Das Jericho-Programm - Clive Cussler - E-Book

Das Jericho-Programm E-Book

Clive Cussler

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Beschreibung

»Großartig, in einem Actionroman endlich einen weiblichen Bösewicht anzutreffen!« Booklist

Die Ölförderplattform Alpha Star 1 im Golf von Mexiko steht in Flammen. Kurt Austin, der sich mit seinem NUMA-Forschungsschiff zufällig in der Nähe befindet, eilt zum Unglücksort. Im letzten Moment kann er noch Überlebende retten. Anschließend taucht er mit einem kleinen U-Boot ab, um eine Möglichkeit zu finden, den Ölstrom zu stoppen und eine Umweltkatastrophe zu verhindern. Doch am Meeresgrund entdeckt er Unglaubliches: Es war kein Unfall, sondern ein Anschlag. Bevor Austin herausfinden kann, wer dahintersteckt, wird er vom Präsidenten der Vereinigten Staaten nach Washington gerufen. Eine weit größere Katastrophe steht bevor! Und die Frau, die dafür verantwortlich ist, wird von der ganzen Welt als Heldin gefeiert …

Jeder Band ein Bestseller und einzeln lesbar. Lassen Sie sich die anderen Abenteuer von Kurt Austin nicht entgehen!

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Seitenzahl: 524

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Autoren

Seit er 1973 seinen ersten Helden Dirk Pitt erfand, ist jeder Roman von Clive Cussler ein »New-York-Times«-Bestseller. Auch auf der deutschen SPIEGEL-Bestsellerliste ist jeder seiner Romane vertreten. 1979 gründete er die reale NUMA, um das maritime Erbe durch die Entdeckung, Erforschung und Konservierung von Schiffswracks zu bewahren. Er lebt in der Wüste von Arizona und in den Bergen Colorados.

Der leidenschaftliche Pilot Graham Brown hält Abschlüsse in Aeronautik und Rechtswissenschaften. In den USA gilt er bereits als der neue Shootingstar des intelligenten Thrillers in der Tradition von Michael Crichton. Wie keinem zweiten Autor gelingt es Graham Brown, verblüffende wissenschaftliche Aspekte mit rasanter Nonstop-Action zu einem unwiderstehlichen Hochspannungscocktail zu vermischen.

Die Kurt-Austin-Romane bei Blanvalet

1. Tödliche Beute

2. Brennendes Wasser

3. Das Todeswrack

4. Killeralgen

5. Packeis

6. Höllenschlund

7. Flammendes Eis

8. Eiskalte Brandung

9. Teufelstor

10. Höllensturm

11. Codename Tartarus

12. Todeshandel

13. Das Osiris-Komplott

14. Projekt Nighthawk

15. Die zweite Sintflut

16. Das Jericho-Programm

Weitere Bände in Vorbereitung

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Clive Cussler

& Graham Brown

DAS

JERICHO-PROGRAMM

Ein Kurt-Austin-Roman

Aus dem Englischen

von Michael Kubiak

Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel

»Sea of Greed« bei Putnam, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © 2018 by Sandecker RLLLP

By arrangement with

Peter Lampack Agency, Inc.

551 Fifth Avenue, Suite 1613

New York, NY 10176 – 0187 USA

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2020 by Blanvalet Verlagin der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Covergestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign,

unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com

(Kitsana1980; Ivan Cholakov; tanleimages; GTS Productions; andrey polivanov; Michal Zduniak; Dotted Yeti; Alexyz3d; Atmosphere1)

Redaktion: Jörn Rauser

HK · Herstellung: sam

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-25064-5V002

www.blanvalet.de

HANDELNDE PERSONEN

MITTELMEER – 1968

David Ben-Avi Israelischer Genetiker, stationiert auf Gyaros.

André Cheval Französischer Wissenschaftler und Leiter des Projekts Jericho.

Lukas Französischer Kommandosoldat und Mitglied des französischen Auslandsnachrichtendienstes SDECE.

Gideon Erster Offizier des israelischen Unterseeboots INSDakar.

NATIONAL UNDERWATER AND MARINE AGENCY

Kurt Austin Direktor der Abteilung für Spezial-Projekte innerhalb der NUMA, Hochleistungstaucher und Bergungsexperte.

Joe Zavala Kurts bester Freund und technisches Genie, dessen Erfindungsreichtum ein Großteil der technologischen Ausrüstung der NUMA zu verdanken ist.

Priya Kashmir Leitendes Mitglied der technologischen Abteilung innerhalb der NUMA, aufgrund eines Autounfalls an einen Rollstuhl gebunden, aber fest entschlossen, auch aktiv an Kampfeinsätzen teilzunehmen.

Rudi Gunn Vizedirektor der NUMA und Absolvent der Naval Academy.

Hiram YaegerLeitendes Computergenie der NUMA und Inhaber zahlreicher Patente im Bereich Computer Design.

St. Julien Perlmutter Seefahrtshistoriker und leidenschaftlicher Koch und Feinschmecker; besitzt Tausende seltener Bücher und Artefakte.

Paul Trout Mitglied der Abteilung für Spezial-Projekte, promovierte in Meereswissenschaften und ist mit Gamay verheiratet.

Gamay Trout Leitende Meeresbiologin der NUMA und mit Paul verheiratet, außerdem Fitnessfanatikerin und jederzeit bereit, ihre persönliche Meinung nachdrücklich kundzutun.

Kevin Brooks Kapitän des NUMA-Schiffes Raleigh.

MANNSCHAFT DER ÖLBOHRINSEL ALPHA STAR

Rick L. Cox Betriebsleiter und Bohrmeister der Ölbohrplattform Alpha Star.

Leon Nash Bohrarbeiter auf der Ölbohrinsel Alpha Star.

NOVUM INDUSTRIA

Tessa Franco Gründerin und CEO von Novum Industria, einer Hightech-Firma im Bereich der alternativen Energiegewinnung, außerdem Konstrukteurin der Monarch, eines weltweit einmaligen amphibischen Großflugzeugs.

Arat Buran Unberechenbarer Führer des mittelasiatischen Ölkonsortiums, Tessas ehemaliger Liebhaber und Vertrauter, zurzeit durch ein geheimes finanzielles Arrangement mit Novum Industria geschäftlich eng verbunden.

Pascal Millard In Ungnade gefallener französischer Genetiker, mittlerweile für Novum tätig.

Brian Yates Ingenieur und Entwickler der von Novum Industria angebotenen revolutionären Brennstoffzellen.

SÖLDNER

Volke U-Boot-Pilot und ehemaliger Söldner, für Tessa in unterschiedlichen Funktionen tätig.

Woodrich Fanatischer Öko-Fundamentalist, kämpft mit allen Mitteln für den Ausstieg aus der Erdölproduktion und wird von Gegnern und Anhängern »Woods« genannt.

Alexander Vastoga Ehemaliger russischer Hubschrauberpilot und Glücksritter, der bereit ist, für ein entsprechend hohes Honorar jeden Auftrag auszuführen.

FLORIDA

Misty Moon Littlefeather Elektronikexpertin und seit Langem mit Kurt befreundet.

Redfish Mistys Vater und stets misstrauisch, was Kurts Absichten in Bezug auf seine Tochter betrifft.

POLITIKER IN WASHINGTON

Lance Alcott Chef der Federal Emergency Management Agency, kurz FEMA, Koordinationsstelle für Katastrophenhilfe und dem United States Department of Home Security unterstellt, drängt sich danach, die Sanierungsarbeiten nach der Alpha-Star-Katastrophe zu leiten.

Leonard Hallsman Ehemaliger Geologe, mittlerweile Untersekretär der National Resources and Energy Security.

James Sandecker Vizepräsident der USA, Gründer und ehemaliger Direktor der NUMA.

BERMUDA

Macklin Hatcher Vermögender Risikokapitalgeber, Scheinidentität Kurt Austins.

Ronald Ruff Hatchers Assistent, Scheinidentität Joe Zavalas.

ISRAEL

Admiral Natal Israelischer Admiral, mit Rudi Gunn eng befreundet und zurzeit Leiter des Marine-Archivs in Haifa.

SCHIFFE UND FLUGZEUGE

INS Dakar Israelisches Unterseeboot, von Großbritannien erworben, im Januar 1968 während der Überführung von England nach Haifa verschwunden.

Minerve (S647) Französisches Unterseeboot, 1968 etwa fünfundzwanzig Meilen vor Toulon verschwunden.

Monarch Großraum-Amphibienflugzeug, entworfen von Tessa Franco, gebaut in Kasachstan.

Gryphon Bewaffnetes Tragflächenboot der NUMA, das unter gefährlichen Umweltbedingungen zum Einsatz kommt.

TEIL EINS

VERSCHOLLEN

1

INSEL GYAROS, ÄGÄISCHES MEER

JANUAR 1968

David Ben-Avi folgte einem Weg über die felsige, windgepeitschte Insel Gyaros. Der kahle Felsklotz war viereinhalb Kilometer lang und maß an seiner breitesten Stelle achthundert Meter. Er befand sich in einem abgelegenen Teil des Mittelmeers, etwa einhundertsechzig Kilometer nordwestlich von Kreta. Obwohl offiziell unbewohnt, betrachteten Ben-Avi und ein Dutzend andere die Insel seit zwei Jahren als ihr Zuhause.

Die Hände tief in den Taschen seiner Wetterjacke vergraben schritt Ben-Avi energisch aus und hielt das Gesicht in den Wind. Jetzt im Januar hatte die Luft über dem Mittelmeer einen ganz besonderen Biss. Im Gegensatz zu dem stickigen Labor und den engen Baracken, in denen sie hausten, war sie frisch und belebend.

Und dass er hier draußen allein war, hatte auch seine Vorteile … solange er nicht gestört wurde.

»David«, rief hinter ihm eine Stimme. »Wo gehen Sie hin?«

Die englischen Worte hatten einen deutlich französischen Akzent.

Ben-Avi blieb sofort stehen. Hatte die männliche Mutter der Kompanie ihn doch noch gefunden.

Er wandte sich um und sah André Cheval, der es offenbar eilig hatte, ihn einzuholen. Cheval war der Chef des französischen Kontingents auf der Insel, leitete jedoch gleichzeitig das gesamte Projekt, an dem die Gruppe arbeitete. Er achtete auf die Einhaltung der Vorschriften und war ständig mit Anweisungen hinter ihnen her: den Abfall in den richtigen Behälter entsorgen – außerhalb der Gebäude kein offenes Licht machen – Vorsicht bei Spaziergängen über die Klippen.

Er trug Outdoor-Kleidung und hatte einen wollenen Pea-Coat über dem Arm, den er Ben-Avi reichte. »Ziehen Sie den über. Hier draußen ist es eisig kalt.«

Eisig kalt war zwar übertrieben, aber Ben-Avi nahm die Jacke entgegen und schlüpfte hinein. Er wusste, dass jeder Widerspruch zwecklos war.

»Wohin wollen Sie denn?«, wiederholte Cheval seine Frage.

»Das wissen Sie doch ganz genau«, erwiderte Ben-Avi. »Hinauf zu den Klippen, um den Sonnenuntergang zu beobachten und nachzudenken.«

»Ich begleite Sie«, sagte Cheval.

»Brauche ich auf Schritt und Tritt einen Aufpasser?«

»Natürlich nicht«, sagte Cheval. »Sie sind schließlich kein Gefangener.«

Das entsprach den Tatsachen. Ben-Avi und die anderen nahmen an einem französisch-israelischen Forschungsprojekt teil. Sie hatten sich freiwillig dazu gemeldet, aber nach einem so langen Aufenthalt auf der Insel, dessen Monotonie nur einmal im Monat von der Ankunft eines Versorgungsschiffes durchbrochen wurde, hatten alle das Gefühl, sie säßen eine Strafe ab und warteten auf eine vorzeitige Entlassung.

»Mir kommt es so vor«, sagte Ben-Avi, »als wären alle, die nach Gyaros kommen, in irgendeinem Sinn Gefangene. Die Griechen haben hier nach dem Zweiten Weltkrieg kommunistische Widerständler eingesperrt, die Türken benutzten die Insel fünf Jahrhunderte davor als Gefängnis, und die Römer verbannten eine aufmüpfige Tochter des Kaisers Octavian an diesen abgelegenen Ort.«

»Tatsächlich?«, fragte Cheval.

Ben-Avi nickte. Gleichzeitig fragte er sich, wie der Franzose so lange auf dieser winzigen Insel wohnen konnte, ohne irgendetwas über ihre Geschichte und Bedeutung zu wissen.

»Wenigstens haben sich die Römer einiges zu diesem Ort einfallen lassen«, erklärte Ben-Avi. »Die Griechen dagegen haben nichts anderes gemacht, als diese grässlichen Kasernenbauten zu errichten, in denen wir wohnen. Die Römer rückten wenigstens der Küste zu Leibe und hämmerten einen ganzen Hafen aus dem soliden Fels. Sie legten Staubecken an, gruben Tunnel und unterirdische Zisternen, um das Regenwasser zu sammeln, und entwickelten sogar eine Methode, um es mit Kalkstein zu filtern, zu säubern und frisch zu erhalten. Sie sollten sich die Anlagen einmal ansehen. Die sind wirklich bemerkenswert.«

Cheval nickte, erschien jedoch unbeeindruckt. »Offenbar bewohnte die Tochter Octavians ein weitaus angenehmeres Gefängnis als kommunistische Rebellen einige hundert Jahre nach ihr.«

Die beiden Männer setzten ihren Weg fort. Weil der Pfad jedoch besonders schmal war, blieb Cheval immer einen halben Schritt zurück.

»Und über was denken Sie nach, wenn Sie hier draußen sind?«, fragte er. »Vielleicht darüber, nach Israel zurückzukehren?«

»Darüber und auch über die Auswirkungen unserer Arbeit«, sagte Ben-Avi.

»Erzählen Sie mir nicht, dass Ihnen plötzlich Bedenken kommen. Dafür ist es ein wenig zu spät. Das Projekt ist schon so gut wie abgeschlossen.«

Ben-Avi blieb stehen und drehte sich halb zu dem Franzosen um. Das Projekt, wie dieser es nannte, war ein riesiger Schritt vorwärts, und zwar innerhalb eines vollkommen neuen Zweigs der Wissenschaft, der Genetik hieß. Dabei ging es um Eingriffe in zelluläre Strukturen und die gezielte Veränderung der Erbinformationen von Lebewesen. Seit Jahren schon wurden solche Praktiken in der Theorie diskutiert und durchgespielt. Aber wie bei zahlreichen wissenschaftlichen Unternehmungen – von der Kernenergie bis hin zur Raumfahrt – beschleunigte sich die Entwicklung erst in atemberaubendem Tempo, sobald sich das Militär dafür interessierte.

»Wir verändern Lebewesen«, sagte Ben-Avi. »Wir manipulieren die Natur und schaffen neues Leben. Damit tragen wir eine ungeheure Verantwortung.«

»Ja«, stimmte Cheval ihm zu. »Einige von den anderen meinen, dass wir auf gewisse Weise sogar Gott ins Handwerk pfuschen. Sind Sie auch dieser Meinung?«

»An welchen Gott denken Sie?«, erwiderte Ben-Avi herausfordernd.

»An jeden«, sagte Cheval. »An Ihren, meinen … an das Universum insgesamt. Suchen Sie es sich aus. Machen Sie sich deshalb Sorgen? Wegen der Rache Gottes?«

Ben-Avi setzte seinen Weg fort. Als er auf Chevals Frage einging, klang seine Stimme ärgerlich. »Wenn Gott diesen Moment gewählt haben sollte, um ein Strafgericht zu veranstalten, dann fände ich das ziemlich lachhaft. Ich würde ihn fragen, wo er denn war, als die Nazis an die Macht kamen und die Kristallnacht veranstalteten. Ich würde ihn außerdem fragen, wo er war, als die Krematorien Tag und Nacht in Betrieb waren und die Leichen der ermordeten Juden verbrannten.«

»Hat der Holocaust Ihren Glauben erschüttert?«

»Nicht nur der Holocaust«, erwiderte Ben-Avi. »Der gesamte Krieg. Ich habe studiert und wollte Ingenieur werden, bevor er begann. Aufgrund meines technischen Wissens hat mich die deutsche Wehrmacht nach Russland mitgeschleppt. Wen die Deutschen während ihrer Invasion nicht schon getötet hatten, den erledigten die Russen, als sie die Deutschen zurückdrängten und verfolgten. Danach war ich in Berlin, als die Alliierten es in Schutt und Asche bombten. Ganze Häuserzüge wurden zu Trümmerhaufen zerlegt. Die Bombenangriffe fanden Tag und Nacht statt – so lange, bis die Luft von Qualm und Staub schwarz war und wir bei jedem Atemzug zu ersticken glaubten. Und das war im Vergleich mit den Phosphorbomben, die über Dresden abgeworfen wurden, noch gar nichts. Es ist ein Wunder, dass überhaupt jemand dieses Inferno überlebt hat.«

Ben-Avi konzentrierte sich wieder auf den Fußweg, dessen steilster Abschnitt noch vor ihnen lag. Wenn sie den Scheitelpunkt erreichten, könnte er das Meer sehen. »Sollte es einen Gott geben, dann ist ihm entweder gleichgültig, wie wir handeln, oder er hat uns dermaßen satt, dass er jegliche Bemühungen um seine Schöpfung aufgegeben hat. Und wer könnte ihm das auch übel nehmen?«

Cheval nickte. »Das Ganze geht Ihnen offenbar ziemlich nahe, mein Freund. Wenn es nicht Gott ist, weshalb Sie schwanken, wer oder was ist es dann?«

»Ich mache mir Sorgen wegen der Kräfte, die wir entfesselt haben«, sagte Ben-Avi. »Alles, was der Mensch erfunden hat, jede seiner Entdeckungen, ist am Ende für kriegerische Zwecke eingesetzt worden. Und diesmal wird es nicht anders sein. Denken Sie an meine Worte.«

»Weshalb sollen wir dann unsere Arbeit fortsetzen?«, fragte Cheval mit plötzlich hörbar schärferem Tonfall. »Weshalb sollen wir abwarten, bis unsere Arbeit den ersehnten Erfolg hat, und erst dann unser Handeln infrage stellen?«

Ben-Avi beschäftigte diese Frage schon seit Langem. Für ihn lag die Antwort auf der Hand. »Weil die Welt ein grausamer und unbarmherziger Ort ist und Israel alles tun muss, was nötig ist, um sein Überleben zu sichern. Und dies mit oder ohne Gottes Hilfe.«

»Also sollte jede Nation für sich selbst sorgen«, sagte Cheval. »Ist es das, was Sie mir klarmachen wollen?«

»So und nicht anders muss es sein«, sagte Ben-Avi.

Ben-Avi geriet außer Atem, als er den letzten Abschnitt des Bergpfads erklomm, und musste darauf verzichten, seinen Standpunkt genauer zu erläutern. Er hatte den höchsten Punkt des Felsvorsprungs erreicht und blickte auf die geschützte Bucht hinunter. Das Meer war ruhig, die untergehende Sonne erzeugte auf den Wellen ein flirrendes Glitzern, die lange Mole schützte den kleinen Hafen, wie sie es schon getan hatte, als die Römer ihn angelegt und befestigt hatten. Aber der Hafen lag dort nicht leer, wie er es zu diesem Zeitpunkt eigentlich hätte sein müssen. Ein langes, schlankes, bedrohlich wirkendes Schiff ankerte innerhalb der Bucht. Es war ein aufgetauchtes Unterseeboot. Wie ein stoßbereiter Dolch zielte sein Bug auf das Herz der Insel.

Ben-Avi fuhr herum und sah, dass Cheval eine Pistole auf ihn richtete.

»Ich fürchte, Sie haben recht«, erklärte Cheval. »Jede Nation muss ihre eigenen Interessen wahren. Hätten wir nicht gehandelt, wäre Ihre Regierung auf den gleichen Gedanken gekommen. Und das können wir nicht zulassen.«

Gedämpftes Gewehrfeuer drang vom Fuß des Hügels, den sie erstiegen hatten, zu ihnen herauf. Dort unten war offenbar ein Kampf im Gange – kein schlachtähnliches Gefecht, eher eine Reihe gelegentlicher Feuerstöße aus automatischen Waffen.

Ben-Avi machte Anstalten, zum Lager zurückzukehren.

»Tun Sie’s nicht«, warnte Cheval. Das Gesicht des Franzosen war so verkniffen, als hätte er lieber vermieden, was er in diesem Augenblick tat. »Es tut mir leid. Aber wenn wir nicht gehandelt hätten, wäre Ihre Regierung aktiv geworden. Die Kräfte, die Sie mit Ihren genetischen Eingriffen entfesselt haben, können die Welt, in der wir leben, viel schneller und grundlegender verändern als ein Dutzend Armeen. Was Sie da entwickelt haben, ist schon jetzt eine wirkungsvolle Waffe. Und eine Bedrohung – vor allem für Frankreich. Wir können nicht zulassen, dass sie sich in fremden Händen befindet.«

»Nein«, sagte Ben-Avi. »Sie ist ein Abschreckungsmittel. Im Grunde nichts anderes als Ihre Atombombe. Sie würde niemals zum Einsatz kommen.«

»Ich fürchte, mein Land kann nicht das Risiko eingehen, sich darauf zu verlassen«, sagte Cheval.

Erneutes Gewehrfeuer war unten im Lager zu hören.

»Also schrecken Sie nicht davor zurück, uns zu töten«, stellte Ben-Avi schicksalsergeben fest.

»Eigentlich sollte niemand zu Schaden kommen«, beteuerte Cheval. »Jemand muss Widerstand geleistet haben.«

Ben-Avi glaubte ihm. Er hatte allerdings den Verdacht, dass sich die französischen Kommandosoldaten eine solche Entwicklung insgeheim gewünscht hatten. »Und was geschieht mit mir?«, fragte er. Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er für seinen ehemaligen Freund nur noch Verachtung übrighatte. »Gerate ich ins Stolpern und stürze von den Klippen ab, oder erschießen Sie mich vorher und stoßen mich dann über die Felskante?«

»Reden Sie keinen Unsinn«, sagte Cheval. Er deutete mit einem Kopfnicken auf das U-Boot. »Sie kommen mit uns.«

2

FRANZÖSISCHES UNTERSEEBOOT MINERVE,

UNGEFÄHR FÜNFUNDZWANZIG MEILEN VOR TOULON

Acht Tage, nachdem sie die Insel Gyaros verlassen hatten, näherte sich das französische Unterseeboot Minerveseinem Heimathafen Toulon. Es operierte in dreizehn Metern Tiefe – von der Unterkante des Kiels aus gemessen – unter der Wasseroberfläche, machte acht Knoten Fahrt und wurde von seinen Dieselmaschinen angetrieben, die die für ihren reibungslosen Betrieb notwendige Luft durch ein langes Stahlrohr, den Schnorchel, ansaugten. Sie hatten die ganze Strecke von Gyaros bis hierher nahezu vollständig in diesem Fahrtmodus zurückgelegt, und André Cheval konnte kaum erwarten, dass sie endlich auftauchten.

Das klaustrophobische Gefühl, unter Wasser eingesperrt zu sein, war schlimm genug. Dass die Minerve zusätzliche Fracht sowie die restlichen Vorräte, die technische Ausrüstung und die Materialproben aus dem Labor an Bord hatte, machte es noch schlimmer. Und dass das U-Boot völlig überfüllt war und dank der Anwesenheit Chevals, der anderen französischen Wissenschaftler und der zehn französischen Kommandosoldaten, die den Überfall ausgeführt hatten, die doppelte Anzahl von Personen beförderte, die normalerweise in ihm untergebracht werden konnten, machte die Situation für alle Beteiligten nahezu unerträglich.

Das bohrende Schuldgefühl, alle Israelis bis auf Ben-Avi getötet zu haben, war da auch keine Hilfe, und Cheval hatte sich angewöhnt, sich jeden Abend regelrecht in den Schlaf zu trinken.

Immerhin befanden sie sich inzwischen in französischen Gewässern und waren schon fast zu Hause. Am nächsten Tag um diese Uhrzeit säße er längst in einem Café in Paris, atmete wohltuend frische Luft und vergäße seine Sorgen bei einer Flasche Wein.

Bis dahin aber stünde er weiter auf der beengten Kommandobrücke des Unterseeboots und verfolgte aufmerksam alles, was um ihn herum vorging. Ihm genau gegenüber stützte sich der Kapitän der Minerve auf die Griffe des Periskops und presste das Gesicht gegen den Okularschacht. Alle paar Sekunden drehte er das Periskoprohr mithilfe der Griffe, um einen anderen Bereich der U-Boot-Umgebung zu kontrollieren – gelegentlich nannten die Matrosen diese Aktion Tanz mit der grauen Lady.

Schließlich klappte er die Handgriffe hoch, richtete sich auf und trat zurück. »Keine Schiffe in Sicht«, sagte er. »Periskop einfahren.«

Während das Periskop in seinem Schacht versank, wandte sich der Kapitän an den Funkoffizier. »Meldung ans Oberkommando. Wetter verschlechtert sich. Drei Meter hohe Brecher und Querseen. Wir bleiben auf Schnorcheltiefe, bis wir den Ärmelkanal erreichen.«

Diese Nachricht traf Cheval wie ein Tritt in die Magengrube.

Und er war nicht der Einzige, der so empfand.

Ein Mann namens Lukas stand über die Seekarten gebeugt in Hörweite. Lukas war der Chef des Kommandotrupps und Mitglied des französischen Auslandsgeheimdienstes SDECE. Er war ein harter Mann, kampferprobt, Mitte fünfzig.

»Müssen wir uns wirklich auf diese Weise in den Hafen schleichen?«, fragte er. »Wir haben doch einen bedeutenden Erfolg errungen. Wir sollten mit Würde zurückkehren, wenn nicht sogar mit lautem Trara.«

Der Kapitän der Minerve fuhr seit einem halben Leben zur See. Wie zahlreiche Angehörige des regulären Militärs misstraute er Geheimagenten mit ihren seltsamen Operationsmethoden und ihrem Mangel an Umsicht. »Wollen Sie wirklich auftauchen und riskieren, dass das Boot ein weithin sichtbares Angriffsziel bietet?«

Lukas deutete auf die Karte. Darauf war eine rote Linie zu sehen, etwa vierhundert Meilen hinter ihnen, die die nächstmögliche Position israelischer Schiffe markierte. »In einem Umkreis von zwölf Stunden ist kein einziges israelisches Schiff zu sehen. Niemand kann uns erreichen.«

»Sie verfügen auch über Flugzeuge, Monsieur Lukas.«

»Aber nicht mit dieser Reichweite. Und es gibt nichts, was unsere Mirage-Jäger im Fall eines Zusammenstoßes nicht im Handumdrehen ausschalten könnten.«

»Sie könnten recht haben«, räumte der Kapitän ein. »Ungeachtet dessen bleiben wir bis zum wirklich letzten Moment auf Tauchstation. Und solange Sie Gast auf meinem Schiff sind, werden Sie sich ruhig verhalten.«

Innerlich kochte Lukas vor Wut über diese Abfuhr, machte auf dem Absatz kehrt und begab sich nach achtern zu seinen Männern.

Cheval blickte auf seine Uhr und kämpfte gegen einen weiteren Anfall von Klaustrophobie an. Es war der frühe Morgen des siebenundzwanzigsten Januars. Sie hatten die Insel am Abend des neunzehnten verlassen. Und sie waren fast zu Hause. Sobald sie wieder an Land waren, würde er Lukas für das, was er für eindeutige Kriegsverbrechen hielt, zur Verantwortung ziehen lassen.

Obgleich er im Fall der bereits Getöteten nichts tun konnte, schwor er sich, dass er einen Weg finden würde, um Ben-Avi davor zu bewahren, in einem anonymen Grab verscharrt zu werden.

Drei Stunden. Er müsste nur noch drei weitere Stunden durchhalten.

»Die Minerve erreicht den Hafen in drei Stunden.«

Die Worte kamen aus dem Mund eines Mannes mit grimmiger Miene, der auf einer verdunkelten Kommandobrücke ähnlich der auf der Minerve stand. Sein Name lautete Gideon. Er bekleidete den Posten des Ersten Offiziers auf der INSDakar, einem israelischen Unterseeboot, das die israelische Marine erst vor Kurzem von der britischen Marine erworben hatte.

In seinem Gesicht wucherte ein zwei Wochen alter Bart. Narben an seinem Kinn durchzogen die dunklen Stoppeln wie Furchen einen frisch gepflügten Acker. Für einen U-Boot-Fahrer war er ziemlich groß gewachsen und hielt sich ständig gebückt, um sich nicht an den Rohrleitungen über seinem Kopf zu stoßen.

»Die Franzosen haben Israel etwas Wertvolles gestohlen«, erklärte er seinen Leuten. »Wir sind zurzeit die Einzigen, die verhindern können, dass sie diesen jüngsten Verrat als Erfolg verbuchen.«

Die Dakar war nach Verlassen Southamptons bereits seit zwei Tagen unterwegs nach Haifa, als ein verschlüsselter Funkruf des israelischen Oberkommandos ihre Überführungsfahrt unterbrach. Sie erhielten den Befehl, mit Höchstgeschwindigkeit Kurs auf die Südküste Frankreichs zu nehmen und sich dort auf die Lauer zu legen, während das Oberkommando falsche Positionsangaben produzierte und verschleiernde Meldungen und Nachrufe für den Fall vorbereitete, dass diese hochriskante Geheimoperation fehlschlug.

Fast zwei Tage lang hatten Gideon und seine Männer damit verbracht, zu warten und ihren weiteren Einsatz zu planen. Nachdem sie schließlich einen Sonarkontakt auffingen und sich vergewissert hatten, dass er von der Minerveherrührte, hatten sie das U-Boot passieren lassen und waren ihm in sicherer Entfernung gefolgt.

Sie hatten sich bis auf einhundert Meter herangeschlichen und waren ihm so nahe gekommen, dass sie die Schraube der Minerve ohne Verwendung ihrer Horchgeräte deutlich hören konnten.

Die nächste Aufgabe war nahezu unlösbar. Gideon und seine Männer waren keine Kommandosoldaten – die meisten waren noch nicht einmal ausgebildete Seeleute –, aber jeder von ihnen war bereit, für sein Vaterland zu kämpfen und wenn nötig auch zu sterben.

Gideon erklärte, um was es ging. »In der Antike wurden Seeschlachten nicht von Seeleuten, sondern von Soldaten gewonnen. Ganz gleich ob Römer, Phönizier oder Griechen – sie rammten ihre Feinde und stürmten an Bord, wo anschließend Mann gegen Mann gekämpft und getötet wurde.«

Die U-Boot-Besatzung hörte aufmerksam zu. In den Gesichtern der Männer lag die bedingungslose Entschlossenheit, sich für ein unzumutbares Unrecht zu revanchieren. Sie wussten nicht genau, um was es eigentlich ging, aber ihnen war klar, dass die Franzosen sie wieder einmal betrogen hatten.

Nachdem sie während des Sechstagekriegs ein Waffenembargo über Israel verhängt hatten; nachdem sie eine Schwadron Mirage-Kampfflugzeuge und eine kleine Flotte Patrouillenboote zurückgehalten hatten, die Israel bereits bezahlt hatte, und nachdem sie sich plötzlich mit den arabischen Feinden Israels arrangiert hatten, war von den Franzosen eine Linie überschritten worden. Sie hatten israelische Zivilisten getötet und sich etwas geholt, das wieder zurück in seinen Besitz zu bringen das israelische Oberkommando bereit war, einen Krieg zu führen.

»Es wird nicht einfach werden«, betonte Gideon. »Seit vielen Jahrhunderten ist in diesen Gewässern kein Schiff mehr geentert und erobert worden. Aber verdammt noch mal, genau das wird heute mit einem Schiff geschehen.«

Die Männer jubelten. Obwohl sie nur wenige Maschinenpistolen und Handfeuerwaffen hatten, half ihnen das Überraschungsmoment. Sie waren von hinten so dicht zu der Minerve aufgerückt, dass das französische U-Boot sie bei seinem eigenen Maschinenlärm unmöglich wahrnehmen konnte.

Während die Männer sich darauf vorbereiteten, aufzutauchen und die Minerve zu stürmen, saß wenige Schritte entfernt ein Funker vor seiner Konsole und presste die Muscheln eines Kopfhörers auf seine Ohren. »Soeben wurde ein Funkspruch abgefangen«, sagte er sichtlich enttäuscht mit mürrischer Stimme. »Die Minerve bleibt getaucht, bis sie den Ärmelkanal erreicht hat.«

Das war eine unwillkommene Nachricht.

»Wir können sie wohl kaum in Sichtweite der Küste entern«, meinte ein Offizier. »Dann haben wir die französische Luftwaffe bereits im Nacken, ehe wir das Material, das wir suchen, auch nur zu Gesicht bekommen.«

»Wir könnten ihnen einen Torpedo in die Seite jagen und es dabei belassen«, schlug der taktische Offizier vor.

Der Kapitän schüttelte den Kopf. »Unsere Befehle lauten, das gestohlene Material um jeden Preis zurückzuholen. Diese Befehle kommen direkt aus der Knesset und vom Ministerpräsidenten. Wir sollen die Minerve nur dann versenken, wenn die Gefahr besteht, dass wir selbst vernichtet werden.«

»Aber wie sollen wir in ein U-Boot eindringen, das getaucht ist?«, fragte der taktische Offizier.

An dieser Stelle ergriff Gideon wieder das Wort. Er hatte sich das Problem eine Weile durch den Kopf gehen lassen. »Dann müssen wir sie eben zwingen aufzutauchen.«

An Bord der Minerve trommelte Cheval mit den Fingern auf dem Kartentisch, den er während seines Wortgeplänkels mit Lukas und auch nachher keine Sekunde verlassen hatte. Alle paar Minuten schaute er auf die Uhr und überprüfte die aktuelle Position des U-Boots. Zeit und Boot schienen nahezu stillzustehen.

»Wie lange dauert es noch, bis wir den Kanal erreichen?«, fragte er in die lastende Stille.

Der Kapitän warf einen Blick zu ihm hinüber und wandte sich abrupt um, als ein metallisches Knirschen durch das Boot hallte.

Nach diesem Geräusch, das auf eine Kollision hindeutete, erklang ein schlürfender Laut, begleitet von einem heftigen Windhauch, als Luft aus der Kabine gesogen wurde. Die Folge war ein Knacken in den Ohren und ein stechender Schmerz in den Nasen der Männer. Gelbe und rote Warnlichter begannen auf einer Konsole heftig zu flackern, und der Sog wurde noch stärker.

»Das ist der Schnorchel«, meldete der Tauchoffizier. »Die Ventile haben sich geschlossen. Er funktioniert nicht mehr.«

Der Schnorchel war mit einem Notfallsperrventil ausgestattet, das die Atemröhre versiegelte, sobald Wasser den Lufteinlass überspülte. Bei geschlossenem Schnorchel mussten die mit voller Kraft laufenden Dieselmotoren die für ihren Betrieb notwendige Luft dort holen, wo sie einstweilen noch ausreichend vorhanden war – aus dem Innern des Unterseeboots.

»Ich habe drei Meter über der Wasseroberfläche befohlen«, sagte der Kapitän und bezog sich auf den Abstand zwischen Schnorchel und Wellengang.

»Und in genau dieser Tauchtiefe bewegen wir uns«, bestätigte der Tauchoffizier.

Entweder hatte sich das Wetter schlagartig verschlechtert, und die Wellen türmten sich zu diesem Zeitpunkt höher auf als erwartet, oder der Schnorchel war defekt.

Jeder der im Kontrollraum Anwesenden blickte gespannt nach oben, zählte die Sekunden und hoffte, dass das Atemrohr wieder frei wurde.

Cheval spürte, wie Übelkeit in ihm aufstieg, zum Teil aus Angst und zum Teil als Folge des schlagartig abfallenden Luftdrucks. Er schaute wieder auf die Uhr und konzentrierte sich diesmal auf den großen Zeiger. Dreißig Sekunden verstrichen, dann vierzig. Der augenblicklich herrschende Zustand besserte sich nicht.

»Wasser im Periskoptunnel«, meldete ein Crewmitglied des U-Boots. »Die Dichtungen im oberen Abschnitt sind offenbar gerissen.«

Cheval konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen als einen Wassereinbruch in einem getauchten U-Boot – auch wenn es nur ein winziges Rinnsal wäre. Er rief sich das metallische Knirschen in Erinnerung, dann glaubte er, das kurzzeitige Zittern der Kommandobrücke wieder spüren zu können. »Irgendetwas muss uns in die Quere gekommen sein«, sagte er. »Wir sollten sofort auftauchen.«

Zu Chevals Überraschung war der Kapitän der gleichen Meinung. »Vielleicht irgendein Treibgut«, sagte er. »Bringen Sie uns nach oben. Auftauchmanöver einleiten.«

Der Tauchoffizier leerte die Ballasttanks und veränderte den Anstellwinkel der Tiefenruder. Die Minerve begann mit dem Bug voraus aufzusteigen. Cheval registrierte Wassertropfen, die am Periskoprohr herabsickerten. Er warf einen Blick auf den Tiefenmesser und stellte fest, dass sie emporstiegen, und atmete erleichtert auf, als er spürte, wie das Unterseeboot durch die Wasseroberfläche brach und sich horizontal ausrichtete.

Ein zweites lautes stählernes Klirren hallte durch das Boot, und schlagartig ließ der Luftsog nach, was ein erneutes Knacken in Chevals Ohren auslöste. »Hauptventile geöffnet«, sagte einer der Männer. »Die Maschinen werden wieder mit Außenluft versorgt.«

»Ein Viertel Kraft voraus«, befahl der Kapitän. »Ich geh mal raus und sehe mir an, wie groß der Schaden ist.«

Während der Erste Offizier den Platz am Ruder einnahm, kletterte der Kapitän an der Spitze eines Trupps Techniker im Kommandoturm nach oben und öffnete zuerst die innere und dann die äußere Luke.

Tageslicht drang ins U-Boot. Grau und eintönig, aber wundervoll. Als die Füße des letzten Mannes nach draußen verschwunden waren, schaute Cheval neidisch zur Lukenöffnung hinauf. Ohne um Erlaubnis zu bitten, setzte er einen Fuß auf die Stahlleiter und kletterte los.

Er erreichte das obere Ende, schob den Kopf nach draußen und hielt erschreckt inne.

Das Periskop und der Schnorchel waren in einem Winkel von dreißig Grad zur Seite geneigt. Die Stahlröhren waren durch den Aufprall zerkratzt und verbogen worden. Das Antennengehäuse war regelrecht abrasiert worden.

Noch seltsamer war jedoch, dass der Kapitän und seine Begleiter nicht die Schäden begutachteten, um sich ein Bild von dem Umfang der notwendigen Reparaturen zu machen, sondern von Schusswaffen in Schach gehalten wurden.

Schwarz gekleidete Männer mit Maschinenpistolen im Anschlag hatten ihnen offenbar befohlen, sich hinzuknien. Zwei Schlauchboote mit Außenbordmotoren legten soeben hinter ihnen ab und nahmen Kurs auf den Bug eines anderen Unterseeboots.

Ehe er die Szene vollständig verarbeiten und darauf reagieren konnte, wurde Cheval selbst gepackt, hochgezogen und rücklings gegen die Außenwand des Kommandoturms gerammt. Ein hochgewachsener Mann mit ungepflegtem Bart bohrte den kurzen Lauf einer Maschinenpistole in seine Brust. »Keinen Laut, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist.«

Cheval nickte gehorsam. Sein Instinkt sagte ihm, wer diese Männer waren, wer sie sein mussten. »Sie sind Israeli.«

»Mein Name ist Gideon«, erwiderte der bärtige Mann und nickte. »Da Sie keine Uniform tragen, müssen Sie einer der französischen Wissenschaftler sein. Das bedeutet: Sie wissen ganz genau, hinter was wir her sind.«

Cheval zögerte. Jedoch nicht aus Trotz, sondern weil er zutiefst geschockt war. »Ich weiß, was Sie haben wollen«, bestätigte er dann.

»Gut«, meinte Gideon. »Steigen Sie jetzt die Leiter hinunter. Sollten Sie irgendetwas Dummes versuchen, sterben Sie als Erster.«

Cheval stieg so ruhig wie irgend möglich auf der Leiter zurück ins U-Boot hinab. Auf halbem Weg versetzte Gideon ihm einen Fußtritt, sodass er den Halt verlor und das letzte Stück ungebremst abrutschte. Sein Sturz war eine wirksame Ablenkung, und die Augen der Männer im Kommandozentrum waren ausschließlich auf ihn gerichtet, als Gideon und ein Kommandosoldat die letzten Leitersprossen mit einem Sprung überwanden und auf dem Deck landeten.

Angesichts der schussbereiten Maschinenpistolen und der vollständig überrumpelten U-Boot-Crew war an Gegenwehr nicht zu denken.

»Ihr Kapitän ist in unserer Gewalt«, erklärte Gideon ihnen. »Wir sind hier, um zurückzuholen, was Sie uns gestohlen haben. Niemand wird zu Schaden kommen, wenn Sie sich kooperativ verhalten.«

Während sich die Minerve in dem zunehmenden Seegang wiegte, kamen noch weitere Kommandosoldaten die Leiter herunter. Gideon ließ zwei Männer zurück, um den Kontrollraum zu bewachen, und zwang Cheval, sie tiefer ins U-Boot zu führen. In jedem Abschnitt machten sie weitere Gefangene. Kaum einer der Männer, die sie in ihren Kabinen antrafen, hatte mit einem solchen Überfall gerechnet. Die französischen Kommandosoldaten wurden ebenfalls zusammengetrieben. Alle bis auf Lukas.

»Behaltet die anderen im Auge«, befahl Gideon. »Zwei Männer sollen diesen Lukas suchen. Und ihn beim ersten Sichtkontakt erschießen.«

Während die Männer sich entfernten, geleitete Cheval den Israeli zu Ben-Avis Quartier und ließ ihn frei. »Wir sind gekommen, um Sie nach Israel zurückzubringen«, sagte Gideon zu Ben-Avi. »Aber nicht ohne das Material.«

»Ich weiß nicht, wo es aufbewahrt wird«, antwortete Ben-Avi.

Gideon wandte sich zu Cheval um. »Wo sind die Bakterienkulturen?«

»In der Messe.«

Cheval ging mit Gideon, Ben-Avi und einem Mitglied der israelischen U-Boot-Mannschaft im Schlepptau zur Messe. Sie betraten den Kantinenraum, in dem mehrere glänzende Stahlbehälter mit schwarzen Klebebändern an beiden Enden aufgereiht waren.

Gideon befahl Chavel, Platz zu machen, und forderte Ben-Avi mit einer Geste auf, die Behälter zu überprüfen.

»Das ist der primäre Stamm«, sagte Ben-Avi, während er den ersten Behälter kontrollierte. »Und dies ist …«

Ehe er den Satz beenden konnte, erklang das Hämmern einer automatischen Waffe. Ben-Avi brach in einem Kugelregen zusammen. Querschläger sirrten mit bösartigem Zwitschern durch die Messe, und jeder warf sich auf den Boden und suchte Deckung.

»Rechts hinten … bei den Kühlschränken«, rief der Kommandosoldat.

Cheval lag auf dem Boden und hielt nach einem geeigneten Schutz Ausschau, während Gideon mit seiner Waffe das Feuer erwiderte. Als Cheval es riskierte, den Kopf zu heben, um sich zu orientieren, war Lukas tot. In seinem eigenen Blut lag er ausgestreckt auf dem Deck. Ben-Avi, der sich wenige Schritte von ihm entfernt befand, ging es kaum besser.

Cheval rannte zu ihm hinüber und versuchte, den Blutstrom zu stoppen. »Es tut mir leid«, stammelte er. »Das ist alles meine Schuld. Bitte verzeihen Sie mir.«

Ben-Avi schaute an Cheval vorbei, als sei er gar nicht vorhanden. Er bewegte den Mund, um etwas zu sagen, aber kein Laut kam über seine Lippen.

Nachdem er das U-Boot unter seine Kontrolle gebracht hatte und die erste Charge Material sowie einige Gefangene zur Dakar unterwegs waren, meldete sich Gideon beim Kapitän. Ihn erwarteten schlechte Nachrichten.

»Wir haben ein französisches Flugzeug mit Kurs auf unsere Position auf dem Radar. Seine Absichten sind nicht ganz klar. Es könnte sein, dass sich unsere Flucht schwieriger gestaltet als erwartet. Wir tauchen und setzen uns augenblicklich ab. Sie und Ihre Männer bleiben auf der Minerve und bringen sie nach Israel.«

Gideon reagierte überrascht. »Wir sollen das U-Boot übernehmen und dann … eine längere Strecke mit ihm zurücklegen?«

»Ich kann sie weder mitsamt ihrer Mannschaft auf den Meeresgrund schicken noch kann ich die Männer in Rettungsboote setzen oder sie den nächsten Hafen anlaufen lassen, wo sie der ganzen Welt von uns erzählen werden. Also müssen wir das Schiff übernehmen. Seine Mannschaft schicken wir nach Hause, sobald wir in Haifa einlaufen.«

»Wenn sie kein Wrack finden, werden die Franzosen sicher Verdacht schöpfen«, gab Gideon zu bedenken. »Dann werden sie sich erst recht auf die Suche machen.«

»Tun Sie einfach alles, um sie in die Irre zu führen«, riet der Kapitän der Dakar. »Lassen Sie Öl ab, und werfen Sie ein paar Schwimmwesten und andere Gegenstände über Bord, aber danach tauchen Sie unbedingt und nehmen Kurs nach Süden. Wenn wir Glück haben, wird man annehmen, dass die Minerve gesunken ist.«

»Und wenn sie trotzdem hierherkommen?«

»Dann interessieren sie sich für uns«, erwiderte der Kapitän. »So oder so haben wir mit zwei Schiffen eine bessere Chance, das Material nach Israel zu bringen, als mit nur einem. Aber auch wenn es nur einer von uns bis in die Heimat schafft, wird Israel in Zukunft um einiges sicherer sein als heute.«

Gideon hätte es vorgezogen, die Minerve zu versenken, ganz gleich ob mit oder ohne Mannschaft an Bord. Er hatte nicht den leisesten Wunsch, die französische Crew ständig zu bewachen. Auf dem Schiff gab es zu viele Möglichkeiten für Sabotage. So viel konnte schiefgehen. Trotzdem befolgte er den Befehl, pumpte vierhundert Gallonen Dieselöl ins Meer und warf alles über Bord, das schwimmfähig war und auf eine Havarie schließen ließ.

Das Täuschungsmanöver, das den Franzosen vorgaukeln sollte, dass ihr Unterseeboot gesunken war, nahm nur wenige Minuten in Anspruch. Anschließend trafen sie Vorbereitungen, den Ort des Geschehens zu verlassen.

Während die U-Boote auf entgegengesetzten Kurs gingen, funkte die Dakar mit einem Signalschweinwerfer den Gruß Gute Fahrt, ehe sie auf Tauchstation ging.

Die Minerve tauchte weniger als zwei Minuten später ab. Keins der Schiffe sollte jemals wieder zur Wasseroberfläche aufsteigen.

TEIL ZWEI

INFERNO

3

GOLF VON MEXIKO

GEGENWART

Rick L. Cox stand in der Operationszentrale der Ölbohrinsel Alpha Star, zehn Stockwerke über der Meeresoberfläche.

Cox war Bohrmeister und beaufsichtigte in dieser Funktion den gesamten Bohrbetrieb. Es war ein Job, den er liebte, und in den dreißig Jahren, die er im Bohrgeschäft tätig war, hatte er einen sechsten Sinn für den Erfolg oder Misserfolg einer Bohrung entwickelt. Heute brauchte er nicht darauf zurückzugreifen. Schon ein Blick auf die Anzeigetafel sagte ihm, dass er einen schlechten Tag erwischt hatte und das Schlimmste noch nicht überstanden war.

Die Fließgeschwindigkeiten und die Druckverhältnisse in den Leitungsrohren wichen erheblich von der Norm ab. Und zwar in der falschen Richtung. Beides war niedrig und weiter abnehmend, obgleich die Alpha-Star-Plattform und zwei ihrer Schwestern riesige Mengen gefilterten Wassers in den Meeresboden pumpten, um den Druck des Ölfeldes zu erhöhen und das Aufsteigen des schwarzen Goldes und des Erdgases zu erzwingen.

»Das kann nicht sein«, sagte Cox zu einem Mitglied des Bohrtrupps. »Wie viel Wasser läuft durch die Pumpen?«

»Die Höchstmenge!«, rief einer der Techniker. »Alle Pumpen sind voll ausgelastet!«

Trotzdem verzeichneten sie nur einen schwachen Strom Erdgas und keinen Tropfen Erdöl.

Cox schob sich den Sicherheitshelm in den Nacken, um sich am Kopf zu kratzen, und ergriff dann das Funkgerät. Alpha Star arbeitete im Verbund mit zwei anderen Ölbohrinseln, um ein offenbar sterbendes Offshore-Ölfeld wiederzubeleben. Vielleicht unterstützten die beiden anderen Plattformen sie bei ihren Bemühungen ja nicht.

»Alpha Zwei, meldet euch«, sagte Cox ins Mikrofon des Funkgeräts.

»Hier ist Alpha Zwei«, antwortete eine Stimme mit deutlichem Südstaatenakzent. »Wir hören euch laut und deutlich.«

»Wie hoch ist euer Einströmdruck?«

»Die Nadel steht dicht vor der roten Linie.«

Cox betätigte abermals die Sprechtaste. »Alpha Drei, könnt ihr mehr Druck erzeugen?«

Der Vormann der dritten Plattform antwortete, ohne lange zu zögern. »Wir sind hier ebenfalls am Limit, Boss. Wenn sich das Öl nicht bald in Bewegung setzt, müssen wir den Druck zurückfahren.«

»Darüber entscheide ich.« Cox warf erneut einen Blick auf die Anzeigen. »Behaltet den Druck bei. Die Geologen bestehen darauf, dass dort unten ein wahrer Ozean an Rohöl wartet. Wenn ja, dann zwingen wir ihn nach draußen. Ich bohre einhundert Fuß tiefer. Damit dürfte das Feld mit Sicherheit angezapft werden.«

Als Cox geendet hatte, schaute er zu Leon Nash, einem der Bohrturmexperten seiner Mannschaft, hinüber. »Lassen Sie den Bohrkopf weitere hundert Fuß vordringen.«

Nash zögerte. »Die Leute machen sich bereits Sorgen, Chief. Niemand will einen Blowout riskieren.«

Cox wischte den Einwand beiseite. »Wir halten uns bereit, um die nötigen Maßnahmen sofort zu ergreifen. Achten Sie nur auf den richtigen Bohrwinkel, und schicken Sie den Kopf zusätzliche hundert Fuß abwärts.«

Nash verzichtete auf weitere Einwände. Er überprüfte noch einmal sorgfältig die Position des Bohrgestänges und aktivierte den Bohrkopf. In der Mitte der riesigen Plattform begann ein dickes Rohr zu rotieren. Sechstausend Fuß unter der Insel fraß sich eine Hartmetallkrone tiefer in die Erde hinein und wühlte sich durch Schlick, Salz und mehrere Schichten porösen Gesteins. Schlamm stieg in dem Rohr nach oben, sonst aber nichts.

»Fünfzig Fuß«, meldete Nash. »Siebzig Fuß.«

»Tut sich etwas?«

»Kein verstärkter Ausfluss«, sagte Nash.

Cox war verwirrt. Sie müssten längst in das aktive Ölfeld eingedrungen sein. »Seid jetzt vorsichtig«, warnte er. Wenn dort unten ein Ölvorkommen wartete, dann befand es sich unter hohem Druck, der durch das Wasser, das unter das Feld gepumpt worden war, noch um einiges zugenommen haben dürfte. Diese Blase zu verletzen könnte ihre plötzliche Entladung, auch Blowout genannt, zur Folge haben. Wie beim Öffnen einer Sprudelwasserflasche, die vorher heftig geschüttelt worden war.

»Noch dreißig Fuß«, sagte Nash. »Zwanzig …«

Die Nadeln auf der Instrumententafel zitterten. Der Druck in den Auffangrohren nahm stetig zu.

»Bohrer stopp«, sagte Cox.

»Wir haben Flüssigkeit und Gas in der Rohrleitung«, sagte Nash und führte mit der geballten Faust eine Pumpbewegung aus. »Außerdem steigt der Druck an.«

Die Bohrarbeiter hinter ihm stießen heisere Jubelrufe aus.

Ehe Cox mit einstimmen konnte, wechselten einige Warnlampen auf seinem Bildschirm von Grün zu Orange.

Gleichzeitig drang eine Stimme aus dem Lautsprecher seines Funkgeräts. »Der Druck in den Auffangrohren nimmt rapide zu«, meldete der Vormann von Alpha 2. »Wir messen hier einige verdammt hohe Werte.«

Dies konnte Cox auf seinem Kontrollschirm verfolgen. Er wandte sich wieder an Nash. »Ist der Bohrer noch in Betrieb?«

»Nein.«

Der Sprechverkehr wurde lebhafter. Es dauerte nicht lange, und Alpha 2 und Alpha 3 redeten durcheinander.

»Zehntausend Pfund pro Quadratzoll und zunehmend.«

»Temperaturanstieg in der Hauptleitung.«

»Einströmpumpen abschalten«, befahl Cox.

Hebel wurden umgelegt, und das Geräusch wimmernder Pumpen in einem entfernten Bereich der Plattform verstummte. Da nun kein Wasser mehr ins Gestein unter dem Ölfeld gepresst wurde, hätte sich der Druck stabilisieren müssen. Was jedoch nicht geschah.

»Zwölftausend Pfund pro Quadratzoll«, meldete Alpha 2. »Dreizehn …«

Cox brauchte keinen begleitenden Kommentar. Was hier los war, konnte er mit eigenen Augen verfolgen. Die orangefarbenen Warnleuchten begannen zu blinken und wechselten zu einem wütend pulsierenden Rot.

»Sperrventil defekt«, sagte Nash auf der anderen Seite des Raums. »Der Druck in der Hauptleitung beträgt fünfzehntausend Pfund pro Quadratzoll. Wir sollten die Rohrventile öffnen, sonst fliegt uns die gesamte Anlage um die Ohren.«

Cox hatte keine Wahl. Er legte die Hand auf den Schaltknopf des Notfallventils und drückte ihn.

Unter der Plattform verband ein Netzwerk von kreuz und quer verlaufenden Leitungsrohren die Bohrinseln miteinander und mit dem Sammelgitter. An kritischen Positionen des Netzwerks öffneten sich Ventile, um das unter hohem Druck stehende Erdgas ins Meer zu entlassen.

Dort hätte eine dichte, aber harmlose Wolke Erdgas freigesetzt werden müssen, die sich ausbreitete und stetig verdünnte, während sie zur Wasseroberfläche aufstieg. Stattdessen ertönte ein dumpfes Rumpeln und brachte die gesamte Plattform zum Vibrieren.

»Wir haben Feuer auf dem Wasser«, meldete Alpha 2.

In der Lücke zwischen den beiden Plattformen schoss eine Stichflamme aus dem Meer in die Höhe. Sie schlängelte sich über die Wasseroberfläche und verschmolz mit weiteren Brandherden, bis alle drei Inseln von einem Flammenmeer umgeben waren.

»Die Plattform abriegeln«, befahl Cox.

Die Türen zu den einzelnen Abteilungen schlossen sich automatisch, um Rauch und Flammen auszusperren, doch während die Plattform isoliert wurde, ereignete sich eine Erschütterung, deren Ursprung sich in der Tiefe befand. Der Fußboden bebte, und Knie gaben nach, um das Schwanken auszugleichen.

»Wir verzeichnen einen hohen Druckanstieg am Bohrloch!«, rief Nash. »Wir müssen mit einem Blowout rechnen!«

Das war die bisher schlimmste Nachricht. Es bedeutete, dass eine Gaswolke in dem Loch aufstieg, das sie bisher gebohrt hatten.

Der Druck war für das Messgerät zu groß. Die Gasblase überwand explosionsartig das Bohrlochabsperrventil und raste aufwärts bis ins Herz der Plattform. Sie entzündete sich, sobald sie mit der Luft in Berührung kam, und ging im Zentrum der Plattform wie eine Tausend-Pfund-Bombe hoch.

4

Das strahlend blaue Wasser des Golfs von Mexiko umgab Kurt Austin und trug ihn, während er mit rhythmischen Beinschlägen hindurchpflügte. Er trug einen Neoprenanzug und Schwimmflossen, jedoch keine Tauchausrüstung, während er auf ein Tauchboot zuschwamm, das ein paar Meter entfernt auf den Wellen schaukelte.

Eine dunkelhaarige Gestalt saß auf der Nase des kleinen Unterseeboots. »Wurde aber auch Zeit, dass du hier mal erscheinst«, sagte Joe Zavala. »Ich wollte schon die AAA anrufen, damit sie jemanden vom Service schicken.«

Kurt erreichte das kleine Boot, hielt sich an einem Handgriff fest und ließ sich im warmen Wasser mittreiben. »Die Gebühren, die sie für ihre Dienste verlangen, wenn man nicht Mitglied ist, kann sich kaum ein Sterblicher leisten.«

Tatsächlich war das Tauchboot nicht mehr als einhundert Meter von seinem Mutterschiff, dem NUMA-Schiff Raleigh, entfernt. Die Raleigh war ein Forschungsschiff, ungefähr siebzig Meter lang und mit wissenschaftlichen Geräten vollgestopft. Unterhalten und betrieben wurde sie von Kurt Austins und Joe Zavalas gemeinsamem Arbeitgeber, der National Underwater and Marine Agency.

»Was ist passiert?«, fragte Kurt. »Die Tauchfahrt sollte doch zwei Stunden dauern. Nach meiner Schätzung warst du höchstens für eine halbe Stunde unter Wasser.«

»Mir ist irgendetwas in die Quere gekommen«, sagte Joe. »Oder genauer gesagt, irgendetwas hat mich erwischt. An der Unterseite des Rumpfs.«

»Wurde er beschädigt?«

»Ich bin mir nicht sicher.«

Kurt wusste, dass Joe auf dem Boot bleiben musste, um dafür zu sorgen, dass die Raleigh es in Schlepp nehmen konnte. »Wirf mir eine Maske runter«, sagte er. »Ich sehe mal nach.«

Joe angelte eine Tauchmaske aus seinem Gerätesack und reichte sie zu Kurt hinüber. Nachdem er die Länge der Bänder seiner Kopfform angepasst und die Maske vor seinem Gesicht justiert hatte, holte Kurt tief Luft und tauchte unter das kleine Boot. Der Bug des Tauchboots wies keinerlei Unregelmäßigkeiten auf. Aber ein Stück weiter hinten entdeckte er eine flache Delle im Bootsrumpf. Kurt strich mit der Hand darüber und entschied, dass sie organischen Ursprungs war. Irgendein großer Fisch oder ein Meeressäugetier hatte das Boot gerammt. Mit so etwas war in diesen Gewässern gelegentlich zu rechnen.

Kurt nutzte die Gelegenheit und schwamm weiter zum Bootsheck, um den Bootskörper auf weitere Beschädigungen zu untersuchen. Er machte gerade Anstalten, wieder aufzutauchen, als er plötzlich das Gefühl hatte, als wäre sein Oberkörper von einem Boxhieb getroffen worden. Eine Druckwelle, die über ihn hinwegrollte, versetzte ihm eine regelrechte Ohrfeige.

Er stieg zur Meeresoberfläche auf, fasste nach dem Handgriff und schob mit der anderen Hand die Tauchmaske auf die Stirn. »Hast du das auch gespürt?«

Joe stand mittlerweile auf dem Tauchboot und schaute zum Horizont. »Nein, aber ich habe es gesehen«, antwortete er. »Die Druckwelle lief über die Wasseroberfläche. Bist du okay?«

»Es fühlte sich wie der Tritt eines Maultiers an, aber mir geht es gut.« Kurt zog sich auf das Tauchboot hoch. »Das könnte ein kleines Seebeben gewesen sein.«

»Glaub ich nicht«, widersprach Joe Zavala. Er deutete zum Horizont. Östlich von ihnen stieg eine Rauchsäule in den Himmel.

Schall- und Druckwellen breiteten sich unter Wasser vier Mal schneller aus als in der Luft und legten dabei eine vier Mal längere Strecke zurück. Fast eine Minute nachdem Kurt im Wasser die Druckwelle gespürt hatte, drang aus der Ferne das dumpfe Echo eines Donners zu ihnen.

»Das ist ziemlich weit von uns entfernt«, stellte Joe fest.

Im Kopf stellte Kurt einige Berechnungen an. »Zwölf Meilen, grob geschätzt«, sagte er schließlich. »Wer oder was ist da draußen?«

»Nur die Ölbohrinseln«, sagte Joe.

Ein besorgter Ausdruck erschien auf ihren Gesichtern. Joe verschwand durch die Lukenöffnung im Tauchboot, ließ sich in den Kommandosessel gleiten und startete die Maschine.

Kurt kletterte aus dem Wasser, ließ sich ins Cockpit hinunter und griff nach dem Mikrofon des Funkgeräts.

»Raleigh, hier spricht Austin«, sagte er. »Halten Sie sich bereit, um uns an Bord zu holen. Und alarmieren Sie die Küstenwache. Ich habe das Gefühl, als würde unsere Hilfe dringend gebraucht werden.«

Zwanzig Minuten später standen Kurt und Joe auf der Kommandobrücke der Raleigh. Kurt hielt das Mikrofon der Sprechanlage des Schiffes in der Hand. Die Raleigh war bereits mit Höchstgeschwindigkeit zu dem Inferno hinter dem Horizont unterwegs.

Mit seiner Schätzung von zwölf Meilen Entfernung bis zum Unglücksort hatte Kurt beinahe ins Schwarze getroffen. Die Strecke bis zur Ölbohrinsel Alpha Star betrug genau 11,7 Meilen. Er justierte die Frequenz des Funkgeräts, hob das Mikrofon und drückte auf die Sendetaste. »Alpha Star, hier spricht die Raleigh. Wir bieten Ihnen unsere Hilfe an. Erbitten Informationen über Ihren gegenwärtigen Status.«

Kurt Austin maß eins achtzig, hatte eine kräftige Statur, ein markantes Kinn und dichtes, frühzeitig silbern ergrautes Haar auf dem Kopf. Mitte dreißig und sonnengebräunt ließen ihn die Jahre, die er weitgehend im Freien und den Elementen ausgesetzt verbracht hatte, um einiges älter wirken.

Er leitete die Abteilung für Sonderprojekte der NUMA, die als weitgehend eigenständiger Ableger der Regierung speziell in Situationen wie dieser zum Zuge kam.

Kurt wechselte mehrmals die Frequenz und sendete immer wieder die gleiche Botschaft, erhielt jedoch keine Antwort. »Auf den regulären Kanälen und den üblichen Notruffrequenzen tut sich nichts.«

Kevin Brooks, der Kapitän der Raleigh, der seine Bemühungen verfolgte, nahm die Information mit professionell gelassener Miene zur Kenntnis. »Die Küstenwache meldet drei brennende Bohrinseln«, sagte er. »Zwei werden gegenwärtig evakuiert. Aber die Alpha Star ist offenbar ringsum von Flammen eingeschlossen.«

»Ich nehme an, dass längst Hilfsmaßnahmen eingeleitet wurden und die ersten Retter auf dem Weg sein werden«, meinte Joe.

»Mit Sicherheit«, bestätigte Brooks. »Aber wir sind am nächsten dran. Diese Bohrplattform dürfte nur noch ein Haufen geschmolzener und ausgeglühter Schrott sein, wenn von den anderen Helfern die ersten eintreffen.«

Kurt war längst zu der gleichen Schlussfolgerung gelangt. »Sehen wir uns mal an, wie schlimm es ist.«

Er legte das Mikrofon auf die Gabel, schaltete einen Computermonitor ein und gab über ein Keyboard einige Befehle ein. Der Computer war mit zwei Hochleistungskameras auf der Spitze des Antennenmasts der Raleigh verbunden. Die Kameras waren mit extremen Teleobjektiven und hochempfindlichen optischen Sensoren ausgestattet, dank derer sie in mehreren Wellenlängenbereichen gleichzeitig »sehen« konnten. Nummernschilder in einer Meile Entfernung zu entziffern bereitete ihnen keine Schwierigkeiten. Ihre kreiselstabilisierte Aufhängung sorgte stets für kristallklare Videoaufzeichnungen, selbst wenn das Schiff heftig schwankte und rollte.

Als Kurt die Kameras fokussierte, kam das Inferno in Sicht. Die Alpha-Star-Plattform war in dunklen Qualm gehüllt und brannte an allen Ecken und Enden. Lediglich der obere Abschnitt des Bohrturms war bisher von den Flammen verschont worden.

»Es ist noch schlimmer, als ich befürchtet habe«, sagte Brooks. »Kein Wunder, dass sie nicht antworten können.«

»Die gesamte Anlage steht auch seltsam schief«, sagte Joe, nachdem er den Monitorschirm einige Sekunden lang studiert hatte. »Die Plattform hat Schlagseite. Offenbar ist sie abgesackt und nimmt Wasser auf. Wir müssen uns beeilen, damit wir sie erreichen, ehe sie kentert.«

Kurt verringerte den Zoomfaktor einer Kamera, die daraufhin eine Totalansicht der Unglücksstelle lieferte. Der gesamte Sektor des Ozeans um die Alpha Star und die beiden anderen Plattformen war ein einziges Flammenmeer. »Dort müssen wir wohl oder übel hindurch, wenn wir irgendetwas ausrichten wollen«, sagte Kurt.

Skeptisch betrachtete der Kapitän den Bildschirm. »Ihnen ist aber klar, dass alle auf der Plattform wahrscheinlich den Tod gefunden haben.«

»Das kann schon sein«, sagte Kurt. »Aber falls es doch noch Überlebende geben sollte, werden sie ohne unsere Hilfe kaum aus diesem Inferno herauskommen.«

Kapitän Brooks hatte das Wohl seiner eigenen Mannschaft im Sinn, aber er zögerte keine Sekunde, schnappte sich das Mikrofon und schaltete auf schiffsweite Übertragung um. »Achtung, Mannschaft, hier spricht der Kapitän«, sagte er. »Wir lenken dieses Schiff jetzt ins Feuer. Alles dicht machen, als rechneten wir mit einem Taifun der Stärke zehn. Außerdem Vorbereitungen treffen, um eventuelle Opfer aufzunehmen und Erste Hilfe zu leisten.«

Kurt quittierte die Ansage des Kapitäns mit einem Kopfnicken und blickte wieder auf den Bildschirm. Die Flammen loderten mit unverminderter Kraft. Und die Rauchwolke schraubte sich zwei Meilen in den Himmel und trieb langsam auf Florida zu.

»Ich kann Sie dorthin bringen«, sagte Brooks. »Aber was auf Gottes schönem Erdboden gedenken Sie danach zu tun?«

»Jedenfalls nichts auf dem Erdboden«, sagte Kurt. »Wir sind auf dem Meer zu Hause.«

Mit diesen Worten machte er kehrt und verließ die Kommandobrücke. Was immer Kurt im Sinn hatte, Kapitän Brook wusste, dass er gut daran tat, nicht zu versuchen, ihn aufzuhalten. Dafür hatte sich Kurts Ruf zu weit verbreitet. Einige nannten ihn mutig, andere eigensinnig, waghalsig und draufgängerisch, aber niemand hatte den geringsten Zweifel, was seine Entschlossenheit betraf. Wenn sich jemand in dieses Feuer hineinwagen und ein paar Überlebende herausholen konnte, dann war es Kurt Austin.

5

ÖLBOHRINSEL ALPHA STAR

KONTROLLZENTRALE

Rick L. Cox wachte immer wieder aus der Bewusstlosigkeit auf. Zuerst erkannte er, dass er seine Umgebung dann wahrnahm. Danach spürte er, dass er heftige Schmerzen hatte.

Er lag auf der Seite, und auf seinem Körper lastete ein enormer Druck. Irgendetwas drohte, ihn zu zerquetschen, nur konnte er nicht erkennen, was es war. Sich umzuschauen half ihm nicht weiter, da es im Kontrollraum abgesehen von dem winzigen Lichtpunkt einer der mit Batterie gespeisten Notlampen an der Wand stockdunkel war.

Als er etwas fand, an dem er sich abstützen konnte, schob sich Cox vorwärts und schlängelte sich unter einem Haufen Trümmer hervor, die sich auf ihm angesammelt hatten. Von der Last befreit schaute er sich abermals um und versuchte, auf die Füße zu kommen. Aufzustehen war die eine Sache, doch einigermaßen gerade stehen zu können, war eine ganz andere. Er machte einen Schritt, spürte, wie er strauchelte, und suchte mit ausgestreckten Armen Halt an der nächsten Wand.

Anfangs vermutete er, dass sein Gleichgewichtssinn gestört war, doch als er sich schließlich aufrecht halten konnte, kam er zu dem Schluss, dass sich der gesamte Raum in Schräglage befand.

Das ist eine furchtbare Schlagseite, dachte er und versuchte, sich ins Gedächtnis zu rufen, wie weit sich die Alpha-Star-Plattform zur Seite neigen konnte, ehe sie vollends umkippte.

Humpelnd kämpfte er sich vorwärts, streckte eine Hand nach der Notfalllampe aus und pflückte sie von der Wand, wo sie von einem Magneten fixiert wurde. Indem er den matten Lichtstrahl in den Raum richtete und hin und her schwenkte, konnte er mehrere Mannschaftsmitglieder ausmachen. Drei von ihnen waren offensichtlich nicht mehr am Leben. Nash hielt einen Arbeiter namens Hancy im Arm, und zwei andere waren erst vor Kurzem auf die Plattform gekommen, sodass Cox sich nicht an ihre Namen erinnern konnte.

Keiner der Neulinge schien aus eigener Kraft laufen zu können.

»Ist sonst noch jemand übrig?«, fragte Cox.

Nash schüttelte den Kopf.

Cox suchte verzweifelt nach einem funktionierenden Funksprechgerät. Die Hauptanlage der Bohrinsel war offenbar defekt, aber schließlich fand er ein tragbares Gerät. Er wählte den Notrufkanal und sendete.

»Mayday! Mayday! Mayday! Hier ist Alpha Star! Wir hatten einen Blowout! Die Plattform brennt. Fünf Männer sind in der Kontrollzentrale eingesperrt. Wir nehmen an, dass die Insel sinkt. Brauchen schnellstens Hilfe!«

Während Cox auf eine Antwort wartete, rann ihm der Schweiß übers Gesicht. Sie befanden sich im Innern eines Backofens, dessen Temperatur rasant zunahm.

»Das ist ein Gerät für kurze Entfernungen«, sagte Nash und deutete mit einem Kopfnicken auf das Funksprechgerät. »Niemand wird uns hören. Es sei denn, sie haben sich der Insel bereits auf wenige Meilen genähert.«

Cox wusste es längst, aber er hatte keine andere Karte, die er hätte ausspielen können. Er versuchte sein Glück ein zweites Mal, und dann musste er sich an der Wand abstützen, als sich die Plattform weiter auf die Seite neigte. Die Schlagseite nahm zu, aber zu Cox’ Verwunderung kenterte die Insel nicht.

»Wir müssen zusehen, dass wir rauskommen«, sagte er. »Nicht mehr lange, und die Plattform legt sich auf den Rücken.«

»Die Männer können nicht laufen«, sagte Nash.

»Dann müssen wir sie tragen.«

Cox hakte das Funkgerät in eine Schlaufe seines Gürtels, zog einen der Männer auf die Füße hoch und lud ihn sich auf die Schulter.

Er musste die Zähne zusammenbeißen, um vor Schmerzen nicht laut aufzuschreien, als er einen Schritt machte und sein verwundetes Bein mit dem zusätzlichen Gewicht belastet wurde. Beinahe gab es nach, aber Cox würde niemals zulassen, dass er stürzte. Er hatte das Unmögliche gewollt und die Bohrung zu tief vorangetrieben. Wahrscheinlich hatte die Hälfte der Mannschaft deshalb den Tod gefunden. Wenn nur eine winzige Chance bestand, würde er die Überlebenden aus ihrem Gefängnis befreien und in Sicherheit bringen.

Nash und Hancy halfen dem zweiten Mann auf die Beine. Und die fünf tasteten sich über den geneigten Boden. Sie erreichten eine verbogene Tür. Sich mit seinem ganzen Gewicht dagegenstemmend, schaffte Cox es, sie so weit aufzudrücken, dass jeder von ihnen durch den Spalt schlüpfen konnte. Cox machte einen Schritt in die schmale Öffnung, blieb jedoch plötzlich stehen.

Der Korridor vor ihnen fiel steil ab. An seinem Ende schwappte Wasser. Das allein war schon schlimm genug, aber als Cox die Lampe dorthin richtete, entdeckte er außerdem Gasblasen, die zerplatzten, sobald sie zur Wasseroberfläche aufstiegen. »Zurück!«, rief er. »Sofort umkehren!«

Er gab den Türspalt frei, während Flammen aus dem Wasser hochschlugen und durch den Korridor auf ihn zurasten. Sie versengten seinen Nacken, während er durch den Türspalt zurückwich.

Aus dem Augenwinkel bekam er mit, wie Nash die Tür hinter ihm zuzog. Sie sollte wasserdicht sein, aber der verzogene Rahmen schloss nicht mehr ordnungsgemäß, und schon bald sammelte sich Wasser am unteren Rand.

»Wir sinken und haben Schlagseite«, sagte Cox. »Deshalb sind wir noch nicht umgeschlagen.«

»Und dieser Korridor ist der einzige Fluchtweg«, sagte Nash.

»Nicht ganz«, erwiderte Cox. »Wir können auch das Fenster in meinem Büro benutzen.«

Als Bohrmeister der Insel hatte Cox ein Büro, das direkt mit dem Kontrollzentrum verbunden war. Viel hatte er in diesem Raum nicht zu tun, außer sich am Ende jedes Arbeitstages dort einen doppelten Scotch zu genehmigen. Aber der Raum verfügte über ein großes Fenster, das auf den Golf hinausging. Normalerweise betrug der Abstand zur Meeresoberfläche zwanzig Meter, aber angesichts der Tatsache, dass die Plattform Schlagseite hatte und das Wasser bereits durch den Korridor strömte, konnte der rettende Ozean nicht mehr als ein paar Schritte entfernt sein.

Sich gegenseitig helfend, durchquerten die Männer den Kontrollraum und waren froh, dass ihr Ziel auf der höher gelegenen Seite lag. Sie gelangten ins Büro und stellten fest, dass sämtliche Möbel zur Wand neben der Tür gerutscht waren.

Das Fenster befand sich in der gegenüberliegenden Wand. Stellenweise war es bereits gesprungen und wurde von einem Spinnennetz von Rissen durchzogen. Sie konnten kein Tageslicht dahinter erkennen, nur dichten schwarzen Qualm und gelegentlich den orangefarbenen flackernden Lichtschein lodernder Flammen.

»Demnach bleiben uns nur zwei Möglichkeiten – ertrinken oder verbrennen«, klagte einer der verletzten Männer.

Cox bezweifelte, dass dies die einzigen Möglichkeiten waren, ihr Schicksal zu besiegeln. Hinzu kamen die zunehmend giftigen Dämpfe, die mit jedem weiteren Atemzug in ihre Lungen drangen. Irgendwann in den nächsten Minuten würden sie das Bewusstsein verlieren.

In der Hoffnung, jedem dieser drei Todesurteile entgehen zu können, nahm Cox die Möbelansammlung in Augenschein, um etwas zu finden, womit sich das Fenster zertrümmern ließ. Am liebsten wäre ihm eine Brandaxt gewesen, aber alles, was er entdeckte, war das alte 9er-Eisen, das immer an seinem Schreibtisch lehnte und das er von Zeit zu Zeit benutzte, um Golfbälle über das Oberdeck der Plattform ins Meer zu schlagen.

Er ergriff es, ging zum Fenster, holte aus und schlug mit aller Kraft zu. Der stählerne Kopf traf und federte zurück, ohne mehr als eine kleine Vertiefung in der Fensterscheibe zu hinterlassen. Abermals holte Cox aus, schlug zu und tat es immer wieder. Er wiederholte seine Versuche, bis seine Kräfte versiegten, aber die Scheibe, die aus mehreren Schichten hochfesten Plexiglases bestand, blieb intakt.

»Das hat auch keinen Sinn«, sagte er schließlich. »Das Fenster wurde schließlich konstruiert, um zwanzig Meter hohen Brechern standzuhalten.«

Hustend und erschöpft ließ er sich auf den Boden sinken. Auf der anderen Seite des schrägen Fußbodens drang Wasser unter der Bürotür hindurch.

Nash versuchte, sich aufzurichten und seinem Boss den Golfschläger aus der Hand zu winden, aber er konnte sich kaum noch rühren. Die Dämpfe begannen ihre Atemwege zu lähmen, und das Feuer zehrte sämtlichen Sauerstoff im Korridor auf.

Er brachte nur einen einzigen Schlag zustande, ehe er zu Boden sank. Seine Brust hob und senkte sich heftig. »Ich … kriege … keine … Luft …«

Die Bohrinsel sank tiefer, und die Aussicht aus dem Fenster veränderte sich. In der oberen Hälfte waberten Rauch und Feuer, während in der unteren Hälfte ein grünes Schimmern wie bei einem sparsam erleuchteten Swimmingpool zu sehen war. Schon bald würden sie sich unter Wasser befinden. Der Raum war nur wegen der Luftblase, die ihn füllte, noch nicht überflutet worden.

Cox wusste, dass es zu Ende ging. »Es tut mir leid, Leute … ich hätte …«

Seine Lider wurden schwer, aber er zwang sich, die Augen offen zu halten. Er glaubte, auf der anderen Seite des von feinen Rissen durchzogenen Fensters eine Bewegung wahrgenommen zu haben. Es sah wie ein Reflex auf der Innenseite aus, doch es wurde stetig heller und näherte sich mit zunehmender Geschwindigkeit.

Als das Leuchten blendend hell war, krachte etwas von außen gegen das Fenster. Diesmal zerschellte das Plexiglas, und grün schimmerndes Wasser ergoss sich über die Fensterbank. Für einen Moment verharrte die gelbe Nase eines seltsam aussehenden Wasserfahrzeugs in der Öffnung, dann zog sie sich zurück.

Er erkannte in der merkwürdigen Erscheinung ein Tauchboot ähnlich den ROVs, die sie benutzten, um die Rohrleitungen und Bohrlochköpfe zu inspizieren.

Das Tauchboot stoppte, die Hauptluke klappte auf, und eine Gestalt in Feuerschutzkleidung kletterte heraus. Mittlerweile war Cox überzeugt, dass er eine Halluzination hatte, aber der Mann sprang ins Wasser, erreichte mit einigen Schwimmzügen das Fenster und ließ sich mit dem Wasserschwall ins Büro spülen.

Und sobald er festen Boden unter den Füßen hatte, kam er zu Cox herüber. Er trug eine Vollgesichtsmaske, doch als er den Mund bewegte und etwas sagte, drang seine Stimme aus einem kleinen Lautsprecher an der Seite der helmartigen Maske. »Wie viele Männer sind hier?«

»Fünf«, antwortete Cox stockend. »Fünf haben es geschafft. Wer sind Sie?«, hängte er eine Frage an. »Wo kommen Sie her?«

»Wir gehören zur NUMA. Unser Schiff ist etwa fünfhundert Meter entfernt. Näher sind wir nicht herangekommen. Wir haben Ihren Notruf gehört. Tut mir leid, dass wir so lange gebraucht haben, die Steuerzentrale zu finden, aber sie befindet sich nicht mehr dort, wo sie eigentlich sein sollte.«

»Von der NUMA? Ich kenne ein paar Leute in diesem Verein. Wie lautet Ihr Name, mein Freund?«

»Kurt Austin«, sagte der Überraschungsgast. »Und jetzt sollten wir uns beeilen.«