Das Jazz-Gitarristen Buch - Henning Dathe - E-Book

Das Jazz-Gitarristen Buch E-Book

Henning Dathe

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Beschreibung

Das Buch wurde geschrieben für fortgeschrittene Musiker/innen, deren Instrument die Jazz-Gitarre ist und welche sowohl ihre technischen Fertigkeiten ausbauen als auch ihren musiktheoretischen Horizont erweitern wollen. Beim Lesen oder Stöbern sind zur Erlangung des besten persönlichen Nutzens grundlegende Kenntnis elementarer musikalischer Begriffe sowie Banderfahrung hilfreich. Die präsentierten 80 Unterrichtseinheiten umfassen ein breites Spektrum von Gehörbildung über Technik, Akkorde und deren Verbindungen bis zur Theorie. Sie münden in die Praxis des Jazz: Der Improvisation und ihrer Begleitung. Über 100 aus der langjährigen Lehrtätigkeit des Erstautors hervorgegangene Übungen regen zum Erforschen des vorgestellten Materials an.

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Das Buch wurde geschrieben für fortgeschrittene Musiker(innen), deren Instrument die Jazz-Gitarre ist und welche sowohl ihre technischen Fertigkeiten ausbauen als auch ihren musiktheoretischen Horizont erweitern wollen. Beim Lesen oder Stöbern sind zur Erlangung des besten persönlichen Nutzens grundlegende Kenntnis elementarer musikalischer Begriffe sowie Banderfahrung hilfreich. Die präsentierten 80 Unterrichtseinheiten umfassen ein breites Spektrum von Gehörbildung über Technik, Akkorde und deren Verbindungen bis zur Theorie. Sie münden in die Praxis des Jazz: Der Improvisation und ihrer Begleitung. Über 100 aus der langjährigen Lehrtätigkeit des Erstautors hervorgegangene Übungen regen zum Erforschen des vorgestellten Materials an.

Einleitung: Was ist Improvisation?

Improvisation ist Komposition in Echtzeit. Um unter einem solchen Zeitdruck arbeiten zu können, greift man besser auf bewährte Elemente zurück. Improvisation ist also ein Baukastensystem. Den guten Improvisator unterscheidet vom schlechten nur die Größe seines Baukastens. Und die Geschwindigkeit, mit der er die Teile zu Tage fördert. Und der Einfallsreichtum, mit dem er die Bauteile immer wieder neu zusammensetzt. Die verbreitete Vorstellung, Improvisation sei ein freies Ergießen von Einfällen, ist zu einfältig und führt zu sozial unverträglichen Improvisationen.

Musiktheorie ist keine Theorie im Sinne eines alles umspannenden Gedankengebäudes, sondern eine historisch gewachsene Ansammlung von Erklärungsversuchen. Um sich einem so hochgradig subjektiven Phänomen wie der Musik zu nähern, sind verschiedene Sichtweisen unumgänglich. Scheinbar konkurrierende Erklärungen sind nur andere Perspektiven eines sich in seiner Gesamtheit dem Einzelnen verschließenden Phänomens.

Im Grunde besteht eine umfassende Gitarrenschule darin, ein beliebiges Buch über allgemeine Musiklehre auf die Gitarre zu übertragen. Insbesondere die Details über Harmonielehre und Rhythmik sind zentral. Warum hat nicht schon längst jemand damit angefangen? Vielleicht, weil die gängigen Erklärungsmuster der Lehrbücher den Leser mit Skalentheorie einlullen und damit von wesentlichen Einsichten abhalten?

Eine Skala, speziell eine siebentönige, ist eine Ansammlung von Tonmaterial, weiter nichts. Sie sagt einem nicht, welche Töne gut und welche weniger gut sind. Sie sagt einem auch nicht, welcher Ton als nächstes zu spielen sei. Die Skalentheorie ist bei Kenntnis der Vierklänge nichts weiter als eine Theorie über drei Töne: nämlich die Optionen 9, 11 und 13. Warum dann nicht gleich einfacher?

Diese Arbeit ist der Versuch, einige der einfacheren Erklärungen zu versammeln und sie auf die Gitarre zu übertragen. Einfach bedeutet dabei 1, 2, 3, 4, . . . : Ein Ton ist einfacher als ein Intervall, ein Intervall ist einfacher als ein Dreiklang, dieser ist einfacher als ein Vierklang, eine Pentatonik und schließlich eine Skala. Das ist auch gleichzeitig die Methodik. Eine Erklärung mittels Dreiklängen etwa ist einer über Skalen vorzuziehen. Bei Gitarristen ist, des Griffbrettes wegen, Chromatik einfacher als Diatonik. Als Abweichung von der obigen Regel sind chromatisch motivierte Erklärungen demnach anderen vorzuziehen.

Eine Melodie kann als Abfolge von Tönen, Intervallen, Dreiklängen usw. begriffen werden. Je näher aber die Denke des Improvisators an der Melodie als simpler Abfolge von Tönen (oder Tonstufen zum jeweiligen Akkord) ist, umso weniger hat dieser eine Schule nötig. Das geht natürlich nur einher mit einem profunden Schatz an gehörmäßig-intuitiv verstandenen musikalischen Phänomenen. Gehörbildung ist dazu unabdingbar. Die simple Anweisung: »Spiele Akkordtöne und verbinde sie« ruft bei Musikern, die etwa mit einer Quinte nichts außer niederschreibbaren Dingen verbinden, höchstens Verwirrung oder Angstzustände hervor. Und dabei ist dies schon die halbe Anleitung zur Improvisation.

Der klassische Weg zum Jazz über das Heraushören und Aufschreiben von Themen, Harmoniefolgen und Improvisationen ist nach wie vor an Effektivität nicht zu überbieten. Ganze Generationen von Musikern beschritten ihn erfolgreich ohne gedruckte Jazz-Schulen. Und machten sich ihre Gedanken. Und schrieben diese für ihre Schüler auf. Da genau liegt das Problem: Musik ist kein geschriebenes, sondern ein hörbares Phänomen. Und das muss jeder mühevoll für sich neu herausfinden.

Man sieht nur, was man weiß. Man denkt nur, was man benennen kann. Oder besser gesagt, was in einem als Empfindung abgebildet ist. Deswegen muss jedes musikalische Phänomen zur Verarbeitung in einer Improvisation mit einem Eindruck bzw. einer Empfindung verbunden sein. Die Begriffe für die Phänomene sind demnach zweitrangig, wichtig sind sie nur zur verbalen Kommunikation.

Erst dann, wenn von mehreren Personen eine Ansammlung solcher gefühlter Phänomene mit intersubjektiver Bedeutung zu hören ist, entsteht Musik, die mehr ist als die Summe ihrer Einzelteile. Eine solche Interaktion findet aus Gründen der Einfachheit meist nur innerhalb gewisser stilistischer Grenzen statt. Solche Idiome gehören mit zur Intention und damit zur gesprochenen oder zu erlernenden musikalischen Sprache. Ich halte sie für weniger einschränkend, als es Anhängern anderer Stilrichtungen vorkommt. Gerade das Nebeneinander verschiedener Perspektiven macht Musik farbig.

Henning Dathe

Foto: Klaus-Peter Wittemann, Göttingen

Carsten Kutzner

Foto: Linda Markowski, Bad Arolsen

Über diese Gitarrenschule

Diese Gitarrenschule besteht aus Unterrichtseinheiten, die sich im Laufe meiner Tätigkeit als privater Gitarrenlehrer und an der Freien Musikschule am Wall in Göttingen herauskristallisiert haben. Der Unterricht fand meist mit fortgeschrittenen, erwachsenen Wiedereinsteigern oder besonders motivierten Jugendlichen statt.

Ein Glücksfall ist für mich die Zusammenarbeit mit Carsten Kutzner, der, wie ich, Gitarrist und promovierter Physiker ist. Wenn man vor hat, für Schüler neue Phänomene zu beschreiben, sind eine gemeinsame außermusikalische Sprache und ein geeignetes Satzsystem Gold wert. Diese Schule wurde bis auf wenige schlecht im Unterricht zu vermittelnde Einheiten dankenswerterweise von Carsten in LATEX gesetzt und wäre sonst vermutlich niemals aufgeschrieben worden.

Das Buch erhebt bewusst keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Schüler sollen selbständig musikalisch denken und handeln lernen. Unterhalb des Transferniveaus ist Improvisation sowieso unmöglich. Daher biete ich gezielt einfache Erklärungsversuche an und zeige Strukturen auf, an denen sich das Verständnis festmachen kann. Die Erkenntnisse verstehen und auf die Finger übertragen muss jeder für sich. Zahlreiche mit einem Pick gekennzeichnete Übungen zeigen, wie das Gelesene in die Praxis übertragen werden kann. Noch besser ist es allerdings, sich eigene Übungen auszudenken und durchzuführen: Selber üben macht flink. Selber denken macht schlau.

Die Säulen dieser Schule sind die acht Kapitel Gehörbildung, Empirie, Technik, Akkorde, Akkordverbindungen, Skalen, Theorie und Anwendungen von Theorie. Gehörbildung (Kap. 1) ist unverzichtbar zum Verständnis der Grundbegriffe und für eine Musik, die mit anderen kommunizieren will. Empirie (Kap. 2) versucht das stilistische Umfeld des Jazz näher dingfest zu machen und an gängige Konventionen heranzuführen. Ich habe diesem Punkt die wichtige Rhythmik einverleibt. Technik (Kap. 3) ist klar: je mehr man davon hat, um so unabhängiger ist man von den Zwängen seines Instrumentes. Sie sollte aber nicht zum Selbstzweck verkommen. Akkorde (Kap. 4) sind die Basis der Harmonieverbindungen. Ihre Klänge sollten besser als Ganzwort empfunden als durch zergliedernde Analyse zu verstehen versucht werden. Akkordverbindungen (Kap. 5) sind der erste Sprung zur Zeitabhängigkeit. Ihre Abfolgen mit den ihnen innewohnenden Linien sind das Rückgrat jeder Improvisation. Die beiden Kapitel Skalen und Theorie (6 – 7) sind gut für Fingerübungen und Hintergrundwissen, wogegen Akkordtöne besser für die Praxis sind. Die Erörterungen über Skalen gehen absichtlich über den üblichen Umfang der Bücher über Skalentheorie hinaus. Mag jeder seinen Nutzen daraus ziehen und sich gleichzeitig ein Bild über dieses Gedankengebäude machen. Das Kapitel 8, Anwendungen von Theorie, schlägt eine Brücke von den theoretischen Erkenntnissen zur Praxis.

Jeder der Abschnitte eines Kapitels ist ursprünglich aus einer ca. 45-minütigen Unterrichtseinheit hervorgegangen. Innerhalb der Kapitel sind die Einheiten ungefähr nach steigendem Schwierigkeits- oder Abstraktionsgrad geordnet. Im Unterricht werden die Themen allerdings so gut wie nie in der hier vorgefundenen thematischen Sortierung durchgenommen, sondern nach Bedarf und der jeweiligen Vorbildung ausgewählt. Auch beim Selbststudium sollte deshalb die Abfolge der Einheiten entsprechend den persönlichen Vorkenntnissen gewählt werden! Warum nicht an interessanter Stelle einsteigen und sich dann von den Querverweisen zum weiter Stöbern ermuntern lassen?

Göttingen, den 7. August 2016 und früher

Henning Dathe.

Konventionen und Abkürzungen

c c d e e . . .

Klein geschriebene Buchstaben beziehen sich auf Einzeltöne. Wir verwenden die schwedische Konvention, nach der der Buchstabe b zugunsten der eindeutigen Symbole b und h eliminiert wird.

C C D E . . .

Groß geschriebene Buchstaben auf Akkorde oder Tonarten. Das Tongeschlecht »moll« wird statt mit einem »m« mit einem Querstrich » – « abgekürzt. Auch hier wird der Buchstabe B zugunsten von H bzw. B vermieden.

1, 3, 5, 7

II-V-I

Römische Zahlen beziehen sich auf Stufen von Akkorden relativ zur Grundtonart, also II in C-Dur z. B. auf D-Moll.

Übung 0:

Dies weist auf eine praktische Übung hin, die der Gitarrenschüler durchführen sollte. Natürlich kann und sollte das dargestellte Material zusätzlich in umfangreichen selbst ausgedachten Übungen erlernt werden!

temperiert

Kursive Schrift hebt einen neu eingeführten Ausdruck hervor.

JOE PASS

Kapitälchen werden für Personen verwendet.

»So What«

Titel von Jazz-Standards (und Titel von Büchern) stehen in Anführungszeichen.

Loops.mp3

Dateinamen des zugehörigen Audiomaterials sind in Schrift mit fester Laufweite gedruckt (Download unter http://wwwuser.gwdg.de/~ckutzne/gitb-loops/).

Skalen

(speziell siebentönige) KT Kirchentonleitern, MMA Melodisch Moll aufsteigend, HM Harmonisch Moll, MD Molldur; HTGT Halbton-Ganzton Skala, GTHT Ganzton-Halbton Skala, GT Ganztonleiter.

T, S, . . .

Buchstaben in serifenloser Schrift stehen für Akkordfunktionen:

T

Tonika

t

Molltonika

S

Subdominante

s

Mollsubdominante

D

Dominante

d

Moll»dominante«

Tp

Tonika-Parallele

Tg

Tonika-Gegenklang

Sp

Subdominant-Parallele

TG

Tonika-Gegenklang in Dur

Dp

Dominant-Parallele

TP

Tonika-Parallele in Dur

tP

Parallele der Molltonika in Dur

tG

Gegenklang der Molltonika in Dur

TV

Tritonus-Vertauschte

U(A)

Umkehrung des Akkordes A

SS

Doppelsubdominante, d. h. die Subdominante der Subdominante

123456789ABC

Die Unterrichtseinheiten nach Thema

1 Gehörbildung

1.1 Unabdingbare Übungen

1.2 Intervalle hören

1.3 Dreiklänge und deren Bezeichnungen

1.4 Stufen und Funktionen orten

1.5 Vierklänge erkennen

1.6 Tonleitern

1.7 Rhythmus und Timing

1.8 »Getting it together«: Stücke und Improvisationen raushören

2 Empirie

2.1 Standards

2.2 Häufige harmonische Wendungen

2.3 Licks über Standardharmonieverbindungen

2.4 Konventionen über Tonstufen

2.5 Rhythmische Stereotypen als Basiswissen für Begleitarbeit / »Comping«

2.6 Transkriptionen

2.7 Der Beat und die Mikrotime

2.8 Phrasierung

2.9 Quellenkunde

2.10 Zitate

3 Technik

3.1 Stimmen

3.2 Wartung der Gitarre

3.3 Fingersätze einer Pentatonik

3.4 Fingersätze einer beliebigen Skala

3.5 Tonleitern intervallisch, Sequenzen und Arpeggien

3.6 Vorausschauende Fingersätze am Beispiel von Kirchentonleitern in einer Lage

3.7 Fingerübungen

3.8 Oktavtechnik

3.9 Drei Finger pro Saite

3.10 Übungen für die rechte Hand

3.11 Übungen für die linke Hand

3.12 Beidhändige Koordinationsübungen

3.13 Tonbildung

4 Akkorde

4.1 Akkordsymbolschrift

4.2 Fahrtenliedergriffe

4.3 Standardakkorde

4.4 Dreiklänge

4.5 Vierklänge

4.6 Pentatonische Akkorde

4.7 Four-String-Technik: Akkordumkehrungen aus gitarristischer Sicht

4.8 Übermäßiger Dreiklang und verminderter Vierklang: ein Königsweg

4.9 Akkordumkehrungen und Voicings

4.10 Akkordsubstitution

4.11 Universalakkorde und Universalvoicings

4.12 Slash-Akkorde

5 Akkordverbindungen (»Changes«)

5.1 Statik: Ein Akkord

5.2 Zwei-Akkord-Wechsel

5.3 Drei Akkorde: Kadenzen

5.4 Die 1625-Verbindung als zyklische Kadenz (Vier Akkorde)

5.5 Rhythm-Changes

5.6 Der Blues und seine Verwandten

5.7 Vamps

5.8 Universalübungen

5.9 Turnarounds

5.10 Nebendominanten

5.11 Reharmonisation

5.12 Solostücke und Akkordsolos

6 Skalen

6.1 Kirchentonleitern

6.2 Begrenzt transponierbare Modi

6.3 Sechs Wege zur alterierten Skala

6.4 Heptatonische Skalen aus Dreiklangskadenzen

6.5 Pentatoniken und Heptatoniken

6.6 Moll-/Durtonikaleiter und Bluestonleiter

6.7 Pentatonik über Vierklänge

6.8 Siebentönige Skalen ohne chromatische Abschnitte

6.9 Andere siebentönige Skalen

6.10 Skalentheorie als Auszähl-Übung

6.11 Alterierte und weitere Pentatoniken

7 Mehr Theorie

7.1 Ein-Ton-Alterationen aller Dreiklänge

7.2 Rhythmische Patterns als Auszähl-Übung

7.3 Obertöne und Konsonanzkriterien

7.4 Andere temperierte Stimmungen

7.5 Der Weg des Signals

8 Anwendungen von Theorie: Improvisation

8.1 Verkürzte Improvisation (P)

8.2 Solo schreiben (P)

8.3 Minimalanalyse (P)

8.4 Vertikalanalyse (Pianorollendarstellung) und Joy-Lines

8.5 Grundtondynamik

8.6 Heptatonische Analyse

8.7 Pentatonische Analyse

8.8 Ghost-Changes und Reharmonisation (P)

8.9 Statistische Soloanalyse

9 Anhang

9.1 Formblätter zum Kopieren

9.2 Siebentönige Skalen

9.3 Umkehrungen anderer siebentöniger Skalen

9.4 Systematisches Skalenverzeichnis

9.5 Die Werte der Gradus-Funktion

9.6 Audio-Loops als Sounddateien

9.7 Weiterführende Literatur

Sach- und Personenregister

1 Gehörbildung

Abb. 1.1: Das »magische Viereck«. Ein Jazz-Solo zu spielen ist wie eine freie Rede zu halten. Ohne eine solide Basis aus Wissen und Können geht es nicht. Gehörbildung unterstützt beides. Komponieren entspricht hier dem systematischen Schreiben.

Gehörbildung dient der instantanen Orientierung beim Hören. Genau wie das Auge trainiert ist, Farben und Formen auf Anhieb zu erkennen, kann das Ohr trainiert werden, Intervalle, Tonleitern und Akkorde zu erkennen. Ziel der Gehörbildung ist es, jedem musikalischen Phänomen (Intervall, Harmonie, Rhythmus) eine Empfindung zuzuordnen:

musikalisches Phänomen ⇔ Empfindung

Die meisten dieser Übungen werden am Besten mit einem Übungspartner zusammen durchgeführt. Es gibt aber auch gute Computerprogramme zur Gehörbildung, wie etwa das freie »Solfege«.3 Auch konventionelle Lehrmedien6 sind hilfreich.

1.1 Unabdingbare Übungen

Nachsingen: Einer spielt eine Phrase vor, der Andere singt sie nach. Ohne Übungspartner behilft man sich und singt Phrasen von Aufnahmen nach. Das ist auch generell für das Heraushören von Themen oder Soli hilfreich.

Tab. 1.1: Die Intervalle auf dem Griffbrett und deren Bezeichnungen. Hier sind die Intervalle relativ zur Leersaite angegeben. Es ist üblich, die Intervalle in Akkordsymbolschrift in Zweierschritten anzuordnen, also als ungerade Zahlen 1, 3, 5, 7, 9, 11, 13. Daher die Darstellung in der Doppeloktave. Damit ist eine 7-tönige Skala definiert.

1 Oktave I

2 Oktave II

3 Quinte I

4 Quinte II

5 Quarte

6 große Terz

7 große Sexte

8 kleine Terz

9 große Sekunde

10 kleine Sexte I

11 kleine Sexte II

12 kleine Septime

13 große Septime

14 Tritonus

15 kleine Sekunde

Abb. 1.2: Die Intervalle wie man sie greift, ohne offene Saiten zu benutzen. Die Intervalle sind nach ihrem Grad der Konsonanz sortiert (s. Abb. 7.4): am Anfang steht die Oktave als konsonantestes Intervall, am Ende die kleine Sekunde als dissonantestes.

Mitsingen: beim Selber spielen. Da man ab und zu Luft holen muss, begrenzt das die Phrasenlänge nebenbei auf ein sinnvolles Maß. Bläser müssen das ohnehin, und diese waren meistens stilbildend im Jazz.

»Schneebälle zuwerfen«: Der Eine spielt eine kurze Phrase vor, der Andere spielt sie nach. Beim Solistenwechsel innerhalb eines Stückes kann das Nachspielen der letzten Phrase des vorangegangenen Solisten einen schlüssigen Übergang zum eigenen Solo knüpfen.

1.2 Intervalle hören

Ziel dieser Übungen ist es, ein Klangempfinden für Intervalle zu entwickeln. Man soll einfach »wissen«, wie sich eine große Terz, reine Quarte oder übermäßige None anhört. Die Intervalle sind samt Bezeichnungen und Spielweise in den Abbildungen 1.1 und 1.2 zusammengestellt. Am Wichtigsten sind natürlich die Intervalle innerhalb einer Oktave bzw. kurz darüber hinweg, also von der Prim bis etwa zur None. Ein nettes Vehikel, um sich Intervalle schneller einzuprägen, können bekannte Liedanfänge verschiedener Stilistiken sein, siehe z.B. im »ABC Musik«,57 Abschnitt 155, oder bei Aebersold.5 Die Übungen können wie folgt variiert werden:

Nacheinander oder gleichzeitig: Beide Intervalltöne werden nacheinander gespielt (»melodische Intervalle«). Einer spielt, der Andere hört heraus, um welches Intervall es sich handelt. In einer zweiten (schwierigeren) Übung werden beide Intervalltöne gleichzeitig gespielt (harmonische Intervalle).

Relativ zueinander oder zum Bezugston: Man kann die Töne relativ zueinander (etwa in ihrer Aufeinanderfolge) orten oder alle auf einen festen Bezugston beziehen (z. B. auf die auf das tiefe c oder d herunter gestimmte tiefe e-Saite).

Diatonisch oder chromatisch: Man kann sich auf eine Tonleiter (z. B. Durtonleiter) beschränken oder alle Töne zulassen.

Um den Schwierigkeitsgrad allmählich zu steigern, beschränkt man sich zuerst auf die wichtigsten Intervalle, bevor man mehr und mehr hinzunimmt:

Nur sehr konsonante Intervalle: Oktaven, reine Quarten und reine Quinten

. . . + kleine und große Terzen

. . . + kleine und große Sekunden

. . . + kleine und große Sexten (sind Kehrintervalle von Terzen)

. . . + kleine und große Septimen und Tritonus

. . . + Intervalle jenseits der Oktave

1.3 Dreiklänge und deren Bezeichnungen

Wir wollen uns hier auf die klassischen Dreiklänge beschränken, die aus einer Schichtung von Terzen (groß und klein) bestehen, siehe auch Kap. 4.4.1. Diese Dreiklänge befinden sich in Abb. 7.2im inneren Fünfeck. Jeder Ton darf natürlich in jeder beliebigen Oktave erklingen!

Dreiklang als Ganzwort: Lerne, die Dreiklänge Dur, Moll (–), vermindert (○) und übermäßig (+) zu erkennen. »Als Ganzwort« bedeutet, dass jeder Dreiklang von Deinem Übungspartner (oder einem Computer) als Ganzes angeschlagen werden soll (und nicht als Arpeggio).

Als geordnete Tonmenge: Lasse Dir Dreiklänge vorspielen und erhöre, wo sich die Einzeltöne im Akkord befinden. Ist die Quinte ganz oben oder die Prim? Wo ist die Terz? Für jeden Akkord soll zugeordnet werden, wo die 1, 3, und 5 ist (unten, in der Mitte oder oben). Der tiefste Ton benennt die »Stellung«, der höchste die »Lage«.

Als Intervallstapel: Erkenne und benenne die Intervalle in vorgespielten Dreiklängen. Durch Umkehrungen und Oktavierungen entstehen in Dreiklängen Intervalle jenseits der Terz, z. B. Sext- oder Quartsextakkorde, siehe Tab. 4.2.

1.4 Stufen und Funktionen orten

Innerhalb von Kadenzen: Welcher Akkord in einer vorgespielten Kadenz ist die Tonika? Welcher die Dominante? Welche Funktionen können noch zugeordnet/erhört werden?

Im diatonischen Zusammenhang / Volkslieder begleiten nach Gehör: Versuche, ein Volkslied ausschließlich mit den Akkorden aus einer Tonleiter zu begleiten. Das ist bei den meisten Volksliedern problemlos möglich: Da ein beliebiger Ton einer gegebenen Tonleiter mindestens einmal in T, S oder D enthalten ist, lässt sich ein diatonisches Lied mit allein diesen drei Akkorden harmonisieren (vgl. auch Abschnitt 6.4):

Durtonleiter12345678/1Funktion1(T)3(T)5(T)des5(D)7(D)1(D)3(D)Tons5(S)1(S)3(S)

Der Grundton (1) der Durtonleiter ist beispielsweise in der Tonika T als Prim sowie in der Subdominante S als Quinte enthalten. So kann jeder leitereigene Ton mit mindestens einem, manchmal sogar zwei verschiedenen Akkorden harmonisiert werden. Nicht-leitereigene oder sehr kurze Töne sind meist Durchgangstöne, die nicht extra harmonisiert werden.

1.5 Vierklänge erkennen

1.6 Tonleitern

Verschiedene Tonleitern sollen beim Hören erkannt werden. Die Einzeltöne sollten dabei natürlich nacheinander vorgespielt werden. Man beschränkt sich sinnvollerweise zuerst auf die gängigsten Tonleitern und nimmt, sofern diese mühelos erkannt und unterschieden werden, nach und nach weitere hinzu. Eine Zusammenstellung siebentöniger Skalen findet sich z. B. in Tab. 6.7.

Starte z.B. mit Ionisch, Äolisch, Mixolydisch, Dorisch

. . . plus restliche Kirchentonleitern

. . . plus harmonisch und melodisch Moll

. . . plus andere Modi aus harmonisch / melodisch Moll

. . . plus exotische Skalen oder Modi, wenn man möchte.

Als Entscheidungshilfe zum Erkennen einer vorgespielten Skala beantworte man die Fragen

Ist es eine Dur- oder Molltonleiter? Ist sie überhaupt tonal?

Hat sie eine große oder kleine Septime?

Welche Sexte? Groß oder klein?

Welche None? Groß, klein oder gar übermäßig?

1.7 Rhythmus und Timing

Klopfübungen: Mache Dich mit binären, ternären und Polyrhythmen vertraut. Dazu sollen unterschiedliche rhythmische Patterns mit den Händen geklopft werden, beim 3 : 2 triolischen Feeling macht die linke Hand 3 Schläge pro Takt, die rechte 2. Erlerne auch 4 : 3, 5 : 3 und wechsele die Hände dabei ab. Der Rhythmus muss »rollen«! Mache Dir zuerst klar, wo welche Schläge hinkommen, z. B. für das 3 : 2 Feeling: das kleinste gemeinsame Vielfache von 3 und 2 ist 6, man kann also in Teilen von 6 denken:

1 2 3 4 5 6

l . l . l . linke Hand: 3 Schläge pro Takt

r . . r . . rechte Hand: 2 Schläge pro Takt

Tipp für 4 : 3 oder 5 : 3: Da die Hirnzentren, welche die Hände und die Füße steuern, weit auseinander liegen (ebenso wie die beiden Hirnhälften für rechts und links), ist es einfacher, die 3 Schläge mit dem linken Fuß und die 4 Schläge mit der rechten Hand zu machen (als alle Schläge mit den Händen).

Klopfe auch die Übungen aus Kap. 2.5.2. Ziel ist es, diese in einem Stück ggf. wiederzuerkennen.

Zum Metronom / Echogerät spielen: Ein wichtiger Tipp zum Üben ist es, das Timing genau einzuhalten. Lieber etwas langsamer, aber dafür präziser spielen; das erhöht die Qualität der Musik enorm. Im stillen Kämmerlein richtet man sich daher nach einem Metronom. Interessant ist auch die Synchronisation mit einem Echogerät, welche nicht nur auf Vierteln oder Achteln beruhen muss. Dann nämlich ergeben sich interessante polyrhythmische Effekte.

1.8 »Getting it together«: Stücke und Improvisationen raushören

Alles bisher im Kapitel 1 Behandelte kann als Vorübung für die »Meisterdisziplin«, das flüssige Heraushören von Musik, angesehen werden. Ein Computerprogramm (wie z. B. das frei erhältliche Audacity1) oder ein CD/MP3-Player mit A-B Funktion vereinfacht diese Aufgabe enorm. Damit kann man sich den Song oder das Solo Stück für Stück vornehmen und immer wieder abspielen lassen, bis man alles herausgehört hat und man zum nächsten Teil fortschreitet. Je nach Erfahrung und Schwierigkeit des musikalischen Ausschnitts sollte so ein Stück einen oder mehrere Takte lang sein, oder auch nur ein Bruchteil eines Taktes. Für sehr knifflige Passagen hilft es, das Tempo z. B. auf die Hälfte herunterzudrehen.

Am Besten, man konzentriert sich innerhalb eines herauszuhörenden Stückes nacheinander auf die folgenden Punkte.

Melodie: Erst mal den Ton finden. Hierbei hilft es in schwierigen Fällen die Stelle herauszuvergrößern, zu markieren und zyklisch abzuspielen.

Rhythmik: Dazu klopft man den Takt oder zählt die Schläge laut. Die Summe der bisherigen Notendauern muss dann die Einsatzzeit der erhörten Note ergeben.

Harmoniefolge: Hier spielt die Basslinie eine große Rolle. Erst durch den gespielten Akkord erschließt sich die Interpretation einer Note.

Die Reihenfolge wird dabei nach Geschmack gewählt. Das Fernziel dieser Übung ist, ein Stück so schnell wie möglich herauszuhören — idealerweise in Echtzeit! Mit dieser Fähigkeit findet man z. B. auf Sessions in unbekannte Stücke schnell einen Einstieg.

2 Empirie

In diesem Kapitel soll es darum gehen, wie man sich mit der üppigen Menge an vorhandenem Songmaterial auseinandersetzt, um am Beispiel zu lernen. Je nach herausgegriffenem Stück lassen sich dabei unterschiedliche Fähigkeiten erarbeiten und trainieren.

Das »Empirie«-Kapitel steht dabei bewusst am Anfang dieses Buches, denn die Kenntnis von Jazz-Idiomen wird am besten durch Jazz-Songs selber transportiert: Alles, was eine Jazz-Theorie zu erklären versucht, ist letzten Endes schon aus der Gesamtmenge der Jazz-Titel abstrahiert. Eine gute Theorie kann einem nur dann das Verständnis von Jazz-Songs erleichtern, wenn man bereits eine gewisse Grundvertrautheit mit dem Jazz mitbringt.

2.1 Standards

Standards eignen sich bestens, um sich einen Überblick über die maßgeblichen Grundbausteine der Musik zu verschaffen, insbesondere über die harmonischen und melodischen. Den Begriff »Standard« kann man durchaus in einem sehr weiten Sinn auffassen, denn jedes gute Stück taugt zum Standard, nicht nur die allseits bekannten Jazz-»Standards«!

Zu jedem musikalischen Phänomen oder Lernziel lässt sich mindestens ein, bzw. lassen sich meist sogar mehrere Standards finden, die als prototypisches Beispiel dienen (Tab. 2.1 – 2.2 sind solche Beispiele). Um eine große spielerische Flexibilität zu entwickeln, ist es demzufolge hilfreich, sich viele Standards anzueignen und sie auswendig spielen zu lernen.

Mit der eigenen musikalischen Vielseitigkeit im Hinterkopf beantworte man sich folgende Fragen, die auch als Lernanstöße zu verstehen sind:

Umfang: Wie viele und welche Standards kenne ich auswendig? Auswendig kennen heißt: Ich kann das Thema spielen, sowie die Harmonien (beides ggf. transponiert), und ich kann darüber improvisieren.

Idiome: Welche Idiome beherrsche ich? Idiome sind hier als Stilistiken aufzufassen, also z. B. Dixieland, Swing, Bebop, Hardbop, Modern Jazz, Modal Jazz, Free Jazz, Electric Jazz, Funk, Blues, Bossa Nova, Salsa, . . . Beherrschen heißt hier auch wieder: sowohl fundiert begleiten als auch darüber improvisieren können.

Tonarten: Welche Tonarten beherrsche ich? Habe ich »starke« und »schwache« Tonarten (eher eine Frage an Bläser)? Macht es einen Unterschied, in welcher Lage ich bin?

Tongeschlechter: Welche Tongeschlechter bzw. Modi beherrsche ich? Für Gitarristen, die typischerweise von der Mollpentatonik und der Bluestonleiter her kommen, ist Moll natürlicher und einfacher zu spielen.

Tempi: Bei welchen Tempi fühle ich mich wohl? Ist bei Uptempo Stücken meine Technik souverän genug? Auch langsame Tempi haben ihre Tücken: Balladen stellen z. B. hohe Anforderungen an die Phrasierung / Artikulation beim Vortragen / Interpretieren des Themas und an das Timing während der Improvisation.

Rhythmen: Welche Rhythmen beherrsche ich? Nur den üblichen 4/4 Takt oder auch 6/8 und 3/4 (Walzer)? Habe ich ein Gespür für die »kleine« 1 und sitze ich auch bei ungeraden Taktarten (z. B. 5/4, Take Five) noch fest im Sattel?

Formen: Welche Formen sind mir geläufig? Die 12-taktige Bluesform sowie die Standard-Jazz-Form AABA sind ein »Muss«, aber wie steht es mit meiner Festigkeit auch bei ungewöhnlichen Formen wie z. B. AAB? Ist das Gespür für die »große« 1 da?

Harmonieverbindungen: Welche Harmonieverbindungen und Modulationen (s. das folgende Kapitel 2.2) sind mir geläufig? Was habe ich zu diesen musikalisch zu sagen?

harmonische / melodische Zutaten: Über welches Vokabular von harmonischen oder melodischen Zutaten verfüge ich? Wie groß ist mein Akkord- und Skalen-Wortschatz (Dreiklänge, Vierklänge, , Heptatoniken, begrenzt transponierbare Modi, . . . )

Spannungsbogen: Kann ich in meinem Solo einen Spannungsbogen aufbauen? Kann ich beim Begleiten sowie beim Solieren »Druck« machen, wenn ich will?

Dies sind nur Beispiele dafür, was eine umfassende musikalische Analyse von Standards hergibt, und was es alles zu lernen bzw. zu perfektionieren gibt. Es gilt, dass man alles, was man in einer Aufnahme analysieren (also benennen) kann, auch am Standard trainieren kann.

2.2 Häufige harmonische Wendungen

Die Bausteine der Changes von Standards sind für jeden Jazz–Musiker essentiell.

Der (schon in der Klassik) wichtigste Baustein ist die Auflösung über die Dominante, kurz V-I. Das Tongeschlecht des Zieles kann im Jazz neben Dur und Moll auch ein Septakkord (Dur oder Moll) sein. Über die II-V-Verbindung braucht man einem Gitarristen mit Überaumerfahrung wohl wenig zu sagen, sie wird mit dem dorischen Modus der II bedient. Beiden Wechseln ist gemein, dass sie aus zwei Akkorden bestehen, weshalb solchen Konstruktionen der Abschnitt 5.2 gewidmet ist.

Die verschiedenen Formen der klassischen Kadenz haben im Jazz ihre Entsprechung in der II-V-I-Verbindung. Sie kombiniert eine II-V– mit einer V-I-Verbindung. Auch hier sind neben Auflösungen nach Dur und Moll auch solche nach Septakkorden möglich. Diese Verbindung ist ausführlich im Kapitel 5.3 besprochen.

Die 1625-Verbindung entsteht, wenn man der II einer II-V-I-Verbindung eine eigene Dominante spendiert, vgl. Kapitel 5.4. Dies ist eine neue V-I-Verbindung und die ehemalige II hat eine neue Funktion dazugewonnen. Diese neue Dominante ist dann gleichzeitig VI. Stufe der Tonika. Die 1625-Verbindung ist der einfachste Vertreter der zyklische Kadenzen.

Tab. 2.1: Auswahl einiger Jazz-Standards im Hinblick auf den in diesem Buch behandelten Lernstoff.

StückLernzielKapitel»All of Me«Nebendominanten5.10»All the Things You Are«Große Kadenz, 3-Ton-Verwandtschaft5.9.3»Anthropology«Rhythm-Changes, Remelodisation5.5»As Time Goes By«Solostück / Evergreen »Au Privave«Parker-Blues / Themenrhythmik5.6»Autumn Leaves«Melodisch Moll / Solostück6.4»Bessies Blues«erweiterter 3-Akkorde-Blues5.6»Black Orpheus« (»Maña de Carneval«)Harmonisch Moll6.4»Blue Bossa«modal ⟼ vertikal, Moll II-V-I5.3.6»Blues for Alice«Quellenkunde / Modern Blues5.6.2»Body and Soul«Ballade / Quellenkunde »Footprints«modal / Mollblues5.6.3»Four on Six« / »Summertime«Reharmonisation / Evergreen5.11»Freedom Jazz Dance«modal / in-outgoing / intervallisches Konzept »Full House«gitarrenfreundlich »Giant Steps«4/45.2»Gymnopèdie No 1«Klassik »How Insensitive«verminderte Skala und HTGT6.2»I Got Rhythm«Rhythm-Changes, Reharmonisation5.5, 5.11»Impressions«Remelodisation (Pavane) »In a Sentimental Mood«Ballade mit guten Changes »Invitation«Moll-II-V-Kette5.3.6»Lady Bird«II7 und VII7 Nebendominanten5.10»Love for Sale«Nebendom., Quellenkunde, fast modal5.10»Misty«Solostück »My Favorite Things«Walzer, fast modal »Nature Boy«Quellenkunde »Nardis«Farbe »Night in Tunisia«TV ⟼ Moll, Tongeschlechtskreuzung5.3.7 . . . weiter in Tab. 2.2

Tab. 2.2: Fortsetzung von Tab. 2.1.

StückLernzielKapitel»Night and Day«Reharmonisation5.11»Ornithology« / »How High the Moon«Remelodisation »Satin Doll«Solostück, 2/2, TV5.2»Softly as in a Morning Sunrise«Spielstück »Some Other Blues«erweiterter 3-Akkorde-Blues5.6»So What«modal, pentatonische Akkorde, Solotranskription4.6»Stella by Starlight«Nebendominanten, Theoriequellen5.10»Stompin’ at the Savoy«Oldtime-Evergreen »Sugar« / »Let It Go«Spielstück, Mollkadenz5.3.6»Take Five«5/4 »Tenor Madness«Jazz-Blues5.6.1»The Girl from Ipanema«II7, Harmoniewechsel als Formelement5.10»Unity Village« / »Exercise #6«Solostück »Wave«Bossa, alterierter Modern Blues mit Bridge5.6.2»Yardbird Suite«Nebendominanten5.10»You Don’t Know what Love is«Ballade »West Coast Blues«Walzer / 6/8, Modern Blues5.6»Willow Weep for Me«Farbe 

Danach gibt es noch ein paar Spezialitäten zu lernen: Aus der Dominantkette (im historischen Jazz Barbershop-Sequenz genannt) wird eine II-V-Kette. Deren diatonische Entsprechung ist die große Kadenz, bei der alle Akkordstufen der Durtonleiter im Quintfall angeordnet sind. Überhaupt lassen sich viele Aspekte der Jazz-Harmonik als Elemente des Spannungsfeldes zwischen klassischer Diatonik und Barbershop-Sequenz deuten. Diese ist über die beliebte Tritonusvertauschung schon ein erster Schritt in Richtung Chromatik.

Übung 1: Zerlege einen oder besser noch mehrere Standards Deiner Wahl in Einheiten wie eben beschrieben. Lerne diese Analysen auswendig und benutze sie so als Fahrplan zum Improvisieren.

2.3 Licks über Standardharmonieverbindungen

Eigentliches Ziel beim Improvisieren ist es, für den Zuhörer interessante Tonfolgen aus dem Stegreif zu spielen. Es gibt verschiedene Improvisationstechniken, derer man sich bedienen kann. Das »New Grove Dictionary of Jazz«27 beschreibt verschiedene Strategien, an die wir unsere Klassifikation anlehnen wollen:

Paraphrasische Improvisation, thematisch orientierte Variationen der Melodie

Benutzung von Motiven

Formulaische Improvisation, mithilfe von Licks

Modale Improvisation, Skalen

Wir wollen hier zeigen, wie man sich das Improvisieren durch das Verwenden von Licks vereinfachen kann. Licks sind erprobte Bausteine über bekannte, häufig vorkommende Harmoniewendungen (s. Kap. 5). Ein großer Fundus an Licks, aus dem man schöpfen kann, stellt ein sehr brauchbares Baukastensystem zum Improvisieren dar; allerdings sollte man sich keinesfalls nur auf Licks verlassen, sondern sie als eine von mehreren Herangehensweisen an das Improvisieren erlernen.

Zum Zwecke des Aufbaus einer eigenen Lick-Sammlung beschäftigt man sich am besten intensiv mit den Soli seiner Vorbilder und fragt sich dabei:

Wie sehen die Baukästen meiner »Meister« aus?

Um dies herauszufinden, ist es erforderlich, eben jene Meister intensiv zu hören. Jazz wird durch Hören überliefert, man lernt ihn nicht aus Büchern (auch aus diesem nicht)! Selbst dann nicht, wenn viele Noten darin stehen.

Natürlich werden viele Transkriptionen von Jazz-Soli angeboten, oder sogar ganze Sammlungen davon. Licksammlungen nützen dem am meisten, der sie erfolgreich verkauft. Die aufgeschriebenen Noten an sich sind aber fast wertlos; der Nutzen einer Transkription besteht vielmehr aus dem »Drumherum«. Er ist umso größer, je mehr der folgenden Bedingungen erfüllt sind:

Die Phrasen wurden nach übergeordneten Kriterien ausgewählt.

Die akustische Quelle des Solos ist exakt (Interpret, Album, Titel, Chorus, Takte) angegeben, so dass man mitlesen kann. Noch besser wäre es natürlich, wenn die Quelle gleich bei der Transkription beiliegen würde, was aber in den meisten Fällen aus Gründen des Copyrights leider nicht möglich sein dürfte.

Die Phrasierung ist mitnotiert, was allerdings sehr diffizil ist, da sie kaum bis ins letzte Detail aufgeschrieben werden kann.

Der Fingersatz ist bei Gitarrensoli mitnotiert (und korrekt!), so dass man die Licks seines Vorbildes direkt nachspielen kann.

Die Phrase wird analysiert.

Es spricht natürlich nichts dagegen, sich die Phrasierung, den Fingersatz oder die Analyse selbst zu erarbeiten — im Gegenteil!

Viele der aufgeführten Bedingungen werden von Lehrvideos erfüllt. Sie selbst stellen die Quelle dar, die Phrasierung ist hörbar, und den Fingersatz kann man sich mithilfe der Zeitlupe-Funktion abgucken. Die Analyse wird vom Meister selbst vorgenommen.

Der effektivste Weg zum guten Gitarristen ist immer noch das selber Heraushören: Vor Allem hat man dadurch eine vollständige Kontrolle darüber, welches Stück und welche Phrase untersucht wird. Die Quelle liegt also vor, die Phrasierung ist bekannt. Den Fingersatz erarbeitet man sich, manchmal unter Zuhilfenahme des unterschiedlichen Sounds der einzelnen Saiten. Dabei lernt man viel! Zu guter Letzt wird die Phrase aus der Perspektive des eigenen Wissens (und der Ahnung des fremden Wissens) analysiert. Erst dieser Prozess erlaubt es einem, sich fremde Ideen durch Abstraktion (= welche Idee steckt dahinter?) und erneutes Zusammenbauen (= wie würde ich das machen?) zu eigen zu machen.

Tipps zum effektiven Raushören finden sich in Abschnitt 1.8. Mehrere gelungene Beispiele für Transkriptionen und Analysen von Jazz-Licks finden sich im »Jazz-Theorie Buch«.31

2.4 Konventionen über Tonstufen

Akkordtöne sind immer gut. Verbindet man sie geschickt, typischerweise chromatisch, so entstehen Durchgangstöne, welche durch ihre Stringenz auch wieder gut sind. Ferner sind prominente Töne der Melodie immer erlaubt. Verboten sind hingegen die große Terz über einen Mollakkord, die große Septe über einen Dominantseptakkord und — etwas weniger schlimm — die Quarte über einen Major-Sieben Akkord (sofern sie keine Durchgangstöne sind). Schlechte Töne sind entweder ohnehin verboten oder schlicht langweilig. So kann eine Auflösung zu einem Grundton reichlich farblos wirken und sich schlimmstenfalls mit dem Bassisten reiben.

Im Jazz werden überwiegend Vierklänge verwendet. In der Melodie oder Improvisation sind Terz und Septe die wichtigsten klangbestimmenden Merkmale, da Grundton und Quinte typischerweise vom Bassisten geliefert werden. Diese Terz/Septe-Konvention hat sich während des Bebop zu höheren Intervallen (9, 11 und 13) gewandelt und sich später zugunsten weiterer Töne fortgesetzt.

Übung 2: Analysiere etwa die Melodie von »Stella by Starlight« auf ihre verwendeten Tonstufen. Eine solche Analyse sollte selbstverständlich zu jedem ernsthaft gespielten Stück vorgenommen werden.

2.5 Rhythmische Stereotypen als Basiswissen für Begleitarbeit / »Comping«

in Achteln,

oder in Sechzehnteln:

Ein gutes Timing bei geswingten Achteln ist deswegen so schwierig, weil die unterschiedlichen Notenlängen eine gleichmäßige Bewegung der Anschlaghand verhindern. Selbst wenn man sich auf Achteltriolen beschränkt, sind Auf- und Abschläge abwechselnd vertauscht:

Um das Timing zu verbessern, werden zuerst Viertel, Achtel, oder Sechzehntel auf abgedämpften Leersaiten mit dem Metronom gespielt. Bitte nicht gegen das Metronom anspielen! Die Noten, die mit dem Metronomschlag zusammenfallen, sollen ganz genau auf dem Klick liegen. Während man in bestimmten Situationen auch leicht vor oder hinter dem Beat spielen darf (Mikrotime), ist es für diese Übung erforderlich, genau auf dem Beat zu spielen. Ganz Harte nehmen ein Zweikanal-Oszilloskop, dessen einer Kanal mit dem Metronom getriggert wird; der andere Kanal ist dann das Gitarrensignal.

2.5.1 Viertel »schrubben«

Bei dieser Art der Begleitung wird auf jeder Viertel der entsprechende Akkord angeschlagen und zwar immer mit einem Abschlag. Für ein gutes Timing ist eine sehr gleichmäßige Bewegung der Schlaghand erforderlich. Durch die Art des Anschlags (hart oder weich) und durch eventuelles Abdämpfen der Akkorde kann ein sehr unterschiedliches Klangbild erzeugt werden. Je nach Musikstil werden die Viertel exakt gleichmäßig gespielt (Banjostil) oder die zweite und vierte Viertel wird stärker betont. Eine extrem starke Betonung der 2 und 4 führt zum Two-Beat-Stil, der bei Liedermachern oft zu hören ist. Die typische Viertel-Begleitung liegt irgendwo zwischen diesen beiden Extremen. Als klassisches Beispiel kann man sich z. B. FREDDIE GREEN in der COUNT BASIE Big Band anhören.

2.5.2 Elementare Percussion wiederkehrender Pattern

Die gleichmäßige Bewegung wird hier durch abwechselndes Schlagen mit rechter und linker Hand erreicht. Hat man keine Trommel zur Hand, schlägt man z. B. auf einen Tisch oder auf seine Oberschenkel. Die Rhythmen entstehen durch Betonung. Prominente Beispiele solcher Pattern sind die Claves der lateinamerikanischen Musik und ihre afrikanischen Vorfahren. Als Stereotyp bilden sie das Rückgrat des jeweiligen Stückes. Man unterscheidet Rhythmen, bei denen die nächst feinere Unterteilung des Viertels zwei gleich lange Einheiten hat (binäre Rhythmen) und solche, bei denen sie drei gleich lange Einheiten hat (ternäre Rhythmen). Ein ternärer 4/4-Takt wird auch oft mit den Achteltriolen als Zählzeit als 12/8-Takt notiert. Eine Auswahl solcher oft benutzten rhythmischer Stereotypen findet sich in den Tabellen 2.5 (binär) und 2.6 (ternär); s. auch Abb. 2.1 für die Ausführung in Standard-Notation.

Werden die Rhythmen sicher beherrscht, kann man eine andere Schlagtechnik anwenden: Die Betonungen übernimmt die »starke« Hand, und die andere Hand füllt die Ticks zum sogenannten Schattenrhythmus oder komplementären Rhythmus auf.

Übung 3: Klopfe die Rhythmen aus Tab. 2.3–2.4 auf folgende verschiedene Weisen:

Einzeln mit linker / rechter Hand

abwechselnd links / rechts

mit der anderen Hand zu kleinster Zählzeit auffüllen (die sich ergebenden Rhythmen stehen sich jeweils gegenüber)

Zusätzliche Verschärfung: Mit dem Fuß Viertel, halbe oder ganze Noten treten.

Tab. 2.3: Sechzehn grundsätzliche Rhythmus-Übungen mit Achteln.

Tab. 2.4: Acht grundsätzliche Rhythmus-Übungen mit Achteltriolen.

Übung 4: Klopfe die Rhythmen aus Tab. 2.5 und Tab. 2.6.

Tab. 2.5:  4/4 Claves. Legende: . Tick, r Akzent rechts, l Akzent links, R rechts laut (oder Roll), L links laut (oder Roll). (Die oberste Zeile stellt eine Methode der verbalen Kommunikation über Zählzeiten dar: Man zählt im Achtelfeeling »Eins-und-Zwei-und-Drei. . . « und im Sechzehntelfeeling »Ein-e-und-e-Zwei-e-und-e. . . « So wird z. B. im Sechzehntelfeeling der vierte Tick mit »Eins-und-e« bezeichnet.) Zur Definition der Rhythmus-Nr. R siehe Abschnitt 7.2. Ein Beispiel wie sich die r.l-Darstellung in Standard-Notation übersetzt, ist in Abb. 2.1 gegeben.

  Rhythmus Name 1e+e2e+e3e+e4e+eR   | | | | Bossa-Clave3 – 2r..l..r...r..l..37 412Son-Clave3 – 2r..l..r...r.r...37 416Rumba-Clave3 – 2r..l...l..r.r...37 160Bossa (Samba)-Clave2 – 3..r..l..r..l..r.9 362Son (Mambo)-Clave2 – 3..r.r...r..l..r.10 386Rumba-Clave2 – 3..r.r...r..l...l10 385Calypso ...l...l.l.l...l4 433Cumbi-Clave ...l..r.r...r..l4 745Partido Alto r.r..l.l.l..r.r.42 314– P. A. Variante 1 r.r..l.l...l.l.l42 261– P. A. Variante 2 r.r..l.l.lr..lr.42 342S. G. Mozambique r.r.rl.l.lr.rl.l44 397Cascara r.r.rl.lr.rl.l.l44 469– C. Variante R.R.rlrL.L.lrlrl44 895Marsch (Marxia) r...r...r.r.r...34 984

2.5.3 Ungerade Taktarten

Tab. 2.6: 6/8 Claves. Legende s. Tab. 2.5. Auch hier wird das Zählen verbalisiert, und zwar »Eins-e-und-Zwei-e-und. . . «

  Rhythmus Name 1+2+3+4+5+6+R  1e+2e+3e+4e+   | | | | 6/8-Clave2 – 3.l.l..r.r..l1 3216/8-Clave3 – 2r.r..l.l.l..2 644Bembe r.r.rl.l.l..2 772