Das "Judenbuch" in der Nazizeit - Helmut Stücher - E-Book

Das "Judenbuch" in der Nazizeit E-Book

Helmut Stücher

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Beschreibung

Für die Nazis war die Bibel ein Judenbuch, das sie hassten. Widersprach doch das Evangelium völlig ihrem Weltbild und dem heldischen Menschen. Davon eingeschüchtert, wurden gläubige Juden und das jüdische Buch, vor allem das Alte Testament, in den Gemeinden ein Problem. Dies umso mehr, als die "Versammlung" 1937 verboten wurde und man sich, um sich weiter versammeln zu können, zur nationalsozialistischen Weltanschauung bekennen musste. Nur wenige Gläubige blieben ihrem Bekenntnis treu, wurden aber verfolgt. Unter ihnen Wilhelm Stücher, der 1933 als einziger von seiner Gemeinde nicht gewählt hatte. Seine "Erinnerungen" geben Aufschluss über den Kirchenkampf und die inneren Auseinandersetzungen der "Brüder". Ein trauriges Kapitel der Brüdergeschichte sucht mutige Bekenner.

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Seitenzahl: 210

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INHALT

Vorwort

Die „Brüder“ und der Geist des Nationalsozialismus

Der Kirchenkampf

Der Niedergang und die „Stündchen“-Leute

Das Versammlungsverbot

Verfolgungszeit

Nachwort

„Gedenket eurer Führer,

die das Wort Gottes zu euch

geredet haben, und, den Ausgang

ihres Wandels anschauend,

ahmet ihren Glauben nach“

(Hebr.12,7)

VORWORT

Bei den vorliegenden „Erinnerungen“ handelt es sich um zusammenhängende Erzählungen meines Vaters Wilhelm Stücher, ein Jahr vor seinem Heimgang (1969).

Er sagte: „In den vergangenen 30 Jahren seit dem Versammlungsverbot 1937 bin ich oft gebeten worden – und das vor allem in letzter Zeit – meine Eindrücke und Erlebnisse jener Tage einmal ausführlich im Zusammenhang wiederzugeben zum Nutzen und zur Belehrung für die jüngere Generation, die diese Zeit nicht miterlebt hat.“

Diese Memoiren sind auf Tonband gesprochen worden und später davon abgeschrieben, so daß es sich um das gesprochene Wort handelt, das nicht mehr überarbeitet wurde.

Der Herausgeber

DIE „BRÜDER” UND DER GEIST DES NATIONALSOZIALISMUS

Mit dem Jahre 1933, dem Jahr der Machtübernahme des Nationalsozialismus, war auch schon der Geist desselben, zu unserer Schande sei es gesagt, in der Mitte der Brüder wirksam und machte sich breit.

Bruder Rudolf Brockhaus war auf der letzten Dillenburger Konferenz 1932, die er besuchte, so stark beeindruckt und traurig über diese Tatsache, daß er mit großem Ernst vor diesem Geist aus dem Abgrund warnte. Seine Warnung fand aber nur wenig Beachtung, wie sich auf der nächsten Konferenz in 1933 zeigte.

Der Herr fügte es, daß zur fortlaufenden Betrachtung 1. Könige 12, ab Vers 26 betrachtet wurde; nämlich die Sünde Jerobeams, der eine Staatsreligion einführte, um die Einheit der 10 Stämme zu sichern, damit sie nicht nach Jerusalem zu gehen brauchten, wo der Altar Jehovas stand; dann Kap. 13 – das Zeugnis des Mannes Gottes aus Juda wider den Altar von Bethel, den Jerobeam errichtet hatte.

Daß die gegenwärtige gefahrenvolle Situation kaum verstanden worden war, zeigte das Beispiel eines Bruders, der nach der Konferenz in einer Versammlung Vorträge hielt – ausgerechnet über obengenannte Kapitel. Nach einem Vortrag bemerkte derselbe unbegreiflicherweise, daß er es sehr bedaure, dem Mann in Nürnberg – denn dort war gerade der Parteitag unter dem Motto „Der Triumph des Willens“ – nicht die Hand drücken zu können.

Ein Rundschreiben von den Brüdern Wilhelm und Ernst Brockhaus, Elberfeld, an alle Versammlungen, zwang mich mit einem Freunde zur Stellungnahme. Jene Brüder hatten es zweifellos in der besten Absicht verfaßt, um die Gemüter der Geschwister im Blick auf die bevorstehende Wahl zu beschwichtigen. Es hieß darin:

„In den letzten Monaten geht eine gewisse Beunruhigung durch unsere Geschwisterkreise. Immer wieder hört man Fragen wie: Was für eine Stellung wird die neue Regierung wohl zu uns einnehmen? Werden wir uns auch weiterhin ruhig in unseren Sälen versammeln und die Arbeiten tun dürfen, die der Herr uns aufgetragen hat?

Statt daß man ruhig und im Vertrauen auf Den, der „alles wirkt nach dem Rate seines Willens“, seinen Weg fortsetzt, läßt man sich durch beunruhigende Gerüchte beirren, die irgendwo herkommen und erfahrungsgemäß meist durch das Weitergeben verstärkt werden.

So wurde u. a. kolportiert, die Reichsregierung beabsichtige, alle freikirchlichen Kreise sowie die Gemeinschaften, zu denen wir gerechnet werden, in die Reichskirche einzugliedern und dergleichen mehr.

Wir möchten die Geschwister herzlich bitten, sich durch derartige Gerüchte nicht beunruhigen zu lassen.

Wir haben allen Grund, der Versicherung unseres verehrten Kanzlers Adolf Hitler, daß nicht daran gedacht werde, die Gewissensfreiheit des einzelnen irgendwie anzutasten, volles Vertrauen zu schenken. Wir können sogar aus sicherer Quelle mitteilen, daß der Reichsregierung, der wir allein unterstellt sind, irgendwelche Gleichschaltungs-Absichten in dieser Hinsicht völlig fern liegen.

Andererseits ist es selbstverständlich, daß die Regierung, die so bemüht ist, Zucht und Ordnung im Land wieder herzustellen und eine ernstere christliche Lebensauffassung im Volke zu wecken, dagegen Gottlosen- und Atheistenbewegungen tatkräftig zu steuern usw., in erster Linie von den wahren Christen erwartet, daß sie hinter ihr stehen und ihre guten Bestrebungen nach Kräften unterstützen.

Wir möchten daher dieses kurze Wort nicht schließen, ohne unsere Geschwister auf die bekannten Stellen Röm. 13; 1. Tim. 2; 1. Petr. 2, 13-15 hinzuweisen.

Denken wir an Rußland, und wie leicht es möglich gewesen wäre, daß die dortigen entsetzlichen Verhältnisse auch auf unser Land übergegriffen hätten, so haben wir wahrlich alle Ursache, nicht nur Gott für unsere Regierung, die uns unter Seiner Vorsehung vor diesen Schrecken bewahrt hat, zu danken, sondern auch viel für sie zu beten – denn die übernommenen Aufgaben sind wahrlich schwer – und ihre Wünsche auf tatkräftige Unterstützung nach Möglichkeit zu erfüllen.

Im Namen vieler Brüder, E. u. W. Brockhaus“

Darauf erwiderte ich:

„Das vertrauliche Schreiben....wurde in der Versammlung vorgelesen. Mit dem ersten Teil.... bin ich voll und ganz einverstanden. Nur möchte ich einige allgemeine Bemerkungen zum letzten Teil des Briefes machen.

Daß das Schreiben in dem gegebenen Augenblick wie eine Aufforderung zum Wählen wirken mußte – ob es so wirken sollte, weiß ich nicht, nehme es aber an –, hätten die Schreiber sich sagen müssen.

Es ist Ihnen aber auch bekannt, daß gerade in Bezug auf das Wählen viele Geschwister, und zwar gerade ernste und treue Christen, eine andere Überzeugung haben, eine Überzeugung, die bis dahin in unserem Kreis und in unseren Schriften immer wieder zum Ausdruck gekommen ist.

Ich erinnere da an die Artikel im „Botschafter“ und in der „Tenne“ (Mai 1926), ferner an die Schriften von Bruder Darby (Die Welt und der Christ; Die Brüder und die Lehre), auch an die Schriften von Bruder Mackintosh (die Bücher Mose, besonders das Beispiel der Fremdlinge im 1. Buch; das Leben des Glaubens usw.), welcher doch auch einen ganz anderen Standpunkt einnahm und darin zum Ausdruck gebracht hat, als Sie es in dem Schreiben tun; sodann erinnere ich daran, daß im vorigen Jahr noch ein kurzer Brief von Bruder Darby den Schriften beilag, der ebenfalls das Gegenteil besagte.

Ich bin erstaunt, daß die Schreiber des Briefes, der in diesen Tagen vermutlich in den meisten Versammlungen bekannt wird, sich so leicht über die Überzeugung dieser Brüder, welche doch sicher ein großes Maß von geistlichem Verständnis und Erkenntnis des Wortes und der Gedanken Gottes besaßen, hinwegsetzen. Selbst wenn man persönlich anderer Meinung war, hätte doch diese Tatsache zu größerer Vorsicht veranlassen und der Gedanke an die Überzeugung vieler anderer Sie davor zurückschrecken lassen müssen, jetzt einen gegensätzlichen Standpunkt zu vertreten und die Geschwister in dieser Richtung zu beeinflussen. Heißt das nicht, die Grenze der Väter verrücken? –

Auch hätte Ihnen bei ruhiger, besonnener Erwägung der Gedanke kommen müssen, daß durch diese Briefe in den Versammlungen möglicherweise Unstimmigkeiten hervorgerufen werden könnten, da Sie doch wußten, daß manche anderer Ansicht sind.

So wurde z. B. hier der Brief ohne vorherige Befragung der Brüderversammlung und trotz meines persönlichen Abratens von einem Bruder unter Zustimmung einiger gleichgesinnter Brüder, die zur Politik ebenso stehen wie er, vorgelesen. Daß dies die Eintracht nicht fördert, ist jedem ohne weiteres klar.

Am Schluß des Briefes wird gesagt, daß wir die Obrigkeit nun auch tatkräftig unterstützen sollten, unter Hinweis auf die bekannten Stellen Römer 13; 1.Petr.2 und 1.Tim.2. Steht das in diesen Stellen?

Ich lese dort nur von Ermahnungen, den Gewalten unterworfen zu sein, der Obrigkeit zu gehorchen, und für die Menschen in Hoheit zu beten, aber nichts davon, die Obrigkeit tatkräftig zu unterstützen – das sind doch wahrlich sehr verschiedene Dinge. In unserer Zeit, wo ohnedies schon so viele Brüder mehr als nötig damit beschäftigt sind ... wäre es doch m. E. notwendiger gewesen, das Gegenteil zu tun, nämlich unsere Geschwister auf ihre himmlische Berufung und Stellung und deren Verwirklichung hinzuweisen.

Ich bin weit davon entfernt und habe es nie in meinem Herzen getan, Brüder, die glaubten wählen zu sollen, zu verurteilen; aber es als wichtig, als dem Worte Gottes entsprechend unter Anführung der vorerwähnten Schriftstellen hinzustellen, das geht doch zu weit.

Und deshalb bedaure ich sehr, daß der Rundbrief geschrieben und die Geschwister in dieser Weise beeinflußt worden sind. An der allgemeinen Beteiligung an dieser Sache wird dadurch wenig geändert, denn ich glaube, daß auch ohne diesen Rundbrief unter dem gegenwärtigen Druck nur ganz Vereinzelte nicht wählen werden...“

In 1.Tim. 2 wird nichts von der Obrigkeit gesprochen, sondern von der Fürbitte für alle Menschen, auch für die Menschen in Hoheit, und zwar in bezug auf das Wohl und die Errettung ihrer Seelen, gemäß dem Willen des „Heiland-Gottes, welcher will, daß alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“

Da es eben den Hochgestellten und Machthabern um soviel schwerer wird, ihren Nacken zu beugen, um errettet zu werden, werden diese besonders erwähnt, damit auch für sie gebetet werde – auch dann, wenn sie uns nicht wohl, sondern feindlich gesinnt sind.

So etwa zur Zeit des Apostels Paulus, der unter der Herrschaft eines Nero den Timotheus- und den Römerbrief schrieb. Er sagte den Christen in Rom: „Ihr hättet zwar allen Grund, Euch gegen eine solche despotische, tyrannische Regierung aufzulehnen, aber tut das nicht, revolutioniert nicht, unterwerft euch! Die Gewalt, die sie haben, haben sie von Gott. Gott hat diese Gewalten verordnet, und eben diesen sollt Ihr unterworfen sein.“

Die Autorität und die Macht, die die Obrigkeit hat, ist ihr von Gott gegeben. Von einer Einsetzung der jeweiligen obrigkeitlichen Institutionen ist keine Rede, sondern allgemein von dem Ursprung der Gewalten; diese sollen wir anerkennen, so wie wir die Autorität Gottes anerkennen und sich ihr unterwerfen.

Andererseits hat Gott der Obrigkeit Grenzen gesteckt, die klar umrissen sind: „...die Steuer, dem die Steuer, der Zoll, dem der Zoll, die Ehre, dem die Ehre gebührt.“

Aber wenn sie diese Grenze überschreitet und in den Bereich vordringt, den Gott sich vorbehalten hat, der allein Autorität über die Gewissen hat, dann heißt es widerstehen. Das haben zu allen Zeiten die Heiligen getan.

Mir kam in dieser entscheidenden Zeit ein Bericht über die Reformierten in Frankreich in die Hand, die im Jahre 1563 von der französischen Regierung in ihrer Religionsfreiheit beschränkt wurden, so daß die Kirchentüren geschlossen wurden.

Sie haben dem König von Frankreich ihr Glaubensbekenntnis eingereicht und ihm in einem Begleitschreiben gesagt:

„Majestät! Wenn es Ihnen nicht beliebt, auf unsere Stimme zu hören, dann möge es Ihnen belieben, auf die Stimme des Sohnes Gottes zu hören, der Ihnen Gewalt gegeben hat über unsere Häuser, über unsere Güter, über unsere Leiber, ja, über unser Leben. Der Ihnen aber befiehlt, daß Ihm die Macht und Herrschaft über unsere Seelen und Gewissen, die Er Sich durch Sein Blut erkauft hat, vorbehalten bleiben soll.“

Da waren die Grenzpfähle klar gesteckt, und die Brüder hätten über die beiden Herrschaftsbereiche Klarheit haben sollen; Martin Luther kannte sie.

Leider muß man sagen, daß vielen Brüdern, besonders wenn sie Soldat gewesen waren, eine gewisse Dosis Patriotismus geblieben war, den sie gut mit ihrem Christentum glaubten, vereinbaren zu können.

Aus einem Briefwechsel zwischen Bruder Rudolf Brockhaus, dem älteren, und dem Schweizer Bruder H. Rossier wurde deutlich, daß die Ansichten über die vaterländische Gesinnung des Christen und seine Beteiligung am Kriegsdienst sehr verschieden waren. Bruder Rossier vertrat eine sehr klare Linie, indem er sagte, daß es keine gerechte Sache auf dieser Erde gibt, außer der Sache Christi.

Jedoch in einem der „Botschafter“ aus den Kriegsjahrgängen 1914/18 sprach man von der gerechten deutschen Sache und dem guten Gewissen, das man im Blick auf die Entstehung und Führung des Krieges haben könne.

Ich führe das an, weil es eine Erklärung dafür ist, wie es möglich war, daß dieser vaterländische Sinn, um nicht zu sagen die vaterländische „Begeisterung“, durch die neue, allerchristlichste Regierung wieder im Volke propagiert, unter den Brüdern solchen fruchtbaren Boden fand.

Die Brüder Brockhaus antworteten mir bald auf meinen Brief:

„... möchte ich Ihnen folgendes erwidern: Seit Antritt der neuen Regierung liefen hier fortgesetzt ängstliche Fragen ein, wie es mit unserem weiteren Zusammenkommen bestellt sei. Verschiedene Versammlungen waren auch durch Übergriffe der örtlichen Parteileitung in Bedrängnis gekommen usw.

Dies hat eine Reihe von Brüdern veranlaßt, bereits im Juli diesen Jahres eine Zusammenkunft im Altersheim Ronsdorf zu haben, an der etwa 50 Brüder teilnahmen. Wir haben damals beschlossen, einstweilen nichts zu unternehmen, bis die neue Regierung direkt an uns herantreten würde.

Bei einer späteren Zusammenkunft im Schwesternmutterhaus „Persis“, wo wieder etwa 30 Brüder versammelt waren, kam man überein, den Versammlungen eine beruhigende Mitteilung zu machen über die Absichten der neuen Regierung, die uns nach positiven Erkundigungen durchaus wohlwollend gegenübersteht.

Es ging einige Zeit darüber hin, ehe mein Vetter Wilhelm und ich dies Rundschreiben aufstellen konnten. Dann kam der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund, und damit liefen wieder eine Anzahl Anfragen und Schreiben hier ein, die offen eine Wahlbeteiligung gerade im Blick auf das Wohl der Versammlungen forderten.

Bruder C. aus L., der verschiedene Gründe zu einem weisen Verhalten der Regierung gegenüber auf Grund verschiedener Erfahrungen empfahl, legte den Gedanken nahe, daß wir im ‚Botschafter’ oder in den Dönges Schriften öffentlich eine entsprechende Mitteilung machen sollten.

„Ich selbst halte es nicht nur aus Selbsterhaltungstrieb, sondern auch grundsätzlich diesmal für richtig, an der Abstimmung teilzunehmen. Es handelt sich um die Bekundung, daß man Röm. 13 verwirklicht“, schreibt Bruder von Kietzell aus Berlin.

Bruder Kunze schreibt an Bruder C.: „Was die Volksabstimmung angeht, so bin ich derselben Meinung wie Du ... Ich denke, daß die meisten oder wohl alle Geschwister sich den Pflichten der Abstimmung nicht entziehen, sondern genügen werden.

Im Beiblatt kann ich keine Notiz mehr bringen, da die Nummer für November schon gedruckt ist. Ich denke, daß es nicht nötig ist, ein Rundschreiben an die Versammlungen zu richten. Der Herr wird den einzelnen Geschwistern klar machen, was sie tun sollen. In Wahrheit handelt es sich nicht um eine Wahl, sondern nur um ein ‚Ja’ oder ‚Nein’, d. h. die Regierung will wissen, ob die Untertanen mit den Maßnahmen der Regierung einverstanden sind oder nicht.“

Wir haben uns dann auf diese Briefe hin noch mit verschiedenen älteren Brüdern hier und in der Umgebung ins Benehmen gesetzt, um sie zu fragen, was wir jetzt tun sollten …

Wenn es nicht gerade die Brüder gewesen wären, die früher in ‚Tenne’, ‚Beiblatt’ usw. sich gegen die Wahl ausgesprochen haben, und die jetzt in diesem besonderen Falle sich für die Wahlbeteiligung ausgesprochen hätten, würden wir von uns aus nichts unternommen haben.

Was der Mitunterzeichner Ihres Briefes mit seiner Bemerkung meint, daß es längst an der Zeit sei, die Auslegung von 1.Tim. 2 zu revidieren, ist mir nicht klar. Ebensowenig wenn er fragt: ‚Ob man sich dabei nicht überlegt, daß man Gott, wenn Er die Ihm zugedachten Beziehungen zu den Regierungen hätte, und Seinen heiligen Namen auch mit all der Ungerechtigkeit in Verbindung bringt?’ Diese Frage scheint mir durchaus abwegig zu sein. Mir scheint, daß der Bruder und vielleicht auch Sie selbst die angeführten Bibelstellen nur oberflächlich gelesen haben.

Früher hat in Deutschland aus unserer Mitte kaum einer daran Anstoß genommen, daß wir Soldat werden mußten. Die meisten haben sogar des Königs Rock mit Freude und Stolz getragen. Heute haben uns die Feinde unseres Volkes die Wehrpflicht untersagt. Daß die Regierung unter diesen Verhältnissen jetzt andere Wege sucht und vielleicht auch die eine oder andere neue Einrichtung schaffen wird, braucht uns nicht sehr zu wundern. Selbstverständlich muß dem einzelnen überlassen sein, sich persönlich zu entscheiden. Wenn er glaubt, daß irgend eine Verordnung oder Einrichtung der Regierung in Widerspruch zu Gottes Wort steht, dann muß er seinem Gewissen folgen, sich aber auch darüber klar werden, welche Konsequenzen er auf sich nimmt...“ Soweit die Antwort.

Am 12. November 1933 war der Tag der großen entscheidenden Wahl. Da ich mich nicht an den Wahlen beteiligt hatte, wenigstens seitdem ich die Zwitterstellung, ein entschiedener Christ und ein Deutscher zu sein, empfand, sah ich auch dieses Mal keine Veranlassung, zur Wahlurne zu gehen.

Die Partei ließ mich diesmal jedoch nicht unbehelligt. Man entsandte drei (!) Abordnungen aus dem Wahllokal. Die eine konnte ich noch abwimmeln; die zweite traf mich nicht mehr zu Hause an, da ich gerade zu einer Beerdigung ausgegangen war; und gegen 17.45 Uhr kam die dritte Abordnung in das Versammlungslokal, wo die Nachfeier stattfand, um mich eine viertel Stunde vor Schluß zur Wahlurne zu bringen.

Glücklicherweise war ich schon weggegangen, um einen alten Bruder zum Nachbarort zu begleiten. Die Parteileute waren nun sehr enttäuscht und aufgebracht; sie waren derart in Wut, daß sie beratschlagten, was sie mit mir anstellen sollten.

Die Wahl selbst war geschickt getarnt, als ob es sich nur um die Entscheidung über den angeblich notwendigen Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund handele. Damit hatte man die Reichstagswahl gekuppelt, um eine möglichst hohe Stimmenzahl zu erreichen.

Die Frage auf dem Stimmzettel lautete:

„Bist Du, deutscher Mann, und Du, deutsche Frau, mit der Politik deiner Regierung einverstanden und bereit, sie als den Ausdruck Deiner eigenen Auffassung und Deines Willens anzuerkennen und Dich rückhaltlos zu ihr zu bekennen?“

Auf dem Stimmzettel war ein kleiner Kreis für die Weitsichtigen für das Nein, und ein großer Kreis für die Kurzsichtigen für das Ja. Die Regierung erhielt angeblich über 90% Ja-Stimmen.

Was hatte ich nun getan? Ich hatte nur etwas nicht getan, was die ganze Welt tat, und schon hatte ich die Meute auf dem Hals. Die Parteileute hatten sich überlegt, mich mit einem Schild auf dem Rücken durchs Dorf zu führen, um mich als Volksverräter anzuprangern. Einer jedoch, ein Schullehrer, hatte zur Vernunft geraten und zu bedenken gegeben, daß ich doch schwerkriegsbeschädigt sei. Dies könnte eine ungünstige Resonanz bei der Bevölkerung auslösen. So nahmen sie von ihrem Vorhaben Abstand, doch soll einer von ihnen gesagt haben: „Wenn er nicht schon ein Krüppel wäre, hätten wir ihn zum Krüppel geschlagen.“

Wir trauten unseren Augen nicht, als am nächsten Morgen, montagfrüh, unweit unserer Wohnung an einer Scheune ein großes Plakat mit einer Karikatur und allerlei Sinnsprüchen von dem „Volksverräter“ hing. Mein Bruder war darüber so erregt, daß er hinging und es kurzerhand herunterriß. Ich entgegnete ihm: „Och, was haste nun gemacht. Gönnst du mir die Ehre nicht?“

Am nächsten Morgen hing dort ein neues Plakat und ein zweites in der Dorfmitte. Letzteres war ebenfalls mit einer Karikatur und Lobsprüchen, u. a. „Woher bekommst du deine Rente?“ – „Seinen Bart und seinen Verstand weiht er nicht dem Vaterland!“ – „der Volksverräter“...; es hing vier Wochen dort.

Die Reaktion bei der Bevölkerung war in der Tat anders, als die SA-Leute sich gedacht hatten. Meine Frau – es waren erst 5 Wochen nach ihrem letzten Wochenbett (Helmut geb.) vergangen – war natürlich entsetzt und sagte: „Also, ich gehe vorläufig nicht auf die Straße und in den Ort!“

Als sie dann doch wieder den Mut dazu fand, kam sie ganz erfreut wieder nach Hause: „Du, die Leute sind viel freundlicher, alle sind so freundlich wie nie vorher.“ „Ja, “ sagte ich, „das ist verständlich. Die meisten denken jedenfalls, da hat doch endlich mal einer den Mut gehabt, das zu tun, was wir alle gerne getan hätten.“

Ich war froh, daß der Herr mich gewürdigt hatte, ein klein wenig Schmach für Seinen Namen auf mich zu nehmen. Ich habe, wenn auch in schwachem Maße, ähnliche Erfahrungen gemacht wie die drei Freunde Daniels. Gott bewahrte sie nicht davor, in den Feuerofen geworfen zu werden, als sie sich weigerten, das Standbild des Königs Nebukadnezars anzubeten.

Sie waren sich auch keiner Schuld bewußt; jedenfalls wollten sie ihr Gewissen rein erhalten vor Gott. Sie wurden in den Feuerofen geworfen, aber das Feuer konnte ihnen nichts anhaben.

Nur die Fesseln, mit denen die Welt sie gebunden hatte, verbrannten; sie wurden frei, entfesselt und sie fanden in dem Feuerofen die Gemeinschaft des Sohnes Gottes. Gott wurde verherrlicht, und der König und die Babylonier empfingen ein Zeugnis von der Macht des Gottes Israels.

Ja, wie gesagt, ein klein wenig habe ich die gleiche Erfahrung gemacht. Ich wurde sogar seitens der SA beehrt, daß die Formation während meines Vorübergehens – ich war auf dem Weg zur Versammlung – stillstand und Kehrtwendung zu mir machte (weil ein hoher Parteimann auf gleicher Höhe auf dem Bürgersteig entgegenkam).

Ich war der freieste Mann im ganzen Gau. Kein Mensch hat mehr etwas von mir erwartet.

Die anderen sagten immer: „Wir müssen dies und wir müssen das.“ Ich sagte: „Ich brauche gar nichts.“ Wie kostbar, wenn der Herr einem in solchen Tagen der Prüfung angesichts der Meute ins Ohr flüstert: „Glückselig Ihr Armen!“ Wie Er seinen Jüngern in Lukas 6 sagt: „Freuet Euch an jenem Tage, hüpfet ....“

Etwa 7 Jahre danach, während des Krieges, kam ich in der Silvesternacht vom Besuch meiner Mutter zurück, als vor mir zwei Nachtschichtler hergingen, die sich unterhielten. Ich hörte auf einmal meinen Namen nennen: „ ... weshalb der damals diese Haltung eingenommen hat.“

Ich dachte bei mir, die Predigt wirkt noch, während alle anderen Predigten vielleicht längst vergessen sind.

Sehr schmerzlich für mich war, daß meine lieben Brüder in Christo meine Haltung nicht verstanden, sondern sich darüber erregten und mich zur Rechenschaft zogen: ob ich denn meinte, als Einziger das Richtige zu tun, während alle anderen das doch vermieden hatten. Ich habe ihnen, als sie meine Erklärungen nicht beachteten, aus einigen Schriften Artikel vorgezeigt – so etwa „der Christ und die Politik“ –, so daß sie schließlich nichts mehr dagegen einwenden konnten; denn im allgemeinen waren die „Botschafterartikel“ von Gewicht.

***

Auf der Brüderzusammenkunft der im Dezember 1933 in Siegen stattfindenden Gebetswoche wurden durch die Fügung des Herrn aktuelle und gegenwartsnahe Schriftabschnitte betrachtet. Ein aktuelles Thema war bei den Gesprächen am Mittagstisch die Regierungsfrage, die schon während der Herbstkonferenz zur Aussprache gekommen war. Es handelte sich dabei um die Frage, wie wir uns der Regierung gegenüber verhalten sollten.

Da nämlich Gleichschaltungsabsichten bestanden, obwohl, wie bereits bemerkt, diese Befürchtungen von führenden Brüdern zerstreut worden waren, mußte erwartet werden, daß die Regierung eines Tages an uns, wie an alle Freikirchen, herantrat, wie wir in die „Liste“ eingetragen zu werden wünschten.

Man hielt es deshalb für ratsam, eine Kommission von Brüdern zu wählen, die die zu erwartenden Fragen u. a. nach dem Charakter der Versammlungen, die Anzahl der Mitglieder etc. behandelten und etwaige Rundschreiben an die örtlichen Versammlungen verfaßte.

Dann ging es auch darum, Brüder zu benennen, Berliner Brüder, die den Kontakt mit den betreffenden Regierungsstellen gegebenenfalls aufnahmen. Hierfür schien an erster Stelle Bruder von Kietzell geeignet. Bei der Zusammenstellung der Kommission wurden Brüder wie Hartnack, Berning u. a. vorgeschlagen.

Als ich Bruder Menninga vorschlug, sprang dieser sofort auf: „Brüder, laßt mich da raus. Ich möchte mit dieser Sache nichts zu tun haben.“

An einem Mittag waren wir mit mehreren Brüdern bei Geschwistern zu Tisch.

Ein Bruder, namens Hebrock, der als Kolporteur ging, erzählte, daß er am Vorabend bei seinem Gastgeber im Radio den „Führer“ gehört habe; er schien pro-Nazi eingestellt. Beiläufig erwähnte er: „Mein Gastgeber hat mir von einem Bruder aus einem Nachbarort erzählt, der sich nicht an der Wahl beteiligt hat und dann plakatiert worden ist. Das ist mir unverständlich.“

Darauf sagte ich: „Dieser Bruder bin ich.“ Peinliches Schweigen.

Obwohl ich Bruder Hebrock nachher in einer persönlichen Unterredung meinen Standpunkt darlegte, glaubte er mich doch noch bereden zu können. „Als Schwerkriegsbeschädigter müßten Sie doch in der NS-Kriegsbeschädigtenorganisation sein“, sagte er. „Nein“, sagte ich, „das bin ich nicht.“

Als er mir von seinen Erfahrungen erzählte, sagte er: „Ich kenne einen Bruder aus Süddeutschland, der auch denselben Standpunkt vertrat wie Sie und meinte, er brauche die Parteiorganisation nicht und spare lieber das Geld.“

Ich entgegnete ihm: „Um das bißchen Geld geht es ja nicht, sondern um den Grundsatz – ich kann aus Gewissensgründen keiner der Organisationen der NSDAP angehören.“

Bruder Hebrock fuhr fort: „Als ich den Bruder im nächsten Jahr traf, hatte er sich das doch noch überlegt und war beigetreten, woraus für ihn große Vorteile für sein Büromaschinengeschäft erwuchsen. Die Partei hat ihn mit Aufträgen bedacht.“

„Ja“, sagte ich, „der Fall liegt ganz ähnlich wie meiner; ich habe auch ein solches Geschäft, habe aber die gegenteilige Erfahrung gemacht, indem ich weiter die Aufträge bekomme von Leuten, die meine Überzeugung und Einstellung respektieren, so daß ich nicht nötig habe, mich in diese Organisation einzugliedern.“

Bruder Hebrock ließ nicht locker, so daß ich ihm schließlich sagte: „Bruder, ich würde an Ihrer Stelle nicht für diese Gesellschaft werben, für diesen schlimmen Verein. Ich würde für den Herrn Jesus werben.“ –

Am nächsten Morgen traf ich mit Bruder Ernst Brockhaus zusammen. Ich frage ihn: „Warum können wir heute nicht denselben Standpunkt einnehmen wie unsere Vorväter, die doch in Erkenntnis des wahren Wesens und Charakters der Welt und der Beziehungen, die der verworfene Heiland zu diesem Weltsystem hat, eine Stellung einnahmen, die das Wort uns anweist: ‚Ihr seid nicht von der Welt’, ‚Ihr habt kein Teil an ihren Bestrebungen und Zielen’....“

Bruder Brockhaus antwortete gewunden: „Wir sollen aber doch der Obrigkeit untertan sein und für sie beten, wir dürfen doch nicht uninteressiert daran sein, ob sie die Macht zum Wohle des Volkes ausübt oder zum Gegenteil.“

„Ja“, entgegnete ich, „Ihre Einstellung zum Nationalsozialismus war aber vor Jahren entschieden kontra.“

Ich hatte einen Aufsatz aus dem Jahre 1922, der ersten „Tenne“, bei mir, der von ihm geschrieben worden war, worin er ernstlich vor der Hakenkreuz-Bewegung warnte:

„Das Hakenkreuz, ein im heidnischen Altertum verbreitetes, glückverheißendes Zeichen, ist in unseren Tagen des Niedergangs der Vergessenheit entrissen worden und soll jetzt dem deutschen Volk als ein Symbol zu neuem Aufstieg und Glück voranleuchten.

Viele vaterlandtreue Männer und Jünglinge haben sich unter diesem Zeichen zusammengeschlossen zu dem Zweck, eine nationale Wiedergeburt des deutschen Volkes durch Rückrufung desselben zu den Tugenden der Väter herbeizuführen.

Sie tragen das Hakenkreuz als Abzeichen deutscher Gesinnung, deutschen Fühlens, Denkens und Strebens.