Das Land der 300.000 Ladyboys - Clemens Maria Albert - E-Book

Das Land der 300.000 Ladyboys E-Book

Clemens Maria Albert

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Beschreibung

Während in den westlichen Ländern die Diskussionen über alle Formen von LGBTQIA+ entbrannt sind, hat das Dritte Geschlecht in Thailand eine lange Tradition. Die Zahl der „Ladyboys“, wie Transgender in Thailand genannt werden, steigt im „Land des Lächelns“ Jahr für Jahr. Die thailändische Gesellschaft ist – nicht zuletzt durch das Internet - aufgeklärter und offener geworden, und so fühlen sich immer mehr junge Männer ermutigt, sich zu „outen“, wenn sie glauben, im falschen Körper geboren zu sein. Experten schätzen, dass bei einer Umfrage bis zu 300 000 thailändische Männer als Geschlecht „weiblich“ angeben würden. Statistisch gesehen ist jeder zwanzigste der 20- bis 30jährigen Thais ein Transgender. „Land der 300 000 Ladyboys“ informiert in anschaulicher Form über dieses typisch thailändische Phänomen. Besonders lesenswert ist der zweite Teil des Buches, in dem die Ladyboys selbst zu Wort kommen. 42 Transgender erzählen ihre Geschichte und beschreiben ihre persönliche Lebenssituation. Viele sprechen offen aus, was sie denken und wie sie fühlen. wie sie leben und meist auch leiden. Die Interviews führte der Autor 2021/22 in Bangkok, Pattaya und Phuket. Befragt wurden Transgender im Alter von 15 bis 35 Jahren. Nicht selten sind die Schilderungen dramatisch und erwecken ein Gefühl der Empathie. Portraitfotos der Gesprächspartner, zeitnah aufgenommen, finden sich auf jeder Seite der Interviews. Dadurch entsteht für den Leser ein „hautnaher“ visueller Bezug zu jedem einzelnen Ladyboy.

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Seitenzahl: 185

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Im Alter von 16 Jahren veröffentlichte Clemens Maria Albert sein erstes Buch, ein Bastelbuch für Kinder. Nach dem Abitur studierte er an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film, München, und arbeitete als Regisseur fürs Fernsehen. Es folgte ein Studium der Architektur an der Universität München mit Abschluss Dip. Ing. Neben dem Studium gründete der Autor einen Verlag für Fachzeitschriften, der sich im Verlauf der Jahre zu einem erfolgreichen Unternehmen entwickelte.

Himmelstürmer Verlag

Ortstr.6, 31619 Binnen

www.himmelstuermer.de

E-Mail: [email protected]

Originalausgabe, Februar 2023

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages.

Zuwiderhandeln wird strafrechtlich verfolgt

Umschlaggestaltung:

ISBN print 978-3-98758-045-1

ISBN e-pub 978-3-98758-046-8

ISBN pdf 978-3-98758-047-5

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Clemens Maria Albert

Das Land der

300 000 Ladyboys

Alles über Thailands Transgenderkultur

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Inhaltsverzeichnis

Zum Geleit 8

Ladyboy – Transgender – Kathoey 10

Statistik 12

Die vier Regionen Thailan 15

Die Rolle der Geschlechte 17

Akzeptanz oder Toleranz 19

Historischer Hintergrun 23

Theorien: Entwicklung zum Kathoey 27

Genetische Ursachen 29

Psychologische Hintergründe 32

Kathoey und Religion 36

Wie leben Kathoey heute? 39

Berufliche Chancen 42

Hormone 44

Operationen 47

Physiologie 53

Partnersuche 54

Probleme für Kathoey 57

Kathoey und Tourismus 61

Berühmte Kathoey: Nong Toom 63

5

Interviews mit Ladyboys

Fara 66

Phoommie 69

Rose (1) 73

Sasa 76

Apie 80

Jele 85

Cherry (1) 88

Bella 91

Meji 93

Namcha 96

Monica 99

Pingping 102

Jasmin 105

Four 108

Iljin 111

Love 114

Chaya 121

Emili 124

Marina 127

Mel 131

Winhan 133

6

Monly 137

Aida 141

Cherry (2) 144

Lijdia 146

Emmy 149

Cherry (3) 151

Atom 154

Momoji 157

Illyana 159

Pink 162

Pan 165

Far 168

Thicha 170

Emm 172

Rose (2) 174

Momo 177

Njoy 180

Natcha 182

Bam 184

Bright 187

Paula 190

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Zum Geleit

Die Zahl der „Ladyboys“, wie Transgender in Thailand genannt werden, steigt im „Land des Lächelns“ Jahr für Jahr. Die thailändische Gesellschaft ist - nicht zuletzt durch Internet und Soziale Medien - aufgeklärter und da-mit offener und toleranter geworden. Und so fühlen sich immer mehr junge Männer ermutigt, sich zu „outen“, wenn sie glauben, im falschen Körper ge-boren zu sein. Fast könnte man sagen, es ist in Thailand unter Jugendlichen zur Mode geworden, sich als Transgender zu bekennen, obwohl dieser Schritt natürlich für jeden einzelnen gravierende Folgen hat.

Das Wort „Ladyboy“ ist eine populäre, leicht abwertende Bezeichnung für Männer, die sich als Frauen fühlen und sich mit Makeup und im weib-lichen Outfit in der Öffentlichkeit zeigen.

Darüber, wie viele Ladyboys in Thailand leben, gibt es keine Statistiken. Experten schätzen, dass bei einer Umfrage bis zu 300 000 thailändische Män-ner als Geschlecht „weiblich“ angeben würden. 2021 lebten in Thailand sechs Millionen junge Männer zwischen 20 und 30 Jahren. Statistisch gesehen ist also jeder 20. von ihnen ein Transgender.

*

Wenn man durch Thailands reist, begegnet man auf Schritt und Tritt wun-derschönen Mädchen und Frauen. Schlank, zierlich, natürlich. Die schönsten Frauen Thailands - so wird kolportiert - sind Ladyboys. Manche der anmutigen Personen mit androgynem, oft auch sehr femininem Aussehen sind also in Wirklichkeit Männer. Neben buddhistischen Tempeln, tropischen Inselsträn-den, köstlichem Essen und vielfältigen fleischlichen Freuden sind Ladyboys zu einer der internationalen Ikonen Thailands geworden.

‚Land der 300 000 Ladyboys‘ ist keine wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas „Transgender in Thailand“. Das Buch will vielmehr in anschaulicher,

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verständlicher Form dieses typisch thailändische Phänomen beschreiben und über alles Wissenswerte informieren.

Auf dem Büchermarkt und im Internet findet man nur wenige seriöse Veröffentlichungen, die sich mit dem Thema „Transgender“ befassen. Wis-senschaftlich fundiert ist das Buch von Richard Totmann „The Third Sex“ -, eine soziologische Abhandlung.

*

Jede Aufarbeitung dieses Themas wäre unvollständig, wenn man nicht mit den Menschen direkt sprechen würde. Im zweiten Teil des Buches kom-men die Ladyboys daher selbst zu Wort.

42 Transgender erzählen ihre Geschichte, beschreiben ihre persönliche Lebenssituation: Fast alle sprechen offen aus, was sie denken und wie sie fühlen. wie sie leben und oft auch leiden. Viele Ladyboys haben seelische Defizite, nicht zuletzt ein ungestilltes und für manchen wohl unstillbares Verlangen nach Zärtlichkeit und Liebe.

Die Portraitfotos entstanden jeweils zu Beginn der Interviews. Integriert im Text, hat der Leser immer den Gesprächspartner vor Augen, der ihm seine Probleme schildert, Einblick gibt in seine Seelenlage und verrät, wie er seine Zukunft sieht.

Befragt wurden „Kathoey“ im Alter von 15 bis 35 Jahren. Die Gespräche führte der Autor 2021/22 in Bangkok, Pattaya und Phuket.

Clemens Maria Albert

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Ladyboy - Transgender - Kathoey

Wer zum ersten Mal Thailand besucht, dem fallen beim Spaziergang durch Bangkoks Straßen – und nicht nur dort - junge Menschen auf, die auf den ersten Blick wie Mädchen oder Frauen aussehen, die aber bei näherem Hinsehen meist als Transgender zu erkennen sind. Ob in der Millionen-stadt oder in einem kleinen Dorf in der Provinz -, immer wieder begegnet man Männern in modischer, oft provozierend weiblicher Kleidung und mit leichtem Hang zum Theatralischen.

„Ladyboys“: Manche Besucher haben über sie Reportagen gesehen oder kennen sie aus Erzählungen. Irgendwann in ihrem Leben haben sie ihr Ge-schlecht gewechselt. Sie zeigen sich ohne Scheu in der Öffentlichkeit und sind in Thailand präsent wie in keinem anderen Land der Welt. Teilweise oder komplett um-operiert oder nur wie Frauen gekleidet und geschminkt, sind Ladyboys ein fester Bestandteil der thailändischen Gesellschaft.

Man trifft sie in Geschäften und öffentlichen Verkehrsmitteln, man be-gegnet ihnen beim Stadtbummel und im Frisiersalon. Natürlich abends in den Straßen von Bangkok und Pattaya, die für ihr Nachtleben bekannt sind. Offensichtlich sind sie in Thailand gut integriert. Unterschiede gibt es zwi-schen Stadt und Land: In den touristischen Hochburgen fallen Ladyboys mehr durch ihre Extrovertiertheit auf, in kleineren Orten verhalten sie sich zurückhaltender.

Das Bonmot „Thailands schönste Frauen sind Männer“ gibt es wohl nicht ohne Grund. Manchmal sind wahre Kunstwerke unterwegs.

Nach internationalen Studien sind 0,33 der Weltbevölkerung Trans-gender.

Transgender sind „transsexuelle“ Menschen. Es ist die Bezeichnung für Männer, die eine weibliche Geschlechtsidentität angenommen haben, sich

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also von Mann zur Frau gewandelt haben. In der Gender-Forschung spricht man vom „3. Geschlecht“, und auch die meisten Ladyboys Thailands fühlen sich dem „3. Geschlecht“ zugehörig. Damit unterstreichen sie, dass sie eine eigene Kategorie für ihre Identität beanspruchen.

Kulturell werden Transgender ausschließlich als weibliche Personen iden-tifiziert. Dies gilt nicht nur für Thailand, auch in anderen Ländern wie etwa in Laos oder auf den Philippinen werden Ladyboys aufgrund ihrer fraulichen Erscheinung von der Gesellschaft als „Ladys“ wahrgenommen. Da aber ihre Anatomie und ihre Körpermerkmale nicht mit der Geschlechtsidentität übereinstimmen, versuchen viele Ladyboys, diese Ungleichheit durch Klei-dung und Kosmetik zu kompensieren. Nicht selten zusätzlich mithilfe von Medikamenten (Hormonen) und diversen Operationen.

Der Begriff „Transgender“ wird in Thailand selten verwendet, das Wort „Ladyboy“ ist populär, aber wertet die Person leicht ab. Das korrekte Wort ist.

Kathoey

So werden von alters her in Thailand Menschen bezeichnet, die in irgend-einer Form von der Sexualnorm abweichen.

Heute bezieht sich, wie beschrieben, dieser Begriff auf androgyne Män-ner, die sich als Frauen kleiden und nicht selten ihr angeborenes Geschlecht mit medizinischer Hilfe zu „feminisieren“ versuchen.

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Statistik

Thailand hat die höchste Population von Ladyboys weltweit. Die Geschichte der Kathoey reicht 600 Jahre zurück.

Es gibt in Thailand keine Statistiken darüber, wie viele Transgender im Land leben. Sicherlich ist auch die Dunkelziffer jener hoch, die sich nicht offen als Kathoey bekennen. Es sollen bis zu 300 000 Ladyboys in Thailand leben -, ein extrem hoher Anteil in Relation zur Bevölkerung des Landes (70 Millionen) und um ein Vielfaches höher als die Transgender-Population in anderen Ländern, etwa in Laos, Kambodscha oder Vietnam.

Das Land mit der zweithöchsten Anzahl an Ladyboys ist erstaunlicher-weise ein tiefgläubiges, katholisches Land: Die Philippinen. Dort liegt die Transgender-Population im hohen sechsstelligen Bereich, jedoch hat Thai-land – bezogen auf die Einwohnerzahl - eine höhere Transgenderdichte als die Philippinen.

In Thailand werden auch keine Statistiken veröffentlicht, wie viele Kathoey sich jährlich einer Operation unterziehen. Grundlage der Schätzungen sind Befragungen von Ärzten in Kliniken sowie Angaben von Ämtern, die mit Kathoey befasst sind.

Nachfragen bei Behörden werden sehr zurückhaltend beantwortet. Es wird behauptet, nur 0,1 % der thailändischen Männer könne man als Transgender bezeichnen. Tatsache ist, dass eine große Zahl von Kathoey im ländlichen Thailand lebt, außerhalb der großen Städte. Nicht wenige von ihnen sind „heimliche“ Kathoey.

Diese haben sich zwar schon entschieden, das Geschlecht zu wechseln, sind in ihrem Innern bereits Mädchen oder Frau. Nach außen hin – in der Familie oder in der Öffentlichkeit - versuchen sie aus verschiedenen Gründen, dies zu verbergen. Ihr gefühltes Geschlecht aber ist weiblich.

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Die Interviews zu diesem Buch bestätigen, dass verhältnismäßig viele Kathoey aus dem Norden und Nordosten Thailands stammen, aus der Provinz Isaan. Die Gesprächspartner waren allein oder mit ihrer Familie nach Bangkok, Pattaya oder in andere Städte des Südens gezogen, in der Hoffnung, dort bessere Berufs- und Bildungschancen vorzufinden.

Nicht nur deshalb. Gerade in ländlicher Umgebung fühlten sich viele Ladyboys den Vorurteilen der Menschen ausgeliefert und versuchen, aus diesem Milieu auszubrechen. Diese Kathoey stecken oft zwischen zwei Welten fest, und es kostet sie viel Kraft, um den Alltag mit seinen existenziellen Problemen zu meistern. Teilweise verbergen sie, dass sie - ihrem Gefühl folgend - eigentlich weiblich sind; sie präsentieren sich nach außen hin weiterhin als Mann.

Manche von ihnen wechseln ihre Identität immer dann, wenn die Umstände sie dazu zwingen, entweder als Mann oder als Frau aufzutreten. Einige der Interviewten berichteten, dass sie sich innerhalb der Familie wie Mädchen bewegen konnten, in der Öffentlichkeit aber, z.B. in der Schule, als Jungen auftreten mussten.

ILIJN:„Um den Vater nicht zu sehr zu provozieren, vereinbarte ich mit meiner Mutter, dass ich zuhause Jungen-Kleidung trug und außerhalb des Hauses mich als Mädchen zeigen durfte. So wechselte ich also jedes Mal heimlich die Kleidung, wenn ich aus dem Haus ging oder bevor ich das Haus betrat.“

In den hier veröffentlichten Interviews kommt die Zerrissenheit vieler jungen Transgender zum Ausdruck. Ladyboys, die in der Provinz aufgewachsen sind, erzählen nicht selten von dem Zwiespalt, in dem sie sich befanden -, bis zur Entscheidung, ihr Heimatdorf zu verlassen.

MONLY:„In der Pubertät habe ich viel mit meinem großen Bruder ges-tritten. Er schämte sich, dass ein Ladyboy in der Familie war und wollte mich

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umerziehen. … Unsere Nachbarn - strenggläubige Moslems - verboten ihren Kindern sogar, mit mir zu spielen.“

Besonders fällt auf, dass die interviewten Kathoey selten aus intakten, „bürgerlichen“ Familien stammten. Über die Hälfte der befragten Ladyboys wuchs in einem familiären Umfeld auf, das man nicht als „geordnet“ bezeichnen kann.

Ihre Schilderungen klingen manchmal bizarr und passen nicht in das gängige Bild, das wir uns von Thailand machen. So erzählte etwa die 23-jährige Phoommie -, siehe Interview im 2. Teil des Buches:

PHOOMMIE:„Mein Vater war kein Moslem, er wuchs nahe Bangkok auf und wohnte in einem Vorort der Stadt. Trotzdem beanspruchte er für sich das Recht auf mehrere Frauen und setzte das auch durch.

In unserem Stadtvierteil “beglückte” mein Vater gleichzeitig vier Frauen. Alle wohnten in der Nähe, teilweise in der gleichen Straße. Mein Vater wechselte täglich die Wohnung und verbrachte die Nacht bei seiner jeweiligen Gefährtin.

Das angenehme Leben auf Kosten anderer währte aber nicht lange. Mein Vater starb mit 27 Jahren. Die drei Nebenfrauen schenkten ihm jeweils eine Tochter. Meine leibliche Mutter durfte – als seine Hauptfrau - zwei Kinder zur Welt bringen“

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Große kulturelle, religiöse und ethnische Unterschiede

Die vier Regionen Thailands

95% der thailändischen Bevölkerung sind Buddhisten, zum sog. „Theravada-Buddhismus“. Dabei ist die religiöse Identifikation innerhalb Thailands sehr unterschiedlich verteilt.

Geographisch kann man das Land in vier Zonen unterteilen. Jede Region hat eine unterschiedliche Geschichte und kulturelle Tradition, jede Zone hat ihren eigenen Dialekt, der teilweise in den Nachbarregionen nicht verstanden wird.

- Die Zentrale Region rund um Bangkok ist die am höchsten entwickelte und wohlhabendste Gegend Thailands. Sie ist ethnisch die Heimat der „Central Thai“.

- Der Norden mit der alten Hauptstadt Chiang Mai. Hier hat sich die alte Khon Muang Bevölkerung im Lauf der Jahrhunderte mit den burmesischen Völkern vermischt. Immer schon bestanden starke kulturelle Beziehungen zwischen beiden Gruppen.

- Der Nordosten, genannt „Isaan“, ist eine bevölkerungsstarke, aber arme Gegend, in der die Mehrheit der Bewohner eine Variante laotischer Dialekte spricht. Die Infrastruktur des Isaan ist dörflich: Reisanbau soweit das Auge reicht, kaum Industrie. Kein Wunder, dass aufgrund der schweren Arbeit auf den Reisfeldern die durchschnittliche Lebenserwartung der Bevölkerung im Isaan 7 bis 8 Jahre niedriger ist als in Bangkok. Es fällt auf, dass sehr viele Kathoey, die in Bangkok und Pattaya leben, aus Isaan stammen. Mit der Emigration aus ihrer Heimat versuchen sie, der Armut und Perspektivlosigkeit der Provinz zu entkommen und hoffen, in den Städten eine bessere Zukunft zu finden.

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- Im Süden lebt neben der Bevölkerungsgruppe der buddhistischen „Süd-Thai“ eine große Gruppe von Muslimen. Diese sprechen malaysisch und sind historisch und kulturell nahe verwandt mit der Bevölkerung der benachbarten Malaiischen Halbinsel.

Hier trifft man auch auf eine kleine Gruppe von Christen, Sikhs und Hindus. 10% der thailändischen Bevölkerung hat dort chinesische Wurzeln.

Die Zentralisierung des Landes mit der Hauptstadt Bangkok erfolgte erst Anfang des 20. Jahrhunderts während der Chakri Dynastie. Das Königreich Thailand ist seit 1932 eine konstitutionelle Monarchie. Nach der letzten Verfassung von 2007 geht die Staatsgewalt vom Volk aus und wird vom König durch die drei Teilgewalten Legislative, Exekutive und Judikative ausgeübt.

Die ethnische und kulturelle Vielfalt wird von der thailändischen Verfassung geschützt. Von uns wird oft das friedliche Zusammenleben und die kulturelle Homogenisierung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Thailand bewundert. Es ist aber mehr ein Konstrukt der dominanten Zentralregierung in Bangkok, die das Land politisch maßgeblich prägt und versucht, Autonomiebestrebungen zu verhindern, indem sie auch die kulturell-sprachliche Eigenständigkeit der einzelnen Zonen zu unterdrückt.

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Die Rolle der Geschlechter

in der thailändischen Gesellschaft.

Nach dem Gesetz sind Männer und Frauen in Thailand seit der Verfassung aus dem Jahr 1977 gleichgestellt. Thailand ist jedoch eine traditionell patriarchale Gesellschaft, die von Männern dominiert wird. Die Macht der Frauen lag früher ausschließlich in ihrer Rolle als Mutter. Das hat sich in den letzten 50 Jahren geändert. Seit den 1960er Jahren ziehen immer mehr Frauen zur Lohnarbeit in die Städte. Heute sind über die Hälfte der Emigranten aus dem ländlichen Raum Frauen, die arbeiten und so zum Lebensunterhalt ihrer Familie beitragen.

Das traditionelle Idealbild in der Vorstellung der thailändischen Männer ist die „kalasatrii“, die tugendhafte, treue Frau. Sie ist eine liebevolle Mutter, ist zurückhaltend und bescheiden und fühlt sich verantwortlich für die ganze Familie, auch für die Eltern. Bis heute wird diese ehrbare Rolle der Frau nicht in Frage gestellt, sondern die Thailänder sind stolz auf ihre Tradition und kulturelle Identität.

Die ideale Frau geht als Jungfrau in die Ehe und ist ihrem Ehemann treu. Frauen, die vorehelichen Sex haben, werden als „befleckt“ betrachtet. Sex aus Vergnügen mit verschiedenen Partnern wird von der traditionell geprägten thailändischen Frau abgelehnt, in ihrem Weltbild ist eine solche Frau eine „schlechte Person“.

Prostitution wird zwar abgelehnt, aber trotzdem - meist auch von Frauen - als notwendiges Übel angesehen, weil sie zur Befriedigung des männlichen Sexualtriebes dient. Hier zeigt sich also eine grundlegend unterschiedliche Sichtweise in der Bewertung der männlichen und der weiblichen Lust, und daher gelten in Thailand noch heute unterschiedliche Spielregeln, was für Mann/Frau sexuell erlaubt ist und was die Moral verbietet.

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Die thailändische Gesellschaft ist männlich geprägt, doch die Männer sind keine „Machos“. Wenn ein thailändischer Mann gefragt würde, ob er sowohl männliche als auch weibliche Eigenschaften in sich trägt, - bezogen auf seinen Charakter, auf Gefühle und Emotionen -, so wird er das durchaus bejahen. Eine solche Aussage käme z.B. einem Mann aus einem arabischen Land nicht über die Lippen -, das wäre viel zu unmännlich!

Thailändischen Männern schreibt man eher sanfte, defensive Charakter-eigenschaften zu. Natürlich gilt das nicht für alle Thais. Einige der Kathoey erzählten im Interview von übergriffigen Männern und aggressiven Partnern.

CHERRY (1):„Im Alter von 15 Jahren hatte ich einen Freund gefunden – einen 12 Jahre älteren Thailänder -, und fing an, ihn grenzenlos zu lieben… Er betrank sich jeden Tag, und sein Charakter änderte sich mit jedem Tropfen Alkohol. Ohne Übertreibung -, bis zu meinem 20. Lebensjahr wurde ich fast täglich geschlagen, teilweise mit dem Stock.“

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Akzeptanz oder Toleranz?

Ladyboys werden in der Regel als Frauen betrachtet, die in einem männlichen Körper geboren wurden, Sie gelten daher in Thailand nicht als Homosexuelle. So begegnen die Menschen in Thailand den Kathoey vielerorts mit Toleranz, während Homosexualität auf Ablehnung stößt. Gleichgeschlechtliche Liebe wird von buddhistischen Gelehrten wie auch im akademischen Diskurs als „Krankheit“ bezeichnet, die man heilen müsse.

Ladyboys können ihr Geschlecht zwar durch eine Operation ändern, aber eine Umschreibung im Pass oder in der Geburtsurkunde ist nicht möglich; es ist vom Gesetz her ausdrücklich untersagt. Hinter diesem Verbot steckt möglicherweise die Angst, dass heiratswillige Männer getäuscht werden könnten. Da Frauen auch heute noch meist jungfräulich in die Ehe gehen, würde der Mann erst in der Hochzeitsnacht erfahren, dass er einen Transgender geheiratet hat.

Während also Homosexualität in Thailand von den meisten abgelehnt wird, von einigen höchstens toleriert, hängt das Verständnis für die Kathoey und deren Akzeptanz von den persönlichen Erfahrungen ab, die der einzelne mit dieser Personengruppe gemacht hat oder macht. Die Ladyboys selbst prägen ihr Image. Wenn sie laut und aggressiv auftreten, wenn ihr Verhalten übertrieben oder hysterisch ist, dann stoßen sie auf massive Ablehnung, und durch diese Abneigung überträgt sich danach auf die gesamte Gruppe der Kathoey. Nach Meinung der Thailänder ziemt sich ein solches Benehmen nicht für eine Frau, es ist unsozial und proletenhaft.

Transgender, angepasst und mit höflichem Benehmen, noch dazu, wenn sie mit natürlicher Schönheit ausgestattet sind, genießen Ansehen und Sympathie in der Bevölkerung. Glamouröse Veranstaltungen wie Schönheitswettbewerbe, Tiffany-Shows etc. heben das Image der Kathoey und machen die Thais stolz auf ihre Mitbürger.

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Gemäß Umfragen glaubt die Mehrzahl der Thailänder, dass Ladyboys für ihr Land eine kulturelle Bereicherung sind. Kathoey sind seit Jahrhunderten Teil der thailändischen Gesellschaft und sollen dies nach Meinung der meisten Thais auch bleiben, zumal nicht wenige Touristen nach Thailand kommen, um das „Land des Lächelns und der Ladyboys“ kennenzulernen.

Toleranz ist die Bereitschaft, die Meinung anderer zuzulassen, den anderen als Mensch mit seiner Persönlichkeit, mit seinen Eigenschaften grundsätzlich zu bejahen und so zu akzeptieren, wie er ist. Dabei ist durchaus Kritik erlaubt, die aber mit einer prinzipiell positiven Haltung einhergehen muss. Man kann etwas tolerieren, auch wenn man es für unangemessen oder falsch hält.

Ohne Zweifel werden Kathoey in der thailändischen Gesellschaft stärker toleriert als Transgender in anderen Ländern. Dabei hängt, wie beschrieben, die Toleranz gegenüber Ladyboys immer stark von deren eigenem Verhalten ab. Von Kathoey erwartet wird Zurückhaltung und Bescheidenheit, man schätzt ihre Sanftmut, ihre Höflichkeit und ihre guten Manieren. Dabei können sich nach allgemeiner Meinung Ladyboys in der Öffentlichkeit durchaus weiblich verhalten und ihren femininen Charakter offen zeigen.

Einige Kathoey erzählen, dass ihre Eltern sie letztlich als Ladyboy akzeptiert haben, unter der Voraussetzung, dass sie „gute Menschen“ bleiben. Allgemein wird von Kathoey erwartet, dass sie immer etwas „besser“ sind als der Durchschnittsbürger, und zwar in jeder Hinsicht:

JELE:„Tatsache ist, dass in Thailand der Leistungsdruck für Kathoey erheblich höher ist als für „normale“ Studenten. Weit verbreitete Vorurteile und mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz muss ein Ladyboy durch gute Noten ausgleichen. Später im Berufsleben sollte er durch bessere Leistungen auffallen, um akzeptiert und geachtet zu werden. Kathoey müssen Tag für Tag ihren Platz in der Gesellschaft erkämpfen oder verteidigen.“

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WINHAN:„Wir Ladyboys müssen immer etwas besser sein, mehr Leis-tung bringen als andere, damit man uns wertschätzt. So hatte ich in meiner Klasse die besten Noten, und in meiner Familie verhielt ich mich vorbildlich. Ich war ein „guter Junge“, angepasst, von allen geschätzt und geliebt“

Ladyboys, die beruflich Erfolg haben oder überdurchschnittlich gut aussehen, werden – wen wundert’s - von allen respektiert oder gar hoch verehrt. Nicht wenige Transgender haben es als Künstler zu Ruhm gebracht. Es gibt viele Beispiele von Kathoey, die außergewöhnlich erfolgreich waren -, im Beruf, im Sport und in anderen Lebensbereichen.

Auf der anderen Seite scheinen es viele Thailänder als Schande zu empfinden, wenn in ihrer Familie ein Kathoey aufwächst. Dieser Eindruck jedenfalls entsteht, wenn die „Ladyboys“ über ihr Leben sprechen. Die Interviews in diesem Buch erheben zwar keinen Anspruch darauf, repräsentativ zu sein, aber tatsächlich berichten erschreckend viele Kathoey – weit mehr als die Hälfte von ihnen – von familiären Problemen in ihrer Kindheit und Jugend. Nicht selten spielten sich in den Familien der jungen Kathoey „Dramen“ ab. Für manche waren diese schimmen Erlebnisse der Beginn eines lebenslangen Traumas.

WINHAN:„Ich will nicht daran denken, wie oft ich als Kind geweint habe. Dass ich immer allein war, keine Freunde hatte. Und dass mein Leben in der Familie nur durch strenge Selbstkontrolle zu ertragen war: Durch Schwei-gen und Verbergen.“

LOVE:„(Der neue Mann) setzte durch, dass ich als Ladyboy nicht am Tisch mit der Familie essen durfte -, und diese Regel gilt bis heute: Ich muss warten, bis meine Mutter und ihr Freund sowie meine Geschwister zu Ende gegessen haben. Die Reste, die übrig bleiben – manchmal fast überhaupt nichts - sind dann für mich bestimmt. In einer Ecke des Wohnzimmers wurde mir ein Platz auf dem Fußboden zugewiesen, auf dem ich zusammen mit unserem Hund essen muss.“

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Die Akzeptanz in der Gesellschaft hängt auch von der Gegend ab, in der Kathoey aufwachsen. In größeren Städten ist das Leben als Ladyboy fast normal. In ländlichen Gegenden, in den Dörfern werden Transgender heute in der Regel nicht angefeindet, eher geduldet, aber in Wirklichkeit nicht akzeptiert. Dort trifft man auf große Vorbehalte gegenüber Transgendern, dort werden sie oft auch heute noch teilweise stark diskriminiert.

Selbst an Grundschulen unter Lehrern herrschte – zumindest vor 10 Jahren und früher - eine gnadenlose Intoleranz, wie Kathoey Monica im Interview berichtete:

MONICA:„An der Schule habe ich viel Schlimmes erlebt. Mein Lehrer warnte die Kinder vor der versammelten Klasse, mit mir zu spielen, weil