Frankreich. Alle genannten Städte gehören heute zu den französischen Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnern – und es sind kaum neue Städte hinzugekommen.

Determinanten der demographischen Entwicklung

Betrachtet man einige Determinanten der demographischen Entwicklung, frappiert zunächst die hohe Sterblichkeit, insbesondere unter Kindern und jungen Menschen. Von 1.000 Neugeborenen erlebten zwischen 250 und 300 nicht ihren ersten Geburtstag, weitere 180 starben vor dem fünften Geburtstag und weniger als die Hälfte erreichte das übliche Heiratsalter (ca. 25 Jahre). Angesichts dieser Zahlen überrascht nicht, dass die durchschnittliche Lebenserwartung auch gegen Ende des Jahrhunderts noch unter 30 Jahren lag. Wer die Kindheit überlebte, hatte allerdings insbesondere im privilegierten sozialen Umfeld vergleichsweise große Chancen, relativ alt zu werden.