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Wenn das Tagwerk vollbracht ist, ruft die Mutter ihre Kinder um das Feuer und erzählt ihnen Geschichten vom Großvater, dem mächtigen Scheich des Beduinenstammes aus dem Negev. Acht Nächte lang erzählt sie von seinen acht Frauen, von Glück und Sorge, von Streit, Solidarität und Versöhnung, vom vielfältigen Beziehungsgeflecht des alten Stammeslebens. Von seiner Mutter hat Salim Alafenisch die Kunst des Geschichtenerzählens übernommen. Im Scheichzelt seines Vaters, in dem die Gäste mit gewürztem Kaffee empfangen wurden und in dem Recht gesprochen wurde, nahm er die Tradition seines Stammes in sich auf und trägt sie nun weiter. Ebenso poetisch wie präzis gibt er Einblick in die Sitten und Gebräuche der Wüste.
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Seitenzahl: 229
Veröffentlichungsjahr: 2015
Wenn das Tagwerk vollbracht ist, ruft die Mutter ihre Kinder um das Feuer und erzählt ihnen Geschichten vom Großvater, dem mächtigen Scheich des Beduinenstammes aus dem Negev. Acht Nächte lang erzählt sie von seinen acht Frauen, von Glück und Sorge, von Streit, Solidarität und Versöhnung, vom vielfältigen Beziehungsgeflecht des alten Stammeslebens.
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Salim Alafenisch (*1948) hütete als Kind die Kamele seines Vaters in der Negev-Wüste. Nach dem Gymnasium in Nazareth und einem einjährigen Aufenthalt in London studierte er Ethnologie, Soziologie und Psychologie in Heidelberg. Seit Langem beschäftigt er sich mit der orientalischen Erzählkunst.
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Salim Alafenisch
Die acht Frauen des Großvaters
Geschichten
E-Book-Ausgabe
Unionsverlag
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© by Unionsverlag, Zürich 2024
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: Nabil Lahoud, Nubian Composition
Umschlaggestaltung: Martina Heuer
ISBN 978-3-293-30855-8
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Cover
Über dieses Buch
Titelseite
Impressum
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Inhaltsverzeichnis
DIE ACHT FRAUEN DES GROSSVATERS
Es war ein glutheißer Sommertag, als ich mich …Es war Frühling, und der Mond warf sein …AischaFatimaTurfaChaulaSultanaAblaRaiqaWadhaMehr über dieses Buch
Über Salim Alafenisch
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Die Alten sind die Brunnen,aus denen die Jungen schöpfen.
Beduinisches Sprichwort
Für meinen Vater, Scheich Mohammed,
dessen Zelt der Duft gewürzten Kaffees erfüllte,
und für meine Mutter Hesen,
die mich in die Kunst des Erzählens einführte.
Es war ein glutheißer Sommertag, als ich mich von den Männern, Frauen und Kindern meines Stammes verabschiedete und das Flugzeug bestieg, das mich in wenigen Stunden nach Europa zurückbringen würde.
Nach meinem Studienaufenthalt in Heidelberg und nach Erlangung eines akademischen Grades freute ich mich sehr über den Besuch bei meinem Stamm. Meine Ankunft im Zeltlager bereitete den Stammesbrüdern große Freude. Sie waren froh, den Gast nach so vielen Jahren wiederzusehen, und stolz auf den ersten Universitätsabsolventen aus dem Stamm. Ein großes Zelt war bereits aufgeschlagen, in dem mein Besuch mit einem Fest gefeiert wurde.
Am nächtlichen Feuer saß ich mit den Männern beisammen, die meinen Erzählungen über das Leben in Europa lauschten. Dann packte ich meine Urkunde aus der Mappe und zeigte sie den Männern. Die Urkunde ging von Hand zu Hand. Jeder hielt das Papier eine Weile vor seinen Augen und betrachtete die Schrift. Als der alte Hussein an der Reihe war, weilte die Urkunde lange bei ihm. Forschend musterte er sie, wobei seine Augen immer größer wurden, als ob er sie lesen könnte. Fragend betrachtete er sie von allen Seiten. Dann gab er sie weiter.
Als das Papier seine Wanderschaft im Männerzelt beendet hatte und endlich zu mir zurückkam, war es mit zahlreichen Fingerabdrücken besiegelt.
Der alte Hussein schlürfte seinen gewürzten Kaffee, dann nahm er einen langen Zug von seiner Zigarette und richtete seinen Blick auf mich. »Es ist gut, dass du schreiben und lesen gelernt hast. Der Stamm ist stolz auf dich!« Er strich seinen schneeweißen Bart und fuhr fort: »Aber vergiss nicht, Bruder, dass es im Leben andere Dinge gibt, als Bücher zu lesen! Unsere Vorfahren sagten: Im Frühling spazieren zu gehen, Mädchen zu lieben und Pferde zu reiten, verlängert das Leben! Dein Großvater hat acht Frauen geheiratet. Wann wird der Stamm dein Hochzeitsfest feiern?«
Ausweichend erwiderte ich dem Alten: »Ich bin noch jung, und ich möchte noch eine größere Urkunde haben!«
Hussein, der meine Verlegenheit erkannt hatte, sprach: »Dann werden wir deine große Urkunde und dein Hochzeitsfest gleichzeitig feiern!«
Aber die Worte des alten Hussein hatten eine Erinnerung in mir wachgerufen. Ich besann mich, die Geschichte der acht Frauen meines Großvaters niederzuschreiben.
Es war Frühling, und der Mond warf sein silbernes Licht auf die Zelte unseres Stammeslagers. In seinem Zelt saß der Scheich mit einigen Männern beisammen und sprach über das regenreiche, gesegnete Jahr. Es gab genug Wasser in den Brunnen und ausreichend Weide für die Herden. Voll Wohlgefallen betrachteten die Männer die Tiere, die im Mondschein weideten. Und die Frauen freuten sich am nächsten Morgen über die prallen Euter der Ziegen und Schafe.
Die Beduinen lieben den Frühling. Es ist nicht mehr kühl wie im Winter, die Frühlingsabende sind lau. Es gibt genug Futter für die Herden. Und man freut sich über den leckeren Ziegenkäse und die Sauermilch. Daher gehört der Frühling zu den drei Dingen, die das Leben länger machen.
Die bevorstehenden Hochzeitsfeste waren ein wichtiges Thema im Männerzelt. Man heiratet gerne im Frühling. Das Wetter ist angenehm warm. Die Lämmer und Zicklein werden allmählich schlachtreif. Während die Männer sich über das Heiraten unterhielten, lauschten die Kinder mit gespitzten Ohren. Sie freuten sich auf die Feste, am meisten wegen der Süßigkeiten, die man auf dem Bazar kaufte.
Eines dieser bevorstehenden Feste war die Hochzeitsfeier von Rasched. Er und sein Vater würden am nächsten Vollmond in derselben Nacht heiraten.
Das gemeinsame Hochzeitsfest von Vater und Sohn ist nicht gerade beliebt bei den Frauen, aber der Aufwand ist geringer, als wenn man zwei Feste ausrichten würde. Rascheds Mutter begleitete die Vorbereitungen für die Festlichkeiten mit gemischten Gefühlen. Die Hochzeit ihres ersten Sohnes erfüllte die Mutter mit Stolz. Ihre Schwiegertochter würde ihr einen Teil der schweren Zeltarbeit abnehmen, und nach einem Jahr könnte sie ihr erstes Enkelkind auf dem Schoße schaukeln.
Aber da war noch dieses zweite Hochzeitsfest. So sehr sie sich über die Hochzeit ihres Sohnes freute, so sehr ärgerte sie sich über die ihres Mannes. Verletzter Stolz und Trauer erfüllten ihr Herz.
Während ich im Männerzelt saß, dicht gekauert unter dem Umhang meines Vaters, und den Gesprächen der Männer lauschte, rief mich mein Bruder: »Komm schnell!«
»Was willst du von mir?«, fragte ich ihn verärgert.
»Ich will nichts von dir. Mutter schickt mich. Sie will uns die lange versprochene Geschichte von den acht Frauen des Großvaters erzählen. Sie erzählt die Geschichte nur, wenn du auch dabei bist.«
Ich schlüpfte aus dem Umhang. »Ach ja, das ist schön. Ich dachte schon, es gäbe etwas zu tun im Zelt. Die Männer erzählen von den Festen. Es wird im nächsten Monat viele Süßigkeiten geben!«
Mein Bruder lachte: »Seit wann interessierst du dich fürs Heiraten? Du bist noch klein. Hochzeitsfeste gibt es genug. Aber die Geschichte von unserem Großvater ist einzigartig.«
Mein Bruder Hassan nahm mich bei der Hand, und so rannten wir durch das Zeltlager. Beinahe wäre ich über einen Zeltpflock gestolpert, aber Hassan hielt mich fest.
Als wir unser Zelt erreichten, waren wir außer Atem. Wir setzten uns zu der Mutter an die Feuerstelle. Auf der Flamme des getrockneten Kamelmists brodelte eine Kanne Tee für uns Kinder und eine Kanne Kaffee für die Mutter. Der Kaffeeduft und der Duft des mit Nelken gewürzten Tees erfüllten das Zelt. Meine Geschwister und ich saßen rings um die Feuerstelle und betrachteten die glühenden Kamelbällchen.
»Seht ihr, meine Löwen, wie gut, dass wir genug Brennmaterial für das Feuer haben!« Und sie schaute uns an.
Wir verstanden, dass sie Kameläpfel brauchte, um Fladenbrot zu backen. Und so versprachen wir hoch und heilig, dass jeder von uns für jede Geschichte, die sie uns erzählte, ein Gewand voll Kameläpfel bringen würde.
Märchen- und Geschichtenerzählen ist eine Kunst, die meine Mutter meisterhaft beherrschte. Sie nahm sich viel Zeit. Nach dem Kaffee- und Teekochen war das Rauchen an der Reihe. Sie war nicht geschickt beim Zigarettendrehen. Ich nahm den Tabakbeutel und drehte für sie eine dicke Zigarette, damit ich nicht schon bald wieder die nächste drehen musste. So habe ich das Zigarettendrehen gut gelernt.
Behutsam nahm sie mit der kleinen Zange einen glühenden Kamelapfel und zündete damit ihre Zigarette an. Dann trank sie einen Schluck heißen, mit Kardamom gewürzten Kaffee. Sie kratzte ihre Nase und hub an zu erzählen.
»Ihr wollt die Geschichte der acht Frauen des Großvaters hören?«
Ungeduldig erwiderte mein Bruder Ibrahim: »Ja, wir warten schon.«
»Diese Geschichte ist keine einfache Geschichte. Sie ist länger als die anderen. Sie besteht aus acht Teilen. Jede Frau hat ihre eigene Geschichte. Eine Nacht würde nicht ausreichen, um sie alle zu erzählen.« Sie nahm einen langen Zug von ihrer Zigarette. Die Rauchwolke stieg bis zum Zeltdach.
»Die Geschichte ist wirklich lang. Heute erzähle ich euch die der ersten Frau. Wenn sie euch dann gefällt, bringt ihr mir morgen den versprochenen Kamelmist.«
So einigten wir uns mit der Mutter. Für jede Geschichte sollte sie ein Gewand voll Kameläpfel bekommen. Meine Mutter war mit dem Handel zufrieden, und wir waren glücklich, die nächsten acht Nächte Geschichten zu hören.
Im Zelt war es mucksmäuschenstill, als meine Mutter ihre Stimme erhob: Heute Nacht erzähle ich euch, meine Löwen, die Geschichte von Aischa, der ersten Frau des Großvaters.
Der Großvater war ein gut aussehender Mann. Er war groß und schlank, und seine vier schwarzen Haarzöpfe reichten fast bis zum Gürtel seines Gewandes. In seiner Jugend war er ein tapferer Kamelhirte. Das Weiden bringt Mädchen und Knaben zusammen. Hirten und Hirtinnen spielen miteinander, während die Tiere das Gras fressen. Durch das zusammen Spielen ergeben sich viele Liebesgeschichten. Der Augapfel eures Großvaters war seine Cousine Aischa. Sie war ein schlankes Mädchen, wirklich, so schlank wie eine Palme. Ihre Augen waren so schwarz wie Kameläpfel in der Milchschale. Ihren Kopf bekränzte ein dichter Busch von schwarzem Haar, das sich nur mühsam zu Zöpfen bändigen ließ.
Während die Kamelherden gierig das Gras fraßen, legte euer Großvater sein Haupt in Aischas Schoß, und sie begann, mit ihren Händen in seinen langen Haarzöpfen zu spielen. Und er strich ihr über den Kleiderausschnitt und spürte den langen, schlanken Hals.
Eines Tages, während der Großvater seinen Kopf in Aischas Schoß gebettet hatte, sprach er zu ihr: »O meine Cousine! Wir spielen seit vielen Jahren zusammen. Die Zeit ist gekommen, dass wir dem Weg unserer Vorfahren folgen!«
»Was meinst du, mein Augapfel?«
»Ich meine, wir haben das Heiratsalter erreicht. Seit unserer Kindheit hüten wir zusammen die Kamele. Es gibt andere Dinge im Leben, als Kamele zu hüten!«
»Mein teurer Vetter! Einen besseren als dich kann ich nicht finden. Lieber schlafe ich zu deinen Füßen als beim Kopf eines anderen!«
Als er diese Worte vernahm, legte er seinen Arm um ihren Kleidergürtel. Und sie küsste ihn auf seine braunen Wangen, löste ihre Zöpfe und ließ ihr prächtiges Haar über ihn gleiten. Ihre Haare umfingen sein Haupt wie ein kleines, schwarzes Zelt.
So verbrachten der Großvater und seine Cousine den Tag auf der Weide. Als die Sonne über den Bergen stand und sich langsam von unserem Stamm verabschiedete, trieben sie ihre Herden in Richtung des Zeltlagers. Auf dem Heimweg sprach der Großvater zu seiner Cousine: »Ich werde heute Abend die Sache mit meinem Vater bereden, und besprich du die Angelegenheit mit deiner Mutter.«
Als die Kamelherden das Zeltlager erreicht hatten, wurden sie mit Freude empfangen. Die Frauen molken die Kamele. Dann nahm man das abendliche Mahl zu sich: Kamelmilch und Fladenbrot. Dann wurden die bunten Teppiche vor den Zelten ausgerollt. Eine angenehme Frühlingsbrise strich über das Zeltlager. Der nächtliche Himmel war mit Sternen bestickt.
Der Großvater rief seinen Vater neben das Zelt. Beide setzten sich in das kühle Gras.
»Vater, ich muss mit dir reden!«
»Ich höre, mein Sohn.«
»O Vater! Allah möge dir ein langes Leben schenken und deine Ehre schützen! Ich bin groß und habe das Mannesalter erreicht.« Er senkte seinen Blick zu Boden und fuhr fort: »Ich möchte heiraten!«
Der Vater strich seinen schneeweißen, langen Bart und richtete versonnen den Blick nach oben. Dann erwiderte er: »Auch ich habe schon daran gedacht. Ich möchte mit meinen Enkeln spielen.« Und er fuhr fort: »Hast du ein bestimmtes Mädchen aus unserem Stamm im Sinn?«
»Meine Cousine Aischa! Sie ist eine tüchtige Kamelhirtin, und wir spielen zusammen auf der Weide. Wir kennen uns gut.«
Das Gesicht des Vaters strahlte. »An sie habe ich auch gedacht. Ich werde die Angelegenheit mit meinem Bruder regeln«, erwiderte der Vater.
Auch Aischa sprach an diesem Abend mit ihrer Mutter. »O meine teure Mutter! Allah möge dir Gesundheit schenken! Ich bin groß, und seit zwei Frühlingen bekomme ich meine Tage. Mein Vetter hat mir heute auf der Weide einen Heiratsantrag gemacht.«
Die Mutter kratzte ihre Nase und dachte nach. »Darüber kann ich nicht allein entscheiden. Aber ich verspreche dir, dass ich heute Nacht mit deinem Vater darüber reden werde. Dein Vetter ist ein braver Junge!«
Aischa stand auf und küsste ihre Mutter auf die Stirn. Und die Mutter sagte mit beschwichtigender Stimme: »Ich werde sehen, was ich tun kann, mein Kind. Jetzt geh und schlafe, morgen früh wirst du deine Kamele zur Weide führen.«
Spät in der Nacht kehrte Aischas Vater aus dem Männerzelt zurück. Als er sich neben seine Frau auf das Lager legte, fand er diese noch wach. »Einer der Stammesgäste erzählte uns viele spannende Geschichten, bis es spät wurde«, sagte der Vater.
»Es ist Vollmond, und auch ich kann nicht einschlafen«, bemerkte Aischas Mutter. Sie griff nach ihrem Tabaksbeutel und drehte sich eine Zigarette. Sie begann zu rauchen. »Höre«, sagte sie, »ich muss mit dir über unsere Tochter reden. Die Ehre einer Frau ist wie Glas: Wenn es zerbricht, kann es nicht wieder zusammengefügt werden.«
»Ist etwas Schlimmes passiert?«, unterbrach der Vater seine Frau.
»Nein«, beruhigte ihn diese, und sie fuhr fort: »Aber Aischa ist groß, und man weiß nicht, was ihr auf dem Weg zur Weide alles zustoßen könnte. Heiraten ist die beste Sicherheit für ein Mädchen!« Aischa lauschte unter dem Kamelfell den Worten ihrer Mutter.
Der Vater hatte aufmerksam zugehört. Er überlegte eine Weile, dann sprach er: »Ich kann nicht zu den Männern gehen und meine Tochter anbieten wie ein Kamel auf dem Markt!«
»So habe ich das auch nicht gemeint. Ich bin eine Frau, die die Sitten kennt.«
»An wen hast du gedacht! Hast du etwas gerochen?«, fragte der Vater und reckte seinen Hals wie ein neugieriges Kamel.
Die Mutter lächelte: »Du weißt doch, Aischa geht mit ihrem Vetter seit vielen Jahren auf die Weide!«
»Ach so! Ich verstehe«, nickte der Vater. Und Aischas Mutter legte ihren Arm über seine Brust und erzählte ihm die Geschichte von der Weide.
»Dann werden wir bald Besuch bekommen«, sagte der Vater. Und so sprachen sie miteinander, bis der Schlaf sie überwältigte.
Am nächsten Morgen führte Aischa ihre Kamelherde zur Weide und traf dort ihren Vetter. Sie erzählten einander von den Gesprächen mit ihren Eltern.
Als die Herde das Zeltlager verlassen hatte, begab sich euer Urgroßvater zu seinem Bruder. Vor dem Zelteingang wurde er empfangen: »Der Gast sei willkommen!«
»Ich möchte heute bei euch den gewürzten Morgenkaffee trinken!«, erwiderte der Gast.
»Der Gast sei willkommen, mein teurer Bruder!« Und Aischas Mutter rollte den besten Teppich aus.
»Ich gehöre doch zur Familie«, sagte der Gast, als er den bunten Teppich sah.
»Wer ist ein ehrenhafterer Gast als du?«, erwiderte Aischas Mutter, und ihr Gesicht strahlte. So tranken sie den Morgenkaffee und sprachen über dies und das, die Kamele und die Weiden, über die Blutrache im Nachbarstamm und die Salzkarawane.
Nach geraumer Zeit sprach der Gast: »O Bruder, mein Augapfel!« Und er strich sich über den Schnurrbart. »Wir sind alt, und wir danken Allah, dass wir Nachkommen haben, die unsere Namen weitertragen. Mein Sohn und deine Tochter sind groß geworden. Heiraten ist eine gute Sache für das Mädchen und für den Jungen. Es bindet unsere Kinder zusammen und stärkt unsere Sippe. Ich bin heute zu dir gekommen, um dich um Aischas Hand zu bitten.«
Aischas Vater nahm einen Schluck aus dem Kaffeeschälchen und erwiderte: »Du weißt, mein Bruder, deine Kinder haben einen Platz in meinem Herzen. Die Cousinenheirat haben schon unsere Vorfahren bevorzugt. Sie sagten: Heirate deine Cousine, auch wenn niemand sie heiraten will, und folge dem Weg, auch wenn er lang ist! Dein Sohn kennt meine Tochter, und meine Tochter kennt ihn. So bleibt die Sache in der Familie.«
»Dann können wir die Angelegenheit gleich unter uns beim Morgenkaffee regeln. Wie viele Kamele willst du als Brautgabe für deine Tochter haben? Meine Kamelherde ist groß. Was du davon nimmst, ist mir lieber, als was du lässt.«
Aischas Vater schwieg einen Moment. Dann sprach er zu seinem Bruder: »Ich werde Aischa Sallam ohne Brautgabe geben. Er ist nicht nur ihr Vetter, sondern auch ihr Beschützer!«
»Ich danke dir, Bruder, für deine Großzügigkeit. Brautgabe willst du nicht haben. Dann verspreche ich dir meine Tochter Nasrah für deinen Sohn Abd-Allah.«
So legten die Männer die Hände ineinander und murmelten Verse aus dem Koran. Dann trällerte Aischas Mutter dreimal. Und so wurde die erste Ehe des Großvaters geschlossen.
Die Nachricht von der Vereinbarung verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Stammeslager. Sie erreichte Aischa bereits auf dem Rückweg von der Weide. Und die Männer kamen, um eurem Großvater zu gratulieren.
Am Abend sprach Aischas Vater zu seiner Tochter: »Du bist nun verlobt. Ab morgen führst du die Kamele nicht mehr zur Weide. Nura soll die Herde zur Weide führen.«
Als Nura diese Worte vernahm, ärgerte sie sich. »Die Herde zur Weide führen ist nicht einfach. Den ganzen Tag muss man sich nur um die Kamele kümmern.«
Aischa ermunterte sie: »Das stimmt nicht! Du brauchst die Herde nicht zu füttern. Sie finden ihr Fressen allein, und mit der Zeit lernst du andere Sachen durch das Weiden, die du im Zelt nicht erfahren kannst.«
»Du willst mir nur das Weiden schmackhaft machen«, zürnte die kleine Schwester.
So vergingen die Tage. Allmählich begannen die Vorbereitungen für das Hochzeitsfest. Stoffe, Henna und Süßigkeiten wurden in Gaza gekauft. Die Frauen waren mit dem Aufschlagen der Hochzeitszelte beschäftigt. Es gab ein großes Zelt für die Männer und ein Zelt für die Frauen. Beide wurden mit weißen Fahnen versehen. Das Frauenzelt wurde mit einer Puppe geschmückt. Diese wurde in feine Stoffe gekleidet, ihre Augen mit Kajal geschminkt und auf dem Vorderteil des Zeltes befestigt.
Am Tag ritten die Kamel- und Pferdereiter aus unserem Stamm und aus den Nachbarstämmen vor den Zelten. Und die Frauen sangen und trällerten. In der Nacht tanzten die Männer vor dem Frauenzelt im Mondschein. Vor jeder Männergruppe tanzte eine Frau, die ein Schwert in der Hand führte, und die anderen Frauen sangen und tanzten.
So feierte man in unserm Stamm. Die Tage vergingen, und der nächste Vollmond näherte sich. Aischas Vater, seine Frau und die Braut ritten in die Stadt und kauften für die Braut Armreifen, Ohrringe und Halsketten. Und Aischas Mutter gab ihrer Tochter eine ihrer Perlenketten und eine Goldmünze.
Am Tag der Hochzeitsnacht wurde ein Kamel zum Frauenzelt gebracht. Die Frauen befestigten einen Reitkorb und schmückten das Brautkamel mit fein bestickten Stoffen und gewobenen Teppichen. Ketten wurden um den Kamelhals gehängt. Das Tier sah aus wie ein blühender Strauch auf dem Weideplatz. Andere Frauen waren mit dem Brautzelt beschäftigt. In der Nähe des Frauenzeltes schlugen sie ein kleines Zelt auf. Dieses wurde mehr als die beiden anderen geschmückt. Teppiche mit bunten Farben wurden auf dem Boden ausgerollt. Eine weiße Fahne wurde auf dem Zelt befestigt. Mit Matratzen, Kissen und Decken wurde das Hochzeitslager bereitet.
Auch im Zeltlager der Braut herrschte reges Treiben. Freundinnen hatten die Braut gewaschen. Ihre großen, schwarzen Augen waren mit Kajal geschminkt. Die Haartracht wurde mit Perlen und Muscheln verziert. Perlenketten schmückten ihren schönen, schlanken Hals, und Ringe zierten ihre Finger. In ihrem fein bestickten Hochzeitskleid sah sie wie eine Prinzessin aus. Als das Brautkamel vorbereitet war, setzten sich zwei Mädchen in den Reitkorb, und das alte Kamel machte sich mit langsamen Schritten auf den Weg zu dem Zeltlager der Braut. Frauen und Männer begleiteten das Brautkamel. Der Gesang der Frauen begleitete den Zug.
Man führte das Brautkamel zu Aischas Zelt. Die Männer begaben sich ins Scheichzelt. Während die Frauen und Männer im Zeltlager der Braut sangen und tanzten, wurde ein festliches Mahl zubereitet. Drei Lämmer waren geschlachtet worden, und der Duft des zarten Fleisches mischte sich mit dem Duft der Gemüse und Kräuter.
Nachdem die Gäste das Festmahl genossen hatten, sprach der Scheich zum Brautvater: »Das Brautkamel hat sich vor dein Zelt niedergekniet.«
»Das Kamel ist willkommen!«, erwiderte der Vater und erhob sich. Als er sein Zelt betrat, sah er seine Tochter im Brautschmuck, umringt von einer Schar Mädchen. »O Aischa«, wandte er sich an die Braut, »das Brautkamel wartet auf dich.« Er reichte ihr die Hand und geleitete sie vor das Zelt.
Aischa ließ sich im Brautkorb nieder, und zwei Mädchen setzten sich ihr zur Seite. Tränen rollten über die Wangen der Braut und mischten sich mit dem schwarzen Kajal. Auch der Brautvater konnte seine Tränen nicht unterdrücken.
»Mädchen und Pferde sind teuer. Man gibt sie nicht gerne aus der Hand«, bemerkte ein alter Beduine, der die Szene beobachtete.
Unter lautem Gesang stand das Brautkamel auf und setzte sich in Bewegung, begleitet von Reitern und singenden Frauen. Auf dem Weg zum Brautzelt kamen Männer und Frauen und luden den Zug ein, aber man dankte für die Einladung, und die Brautkarawane zog weiter. Dies ist eine alte Sitte, meine Kinder! Wenn die Braut von weit her gebracht wurde, übernachteten das Brautkamel und seine Begleiter in einem Stammeslager, und am nächsten Tag setzte die Brautkarawane ihre Reise fort.
Währenddessen war auch der Bräutigam auf die Hochzeitsnacht vorbereitet worden. Seine Freunde hatten ihn gewaschen und rasiert. Ein mit Silber beschlagener und mit Perlen verzierter Dolch schmückte den Gürtel seines Kleides. Er trug ein weißes Gewand und einen schwarzen Umhang, dazu eine feine Kopfbedeckung.
Als die Sonne über den Zeltrücken stand, erreichte die Brautkarawane das Zeltlager des Bräutigams. Das Brautkamel wurde zum Frauenzelt geleitet. Dort wurde die Braut von ihrem Onkel empfangen. Er reichte ihr die Hand und half ihr beim Absteigen. Dann sprach er: »Willkommen! Willkommen, meine Nichte! Meine rechte Schulter ist Brot, und die linke ist Wasser. Bei mir findest du Schutz und Sicherheit.«
Dann wurde die Braut in das Frauenzelt geführt, in dem sich die Frauen zu ihrer Begrüßung versammelt hatten. Frauen und Mädchen umringten die Braut und begannen, zu tanzen und zu singen. Eines der Mädchen sprach zu der Braut: »Oh, du schöne Braut! Wir freuen uns über deine Hochzeitsnacht! Der Bräutigam ist dein Spielfreund auf der Weide, er ist dein Vetter.«
Die Männer schlachteten Lämmer und kochten das Fleisch in großen Töpfen. Der Duft vermischte sich mit dem des Fladenbrotes und verbreitete sich im Zeltlager. Während Frauen, Männer und Kinder das festliche Mahl verspeisten, erhob sich der Vollmond und warf sein Licht über das Brautzelt. Männer tanzten vor dem Frauenzelt. Die Frauen sangen dazu.
Mehrere Mädchen und Frauen begleiteten die Braut zum Hochzeitslager. Die laue Frühlingsbrise vermischte sich mit dem Duft des Weihrauchs. Nach geraumer Zeit zogen sich die Frauen und Mädchen nach und nach aus dem Brautzelt zurück in das Frauenzelt.
Da sprach ein Freund zum Bräutigam: »O Glücklicher! Komm, deine Braut wartet auf dich!« Seine verheirateten Freunde hatten ihm schon von den Wonnen der Hochzeitsnacht erzählt und gaben ihm Ratschläge, wie er sich der Braut gegenüber verhalten sollte. Langsam näherte sich die Schar der jungen Männer dem Brautzelt. Vor dem Eingang hüstelte einer, um die Ankunft des Bräutigams anzukündigen. Unter Glückwünschen von allen Seiten ermunterte man den Bräutigam und gab ihm noch einen leichten Schubs: »Tritt ein!«
Der Bräutigam hob den Zelteingang hoch und trat ein. Einer seiner Begleiter feuerte drei Schüsse ab, und die Frauen trällerten.
Als der Bräutigam das Zelt betrat, fand er die Braut alleine. Er setzte sich neben sie auf das Hochzeitslager.
»Die Braut sei willkommen!«, sagte der Bräutigam.
Sie blickten einander tief in die Augen. Sie spürten, dass diese Begegnung anders war als die üblichen Treffen auf der Weide. Dann sprach der Bräutigam: »O meine Cousine! Auf dem Weideplatz haben wir zusammen gespielt und viel Zeit miteinander verbracht. Nun, wir werden das auch weiter tun. Heiraten ist der Weg, den unsere Vorfahren gingen. Wir werden dieser Karawane folgen, und als Begleiter auf diesem Weg hast du deinen Vetter. Ich werde in harten Zeiten an deiner Seite stehen.«
Die Braut erwiderte: »Ich bin glücklich, meinen Vetter zum Ehemann zu haben. Auch ich werde an deiner Seite stehen und nichts von dir verlangen, was du nicht erfüllen kannst. Allah möge uns viele Kinder schenken!«
Sie erzählten einander von den Vorbereitungen des Hochzeitsfestes. Sie bewunderten einander in den prächtigen Gewändern der Hochzeitsnacht. Dann erhob sich der Bräutigam und trat zur Feuerstelle. Er nahm ein Stückchen Weihrauch und warf es in die Glut. Nach einer Weile hoben sich Rauchsäulen, und der Duft erfüllte das kleine Zelt.
Der Bräutigam ließ sich neben der Braut nieder. Behutsam lüftete er den Schleier und streichelte ihre Wangen. Und die Braut spielte mit seinen langen Haarzöpfen. Währenddessen hörten sie aus der Ferne den Stammesdichter vor dem Frauenzelt die Verse singen, die sich an die Braut richteten:
Dein Vater schenkt Kamele und Pferde.
Sei du im Schenken ihm gleich!
Als die Braut und der Bräutigam diese Verse vernahmen, erhob sich der Bräutigam, ging zur Öllampe und drehte das Licht zurück. Mondstrahlen traten durch die Zeltlöcher.
Der Bräutigam überreichte der Braut ein Geschenk und sprach: »Gib mir, was die Tradition uns erlaubt!«