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Wir machten Urlaub mit unserer sechsjährigen Enkelin, als uns die Nachricht ereilte, dass der Vater meiner Frau, mein Schwiegervater, gestorben war. Meine Frau fuhr sofort zu ihrer Mutter und ich blieb mit der Enkelin in unserem Ferienort. Das Kind war pflegeleicht und so verbrachten wir drei ruhige entspannte Tage. Wir saßen am Strand, die Enkelin baute Sandburgen und ich passte auf, dass nichts unvorhergesehenes geschah. Nun hob sie ihr Gesicht und es war zu sehen, dass sie über etwas angestrengt nachdachte. "Opa, wirst du auch sterben?" fragte sie ernst. "Natürlich!", antwortete ich so unbefangen wie möglich. "Alle Menschen sterben, die Tiere auch, die Pflanzen auch, alles!" "Werde ich auch sterben?", fragte sie weiter. "Ja schon!", musste ich ihr wahrheitsgemäß sagen, "aber du bist ja noch klein, du hast noch viel, viel Zeit!". "Wo wirst du sein, wenn du gestorben bist?". "Das weiß ich noch nicht, da muss ich erst gestorben sein, um es zu wissen!". "Werde ich dich dann noch sehen?", fragte sie ernst. "Ja natürlich, wenn du die Augen schließt und dir wünscht mich zu sehen, wirst du mich sehen!". "Und wenn ich dich nicht sehen will?" "Dann muss du nur die Augen wieder aufmachen!". Das kleine Mädchen fand es eigenartig, dass man seinen Großvater verschwinden und auftauchen lassen konnte wie man wollte, wenn er gestorben war und zog sich wieder in seine tiefe ernste Kinderwelt zurück. Viele Jahre später schrieb ich dieses Buch.
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Seitenzahl: 155
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Lebensphilosophie
Lesehilfen
Oder eine Art Kapiteleinteilung
Vorwort
Oder eine Einleitung zum Lesen
Kant
Das Kloster Corral
I Ein Zettel an einer verschlossenen Tür, “Bin Wandern. Rückkehr unbestimmt! O.S.“
II Ein Fluß nach Norden, die Sonne zur Rechten. Ein freundliches Lüftchen im Rücken.
III Zu meiner Linken ein gähnendes, zerfallendes Gebäude. Die Natur holt sich ihren angestammten Platz zurück. Vergangenheit ist immer das, was einmal Zukunft gewesen ist.
IV Jemand sagte einmal „Die Zeit ist nur eine Illusion“. Er wurde deswegen nicht berühmter, weil er schon berühmt war.
V Ein wenig LEX PARSIMONIAE
VI Nehmt eure Kinder von der Straße, Philosophen sind unterwegs.
VII Ein Baum mit Schatten. Mittag mit Brot und einer Flasche Bier. Viele Vögel auf Armeslänge. Alle sehr interessiert!
VIII Kaffee im Freien am Gartentisch. Ein Zimmer für die Nacht findet sich. Es ist keine Eile vonnöten! Entspanntes Weiterdenken bis Mitternacht.
IX Ein ohrenbetäubender Froschkonzert um sechs Uhr früh! Dann Totenstille! Ein Storch sucht sich sein Frühstück aus! Danach wieder Froschkonzert! Nur das eigene Sterben ist furchtbar, auch beim Frosch!
X Das Wandern geht weiter. Die Zeit verfliegt ohne Hast. Kann die Zeit selbst Hast empfinden? Ich werde später darüber nachdenken. Wenn ich wieder Zeit habe!
XI Es ist wieder ein Tag vorbei. Die Sonne geht zu meiner Linken unter. Warum ist der Untergang der Sonne immer schöner als sein Aufgang? Weil er die Stille der Nacht ankündigt?
XII Heute nieselt es. Der Fluß ist in Nebel gehüllt. Nur die Schreie der Krähen, die in den Bäumen sitzen, die man nicht sieht, sind zu hören. Ich werde endlich wieder mal Bilder vom Nebel am Fluß machen können. Das ist selten genug. Der Tag fängt gut an!
XIII Ich sagte ihm, er könne jederzeit loslassen. Er sagte „Ich weiß! Aber ich habe Angst davor!“ „Ich habe Angst davor, etwas falsch zu machen, das mich irgendwann einholt!“ Ich fragte ihn „Haben Sie noch nie in Ihrem Leben etwas falsch gemacht?“ Er antwortete „Doch, sogar eine ganze Menge!“ Ich fragte ihn „Haben Sie eins davon rückgängig gemacht?“ Er sah mir trotzig in die Augen und sagte „Nein!“
XIV Ein Koan, der kein Koan ist. Ein Meister, der kein Meister ist. Ein Schüler, der kein Schüler ist.
XV Der Fluß, an dem ich entlanggegangen bin, verläßt mich. Er ergießt sich in das offene Meer vor meinen Augen, ohne von mir Notiz zu nehmen. Wenn ich mich umdrehe und wieder nach Hause gehe, verlasse ich ihn auch. Jeder verläßt jeden, das scheint immer so zu sein.
Oder eine Art Kapiteleinteilung
Ab einem bestimmten Zeitpunkt entstand das Bedürfnis, den Fluß des Buches zu strukturieren oder eher in einer oder einer anderen Art und Weise zu markieren, damit man sich besser wiederfindet.
Manchmal bleiben bestimmte Abschnitte fester im Bewußtsein als andere und man möchte sie schneller wiederfinden und sich nicht durch die Zeilen durchkämpfen.
Das Buch nun in thematische Abschnitte zu unterteilen, erwies sich als recht schwierig, weil damit der harmonische Fluß des Buches zerstückelt würde.
Jedem Abschnitt einen Titel zu geben, der den wesentlichen Inhalt wiedergibt, ohne den Text danach zu ordnen, hätte am Ende genau das bedeutet, was ich vermeiden wollte.
Außerdem hätte der Abschnittstitel nie richtig zu dem Text oder der Text nicht zum Titel gepaßt.
Das Kloster Corral ist kein wissenschaftliches Buch oder ein Abenteuerroman, sondern ein ruhig dahin fließender Fluß.
Ich bin in Flusslandschaften alt geworden und obwohl ich einen großen Teil meines Lebens am Schreibtisch und vor einem Bildschirm verbracht habe, haben mich die eher seltenen Begegnungen mit diesen Landschaften und mit ihren Flüssen am meisten und am tiefsten geprägt.
So denke ich, dass die Abschnittstitel den Fluß des Buches nicht stören sollten, weil sie weder eine Klärung irgendwelcher Dinge, noch eine nicht notwendige Stützung des Inhaltes herbeiführen.
Das ist aber nur zu erreichen, wenn die Titel mit dem Inhalt der Abschnitte in keiner oder wenig oder auch gar nicht in Beziehung stehen.
Nach dem dritten Mal, hat man die Absicht begriffen und gewöhnt sich daran.
So sind die Titel fast eine andere Geschichte als das Kloster Corral und könnten für sich gelesen werden.
Dennoch sollten beide irgendwie in einem Zusammenhang stehen, der sie zwar nicht aneinander kettet aber dennoch verwandt machen sollte.
Im Grunde genommen ist das Kloster Corral eine Reise.
Wer glaubt, eines Tages tatsächlich vor den Toren des Klosters Corral zu stehen und an der Glocke ziehen zu können um Einlass zu bitten, sollte das Buch gleich wieder hinlegen, oder bestenfalls als Geschenk für jemand, bei dem man nie weiß, was man ihm schenken sollte, verwenden.
Wie weit und in welche Tiefen diese Reise führt, weiß der Leser nie und wird je nach Ziel und Wesen immer anders ausfallen.
Wenn die Titel der Abschnitte einfach Stationen einer langen, nicht endenden Wanderung zu Fuß entlang eines ruhig dahinfließenden Flusses beschreiben, so haben Text und Titel die Reise als gemeinsames Ziel.
Oder eine Einleitung zum Lesen
Wenn Sie dieses Buch zur Hand nehmen, werden Sie feststellen, dass es nicht sehr dicht geschrieben ist.
Es wird Ihnen auffallen, dass die Seiten mit Worten eher sparsam besetzt sind.
Vielleicht ist es der einzige Grund, warum Sie dieses Buch kaufen.
Weil man es einfach innerhalb eines Abends, wenn im Fernsehen nichts Interessantes ist, nebenbei durchschmökern kann.
Man weiß dann „Bescheid“, wie man heute eben über so viele Dinge „Bescheid“ weiß.
Das Buch ist deswegen nicht so dünn, damit Sie es schnell lesen können und aus diesem Grund auch kaufen, sondern, weil es sehr wenige Fragen gibt, die wichtig sind.
Wenn es überhaupt so viele sind.
Jeder Satz ist mit Bedacht geschrieben worden.
Jeden Satz sollten Sie auch mit Bedacht lesen.
Mit Bedacht lesen dauert lange, eigentlich sehr lange.
In Grunde genommen werden Sie dieses Buch nie zu Ende lesen, gleichgültig wie lange Sie an diesem Buch lesen.
Sofern Sie unter Lesen das verstehen, was man verstehen sollte.
Sie werden dieses Buch immer wieder von vorne beginnen, was nicht falsch ist.
In diesem Buch sind viele leere Zeilen, was aus betriebswirtschaftlicher Sicht sicherlich eine Riesenverschwendung ist.
Das Buch könnte noch viel dünner sein.
Nur, eine leere Zeile ist nicht einfach eine Zeile, in der nichts steht.
Wenn Sie das Buch so lesen können, dass jede beschriebene Zeile Ihnen wie ein Einatmen vorkommt, so ist die leere Zeile so etwas wie ein Ausatmen.
Kein Mensch kann nur einatmen, ohne irgendwann nicht zu explodieren.
So ist das Ausatmen wenigstens genauso wichtig wie das Einatmen.
Gewöhnen Sie sich an, die leeren Zeilen auch zu lesen.
In dieser Zeit wird Ihr Gehirn die beschriebene Zeile irgendwo speichern, ohne, mangels Zeit, sie durch die nächste beschriebene Zeile zu überschreiben.
So dass am Ende Ihnen nur eine Zeile im Gedächtnis bleibt.
Die letzte.
Das Vergessen hat immer mit Schnelligkeit zu tun.
Jedes Vergessen.
Ihr Gehirn hat seinen eigenen Rhythmus. Wenn alles zu schnell läuft, überspringt es einfach die hereinkommende Folge.
Das ist sehr praktisch.
Für Ihr Gehirn.
Es ist Ihnen keine Rechenschaft schuldig.
Und das Schlimme ist, es weiß es auch.
Ihrem Gehirn ist es ziemlich gleichgültig, was es speichert und was nicht.
Wenn es nicht geht, geht es eben nicht.
Sie haben hinterher das Problem.
Ihr Gehirn nicht.
Sie werden sehr schnell merken, dass das Buch nur so von Wiederholungen strotzt.
Das Wort „strotzen“ werden Menschen verwenden, die den Sinn des Buches nicht verstehen und nie verstehen werden.
Das Buch ist auch nicht für sie geschrieben.
Möglicherweise werden Sie selbst kaum der Versuchung widerstehen, den Ihnen bereits bekannten Satzanteil einfach wegzulassen und nur den Rattenschwanz des Satzes zur Kenntnis zu nehmen.
Schnellleser machen das.
Das Buch ist auch nicht für sie geschrieben.
Haben Sie noch nie getanzt?
Haben Sie noch nie während eines Tanzes einfach vergessen, wo Sie waren, wer Sie waren und sich einfach von dem Rhythmus treiben lassen?
Haben Sie beim Tanzen nie die Zeit und den Ort vergessen und waren einfach glücklich?
Sie waren außer Raum und Zeit, eines der wichtigsten Dinge, nicht nur in diesem Buch.
Alle diese Glücksmomente verdanken Sie einer ständigen Wiederholung einer einfachen, kurzen metrischen trockenen Geräuschfolge, die man Rhythmus nennt.
Alle Naturvölker kennen die Macht des Rhythmus, die beglückende Macht der Wiederholung, die beglückende Freude, den eigenen Körper für kurze Zeit einfach zu verlassen und federleicht eine phantastische Reise anzutreten, um irgendwann wieder in den eigenen Körper zurückzukommen.
Müde, aber zufrieden.
Diese Sätze, die sich wiederholen, sind der Rhythmus des Klosters Corral.
Lassen Sie ihn auf sich wirken oder wenn Sie es nicht können, schließen Sie zunächst lieber das Buch und beschäftigen sich mit anderen Dingen.
Sie haben Zeit. Man ist nicht jeden Tag so gut drauf.
Es gibt auch einen anderen Grund, warum manche Sätze sich nahezu wiederholen, ohne es eigentlich zu tun.
Der erste Eindruck mag zwar immer der Wichtigste sein, aber nicht bei geschriebenen Sätzen.
Nie.
Vom wem auch immer.
Der Mensch ist ein großer Verdrängungskünstler.
Er verdrängt blitzschnell Tatsachen und Wahrheiten, die ihm nicht gefallen.
Sie auch, sonst wären Sie kein Mensch.
Ein Satz ist schnell vergessen.
Die Wiederholung des Satzes, zumindest dessen Ansatz sollte Ihnen zu Erinnerung bringen, dass es eine Tatsache, eine Wahrheit gibt, die Sie nie vergessen sollten.
Aber erst bei der dritten Wiederholung geben Sie es auf, diese Ihnen nicht genehme Tatsache, diese Wahrheit zu vergessen.
Das Buch ist nicht einfach ein Buch.
Es ist ein Gespräch.
Das Wesen eines Gespräches besteht darin, dass man dem anderen zuhört, bis er mit seinem Reden fertig ist.
Das Wesen eines Gespräches besteht darin, dass man dann darüber nachdenkt, was der andere gesagt hat.
Das Wesen eines Gespräches besteht darin, dass, wenn man erst dem anderen zugehört hat, und darüber nachgedacht hat, was er gesagt hat, dem anderen mitteilt, was man über das, was er gesagt hat, nachgedacht hat.
So ist es gemeint, so ist es gedacht.
Natürlich wird es ein halbes Gespräch bleiben.
Weil Sie sich mit dem Kloster Corral nicht unterhalten können.
Weil das Kloster Corral sich Ihnen so einfach nicht öffnet.
Aber Sie können sich mit sich selbst unterhalten.
Sie werden noch feststellen, dass Sie der einzige Mensch sind, der Ihnen so genau zuhört, wie kein anderer.
Sie werden noch feststellen, dass Sie der einzige Mensch sind, der sich wirklich für das interessiert, was Sie sagen, wie kein anderer.
Sie werden noch feststellen, dass Sie der einzige Mensch sind, der bereit ist, das, was Sie sagen, anzunehmen, wie kein anderer.
Sie haben es nur vergessen.
Sie haben sich nur ein wenig vergessen oder ziemlich vergessen.
Sie haben nur vergessen, dass es immer ein wenig wichtig ist, eigentlich ziemlich wichtig ist, sich immer wieder mit sich selbst zu unterhalten.
Sie haben sich ein wenig Unrecht getan.
Sie haben dieses Buch gekauft, weil aller Ablenkungs- und Verdrängungskunst, um die sich der moderne Mensch bemüht, zum Trotz, diese Fragen bleiben.
Weil diese Fragen immer bleiben.
Weil diese Fragen so alt wie die Welt sind.
Weil diese Fragen Sie irgendwann immer einholen.
Und Sie möglicherweise keine Zeit mehr haben.
Nicht, weil Sie wirklich keine Zeit mehr haben, sondern, weil sie verlernt haben, wie man sich Zeit nimmt.
An dem Tag, an dem Sie es geschafft haben, dieses Buch zu Ende zu lesen, könnten Sie möglicherweise einen Schritt in die Richtung getan haben, in die Sie immer gehen wollten, aber nie gegangen sind.
Oder auch nicht.
Wäre das schlimm?
Eigentlich nicht.
Der eine kann‘s, der andere nicht.
Das ist nun mal so.
Ihr Ora Sujac
Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, in VORREDE zur ersten Auflage von 1781
gewidmet dem Kloster Corral
sum, ergo eram, ergo eroIch bin, also war ich, also werde ich sein
Wo sich das Kloster Corral befindet, weiß niemand.
Wie das Kloster Corral aussieht, kann niemand sagen.
Wer es sucht, wird es niemals finden, zumindest im Sinne dessen, was der Mensch unter Suchen und Finden versteht.
So etwas wie eine Art Topfschlagen für Erwachsene ohne Orientierungshilfe.
Er kann zwar in das Kloster eintreten, wird es aber nie zu sehen bekommen.
Niemand wird ihn in das Kloster einführen, der Prior wird ihn nicht empfangen oder mit den Regeln des Klosters bekannt machen.
Schon deshalb, weil es im Kloster Corral keine Regeln gibt.
Das bedeutet jedoch nicht, dass man im Kloster Corral machen kann, was einem gerade in den Sinn kommt.
Wer sich auf die Suche nach dem Kloster Corral aufmacht, hat seine Regeln bereits gefunden.
Warum sollten die eigenen Regeln schlechter als die Regeln eines anderen sein?
Auch die Regeln eines Klosters wurden von einem Menschen geschrieben.
Sind sie deswegen besser, weil sie niemand in Frage stellen darf?
Sind sie deswegen richtiger, weil der Eintritt in ein bestimmtes Kloster die unbedingte Anerkennung dieser Regeln voraussetzt?
Sind sie leichter einzuhalten, nur weil sie die Regeln eines anderen sind?
Mag sein.
Die Regel eines anderen einzuhalten ist irgendwie immer eine Art Rollenspiel.
Man ist wieder das Kind, oder der Hund und hat wieder einen Vater, oder ein Herrchen.
Die meisten Menschen brauchen das.
Die meisten Menschen wollen das.
Man kann auch versuchen, sie zu umgehen.
Die eigenen Regeln einzuhalten, stellt eine ziemlich schwere Herausforderung an sich selbst dar.
Weil man selber der Herr über sich selbst ist.
Das ist die unangenehmste Rolle im Leben, die man sich vorstellen kann.
Weil man selber entscheiden muß, was richtig und was falsch ist.
Und man genau weiß, wie nachsichtig man gegen sich selbst sein kann und manchmal, dennoch seltener, sein muß.
Gegen die eigene Überzeugung.
Dennoch, will man es wirklich über das Herz bringen, sich selbst zu enttäuschen?
Wenn man die richtige Ausrede findet, schon.
Man sagt sich, man ist einfach schwach, da kann man eben nichts dagegen tun.
Allerdings, weiß man auch, dass, wenn man etwas unbedingt will, da muß man sich manchmal wundern, wie stark man sein kann.
Als ob man ein anderer Mensch wäre.
Wenn man nicht will, ist man der Mensch, den man sattsam kennt.
In der Regel ist diese Erkenntnis, auch wenn sie zum eigenen Inventar gehört, selten beglückend.
Wenn man sich selbst nicht trauen kann, wem denn?
Der einsamste Mensch auf Erden ist der, der nicht einmal sich selbst hat.
Auch wenn man sich damit abfinden kann, erhebend ist es nicht.
Wenn der Mensch, der das Kloster Corral sucht, seinen Regeln folgt, wer sollte darüber befinden, ob sie gut oder schlecht sind?
Das Kloster Corral nicht.
Der Mensch, der das Kloster Corral gefunden hat, wird darin die Mönche vermissen.
Sofern er erwartet hatte, dass dort Mönche sind.
Was ein wenig albern ist.
Aber der Mensch ist nun mal ein wenig albern.
Auch wenn er das Kloster Corral sucht.
Wenn es sie, wo auch immer gibt, sie wohnen im Kloster nicht.
Sie sind draußen, so wie das Kloster Corral draußen ist oder wo auch immer, einfach irgendwo.
So wie auch er draußen ist und auch nicht im Kloster wohnen wird.
Draußen ist sicher keine gute Ortsangabe, um etwas zu finden.
Draußen ist einfach, „nicht hier“, also überall möglich, nur nicht hier.
Draußen ist einfach ein anderes Wort für nirgendwo.
Nirgendwo,
kann auch hier sein.
Im Grunde genommen ist der Begriff Mönch nicht korrekt.
In dem Moment, wo das Kloster Corral ein Kloster ohne Grenzen ist, ist ein Mensch, der sich entschlossen hat, in das Kloster Corral einzutreten, ein Mönch ohne Grenzen, also im eigentlichen Sinne kein Mönch.
Kann man ein Kloster finden, das keine Grenzen hat?
Schon, ob ein Kloster ohne Grenzen auch als Kloster bezeichnet werden kann, mag dem einen oder dem anderen fraglich sein, sofern er sich das Kloster Corral unbedingt als ein geschlossenes Gebäude aus Stein auf Stein gebaut, vorstellen will.
So etwas wie eine Art Gefängnis.
Für wen?
Für ihn?
Was hat er denn verbrochen?
Weil er das Kloster Corral gesucht hat?
Vor wem will er sich denn schützen?
Vor sich selbst?
Will er ausgerechnet das Grenzenlose zwischen vier engen Mauern finden, vielleicht auch noch, ohne das Licht der Sonne zu sehen?
Das dürfte schwierig sein.
Das dürfte sehr schwierig sein.
Das dürfte unendlich schwierig sein.
Eigentlich unmöglich.
Wenn das grenzenlose Kloster Corral aus Stein auf Stein gebaut worden wäre, so wären alle Steine dieser Welt verbraucht worden, um das Kloster Corral zu bauen.
So gäbe es die Erde nicht, und die Sonne nicht und die anderen Planeten nicht, denn die Steine, aus denen die Himmelskörper gebaut sind, wären alle für den Bau des Klosters Corral benötigt worden.
Wenn es die Erde nicht gäbe, gäbe es auch den Menschen nicht, was auch nicht sehr schlimm wäre.
Eigentlich überhaupt nicht.
Es gäbe auch das Kloster Corral nicht, oder besser gesagt, die menschliche Vorstellung über das Kloster Corral nicht, sofern das Kloster Corral irgendetwas mit dem Menschen zu tun hat, was ziemlich fraglich ist.
Bestenfalls die menschliche Vorstellung darüber.
Aber die Erde gibt es, die unendlich vielen Himmelskörper auch und schließlich den Menschen auch, also ist das grenzenlose Kloster Corral nicht aus Stein auf Stein gebaut.
Was eigentlich auch nicht wichtig ist.
Zumindest nicht für jeden.
Zumindest für den, der sich aufgemacht hat, das Kloster Corral zu suchen, nicht.
Möglicherweise wird er die Mönche des Klosters Corral draußen erkennen, oder das Gefühl haben, dass er sie erkannt hat, wenn er selbst in das Kloster Corral eingetreten ist.
Es wäre aber töricht, sie zu fragen, ob sie Mönche des Klosters Corral sind.
Sie würden die Frage nicht verstehen oder einen für einen Spaßvogel halten, auch wenn sie wirklich Mönche des Klosters Corral sind.
Wahrscheinlich kennen sie den Namen ihres Klosters nicht.
Möglicherweise kennt nur der Mensch den Namen des Klosters, der diese Frage stellt.
Möglicherweise, weil er diesen Namen erfunden hat.
Möglicherweise, weil es eines dieser Dinge sind, die man Eingebung nennt.
Eingebung ist ein unerklärlich Ding, das einfach über einen kommt und das man heute in der Regel als Zufall abtut, obwohl man weiß, dass es nicht immer besonders klug ist.
Manchmal hat man den Eindruck, daß das eigene Leben durch viele Zufälle eine bestimmte Richtung bekommen hat.
Manchmal hat man den Eindruck, dass es zu viele Zufälle waren, als daß es nur Zufälle sein könnten.
Manchmal hat man den Eindruck, dass wenn man alle diese Zufälle über die Zeit aneinander reiht, dass es eine gerade Schnur ergibt.