Das Leben der Margareta contracta - Bruder Johannes O.P. - E-Book

Das Leben der Margareta contracta E-Book

Bruder Johannes O.P.

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Beschreibung

Margareta war behindert und hat ihr Leben lang schwer gelitten. Mit 12 Jahren entschied sie sich, als Rekluse zu leben und ihr Leid in Gotteslob zu verwandeln. Damit entwickelte sie, drei Jahrhunderte vor der Reformation, die Idee, das Heil nicht zu verdienen, sondern einzig der Gnade Gottes zu vertrauen. Ihr Beichtvater, der Dominikaner Bruder Johannes, schrieb ihre Erfahrungen nieder und gestand dabei, dass er zu Anfang nicht viel von dieser Frau verstand. Nach und nach liess er sich aber auf ihre besondere Spiritualität ein und sah in ihr ein Vorbild eines gottgeweihten Lebens.

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Seitenzahl: 216

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

Der Text

Der Kontext

Margareta

Ihre Besonderheit

Masochistin?

Besondere Ausdrücke

Die Zitate

Der Text

Kapitel 1.

Kapitel 2.

Kapitel 3.

Kapitel 4.

Kapitel 5.

Kapitel 6.

Kapitel 7.

Kapitel 8.

Kapitel 9.

Kapitel 10.

Kapitel 11.

Kapitel 12.

Kapitel 13.

Kapitel 14.

Kapitel 15.

Kapitel 16.

Kapitel 17.

Kapitel 18.

Kapitel 19.

Kapitel 20.

Kapitel 21.

Kapitel 22.

Kapitel 23.

Kapitel 24.

Kapitel 25.

Kapitel 26.

Kapitel 27.

Kapitel 28.

Kapitel 29.

Kapitel 30.

Kapitel 31.

Kapitel 32.

Kapitel 33.

Kapitel 34.

Kapitel 35.

Kapitel 36.

Kapitel 37.

Kapitel 38.

Kapitel 39.

Kapitel 40.

Kapitel 41.

Kapitel 42.

Kapitel 43.

Kapitel 44.

Kapitel 45.

Kapitel 46.

Kapitel 47.

Kapitel 48.

Kapitel 49.

Kapitel 50.

Kapitel 51.

Kapitel 52.

Kapitel 53.

Kapitel 54.

Kapitel 55.

Kapitel 56.

Kapitel 57.

Kapitel 58.

Kapitel 59.

Kapitel 60.

Kapitel 61.

Kapitel 62.

Kapitel 63.

Kapitel 64.

Kapitel 65.

Kapitel 66.

Kapitel 67.

Kapitel 68.

Kapitel 69.

Kapitel 70.

Bibliographie:

Index der Bibelzitate

Vorwort

Es handelt sich hier um die deutsche Version der von mir zunächst ins Französische übersetzten Vita, die 2023 bei Jérôme Millon veröffentlicht wurde. Die deutsche Version ist um einige Literaturhinweise erweitert, für die ich Balázs J. Nemes zu Dank verpflichtet bin.

Einleitung

Die vorliegende Lebensbeschreibung erzählt von einer Margareta, die in der Mitte des 13. Jh. in Magdeburg als Rekluse gelebt haben soll.

Der Text

Die älteste Handschrift der vita befindet sich in einem Codex in Berlin aus dem 13. Jahrhundert1. Eine textkritische Ausgabe wurde 1992 von Paul Gerhard Schmidt herausgegeben2. Zu diesem Zeitpunkt waren zehn Handschriften bekannt, und zwar aus Norddeutschland, Belgien und den Niederlanden. In den Folgejahren kamen weitere Textzeugen dazu3, unter anderem eine ebenfalls von Schmidt 2007 edierte Kurzfassung der Vita.4 Bardo Weiss5 hat eine Studie veröffentlicht, in der er den Text kommentiert, in seinen Kontext stellt und dabei einzelne Sätze übersetzt. Eine weitere Studie wurde von Anneke B. Mulder-Bakker in ihrem Buch über Reklusen vorgelegt6. Die einzige moderne Übersetzung der ganzen vita ist die englische von Gertrud Jaron Lewis und Tilman Lewis7.

Bis jetzt ist kein weiterer Zeuge aufgefunden worden, der etwas über Bruder Johannes oder Margareta geschrieben hätte und der uns über den Wahrheitsgehalt der vita Aufschluss geben könnte8. Man kann sich daher fragen, ob es sich vielleicht um eine theologische Abhandlung handeln könnte, die nur die Form einer fiktiven Lebensbeschreibung annimmt. Sowohl Bardo Weiss als auch die englischen Übersetzer weisen diese These zurück. Da Bruder Johannes zu Beginn zugibt, dass er lange nichts von dieser Frau verstanden hat, und er erzählt, wie er seine Meinung über sie hat ändern müssen, ist Bardo Weiss der Ansicht, dass sein Bericht eher authentisch ist, zumal Einleitung und Zusammenfassung fehlen, wie es in einer theologischen Schrift der Fall sein müsste. Schmidt erörtert die Möglichkeit, Johannes sei vielleicht vor ihr gestorben oder von seinem Orden versetzt worden, und das Schlusskapitel sei von anderer Hand hinzugefügt worden9. Da wir über keine weiteren Zeugen verfügen, muss die Frage dahingestellt bleiben.

Die vorliegende Übersetzung geht von dem Text aus, wie Paul Gerhard Schmidt ihn herausgegeben hat (mit ganz wenigen Ausnahmen, wo eine Textvariante bevorzugt wird), ohne die Wahrhaftigkeit der Erlebnisse Margaretas zu diskutieren.

Im Verlauf des Textes werden die didaktischen Teile häufiger und länger, sie durchsetzen die vita wie Mini-Abhandlungen, und die Kapitel werden länger.

Bruder Johannes schreibt ein etwas schwerfälliges Latein mit langen Sätzen und vielen Wiederholungen und Hyperbeln. Die vorliegende Übersetzung versucht, einen Teil davon wegzulassen, um den modernen Leser nicht zu ermüden, aber genügend davon wiederzugeben, damit er sich ein Bild von dem Stil des Originals machen kann. Zu lange Sätze werden in Teile zerlegt, die durch Semikola getrennt sind. Die meisten ‚und‘ am Anfang eines Satzes sind weggelassen und hyperbolische Ausdrücke zum Teil vereinfacht.

Der Kontext

Bruder Johannes ist Dominikaner. Der Orden hat sich 1230 in Magdeburg niedergelassen. Die älteste Handschrift wurde auf 1270 datiert. Daher muss das Leben Margaretas in diesem Zeitraum liegen. Sie ist damit eine Zeitgenossin Mechthilds von Magdeburg10, aber die vita erwähnt sie nicht, so wenig wie Mechthild Margareta in ihrem Werk erwähnt, jedenfalls nicht direkt. Es gibt aber mehrfache Parallelen zwischen den beiden Werken, die in einer zukünftigen Studie ausgearbeitet werden sollen, insbesondere der Wunsch der beiden Frauen, aus Liebe zu Gott in die Hölle zu kommen.

Es gab in dieser Zeit eine starke religiöse Bewegung, die Klostergründungen waren zahlreich und daneben existierten die Beginen und die Reklusen11.

Margareta

Sie wird contracta genannt. Sowohl Weiss als auch Lewis und Ruh12 bezeichnen sie als gelähmt. Dies scheint aber problematisch, denn, wenn der Text auch von gelegentlichen Lähmungserscheinungen spricht, so scheinen diese nicht dauernd vorzuliegen. Sie soll in ihrem ersten Lebensjahr von dieser Krankheit heimgesucht worden sein. Später drehen sich die Leute auf der Straße nach ihr um und belachen sie als Monster. Sie hat starke Schmerzen und Schwierigkeiten, ihr alltägliches Leben zu meistern. Johannes spricht des öfteren von ‚ihrem armen, kleinen Körper‘. All das lässt eher an eine Krankheit der Knochen und/oder Knorpel denken. Eine niederländische Handschrift aus dem 17. Jh. bezeichnet sie als cruepele, Krüppel13.

Mit zwölf Jahren entschließt sie sich, Rekluse zu werden. Im Mittelalter ist dies das normale Alter für eine solche Entscheidung. Aber aufgrund ihrer körperlichen Verfassung kann sie keine normale Rekluse sein. Sie braucht Hilfe für ihr tägliches Leben und kann auch die asketischen Übungen, die Reklusen normalerweise für andere durchführen, nicht auf sich nehmen. Sie ersetzt letztere daher durch innere Abtötung, und dies ist ein entscheidendes Merkmal dieser Schrift.

Sie scheint aus einer armen Familie zu kommen, was erklären könnte, warum sie nicht in ein Kloster geht, was ihrer Verfassung besser angepasst gewesen wäre, aber dann hätte sie wohl eine Mitgift gebraucht. Sie verdankt ihre Überführung in ein Kloster gegen ihr Lebensende der Berühmtheit, die sie inzwischen erreicht hat.

In armseligen Verhältnissen groß geworden, dürfte sie auch keine intellektuelle oder religiöse Erziehung genossen haben. Ihre Aussagen sind umso überraschender, auch wenn diese natürlich als Resultat eines Austausches mit Bruder Johannes verstanden werden müssen.

Im Lauf des vita lassen sich drei, allerdings unscharf voneinander getrennte Etappen ihrer geistlichen Entwicklung ausmachen, die der Tradition entsprechen: Reinigung durch Reue und Askese, Erleuchtung, die immer als Kenntnis bezeichnet wird, und Vollkommenheit, die bei Margareta eine Art innere Ruhe ist. Sie erlebt wohl Momente einer unio mit Gott, nach denen ihr Körper völlig kraftlos bleibt (Kapitel 58, 67 und 68), aber ohne die brautmystischen Erlebnisse anderer Zeitgenossinnen, insbesondere Mechthilds von Magdeburg.

Johannes schreibt in der Vergangenheitsform, als ob Margareta schon tot wäre. Aber er beschreibt ihren Tod nicht, was in diesem Fall verwunderlich wäre, denn der Tod einer möglicherweise heiligen Person ist von besonderer Wichtigkeit für die damaligen Autoren. So sagt Gott Kapitel 57 bezüglich ihres Todes: „große Dinge werden an diesem Tag geschehen“. Kapitel 43 schreibt Johannes, dass zu dem Zeitpunkt, bei dem er gerade angelangt ist, Margareta noch nicht ins Kloster übergesiedelt hatte, wo sie sterben sollte. Heißt das, dass Bruder Johannes von ihrem Tod in der Vergangenheit spricht, oder dass es vorgesehen war, dass sie dort sterben sollte? (Im Text steht, dass sie denkt, im Alter Christi zu sterben, das heißt mit 33 Jahren.) Ist er vor ihr gestorben? In diesem Fall wäre seine Schreibarbeit vorzeitig abgebrochen worden. Diese Schrift endet aber mit einer Ermahnung an den Leser und einem Amen, das ihr Ende anzeigt. Ohne weitere Zeugnisse ist diese Frage wohl unentscheidbar.

Ihre Besonderheit

Die Bedeutung der inneren Abtötung wurde schon erwähnt. Ein besonderes Merkmal dieser Schrift ist aber insbesondere ihre Vorstellung einer Erlösung aus reiner Gnade ohne das Zutun der Werke. Das ist für diese Zeit ungewöhnlich. Johannes sagt, dass sie nichts verdienen und mit Christus nicht handeln wollte. Verdienstvolle Werke werden wohl beschrieben, aber immer mit dem Zusatz, dass alles, was gut ist, allein Gottes Werk ist im Menschen. Dieser Punkt verdient es ebenso, näher untersucht zu werden14. Weiss geht davon aus, dass aus diesem Grund die Schrift nicht von den Bollandisten während der Gegenreform in ihre Acta Sanctorum aufgenommen wurde15.

Alle Überlegungen in dieser vita gehen von dem Leiden Margaretas aus. Letztere findet einen Sinn für dieses Leid, indem sie ihm die Rolle zuschreibt, Gottes Lob zu dienen. Etwas für Gott tun zu können, erfüllt sie mit Trost, wie es dem damaligen Verständnis entspricht, und dieser erfüllt sie mit Dankbarkeit; sie kann aber in diesem Zustand relativer Zufriedenheit nicht bleiben, denn, da es das Leid ist, das Gottes Lob erhöht, verwandelt sich jeder positive Zustand sofort in Leid. So wiederholt Bruder Johannes immer wieder das Umschlagen von einem dieser Zustände in den nächsten, was man als Teufelskreis ansehen könnte; es handelt sich aber eher um eine Spirale, die zwar immer wieder diese Zustände durchläuft, aber bei jedem Umlauf zu einem besseren Verständnis führt bis zum Endstadium, wo sie inneren Frieden findet. Dann aber, anstatt sich zu verachten, verachtet sie, verachtet zu werden, und zwar durch eine subtile Überlegung: wenn es für ihr Heil gut ist, verachtet zu werden, so müssen die, die sie verachten, dafür logischerweise Fegefeuer- oder Höllenstrafen ernten; da sie aber das Heil der anderen mehr wollen muss als ihr eigenes, darf sie nicht mehr wünschen, verachtet zu werden.

Diese ganze Dynamik dreht sich um ihr ‚Begehren‘. Im Kapitel 53 heißt es, dass sie ihr ganzes Leben nichts anderes war als Begehren. Trotzdem sind wir hier weit entfernt von der Brautmystik, von der wir nur einzelne, sehr schwache Anzeichen in diesem Text finden.

Masochistin?

Ihr Appetit für Schmerzen könnte von einem modernen Leser als Masochismus interpretiert werden; ebenso könnte Gott, der diese Schmerzen schickt, als Sadist bezeichnet werden. Dann vergisst man aber, dass es in dieser Zeit keine Krankenversicherung gab; es gab kein Heilmittel gegen solches Leid. Der einzige Weg, darüber nicht den Verstand zu verlieren, bestand darin, einen Sinn dafür zu finden. Margareta hat ihn in der imitatio Christi gefunden, die zu der Zeit sehr beliebt war: leiden wie Christus verlieh dem Menschen praktisch den Status eines Mit-Erlösers. Mehrere Stellen in dieser vita können so verstanden werden.

Ihre Selbstverachtung geht einher mit der Gewissheit ihres Erwähltseins; sie sieht sich an manchen Stellen sogar höher als die Jungfrau Maria. Der ganze Text ist durchlaufen von diesem Hin und Her zwischen Demut und Selbstsicherheit. Übertriebene Demut könnte Gottes Herrlichkeit schaden, denn es wäre ungerecht von Gott, und daher nicht lobenswert, eine demütige Seele nicht zu ehren. Andererseits wird ihre Erwählung immer wieder als unverdient ausgewiesen. Sie kann daher nicht zu Hochmut führen. Trotzdem lässt die Art und Weise, wie Margareta sich manchmal an Gott wendet, wenn sie ihn zu gewissen Handlungen ‚zwingt‘, den modernen Leser perplex. Dabei duzt sie Gott, während sie Johannes siezt. Gott duzt sie ebenfalls – während er im Werk Mechthilds letztere siezt.

Besondere Ausdrücke

Zwei Ausdrücke verdienen einen besonderen Kommentar. Zunächst pietas. Im klassischen Latein bezeichnet das Wort die Liebe des Sohnes zum Vater, und im weiteren Sinne zu einem Gott, daher unser Wort ‚Pietät‘. Aber in horizontalen Beziehungen, zum Beispiel unter Freunden, übersetzt man es eher durch ‚Zärtlichkeit‘ oder ‚Hinwendung‘. In dem Fall der pietas Gottes zum Menschen ist es hier meist als ‚Wohlwollen‘ überzetzt.

Dann der Begriff des Begehrens, desiderare. Er ist zentral bei Margareta und bezeichnet sowohl ihren Wunsch, sich Gott zu nähern, als auch alles, was sie für sich oder andere wünscht. In letztem Fall wäre es besser mit ‚Fürbitte‘ zu übersetzen, aber um die Einheit des Begehrens beizubehalten, ist desiderare immer als solches übersetzt. Noch ein Wort über die Art und Weise, in der Johannes über Margareta schreibt. Ob es in seiner Lebensbeschreibung ist oder in den Worten, die er ihr oder Gott in den Mund legt, benutzt er oft männliche Begriffe, wie Sklave, Sohn oder homo, Mensch, hier meist mit ‚jemand‘ übersetzt. Es kommen natürlich auch weibliche Begriffe vor, wie Magd oder paupercula, armes Wesen, aber nie Frau oder Mädchen. Ihre Weiblichkeit wird in keiner Weise thematisiert.

1 Ebenfalls in einer Berliner Handschrift, allerdings aus dem 15. Jahrhundert, findet sich die einzige bekannte deutsche Übersetzung der Vita, siehe Balázs J. Nemes, “Der ‚entstellte‘ Eckhart. Eckhart-Handschriften im Straßburger Dominikanerinnenkloster St. Nikolaus in undis”, in: Schreiben und Lesen in der Stadt. Literaturbetrieb im spätmittelalterlichen Straßburg, hg. von Stephen Mossman u.a., Berlin/Boston 2012, S. 39-98, hier S. 58.

2 Johannes von Magdeburg, O.P., Die Vita der Margareta contracta, einer Magdeburger Rekluse des 13. Jahrhunders, erstmals editiert von Paul Gerhard Schmidt, Leipzig : Benno Verlag (Studien zur katholischen Bistums- und Klostergeschichte, hsg. Franz Schrader, Band 36, 1992).

3 Vgl. Paul Gerhard Schmidt, „'Margaretae Contractae' eine Magdeburger Mystikerin des 13. Jahrhunderts“, Hagiographica

Band 15, 2008, S. 177-196 und Nemes, op. cit., S. 58, Anm. 82. Siehe ferner auch Balázs J. Nemes, Von der Schrift zum Buch, vom Ich zum Autor, Tübingen/Basel, A. Francke Verlag 2010, 389-391.

4 Paul Gerhard Schmidt, „Eine Kurzfassung der 'Vita Margaretae Contractae'“ , Hagiographica Nr.14, 2007, S. 1124-1225.

5 Bardo Weiss, Margareta von Magdeburg, eine gelähmte Mystikerin des 13. Jahrhunderts, Paderborn, München, Wien, Zürich : Verlag Ferdinand Schöningh 1995.

6Lives of the Anchoresses. The Rise of the Urban Recluse in Medieval Europe, University of Pennsylvania Press, 2005, p. 148173.

7 Friar Johannes O.O. of Magdeburg, The Vita of Margaret the Lame, a Thirteenth-Century German Recluse and Mystic, translated, with commentary by Gertrud Jaron Lewis and Tilman Lewis, Toronto : Peregrina Publishing Co. 2001.

8 Es gibt zwar mehrere Arbeiten über Margareta, wie die von A.B Mulder-Bakker, oder Hinweise auf sie, wie bei B. Nemes, der die Hypothese äußert, der Text könnte aus den Niederlanden stammen (s. Nemes 2012, S. 58, Anm. 82), es gibt auch neue Textfunde, aber nichts, was die Historizität der Person eindeutig erhärten könnte.

9 „'Margareta Contracta' eine Magdeburger Mystikerin des 13. Jahrhunderts“, S. 191.

10 Textkritische Ausgabe ihres Werkes : Hans Neumann, Mechthild von Magdeburg >Das fließende Licht der Gottheit<, Band I und II, München, Züich: Artemis-Verlag 1990 und 1993 (französische Übersetzung: Mechthild de Magdebourg, La lumière fluente de la Divinité, traduit du moyen-haut allemand par Waltraud Verlaguet, Grenoble : édition Jérome Million 2001).

11 Siehe unter anderen: Herbert Grundmann, Religiöse Bewegungen im Mittelalter, Hildesheim: Georg-Olms, 1961. In meiner Arbeit über Mechthild von Magdeburg habe ich diesen historischen Kontext näher erläutert: Waltraud Verlaguet, L’éloignance. La théologie de Mechthild de Magdebourg (XIIIe siècle), Bern : Peter Lang 2005, Kapitel 3, Seite 39. Auf deutsch ist dazu ein Artikel erschienen : Waltraud Verlaguet, „Mechthild von Magdeburg: schriftliche Mündigkeit und Abstiegsmystik“, in: Irmtraud Fischer (éd.), Theologie von Frauen für Frauen?, Wien: Lit-Verlag, 2007, p. 323-327.

12 Kurt Ruh, Geschichte der abendländischen Mystik, Band 2, S. 125ss.

13 Schmidt, op.cit. S. XVIII.

14 Waltraud Verlaguet, „Le salut par la grâce au XIIIe siècle. Une lecture de la Vita de Margareta contracta en regard de Mechthild de Magdebourg“, Etudes théologiques et religieuses Nr. 3, 2023, S. 321-341.

15 Weiss, op.cit. S. 175.

Die Zitate

Paul Gerhard Schmidt hat in seiner Ausgabe alle Bibelzitate in Schrägschrift gesetzt und die entsprechenden Bibelstellen angegeben. Diese Markierung wurde hier beibehalten, wobei eine Fußnote jedes Mal angibt: M. (für Margareta), gefolgt von dem lateinischen Text der vita; V. (für Vulgata nach einer Ausgabe von 1837, also der alten Version, vor der Revision unter Johannes-Paul II, die also dem Text entsprechen dürfte, den Bruder Johannes vorliegen hatte16), gefolgt von dem lateinischen Text dieser Bibelausgabe; EÜ (für Einheitsübersetzung17), gefolgt von dem deutschen Text der entsprechenden Bibelstelle.

16Biblia Sacra Vulgatae Editionis, Editio Nova, Paris: Editions Gauthier 1837.

17Die Bibel. EInheitsübersetzung, Freiburg, Basel, Wien: Herder 1980.

Der Text

Kapitel 1.

In der Stadt Magdeburg lebte eine Person namens Margareta, die Gott besonders auserwählt hatte als sie noch kein Jahr alt war. Als Zeichen ihrer Erwählung wurde sie in ihren Gliedern gegeißelt. Gott handelte so, um sie zu beschützen, wie man einen kostbaren Schatz in einem billigen Sack versteckt. Diese Person hat selbst während ihrer Kindheit nichts Böses getan. Gott, der sie erwählt hatte, gab ihr reichlich von seinem Erbe, das er selbst auf Erden für sich gewählt hatte; das waren: Leid, Verachtung und Armut.

Kapitel 2.

Als sie ins Alter der Vernunft kam und sich dieser kostbaren Erbschaft bewusst wurde, fing sie an, diese zu lieben (Ps 118,127)18mehr als Gold und Topaz. Sie war Gott so dankbar für dieses Erbe, dass ihr Herz es nicht ertragen konnte und sie unter dieser schweren Last kaum atmen konnte. Wenn sie es schon im Mutterleibe erhalten hätte, hätte sie dafür nicht dankbarer sein können.

Ihre Mutter hielt zu Hause eine arme Blinde, die, wie Margareta, regelmäßig zur Kirche ging. Unsere Behinderte führte die Blinde, während die Blinde die Behinderte unterstützte. Wenn sie über den Platz gingen, begafften die Leute die Behinderte wie ein Monster und riefen unter Lachen: „Seht nur dieses große Wunder, die Krüppelin führt die Blinde!“ Vor Überraschung (Spr. 19.16)19achteten die Arbeiter mit ihren schweren Säcken auf den Schultern nicht auf ihre Wege sondern blieben stehen, um nach ihr zu sehen. Einmal sagte sie zu ihnen: „Was steht ihr da und gafft? Ihr seht doch nur Märtyrer Gottes; achtet lieber auf Eure Wege.“ Aber bei all diesen Gelegenheiten war sie fröhlich.

18 M. : « super aurum et topazion ». V. idem ; EÜ: „mehr als Rotgold und Weißgold“.

Kapitel 3 .

Im Alter von ungefähr zwölf Jahren, wenn sie sah, dass ihre Mutter nachlässig war, rief sie sie zur Ordnung. Wenn ihre Mutter sie dann vor Wut schlug, erduldete sie es geduldig. Zum Schluss gewann sie ihre Mutter durch ihr Vertrauen und ihre Gehorsamkeit in allem. Inspiriert von Gott ermutigte diese ihr armes Kind zum Dienst an Gott. Trotz großer körperlicher Schwachheit behielt Margareta immer ihren guten Willen. Die Arbeit, die sie leistete, war sehr anstrengend für sie und sie freute sich darüber, dass Gott ihr solch große Pein bescherte. Sie wollte sich von der Welt zurückziehen und Gott an einem einsamen Ort dienen, aber sie fürchtete, als Rekluse oder Nonne von den Menschen, den Eltern und den Freunden nicht mehr verachtet zu werden. Dieses Dilemma brachte sie in innere Not. Als sie sich endlich entschloss, Rekluse zu werden, geriet sie in große Angst, obwohl sie dies sehr wünschte.

Sie hatte Angst, weil sie sich vor den Leuten wie eine Rekluse benehmen musste, aber nicht imstande war, die Arbeit zu verrichten20, die von einer solchen erwartet wird, außer derjenigen, zu welcher Gott sie nach ihrem Verlangen ermächtigte. Sie wünschte daher brennend, dass Gott es ihr ermöglichen möge, durch innere Anstrengung die fehlende äußere Arbeit zu ersetzen. Sie hatte die Güte Gottes noch nicht voll erkannt; sogleich gab Jesus ihr seine Mutter, die selige Jungfrau Maria, um ihr die Wahrheit zu zeigen; nicht etwa den heiligen Petrus oder einen anderen Heiligen, sondern seine sanfte, liebe und herrliche Mutter, die sich des armen Mädchens annahm und sie unterwies; sie ließ sich herab, ihre Lehrerin21 zu werden und sie die klarste Wahrheit zu lehren. Die glückliche Schülerin der seligen Lehrerin wünschte sehr, von Jesus Christus, deren Sohn, für würdig befunden zu werden, die wahre Reue zu erhalten. Dieser erhörte sofort ihre Bitte und verlieh ihr eine solche Reue, dass kein Mund sie beschreiben könnte. Nicht die gewöhnliche Reue der Menschen, die diese für den Verlust der Gnade oder aus Angst vor den Höllenstrafen empfinden, sondern weil sie Gott nicht dafür geliebt noch gelobt hatte, sie so früh erwählt zu haben. Die Reue der anderen Menschen erhält Trost, da sie das ewige Leben erhoffen, Gnade und Vergebung der Sünden und aller Pein; aber Margaretas Reue wurde durch nichts getröstet, denn sie verstand das Unverständliche, nämlich das Lob Gottes.

Wie sehr sie sich selbst verachtete, jetzt, wo sie sich von der Verachtung durch andere zurückgezogen hatte, das lässt sich nicht beschreiben und bleibt dem, der es nicht erlebt hat, völlig unverständlich. Diese Verachtung war dergestalt, dass sie keinerlei Anerkennung für sich selbst wünschte, sondern nur für ihren geliebten Jesus Christus, der sie zu seiner Herrlichkeit geschaffen hatte; und diese Herrlichkeit bestand darin, den Armen und Verachteten gnädig zu sein. Sie erkannte ganz klar, dass Gott alles zu seiner Herrlichkeit geschaffen hatte, sowohl den Himmel als auch die Hölle. Und sie verachtete sich so sehr, dass sie zu Ehren Gottes und aus Liebe zu ihm eher die Hölle als den Himmel gewählt hätte, wenn beides nur gleichermaßen Gott gefallen hätte. Sie war so sehr an Schmerz gewöhnt, dass er ihr nicht mehr als Schmerz erschien und dass ihr überhaupt nichts mehr als schwer erträglich erschien, wenn es nur dem Lob Gottes und seiner Herrlichkeit diente; aus dieser übergroßen Selbstverachtung heraus wünschte sie sich (1.Kor. 7.37)22 und beschloss in ihrem Herzen, dass anstatt der Gnade, die ihr widerfuhr, sich an ihr die Gerechtigkeit Gottes offenbare.

Alle lieben die Barmherzigkeit, nur wenige lieben die Gerechtigkeit; Margareta liebte sowohl die Gerechtigkeit als auch die Barmherzigkeit, denn Gott ist für beide gleichwohl lobenswert.

Sie beichtete immer mit einem großen und reinen Schmerz ihres Herzens und unter vielen Tränen. Sie übertrieb ihre Sünden, als hätte sie alle Sünden der Welt begangen, denn sie betrachtete die Wohltaten Gottes, die ihr so groß erschienen, und klagte sich einer extremen Undankbarkeit an trotz der Geringfügigkeit ihrer Verfehlungen. Ihr Schmerz und ihre Reue waren so groß in ihrem Herzen, dass dieses nur durch ein Wunder nicht brach. In dieser Reue blieb sie zwei Jahre lang. Nichts konnte sie trösten. Als der Herr diese Situation nicht länger aushielt, tröstete er sie und sagte:

„Warum bist du so traurig? Es dient meinem Lob, dich in deiner Dummheit geduldet zu haben und niemand darf daran zweifeln, dass ich dich vor jedem Makel bewahrt habe.“

Da erfüllte eine solche Dankbarkeit ihr Herz, als ob sie schon im Mutterleibe geweiht worden wäre, denn Christus offenbarte ihr, dass er ihr erlaubt hatte, zu sündigen, weil er große Dinge mit ihr vorhatte und damit sie so in Demut verharre und (cf. 5.Mose 17,20)23nicht hochmütig werde und besser Mitleid habe mit den Sünden der anderen. Ihre Reue war so groß, weil sie klar erkannte, wie die Güte Jesu Christi in ihr wirkte; hätte sie etwas Gutes für sich gewünscht, hätte er ihr Schuld und Strafen erlassen, selbst wenn sie die Sünden aller Menschen der Erde begangen hätte. Wenn sie sicher war, dass ihre Schuld vergeben war, sang sie spontan sein Lob. Sie bedachte nicht nur, was sie getan hatte, sondern auch alles, was sie hätte tun können, wenn Christus sie nicht in seiner Barmherzigkeit behütet hätte. Sie dachte, dass Jesus Christus sie von allem bewahrt hatte, das sie daran hätte hindern können, ihn zu loben. Sie war genauso niedergeschlagen wegen der Sünden, die sie nicht begangen hatte, wie derentwegen, die sie begangen hatte.

19 M. : « negligentes viam suam » ; V. : « qui autem negligit viam suam » ; EÜ: „wer seine Wege verachtet (muss sterben)“.

20 nämlich Bußübungen und Fürbitte für andere; zur Funktion der Reklusen, s. A.B. Mulder-Bakker, Lives oft he Anchoresses; Id. „Lame Margeret of Magdburg: the social function of a medieval recluse“.

21doctrix et magistra.

22 M. : « statuit in corde » ; V. idem ; EÜ: „wer also in seinem Herzen entschlossen ist“.

23 M. : « non in superbiam levaretur » ; V. : « Nec elevetur cor ejus in superbiam » ; EÜ: „sein Herz nicht über seine Brüder zu erheben“.

Kapitel 4.

Sie hielt sich für einen Abgrund ohne Ende, denn der Mensch ist so schwach, dass er, würde er ewig leben, ewig sündigen würde und, sich selbst überlassen, ewig fallen würde. Daher war ihr Herz ein Abgrund der Demut. Sie verachtete sich so sehr, dass sie nicht wollte, dass Christus sie tröstete oder sie seine Nähe spüren ließ, solange sie nicht zuvor besser gereinigt war. Jedes Mal, wenn sie sich vor Gott hielt, stand die selige Jungfrau Marie, ihre glorreiche Lehrerin, als Anwältin vor ihrem Sohn und tröstete ihre Schülerin, indem sie sagte (Matth. 9,5)24 : „All Deine Sünden sind dir vergeben.“ Margareta wurde daraufhin traurig, denn sie wusste wohl, dass sie niemals des Dienstes für Christus völlig würdig sein werde. Sie empfing ein brennendes Begehren, das Christus ihr eingab, denn ohne diese Gnade hätte das Fleisch es nicht ertragen können. Dieses Feuer durchdrang Mark und Bein, sodass sie zu Recht mit dem Propheten Jeremias sagen konnte (Klagel. 1,3)25 : „Er hat das Feuer des Himmels in meine Knochen gesandt“ und (Jer. 20,9)26 : „ich vergehe, ich kann es nicht ertragen.“ Ihre Haut wurde so heiß, dass sie schrumpfte wie Leder, das man ans Feuer bringt. Und ihre Kleider wurden so heiß, dass sie es kaum ertragen konnte. Nachdem dieses Brennen einmal angefangen hatte, hat diese Inbrunst sie nie mehr verlassen, sie war nur mehr oder weniger stark. Gott selbst schürte dieses Feuer und fachte es an, wann es ihm gefiel. Und Gott selbst war in dem Feuer. Der größte Schmerz dieser Hitze war ihr so süß, dass ein Herz keine süßere Freude ersinnen könnte.