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Der alte Beduine Musa ist ein berühmter Rababa-Spieler. Weit über die Stammesgrenze hinaus erfreuen die Klänge seiner Musik viele Herzen. Geboren wurde der Stammesmusiker in der Zeit der Kamele, in der Zeit der Zelte wuchs er auf, und nun sollte der alte Musa den Rest seiner Tage in der Zeit der Steine verbringen: Sein Stamm will die schwarzen Zelte aus Ziegenhaar gegen Steinhäuser eintauschen. Aber die Zeit der Steine bringt gewaltige Umwälzungen im Leben der Beduinen mit sich. Seitdem Musa mit seiner Frau Zaneh in das Steinhaus eingezogen ist, hört er auf zu träumen. »Vielleicht fühlen sich die Träume in den engen Mauern des Hauses eingesperrt«, rätselt Zaneh. »Im Zelt aus Ziegenhaar sind die Träume frei. Sie können wandern und durch die Zeltlöcher rein- und rausschlüpfen.«
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Seitenzahl: 131
Veröffentlichungsjahr: 2015
Der alte Beduine Musa ist ein berühmter Rababa-Spieler. Weit über die Stammesgrenze hinaus erfreuen die Klänge seiner Musik viele Herzen. Aufgewachsen in der Zeit der Zelte, soll er nun jedoch den Rest seiner Tage in der Zeit der Steine verbringen: Sein Stamm will die schwarzen Zelte aus Ziegenhaar gegen Steinhäuser eintauschen.
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Salim Alafenisch (*1948) hütete als Kind die Kamele seines Vaters in der Negev-Wüste. Nach dem Gymnasium in Nazareth und einem einjährigen Aufenthalt in London studierte er Ethnologie, Soziologie und Psychologie in Heidelberg. Seit Langem beschäftigt er sich mit der orientalischen Erzählkunst.
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Salim Alafenisch
Das versteinerte Zelt
Erzählung
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Unionsverlag
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© by Unionsverlag, Zürich 2024
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Umschlag: Emma Stanley, 1999
Umschlaggestaltung: Martina Heuer
ISBN 978-3-293-30699-8
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Inhaltsverzeichnis
DAS VERSTEINERTE ZELT
Der alte Musa mit dem Gesicht eines würdigen …Mehr über dieses Buch
Über Salim Alafenisch
Ein Film über und mit Familie Alafenisch im Negev
Salim Alafenisch: »Kleine Kerzen in der Dunkelheit zünden«
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Meiner TochterMilena Chaula gewidmet
Der alte Musa mit dem Gesicht eines würdigen Greises und den knochigen Händen war ein berühmter Rababa-Spieler. Das Rababa-Spielen war ihm in die Wiege gelegt. Bereits als Kind lernte er, über die Schulter seines Vaters gebeugt, mit seinen zarten Fingern über die Saite zu gleiten und den Bogen zu führen. Weit über die Stammesgrenzen hinaus erfreuten die Klänge seiner Musik viele Herzen. Er hatte die Gabe, sein Instrument zum Sprechen zu bringen.
Musa, der Stammesmusiker, nahm sich viel Muße, um sein Instrument zu bauen. Wochen dauerte es, bis das Kunstwerk vollendet war.
Nachdem er zu Ehren eines Gastes eine Ziege geschlachtet hatte, nutzte er das Fell für den Bau seiner Rababa. Mit Sorgfalt hatte er das Tier enthäutet, denn das Fell musste unversehrt sein. Dann bestreute er die Haut mit Salz und breitete sie auf dem vorderen Zeltdach aus, um sie, vor den Hunden geschützt, in der warmen Sonne trocknen zu lassen.
Nach einer Woche setzte sich Musa vor das Zelt, um die Ziegenhaare von dem Fell zu rupfen. Niemand leistete ihm Gesellschaft bei dieser Arbeit, denn das Fell verströmte Wolken von Gestank. Nur die Hunde ließen die Haut keinen Augenblick aus den Augen und warteten auf eine Gelegenheit, sie zu schnappen. Aus dem Augenwinkel betrachtete Musa den alten Köter, der im Zeltwinkel kauerte und so tat, als ob ihn das Fell nicht lockte.
»Ich bewundere deine Ausdauer!« murmelte er. »Du hast in deiner Jugendzeit kein Fell von mir geschnappt, wie willst du es auf deine alten Tage schaffen?«
Musa hielt die Haut gegen die Sonne und nickte zufrieden. Aus dem Salzbeutel nahm er eine Handvoll Salz und bestrich beide Seiten der Haut. »Jetzt sollst du auf dem Zeltdach in der Sonne ruhen!« sagte er.
Einige Tage später folgte die Feinarbeit. An beiden Enden spannte Musa die Haut zwischen die Zeltseile, und mit seinem stumpfen Messer begann er, die restlichen Ziegenhaare abzuschaben und die Haut zu gerben. Unter seinen geschickten Händen verwandelte sich die Haut in samtweiches Leder.
Musa baute ein hölzernes Gehäuse mit einem langen Hals, das er mit dem feinen Leder bespannte. Für die Saite und den Bogen des Instruments holte er sich Schweifhaare von den edelsten Stuten des Stammes.
Wohlwollend betrachtete er sein Werk. Er hob die Rababa hoch und drehte sie nach allen Seiten. Ein Stammesbewohner, der herbeitrat, lobte ihn: »Allah möge deine Hände schützen! Das Instrument erfreut das Herz und ist ein Glück für das Auge!«
Der Stammesmusiker ließ sich im Schneidersitz nieder. Aus der Tasche seines Gürtels nahm er ein Stückchen Harz, mit dem er Saite und Bogen einrieb.
Als Musa seinem Instrument die ersten Töne entlockte, strömten die Zeltbewohner herbei und umringten ihn. Der Spieler schaute in die Runde, musterte die Gesichter und scherzte: »Bei der Arbeit war ich allein, nur die Hunde haben mir Gesellschaft geleistet. Und jetzt eilen die Helfer aus allen Zelten herbei.«
Ein langes und reiches Leben lag hinter dem alten Musa. Unzählige Eindrücke, Bilder und Geschichten füllten seinen Kopf und verwoben sich zu einem bunten Teppich. Schon die Umstände seiner Geburt waren außergewöhnlich. Seine Mutter unternahm einen kleinen Spaziergang am Rande des Stammeslagers, als sie plötzlich die Wehen überfielen. Und noch bevor die alte Hebamme gerufen werden konnte, lag der kleine Musa auf der Frühlingsweide.
Eine Kamelhirtin, die unweit der Geburtsstelle ihre Kamele hütete, eilte herbei und hüllte das Neugeborene in ein Kamelfell. Sie gratulierte Musas Mutter: »Die Geburt auf der Frühlingsweide ist ein gutes Omen! Dein Sohn liegt auf einem bunten Teppich von Frühlingsblumen, und die Kamele weiden um ihn herum. Dies ist ein Zeichen von Reichtum und Geborgenheit.«
Am selben Tag warf die Kamelstute ein Kamelfüllen. Und so wurde Musas Vater doppelt beglückwünscht. »Ein reicher Tag!« sprach der Stammeskadi, als er dem Vater die Hand reichte. »Die Frau hat einen Sohn geboren, und die Kamelstute warf ein Füllen!«
Der gemeinsame Tag der Geburt verband Musa und das junge Kamel. Fragte jemand Musas Mutter, wann ihr Sohn zur Welt gekommen war, so gab sie zur Antwort: »Am selben Tag wie unser Rennkamel!« Und wurde Musas Vater nach dem Alter des Rennkamels gefragt, so erwiderte er: »Es kam am gleichen Tag zur Welt wie mein Sohn Musa!«
Das Kind wurde zwölf Monate gestillt, und auch das Kamelfüllen sog ein Jahr lang Milch von den Eutern der Stute.
Als das Jahr verstrichen war, wandte sich Musas Mutter an die Frauen: »Mein Sohn ist gesund und kräftig wie ein Gazellenfohlen. Jetzt kommt die Zeit der Entwöhnung.«
»Bevor das Kind abgestillt wird und anfängt, Fladenbrot zu essen, muss es gegen Skorpione geschützt werden!« mahnte die Hebamme. »Ich übernehme die Sache!«
Musas Mutter war einverstanden.
»Sucht mir einen kleinen Skorpion!« bat die Hebamme die Frauen. »Achtet darauf, ihn nicht beim Namen zu nennen, damit er sich nicht verkriecht. Ruft ihn ›O Gazelle! O Gazelle!‹, das wird keinen Skorpion verschrecken.«
Während die Hebamme sich um das Feuer kümmerte, machten sich die Frauen auf die Suche. Zwei Stockwürfe vom Zelt entfernt entdeckten sie einen Skorpion, der sich unter einem überhängenden Stein verborgen hatte.
»Still!« flüsterte eine der Frauen. »Ich sehe eine kleine Gazelle. Sie schläft!«
Fast lautlos näherte sich die Frau und griff in einem günstigen Augenblick das Tier mit einer kleinen Feuerzange. Sie ließ ihren Fang in ein Gefäß gleiten und trug ihn stolz zum Zelt zurück.
Die Hebamme musterte die Beute: »Eine schöne Gazelle!« Sie griff nach der Pfanne und hielt sie über die Glut. Mit der Zange holte sie das Tier aus dem Gefäß und ließ es in die Pfanne gleiten. Als der Skorpion geröstet war, wurde er im Mörser zerstoßen. Den Mörserinhalt siebte sie durch ein Tuch, und auf diese Weise gewann sie ein feines Pulver. Musas Mutter verrieb eine Prise dieses Pulvers auf ihren Brustwarzen und legte den kleinen Musa an.
»Jetzt können die Skorpione deinem Sohn nichts mehr anhaben!« bemerkte die Hebamme zufrieden, als sie den Mörser putzte.
Im zehnten Frühling nach der Entwöhnung ereignete sich im Zeltlager ein Zwischenfall. Es war eine der ersten milden Frühlingsnächte. Der Mond überstrahlte mit seinem silbernen Licht die schwarzen Zelte. In der Stille der Nacht hörte man nur das mahlende Geräusch der Kamele, die neben den Zelten weideten. Das Rennkamel hatte sich vor dem Zelt ausgestreckt und linste in Richtung der Öllampe.
Eine Schlange, die unter den Zeltseilen durchgekrochen war, blieb auf einer Steinplatte liegen, die noch von der Sonne des Tages erwärmt war. Das Rennkamel wollte seinen Hals an dieser Steinplatte reiben, da geschah es. Die Schlange zuckte zusammen, schnellte hoch und biss das Kamel in die Lippen. Ein gellender Schrei brach die Stille der Nacht. Die Zeltbewohner eilten herbei. »Eine Schlange! Eine Schlange!« rief Musas Vater, der sich mit einer Zeltstange bewaffnet hatte.
Das Kamel lag röchelnd auf dem Sand, Schaum trat vor sein Maul. Mit mehreren Schlägen tötete Musas Vater die Schlange.
Dann hob er das Tier an der Schwanzspitze hoch: »Die Schlange reicht mir bis zum Gürtel!« rief er, »das Kamel wird diesen Biss nicht überleben!«
Das verletzte Tier wälzte sich noch einige Male hin und her, dann blieb es reglos liegen.
Der kleine Musa war untröstlich über den Verlust.
»Warum hast du für das Kamel keinen Skorpion geröstet?« fragte er seine Mutter vorwurfsvoll.
»Beruhige dich, mein Augenschein! Die Kamelstute wird wieder ein Kamelfüllen werfen!«
Doch Musa war nicht zu besänftigen. Seit seinen Kindertagen war er mit diesem Kamel eng verbunden. Er hatte sich immer ausgiebig um das Tier gekümmert, hatte die besten Kräuter gesammelt und ihm die saftigsten Gräser in das Maul geschoben. Stolz erfüllte ihn, wenn man ihn mit seinem Kamel verglich. »Die Kamele sind genügsame Tiere, sie haben Geduld und Ausdauer«, pflegte er zu erwidern.
Sehr viel später, in der Zeit der Steine, brachte ihn dieser Stolz immer wieder in Schwierigkeiten. Wenn ein Staatsdiener den alten Musa fragte: »Wann bist du geboren?« gab er zur Antwort: »In der Zeit der Kamele!«
Mancher Staatsdiener ärgerte sich über solch eine Antwort und drohte ihm mit Strafen, andere lächelten über den Alten und hielten ihn einfach für verrückt.
Was konnte sich ein ausgebildeter Staatsdiener unter der Zeit der Kamele vorstellen?
Denn nun herrschte die Zeit der Steine: Der Stamm hatte die schwarzen Zelte aus Ziegenhaar gegen Steinhäuser eingetauscht. Der Anblick weidender Herden gerann mehr und mehr zur Erinnerung, und auch das Bellen der Wachhunde, das die Zeltbewohner bisweilen auch geärgert hatte, wurde auf einmal vermisst. Das Blöken der Ziegen und Schafe und das Wiehern der Pferde hallte nicht mehr wieder. Der Duft des frischen Ziegenkäses war nicht mehr zu riechen. Wehmütig erinnerten sich die Bewohner an die Rauchwolken, die beim Backen von Fladenbrot emporstiegen. Die schwarzen Zelte, die sich sanft an die Hügel schmiegten, wurden immer seltener.
An ihrer Stelle erhoben sich nun steinerne Häuser und Blechbaracken. Musa, der Stammesmusiker, konnte sich mit den Neuerungen nicht anfreunden. Über viele Dinge schüttelte der Alte den Kopf; was jedoch am schwersten auf seinem Herz lastete, war das Ausbleiben der Träume.
Seit er in das Steinhaus eingezogen war, träumte er nicht mehr. Anfangs dachte Musa, die Träume bräuchten Zeit, sich vom Zelt an das Haus zu gewöhnen. Doch die Hoffnung des Alten erfüllte sich nicht. Die Träume blieben aus.
Eines Morgens, nach einer der vielen traumlosen Nächte, vertraute sich Musa seiner Frau Zaneh an.
»Zaneh, ein schwerer Stein liegt auf meinem Herzen. Seit der ersten Nacht in diesem Haus sind meine Träume verflogen.«
Die Frau wurde nachdenklich. Sie fasste sich an den Haarzopf und starrte an die Decke. Nach geraumer Zeit sagte sie: »Vielleicht fühlen sich die Träume in den engen Mauern des Hauses eingesperrt! Im Zelt aus Ziegenhaar waren die Träume frei. Sie konnten wandern und durch die Zeltlöcher rein- und rausschlüpfen.«
»Oder es hat mit dem Geruch der Farben an den Wänden zu tun«, mutmaßte Musa. »Der seltsame Geruch vertreibt die Träume!«
»Hörst du nicht, wie die Klänge deiner Rababa stumpf geworden sind? Früher trug der Wind die Töne bis zum benachbarten Zeltlager. Und jetzt prallen sie ab an den dicken Mauern des Hauses!«
»Du hast recht. Der beste Musiker kann diese Steine nicht durchdringen!«
»Im Zelt erfrischte uns die kühle Nachtbrise. Erinnerst du dich an den Duft der Frühlingsweide?«
»Und hier steht die Luft!« stöhnte Musa und erhob sich, um ein Fenster zu öffnen. Vergeblich! Mit beiden Händen zog der Alte am Fenstergriff. »Es klemmt! Diese verfluchten Handwerker!« schimpfte Musa. »Man bräuchte die Kraft eines Kamelhengstes!«
»Früher haben wir unsere Zelte selbst gebaut, und jetzt mauern uns die Handwerker zu!« klagte Zaneh.
Sie nippte an ihrem Teeschälchen und fuhr fort: »Ein Zelt ist offen für Mensch und Tier, für Mond- und Sonnenschein. Der Gast und sogar der Dieb haben Zugang zum Zelt. Weißt du noch, als der alte Esel unsere Abwesenheit nutzte, um sich an unseren Mehlvorrat zu machen? Als wir von Ibrahims Hochzeitsfest zurückkamen, ertappten wir ihn auf frischer Tat.«
Musa lachte. »Sein Kopf steckte bis zum Hals im Mehlsack. Als ich den Sack schnappen wollte, verfing sich der Kopf des Esels, und er rannte samt Sack Hals über Kopf davon. Die Mehlspur verlor sich dann im Zeltlager.«
»Der Mehlsack lockte viele Tiere. Auch die Mäuse taten sich an den Vorräten gütlich. Doch sie waren undankbar, denn sie durchlöcherten nicht nur die Säcke, sie ließen auch ihre Köttel zurück!« erinnerte sich Zaneh.
»Jetzt sind diese Zeiten endgültig vorbei! Nicht nur der Esel und die Mäuse, auch das Mondlicht und die Träume sind aus diesem Steinhaus ausgesperrt. Dafür sind wir selbst zwischen dicken Mauern eingesperrt!« klagte Musa.
»Musa! Träumen die Städter nicht?«
»Wie soll ich das wissen!« antwortete der Mann gereizt. »Ich weiß nicht einmal, wo meine Träume geblieben sind!«
Doch solche Stunden, in denen die beiden ihren Gedanken nachhingen, wurden immer rarer. Der Bau des Steinhauses war kostspielig, Musa und seine Frau waren hoch verschuldet, und die Gläubiger ließen ihnen wenig Zeit, über den Verbleib der Träume nachzugrübeln.