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Die wolkenlose Kindheit und Jugend Mike Knudsens aus einer mittelständischen Familie konnten kaum etwas Hervorragendes verkünden. Doch eine gelegentliche Bekanntschaft mit einem Erwachsenen hinterließen solche deutlichen Spuren auf seiner Seele, dass der Junge, der ein leidenschaftlicher Fußballfan war und nur von einer Karriere als Sportjournalist träumte, seinen festen Entschluss änderte. Von nun an wurde er von der Forschung begeistert, die fernerhin sein Schicksal bestimmen sollte. Die selbstlose Ergebenheit für die Wissenschaft sorgte nicht nur für seine künftige Berühmtheit, sondern sie ließ ihn mehrere erstaunliche Menschen kennenlernen, mehrere bildhafte Orte des Planeten zu besuchen sowie sich in Ozeangeheimnisse zu vertiefen. Seine Freunde und Kollegen aus vielen Bereichen der Forschung, Wirtschaft und Kunst empfanden eine enorme Besorgnis für das Schicksal der Erde, allgemeine Verschmutzung des Bodens und Meeres, für den drohenden Hunger und die Verarmung der Menschheit. Auf den Seiten des Romans ereignen sich erstaunliche Begebenheiten, in denen weltweit bekannte Personen teilnehmen sollten. Gewagte Träume vermischen sich merkwürdig mit den wunderbaren Erscheinungen aus der Wildnatur und aus Kinofilmen, die nicht weit von der Realität entfernt sind. Eine Todesgefahr entsteht, gleichsam Blitze aus heiterem Himmel. Wie konnte es in der Tat passieren? Der Leser des Buches findet die Antwort auf diese und mehrere anderen Fragen des Lebens.
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Seitenzahl: 641
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Die Kindheit und Jugend
Die erste richtige Reise
Die Zeit nach der Maltareise
Eine wertvolle Ausbildung
Die wissenschaftliche Bahn geht weiter
Woher ein Forscher eine fremde Finanzierung bekommen konnte
Der andere Gesichtswinkel
Zu Gast in Heidelberg
Die Dreharbeiten werden fortgesetzt
Artenschutz versus Weltpolitik
Wie sollten sich Bio-Wesen in kalten Küsten des südlichen Meers fühlen
Der Finanzierer deckt seine Absichten auf
Was konnte die Verwandtschaft mit Salonga bedeuten
Die Qual der Wahl
Eine rätselhafte Reise nach dem Osten
In der fernen Übersee
Eine Zusammenkunft auf dem höchsten Niveau
Wie es Philipp Wagner ging
Ein Treffen mit alten Bekannten
Die Hochzeit
Ein wertvoller Besuch
Ein ungewöhnlicher Bathyskaph
Das Projekt gewinnt an Dynamik
Eine gerichtliche Untersuchung auf eigene Faust
Die Nachricht aus dem fernen Westen
Ein sonderbares Treffen
Neue Mitarbeiter des Ministeriums
Was sich in Police Department ereignete
Das richtige Schicksal Mike Knudsens sollte wahrscheinlich durch eine gelegentliche Bekanntschaft mit den Baumeister Philipp Wagner vorbestimmt werden. Von seiner Kindheit an war Mike ein verschlossener und zurückhaltender Junge, der seine Einsamkeit mit einem Buch vorzog. In diesen „heiligen“ Stunden befand er sich in einer anderen Dimension, so dass seine Eltern keinen Mut zu fassen fähig waren, ihn dabei zu stören. Selbstverständlich wäre es ihnen lieber, ihren Sohn als einem belebten und geselligen Burschen zu erziehen. Doch die Realität lässt es weit nicht immer so machen, wie man es sich vorzustellen wusste. Außerdem wollten sie ihn kräftig und sportlich aufziehen, was dessen Wesen ablehnte. Zugleich war er ein leidenschaftlicher Fußballfan, der nicht allein alle Weltstars gutkannte, sondern ein enormes Interesse für ihre persönlichen Angelegenheiten besaß. Als ein Jugendlicher träumte er vom Beruf des Sportjournalisten, der ihm anscheinend die Chance gäbe, alle seine Götzenbilder kennenzulernen. Philipp wurde ganz plötzlich in sein einsames ruhiges Leben eingebrochen und eroberte gewaltig sein Herz wie es bei den verträumten Wesen nicht selten der Fall war. Philipp war ein großer und gutgebildete Kerl Mitte Dreißiger mit langen dunkelblonden Haaren, großen hell-grauen Augen und empfindlichen Gesichtszügen, dessen allgemeines Äußere den Eindruck des Schauspielers oder Olympiasiegers schindete. In der Geistesverfassung des Architekten gab es so viel Selbstvertrauen und Überzeugtheit, dass seine Gesprächspartner unwillkürlich seine Meinung zu übernehmen gezwungen waren. Ob es tatsächlich der Fall war blieb aber umstritten, obwohl etwas Ungewöhnliches bei ihm unbedingt vorhanden war. So behauptete Philipp bei einer ihm eigentümlichen Rede: „Mensch fühlte sich seit eh und je sehr klein und nichtig zu sein. Deswegen nahm er gerne den Gotisch Stil im Bauwesen auf, dessen komisch speerwerfenden Scharten menschliche Angst im Einklang und Ruhe bringen sollten. Ich machte selbst wiederholt einen Versuch, gotische Elemente in meine Entwürfe einzuschließen. Nun muss ich Euch eingestehen, dass solche altmodischen Experimente immer noch einen großen Erfolg bei den sachkundigen zu gewinnen pflegen. Bedeutet es, dass der moderne Mensch sich innerlich auch heute im Zeitalter des kosmischen Fortschritts als einem winzigen Grashalm empfindet? Mir scheint es auf jeden Fall so zu sein. Nein, es passiert nicht ausschließlich in der Bauindustrie. Im Gegenteil findet solche Paradoxie in vielen anderen Bereichen statt. Sprechen wir beispielsweise über die Politik, wo ein mittelmäßiger Anhänger der westlichen Demokratie mit beiden Händen für den eher zu despotischen Methoden neigenden Kandidaten zu votieren bereit wird, in dem er die ähnlichen in die Höhe strebenden Scharten notierte. Ihm wäre es dabei absolut egal, welche Motive diese Person bewegen sowie wohin sie den Staat und das Volk mitzubringen bereit wird. Solche heiklen Naturtriebe wäre es aber lieber vernünftigerweise zu vermeiden, denn die jüngste Geschichte warnt uns beharrlich davon“. Mike kapierte nicht alles, was Philipp gerade geäußert habe, er fühlte darin etwas Grundlegendes, was er vielleicht später zu verstehen vermöge. Momentan war ihm aber klar, dass der Freund seiner Eltern ein sehr ehrenhafter Mensch gewesen war. Er war aber ziemlich erstaunt, dass seine netten Alten, die üblicherweise in allen Diskussionen eine aktive Beteiligung aufzuweisen suchten, sich mit dem Herrn Wagner eher zurückhaltend benahmen. Hatten sie die ähnliche Furcht vor ihm, über die er gerade erzählt habe, oder wollten sie nicht, ihm zufällig etwas Schmerzhaftes erteilen lassen? Es war eine Frage, auf die Mike keine Antwort finden konnte. Eigentlich habe der Jugendliche ausreichend seine eigenen ungelösten Probleme, um daneben noch die fremden zu sammeln. Im Augenblick war es aber nicht so wichtig, viel bedeutender für ihn war nun das plötzliche Auftauchen dieses Mannes, dessen Gestalt auch in seiner Abwesenheit sehr nah von ihm bleiben sollte. Darüber hinaus unterhielt Mike mit ihm auch in Nachtträumen, was ihm nach dem Aufwachen ganz angenehme Empfindungen übrigließ. Im Unterschied zu seinem realen Zustand sprach der im Traum auf eine vollständig verständliche Art und Weise, mit den Redensarten, die auch Mike selbst gerne benutzte. Vielleicht war gerade dieser Umstand dafür verantwortlich, dass er erstmals in seinem Leben einen echten Freund sich wünschte, der mit allen Eigenschaften an Philipp ähnelte. Auf diesen Grund klang ihm wirklich überraschend, als sein lieber Vater Arno sagte, dass sie den nächsten Urlaub zusammen mit Herrn Wagner verbringen möchten. Von nun an befürchte Mike vor allem, sich vor Phillipp jene Schande zu machen. War es aber in der Tat möglich, diesem athletisch aussehenden Mann ohne große Kraft und sportliche Neigung zu gefallen? Nichtdestotrotz zählte Mike angespannt die Tage, die ihn von der versprochenen Reise nach Malta trennten. Die einfachste für ihn wäre, sich mit allen Medienquellen für diese schöne Zeitspanne vorzubereiten. Und der Teenager las damals unermüdlich im Internet und Sozialnetzen alles, was irgendwelche Verhältnisse mit diesem Archipel haben könnten. Obwohl den Schulunterrichten zwei Seiten besaßen: die gute, weil man sich manchmal zu entspannen vermochte, um sich in eigene Gedanken zu vertiefen, und die schlechte, denn der Hauptanteil forderte eine völlige Konzentration der Aufmerksamkeit, dehnten sich die Tagen ungeheuer aus. Es war für das erste Mal in seinem Leben, als er über die Zeitrelativität nachdachte. Was war der Grund dafür, dass er bei einer freudigen Beschäftigung gar keine Zeit zu bemerken fähig war, während er bei einer langweiligen Sache ständig auf die Uhr kucken sollte, die unverschämt fast keine Änderung zeigte. War dafür die Langeweile selbst schuld oder gab es irgendwelche objektive Ursache? Die folgenden Überlegungen bezüglich dieses Themas, fand aber Mike überflüssig, um weiter die kostbare Zeit zu vergeuden. Mittlerweile wurden schon von den Erwachsenen die Reisekarten bestellt, was der Zeit eine deutliche Beschleunigung erteilen sollte. Die letzten fünf Tage vor den Ferien dachte der Gymnasiast überhaupt nicht über die Schule. Viel aktueller schien ihm die Frage der Ausrüstung, die mit der Nähe des Meers verknüpft werden sollte. die Schwimmutensilien, die er von seinem Vater vor drei Jahren geschenkt bekam, passten nicht mehr zu seinen neuen Außenmassen. Sicher konnte es Arno diesmal auch allein einkaufen, doch sein Sohn entschied, der Zuverlässigkeit halber, diese Prozedur selbst zu überwachen. Außerdem war er schon groß genug, um dem Verkäufer alle notwendigen Fragen zu stellen. Der Papa hatte nichts dagegen, mit ihm nach dem Kaufhaus zu fahren. Als alle Vorbereitungen beendet waren, verfügte Mike noch über ein paar Tage, die er seinen persönlichen Dingen widmen konnte. So wählte er in einer Buchhandlung einige Sachbücher auf der Meereskunde aus, die ihm am Meer behilflich sein könnten. Außerdem schrieb er eine Liste von Fragen aus, die er dort aufzuklären mochte.
In wenigen Tagen sammelten sich fünf Personen im Flughafen, um nach der Hauptstadt Malta Valletta zu fliegen. Die fünfte war eine Gefährtin Phillipps namens Heike Grünsfeld, mit der Phillipp seine Eltern und ihn bekanntmachte. Heike war eine ziemlich große und schlanke Frau mit kurzen braunen Haaren, hellbraunen olivenförmigen Augen und vollen Lippen. Mike merkte bei ihr auch ziemlich kleine Stupsnase und Ohren. Im Unterschied zu Mike war Heike sehr einfach und umgänglich. Sie sprach sofort mit Arno und Eva (Mikes Mutti) als ob sie sie seit Jahren kannte. Phillipp fand sich im Flughafen gut zurecht und wusste Bescheid über das Innere wie ein Fachmann. Der Jugendliche bewunderte sich, ob es überhaupt irgendwas gab, was dieser Kerl nicht wusste. Das Flugzeug Boing 737, auf dem sie fliegen sollten, gefiel Mike gleich als der Bus sie zu ihm lieferte. Er zweifelte von Anfang an nicht, dass er den Platz neben dem Fenster besitzen sollte. Dort konnte man viel mehr über den Flug erfahren als die, die am Durchgang saßen. In der Tat sah er noch am Land durchs Fenster solche wichtige Ausführlichkeit, die er sonst nie gesehen habe. So betrachtete er sogar den Aufstieg und die Landung mehrerer Maschinen. Es war eine unvergessliche Erscheinung. Und dann sollte auch ihr Flugzeug starten. Wenn es seine Geschwindigkeit bis zur Grenze erhöhte, begann die ganze Maschine so stark vibrieren, dass Mike befürchtete, sie konnte im nächsten Augenblich explodieren. Glücklicherweise war es nicht der Fall. Stattdessen stieg sie sich von der Erde und flog immer höher bis sie die Wolken hinter sich ließ. Als die Elfkilometer Höhe erreicht worden war, passierte etwas ganz Unerwartetes, als ob die Maschine sich erstarr. Papa, der neben ihm saß, erklärte diese Empfindung sehr simpel: Nach der hohen Beschleunigung nahm das Flugzeug eine beständige Geschwindigkeit an, was man vom Drinnen als einem festen Zustand zu empfinden vermöge. In der Wirklichkeit ist neuhundert Stundenkilometer ein richtig hohes Tempo, besonders im Vergleich mit dem Ruhezustand. Diese sachliche Schlussfolgerung beruhigte Mike so kräftig, dass er seine folgende Beobachtung durch das Fenster fortsetzen konnte. nun waren sie mit der Sonne verbunden, die südlich grell durch den wolkenlosen Raum strahlte. Zugleich betrug nach der Meldung des Flugkapitäns die äußere Temperatur unerträgliche minus zweiundfünfzig Grad Celsius, das heißt, der richtige Permafrost. Auf seine Frage, wieso sich diese zwei entgegengesetzten Begleiterscheinungen mitexistieren könnten, antwortete Arno mit der weiteren Frage: Wie konnte Mike selbst nach seinen Physikkenntnissen diese Ungereimtheit erklären? Der Junge grübelte wenige Minuten darüber, fand aber eine sinnvolle (nach seiner Sicht) Erläuterung. „Ich bin der Meinung“, sagte er mit einem bemerkenswerten Stolz, „dass die Drucksenkung bei dem Abstieg in die höheren Schichten der Atmosphäre nicht zufällig sein sollte. Sie entsteht deswegen, weil die Luft dabei immer dünner wird. Mit anderen Worten es vermindert sich stark die Zahl der Luftmoleküle, die in unserer Aufgabe die Rolle der Wärmeträger spielen sollten. Wir befinden uns jetzt auf der Höhe Elfkilometer, wo vielleicht überhaupt keine Luft mehr gibt. Es ist der Grund dafür, dass hier solche Kälte möglich sind“. Dem Vater gefiel unbedingt solche Erklärung, was er dem Sohn gerade sagte. Im Prinzip war es nicht nur eine Denkübung für den jüngeren, sondern ein nützlicher Zeitvertreib, der sie viel näher zum Reiseziel brachte. Noch in eine Halbestunde verkündete der Kapitän die Nachricht, dass das Flugzeug den Abstieg begann und in vierzig Minuten im Flughafen der Stadt Valletta landen sollte. Nach der weichen Landung und Passkontrolle wurde die Familie Knudsen, Phillipp und Heike in zwei Taxiwagen in eine Viertelstunde nach ihrem großen Hotel InterContinental mitgebracht, wo die Bedienung schon auf sie wartete. Alle Formalitäten waren in wenigen Minuten erfüllt, so dass eine Stunde später alle fünf am Strand die bequemste und abgeschiedene Stelle auszusuchen vermochten. Philipp war wohl viel besser als die Knudsen Männer ausgestattet. So stellte es sich heraus, dass er ein erfahrener Surfer war, dem ziemlich große Wellen zu erobern gelang. Gerade er erzählte den beiden, dass diese Wassersportart ihre Wurzeln auf den Inseln Hawaiis hatte. Nach Jahrhunderten erlebte sie in 50-er Jahren des 20 Jh. eine glückliche Wiedergeburt in den südlichen Staaten der USA sowie in Australien. Der Baumeister zeigte nicht ohne Stolz sein professionelles Surfbrett aus der Glasfaser, das eine Reihe von modernen technischen Vorrichtungen wie Koppelleinen, Surfwachs u. ä. beinhaltete. Philipp sagte, dass das Wetter für die gut trainierten Surfer sehr gut geeignet war. Er meinte vielleicht die ziemlich hohen Wellen, die schon auf dem großen Abstand gewaltig aussahen. Man konnte nur vorstellen, was sie in der Nähe aufzuweisen fähig waren. Auf jeden Fall zeugten davon die weißen Kappen des Schaums, die regelmäßig hier und da auftauchen. Herr Wagner war allerdings kein Theoretiker, eher war er der Ansicht, seine Kunst zur Schau zu stellen. Also schwamm er ca. fünfzig Meter in Richtung des offenen Meers mit seinem Surfbrett vor sich, wie einige Anfänger vermögen, den Rettungsring anzuwenden. Danach passte er geschickt den geeigneten Augenblick ab, um seinen großen Körper auf dem Brett zu platzieren, und blitzschnell half er sich, gewandt auf den Beinen zu stehen. Von diesem Moment an ragte seine weiß-aussehende Figur einsam hervor, als ob sie kühn der ganzen Welt herausforderte. Es dauerte bestimmt nicht weniger als fünf Minuten, sammelte aber eine Menge Urlauber, die am Strand eine zahlreiche Gruppe bildete, die aufmerksam seine Bewegungen zu beobachten suchte. Nach mehreren Pirouetten sprang Philipp aus dem Brett und schwamm langsam zum Landstrich, wieder mit dem Brett vor sich. Er schilderte danach bildhaft seine Empfindungen bei Surfing und sollte eingestehen, dass ihm diese Minuten viel Kraft kosteten. Die Wellen waren massiv und ließen ihm nicht mehr, weiter zu manövrieren. Er schlug Arno vor, das Gleiche in der Nähe von Ufer zu probieren, der doch momentan nicht dafür gelaunt war. Diese seltsame (nach Phillips Ansicht) Reaktion sorgte dafür, dass er den beiden Knudsen Männer eines Surfings Unterricht in nächsten Tagen vorstellte, was mit der Dankbarkeit angenommen worden war. All diese Zeit plauderten belebt die beiden Frauen, die anscheinend schnell zu einer Übereinstimmung gelangen. Auf jeden Fall interessierten sie sich gar nicht für die männlichen Sachen. Der Architekt war sicher nicht die Person, die etwas unüberlegt auszusprechen wusste. Im Gegenteil erinnerte er während dem nächsten Frühstück daran, dass sie ihre Bemühungen gleich darauf der versprochene Unterricht zu widmen versuchen. Der Vater und Sohn wurden damit gezwungen, der Absicht zuzustimmen. Als alle fünf nach dem Essen am Strand waren, bevorzugten die Frauen, gleich im Meer zu baden. Bei den Männern sah es eher nicht so angenehm aus. Denn Philipp machte seinen Schüler ein Lehrprogramm bekannt, das eine Vielfalt von Vorbereitungsschritten im Voraus sah. Zuerst sollten die beiden Anfänger beharrlich gewisse Muskelfasern der Beine und Füße trainieren lassen. Der Lehrer zeigte die ersten Übungen, die seine Schüler mindestens zwanzigmal wiederholen sollten. Es war insgesamt vier Übungen, die eine Halbestunde dauerte. Dann sagte Phillipp, dass es für heute ausreichend war. Er erklärte, dass die physiologische Hygiene eine Überspannung der Muskeln verbietet, weil sonst die Krämpfe aufzutreten drohen. Nach den Übungen gingen die drei schwimmen. Bis zur Mittagszeit wechselten sie Sonnenbaden und Wasserabkühlung ab. Nach dem Mittagessen und eine stündige Ruhepause sammelten sich die fünf, um die Umgebung zu beaufsichtigen. Neben den wunderschönen örtlichen Landschaften fielen ihnen mehrere hiesigen Pflanzen in die Augen, die orchideenartigen Blumen besaßen, haben aber mit den Orchideen nicht zu tun. Vielleicht sollten sie später in einer Bibliothek das nicht hastige Recherchieren durch zu führen, denn die seltenen Einheimischen, die etwas davon wussten, nannten diese Pflanzen mit ihren örtlich beschränkten Namen, was kaum irgendwie helfen könnte. Die riesigen Felsen, die, wie fabelhaften natürlichen Gebäuden in die Höhe geworfen waren, machten den Eindruck des Schaffens eines himmlischen Entwicklers, der sich großzügig zu verhohlen vorzog. Die Anwesenheit in der Gesellschaft Herrn Wagner schien Mike freudig von selbst zu sein. Der Kerl sah die Umwelt mit ganz anderen Augen wie Mikes Eltern. Deswegen war es für Mike absolut nicht erstaunlich, dass er ungewöhnliche Häuser und Parkanlagen zu entwerfen fähig war. Er bewertete auch die Perle der Natur als ob sie einen konkreten Urheber haben sollten. Darüber hinaus zeigte er dem Teenager, welche kleinen Änderungen man zu machen vermöge, um einen noch bildhaften Effekt zu erreichen. Mike wusste noch nicht, welche weitere Kenntnisse er von ihm bekommen könnte, er zweifelte aber schon nicht, dass es erheblich seine Bildung ergänzen sollte. Dieses Vorgefühl entstand wahrscheinlich nicht zufällig, was die folgenden Begebenheiten zu bestätigen halfen. In einer Woche passierte etwas Ungünstiges mit Arno, der zuvor nicht nur einen großen Erfolg bei dem Surfunterricht genoss und mehrfach vom Lehrer gelobt worden war, sondern auch stark seinen Eigendünkel beförderte. Der Vater trainierte so gerne und selbstlos, dass er manchmal auch eine Welle von Zweimeter hoch auf dem Brett überstehen konnte. Und nun erwartete ihn ein verdrießliches Unglück. Er wachte wie üblich um acht Uhr morgens auf und war bereit, diesen Vormittag seine harten Übungen mit aller Mühe fortzusetzen. Plötzlich empfand er einen so durchdringenden Schmerz im Kreuz, dass sein Versuch, sich auf die Beine zu stellen, vergeblich sein sollte. Phillipp, der die Familie Knudsen zum Frühstück begleiten wollte, war sehr betrübt von dieser unangenehmen Nachricht. Er wollte gleich eine eilige Hilfe leisten und untersuchte zuerst die Quelle des Schmerzens. Er nannte es Hexenschuss, entschied aber darauf anders, weil der Vater neben dem Kreuz ein schneidendes Weh im Bein und Fuß habe. Solche Anzeichen, sagte er, eher auf ein Ischias hinweisen. Arno sollte sich unbedingt bei einem Orthopäden melden. Es wurde sofort die Verwaltung des Hotels zu Hilfe gerufen, die die gültigen Adresse und Telefonnummer des nächsten Facharztes gegeben habe. Wegen sprachlichen Schwierigkeiten übernahm eine Hotelangestellte die Aufgabe, den Arzt nach Hotel einzuladen und selbst als Dolmetscherin zu vermitteln. In wenigen Stunden war der Fachmann da. Er untersuchte den Kranken und empfahl zuerst eine Bettruhe sowie Schmerzmedikamente. So unerwartet wurde Mikes Papa statt einem Trainieren gezwungen, eine Krankheit zu kurieren. Dieser Umstand verbesserte aber noch die Verhältnisse des Jugendlichen mit Herrn Wagner. Jetzt verbrachten sie mehrere Stunden am Meer, indem der Schüler durch die neuen Übungen am Ufer und im Wasser seine Muskeln und Beine enorm verstärkte. Er stand immer länger am Brett und habe keine Angst, die ähnlichen Handlungen auch in Tiefe zu wiederholen. Nachmittags machten die beiden wohl die dreistündigen Spaziergänge und unterhielten sich über absolut unterschiedlichen Sachen. Was dem fünfzehnjährigen außergewöhnlich war, bezog auf die Art und Weise, wie Phillipp sich mit ihm benahm: Es sprach zu ihm so, als ob zwischen ihnen gar keinen Altersunterschied gab. Im Gegenteil konnte es von außen wie ein Gespräch zwischen zwei alten Freunden aussehen. Der Baumeister zeigte solche Aufrichtigkeit bei allen Themen, dass der Junge glücklich wäre, wenn er ihm etwas Gleiches zurückzugeben vermochte. Er war aber noch zu bescheiden, um sich solche Offenheit zu leisten. Die Umgangsform, die Phillipp mit ihm auswählte, schloss eine gewisse Beichte ein, indem er an dessen Jugendzeit erinnerte, also wenn er auch fünfzehn war. Dabei schien er der Überzeugung zu werden, dass alle gleichaltrige Kumpel (Mike machte sicher keine Ausnahme) die ähnlichen Neigungen und Verhaltensweise besaßen. Die allumfassende Treibkraft dieser Altersgruppe erwiesen Mädels, die einigermaßen dieselbe Zwecke verfolgen sollten wie die Jungs. Nach dieser nicht besonders komplizierten Philosophie bestand die kognitive Tätigkeit des starken Geschlechts darin, das geeignete Weibchen herauszufischen. Diese Aufgabe war kinderleicht aber nur von einer oberflächlichen Ansicht. Obwohl „the sex appeal“ die beiden Hälften der Jugend betraf, spielten einige weiblichen Teilnehmer ihre eigentümliche Rolle, die nicht selten den Partner in Verlegenheit bringen sollte, mehr nichts. Deswegen bedeutete die männliche Urteilskraft etwas prinzipiell anderes und zwar die Fähigkeit, „die Sache“ von dem Spiel zu unterscheiden. Folglich schilderte Philipp eine Reihe von Affären, die ihm gut gelangen, mit aller schlüpfrigen Ausführlichkeit. Der junge Knudsen dachte später darüber nach, wozu ein erwachsener Mann ihm alle solchen Lovestorys detailliert erzählte. Denn Herr Wagner gehörte zu Vertreter der flachen und verderbten Art zweifelsohne nicht. Schließlich kam ihm einen Gedanken in den Kopf, dass Phillipp dabei ein barmherziges und wohlwollendes Ziel verfolgte, ihn zu einem Leben der erwachsenen Menschen vorzubereiten. Dieses Gespräch war sicher erzieherisch gefärbt. Wer sonst könnte es mit ihm führen: Schullehrer, Eltern? Nein, keine von ihnen. Nur eine Person, die formell wie eine fremde vorgestellt werden könnte, passte gut zu dieser nützlichen Funktion. Es war eine kleine Entdeckung, die der Teenager für sich machte. Die forderte von ihm aber einen „Gegenzug“, der seine Dankbarkeit zeigen sollte. Diese gute Willen Antwort durfte aber nicht aus einfachen Worten wie „vielen Dank“ oder ähnlichen bestehen. Sie sollte seine Offenheit Phillipp gegenüber erweisen. Mit diesem Gedanken erzählte Mike am nächsten Nachmittag bei dem Spaziergang durch ein langes malerisches Tal seine eigene unglückliche Geschichte, die mit einer Schulschönheit verbunden worden war. Er sollte sich dafür vorläufig willensstark in eine besondere Stimmung bringen, um seine Schüchternheit zu unterdrücken. So begann er, als ob er daran nebenbei erinnerte: „Phillipp, ich hätte gerne, Ihnen etwas erzählen, was ich vielleicht nicht angemessen zu verstehen vermochte. Es gab in meinem Gymnasium aber in einer anderen Klasse ein Mädchen, das mir auf dem ersten Blick gefiel. Zuerst wollte ich das Gefühl aus meinem Bewusstsein ausrotten. Es gelang mir aber nicht. Ich grübelte wochenlang, was der Grund dafür war, und kam zum Schluss, dass es wegen seiner ungewöhnlichen Schöne passierte. Was sollte ich weitermachen, um meine Ruhe wieder zu erhalten? Die einzelne Chance sah ich darin, mich mit ihm bekanntmachen. Aber wie? Eine Auflösung sah ich in meinem Traum, wo ich ihm ein Stelldichein verabredete. Im Traum ereignete es sich sehr einfach, aber wie sollte es in der Tat aussehen. Kurz und gut begegnete ich es auf der Straße und sagte, dass ich ihm etwas Wichtiges mitteilen sollte. Das Mädchen antwortete sehr simpel: „Dann teil es mit“. Es stimmte aber meiner Absicht nicht überein. Deswegen sagte ich: „Nein, ich kann es nur dann machen, wenn wir zusammen irgendwo in Stadtpark spazieren gehen“. Es hatte nichts dagegen und ich lud es zu einer Begegnung ein. Wir trafen uns zusammen und nach einem Spaziergang ins Grüne schlug ich vor, in einem Café zu sitzen und eine Tasse Kaffee zu trinken. All diese Zeitspanne versuchte ich, meine Begleiterin mit etwas Lustigem zu zerstreuen. Sie reagierte aber ziemlich gleichgültig und zurückhaltend darauf. Im Café fasste ich schließlich den Entschluss, ihr meine Gefühle zu eröffnen. Erstaunt war sie davon auf keinen Fall, eher wartete sie von Anfang an darauf. Ich begleitete sie bis zum Ort, wo sie wohnte. Darauf dankte sie mir für alles, gab mir nach meiner Bitte ihre Telefonnummer und verabschiedete sich. Unser nächstes Treffen war auch das letzte. Nach einem kurzen Spaziergang bat sie sich um Verzeihung und bat mich, sie nicht mehr zu stören. Ich kapierte, dass ich wahrscheinlich keine geeignete Person für sie war. Gleichzeitig setzte ich diese Grübelei fort, ob ich irgendwelchen Fehler gemacht habe, der für ihre Trennung verantwortlich sein sollte“. Der Architekt hörte die Erzählung Mikes sehr aufmerksam an, ohne kleine Bemerkung oder Frage. Danach schwieg er einige Minuten, als ob er seine folgende Reaktion zuerst richtig abzuwiegen suchte. Als er aber das Wort ergriff, änderte sich etwas in dem Timbre seiner Stimme: „Im Grunde berührest du, Mike, sehr wichtige Fragen des männlichen Daseins, die leider nur wenige Vertreter unseres Geschlechts ernst aufzunehmen bereit sind. Die Mehrheit der Maskuline vorzieht, ihr Leben lang nach weiblicher Schönheit zu jagen. Wenn es in der Art von Don Juan vonstattengeht, finde ich es vernünftig und gerecht. Denn der große literarische Liebhaber und Ritter schätzte vor allem, seine unbeschränkte Freiheit unter möglichen Umständen zu bewahren. Seine edelhaften Prinzipien verlangten von ihm, auch seine auserwählte (unabhängig davon, auf welche Zeitspanne) hoch verehren. Er war dabei der Überzeugung, dass sie ebenfalls die ähnliche Freiheit genießen sollte. Deswegen waren ihm absolut fremd die Intrigen, Ränke, Überwachungen und gleiche Scheiße. Er erkannte nur solche Art der Liebe an, die vom Herz kam. Wenn wir von ihm zu seinem realen Antipoden übergehen, müssen wir feststellen, dass der letzte sich durch die hohen sittlichen Eigenschaften unterscheidet. Im Gegenteil benutzt er nicht selten das schmutzige Mittel, um sein Ziel zu erreichen. Heimtückische Handlungen sind seine Lieblingsmethode, um den Gegenstand seiner Begierde bei sich zu bewahren. Er zahlt hohe Preise dazu, die schöne Frau zum Bleiben zu veranlassen. Und ein schönes Weib ähnelt einigermaßen an einem Edelstein, der allerdings keine Ahnung haben könnte, wie kostbar er ist. Im Unterschied zu ihm kapiert eine Frau, dass sie hübsch ist, sowie dass die weibliche Anziehungskraft kostspielig sein sollte. Sie versteht aber nicht, wie hoch das Niveau dieser Kostspieligkeit werden könnte. Noch komplizierter weist sich solcher Fall bei einem jungen Mädchen auf, das nur eine erhebliche Aufmerksamkeit zu seiner Person zu beobachten weiß. Das männliche innere Verlangen, eine schöne Frau bei sich für ewig zu besitzen, kann man mit dem Gefühl vergleichen, einen sehr teuren Edelstein, etwa ein riesiger Brillant, zu haben. Solcher Besitz bringt leider nur selten ein Glück mit, viel häufiger passiert irgendwas Gegenständiges und der Betroffene verliert nicht nur den Schatz, sondern auch das Leben. Die ganze Belletristik ist voll davon. Man ist aber nicht imstande, diese Welterfahrung auf sich anzuwenden. Als Beweis kann ich das Leben der schönsten Hollywoodstars oder weltberühmten Models anführen, das nur selten wirklich glücklich wird. Nun kehren wir zu deinem Fall zurück. Du sollst ursprünglich kapieren, dass deine Schöne nicht nur bei dir, sondern bei dutzenden anderen Burschen die ähnlichen Gefühle erregen könnte. Das heißt, sie habe eine große Auswahl von Jugendlichen und Männern, was sie sehr wählerisch macht. Lassen wir uns nun ein Bisschen träumen: Du hast eine Liebe deines Lebens gefunden. Nun wird es dein Ziel, sie zu heiraten. Stellen wir uns weiter vor, dass es dir gelingt. Du liebst sehr deine Frau und sie dich auch. Das Problem mit euch beiden soll darin bestehen, dass sie weiter in einer Gesellschaft leben, wo deine Frau als eine Schönheit allerseits sehr beliebt verbleibt. Und eine Frau mit solcher Anziehungskraft wird nicht lange imstande sein, den ständigen Einfluss des starken Geschlechts absichtlich zu übersehen. Dieser Umstand führt dazu, dass sie dir untreu wird. Ob du das zu dulden vermöge, hängt von deinem Charakter und deiner Mentalität ab. Es gibt Männer, die solche „Kleinigkeiten“ nicht zu bemerken versuchen. Die Mehrheit reagiert allerdings gefühlsmäßig oder sogar streng gewaltig. Es bringt aber nichts. Eine Affäre mit der Schönheit erweist etwas anderes als ein Familienleben mit ihr. Deswegen musst du dir Rechenschaft darüber ablegen, dass deine Liebe dir eine enorme Heimsuchung mitzubringen fähig wird“. Der Baumeister schwieg und sein junger Freund kuckte auf ihn mit den dankbaren Augen, denn es war ein unschätzbarer sittlicher Unterricht, die er von keinen anderen bekommen könnte. Diese „Sommerschule“ dauerte noch zwei Tagen, weil der Vater allmählich mit den starken Arzneien die Krankheit zu überwältigen vermochte, um wieder am Strand zu liegen und zu baden. Noch in eine Woche flogen sie alle fünf gesund und gutgelaunt zurück nach Hause.
Diese Freundschaft mit Herrn Wagner setzte sich noch viele Jahre fort, obwohl Phillipp während dieser Zeit mehrere Freundinnen wechselte. Mikes Mutter Eva war aber alle Jahre mit Heike befreundet, die häufig bei ihr zu Gast war. Heike arbeitete als eine Journalistin bei einer Umweltzeitschrift. Sie erzählte oft die aktuelle ökologische Lage in unterschiedlichen Regionen der Erde, die das Leben von Millionen Menschen kosten könnten. So passierte es, z.B. mit den kleinsten Inselstaaten im pazifischen Ozean, die im Mittel knapp auf zwei Meter über dem Meeresspiegel liegen und deren Existenz bereits bei einem mäßigen Meeresspiegelanstieg von ca. ein Meter lebensbedrohlich gefährdet wird. Es bedeutete, dass die großen Industrienationen immer bereit sein sollten, einige Millionen Menschen zu sich einwandern zu lassen. Nach der Maltareise konnte Mike Knudsen viele Schwierigkeiten des Insellebens realistisch begreifen. Er betrachtete schon die Welle von drei Meter hoch und konnte sich auch die tödliche Zehnmeterwelle darstellen. Er diskutierte die möglichen Folgen solcher Naturgewalt mit Phillipp Wagner, der behauptete, dass es keine Chance fürs Überleben der Bevölkerung gab. Der Teenager fragte damals, ob es sinnvoll wäre, auf diesen Inseln den vielstöckigen Gebäuden aufzubauen. Der Architekt antwortete, dass es wegen der seismischen Aktivität der kleinen Inseln sehr gefährlich sein sollte. Also die vollständige Übersiedlung der Einwohner war die einzelne Möglichkeit, ihr Leben zu retten. Mike war zurzeit nah, sein Abitur zu machen, und einen interessanten Beruf sich auszuwählen. Er sprach mit den Vertretern verschiedener Fachgebiete und besuchte mehrere Tage der offenen Türe. Es gab eine Reihe der begeisterten Sachkundigen, die ihre Richtung in märchenhaften Farben zu beschreiben wussten. Es war wunderschön, sie anhören zu dürfen. Es gab allerdings einen Haken dabei, den man nicht übersehen sollte, dass ihre Euphorie eher einer persönlichen Art war und weit nicht für alle jungen Leute passte. Anders ausgedrückt blieb der innere Kammerton den einzigen Prüfstein für das künftige Berufsleben. Im Großen und Ganzen wollte er sich mit der Wissenschaft beschäftigen. Doch die dürre Theorie lockte ihn nicht besonders stark an. Umwelt- und Klimaschutz vereinte dagegen in guten Verhältnissen theoretische und praktische Studien, was einen Raum für das Manövrieren übrigließ. Am liebsten wäre es vielleicht das Studium an den Umweltwissenschaften auszuwählen. Zahlreiche langen Unterhaltungen mit mehreren Sachkundigen aus diesem Bereich ließen dem Abiturienten eine ganz nützliche Schlussfolgerung ziehen: Alle diesen ehrenwürdigen Personen waren ohne Ausnahme leidenschaftlich begeisterte Menschen, die seit zwanzig (oder noch mehr) Jahren diese Beschaffenheit nicht verloren haben. Da sein Vater Arno, Herr Wagner und andere bekannten männlichen Erwachsene der Meinung waren, dass der Beruf für einen Mann die lebensbedeutende Sache sei, sollte eine passende Auswahl der künftigen Tätigkeit eine entscheidende Rolle auch für ihn selbst spielen. Seine Mutti Eva ergänzte diese maßgebende Aussage mit dem weisen Satz, dass eine uninteressante Arbeit leisten zu müssen ähnelte daran, mit einer unbeliebten Frau zu leben. Es war eine überzeugungskräftige Ergänzung. Deswegen sah auch Mike seine Zukunft darin, ein anlockendes Fachgebiet herauszufinden und alle persönlichen Kräfte in dieses Gebiet einzulegen. Ihm war es auch völlig klargeworden, dass die Wissenschaft immer komplizierter werden sollte. Sie brauchte sowohl eine riesige geistige als auch physische Energie, die man aus irgendwelcher Quelle schöpfen musste. Wenn die physische Fitness durch das Sporttreiben auf dem notwendigen Niveau aufzubewahren möglich war (Mike selbst vorzog nun Radfahren und Surfing), sollten für die geistige Vollkommenheit gewisse Kunstarten sorgen. Er spielte seit Kindheit Klavier, obwohl er die letzte Zeit keine Halbestunde dafür hatte, stand das Instrument immer zur Verfügung. Es war sozusagen das erste Standbein der kreativen Kunst. Das zweite war sein Zeichnen Hobby, das er seit einigen Jahren mithilfe eines talentierten Malers praktizierte. Zwei Zerstreuungsarten – Radfahren und Zeichnen waren besonders gut geeignet, weil man ein Radsimulator sogar neben seinem Arbeitsplatz haben könnte. Das ähnliche bezog auch auf das Zeichnen, das man inzwischen zu machen wusste. Die letzten Spannungen, die mit den Abiturprüfungen verbunden waren, konnte man vielleicht mit dem Finale der Olympischen Spielen vergleichen, wo jeder um sich allein bangt, zittert aber enorm zusammen mit allen anderen. Wertvolle Punkte, die komplizierterweise auf die Berechnung der Gesamtqualifikation beeinflussen sollten, bestimmten die Gesamtnote, die schließlich noch mehrere Jahre den Betroffenen begleiten müssen. Sind sie tatsächlich für den hochgebildeten Forscher, Techniker oder Mediziner so wichtig? Es gibt jedenfalls einen solchen Eindruck. Trotzdem waren Mikes Bemühungen nicht umsonst, und die Gesamtnote 1,3 wurde ein ernster Beweis dafür.
Nun war er wirklich in der Lage, selbst die Ausbildungsstelle aus zu wählen. Diese ganz angenehme Begleiterscheinung begünstigte den nächsten Entschluss, sich bei der Fakultät der Biowissenschaften der Universität Heidelberg zu bewerben. Später könnte er die erwünschte Einrichtung der Biodiversität/Evolution und Ökologie eintreten versuchen. Seine Eifrigkeit während der ersten drei Semester wurde bestimmt dadurch belohnt, dass er nicht allein die guten Prüfungsnoten bekam, sondern mit den führenden Professoren der Fakultät kontaktierte, die ihn gut zu beraten vermochten. Allerdings versteckte sich das höchste Geheimnis der erfolgreichen wissenschaftlichen Karriere eher in ziemlich einfachen Voraussetzungen, wie es ihm z.B. einer von ihnen erklärte. Professor Paul Burmeister, ein großer, hagerer Kerl Mitte Fünfziger mit einer auffallenden grauen Haarpracht, tiefliegenden dunkelgrauen Augen und belebten Gesichtszügen, schien mit Mike immer offen zu reden. „Meine bescheidene Erfahrung in der Forschung“, sagte er einmal zu ihm, „lässt bestätigen, dass das Rätsel vieler wissenschaftlichen Errungenschaften aus der Selbstlosigkeit und Zurückgezogenheit vorkommt und mehrere meine Kollegen sind solidarisch mit mir. Das Geschwätz, dass man anscheinend mit allen Sachen, seien sie Sport, Vergnügen, Mädels usw. zurechtkommen könnte, entspricht nicht der Wahrheit. Ich weiß nicht, wie es in anderen Fachgebieten vonstattengeht, aber in den Naturwissenschaften ist es unwahrscheinlich, all diesen Nonsens zu vereinen. Deswegen hätte ich Ihnen eher empfehlen, gerade Ihre Forschungsarbeit zu beginnen, um etwas richtig Bedeutsames zu erreichen. Die Forschung muss opferbereit werden. Zu solchen Opfern zähle ich auch die Leistung ohne Entgelt, was heutzutage gar nicht populär ist.
Vielleich sehe ich ganz altmodisch aus, doch ich bin der Auffassung, dass man die grundlegenden Prinzipien der Wissenschaft nicht ändern sollte. Ein davon besagt, dass der Forscher gönnerhaft und barmherzig sein sollte“. Diese Worte von Burmeister prägten sich tief in seine Seele ein. Es war etwas Neues für Mike, der zuvor andere Eigenschaften für wichtig in der Forschung anerkennen sollte. Im Grunde war er einverstanden, dass die Zielstrebigkeit, der Fleiß, die Ehrlichkeit die Persönlichkeit des Gelehrten bestimmen sollten. außerdem war er überzeugt, dass die Gemütsbewegungen eher schädlich für dieses unparteiische Gebiet werden könnten. Und nun hörte er aus dem Mund des Lehrers, den er hoch verehrte, an, dass die Qualität, die er den Geistlichen zuschreiben sollte, auch dem Forscher gut passte. Andererseits war Herr Professor ein sehr einsichtiger Mensch, dem er vertrauen sollte. Gewiss war die Naturwissenschaft alt genug, um ihre eigentümlichen Vorzüge aufrechtzuerhalten. Und er, Mike Knudsen, als ein Jungmann, musste sich den allgemeinen Forderungen der Wissenschaft unterwerfen. Um ehrlich zu sein, dachte der Student nicht früher darüber nach, dass er statt einer geradlinigen Lebensbahn über die verworrenen sittlichen Sachen philosophieren wird. Es war sicher eine fremde Tätigkeit, die er fröhlich an andere zu übergeben vorziehe. Jetzt wurde es ihm für das erste Mal verständlich, dass man nicht imstande war, alle unangenehmen moralischen Fragen zu vermeiden. Denn sie waren ein unentbehrlicher Bestandteil von ihm selbst wie seine Jeans oder T-Shirt, die er in einem schweren Augenblick jeden anderen nicht anzuziehen vermöge. Anders ausgedrückt konnte ihn die erhabene Wissenschaft von allgemeinen menschlichen Pflichten und Verantwortung nicht befreien. Wenn er als Student irgendwelche Nachsicht genießen durfte, konnte solche kostbare Begünstigung in naher Zukunft spurlos verschwinden. So habe Professor Burmeister Recht, dass er als eine angemessene Aufgabe seine entgeltlose Beteiligung an einem Forschungsprojekt beantragen sollte. Es wäre eine gute Möglichkeit, sich eine Prüfung auf Beständigkeit und Begabung zu machen. Mit diesem Gedanken bot Mike Herrn Professor Burmeister seine Hilfe bei den laufenden Vorhaben an. Der Gelehrte begrüßte herzlich diese, wie er sagte, mutige Entscheidung, sagte aber Bescheid, dass der junge Kollege erste sechs Monate fast ausschließlich mit schwerer und zur Unterstützung dienender Arbeit beschäftigt wird. Damit war der Student vollkommen einverstanden gewesen. Einigermaßen war es ein freiwilliges Gelöbnis des Verzichts auf viele schönen Sachen, die die Jugend sich zu leisten fähig war. Die nahe Umgebung einschließlich seiner Eltern und Studienkameraden konnte kaum diesen Schritt begreifen. Er sollte diese Reaktion vielleicht im Voraus vermuten und überhaupt keinen Ärger darüber bekommen. Allerdings war ihm der Zustand des Unverständnisses sehr unangenehm, denn er wollte auf keinen Fall den Weg des Einsiedlers auswählen. Nichtdestotrotz traf er schon die endgültige Entscheidung und es gab nun keine Rückkehr mehr. Diese Zeitspanne dachte er oft darüber nach, wie empfindlich die menschlichen Verhältnisse sein könnten. Manchmal war es einen Satz oder eine unvorsichtige Handlung ausreichend, um freundliche Kontakte unwiederbringlich zu zerreißen. Natürlich betraf es weit nicht alle Menschen. Es gab eine Vielfalt seiner Bekannten, die sogar eine offene Beleidigung leicht zu ertragen bereit waren, oder genauer ausgedrückt, sie fühlten sich enorm beleidigt, zeigten diese Gefühle aber nicht. Aber er meinte momentan ganz gegenteilige Personen, die anscheinend aus einer Mücke einen Elefanten zu machen wissen. Was sollte im Kopf solcher Menschen passieren? Waren sie in der Tat überempfindlich oder nutzten sie eher absichtlich jeden ungünstigen Spruch, um ihre eigenen Vorteile zu gewinnen. Seltsamerweise litten davon vor allem ehrenwürdige Individuen, die mit ihrer harten Arbeit so leidenschaftlich entbrennt waren, dass sie gelegentlich etwas Unwillkürliches zum Ausdruck zu bringen vermochten.
Die Besonderheit der genannten überempfindlichen Menschen bestand darin, dass sie die Eigenartigkeit von anderen nicht zu achten suchten. Wie Martin Luther mehrfach wiederholte, „sehen einige im eigenen Auge nicht den Balken, aber den Splitter im fremden“. Auf jeden Fall durfte Mike sich unbedingt nicht ärgerlich über seine Mitmenschen sein. Denn sonst verletzte er die sittlichen Regeln, die ihm Burmeister inständig vorschrieb. Und er war schon innerlich vorbereitet, in einem quasi heiligen Klima der Wissenschaft zu arbeiten und sein Glück zu suchen. Der vage Begriff des Glücks, das eine Reihe von Definitionen genoss, besaß in der Tat irgendwas aus dem Jenseits. Die Begegnung mit ihm konnte in dem nächsten Augenblick stattfinden, konnte aber auf sich ein ganzes Leben warten. Es machte gewisse Anspielungen auf sich, ließ aber kein Spüren übrig. Es war doch nicht ausgeschlossen, dass es mit den Burmeisters Regeln verknüpft worden war. Dann würde man in der Lage sein, alle Einschränkungen, die ihm auf dem Weg zum Erfolg begleiteten, unweigerlich recht zu fertigen. Man konnte selbstverständlich auch den ganzen Weg gar ohne Erfolg vorstellen. Doch die Seele, die das Wesen der menschlichen Natur bestimmte, erhob einen massiven Einspruch dagegen. Sie glaubte aufrichtig daran und duldete keinen Zweifel. Das Thema, mit dem sich Professor Burmeister und seine Mitarbeiter beschäftigten, war großartig und allumfassend, weil es rief die Frage des Überlebens der Menschheit, Tieren und Pflanzen hervor. Hunderte biologischen Arten starben jährlich aus, da die Lebensbedingungen, in denen sie zu existieren suchten, nicht deren Stoffwechsel entsprachen. Mehr davon zwang sie die Ökologie nicht selten, die angewöhnte Regionen der Erde zu verlassen und zu wandern in der Hoffnung, etwas Günstigeres heraus zu finden. Häufig beendete diese unglückliche Wanderung tragisch, indem die absolute Mehrheit der Population sterben musste. Grundsätzlich sorgte der Genotyp für die ewige Beständigkeit der gegebenen Art, der allerdings nicht zu allen äußeren Umständen zu passen vermochte. Es war die Hauptursache des vollständigen Untergangs der riesigen Tiere wie Dinosaurus oder Mammut. Gleichzeitig sollte die Ökologie die notwendigen Mutationen fördern, das heißt solche Veränderungen des Erbguts, die das Anpassungsvermögen des Organismus zur Umwelt stark vergrößert mussten. Die ursprünglichen irdischen Verhältnisse setzten unbedingt nicht eine gigantische Entwicklung der modernen Zivilisation, der Industrie und Landwirtschaft mit Kernenergie und Atombomben voraus, die für Millionen biologischen Arten zur tödlichen Heimsuchung umwandeln könnten. Im Großen und Ganzen stellten sich Burmeister samt Kollegen eine sehr schwere Aufgabe – diesem Vorgang des Artenaussterbens den Garaus zu machen. Um solche unerreichbare Hoffnung näher zu bringen, benötigten die Fachleute, ein objektives Bild von abertausenden Arten weltweit zu bekommen. Es wäre eine umfangreiche und kaum realisierbare Arbeit, die man eher nur auswahlweise schaffen könnte. Das Problem verstärkte sich dadurch, dass mehrere Arten sich zu übersiedeln vermochten. Mit anderen Worten sie verschwinden vollkommen aus dem Gebiet ihres früheren Habitats und tauchen ganz unerwartet in einem anderen Ort der Erde auf. Was könnte die wissenschaftliche Gemeinschaft der Welt gegen das Arten Verschwinden unternehmen? Eine globale Untersuchung des Themas mittels zahlreichen internationalen Forschungsteams war enorm wegen Finanzierungsknappheit beschränkt. Die jährlichen großen Veranstaltungen und Tagungen waren bestimmt nicht in der Lage, alle komplizierten Fragen aufzulösen. Es wurde von dem Arbeitsbereich Professors Burmeister eine effiziente Methode der Bioindikatoren vorgeschlagen. Die Hauptidee dieses Verfahrens bestand darin, einige Organismen als eine Probe der ökologischen Verträglichkeit anzuwenden. Es gibt in allen Klassen der Tiere und Pflanzen solche Arten, die man zu empfindlichsten der Umwelt gegenüberzählen sollte. Wenn sie leiden, was ein Sachkundige mithilfe verschiedener äußerlichen Merkmalen oder Verhaltensweise erkennen kann, bedeutet dieser Umstand, dass es auch für die weniger empfindlichen bald gefährlich sein könnte. Man musste dringend, bestimmte Umwelt schützenden Maßnahmen veranstalten, um die große Katastrophe zu vermeiden. Außerdem errichteten Konstrukteure nach Pauls Entwurf eine leistungsfähige Versuchsanlage auf dem Universitätsgelände, wo man künstlich die benötigten ökologischen Bedingungen zu modellieren befähigte.
Diese Anlage brauchte ständig zusätzliche Hilfsarbeiter. Deswegen war auch Mike ständig hoch gefragt. Man konnte aber nicht behaupten, dass es nur eine Kraft erschöpfende Arbeit war. Für einen nachdenklichen Kerl (zu dem junger Knudsen unbedingt zählte) eröffnete allein der langfristige Verbleib in der Anlage die gute Möglichkeit, sich mit der eigenartigen Ausrüstung sowie mit der modernen Technologie bekanntzumachen. So war Mike schon nach wenigen Monaten davon völlig zufrieden, dass er sich viele rätselhaften Prozesse des biologischen Experiments absolut klarmachte. Im Prinzip konnte er selbst, mehrere von ihnen ohne fremde Hilfe durchführen. Er beobachtete auch verstohlen, wie die wissenschaftlichen Mitarbeiter die klugen Geräte programmieren ließen. Es war eine besondere Tätigkeit, die man allerdings nicht wegzudenken wusste. Schon nach einem Jahr war der Student nicht nur sehr dankbar Herrn Professor, sondern er war einverstanden mit allen dessen Lebensprinzipien. Ihm schien es einfach lächerlich, dass jemand auf eine entgeltlose Arbeit in dem Labor verzichten könnte. Im Gegenteil war er davon überzeugt, dass man für diesen eigentümlichen Lehrgang selbst bezahlen musste. Denn es war eine kostbare Forschungserfahrung, die man sonst nirgendwo zu kriegen vermochte.
Auch die Tugendhaftigkeit, die Paul tagtäglich mit eigenem Beispiel propagierte, schien Mike sehr einsichtig zu sein. Für die selbstsüchtigen Individuen war es eine unzulässige Verschwendung, jemandem, ohne eine Gegenleistung beizutragen. Manchmal betrachteten sie gleichgültig, wie ein unerfahrener Nachbar oder Mitarbeiter einen Fehler nach dem anderen machte, um da-nach eine hoch bezahlte Mitwirkung vorzustellen. Sie sahen darin eine Offenbarung ihrer Vernunft und Auffassungsgabe. Nun verstand Mike in ihrer Handlung eher eine Kurzsichtigkeit und seelische Armut. Jetzt zwei-felte er nicht mehr daran, dass sie eines Tages in große Verlegenheit gebracht werden sollten und keine ihnen zu Hilfe komme. Diese klare Schlussfolgerung ging auch von Pauls Regeln aus und sollte der Wahrheit entsprechen. Seit seiner frühen Teenagerjahren schwor sich Mike, alle Eigenrede vollkommen offenherzig zu führen. Für ihn war es nicht besonders anstrengend gewesen. Mit Jahren änderte sich diese private Sache dadurch, dass ihm die Gespräche mit seiner inneren Stimme nicht ausreichend werden sollten. Er benötigte immer mehr einen äußeren Richter, der seinen Ansichten einem unabhängigen Urteil aussprechen könnte. Er unterhielt gelegentlich mit seinen Kommilitonen, die ihn gewöhnlich nicht gut verstehen konnten. Der weibliche Anteil seiner Gruppe zeigte von Anfang an ein erhobenes Interesse für seine Person, so dass seine Feinfühligkeit von ihm eine entsprechende Gegenseitigkeit verlangte. Der Umgang mit ihnen ließ ihm, mehrfach die Äußerungen von Phillipp Wagner praktisch überprüfen. Sonst nutzte er geschickt die Unterhaltung, um gewisse moralischen Aspekte der weiblichen Seele genauer formulieren zu können. Die jungen Frauen vertraten aber üblich andere Ansichten.
Diese ziemlich kurzen Beziehungen forderten aber viel Zeit und Energie, was ihn schließlich überzeugen sollte, dass Pauls Regeln auch in Bezug auf das schöne Geschlecht richtig waren. Die Wissenschaft war ein solch weibliches Wesen, das keine Nebenbuhlerin duldete. Und eine echte Treue ihr gegenüber sollte wahrscheinlich in ferner Zukunft gut belohnt werden. Die Hauptsache dabei war, nicht darüber zu denken und machen das, was man machen musste. Einigermassen waren Pauls Regeln eine Quasireligion, die ausschließlich Glaubensgenossen vereinen sollte. Solche Genossenschaft erinnerte sich eher an einem alten heimlichen Rittersorden, dessen Mitglieder wichtige Funktionen der globalen Forschung zu erfüllen vermochten. Eine Umgestaltung der Wissenschaft dieser Art wäre vielleicht ganz sinnvoll, sie sollte aber eine Gattung der Utopie aufweisen, die unter realen Bedingungen lebensunfähig sein sollte. Denn die Mehrheit der Gelehrten war Atheisten, die zu keinem Rittersorden passten. Dieser ungünstige Umstand schloss aber nicht die Existenz einer kleinen Gruppe aus, z.B. des Arbeitsbereichs Professors Burmeister, wo seine Regeln längst aufrechterhalten werden konnten. In Wissenschaft nannte man solche Abweichungen von dem allgemeinen Zustand Fluktuation, die im Prinzip ziemlich beständig und langlebig sein könnte. Also schloss sich Mike Knudsen einer Fluktuation oder einem Ritterorden an mit der Hoffnung, dass solche eher künstliche Gemeinschaft eine Zeitspanne zu existieren versprach. Als eine verbindende Komponente nutzte sie vorwiegend die leidenschaftliche Begeisterung der Mitarbeiter, mehr nichts.
Merkwürdigerweise erwies sich der Arbeitsplatz, wo diese Forschung stattfand, ein nahes Modell solcher Utopie, weil der Versuchsanlage keine festgelegte Errichtung, sondern eine Nachahmung gewesen sein sollte. Sie war imstande, eine beliebige ökologische Situation von jedem Ort der Erde wiederherzustellen. In diesem Sinne war sie ein Labor der Zukunft, wo man nach der aktuellen Botschaft über die ungünstige Lage in einer Region die gleichen Bedingungen im Labor schaffen könnte. Die Fähigkeit dieser Anlage war praktisch unbeschränkt, denn man war imstande, ständig moderne Geräte und Computerprogramme einzusetzen sowie die gekünstelten Forschungsmethoden zu vervollkommnen. Man verfolgte dabei die höhen humanistischen Zwecke, was ihn unbedingt das Gefühl der Selbstachtung zufügte. Mike selbst empfand sich als einem abgeschlossenen Einsiedler. Er war aber seltsamerweise absolut glücklich davon. Es war ein Paradoxon, das zugleich wahre und falsche Aussage zu vereinen schien. Die Geschichte des pflanzlichen Artenschutzes begann mit der Entdeckung des Verschwindens einigen weit verbreiteten früher Pflanzen.
Als erschwerende Faktoren bemerkte man später mehrere Namen für gleichen Arten, was vor allem wegen der einheimischen Bezeichnungen zustande kamen. Sogar unter verwandten indianischen Stämmen gab es einen deutlichen Namensunterschied für die eine und dieselbe Pflanze. Zugleich waren viele Arten zuerst nur den Indianern oder anderen natürlichen Völker bekannt. Es bedeutete, dass vor einer Forschungsarbeit brauchte man eine einheitliche und genaue Taxation, die nur die moderngebildeten Botaniker vollzuziehen fähig waren. Das Team von Paul Burmeister schloss erfahrene Sachkundigen sowohl Botaniker als auch Zoologen, weil es für eine Person unmöglich wäre, gleichgroße Kenntnisse in Tier- und Pflanzenwelt zu besitzen. Ökologen durften dagegen, nur allgenmeine Kenntnisse in beiden Reichen besitzen, um sich für die präzise Auskunft an die Fachleute zu wenden. Die Anhänger Pauls vertraten die Ansicht, dass jede Art eine konkrete Vorbestimmung haben könnte. Als ein Beweis dafür führten sie die Tatsache an, dass mehrere Pflanzenarten gegen eine oder andere Krankheit heilende Wirkung haben konnten. Einerseits war es ein ordentliches Argument für einen beharrlichen Schutz jeder Art, andererseits bestätigte es das Recht jedes Organismus, auch in Zukunft weiter zu leben und gedeihen.
Die Opponenten dieser Ansicht waren der Auffassung, dass die unvermeidliche Änderung der Umwelt durch klimatische Faktoren und menschliche Aktivität immer größere Voraussetzungen für die Mutationen beschaffen sollte, die eine scharfe Bedrohung der Unversehrtheit der Art erweist. Obwohl dieses Problem nur die Genetiker sachkundig aufzuklären wussten, war es auch für viele gebildeten verständlich, dass je „einfacher“ der Organismus von der Natur konstruiert worden war, desto weniger seine Chance war, Jahrhunderte seine eigentümlichen Merkmale aufrecht zu erhalten. Bei komplizierten Wesen könnten die Mutationen zu schweren Krankheiten bringen, die Beständigkeit der Art blieb aber erhalten. Für Mike persönlich waren solche Überlegungen eine belebende Quelle der Spannkraft und Euphorie, indem er die Richtigkeit der Berufsauswahl bestätigen konnte. Sonst gefiel ihm den Prozess der Untersuchung, der in die ferne Zukunft gerichtet worden war, viel mehr als irgendwelche Ergebnisse, die man später zu befestigen oder widerzulegen vermochte. Sein Ziel heiligte nicht die Mittel, weil er außer Forschung keine Ziele verfolgte. Mit anderen Worten war er dankbar dem Schicksal für alles, was es ihm vorbereitet habe. Das Übrige hing einigermaßen von ihm selbst ab.
Bei anderen Mitmenschen war das Geschick weit nicht so unbekümmert. Sein Vater Arno erzählte ihm über dessen Kollegen namens Bernd Krüger, der vor kurzem in eine ernste finanzielle Lage geraten worden war. Alles mit Bernd ereignete sich wie nach einem abscheulichen Szenario, obwohl es nichts Schlimmes verkünden konnte. Im Gegenteil wurde er geschäftlich so stark gefördert, dass sein Einkommen von einem Tag auf den anderen fast verdoppelt worden war. Er war in der Tat zum Leiter der großen Abteilung ernannt. Diese Begebenheit sollte auch für seine Familie, das heißt seine Frau und zwei jugendliche Söhne, materiell viel bedeuten. So verliehe ihm eine Bank mit einem günstigen Zinssatz eine Summe für den Erwerb des privaten Hauses und eines teuren Wagens. Das Leben allen vier wurde in etwas wirklich Luxuriöses umgestaltet. Sie konnten sich damals fast alles Gewünschtes leisten. Diese Situation dauerte ca. sieben Jahre, während deren die Kinder ihr Abitur gemacht hatten und bei einer privaten Universität im Ausland ihre Ausbildung zu beginnen erfolgten. Plötzlich war ein grober Fehlschlag bei einem Abteilungsmitarbeiter festgestellt, was den Ruf des ganzen Unternehmens untergraben konnte. Die einzelne Variante, irgendwie die Verlegenheit zu entgehen, sah die Obrigkeit darin, den Abteilungsleiter fristlos zu entlassen. Bernd konnte alle sonstigen Varianten seiner folgenden Karriere vorstellen, nicht aber diese. Denn er plante die nächste Zeitspanne, eine riesige Tilgung von gesamten Schulden zu unternehmen. Jetzt sollte diese Pläne völlig zerstört werden. Gerade im Augenblick als die Söhne von ihm große Lehrgelder sowie Wohnungsmieter-Bezahlung erwarteten. Zugleich wurde er zahlungsunfähig, um einen neuen Kredit aufzunehmen. Von diesen unerbittlichen Umständen gepresst, suchte er wie ein Besessener nach jenem schwachen Schimmer von Hoffnung. Unter anderen sprach er zufällig mit einem Mitarbeiter des Instituts, das große technischen Entwurfe bearbeitete. Der Kerl zeigte sich bereit, Herr Krüger mit der Institutsleitung bekannt zu machen. Der erfüllte in der Tat sein Versprechen. Bernd war diese Zeit wahrscheinlich enorm erregt gewesen. Auf jeden Fall sah er das offenbar vergrößerte Interesse der Verwaltung zu ihm über. Es wurde momentan eine kleine Besprechung mit Essen und Getränken organisiert, wo ihm die vier Kollegen vorgestellt worden waren. Fernerhin wurde Bernd nach seiner professionellen Qualifikation und dem Werdegang gefragt. Der Gast versuchte beharrlich, einen guten Eindruck über sich zu schinden, was ihm anscheinend gut gelang.
Dann erzählten ihm die Gastgeber über ihre jüngsten Projekte. Sie wollte wissen, ob dieses Thema dem Gast vertraulich war, und er zeigte mit einer ausdrückenden Äußerung, dass es der Fall war. Darauf konnte er eine beruhigende Beteuerung anhören, dass die genannten Projekte mangelfrei gefertigt worden waren. Nun brauchten die Projektautoren die würdigen Gutachter, die eine sachkundige Bewertung schreiben könnten. Sie nannten dabei die Geldbelohnung, die der Gutachter dafür bekommen sollte. Es war gerade, was Bernd im Moment benötigte. Deswegen sagte er gleich sein Einverständnis aus. Im Grunde könnte es ein verhängnisvoller Fehler werden. Doch er habe augenblicklich keine andere Wahl, um seine zahlreichen Probleme mit einem Schlag aufzulösen. Die verehrten Männer des Vorstandes versicherten ihn nochmals, dass er dabei kein Risiko auf seine Schultern zu nehmen wagt. Er schrieb das Gutachten unter, bekam in wenigen Tagen die versprochene Summe auf sein Konto und glich vollständig seine aktuellen Schulden aus. Und wieder war er für mehrere Monate wohlbehalten und beruhigt. Eine echte Katastrophe ereignete sich nach elf Monaten, als die errichtete Anlage nach fünf Monaten völlig einwandfreier Leistung an einer Stelle zusammengebrochen worden war, was zwei Mitarbeiter das Leben kostete. Dem Gerede zufolge gab es dabei einen Exploitation Fehler vorhanden. Allerdings stellte die Untersuchungskommission zusammenfassend fest, dass das kummervolle Unglück auf einen Konstruktionsmangel zurückging. Selbstverständlich war diese Version für die Obrigkeit der Fabrik die günstigste Variante. Deswegen blieb es nicht ausgeschlossen, dass die Stellungnahme der Kommission mithilfe des Schmiergeldes korrigiert worden war. Bekannt wurde nur, dass der Gutachter des Vorhabens, also Bernd Krüger dafür beschuldigt und gerichtlich belangt worden war. Danach wurde zu drei Jahre ohne Bewährung verurteilt. Man konnte schauderhaft vorstellen, welche Tragödie es für die ganze Familie bedeutete.
Der zweite Fall war mit dem Vater eines Schulkamerades Mikes, Jörg Hellwig, namens Timo, verbunden, der ein Arzt für Allgemeinmedizin und Chefarzt eines großen Krankenhauses war. Timo bekleidete dieses Amt über ein Jahrzehnt ohne ungünstige Zwischenfälle. Es dauerte bis in der Abteilung der Onkologie ein 52-jähriger Patient auftauchte, der unterschiedliche Heilmethoden inklusiv Strahlungs- und Chemotherapie hinter sich hatte, leider alle ohne gutes Ergebnis. Die Fachleute der Abteilung versuchten, die Verfahren der Schulmedizin verschiedenartig zu gestalten. Diese Maßnahmen brachten dem Kranken eine Besserung der Lebensqualität, wirkten aber kaum auf die Fortsetzung der Erkrankung. Timo betrachtete den armen auch aufmerksam und gab den Kollegen aus der Abteilung einige Empfehlungen. Nach dem zwei Wochen Aufenthalt in der Klinik verschärfen sich bei dem Kranken die Schmerzen, so dass die Ärzte gezwungen waren, ihm ständig Opiate zu spritzen. Gleichzeitig wurden bei ihm gewisse bakteriellen Krankheiten festgestellt, die man mit starken Antibiotika zu kurieren suchte. In diesem Zustand verblieb der Patient noch über einem Monat ohne jene Besserung. Wegen ständigen schmerzstillenden Medikamenten befand sich der Kranke in einem Zustand nah zum künstlichen Koma. Auch die hohe Dosierung der Antibiotika sorgte dafür, dass der Patient erheblich geschwächt worden war. Die Angehörigen der Kranken besuchten ihn oft, manchmal verblieben bei ihm den ganzen Tag. Dr. Hellwig sprach fast täglich mit den Ärzten der Abteilung und konnte eine Schlussfolgerung ziehen, dass es keine gute Aussicht mehr gab. Man konnte mit den Qualen des armen nichts anfangen. In dieser komplizierten Lage traf der Chefarzt den Entschluss, die Dosierung der Opiate stark zu vergrößern. In drei Tagen war der Patient tot. Die nahen Verwandten bekamen diese gramvolle Nachricht mit dem Verständnis, weil sie nicht mehr das Leiden des Nächsten zu sehen vermochten. Es gingen zwei Jahre nach der Beerdigung hindurch bis den Verwandten im Kopf kam, dass die Sterbensursache des Mannes die tödlich vergrößerten Dosen der Opiate sein konnte. Vielleicht bekamen sie zusätzlich eine „freundliche“ Beratung irgendwelchen Mitarbeiter des Krankenhauses. Auf jeden Fall verklagten sie Dr. Hellwig gerichtlich wegen einer fahrlässigen Tötung des Patienten. Der Staatsanwalt eröffnete ein Gerichtsverfahren, das die Ausführlichkeit der ärztlichen Behandlung des Verschiedenen untersuchen sollte. Dr. Timo Hellwig entschied für sich aber anders. Ihm war es wahrscheinlich ausreichend, sich die Prozedur des Exhumierens, komplizierte und dauerhafte chemische und biochemische Analysen, Verhör mehrerer Zeugen und Beteiligten sowie die sonstige Scheiße anschaulich vorzustellen. So ließ er sich, die Zeit- und Müheaufwände sparen und erklärte sich in der Tat für die fahrlässige Tötung des Patienten schuldig. Später konnte er eingestehen, dass er formell kein Verbrechen begehen sollte. Denn andere Personen brachten die Verübung der Handlung voll. Und er, der Chefarzt befürchtete, dass mehrere unschuldigen umsonst leiden könnten. Er allein trug aber die vollständige Verantwortung für die Anweisung. Als eine eigene Rechtfertigung nannte er die Hoffnungslosigkeit des Patientenzustandes sowie dessen unerträgliche Qual. Schließlich wurde Timo zu zwei Jahren Haft mit der Bewährung verurteilt sowie von dem Chefarztamt entließen.
Die beiden Beispiele sollten ziemlich aufschlussreich werden. Denn die Rede war von zwei anständigen und verehrten Individuen, die sich Jahre lang keinen Verstoß gegen die sittlichen Regeln zu leisten wussten. Plötzlich befanden sie sich in einer ungewöhnlichen Situation, die ihnen eine komplizierte Alternative vorschlagen sollte. Im ersten Fall wurde Bernd Krüger gezwungen, zwischen zwei Varianten zu wählen: entweder vertritt er weiter seine hohen moralischen Prinzipien und verliert unvermeidlich das unter größter Anstrengung erreichte Wohlstandsniveau oder er unternimmt etwas Riskantes, was den Wohlstand mehr oder weniger zu bewahren versprach. Im zweiten Fall sah die Wahl anders aus, denn Dr. Timo Hellwig war imstande, entweder ruhig auf den natürlichen Tod des hoffnungslosen Kranken zu warten oder er sollte etwas Dringendes unternehmen, um dessen Qual zu beenden. Man konnte daran zweifeln, ob die beiden möglichen Handlungen in moralischem Sinn richtig waren. Gesetzlich gesehen war eine fahrlässige Tötung sicher unakzeptabel.
Der junge Knudsen kritisierte geistig die beiden reifen Kerle, die, jeder nach seiner Art, von dem richtigen sittlichen Pfad einzubiegen vorzogen. Nach seiner Ansicht gab es in deren Benehmen etwas Kindisches, was für einen Erwachsenen unzulässig sein sollte. Nur eine unbeugsame Ergebenheit der Moral gegenüber gab einer Person die Chance, ihr Leben richtig und gesund bis zum Ende zu verbringen. „Im Unterschied zu vielen anderen“, dachte sich Mike, „habe ich Glück gehabt, Professor Burmeister kennenzulernen, der für mich nicht nur als ein Fach- sondern auch als Morallehrer fungieren sollte. Diese Gegebenheit bekräftigte ihn so enorm, dass auch die ferne Zukunft verheißungsvoll aussehen sollte. In einer strikten Verfolgung von sittlichen Regeln verbarg sich das Geheimnis, wie alle Erdbewohner glücklich und sinnvoll zu existieren vermochten, ohne Zorn, Misstrauen und Verbrechen. Wenn solche Einstellung einer Utopie ähnelte, dann war auch der Arbeitsbereich, den Paul leitete, ein Teil dieser Utopie, der nie auf seine hohen Prinzipien zu verzichten mochte. Außerdem war Mike stolz auf seine älteren Kollegen, die als ein belehrendes Vorbild für die jüngere Generation dienen sollten. Unter der Obhut solcher ethischen Vorstellungen gingen die nächsten drei Jahre seines Studiums vorüber. Seine selbstlose Forschungsarbeit kümmerte darum, dass er im Gegenteil zu anderen Studenten keine Angst vor den Staatsprüfungen hatte.
Mikes folgendes Schicksal wurde schon längst vorausbestimmt, indem er die nächsten zwei Jahre mit seiner Doktorarbeit beschäftigt werden sollte. Da das Thema der Dissertation mit den konkreten ökologischen Modellen unterschiedlichen Orten des Planeten verbunden war, musste er zahlreiche Dienstreisen unternehmen, um dort aktuelle Umwelt- und Klimadaten zu sammeln. Es war eine ganz neue Erfahrung Mikes, die er üblicherweise durch die Bekanntschaft mit kleinen Völkerschaften der Pazifik und Atlantik zu bekommen fähig war. Diese Natursippen strebten sich anscheinend gezielt danach, die moderne Zivilisation zu vermeiden. Ihre Sitten und Bräuche waren hartnäckig und ungünstig und ließen keine persönliche Freiheit und Unabhängigkeit übrig. Eine unweigerliche Unterordnung dem Willen des Schamanen sowie des Wohls des Einzelnen dem der Gemeinschaft, sollte auch das Vorrecht der Sippe auch in ethischen Angelegenheiten einrichten lassen. Der junge Forscher ertappte sich mehrfach auf den Gedanken, dass die Menschheit sittlich seit Jahrtausenden nicht besonders weit von deren Urahnen entfernt worden war. Man lernte sich, die Gefühlsschattierungen deutlich zu unterscheiden, um das Gute vom Böse abzusondern. Sonst blieben sie ähnlicher Weise hochmütig wie ihre fernen Vorfahren und zogen die unseren den fremden vor. In einigen Sachen kam ihr Bewusstsein das des modernen Menschen zuvor. Z.B. merkten sie alle Umweltänderungen, die das Verschwinden der pflanzlichen und tierischen Arten verursachten, weil sie die gewohnten Lebens- und Arzneimittel allmählich verlieren sollten. Im Unterschied zu den Vertretern unserer Gesellschaft konnten sie nicht, in den Supermarkt oder in die Apotheke zu gehen, um irgendwelchen passenden Ersatz abzukaufen. Sie verstanden aber wohl, dass die plötzliche Abwesenheit einer Pflanze auch die Lebensbedingungen gewissen Tieren so stark zu verschlechtern fähig wird, dass sie auf die Sterbensschwelle geraten können. Und die einheimischen Menschen verlieren mit dem Aussterben dieser Tierarten die eigene Nahrungsquelle, die ihnen Lebensenergie bescheren sollte. Die auffassungsfähige Eingeborene zeigten sich bereit, etwas an ihrem Ort zu ändern, um die Entwicklung der Umwelt in die rückwärtige Richtung zu versetzen. Sie besaßen aber keine Kenntnisse, wie man es machen könnte. Deswegen erfinden sie stattdessen irgendwelche neuen Essensquellen, um einfach zu überleben. Sie sehen aber die Ursache dieser Umweltänderung darin, dass die Geister, die ihr Leben ständig überwachten, von ihnen nicht zufrieden sind und versuchen, sie mit solchen „Strafmaßnahmen“ auf einen richtigen Weg hinaus zu gehen helfen. Auch ihre glücklichen Funde auf der Suche nach dem Überleben schreiben sie diesen Geistern zu. Im Großen und Ganzen könnten diese lebendigen Zeugen ein unschätzbares Material über die verschwundenen Arten verschaffen. Sie bezeichneten aber alle diese Organismen auf ihrer seltenen Sprache. Dieser Umstand ließ Mike eine Idee durchdenken, dass ein heutiger Absolvent der Hochschule allein mit der Enträtselung dieser Namen eine Doktorarbeit machen könnte. Sicher wäre es nicht einfach, doch realisierbar. Solche Forschung in weit entfernten voneinander Regionen der Erde sollte einen wertvollen Beitrag zur vergleichbaren Verbreitung bzw. Verschwinden der Arten leisten. Auf jeden Fall konnte er darüber mit Paul sprechen. Für Mike selbst waren diese exotischen Reisen sehr nützlich. Einigermassen beschäftigte er sich schon mit den Problemen der Zukunft, die nach der Dissertationsprüfung für ihn aktuell werden könnten. Und dieser wichtige Abschnitt seines Werdegangs war ziemlich bald vorbeigewesen. Nach einer erfolgreichen Prüfung der Dissertation bekam er die Möglichkeit, als ein Postdoc in mehreren Uni Europas und USA eine weitere Forschungserfahrung zu kriegen. Fünfjahre danach machte er eine Habilitation in seinem Alma Mater, was ihm die Professur im Arbeitsbereich Paul Burmeister ermöglichte. Er bekam eigene Doktoranden und hielt Vorlesungen. Neben seiner beruflichen Tätigkeit brachte er viel geistige Energie darin, Studenten im Rahmen der Burmeister-Regeln zu erziehen. Es war nun seine moralische Pflicht. Eigentlich zählte sich dieser eigenartige ethische Kodex zu unentbehrlichen Prinzipien der Gemeinschaft, die alle beteiligten festhalten sollten. Allerdings begann Professor Knudsen mit Jahren zu bemerken, dass etwas mit diesen Regeln schief ging. Vor allem betrafen diese Regelabweichungen die älteren Kollegen, die anscheinend alle harten Normen seit Jahrzehnten vollkommen aneignen mussten. Anstatt bekamen einige von ihnen zusätzliche Eigenschaften, die eher von ihren negativen Seiten zeugen könnten.