Die Nacht der Wünsche - Salim Alafenisch - E-Book

Die Nacht der Wünsche E-Book

Salim Alafenisch

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Beschreibung

Wer von Allah mit der Nacht der Wünsche gesegnet wird, hat drei Wünsche frei. Doch in dieser besonderen Nacht werden sich die Hoffnungen des mächtigen Sultans nicht erfüllen. Als ihn auf dem Lager seiner jüngsten Haremsdame eine sonderbare Schwäche befällt, nutzt die schöne und kluge Zahra das Missgeschick des Tyrannen: In betörenden Märchen erzählt sie ihm von Geschichte und Gebräuchen, Menschen und Mythen seines Reiches, um die sich der hab- und machtgierige Sultan nie gekümmert hat.

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Seitenzahl: 305

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Über dieses Buch

Als den mächtigen Sultan auf dem Lager seiner jüngsten Haremsdame eine sonderbare Schwäche befällt, nutzt die schöne und kluge Zahra das Missgeschick des Tyrannen: In betörenden Märchen erzählt sie ihm von Geschichte und Gebräuchen, Menschen und Mythen seines Reiches, um die sich der hab- und machtgierige Sultan nie gekümmert hat.

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Salim Alafenisch (*1948) hütete als Kind die Kamele seines Vaters in der Negev-Wüste. Nach dem Gymnasium in Nazareth und einem einjährigen Aufenthalt in London studierte er Ethnologie, Soziologie und Psychologie in Heidelberg. Seit Langem beschäftigt er sich mit der orientalischen Erzählkunst.

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Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Salim Alafenisch

Die Nacht der Wünsche

Roman

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 2 Dokumente

Die Originalausgabe erschien 1996 beim Weitbrecht Verlag, Stuttgart.

© by Salim Alafenisch 1996

© by Unionsverlag, Zürich 2024

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: August Macke, Kairouan I, 1914 © Blauel/Gnamm/ARTOTHEK

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30697-4

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Version vom 27.05.2024, 17:49h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

DIE NACHT DER WÜNSCHE

PrologDer JuwelierDer ScheichDie HausschwelleIm Garten des SultansDie PalmeDer OlivenbaumDer WeinstockDie drei GästeDer BeduineDer BauerDer StädterDie Erzählnacht im DiwanDer Fluch des DerwischsDas SchlangendorfDas Hochzeitsfest im BazarAm Hof des HerrschersDie WahrsagerinDie HandleserinDie KaffeesatzleserinEpilog

Mehr über dieses Buch

Über Salim Alafenisch

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Prolog

Vor langer Zeit lebte ein mächtiger Sultan. Er war der Herrscher eines großen Reiches und gebot über unzählige Untertanen. Immer wieder unternahm er Feldzüge, um neue Ländereien zu erobern und ihre Bewohner zu unterwerfen. Seine Habgier kannte keine Grenzen.

Doch er war nicht nur gierig nach neuen Gebieten, es gelüstete ihn auch nach Mädchen. Über die Anzahl seiner Frauen und Konkubinen sind sich die Märchenerzähler uneins. Viele meinen, der Herrscher habe so viele Frauen besessen, wie das Jahr Nächte habe. Eine Handvoll Erzähler hält diese Zahl für übertrieben. Sie glauben, es seien nur vierzig Frauen gewesen, denn nach vierzig Tagen ist eine Wöchnerin wieder rein.

Dieser Sultan lebte in einem großen, prächtigen Palast, und jede seiner zahlreichen Frauen bewohnte ein eigenes Gemach.

Obgleich er ein grausamer und hartherziger Herrscher war, zeigte er sich seinen Gemahlinnen gegenüber gerecht. Nacht für Nacht suchte er eine seiner Frauen in ihrem Gemach auf, sodass jede Frau einmal im Jahr an die Reihe kam. Der Sultan hatte eine seltsame Gewohnheit: Bevor er des Nachts eine seiner Gemahlinnen aufsuchte, verspeiste er eine Wachtel. So kam es, dass diese Vögel im Reich des Sultans immer seltener wurden. Den Untertanen war es bei Strafe verboten, Wachteln zu verzehren.

Die Tage verbrachte der Herrscher in seinem Diwan. Umringt von einem Dutzend Sklaven, die ihm zu Diensten waren, empfing er seine Wesire und Statthalter. Eine Wasserpfeife schmauchend und Tee schlürfend, hörte er, was die Wesire und Verwalter ihm über sein Reich zu berichten hatten. Und wenn ihn die Nachrichten langweilten oder ermüdeten, entließ er die Berichterstatter mit einem Wink.

Dann pflegte er sich auf den Polstern seines Diwans auszustrecken, und während die Sklaven ihm kühle Luft zufächelten, fiel er in tiefen Schlummer.

Eines Nachts, als seine jüngste Frau Zahra an der Reihe war, ließ der Sultan auf sich warten. Zahra hatte den Nachmittag im Hammam verbracht, um sich auf den nächtlichen Besuch vorzubereiten. Sie hatte ein Bad genommen, ihre Sklavinnen hatten sie massiert und mit duftendem Rosenöl eingerieben. Dann reichten sie ihr ein Gewand aus chinesischer Seide und schmückten ihre Haare mit Perlen und Edelsteinen. Mit ihren kajalgeschminkten Augen und ihrem Mund, der einem Zauberring glich, war sie so schön wie der Mond in seiner Fülle.

Zahra, die Blume, war die Tochter eines berühmten Händlers. Er bereiste mit seinen Karawanen die unterschiedlichsten Länder, war vertraut mit Sitten und Gebräuchen fremder Völker. Kehrte er von seinen Handelsreisen zurück, so pflegte er seiner Tochter zu erzählen, was er gesehen und erlebt hatte. Zahra war eine neugierige und dankbare Zuhörerin. Sie hegte und pflegte den Schatz der Geschichten, die sie in ihrer Fantasie weiterspann.

In dieser Nacht stand Zahra am Fenster und betrachtete den Mond. Sie nahm es als gutes Zeichen, dass in ihrer Nacht der Vollmond erstrahlte. Denn ihre letzte Nacht vor einem Jahr war finster und kalt gewesen.

Um sich die Zeit zu vertreiben, warf die Frau Weihrauch in die Glut und atmete den Duft in tiefen Zügen ein. Sie wartete und wartete. Die Glut war bereits verglommen, und der Mond stand schon über der Zinne des Palastes.

»Habe ich mich beim Zählen der Nächte vertan, oder hat der Sultan meine Nacht vergessen?«, fragte sich Zahra. Sie öffnete ihr Schmuckkästlein und zählte die Perlen ihrer langen Kette.

»Doch, ich bin heute an der Reihe!«, murmelte sie und lehnte gedankenverloren ihren Kopf an das Fenster.

Erst nach geraumer Zeit näherten sich Schritte. Zahra horchte. Ihre Blicke hefteten sich auf die Tür.

Der Sultan trat ein. Er hatte die Laune eines brünstigen Kamels. »Verflucht seien die Jäger!«, schimpfte er, ohne seine Frau eines Blickes zu würdigen.

Zahra ging auf den Sultan zu. »Gegrüßt seist du, mein Gebieter! Was bedrückt den größten Herrscher aller Zeiten?«

»Diese verdammten Jäger konnten keine einzige Wachtel finden!«, erwiderte der Sultan und stampfte vor Wut auf den Boden.

»Wünscht sich der gnädige Sultan einen Becher Wein? Wein erfreut das Herz!«, erwiderte Zahra und rezitierte die Verse des Dichters:

»O, wie köstlich ist der Wein,

funkelnd wie der Stern am Abendhimmel!

Welch ein Duft geht von ihm aus,

Moschus, Ambra kommen ihm nicht gleich!

Lass ihn dir gar wohl kredenzen

von einer Schönen mit tiefschwarzen Augen!

Es ist ein wahrhaft edler Wein,

gepresst wohl aus der Schönen Wangen.«

»Ich mag nicht trinken!«, erwiderte der Sultan mürrisch.

»Mein Gebieter soll unsere Nacht genießen!«, suchte Zahra den Sultan zu beschwichtigen. »Zu deinem Wohlgefallen werfe ich Weihrauch in die Glut!«

Sie zeigte zum Himmel. »Sieh, der Himmel ist mit Sternen bestickt, und der Vollmond sendet seine silbernen Strahlen!«

»Die Wachteln, die Wachteln …!«, klagte der Sultan.

»Denk nicht mehr an die Wachteln!« Zahra fasste den Sultan an der Hand. »Hier sind die schönsten Äpfel aus dem Garten von Damaskus, greif zu!«

Der Herrscher ließ sich auf dem Lager nieder und machte sich über die Obstschale her. Ein rotbackiger Apfel nach dem andern verschwand in seinem Schlund. Zahra wunderte sich über seinen großen Appetit.

Die Zeiten der Wachteln sind vorbei, dachte sie bei sich. Die Vögel können aufatmen. Jetzt sind die Äpfel an der Reihe. Die Apfelpreise werden steigen!

Der Sultan stellte die leere Obstschale beiseite. »O Zahra, du bist schön und klug. Ich fühle mich wohl bei dir!« Er betrachtete versonnen den jungen Reiter auf der persischen Miniatur am Fußende des Schlaflagers. »Gegen das Alter ist kein Kraut gewachsen«, bemerkte er. »Und ohne die Wachteln …«

Zahra unterbrach ihn. »Sei unbesorgt! Die Äpfel werden dir guttun!« Und sie fuhr fort: »Die Wachteln haben dein Reich verlassen. Auch den Tieren ist ihr Leben lieb!«

Der Sultan schlang seine Arme um seine Gemahlin. »Du bist verständig, doch was soll ich den anderen Frauen jetzt sagen? Schaff mir Rat!«

Zahra überlegte. »Ein schwieriges Problem mit sieben Knoten!«

»Das weiß ich selbst!«, brauste der Sultan auf.

»Sag einfach, dass du krank bist«, schlug Zahra vor. »Krank?«

»Du bist überarbeitet, das große Reich und die vielen Gemächer deines Palastes machen dir zu schaffen.«

Stumpf vor sich hinblickend, murmelte der Sultan: »Krank? Krank? Kannst du mich heilen?«

»Du brauchst Schonung«, entgegnete Zahra.

»Ich war noch nie krank!«, jammerte der Sultan.

»Das meinen viele. Weißt du, wie es dem Gläubigen in der Nacht der Wünsche erging?«

Der Sultan horchte auf: »Erzähl mir von der Nacht der Wünsche!«

Der Juwelier

Die Nacht der Wünsche wird in Allahs Heiligem Buch erwähnt. Sie ereignet sich nur im Fastenmonat Ramadan, in dem die Gläubigen von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang fasten. Der Tag wird zur Nacht und die Nacht zum Tag.

Wer von der Nacht der Wünsche gesegnet wird, hat drei Wünsche frei, die ihm Allah erfüllen wird, und in dieser Nacht sieht er die Welt verkehrt: Alles steht auf dem Kopf. Manche versetzt dieses Ereignis in Angst und Schrecken, sodass ihre Zunge gelähmt ist. Um dem vorzubeugen, überlegen sich die Menschen ihre Wünsche im Voraus.

»Was wünscht sich der Blinde?«, fragt man die Kinder scherzhaft.

»Einen Korb voll Augen!«

»Was wünscht sich der Arme?«

»Einen Sack voll Gold!«

»Was wünscht sich der Reiche?«

»Glück!«

Zu der Zeit, als Harun al-Raschid in Bagdad wohnte, lebte ein frommer Mann. Er war Juwelier, und sein Geschäft in der Altstadt florierte. Die Reichen der Stadt kauften bei ihm den Brautschmuck für ihre Töchter. Im Laufe der Zeit wurde der Händler so wohlhabend, dass er vier Frauen heiraten konnte.

Und wo scheißt der Teufel hin? Auf den größten Haufen!

Dieser wohlhabende Juwelier wurde von der Nacht der Wünsche gesegnet. AIs er aufwachte, sah er die Welt verkehrt: Die große, prächtige Moschee von Bagdad stand auf dem Minarett, und der Palast des Khalifen ruhte auf seinen Zinnen.

Der Juwelier erschrak, doch dann erkannte er die Zeichen. Er hatte also drei Wünsche frei, die ihm Allah erfüllen würde.

Der Mann hob seine Hände hoch und sprach: »O Allah, du Allbarmherziger! Du hast mich reich gesegnet. Ich habe vier Frauen, zahlreiche Nachkommen, und ich bin wohlhabend!«

Er hielt kurz inne. »Mein Wunsch ist: Mache mein Glied länger!«

Kaum hatte er den Wunsch ausgesprochen, da war sein Glied so lang wie ein Kamelhals.

Der Juwelier erschrak zutiefst: »O Allah! So riesig wollte ich mein Glied nicht haben. Welche Frau der Welt soll mich empfangen? Hab Erbarmen, mache mein Glied kürzer!«

Der Kamelhals verschwand, und als der Juwelier durch seinen Gewandausschnitt blickte, erblickte er eine kleine Olive.

Wie von Sinnen begann der Mann zu schreien. Verzweifelt hob er seine Hände ein drittes Mal: »Mein dritter Wunsch ist, dass du mir mein Glied wiedergibst!«

Und es geschah. So hatte der Juwelier sein Glück in der Nacht der Wünsche vertan.

Die Geschichte von dem Juwelier erheiterte den Sultan, und seine Laune besserte sich zusehends. Der Herrscher machte es sich auf dem Schlaflager bequem, und noch bevor der Morgen anbrach, schnarchte er.

Der Ruf des Muezzins, der die Gläubigen zum Mittagsgebet rief, weckte den Schläfer. Die Wesire im Diwan, die seit den Morgenstunden vergeblich auf den Sultan gewartet hatten, rätselten über sein Ausbleiben.

»Mach dir keinen Kummer!«, flüsterte der eine dem anderen ins Ohr. »Der Sultan hat die Nacht bei seiner jüngsten Frau verbracht!«

»Vielleicht ist ihm doch etwas zugestoßen?«, gab der andere zu bedenken.

»Der Sultan schläft aus, die Nacht hat seine Kräfte aufgezehrt!«, sagte ein Dritter.

Er hatte den Satz kaum zu Ende gebracht, als die Tür aufging und der Sultan erschien. Die Wesire verneigten sich ehrerbietig.

»Gnädiger Herrscher, Euer Morgen sei erleuchtet!«, begrüßte ihn der Großwesir.

Der Sultan ließ sich ermattet auf seinem Diwan nieder. Der Großwesir wollte wie gewöhnlich die Sitzung eröffnen, doch der Sultan winkte ab. »Ich bin krank!«, beschied er.

»Lass den Leibarzt rufen!«, befahl der Großwesir den Sklaven.

»Ich will keinen Arzt!«, versetzte der Herrscher. »Ich brauche Schonung!«

Ratlos schauten sich die Wesire an. Mit einer tiefen Verbeugung zogen sie sich zurück.

Die Neuigkeit verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Palast.

»Der Sultan ist krank!«, tuschelten die Sklaven.

Einige Frauen erkundigten sich bei Zahra: »Der Herrscher war gestern bei dir! Was ist mit ihm?«

»Er ist nicht ernstlich krank, er braucht nur Ruhe!«, entgegnete sie. »Ihr könnt Eure Perlenketten in den Schmuckkästlein lassen, es wird nichts mit Zählen!«

Der Scheich

Heute Abend erzähle ich dir die Geschichte von dem Scheich mit der ausgekugelten Hüfte.

In den Weiten der arabischen Wüste lebte vor langer Zeit ein Scheich. Er war reich und mächtig. Sein schwarzes Zelt, das auf sieben Zeltstangen ruhte, war immer offen für Gäste.

Sein Stamm war berühmt für die Zucht edler Kamele. Von weit her strömten die Beduinen zu seinem Zeltlager, um ihre Kamelstuten decken zu lassen.

Scheich Razik war nicht nur der Besitzer der größten Kamelherde weit und breit, er hatte auch eine edle arabische Stute und einen Esel. Zwischen den Kamelen und dem Esel gab es häufig Ärger, besonders beim Dreschen.

Auf dem Dreschplatz band man die Tiere mit einem Seil aneinander, trieb sie um einen Mühlstein und ließ sie mit ihren Hufen die Ähren zermahlen. Während der Esel, der dem Mühlstein am nächsten stand, mit nur wenigen Schritten den Stein umkreiste, mussten die Kamele weite Runden drehen. Aber sie hatten ja auch längere Beine.

Es war Sommer, und brütende Hitze lag über dem Dreschplatz. Die Sommerhitze hatte die Ähren getrocknet. Bis zu den Knien versanken die Kamele in den Strohhaufen, und von dem Esel waren bisweilen nur noch die Ohrenspitzen zu sehen. Der Staub verklebte den Tieren die Nüstern, sodass sie zu niesen begannen.

Die Tiere stöhnten.

»Bei der Gluthitze zu dreschen ist eine Strafe Gottes!«, schimpfte ein altes Kamel, dem die Zunge heraushing. »Und zu allem Überfluss müssen wir auch noch den faulen Esel ziehen!«

»Brüstet ihr Kamele euch nicht immer, wie kräftig ihr seid? Wozu habt ihr eure langen Beine und eure Plattfüße? Mir wird allmählich schwindlig vom Drehen!« Der Esel wippte mit seinem Schwanz.

»Wenn du dein Maul nicht hältst, werde ich keinen einzigen Schritt mehr tun!« Das alte Kamel spuckte in die Luft. »So weit kommt es noch, dass sich Kamele von einem gemeinen Esel beleidigen lassen!«

»Wer zeigt den Kamelen den Weg, wenn die Karawane auf Wanderschaft ist? Ich, der Esel! Ohne meine Hilfe seid ihr blind wie die Hühner!«, gab der Esel zurück.

»Du Grünschnabel! Als du noch im Bauch deiner Mutter warst, habe ich schon das große Kamelrennen gewonnen!«, versetzte das alte Kamel. »Ich zähle die Runden, für jede Runde bekommst du eines Tages einen Tritt in den Hintern.«

Das alte Kamel nahm ein Maul voll Ähren. Versonnen betrachtete es die Ziegenherde am Rande des Zeltlagers. Mit prallen Bäuchen lagerten die Ziegen im Schatten des Palmenhains und dösten vor sich hin.

»Ziegenbock müsste man sein!«, murmelte das alte Kamel. »Ein Ziegenbock muss nicht dreschen, keine Lasten tragen, und vierzig Ziegen laufen hinter ihm her! Und ich muss schuften, bis mir die Zunge heraushängt, und zu allem Überdruss soll ich mich auch noch mit diesem Nichtsnutz von Esel herumplagen!«

»Der Ziegenbock ist eben schlauer als du!«, lachte der Esel und vertrieb mit seinem Schwanz eine Zecke von seinem Hinterbein.

»Hört auf zu streiten!«, mischte sich eine Kamelstute ein.

Doch der Esel war bockig: »Ich kann mich nicht schneller drehen!«, sagte er und beschleunigte seine Schritte, dass die Kamele Mühe hatten zu folgen.

Während sich die Tiere auf dem Dreschplatz um den Mühlstein drehten, besattelte Scheich Razik seine Stute, um einen befreundeten Scheich im benachbarten Zeltlager zu besuchen.

Begleitet von guten Wünschen seiner Frauen, schoss er auf seinem Reittier davon, galoppierte am Dreschplatz vorbei und verschwand in der Schlucht. Doch im Galopp stolperte die Stute über einen Steinbrocken, und der Reiter stürzte in hohem Bogen auf den Boden.

Ein gellender Schrei hallte in der Schlucht wider. Aus allen Zelten eilten die Bewohner herbei. Sie fanden den Gestürzten bewusstlos am Boden liegen.

»Wasser! Wasser!«, rief ein alter Mann. Ein jüngerer goss Wasser aus einen Ziegenschlauch über das Gesicht des Scheichs. Langsam kam dieser wieder zu sich.

Der Stammesälteste beugte sich über den Scheich: »Du hattest Glück im Unglück! Allah sei Dank, dass dein Kopf nicht auf diese Steinplatte geprallt ist!«

Die Männer versuchten, den Gestürzten aufzurichten, doch er konnte sich nicht auf den Beinen halten. »Meine Glieder brennen wie Feuer«, stöhnte der Scheich.

Der Stammesälteste gab Anweisung: »Holt den Esel!«

Ein Junge eilte zum Dreschplatz und band den Esel los.

Das alte Kamel atmete auf. »Endlich können wir in Ruhe Gerste fressen! Alle kümmern sich um den Scheich, und diesen nichtsnutzigen Esel sind wir auch los!«

Auf dem Weg zur Schlucht ahnte der Esel Schlimmes.

Als er den Scheich auf dem Boden liegen sah, jammerte er: »Diesen Fettsack soll ich nach Hause tragen? Was habe ich getan, dass Allah mich so bestraft?«

Doch es half kein Jammern und kein Klagen. Mit vereinten Kräften hievten die Männer den Scheich auf den Esel und stützten ihn. Mit schweren Schritten setzte sich der Esel in Bewegung.

»Ich Unglücksrabe!«, klagte er. »Als ob diese Gluthitze nicht genügte!«

Der Esel trottete zum Zeltlager. Vor denn Scheichzelt befreite man ihn endlich von seiner Last. Das Tier atmete auf. Die Zeltbewohner betteten den Scheich behutsam auf den Teppich.

»Wo ist der Derwisch?«, rief der Stammeskadi, während er dem Verletzten ein Kissen unter den Kopf schob.

»Was ist passiert?«, hörte man eine Stimme rufen.

Es war der Derwisch, der mit langen Schritten herbeieilte. Sein weißes Gewand flatterte im Wind, und mit seiner Rechten hielt er seinen Turban fest. Sein Bart reichte ihm bis zur Brust.

»Der Scheich ist kopfüber vom Pferd gestürzt!«, berichtete ihm der Kadi, der den Derwisch empfing. Alle Blicke hefteten sich auf den Verletzten, der laut aufstöhnte.

Der Derwisch beugte sich über den Scheich und begann ihn vom Kopf bis zu den Füßen abzutasten. Als er bei der linken Hüfte angelangt war, bäumte sich der Verletzte auf: »Es brennt! Es brennt!«

»Bleib ruhig liegen!«, ermahnte ihn der Derwisch und drückte, um sich zu vergewissern, noch einmal auf die Hüfte.

Der Scheich stieß einen Schrei aus, als hätte ihn ein Skorpion gestochen.

Der Derwisch wiegte den Kopf hin und her und schaute in die Runde: »Die linke Hüfte ist ausgekugelt!«

Der Verletzte krümmte sich vor Schmerzen.

»Was ist zu tun?«, wollte der Kadi wissen.

Der Derwisch wischte sich mit einem Zipfel seiner Kopfbedeckung die Schweißperlen von der Stirn. »Eine ausgekugelte Hüfte wieder einzurenken, ist eine heikle Sache! Ich kenne eine Methode«, fuhr er fort, »doch sie erfordert von dem Kranken Geduld. Der Scheich muss Hiobsgeduld aufbringen!«

Scheich Razik nickte mit schmerzverzerrter Miene, um zu zeigen, dass er ein Nachfahre Hiobs sei.

Der Derwisch war zufrieden. »Nun denn, ich brauche einen Esel!«

»Was hat der Esel mit der ausgekugelten Hüfte zu tun?«, erkundigte sich ein Sohn des Scheichs.

»Bin ich der Heiler oder du?«, gab der Derwisch zurück. »Tu, was ich dir sage!«

Der Esel war von bösen Ahnungen geplagt, als er diese Worte vernahm. »Was bin ich doch für ein Pechvogel. Der Scheich stürzt vom Pferd, und sie brauchen mich. Was hat der Derwisch mit mir vor?«

Gesagt, getan. Der Sohn des Scheichs, Hassan, führte den Esel an den Zelteingang.

Der Derwisch winkte Hassan zu sich und flüsterte ihm ins Ohr: »Füttere das Tier drei Tage mit Gerste, doch achte darauf, dass es keinen Tropfen Wasser bekommt.«

Hassan band den Esel an einen Zeltpflock fest und stellte einen Korb mit Gerste vor ihn. Der Esel machte sich über die Gerste her.

»Wahrscheinlich muss der Scheich für seine Heilung eine gute Tat vollbringen«, rätselte er.

Gierig füllte er sein Maul mit Körnchen. »Oder man füttert mich, damit mein Gang edler wird!« Der Esel reckte sich in die Höhe. »Scheich Razik ist alt geworden und kann sich nicht mehr auf dem Pferd halten. Jetzt braucht er mich!«

Allmählich neigte sich der Tag seinem Ende zu. Aus den Zelten hörte man das Geklapper der Kochtöpfe, und bald verbreitete sich der Duft von Gerstensuppe im Zeltlager. Aus den Zelten stiegen Rauchsäulen empor. Die Familien scharten sich um die Feuerstellen.

Die Sonne war bereits am Horizont versunken, als die Tiere vom Dreschplatz zurückgetrieben wurden. Die Kamele, deren Felle hell vor Staub waren, trotteten mühsam zu ihrem Ruheplatz.

»Sieh da, der Esel!«, rief das alte Kamel, als es seinen Widersacher erblickte.

»Meine Hufe brennen, mein Schlund ist ausgetrocknet, und dieser Esel hockt über dem Gerstenkorb und schlägt sich den Wanst voll! Wir dreschen nicht nur für den Scheich, sondern jetzt auch noch für den Esel. Die Welt ist voller Ungerechtigkeit!«

Der Esel nahm ein Maul voll Gerste und spuckte übermütig in die Luft. »Edel soll ein Wesen sein und keine gespaltenen Lippen wie die deinen haben!«, schmetterte er lauthals.

Die Augen des alten Kamels funkelten. »Habt ihr das gehört? Der Esel hält sich für edel!«

»Verdrehte Welt!«, pflichtete ihm die Kamelstute bei. »Dem Esel ist die Gerste zu Kopf gestiegen!«

Das alte Kamel bleckte die Zähne und stampfte mit seinen Plattfüßen auf. »Ich werde diesen verdammten Esel zum Teufel jagen!«

Als der Mond seine silbernen Strahlen über die schwarzen Zelte breitete, wurde es still im Stammeslager. Einige wenige Zeltbewohner kauerten noch um die erlöschende Glut der Feuerstellen; die meisten waren jedoch auf ihrem Ruhelager ausgestreckt und schliefen.

Das alte Kamel nutzte die Gunst der Stunde. Auf leisen Hufen näherte es sich dem Esel, der neben dem Gerstenkorb kauerte. Ganz leise verschwand der lange Kamelhals im Gerstenkorb. Als der Esel das mahlende Geräusch hörte, fing er an zu schreien.

»Halt dein Maul!«, fauchte das Kamel.

»Zieh erst einmal deinen Hals aus meinem Korb!«, schimpfte der Esel.

»Deinem Korb? Ich glaube, dein Verstand ist benebelt. Wer hat denn das Getreide gedroschen, ich oder du?«

»Ich bin edel. Ab heute dresche ich nicht mehr!«, entgegnete der Esel.

»Edel?«, höhnte das Kamel. »Edel sind nur wir Kamele. Du bist nichts als ein gemeiner Esel!«

Der laute Streit weckte Hassan, den Sohn des Scheichs. Er griff nach einer Zeltstange und eilte herbei. »Wollt ihr wohl still sein!«, schimpfte Hassan. »Eben ist der Verletzte eingeschlafen, ihr weckt ihn mit eurem Lärm auf!« Mit lauten Flüchen und kräftigen Hieben vertrieb er das alte Kamel.

Der Esel atmete erleichtert auf. »Diesen Störenfried bin ich los! Der lässt sich nicht mehr so schnell blicken!«

Als die ersten Sonnenstrahlen auf die Zeltdächer fielen, füllte Hassan den Korb erneut mit Gerste. Der Esel fraß, doch nicht mehr mit der gleichen Gier wie am ersten Tag.

Als die Mittagssonne über den Zelten stand, begann der Esel jämmerlich zu schreien.

Das alte Kamel auf dem Dreschplatz konnte sich nur wundern: »Dieser Esel ist merkwürdig. Er muss nicht dreschen, ein Korb voll Gerste steht vor seiner Nase, und er meckert immer noch!«

Am nächsten Tag lag der Esel nur noch auf dem heißen Sand und stöhnte: »Wasser! Wasser! Meine Zunge brennt wie Feuer!«

»Trockene Zeiten!«, höhnte das alte Kamel, als es auf dem Weg zum Dreschplatz vor dem Zelt vorbeikam.

»Sei nicht so hartherzig!«, mischte sich ein junges Kamel ein.

»Ist der Esel vielleicht gutherzig?«, gab das alte Kamel zurück.

In der folgenden Nacht schrie der Esel aus Leibeskräften, und wenn er eine Pause einlegte, hörte man das Stöhnen und Ächzen des Scheichs.

»Was für Zeiten!«, beschwerte sich eine trächtige Kamelstute. »In der Gluthitze des Tages müssen wir dreschen, und nachts können wir kein Auge zumachen. Entweder brüllt der Scheich oder der Esel. Ich bin am Ende mit meiner Geduld!«

Am dritten Tag rührte der Esel den Gerstenkorb nicht mehr an. Man vernahm nur noch ein leises Stöhnen.

Im Zeltlager herrschte ein reges Treiben. Niemand schien von dem Esel Notiz zu nehmen. Bevor die Hirten mit den Herden zur Weide aufbrachen, wurden die Tiere gemolken. Die Frauen füllten die Milch in Ziegenschläuche, dann schüttelten sie diese, um Butter und Sauermilch zu gewinnen. Die Kinder spielten vor den Zelten.

Im großen Zelt lag der Scheich Razik noch immer auf dem Teppich und klagte über seine starken Schmerzen. Seine Frauen hockten um sein Lager und versuchten ihn zu trösten.

»Bald kommt der Derwisch«, sagte die älteste der Frauen. »Allah möge dir Gesundheit schenken!«

Vor dem Zelt hielten die Söhne des Scheichs Ausschau nach dem Derwisch. Mit erhobenen Händen baten sie die Ahnen um Beistand für ihren Vater.

In diesem Moment erschien der Derwisch. Sein Turban glitzerte in der Morgensonne. »Wie geht es dem Kranken?«, erkundigte er sich.

»Er kommt fast um vor Schmerzen!«, erwiderte der älteste Sohn.

»Bringt mir den Esel!«, befahl der Derwisch.

Der Esel, der sich nur mit Mühe und Not auf den Beinen halten konnte, musste geschoben und gezogen werden.

Der Derwisch strich dem Tier sachte über den Bauch, dann nickte er. »Wir können beginnen!«

Durch den Zelteingang spähend, beobachtete der Scheich misstrauisch die Szene. Seine Schmerzen ließen schlagartig nach.

»Holt den Verletzten!«, rief der Derwisch.

»Was habt ihr mit mir vor?«, wehrte sich der Scheich, als seine Söhne ihn packten und vor das Zelt trugen.

»Setzt ihn auf den Esel!«, hörte man den Derwisch sagen.

Der Scheich wischte sich die Schweißperlen von der Stirn, und der Esel ließ vor Aufregung ein Häufchen Mist fallen.

»Ich stütze den Esel, und ihr setzt Euren Vater rittlings auf das Tier!«, gab der Derwisch Anweisung.

Gesagt, getan!

»Allah soll Euch strafen!«, schrie der Scheich aus Leibeskräften. »Ich will nicht mehr reiten … Oh, meine Hüfte!«

Der Derwisch lächelte schalkhaft. »Diesmal fällst du nicht, keine Sorge, wir binden dich fest!«

Scheich Razik seufzte tief. »Der Stammesahn möge mich erretten!«

Geschickt schlang der Derwisch ein Seil um die Fesseln des Scheichs und zurrte es unter dem Bauch des Esels fest. Die Beine des Scheichs umspannten den Bauch des Esels wie eine Schlinge.

»Wasser für den Esel!«, rief der Derwisch.

Die Söhne schleppten pralle Wasserschläuche herbei. Der Esel verstand die Welt nicht mehr. In tiefen Zügen schlürfte das durstige Tier Wasser in sich hinein.

Währenddessen legte der Derwisch sein Ohr an die ausgekugelte Hüfte des Scheichs und lauschte.

Die Zeltbewohner schauten gebannt zu und hielten die Luft an. Es war mucksmäuschenstill. Der Esel trank und trank, und sein Bauch blähte sich.

Beim siebten Wassersack hörte der Derwisch ein Knacken. Blitzschnell durchtrennte er das Seil mit seinem Dolch, sodass die Beine des Scheichs in der Luft schaukelten.

Der Derwisch schwenkte seinen Turban: »Die Hüfte ist wieder eingerenkt! Der Reiter soll absitzen!«

Die Söhne packten den Vater, der nicht wusste, wie ihm geschah, und hoben ihn vom Esel.

Gestützt von den Söhnen, setzte der Scheich behutsam einen Fuß vor den anderen. »Ich kann gehen«, frohlockte er. »Ich kann wieder gehen!«

Die Zuschauer konnten sich das Lachen kaum verkneifen.

Der Derwisch, der sich an der Feuerstelle einen Kaffee gönnte, schmunzelte. »Heute schwankst du noch wie ein neugeborenes Lamm, doch in drei Tagen kannst du ein Rennen gewinnen!«

Scheich Razik ließ sich neben dem Derwisch nieder. »Allah möge deine guten Taten vergelten!« Er griff in seine Gewandtasche und holte ein Goldstück hervor. »Dafür kannst du dir ein neues Gewand kaufen!«

Der Derwisch bedankte sich mit einem Nicken. »Beim nächsten Sturz weißt du, wie die Prozedur geht!« Er lächelte und erhob sich.

Unterdessen schleppte sich der Esel mit seinem Blähbauch zum Dreschplatz und ließ sich erschöpft auf einem Strohhaufen nieder.

»Was ist los mit dir?«, empfing ihn das alte Kamel. »Bist du hochschwanger?«

»Lass die dummen Scherze!«, gab der Esel zurück. »Mein Bauch platzt. Erst lassen sie mich halb verdursten, und dann ersäufen sie mich! Verstehe einer die Welt!«

»Die Zeltbewohner haben dir übel mitgespielt!«, schaltete sich das junge Kamel ein. »Wir Kamele sind berühmt für unser gutes Gedächtnis. Ich vergesse nichts. Eines Tages, wenn sich die Gelegenheit bietet, werde ich diesen Festtwanst von Scheich in seinen Bauch beißen. Da kann ihm kein Derwisch mehr helfen!«

Die Hausschwelle

Vor langer Zeit lebte ein Mann namens Harun in einem Dorf. Weit und breit rühmte man das Dorf für seine Granatäpfel. Die steinernen Häuser, die sich an die Berghügel schmiegten, waren umringt von Granatapfelhainen und Hecken mit Feigenkakteen. Man berichtet, die Wangen der Bauernmädchen seien so rot wie Granatäpfel gewesen.

Harun mochte Granatäpfel nicht. Seine Vorliebe galt den Honigmelonen, die auf der breiten Ebene unterhalb des Dorfes wuchsen. Harun war auch nicht rotwangig wie die Dorfmädchen, sein Teint hatte eher die Farbe einer Honigmelone. Den »Mann mit den gelben Wangen« nannten ihn die Mädchen scherzhaft.

Harun war Stoffhändler. Man schätzte ihn nicht nur wegen der feinen Qualität seiner Ware, er war auch umgänglich, und seine Aufrichtigkeit verlieh ihm Respekt über die Dorfgrenze hinaus.

Das Grundkapital eines Händlers ist das Vertrauen, das er genießt.

Eines Tages, als er mit seinem Maulesel von einer längeren Reise zurückkehrte, erblickte er am Dorfbrunnen eine Schar schnatternder Mädchen, die ihre Krüge füllten.

Harun schaute wie gebannt auf den wiegenden Gang der Mädchen, die sich mit den Wasserkrügen auf dem Kopf in Bewegung setzten. Dem Händler kam die Stimme des Vorbeters in den Sinn: »Vermögen und Kinder sind das Schönste im Leben, sagt Allah in seinem Heiligen Buch.«

Wie recht er hat, dachte Harun bei sich. Er griff in die Gewandtasche nach seinem Spiegel, den er auf seinen Reisen mit sich zu führen pflegte. Lange betrachtete er sein Antlitz, seine rehbraunen Augen unter den wuchernden Brauen, seine lange, ebenmäßige Nase. Beim Anblick seines Bartes stutzte er: Er entdeckte ein graues Haar.

»Was hat dieses Haar in meinem schwarzen Bart zu suchen?« Harun versuchte, das fremde Haar zwischen Daumen- und Zeigefinger festzuhalten. Mit einem Ruck zog er es heraus.

Vermögen habe ich, dachte der Händler bei sich. Jetzt ist die Zeit reif, an Nachwuchs zu denken!

Bislang hatte er gezögert, auf Brautsuche zu gehen. Zum einen war er zu sehr mit seinem Handel beschäftigt, zum anderen hatte er schon als Kind seine Eltern verloren, und eine Mutter war eigentlich unentbehrlich bei der Brautsuche. Zu welcher Frau sollte er sonst Zutrauen haben?

Diese Gedanken beschäftigten ihn auf dem Heimweg.

Vor seinem Haus pflockte er den Maulesel an, gab dem Tier Futter und trug die Satteltaschen in den Stall. Noch bevor er seine kostbaren Stoffe verstaut hatte, klopfte es.

Harun öffnete die Tür. Ein vertrauter Kunde aus dem Nachbardorf stand davor.

»Du hast Glück, soeben habe ich das Haus betreten!«, empfing der Händler den Kunden. »Ich habe eine Ladung Seidenstoffe gekauft. Sie gereichen einer Sultansbraut zur Ehre!«

»Ich war schon einmal hier, du warst lange auf Reisen«, bemerkte der Kunde.

»Länger als eine Woche war ich unterwegs!«, sagte Harun und griff nach dem Wasserkrug.

»Eine Woche ist viel«, setzte der Kunde das Gespräch fort. »Bin ich länger als drei Tage weg, bekomme ich Ärger mit meiner Frau!«

Harun lächelte. »Du weißt, ich bin Junggeselle!«

»Mein Vater pflegte zu sagen, wer sich zu lange alleine auf sein Kopfkissen bette, bekomme graue Haare!«

Der Händler horchte auf. »Dein Vater hat recht, heute habe ich mir das erste graue Barthaar ausgezupft!«

»Das ist keine Lösung!«, erwiderte der Kunde. »Wenn du so weitermachst, wirst du bald ohne Bart dastehen!«

Harun zog sich den Umhang aus und löste seinen Gürtel. »Ich bin hungrig, wollen wir nicht zusammen essen?«

»Mach dir keine Umstände, Harun!«, sagte der Gast und fuhr fort: »Eine dringende Angelegenheit führt mich zu dir. Ich bin in Not. Kannst du mir Goldmünzen borgen?«

Harun öffnete seinen Beutel. »Reichen dreißig Münzen?«

Der Angesprochene nickte. »Auf einen guten Händler kann man zählen!«, bedankte er sich und lächelte verschmitzt. »Meine Frau riet mir, einen Junggesellen zu fragen. Der habe immer Geld. Ein Junggeselle spart für die Brautgabe.«

»Deine Frau ist klug. Doch in vierzig Tagen möchte ich die Münzen wiederhaben.« Der Händler strich sich über den Bart. »Ich möchte den grauen Haaren vorbeugen.«

Der Kunde horchte auf. »Ein guter Entschluss! Hast du ein bestimmtes Mädchen im Auge?«

»Die Geschäfte nehmen mich zu sehr in Anspruch …«

»Ich könnte dir behilflich sein. Mein Nachbar hat ein Mädchen im heiratsfähigen Alter. Sie ist schön wie eine Frühlingsblume. Sie hat kein Auge für die Männer in unserem Dorf. Du bist doch ein erfolgreicher Händler, willst du nicht dein Glück versuchen?« Erwartungsvoll schaute er Harun an.

»Wenn du mir bei der Vermittlung hilfst …?«

Der Kunde grinste. »Natürlich werde ich dich anpreisen, doch nicht vor dem zweiten Vollmond. Bis dahin brauche ich deine Münzen!«

»Einverstanden!«, sagte Harun.

Während sich der Stoffhändler auf dem Teppich ausstreckte und seinen Gedanken nachhing, kehrte der Kunde in sein Dorf zurück.

»Du bist klug!«, lobte er seine Frau. »Hier sind die Münzen.«

Zufrieden ließ die Frau die Goldmünzen durch ihre Finger gleiten.

»Bei Junggesellen ist immer etwas zu holen. Du musst ihn dir warmhalten!«

»Das tue ich, ich weiß auch schon, wie. Doch ich brauche deine Unterstützung!«, sagte der Mann.

»Wie das?«, wollte die Frau wissen.

»Ich habe ihm von dem Nachbarmädchen vorgeschwärmt. Er ist nicht abgeneigt, zumal er heute sein erstes graues Haar entdeckt hat!«

»Auf meine Schlauheit kannst du zählen«, versprach die Frau.

Sie ließ einige Wochen verstreichen, bevor sie die Vermittlung ernsthaft aufnahm. Sie wartete einen günstigen Moment ab, um mit der Nachbarin ins Gespräch zu kommen.

Bei einem Plauderstündchen bei der Nachbarin ließ sie ein paar Bemerkungen über den Händler fallen. Als sie merkte, dass ihre Worte ein offenes Ohr fanden, erzählte sie von Haruns Heiratsabsichten.

»Er ist ein erfolgreicher Händler!«, berichtete sie, während sie nach getrockneten Feigen griff.

»Lebt er mit seiner Familie?«, wollte die Nachbarin wissen.

»Nein, er lebt allein. Seine Eltern sind schon längst verstorben!«

Die Nachbarin dachte nach. »Wenn keine Schwiegermutter da ist, so ist die Braut Herrin des Hauses.«

»Was gibt es Besseres für deine Tochter?«, pries die Frau die Partie an. »Ein erfolgreicher Händler, ein eigenes Haus und obendrein keine Schwiegermutter, mit der man sich herumschlagen muss!«

Die Nachbarin nickte. »Mein Mann soll den Händler einladen. Dann werden wir sehen, ob meine Tochter Gefallen an ihm findet!«

Und so wurde ein erstes Treffen vereinbart. Der Händler und das Mädchen mochten einander auf Anhieb. Und so war der Weg frei für die Brautverhandlungen.

Der Kunde übernahm für Harun die Rolle des Vermittlers.

»Das Mädchen hat mein Herz erobert«, berichtete Harun. »Doch wie steht es mit der Brautgabe? Ich fürchte, dass sie meine ganzen Ersparnisse schlucken wird.«

Der Vermittler klopfte dem Händler beruhigend auf die Schulter. »Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Du bist kein Vetter des Mädchens, deswegen wird der Vater eine hohe Brautgabe fordern. Doch sei unbesorgt, durch geschicktes Handeln werden wir am Ende eine angemessene Brautgabe vereinbaren!«

Einige Tage später suchte Harun, begleitet vom Dorfältesten und vom Vermittler, das Haus des Nachbarn auf. Man bat die Gäste, auf den Strohmatten Platz zu nehmen, und reichte ihnen kühlen Aprikosensaft.

Nach den üblichen Begrüßungsformeln kamen die Parteien zur Sache.

»Die Beziehungen zwischen unseren Dörfern stehen seit vielen Generationen unter einem guten Stern«, wandte sich der Dorfälteste an den Hausherrn. »Wir wollen diese Tradition fortsetzen. Der Sohn meines Vetters, Harun, möchte um die Hand deiner Tochter anhalten!«

»Ich begrüße Euer Kommen, doch ich möchte die Meinung meiner Tochter einholen.«