Das Kamel mit dem Nasenring - Salim Alafenisch - E-Book

Das Kamel mit dem Nasenring E-Book

Salim Alafenisch

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Beschreibung

In einer stürmisch rauhen Winternacht hält der Stammesälteste die Zeltbewohner mit einer Geschichte wach. Sie ist länger als ein Kamelhals, denn es ist die Geschichte dieses Beduinenstammes, der in unserem Jahrhundert Umwälzungen erlebt hat, wie noch keine Generation zuvor. Zuerst zerteilte der Suezkanal die Wüste. Dann kamen Sultane und Paschas, englische Kolonialoffiziere und moderne Gerichtsbeamte. Sie zogen Grenzen und brachten Gesetze, an die sich die Nomaden nie gewöhnen wollten. Salim Alafenisch berichtet augenzwinkernd vom gelehrten Esel, vom Kamel mit dem Nasenring, von Weltgeschichte und Nomadenleben in der Negev-Wüste.

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Über dieses Buch

In einer stürmischen Winternacht hält der Stammesälteste die Zeltbewohner mit einer Geschichte wach. Sie ist länger als ein Kamelhals, denn es ist die Geschichte dieses Beduinenstammes, der in unserem Jahrhundert Umwälzungen erlebt hat, wie noch keine Generation zuvor. Salim Alafenisch berichtet augenzwinkernd von Weltgeschichte und Nomadenleben.

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Salim Alafenisch (*1948) hütete als Kind die Kamele seines Vaters in der Negev-Wüste. Nach dem Gymnasium in Nazareth und einem einjährigen Aufenthalt in London studierte er Ethnologie, Soziologie und Psychologie in Heidelberg. Seit Langem beschäftigt er sich mit der orientalischen Erzählkunst.

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Salim Alafenisch

Das Kamel mit dem Nasenring

Erzählungen

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 2 Dokumente

© by Unionsverlag, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Nabil Lahoud, Oriental Composition

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30698-1

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 02.06.2022, 21:28h

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Inhaltsverzeichnis

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Über dieses Buch

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Inhaltsverzeichnis

DAS KAMEL MIT DEM NASENRING

Es war an einem rauen Winterabend in der …Die Siebenbrunnen-StadtDer Gast mit den blauen AugenDer gelehrte EselDas Kamel mit dem Nasenring

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Über Salim Alafenisch

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Für Renate

Es war an einem rauen Winterabend in der Negev-Wüste. Die Stammesbrüder saßen im Scheichzelt beisammen und schlürften genüsslich den gewürzten Kaffee. Ganz dicht umkauerten sie die Feuerstelle, um die Wärme der glühenden Kameläpfel zu empfangen. Viele von ihnen waren in warme Schafmäntel gehüllt, sodass im Widerschein des Feuers nur ihre funkelnden Augen zu erkennen waren. Unter den dichten Umhängen fanden die Kinder Schutz vor der klirrenden Kälte. Der wohlige Duft der Schaffelle umhüllte ihre Nasen.

Langsam kroch die Nacht über das Zeltlager. Der Himmel war sternenklar. Ein starker Wind von Norden kam auf. Er peitschte gegen die schwarzen Zelte. Wellengleich wogte das Dach über die Zeltstangen des großen Scheichzelts. Ein kalter Zug drang durch ein Zeltloch.

Der Scheich schlang das Schaffell enger um sich und streckte seine Hände über die Glut. Sein Goldring blitzte. Der alte Hussein, der sich unter seinem Mantel so verschanzt hatte, dass nur mehr seine brennende Pfeife zu sehen war, bekam einen Hustenanfall: »Dieser verfluchte Nordwind! Die Kälte durchbohrt das Fell und dringt bis in die Knochen«, schimpfte er.

»Ausgerechnet an der Wetterseite musste die Maus knabbern!«, beklagte sich der Scheich.

Hussein schniefte: »So eine Kälte habe ich selten erlebt. Und kein Tropfen Regen. Die Getreidefelder sind von der Sonne verbrannt, das Saatgut ist verdorrt. Die Herden finden kaum noch Futter.« Der Alte zog an seiner Pfeife: »Hört ihr nicht, wie der Wind pfeift? Er schüttelt das Zelt wie ein hungriger Wolf das Lamm.«

»Allah möge die Zeltseile und die Zeltpflöcke festhalten!«, murmelte ein Hirte, während er seine Blicke zum Zeltdach richtete.

Der Scheich, der inzwischen seine Hände gewärmt hatte, strich sich über das faltige Gesicht. »Dieser verfluchte Nordwind bringt nichts als Kälte! Wir brauchen Westwind, Wind vom Meer!«

Immer heftiger peitschte der Wind, bis das Zelt zu tanzen begann. Gemurmel erhob sich in der Runde. Mit einem Satz sprang der Scheich auf und umklammerte mit seinen Händen die mittlere Zeltstange: »Allah möge das Zelt schützen!«, flehte er. »Hört ihr die Frauen nicht rufen? Sie kämpfen gegen den Sturm!«

Im Nu löste sich die Runde auf. In alle Himmelsrichtungen stoben die Männer auseinander. Nur die Kinder blieben unter den Fellen zurück.

»Jetzt haben wir die Feuerstelle für uns alleine«, frohlockte eines der Kinder. »Schaut doch, der Scheich klammert sich an die Zeltstange wie eine Gebärende!« Die Kinder johlten.

»Wollt ihr wohl still sein!«, fauchte der Scheich. »Es ist nicht die Zeit für Scherze.«

Immer gewaltiger peitschte der Sturm. »O Stammesahn in der Not! Wende das Unwetter von uns ab!«, murmelte der Scheich. »Ich will dein Grabmal mit Opferblut besprengen!«

Doch weder Allah noch der Stammesahn standen ihm bei. Eine kräftige Sturmbö fegte das Zeltdach hinweg. Die Zeltstange zwischen die Hände geklammert, starrte der Scheich zum Dach des Himmels.

Der Sturm fegte die glühenden Kamelbällchen durch die Luft. Sie zersplitterten zu unzähligen Funken, die einem Feuerregen gleich zur Erde sanken. Die Kinder verkrochen sich noch tiefer in die Fellmäntel.

»Das Feuer versengt mein Gewand!« Vor Schreck ließ der Scheich die Zeltstange fallen. Blitzschnell griff ein Junge nach dem Zipfel des Gewandes und erstickte die Glut im Sand.

Der Scheich atmete erleichtert auf. »Gelobt sei der Prophet! Du bist ein tapferer Junge. Doch wo sind die Männer?«

»Männer! Männer!«, rief er aus Leibeskräften, während er sein Gewand schürzte und die Zipfel im Gürtel befestigte. »Eilt dem Scheichzelt zu Hilfe!«

»O du Hilfesuchender! Wir kommen!«

Aus allen Zelten eilten Männer und Frauen herbei. Man begann, das große Zelt wieder aufzuschlagen. Doch es war schwierig; Zeltseile waren gerissen, und auch die Zeltbahnen waren nicht verschont geblieben. Notdürftig wurden die Schäden beseitigt. Es verging geraume Zeit, bis das Scheichzelt wieder auf seinem angestammten Platz stand.

Allmählich legte sich der Sturm. Als es still geworden war um das Zelt, lugten die Kinder wieder unter den Fellen hervor. Alle zitterten vor Kälte. Hussein, der Stammesälteste, betrat das Zelt. Seine Nase triefte; sie war wie ein Brunnen, dessen Wasser nie versiegt. Sein Gewand war randvoll mit Kameläpfeln gefüllt, die er sorgfältig in die Feuerstelle gleiten ließ. Der Scheich bedankte sich mit einem Kopfnicken. Nachdem er einige Kamelbällchen zwischen seinen Fingern zerrieben hatte, griff er in seine Gewandtasche, kramte das Feuerzeug hervor und fachte Feuer an. Bald loderten die ersten Flammen, und alle rückten näher an die Feuerstelle. Als sich nach geraumer Zeit eine erste Glut gebildet hatte, griff der Scheich nach seinem Lederbeutel und förderte eine Handvoll Kaffeebohnen zutage, die er in der Pfanne zu rösten begann. Kurz darauf erfüllte Kaffeeduft das Zelt. Die Hände kreuzten sich über dem Feuer.

»Der Wind hat sich gelegt«, ließ sich ein Hirte vernehmen, während er seine Pfeife stopfte.

»Wir müssen wachsam sein«, mahnte ein anderer. »Der Sturm ist wie ein Dieb, man weiß nicht, wann er kommt.«

Alle Blicke richteten sich auf den alten Hussein, der gerade kräftig an seiner Pfeife zog. »Es wird eine lange Nacht werden, und die langen Nächte gehören Hussein«, sagte der Scheich. Die Runde nickte.

»O Bruder Hussein, Allah möge dir einen Platz im Paradies gewähren; verkürze uns die Nacht mit einer Geschichte!«, bat ein Kamelhirte.

Der Alte schmunzelte. Er war ein begnadeter Erzähler. Bisweilen ließ er sich lange bitten, doch wenn er zu erzählen begann, so hörte er nicht mehr auf. Wie Perlen einer Kette reihte er Geschichte an Geschichte. Seine sanfte Stimme ließ den Schlaf vergessen. Stunden wandelten sich in Augenblicke.

Hussein, der Stammesälteste, hatte viel gehört und gesehen in seinem langen Leben, und zahllos waren die Geschichten, die im Laufe der Jahre seinen Kopf bewohnten.

»Für diese Nacht habe ich eine besondere Geschichte; sie ist länger als ein Kamelhals«, sagte Hussein, während seine Blicke die Runde musterten.

»Der Scheich soll den Kaffee reichlich mit Kardamom würzen.«

»Die Erzähler sind wie Könige«, erwiderte der Angesprochene. »Dein Wunsch ist mir Befehl!«

Während er den Kaffee von einer Kanne in die andere goss, fügte er hinzu: »Sobald der Kaffee sich ausgeruht hat, sollst du deine drei Schälchen bekommen.«

»Eine Geschichte, die länger als ein Kamelhals ist, habe ich noch nie gehört«, flüsterte ein Junge seinem Vater ins Ohr.

»Ich auch nicht, mein Sohn«, lächelte der Vater.

Jeder in der Runde machte es sich bequem. Der Kadi legte ein besticktes Kissen unter seinen Ellbogen, ein anderer drehte sich einen Vorrat von Zigaretten, die er vor sich aufreihte, und ein Dritter löste seinen Gürtel. Nach kurzem Räuspern und Husten wurde es still im Zelt.

Der Scheich griff nach der Schnabelkanne. Er goss ein paar Tropfen in den Sand, dann füllte er ein Schälchen, um daran zu nippen. Er nickte. In hohem Bogen goss er Kaffee in die Schälchen. Das Tablett machte seine Runde.

»Der Kaffee ist aromatisch«, lobte der Stammesdichter.

Der Scheich blickte auf: »Ich habe meinen Anteil geleistet, nun ist der Erzähler an der Reihe!«

Hussein nahm ein paar Züge von seiner Pfeife, räusperte sich, dann fing er an zu erzählen: »Ich bin der Älteste unter euch. Mein Leben ist lang, dafür danke ich Allah, doch meine Geschichte ist länger. Sie begann vor meiner Zeit und wird mit meinem Tod nicht enden.

Unser Land hat zahlreiche Eroberer kommen und gehen sehen. Die Türken herrschten ein halbes Jahrtausend in Palästina, bis sie nach dem ersten großen Krieg vertrieben wurden. Dann rückten die Engländer nach. Und kaum war der zweite große Krieg zu Ende, verließen die Engländer das Land, und die Juden traten an ihre Stelle.«

Hussein strich über sein faltiges Gesicht.

»Ich weiß, was ihr denkt: Wenn der Alte anfängt zu erzählen, hört er nicht mehr auf. Mein Großvater war ein berühmter Erzähler; er sagte einmal: Es gibt drei Typen von Erzählern. Die einen sind wie Wassersäcke, deren Vorrat nur für wenige Tage reicht. Die anderen gleichen Zisternen, die Wasser für Monate spenden, und schließlich gibt es Erzähler wie Brunnen, die immer Wasser führen. Mein Großvater war ein solcher Brunnen!

Nur eine Erzählerin gab es, die nicht diesen drei Typen zugehört. Es ist Scheherezade, die Erzählerin von ›Tausendundeiner Nacht‹. Sie ist wie das Meer. Scheherezade war und bleibt die Königin des Erzählens.

Ich warne euch, die Geschichte ist lang. Ein Greis wie ich hat vieles erlebt, gehört und gesehen.

Besorgt euch noch einen Vorrat an Kameläpfeln für das Feuer! Wer Geschichten und Märchen lauschen will, muss die Kunst des Zuhörens beherrschen. Ihr werdet lange an meine Geschichte zurückdenken.

Diese Geschichte hat keine Grenze, wie auch das Erzählen keine Grenze kennt. Merkt euch gut das Wort ›Grenze‹. Bei der Morgenröte werdet ihr den Sinn dieser Worte verstehen. Ich kann weder schreiben noch lesen, doch das Erzählen ist mir in die Wiege gelegt. Durch Dünen und Schluchten sind meine Geschichten mit mir gewandert; ihr werdet sie in keinem Buch finden.«

Der Alte schlürfte ein weiteres Schälchen Kaffee.

»Die Geschichte, die ich euch heute erzählen will, begann vor vielen, vielen Jahren

Die Siebenbrunnen-Stadt

Es war ein glutheißer Sommertag, als die betagte Hebamme des Stammes meinen Vater im Männerzelt aufsuchte, um ihm die Nachricht von meiner Geburt zu überbringen. Dies war, wie man mir erzählte, kurz nach dem Bau des Suezkanals. Wann genau, werdet ihr fragen? Kurz kann viel bedeuten in der Sprache der Hirten. Ein Jahr, drei Jahre oder gar zehn Jahre …, wer weiß es? Und wenn ich es wüsste, was sind ein paar Jahre im Rhythmus der vorrückenden Sanddünen! Es bedeutet mir nichts. Ist es nicht furchtbar, sein Leben abzählen zu müssen?

Jüngere unter euch mögen später die Bücher durchwühlen, um das Alter des Kanals in Erfahrung zu bringen. Manch einer wird gar den Tag und die Stunde meiner Geburt wissen wollen. Ich sage euch: Jede Suche ist vergeblich; sie wird euch nur von der Geschichte ablenken.

Es ist nicht meine eigene Geschichte, die ich euch erzählen will, sondern die Geschichte unseres Stammes. Doch bin ich Teil dieser Geschichte.

Ich bin fast so alt wie der Kanal, sagte ich. Und dieser Kanal hat seine eigene Geschichte.

Mein Vater war ein berühmter Karawanenführer, der zahllose Länder bereist hatte. Vieles hatte er erlebt, doch die denkwürdigste Begebenheit war die erste Begegnung mit dem Kanal.

Es war auf einer Karawanenreise nach Ägypten, als einer der Händler in der Ferne Wasser erblickte.

»Wasser in der Wüste?«, lachte mein Vater. »Das muss eine Fata Morgana sein!«

»Meine Augen haben mich nie getäuscht«, erwiderte der Händler.

Die Karawane legte einige Meilen zurück und kam tatsächlich vor dem blauen Wasser zum Stehen. Der Karawanenführer stieg ab. Fassungslos blickte er auf das fließende Wasser. Dann warf er einen Stein in die Tiefe.

»Die Kamele können das Wasser nicht durchqueren; es muss tiefer als ein Wadi sein«, fluchte er.

Ratlos ließ sich die Karawane am Ufer nieder. »Mindestens können wir unseren Durst stillen«, sagte ein Kamelhirte und füllte seinen Wassersack. Er nahm einen kräftigen Schluck, spie ihn jedoch in großem Bogen wieder aus: »Das Wasser ist salzig, es muss vom Meer kommen.« Ungläubig benetzte jeder seine Zunge.

»Dies Wasser taugt weder für Mensch noch Tier.« Der Karawanenführer spuckte voll Verachtung in den Kanal. Bitternis breitete sich aus. Während die Karawane am Ufer rastete, erblickte ein Händler in der Ferne Rauchschwaden. Die Rauchsäulen rückten immer näher.

»Ein Schiff! Ein Schiff!«, rief einer. Alle reckten die Köpfe. Ein lautes Hupen versetzte die Kamele in Panik. Verstört warfen die Tiere ihre Lasten ab und rannten davon. Die Händler folgten ihnen mit lautem Geschrei.

Als das Schiff ganz nahe war, schwenkte mein Vater seine Kopfbedeckung. Auf dieses Zeichen hin trat ein Mann an Deck.

»Woher kommst du, und wohin geht die Reise?«, erkundigte sich mein Vater.

»Ich komme vom Land der Inder und fahre in das Land der Engländer.«

»Was ist im Bauch deines Schiffes?«

»Ich habe Baumwolle geladen«, entgegnete jener.

»Und wie kommt es, dass du durch die Wüste fährst?«

»Früher war ich Monate unterwegs mit meinem Schiff, denn der Weg war sehr, sehr weit. Seit man die beiden Meere miteinander verbunden hat, spare ich viel Zeit.«

Mit einem letzten Winken verschwand der Mann im Bauch des Schiffes.

Nachdenklich blickte mein Vater den Rauchwolken nach.

Ein lautes Schimpfen riss ihn aus seinen Gedanken. Die Karawanenhändler kehrten zurück. Jeder zog sein unwilliges Kamel hinter sich her. Mein Vater erzählte den Männern, was er soeben gehört hatte. Ratlosigkeit spiegelte sich in ihren Blicken wider.

»Was sind das nur für Zeiten«, empörte sich ein Kamelhirte. »Die Schiffe des Meeres durchqueren die Wüste. Das blaue Wasser versperrt den Kamelen den Weg. Sollen die Kamele, die Schiffe der Wüste, vielleicht schwimmen lernen?« Wütend schlug ein Händler mit seinem Stock ins Wasser.

»Uns Wüstensöhnen ist Wasser heilig, bei Allah, doch dieses Wasser ist gestohlen. Man hat es dem Meer geraubt!«

Der Karawanenführer stützte seinen Kopf in die Hände. Lange betrachtete er die Wellen, die sich am Ufer brachen.

»Sie haben das Weiße Meer mit dem Roten Meer verbunden, und wir bezahlen den Preis dieser Vereinigung. Was haben Schiffe im Land der Beduinen zu suchen? Zum ersten Mal hat die Wüste eine Grenze!«

Unverrichteter Dinge musste die Karawane umkehren.

Die Geschichte von dem blauen Wasser in der Wüste erreichte auch den türkischen Sultan. Dieser wurde hellhörig. Während er in seinem prächtigen Palast in Stambul eine Wasserpfeife nach der anderen schmauchte, träumte er davon, in diesem Kanal ein Bad zu nehmen.

Der Sultan ließ seinen Pascha zu sich rufen. »Wer bewohnt das Land, durch das der Kanal fließt?«, erkundigte er sich.

»Der Kanal fließt durch die Wüste, o gnädiger Sultan, und die Wüste ist das Land der Beduinen.«

»Welchen Tribut entrichten diese Untertanen dem Reich?«

»Tribut? Sie bezahlen weder Steuern, noch stellen sie Soldaten. Mit ihren Herden streifen sie durch die Wüste.«

Der Sultan schüttelte sein Haupt. »Wer hätte gedacht, dass diese leeren Sanddünen so bedeutsam würden?«

Der Pascha lächelte zufrieden, denn schon lange waren ihm diese widerborstigen Wüstensöhne ein Dorn im Auge.

»Diese Kameltreiber sollen die Mittagssterne sehen!«, murmelte er bei sich.

»Schaff mir Rat!«, befahl der Sultan.

Der Pascha zwirbelte seinen langen Schnurrbart.

»Die Beduinen sind in Stämme gegliedert, und jeder Stamm wird von einem Scheich geführt. Was die Kontrolle über sie erschwert, ist nicht ihre Anzahl, sondern ihre Unstetigkeit. Einmal sind sie hier, einmal dort; sie sind einfach nicht zu fassen.«

»Dieses Wanderleben wird ein Ende haben, so wahr ich der Sultan der Osmanen bin!«

Der Pascha nickte zustimmend. »Wir müssen diese Kameltreiber an die Scholle binden. Solange sie ihre schwarzen Zelte auf Kamelrücken laden, werden sie uns immer entweichen. Wenn wir sie jedoch in Baracken zwingen, bringt das der Hohen Pforte viele Vorteile: Es erleichtert uns die Kontrolle über das Land und über seine Bewohner. Und wie die Fellachen werden die Beduinen Steuern zahlen!«

»Dein Rat zeugt von Klugheit«, lobte der Sultan. »Dein Vorschlag soll in die Tat umgesetzt werden.«

Mit einem tiefen Bückling verabschiedete sich der Pascha. Geraume Zeit später befahl er seine Offiziere zu sich, um sie von dem Plan zu unterrichten. Als der Pascha seine Ausführungen beendet hatte, erkundigte sich ein Offizier: »Wo sollen wir beginnen?«

»Bei den nördlichen Stämmen, den Stämmen des Negev!«, entschied der Pascha.

Hussein, der Erzähler, seufzte tief:

Und so nahm das Unglück seinen Lauf. Erst schnitt uns der Kanal den Handelsweg ab, und dann hatten wir die Türken am Hals.

Ein Trupp Soldaten, geführt von einem türkischen Offizier, machte sich auf den Weg zu unserem Stamm, den Tyaha. Ein Hirte, der am Rande des Stammesgebietes seine Herde weidete, kam atemlos ins Zeltlager gerannt.

»Soldaten! Soldaten!«, schrie er. Die Kunde verbreitete sich in Windeseile.

»Sind es viele?«

»Ein gutes Dutzend«, antwortete der Hirte.

»Vielleicht haben sie sich nur in der Wüste verirrt?«, mutmaßte einer.

»Warten wir ab!«

Die Männer versammelten sich zur Beratung im Scheichzelt. Es dauerte nicht lange, als sich in der Ferne eine Staubwolke abzeichnete, die langsam näher rückte.

»Wir bekommen Besuch«, sagte der Kadi.

»Sollten wir nicht die Kamele besatteln und ihnen entgegenreiten?«

Unwirsch wies der Scheich den Vorschlag zurück: »Das wäre zu viel der Ehre für diese Maultierreiter!«

»Was das wohl zu bedeuten hat?«, sinnierte ein Greis.

»Wasserfluten und Regierungen traut man nicht.«

Der Trupp ritt in das Stammeslager ein. Am Scheichzelt angekommen, zügelte der türkische Offizier sein Maultier. »Wer ist euer Anführer?«

Der Scheich trat vor das Zelt. »Der Gast sei gegrüßt!«

»Bist du der Stammesführer?«

»Stellt ihr immer Fragen, bevor ihr einen Gruß entbietet?« Der Offizier gab seinen Soldaten das Zeichen zum Absitzen. Mit einladender Geste wies der Scheich auf die Feuerstelle. »Ihr steht vor dem Gastzelt, tretet ein! Die Kaffeekanne ist gefüllt.«

»Wir sind keine Gäste«, entgegnete der Offizier barsch. »Wir sind gekommen auf Befehl der Hohen Pforte!«

»Und wie lautet der Befehl?«, erkundigte sich der Kadi, der hinzugetreten war.

»Von jetzt an sollt ihr nicht mehr in Zelten, sondern in Baracken wohnen!«

»Die schwarzen Zelte, die Allah in seinem Heiligen Buch pries, sollen wir abschlagen? Ihr scherzt!« Der Scheich war aufgebracht.

»Habt ihr gehört, Männer? In seinem Palast mag der Sultan befehlen, doch die Wüste kennt keine Befehle; sie hat ihre eigenen Gesetze!«

»Das wird sich zeigen«, grinste der Offizier. Auf sein Handzeichen hin zückten die Soldaten ihre Schwerter und umstellten das Gastzelt.

Die Männer sprangen auf, jeder legte seine Rechte an den Dolch und wartete auf einen Wink.

Unterdessen waren die Frauen aus den umliegenden Zelten herbeigeeilt. Einige von ihnen führten Zeltstangen mit sich.

Eine der Frauen trat auf den Offizier zu. »Wir sollen unsere Zelte aufgeben? Weißt du überhaupt, wie lange wir an einem Zelt arbeiten? Wenn wir zu Beginn des Sommers die Ziegen scheren, so dauert es bis zum ersten Winterregen, bis die Zeltbahnen gewoben sind!«

»Die Baracken ersparen euch diese Arbeit«, höhnte ein Soldat.

»In Baracken verdorren wir in der Sommerhitze. Und Baracken können nicht wandern!«, erwiderte die Frau mit bebender Stimme.

»Die Wanderschaft wird sowieso ein Ende haben. Dies ist der Wille des Sultans!«

Der Offizier wandte sich an den Scheich. »Du kennst den Befehl. Schlagt dieses Zelt ab, sonst werden es meine Soldaten tun!«

Der Scheich griff nach einem Zeltseil, seine Augen funkelten. »Wehe dem, der das Gastzelt berührt! Es ist offen für den Freund, und selbst der Feind findet Schutz in ihm. Doch wer es verletzt, verwirkt das Gastrecht!«

Der alte Hussein schaute in die Runde: Woher sollte dieser starrköpfige Offizier, der zwischen vier Wänden aufgewachsen war, die Sitten der Wüste kennen? Den Sesshaften ist kein Gastrecht heilig! Hussein trank ein Schlückchen Kaffee und fuhr fort:

Und so gab der Offizier Befehl, das Scheichzelt niederzureißen. Kaum hatte einer der Soldaten das erste Zeltseil durchtrennt, als sich die Männer wie Löwen auf die Angreifer stürzten. Nach kurzem Kampf lagen die Leichen der Soldaten samt ihrem Anführer vor dem Zelt.